Adoptionsfaktoren der Cradle-to-Cradle-Implementierung in Deutschland - Nadine Stein - E-Book

Adoptionsfaktoren der Cradle-to-Cradle-Implementierung in Deutschland E-Book

Nadine Stein

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Beschreibung

Die Implementierung des Cradle-to-Cradle-Konzepts kann einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung langfristig tragbarer Wirtschafts- und Konsummuster leisten. Dennoch wird dem Konzept speziell in Deutschland große Skepsis entgegengebracht. Warum findet es in einem Land, das als Innovationsschmiede und Vorreiternation der Nachhaltigkeit gehandelt wird, so wenig Anklang? Inwieweit tragen das politisch-rechtliche Umfeld, die Kommunikationsstrukturen rund um den Cradle-to-Cradle-Ansatz oder die kulturellen Rahmenbedingungen zur deutschen Zurückhaltung bei der Implementierung bei? Welche Erkenntnisse und Empfehlungen lassen sich daraus für eine nachhaltige Entwicklung und das nach wie vor bestehende Umsetzungsdefizit von Nachhaltigkeitsinnovationen ableiten? Die Autorin führte neben einer intensiven Auseinandersetzung mit dem theoretischen Kontext Interviews mit zehn ausgewiesenen Experten aus der Praxis und kommt am Ende zu dem Schluss, dass es zur Umsetzung einer derart radikalen Innovation mehr bedarf als des Willens zu technischem Fortschritt.

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Inhalt

Vorwort

1 Einleitung

1.1 Ausgangslage und Problemstellung

1.2 Ziel der Arbeit

1.3 Aufbau der Arbeit

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Begriffsdefinition Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung

2.2 Begriffsdefinition Innovation

2.3 Die Bedeutung von Innovationen für eine nachhaltige Entwicklung

2.4 Cradle to Cradle

2.5 Diffusionstheorie

3 Methodik

3.1 Forschungsstand

3.2 Wahl und Erläuterung des Forschungsdesigns

3.3 Stichprobenauswahl und -beschreibung

3.4 Datenerhebung

3.5 Die Auswertungsmethode

4 Ergebnisse

4.1 Einschätzung der Cradle-to-Cradle-Entwicklung in Deutschland

4.2 Produktspezifische Faktoren

4.3 Adopterspezifische Faktoren

4.4 Einflussfaktor Kommunikation

4.5 Einflussfaktor Makroökonomisches Umfeld

4.6 Einflussfaktor Politisch-rechtliches Umfeld

4.7 Soziales System

4.8 Interne Strukturen der Change Agency

4.9 Einflussfaktor Sonstiges

5 Diskussion der Ergebnisse

5.1 Identifizierte Einflussfaktoren

5.2 Die Herausforderungen des Cradle-to-Cradle-Adoptionsprozesses

5.3 Kultur als Schlüssel

5.4 Diffusionsdynamik des Cradle-to-Cradle-Konzepts

5.5 Grenzen der Methoden

5.6 Forschungsausblick

5.7 Schlussfolgerungen

Abkürzungsverzeichnis

Quellenverzeichnis

Anhang

Vorwort

Die Idee einer abfallfreien Wirtschaft und Gesellschaft ist aus Perspektive der Nachhaltigkeitsforschung und -politik eine faszinierende Zielvorstellung. Gelänge es, alle anorganischen Gebrauchs- und Verbrauchsprodukte unserer Wirtschaft nach Ablauf ihrer Gebrauchsdauer so in die wirtschaftliche Verwertung zurückzuführen, dass man aus ihnen bzw. ihren Bauteilen das gleiche bzw. ein gleichwertiges Produkt erneut herstellen kann, wären die Probleme der Raumbeanspruchung von Deponien und der Umweltbeeinträchtigungen dort austretender Schadstoffe auf einen Schlag gelöst. Dies wäre dann die Erfüllung des eigentlichen Hauptzieles des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, welches schon im Namen steckt: die vollständige Rückführung und Wiederverwertung von Rohstoffen. Die Realität sieht anders aus. Das einstige Primärziel des Gesetzes, die Abfallvermeidung, wirkt sich in der Realität angesichts fortwährend hohen Müllaufkommens nicht merklich aus. Alle Aufmerksamkeit scheint stattdessen auf dem Recycling zu liegen. Dort wurde zugegebenermaßen viel erreicht – Glas, Metalle, Papier und Kunststoffe werden deutschlandweit gesammelt, in den meisten Kommunen gilt das auch für organische Stoffe aus Küche und Garten. Vor allem bei den Kunststoffen verhindern jedoch Verschmutzungen und insbesondere die Vielfalt unterschiedlicher chemischer Zusammensetzungen eine effektive stoffliche Verwertung. Wenn dies überhaupt gelingt, entstehen minderwertigere Produkte, Recycling wird zum „Downcycling“. Große Teile der Kunststofffraktion werden aber via Müllverbrennungsanlagen ohnehin nur „energetisch verwertet“. Jüngere Bewegungen sehen all dies kritisch und versuchen, durch das Sammeln sortenreiner Kunststoffe die Materialien einer gleichwertigen Wiederverwendung zuzuführen. An der Leuphana Universität Lüneburg werden zu diesem Zwecke Kugelschreiber und Flaschendeckel gesammelt, zumindest Letzteres hat sich sogar in einer Reihe weiterer deutscher Städte etabliert. Beide Beispiele zeigen, dass sortenreine „Abfälle“ wertvolle Rohstoffe sind, mit denen sich Geld verdienen lässt (welches im Falle der Flaschendeckel in Polioimpfungen in Entwicklungsländern fließt). Beides verdeutlicht aber auch, dass es sich bei diesen Bemühungen nur um randliche Fragmente des Abfallaufkommens handelt. Soll man sich damit wirklich zufrieden geben? Ist die heutige Wirtschaftsweise - so fortschrittlich sie sowohl in der Zeitperspektive seit der Industrialisierung als auch in einem aktuellen Ländervergleich anmuten mag und dem zufolge Deutsche gern als Mülltrennweltmeister bezeichnet werden – schon das maximal erreichbare Optimum? Das Cradle-to-Cradle-Prinzip verneint dies entschieden und versucht stattdessen, eine Umorientierung einzuleiten. Produkte sollen so hergestellt werden, dass sie bzw. ihre Komponenten nach Gebrauchsende gleichwertig wiederverwendet werden können. Das setzt leichte Trennbarkeit unterschiedlicher Materialien und deren prinzipielle Ungiftigkeit (etwa beim Einschmelzen sortenreinen Kunststoffes) voraus. Warum gelingt es nicht, auf dieses eigentlich so einfache, ökonomisch wie ökologisch sinnvolle Prinzip umzuschwenken? Und warum tut sich Deutschland, wo die Idee entwickelt wurde, damit augenscheinlich deutlich schwerer als andere Länder? Es ist das große Verdienst der Masterabschlussarbeit von Nadine Stein, diesen Fragen mit erheblichem empirischen Aufwand wissenschaftlich nachgegangen zu sein. Auf der Basis zahlreicher Experteninterviews werden viele Komponenten aufgezeigt, die die Übernahme des Cradle-to-Cradle-Prinzips erschweren. Aber es wird darüber hinaus auch deutlich, dass dies weder so sein noch so bleiben muss. Wir können das ändern! Dieser Band ist deshalb ein Beitrag zu einer herausragenden Frage der Nachhaltigkeitsdebatte, nicht nur in unserem Land.

