Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon - E-Book

Alexanders letzter Traum E-Book

Heinz-Joachim Simon

0,0

Beschreibung

Erleben Sie den Alexanderzug – das größte Abenteuer der Weltgeschichte. Die Niederschrift des Leonnatos (360 – 322 v. Chr.), Gefährte, Leibwächter und General Alexanders des Großen. Diese schildert, wie Alexander bei Issos und Gaugamela siegt, wie er in Babylon einzieht und in Persepolis im brennenden Palast des Dareios steht. Es fehlen nicht die Jagd auf den Großkönig und die Kämpfe in Baktrien und Sogdien (heute Afghanistan). Erleben Sie, wie grausam Alexander das Land unterwirft und nach Indien weiterzieht, den furchtbaren Marsch durch die Gedrosische Wüste und seinen geheimnisvollen Tod in Babylon. Doch vor allem schildert Leonnatos Alexanders letzten Traum. Dies alles berichtet Leonnatos, dieser kaum bekannte König über Phrygien, der Alexanders letztes Vermächtnis zu erfüllen sucht. Bis zur letzten Seite spannend, dramatisch und voller unvergesslicher Bilder. In der Tradition des großen historischen Romans. Ein Roman ist nur dann gut, wenn der Leser glaubt dabei zu sein.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 974

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Heinz-Joachim Simon

Alexanders letzter Traum

Historischer Roman

Simon, Heinz-Joachim : Alexanders letzter Traum. Historischer Roman. Hamburg, acabus Verlag 2018

Originalausgabe

ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-665-0

PDF-eBook: ISBN 978-3-86282-664-3

Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag

Covermotiv: pixabay.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

_______________________________

© acabus Verlag, Hamburg 2018

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

Pothos: „Das Feuer, das Alexander entzündete, hat lange nur geglommen. Vielleicht glimmt es auch heute nur, aber es ist nie erloschen und kann nie ganz ausgelöscht werden.“William Woodthorpe Tarn, Alexander der Große

Für Dieter Topel,
den großherzigen,

Die Niederschrift des Leonnatos,    Bote des Apollon und Gefährte Alexanders. 1. Buch

1.

Es war kein Gott. Am Anfang glaubte er, im Auftrag der Götter zu handeln, und dafür stand ihm eine genügende Anzahl zur Verfügung. Und weil sich alles so gut für ihn fügte, glaubte er schließlich, zu ihnen zu gehören und sah sich gleichberechtigt im Kreis der Götter. Jedenfalls meistens. Schuld daran hatte Olympias, seine Mutter, die ihm von Kindesbeinen an Vorträge hielt, dass Achilles zu ihren Ahnen zählte, und Philipp, sein Vater, war kaum bescheidener und verwies auf Herakles. Wenn man dies ein ganzes Kindesleben lang erzählt bekommt, dann bleibt etwas davon hängen, und so kam es, dass er mit dem Sterblichsein nicht zufrieden war und sich damit überanstrengte, ein Gott zu sein. Er konnte kaum seinen Namen nennen, da hörte er auch schon, dass bei seiner Geburt der Tempel der Artemis zu Ephesos gebrannt und der Gott Amun in Gestalt einer Schlange ihr, der Olympias, beigewohnt habe. All dies hätte auch jemand, der mit nüchternem Sinn ausgestattet ist, schließlich um den Verstand gebracht. Aber Alexander war zudem noch ein Mensch mit viel Herz und der Fähigkeit, sich die Träume seiner Kindheit zu bewahren. Dies vermischt mit dem Glauben, ein Gott zu sein und dass das Schicksal nie Dagewesenes mit ihm vorhabe, zusammen mit dem Ehrgeiz, alles zu übertreffen, was je getan wurde, machten aus ihm eine Sagengestalt, die das Staunen der Welt hervorrief.