Peter PezLüneburg, August 2016

1Einleitung

„Längst ist klar, dass die vielfach beklagten Krisen – vom Klimawandel über die Wirtschafts- und Finanzkrise bis hin zu den bereits absehbaren Konflikten um Öl, Wasser, Boden und Nahrungsmittel – durch das Festhalten an bisherigen Entwicklungspfaden verschärft, aber nicht überwunden werden“ (KROPP 2013, 87).

KROPPS Kritik zeigt deutlich, dass bestehende Wirtschafts- und Konsumpraktiken demnach keine Grundlage bilden können, um den für eine nachhaltige Entwicklung notwendigen Strukturwandel durchzusetzen (FICHTER 2010, 181; KONRAD/NILL 2001, 3). Die Absenz nachhaltiger Gesellschaftsmodelle und eine zunehmend geforderte grundlegende Umstrukturierung lassen einen beträchtlichen Innovationsbedarf entstehen (WEHRSPAUN/ SCHACK 2013, 4; 25–26). Es ist allgemein anerkannt, dass eine langfristige Funktionsfähigkeit der Gesellschaft im hohen Maße von innovativen Lösungen und deren Adoption abhängig ist (KONRAD/NILL 2001, 3).

1.1Ausgangslage und Problemstellung

Durch den 1992 in der Rio-Konferenz angestoßenen Nachhaltigkeitsdiskurs erlangte die Rolle von Innovationen im Zuge der erforderlichen Umorientierung der Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme eine neue Bedeutung (EMIG 2013, 11; SCHWARZ/BIRKE/BEERHEIDE 2010, 165; WEHRSPAUN 2012, 57). Innovationen gelten als Voraussetzung für das Erreichen von langfristigem Wohlstand sowie Lebensqualität und werden gleichzeitig als Instrument deklariert, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Darüber hinaus sollen sie dazu dienen, einen Strukturwandel in Konsum und Wirtschaft einzuleiten, der eine nachhaltige Gesellschaftsentwicklung ermöglicht (BECKENBACH ET AL. 2005, 7; LUKS 2005, 42).

In den 1990er Jahren entwickelte sich eine stark technisch fokussierte Ausrichtung des Diskurses um die zugeschriebene Rolle der Innovationen für eine nachhaltige Entwicklung (SCHWARZ ET AL. 2010, 165). Bis heute herrscht mehrheitliche Einigkeit, dass vorherrschende Technologien keine Grundlage für einen elementaren Strukturwandel bilden und technische Innovationen ein wichtiger Bestandteil der Umstrukturierung sind (WITT 2005, 88). Dennoch setzt sich durch die immer stärker zu verzeichnende „Dysfunktionalität etablierter Praktiken“ (HOWALDT/SCHWARZ 2010, 90) zunehmend die Erkenntnis durch, dass starke Interdependenzen zwischen den kulturellen, gesellschaftlichen Entwicklungen sowie den vorherrschenden Umweltproblemen existieren und somit nachhaltige Wirtschafts- und Gesellschaftsformen nicht ausschließlich durch technologische Innovationen erreicht werden können (SCHWARZ/HOWALDT 2013, 60; WEHRSPAUN/ SCHACK 2013, 19). Um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, müssen Gesellschaften in die Lage versetzt werden, langfristige Denkmuster zu entwickeln und vorherrschende Werte sowie Lebensstile in Frage zu stellen (ebd.). Der überwiegend technisch geprägte Diskurs über die Rolle der Innovationen in der Nachhaltigkeit hat somit im letzten Jahrzehnt eine Erweiterung erfahren (SCHWARZ ET AL. 2010, 165). Nachhaltigkeit wird zunehmend als kulturelle Innovationsherausforderung aufgefasst, in der die erforderliche gesellschaftliche Umstrukturierung insbesondere durch soziale Innovationen und die Verknüpfung diverser Innovationsarten erfolgen sollte (SCHWARZ ET AL. 2010, 166; VOß/TRUFFER/KONRAD 2005, 179). Hierbei müssen technologischen Innovationen organisatorische Innovationen auf Unternehmens- und Produktebene folgen. Des Weiteren sollten Innovationen mit Veränderungen von Denkmustern, Lebensstilen und politischen Praktiken verknüpft werden (VOß ET AL. 2005, 179). Darüber hinaus muss eine Richtungsbeeinflussung der Innovationstätigkeit bezüglich ihres Beitrages zu einer nachhaltigen Entwicklung stattfinden (SCHWARZ ET AL. 2010, 170–176).

Unabhängig von der Innovationsart ist es entscheidend, dass grundlegende strukturelle Veränderungen nicht gescheut werden. Die Entwicklung und Durchsetzung von Innovationen, die einen elementaren Wandel herbeiführen, indem sie neben der Schaffung nachhaltiger Strukturen nichtnachhaltige Strukturen eliminieren (sogenannte Exnovation), müssen gefördert werden (FICHTER 2010, 182–197; WEHRSPAUN 2012, 57). Dieses Zusammenspiel von Innovation und Exnovation ist Teil des seit 1942 von JOSEPH SCHUMPETER geprägten Begriffs der Kultur der „schöpferischen Zerstörung“ (SCHUMPETER 1980, 134–142, Erstveröffentlichung 1942) und ist insbesondere bei radikalen Nachhaltigkeitsinnovationen gegeben (FICHTER 2010, 181–197). Laut FICHTER (2010, 181–197) hängen die Erfolgschancen einer nachhaltigen Entwicklung maßgeblich von dem Mut ab, vor allem radikale Nachhaltigkeitsinnovationen zu entwickeln und durchzusetzen. Zusammenfassend lässt sich demnach sagen, dass eine nachhaltige Entwicklung nicht allein durch marginale Symptombekämpfung anhand effizienter Technologien zu erreichen ist, sondern durch einen elementaren Umstrukturierungsprozess von Produktions-, Politik- und Konsummustern (SCHWARZ ET AL. 2010, 168; VOßET AL. 2005, 178).

Cradle to Cradle, ein Konzept für öko-effektives Design und Produktion, setzt genau an diesem Punkt an (BRAUNGART/MCDONOUGH/BOLLINGER 2007). Das von dem Architekten WILLIAM MCDONOUGH und dem Chemiker MICHAEL BRAUNGART (2011a) entwickelte Designprinzip zielt darauf ab, durch eine von vornherein entwickelte öko-effektive Konzeption von Produkten, Verpackungen und Prozessen den Abfallbegriff überflüssig zu machen. Dieser Designprozess erfordert ein Nährstoffmanagement in geschlossenen Kreisläufen bei der Produktion und der Gestaltung ökologisch und gesundheitlich unbedenklicher Produkte (BRAUNGART ET AL. 2007, 1337; BRAUNGART/MCDONOUGH 2011a, 136).

Betrachtet man den potenziellen Beitrag, den das Cradle-to-Cradle-Designprinzip zum „Erhalt kritischer Naturgüter und zu global und langfristig übertragbaren Wirtschafts- und Konsumstilen“ (FICHTER/CLAUSEN 2013, 38) leisten kann, wird deutlich, dass dieser Ansatz nicht nur als reines Produktdesignkonzept verstanden werden kann. Neben dem Beitrag, den eine Implementierung einer nach Cradle-to-Cradle-Prinzipien designten schadstoff- und abfallfreien Kreislaufwirtschaft zur Umsetzung einer Green Economy leisten könnte, versprechen insbesondere die begleitenden sozialen Innovationen und eine Abkehr von dem bisher geltenden Produktions- und Konsumparadigma (Effizienz, Besitz und Abfall), bestehende Systemprobleme durch einen daraus resultierenden Wertewandel an den Wurzeln zu packen. Die angestrebte Nutzerintegration mithilfe des Leasingkonzepts stellt eine alternative Praktik des Konsums dar, die eine Veränderung vorhandener sozialer Praktiken erfordert und somit einen grundlegenden Wandel der Konsummuster auslösen kann (STIESS 2013, 35–36; WEHRSPAUN/ SCHACK 2013, 26). Darüber hinaus beeinflusst das Designprinzip alle Akteure1 der Wertschöpfungskette und fördert die Entwicklung neuer Akteurskonstellationen und Institutionen zur Erstellung des intelligenten „material pooling Systems“ (BRAUNGART ET AL. 2007, 1346) und die Entstehung neuer Geschäftsmodelle durch die notwendige Einführung neuer Dienstleistungs- und Serviceproduktkonzepte (ebd., 1346; BRAUNGART/MCDONOUGH 2011a, 144; STIESS 2013, 36). Der öko-effektive Ansatz eines kreislauffähigen Produktionssystems unterscheidet sich in hohem Maße von derzeitigen industriellen Praktiken (BRAUNGART ET AL. 2007) und weist somit einen hohen Innovationsgrad auf. Überdies verfügt er über die Charakteristika einer radikalen Innovation, da dieser sich nicht in die bestehenden Strukturen des Industriesystems und damit verbundenen Konsummuster einfügt, sondern auf eine Abschaffung des derzeitig verankerten linearen Cradle-to-Grave-Systems zielt (BRAUNGART/MCDONOUGH 2011a, 136). Sollte der Aufbruch dieser Strukturen beziehungsweise deren Zerstörung gelingen, würden sich völlig neue Entwicklungspfade auftun, die im Sinne SCHUMPETERS schöpferische Potenziale zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele darstellen könnten (FICHTER 2010, 197; PAECH 2012, 34; SCHUMPETER 1980, 134–142; WEHRSPAUN/SCHACK 2013, 26; Voß ET AL. 2005, 179).

Speziell durch die Kombination der im Konzept integrierten Innovationsarten (technische, geschäftsbezogene, institutionelle, soziale und radikale) kann dieser Ansatz nicht als ein rein technisch fokussiertes Produktdesignkonzept verstanden werden, sondern stellt darüber hinaus eine umfassende sozial-politische Neuerung dar. Diese wird somit von BRAUNGART und MCDONOUGH (2013, 35) zurecht als potenzieller Hebel für einen tiefgreifenden Wandel der Gesellschaft eingestuft.

Es existieren bereits zahlreiche Bewegungen, in denen das Cradle-to-Cradle-Konzept punktuell umgesetzt wird. In Österreich, Israel, Dänemark, Taiwan, Wales, Südfrankreich oder in Neuseeland, besonders aber in Kalifornien und den Niederlanden entwickeln sich bereits lebendige Cradle-to-Cradle-Gemeinschaften und Anwendungsansätze (BRAUNGART/MCDONOUGH 2011b, 7–11). Betrachtet man die deutsche Medienberichterstattung und die Einschätzung der Entwickler, bleiben die Reaktionen in Deutschland dagegen verhalten. Das Konzept wird verhältnismäßig wenig wahrgenommen und umgesetzt (BELLER 2012; BRAUNGART/MCDONOUGH 2011b, 14; ELLWANGER 2012; FERDINAND 2011, 12; HAMM 2012; POPRAWA 2012; UNFRIED 2009).

1.2Ziel der Arbeit

Vor dem Hintergrund, dass sich die aus den bestehenden Wirtschafts- und Konsumpraktiken resultierenden Krisen trotz anhaltender Bemühungen verschärfen, ist

„die mangelnde Durchsetzung nachhaltiger Innovationen, insbesondere das Beharrungsvermögen auf nicht nachhaltigen Formen des Wirtschaftens und sich festigenden Weltanschauungen und Institutionen, […] ein durchaus erklärungsbedürftiges Phänomen“ (KROPP 2013, 88).

Um Erkenntnisse über mögliche Hemmnisse und gestalterische oder förderliche Mittel zu erlangen, ist es notwendig, Entwicklungsdynamiken nachhaltiger Innovationsprozesse zu analysieren und ihre Anschluss- sowie Akzeptanzpotenziale in der Gesellschaft zu verstehen (RÜCKERT-JOHN 2013, 15; SCHWARZ/HOWALDT 2013, 59–65). Im Rahmen der erforderlichen gesellschaftlichen Umstrukturierung sind Nachhaltigkeitsinnovationen, die aus der Verknüpfung diverser Innovationsarten bestehen sowie im Speziellen auch soziale Innovationen beinhalten, von besonderem Interesse (SCHWARZ ET AL. 2010, 166; VOßET AL. 2005, 179). In diesem Zusammenhang findet das Cradle-to-Cradle-Konzept Beachtung und bildet auch den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Das Konzept entspricht sowohl den Kriterien der Zusammensetzung von Innovationsarten als auch denen einer potenziellen Nachhaltigkeitsinnovation. Dennoch fallen Wahrnehmung und Umsetzung in Deutschland bisher relativ verhalten aus. Aufgrund der bisher geringen Studienanzahl zur Implementierung des Cradle-to-Cradle-Konzepts hat diese Arbeit einen explorativen Charakter. Ziel ist es, einen möglichst breiten Überblick über den Adoptionsprozess in Deutschland zu erhalten, um Ansätze für tiefergehende Anschlussstudien zu liefern. In einem ersten Schritt sollen Einflussfaktoren auf den Adoptionsprozess in Deutschland identifiziert werden. Sie erlauben auch einen Einblick in mögliche Hemmnisse. Auf der Basis dieser Überlegungen entstand die folgende im Rahmen der Masterarbeit zu untersuchende Forschungsfrage: Welche Faktoren beeinflussen die Cradle-to-Cradle-Adoption in Deutschland?

1.3Aufbau der Arbeit

Zunächst werden die der Arbeit zugrunde liegenden Begriffe Nachhaltigkeit und Innovation näher definiert. Die anschließenden Kapitel führen in die Bedeutung von Innovationen im Rahmen der Nachhaltigkeit und in das Cradle-to-Cradle-Konzept ein, um selbiges darauf aufbauend in den Kontext der Nachhaltigkeitsinnovation einzuordnen. Im Anschluss erfolgt eine nähere Betrachtung der Diffusionstheorie, wobei insbesondere die in der Forschung für die Adoption als relevant erachteten Faktoren beleuchtet werden. In Kapitel drei werden der bisherige Forschungsstand dargestellt und die Wahl des Forschungsdesigns sowie die methodische Vorgehensweise erläutert. Es folgen die Präsentation und Interpretation der Ergebnisse in Bezugnahme auf die dargelegten theoretischen Grundlagen und eine kritische Auseinandersetzung mit der angewandten Methodik. Ein Ausblick auf den weiteren Forschungsbedarf bezüglich der Cradle-to-Cradle-Adoption und einige Schlussfolgerungen schließen die Arbeit ab.

1 Im Verlauf dieser Arbeit wird zur Vereinfachung und Übersichtlichkeit für Personen-und Funktionsbezeichnungen die männliche Form verwendet, solange es sich nicht ausschließlich um weibliche Personen handelt.

2Theoretische Grundlagen

In diesem Teil der Arbeit werden die wesentlichen theoretischen Grundlagen dargestellt, die die nachfolgende Untersuchung leiten. Auf die Begriffserläuterungen zur Nachhaltigkeit und Innovation folgen die Darstellung und Einordnung des Cradle-to-Cradle-Konzepts in den Kontext der Nachhaltigkeitsinnovation sowie eine Vertiefung der Diffusionstheorie, insbesondere die für die Untersuchung relevanten Adoptionsfaktoren.

2.1Begriffsdefinition Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung

Der Begriff „Sustainable Development“, im deutschsprachigen Raum gemeinhin als „nachhaltige Entwicklung“ oder „Nachhaltigkeit“ bezeichnet, hat seit der Weltumweltkonferenz 1992 in Rio zunehmend an Bekanntheit gewonnen (MICHELSEN/ADOMßENT 2014, 3). Dennoch existiert bis heute keine einheitliche und universell gültige Definition nachhaltiger Entwicklung (VON HAUFF/KLEINE 2009, 27). Deren Relevanz in diversen Interessengebieten hat zu unterschiedlichen Auslegungen des Begriffs durch beteiligte Akteursgruppen und letztlich zu Widersprüchen und Mehrdeutigkeit im Begriffsverständnis geführt2 (MICHELSEN/ADOMßENT 2014, 3; OTTO 2007, 28).

Obwohl der Begriff erstmals im 18. Jahrhundert durch den Oberberghauptmann CARL VON CARLOWITZ im Rahmen der Forstwirtschaft geprägt wurde (VON CARLOWITZ 1713), stammt die bekannteste und am häufigsten zitierte Begriffsdefinition, über die zumindest ein breites Einvernehmen herrscht, aus dem Report der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen, besser bekannt als Brundtland-Kommission (MICHELSEN/ADOMßENT 2014, 12–13). Die vorliegende Arbeit stützt sich auf diese Definition und versteht nachhaltige Entwicklung somit als „development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ (WCED 1987, 54). Grundlage für die Problemanalyse und die entwickelten Handlungsempfehlungen der Brundtland-Kommission für eine nachhaltige Entwicklung bilden die drei Grundprinzipien der Verflechtung von Entwicklungs- und Umweltaspekten, der Einbeziehung globaler Verknüpfungen und der Gerechtigkeit. Letztere setzt sich aus einer intergenerationellen und intragenerationellen Perspektive zusammen (MICHELSEN/ADOMßENT 2014, 13):

„die intergenerationelle Perspektive, verstanden als Verantwortung für künftige Generationen,

und die intragenerationelle Perspektive, im Sinne von Verantwortung für die heute lebenden Menschen, v. a. für die armen Staaten und als Ausgleich innerhalb der Staaten“ (ebd., 13).

Ähnlich zu den Uneinigkeiten bezüglich der Definition von Nachhaltigkeit ist auch die Unterscheidung zwischen den Begriffen Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung nicht eindeutig festgelegt (OTTO 2007, 37). In Deutschland gilt Nachhaltigkeit häufig als Kurzform des Begriffes nachhaltige Entwicklung (ebd., 37–38). Im Zuge dieser Arbeit wird Nachhaltigkeit jedoch als angestrebter Zustand verstanden (DI GUILIO 2004, 72). Dieser Zielzustand wäre erst dann erreicht, „wenn jeweils alle gegenwärtigen Menschen ihre (Grund-)Bedürfnisse befriedigen und ein gutes Leben führen könnten und wenn dies (durch weitere Entwicklung) auch für die Zukunft, d. h. für die jeweils künftigen Generationen, gesichert wäre“ (ebd., 72). Nachhaltigkeit ist in diesem Sinne Ziel eines Prozesses, welcher als nachhaltige Entwicklung verstanden wird (ebd., 72).

Eine weitere Grundlage vieler Definitionen bilden die Nachhaltigkeitsdimensionen, deren Ursprünge ebenfalls im Brundtland-Report zu finden sind (VON HAUFF/KLEINE 2009, 9; DI GIULIO 2004, 75). In jenem weist die WCED auf Zusammenhänge zwischen sozialen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Problemen hin und fordert eine integrierte und gleichberechtigte Betrachtung dieser drei Aspekte, um eine nachhaltige Entwicklung durchzusetzen (DI GIULIO 2004, 75). Auf dieser Basis haben sich seither diverse Konzepte um die Dimensionen entwickelt, die sich vorrangig in der Anzahl (1–8)3 und der Gewichtung unterscheiden. Am häufigsten wird das Drei-Dimensionen-Modell verwendet, das die Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales betrachtet (MICHELSEN/ADOM–ENT 2014, 28–29). Darüber hinaus werden insbesondere auch kulturelle, politische und institutionelle Dimensionen diskutiert (ebd., 29–30; TREMMEL 2003, 116).

Trotz anhaltender Bemühungen und generiertem Wissensstand ist es bisher nicht gelungen, eine in diesem Sinne nachhaltige Entwicklung zu initiieren und die Folgen nicht nachhaltigen Handelns mit den bestehenden Ansätzen zu verringern (FISCHER ET AL. 2007, 621). Es lässt sich im Gegensatz sogar eine Verschlechterung der Zustände verzeichnen (WEIJERMARS 2011, 4667). FISCHER ET AL. (2012, 153) sehen die bestehenden Barrieren vor allem im menschlichen Verhalten verankert und KAGAN (2012, 11) weist darauf hin, dass die Notwendigkeit einer kulturellen Transformation, ergo das Erfordernis, die „Software unseres Handelns neu zu schreiben“ (ebd., 11), in bisherigen Bemühungen verkannt wurde. Ohne die Veränderung bestehender kultureller Paradigmen werden Bemühungen um technologische, ökonomische und politische Veränderungen (Hardware) weitestgehend erfolglos bleiben (ebd., 11). Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit die kulturelle Dimension den sonst üblichen Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales hinzugefügt.

Nur wenn kulturelle Werte und Praktiken hinterfragt und wenn nötig abgewandelt werden, besteht die Chance, den sustainability gap zu schließen (ORNETZEDER/BUCHEGGER 1998, 31; KURT/WEHRSPAUN 2001, 17). Aufgrund dessen wird Kultur bezüglich der Gewichtung der Dimensionen im Sinne von KURT und WEHRSPAUN (2001) „als eine Art ‚energetischer Fokus‘“ (ebd., 21) gesehen:

„Metaphorisch zu denken als der Punkt, durch den die einzelnen Dimensionen […] aufeinander rückstrahlen; als Pol, der die relativen Gewichtungen der verschiedenen Dimensionen austariert, und in dem sich so letzten Endes die Stimmigkeit und Tragfähigkeit des gesamten Gefüges entscheidet“ (ebd., 21).

Hinsichtlich der Gewichtung ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte wird eine gleichberechtigte Betrachtung gewählt (siehe Abb. 1). Diese wird auch von den Begründern des Cradle-to-Cradle-Konzepts vertreten (BRAUNGART/MCDONOUGH 2011a, 190–191).

2.2Begriffsdefinition Innovation

„Innovation“ ist heutzutage allgegenwärtig und inzwischen auch ein fast schon modischer Begriff (HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 3). Obwohl in vielen Fachbereichen verwendet, besteht bis heute kein einheitliches Verständnis darüber, was genau unter dem Begriff zu verstehen beziehungsweise wie er zu definieren ist (BAREGHEH/ROWLEY/SAMBROOK 2009, 1324; VON STAMM 2010, 27).4 Wird die etymologische Herkunft betrachtet, lässt sich Innovation aus den lateinischen Wörtern „innovatio“ (Erneuerung, Veränderung) und „novus“ (neu) ableiten (DUDEN 2007, 884). Bei einer Innovation handelt es sich demnach nicht nur um etwas Neuartiges (HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 3–4). Sie trägt darüber hinaus zu einer Veränderung des Bekannten bei (ebd., 3–4). Welche Bedeutung das Wort „neu“ in diesem Kontext einnimmt, wird in Fachkreisen ebenfalls unterschiedlich interpretiert (VAHS/ BREM 2013, 22). Obwohl Innovationen mit etwas Neuem in Verbindung gebracht werden, ist nicht alles Neue zugleich eine Innovation (O. A. 2014a, 9). In Anlehnung an ROGERS Definition von Innovation als „any idea, practice or object perceived as new by an individual or another unit of adoption“ (ROGERS/SHOEMAKER 1971, 19) heben HAUSCHILDT und SALOMO (2011, 18) die Rolle der Wahrnehmung in der Innovationsbestimmung hervor. Eine Erfindung kann demnach erst dann als Innovation bezeichnet werden, wenn sie von potenziellen Adoptoren als neu und innovativ eingeschätzt wird (FICHTER 2011, 18; HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 18). Die alleinige Erfindung einer solchen Neuartigkeit (Invention) ist demnach nicht ausreichend, um sie als Innovation zu definieren. Es handelt sich um eine „Invention“ (HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 5). Im Gegensatz zur Invention besteht die Innovation aus einer geplanten und gezielt durchgesetzten Erneuerung, mit dem Ziel, Bestehendes zu optimieren oder Neuartiges einzuführen (HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 5–11; BROCKHAUS 1997, 555).

Abb. 1: Die NachhaltigkeitsdimensionenQuelle: Eigene Darstellung

Das heutige Innovationsverständnis wurde maßgeblich durch die Werke „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (1912) und „Business Cycles“ (1939a; 1939b) des Ökonomen SCHUMPETER geprägt (FICHTER 2011, 11–12,), in denen er die Einführung von neuen Systemen, Produkten und Prozessen als „Durchsetzung neuer Kombinationen“ (SCHUMPETER 2006, 158, Erstveröffentlichung 1912) betitelt (RAMMERT 2010, 21). Das dem Innovationsbegriff SCHUMPETERS zugrunde liegende technische Verständnis ist auch heutzutage noch tief verankert, aber vor allem seitens der Politik- und Sozialwissenschaften stark in die Kritik geraten (O. A. 2014b, 15; RAMMERT 2010, 21).

So wird in der modernen Innovationsforschung häufig in enge und breite Begriffsdefinitionen unterteilt (RENNINGS 2005, 18). Der enge Innovationsbegriff bezieht sich „auf technische, ökonomisch direkt verwertbare Neuerungen“ (SAGEBIEL 2013, 95). Wohingegen ein breites Innovationsverständnis auch nicht-technische Neuerungen einbezieht, wie zum Beispiel die Wissenseinführung oder Veränderung der Arbeitsstrukturen einer Organisation, und auf jegliche menschliche Praktiken ausgeweitet werden kann (RENNINGS 2005, 18; DOSTAL 2002, 493). Des Weiteren umfasst ein breites Verständnis neben der Invention und der Adoption (Durchsetzung) auch dessen Marktdurchdringung (Diffusion) (MÜLLER-PROTHMANN/DÖRR 2011, 7; RENNINGS 2005, 19). Eine Neuerung kann demnach erst dann als Innovation gelten, wenn sie einen maßgeblichen „Grad der Verbreitung erreicht hat“ (HOWALDT/SCHWARZ 2010, 93) und tatsächliche Anwendung in der Alltagspraxis findet (ebd.).

In Deutschland dominiert hinsichtlich des Verständnisses von Innovationsprozessen nach wie vor das „lineare […] Science-Push-Modell“ (JOLY/ RIP 2012, 217), in dem die Wissenschaft als Impulsgeber des Fortschritts neue Lösungsangebote entwickelt, die anschließend in der Industrie Anwendung finden (JOLY/RIP 2012, 217; KROPP 2013, 94; WEHRSPAUN 2012, 68). In diesem exogenen Verständnis nimmt die Gesellschaft eine passive, rezipierende Rolle ein, die sich lediglich an neue Entwicklungen in Wissenschaft und Industrie anpasst (JOLY/RIP 2012, 217; 226–227). Das endogene Innovationsverständnis hingegen geht von einem durch Rückkopplungsschleifen geprägten Prozess aus, in dem über die Einbindung des Nutzers und unterschiedlicher Wissens- und Funktionsbestände die Gesellschaft selbst zum Innovationsort wird und eine Bandbreite an Akteuren am Gestaltungsprozess neuer Problemlösungen mitwirkt (HIRSCH-KREINSEN 2010, 74; RAMMERT 2008, 291; SCHWARZ/HOWALDT 2013, 56).

Hinsichtlich des Gegenstandsbereiches einer Innovation liegen in der Literatur unterschiedliche Ansätze vor. Die häufigste Einteilung unterscheidet zwischen Produkt- und Prozessinnovationen (HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 5–9; RENNINGS 2005, 18), aber auch die folgende Unterscheidung ist geläufig:

„technische

Innovationen: Produkte, Prozesse, technisches Wissen

[…]

organisationale

Innovationen: Strukturen, Kulturen, Systeme, Management Innovationen

[…]

geschäftsbezogene

Innovationen: Erneuerung des Geschäftsmodells, der Branchenstruktur, Markstrukturen und -grenzen, der Spielregeln“ (H

AUSCHILDT

/S

ALOMO

2011, 9–10)

Ein Großteil der heutigen Definitionsansätze bezieht sich hauptsächlich auf die Einführung ökonomischer Neuerungen, aber auch andere Gesellschaftsbereiche wie beispielsweise Bildung, Kultur oder Wissenschaft können sich durch Innovationen verändern (RAMMERT 2010, 21). Für die Untersuchung der Cradle-to-Cradle-Adoption spielen neben den ökonomischen auch die nicht-ökonomischen Gegenstandsbereiche eine Rolle. Infolgedessen werden im Rahmen dieser Arbeit die nachfolgenden Gegenstandsbereiche den oben aufgeführten hinzugefügt:

„institutionelle

Innovationen (neuartige Einrichtungen wie z. B. Förderagenturen, neuartige marktliche Regelsysteme wie z. B. Zertifizierungs- und Produktkennzeichnungssysteme)

soziale

Innovationen (neuartige Lebensformen, Lebens- und Konsumstile, neuartige gesellschaftliche Organisationsformen)“ (F

ICHTER

2011, 14, Hervorhebungen verändert)

Trotz dieser Unterteilung ist hervorzuheben, dass es in vielen Fällen jedoch nicht möglich ist, Innovationen einem einzigen Innovationsgegenstand zuzuordnen, da vielfach kombinierte Veränderungsprozesse durch Innovationen ausgelöst werden (FICHTER 2011, 14).

Um den Begriff im Zuge dieser Arbeit abzugrenzen, wird auf folgende Begriffsdefinition – basierend auf einem endogenen Prozessverständnis – zurückgegriffen:

„Innovation ist die Entwicklung[,] […] Durchsetzung [und Verbreitung] einer technischen, organisationalen, geschäftsbezogenen, institutionellen oder sozialen Problemlösung, die als grundlegend neu wahrgenommen, von relevanten Akteuren akzeptiert und von Innovatoren in der Erwartung eines Erfolgs betrieben wird“ (FICHTER2011, 13).

Für die im Rahmen der vorliegenden Arbeit angestrebte Herausstellung der Bedeutung von Innovationen für eine nachhaltige Entwicklung und die spätere Einordnung des Cradle-to-Cradle-Konzepts sind darüber hinaus weitere Abgrenzungen von Innovationsarten relevant, die sich anhand ihres Auslösers, dem Neuheitsgrad oder dem erforderlichen Veränderungsumfang differenzieren lassen (siehe Tab. 1) (VAHS/BURMESTER 2005, 72–82).

DifferenzierungskriteriumKernfrageInnovationsartenGegenstandsbereichWorauf bezieht sich die Innovation?Produktinnovation

Prozessinnovation

soziale Innovation

organisatorische Innovation

AuslöserWodurch wird die Innovation veranlasst?Pull-Innovation

Push-Innovation

NeuheitsgradWie neu ist eine Innovation?Basisinnovation

Verbesserungsinnovation

Anpassungsinnovation

Imitation

Scheininnovation

VeränderungsumfangWelche Veränderungen werden durch die Innovation erforderlich?Inkrementalinnovation Radikalinnovation

Tab. 1: InnovationsartenQuelle: Eigene Darstellung und Ergänzungen in Anlehnung an VAHS/BURMESTER 2005, 72–82

Im Folgenden werden nun die Innovationsarten herausgegriffen und genauer erläutert, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Cradle-to-Cradle-Konzept eine wichtige Rolle spielen.5

Unter einer Produktinnovation versteht man die Neuentwicklung einer marktfähigen materiellen oder immateriellen Leistung, die als Angebot auf dem Markt in irgendeiner Form neu ist (PEPELS 2013, 4; VAHS/BREM 2013, 53).

Die Prozessinnovation, häufig auch Verfahrensinnovation genannt, hat „die Veränderung bzw. Neugestaltung der im Unternehmen notwendigen materiellen und informationellen Prozesse“ (HENSEL/WIRSAM 2008, 14) zum Ziel und gilt für sich gesehen, im Gegensatz zur Produktinnovation, nicht als marktfähig (KASCHNY/HÜRTH 2010, 24).

Eine radikale Innovation, auch revolutionäre Innovation genannt, setzt sich häufig aus einer kombinierten Form von Produkt-, Prozess- und organisatorischen Innovationen zusammen und weist darüber hinaus einen hohen Neuheitsgrad auf (KONRAD/NILL 2001, 28; VAHS/BREM 2013, 67). Im Gegensatz zu anderen Innovationsarten fügen sich radikale Innovationen nicht in bestehende gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungspfade ein, sondern brechen diese durch eine komplexe Umgestaltung der gesamten Systemstruktur, angefangen bei ausgewählten Rohstoffen bis hin zu neuen Wissensformen und deren Anwendung, auf (KONRAD/NILL 2001, 28; Voß ET AL. 2005, 179). Folglich ist dessen erfolgreiche Verbreitung in hohem Maße von ko-evolutorischen und interdependenten Anpassungsprozessen mit den jeweiligen „technischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Selektionsumfeld[ern]“ (VOßET AL. 2005, 179) abhängig, schwer vorhersehbar und mit einem dementsprechend hohen wirtschaftlichen Risiko behaftet (VAHS/BREM 2013, 67; VOßET AL. 2005, 179).

In der heutigen Innovationsforschung wird eine

„von bestimmten Akteuren bzw. Akteurskonstellationen ausgehende intentionale, zielgerichtete Neukonfiguration sozialer Praktiken in bestimmten Handlungsfeldern bzw. sozialen Kontexten, mit dem Ziel, Probleme oder Bedürfnisse besser zu lösen bzw. zu befriedigen, als dies auf der Grundlage etablierter Praktiken möglich ist“ (HOWALDT/ SCHWARZ2010, 89; Hervorhebungen verändert),

als soziale Innovation bezeichnet. Der damit korrelierende soziale Wandel ist als Zielgegenstand sozialer Innovation definiert und nicht mit dieser gleichzusetzen. Dies stellt einen großen Unterschied zur technischen Innovation dar, bei welcher der soziale Wandel Begleitfunktion ist. Soziale Innovationen bilden eine potenzielle Grundlage beziehungsweise sind Bestandteil für einen sozialen Wandel und sind nicht selbst Teil davon (HOWALDT/ SCHWARZ 2010, 92).

Ausgehend von dieser Definition können zum Beispiel alternative Konsumpraktiken wie das Car Sharing oder die Slow-Food-Bewegung als soziale Innovationen verstanden werden, da sie mit veränderten Nutzungsverhältnissen zu Produkten und Dienstleistungen einhergehen (STIESS 2013, 34–36). Sie gelten jedoch nur dann als soziale Innovation, wenn sie eine gesellschaftliche Transformation durchsetzen und als neue soziale Praktik akzeptiert und integriert werden. Wie bei jeder anderen Innovationsart ist neu nicht per se mit sozial erwünscht gleichzusetzen. Soziale Innovationen zeichnen sich im Gegensatz sogar häufig durch ambivalente Wirkungszuschreibungen aus (SCHWARZ/HOWALDT 2013, 56).

Eine Nachhaltigkeitsinnovation6 muss im Gegensatz dazu einen „identifizierbaren oder plausibel begründbaren Beitrag zu den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung leisten“ (FICHTER 2010, 182). Sie wird als

„Entwicklung und Durchsetzung einer technischen, organisationalen, institutionellen oder sozialen Problemlösung, die zum Erhalt kritischer Naturgüter und zu global und langfristig übertragbaren Wirtschaftsstilen und Konsumniveaus beiträgt“ (FICHTER/CLAUSEN2013, 38),

definiert. Ob es sich um eine Nachhaltigkeitsinnovation handelt, kann, wie bei jeder Innovationsart, erst im Nachhinein identifiziert werden. Dies unterliegt einem gesellschaftlichen Bewertungsprozess, der auf dem jeweiligen Nachhaltigkeitsverständnis und Zeitgeist der Gesellschaft basiert (FICHTER 2010, 182).

2.3Die Bedeutung von Innovationen für eine nachhaltige Entwicklung

Wirtschaftskrise, Klimawandel, das Wohlstands-Armuts-Gefälle oder die sich bereits zuspitzenden Konflikte um Boden, Wasser und Öl machen deutlich, dass ein Beharren auf derzeitigen gesellschaftlichen Strukturen und dem damit einhergehenden Umweltverbrauch keine zukunftsfähige Option darstellt (FICHTER 2010, 181; KROPP 2013, 87; WEHRSPAUN/SCHACK 2013, 25–26). Die anhaltende Verschärfung der Krisen durch bestehende Wirtschafts- und Konsummuster führt zunehmend zu der Erkenntnis, dass ein grundlegender Strukturwandel vonnöten ist, um den Umstieg zu einer nachhaltigen Entwicklung zu erreichen (FICHTER 2010, 181; KROPP 2013, 87; WEHRSPAUN/SCHACK 2013, 25–26). Da für den Prozess der Entwicklung und Umsetzung bisher nicht existenter nachhaltiger Gesellschaftsmodelle eine Entkopplung von Wachstum und Naturverbrauch notwendig wird und somit in vielen verschiedenen Bereichen ein Veränderungsbedarf entsteht, herrscht breite Einigkeit über einen damit aufkommenden Innovationsbedarf (LUKS 2005, 41; WEHRSPAUN/SCHACK 2013, 25; KONRAD/NILL 2001, 3). Die Rolle innovativer Lösungen für einen tief greifenden Wirtschafts- und Gesellschaftswandel hat somit seit der Rio-Konferenz eine neue Bedeutung erfahren und ist zunehmend als Voraussetzung für das Erreichen von langfristigem Wohlstand, Lebensqualität und langfristiger Wettbewerbsfähigkeit im Nachhaltigkeitsdiskurs etabliert worden (BECKENBACH ET AL. 2005, 7; EMIG 2013, 11; SCHWARZ ET AL. 2010, 165; WEHRSPAUN 2012, 57). Auf dieser Basis wurde auf der Rio+20-Konferenz das wirtschaftspolitische Konzept der innovationsorientierten Green Economy entwickelt, das eine Umstrukturierung zu einer nachhaltigen und tragfähigen Wirtschaftsform ermöglichen soll (FICHTER/CLAUSEN 2013, 25). Zielsetzung der Green Economy ist es,

„schädliche Emissionen und Schadstoffeinträge in alle Umweltmedien noch stärker zu vermeiden,

Abfälle zu vermeiden, wiederzuverwerten und umweltverträglich zu beseitigen sowie Stoffkreisläufe so weit wie möglich zu schließen,

den Einsatz nicht erneuerbarer Ressourcen weiter zu senken,

eine noch effizientere Nutzung von Energie, Rohstoffen und anderen natürlichen Ressourcen zu erreichen,

nicht erneuerbare Ressourcen durch nachhaltig erzeugte erneuerbare Ressourcen kontinuierlich zu ersetzen,

langfristig eine stärker auf erneuerbaren Energien basierende Energieversorgung zu ereichen [sic!] und

die biologische Vielfalt sowie Ökosysteme und ihre Leistungen zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen“ (BMU/BDI 2012, 9).

Die grundsätzlich begrüßte Zielsetzung der Green Economy wird jedoch vor allem für die Förderung eines induzierten Glaubens an ein durch technische Innovation erreichbares unbegrenztes Wachstum im Rahmen der Tragfähigkeit des Planeten kritisiert. Diese Kritik ist aus zweierlei Gründen berechtigt (FICHTER/CLAUSEN 2013, 26). Sie verdeutlicht erstens die Konzentration auf technische Lösungsansätze, die als „zentrale Impulsgeber der ökonomischen Dynamik“ (HOWALDT/JACOBSEN 2010, 9) ebenfalls mit gesellschaftlichem Fortschritt assoziiert werden und neben politischen und wirtschaftlichen Debatten auch im Nachhaltigkeitsdiskurs im Zentrum der Handlungsoptionen zur Bewältigung gegenwärtiger Krisen stehen (ADERHOLD 2005, 7; HOWALDT/JACOBSEN 2010, 9; BMU 2010, 17; RÜCKERT-JOHN 2013, 13; SCHWARZ ET AL. 2010, 165).