Jawohl, die Menschen haben ihn bestaunt wie den Olymp und doch war ich am Ende der einzige Freund, den er hatte. Aber ich war ihm nicht Hephaistion, der ihm so bereitwillig seine Schenkel öffnete. Ich habe mich dagegen allein auf die Frauen konzentriert, und dies hat mir Kummer genug eingebracht. Mir auch noch Ärger wegen der Männer einzuhandeln, kam mir nicht in den Sinn. Aber nach Hephaistion war ich sicher derjenige, dem sich Alexander am meisten anvertraute, jedenfalls in den letzten Wochen seines Lebens.

Ich, Leonnatos, Sohn des Anthes, sollte nach Alexanders Willen Herr über Asien werden und seinen letzten Traum erfüllen. Ich sollte aus dem, was er mit der Hochzeit in Susa eingeleitet hatte, zum größten Wunder der Menschheitsgeschichte führen. So hatte er es vorgesehen. Jawohl, er nannte einige von uns seine Verwandten, was nicht auf Blut und Samen zurückzuführen war, sondern seine Worte, seine Umarmung, sein Kuss hob uns aus den Gefährten heraus. Nur bei mir kam noch anderes dazu, wovon noch zu berichten sein wird.

Nun, wo er tot ist, glauben sie alle, seine Gefährten und Nachfolger, dass sie so sein können wie er. Sie gebärden sich als kleine Alexander, ahmen seine Körperhaltung nach, kämmen sich das Haar wie er und schaben sich das Gesicht und sind dennoch bestenfalls schlechte Kopien. Alle haben ihn verraten und sich aus dem, was er hinterließ, einen blutigen Fetzen herausgerissen.

Dies ist die wahre Geschichte des Alexander und es ist die Geschichte von Hephaistion, Perdikkas, Peukestas, Lysimachos, Seleukos, Krateros, Eumenes und Ptolemaios und die, die nicht mehr unter uns weilen, die für Alexander starben oder von und durch ihn gemordet wurden. Aber in erster Linie ist es meine Geschichte. Und ich schreibe sie nieder, weil er, Ptolemaios, mir seine Sicht des Alexanderzuges geschickt hat. Fünf Rollen liegen vor mir, und ich muss ihm zugestehen, dass er das Leben unseres Königs und Gottes gar nicht so schlecht erzählt. Ein bisschen steif vielleicht, aber sein Machwerk gefällt mir besser als die Lobeshymnen des Kallisthenes, diesem missratenen Neffen des Aristoteles. Aber es ist nicht Alexander, der darin vorkommt, sondern so eine Art anbetungswürdige Marmorstatue. Als hätte sich Ptolemaios an den Statuen eines Phidias berauscht. Nun, Ptolemaios ist kein Homer und wenn er noch so oft die alten Heldensagen beschwört. Er will nun meine Meinung dazu hören und ich soll ihm die Absolution erteilen. Er glaubt etwas Unvergleichliches geschrieben zu haben. Unvergleichlich sind die Taten Alexanders. So einen wie ihn hat es noch nie gegeben, und ich wage zu behaupten, dass es so einen wie ihn auch nie wieder geben wird. Er streicht sich auch kräftig heraus, der gute Ptolemaios, und natürlich komme ich in seiner Niederschrift kaum vor, dafür umso mehr er. Schließlich glaubt er, seit er Pharao ist, zu den Unsterblichen zu gehören und Ahnherr einer Dynastie zu sein, die noch in tausend Jahren Ägypten regiert. Mit weniger gibt er sich nicht mehr zufrieden. Wer miterlebt hat, wie schnell die Nachkommen Alexanders, der Sohn der Roxane, aber auch der kleine Herakles, Sohn der Barsine, gestorben sind, muss hinsichtlich der Langlebigkeit von Dynastien eigentlich skeptisch sein. Alexanders Kinder wurden getötet. Sie wurden ermordet von denen, die ihm alles verdanken. Auch wenn ich daran keinen Anteil hatte, so bedrückt es mich doch, dass ich dies nicht verhindern konnte. Der Papyrus des Ptolemaios verschweigt vieles. Alexanders Vermächtnis und die Hochzeit zu Susa, die alles einleiten sollte, wird ein pittoreskes Ereignis, ihm nur eine Randnotiz wert.

Ich soll ihm schreiben, ob er den richtigen Ton getroffen, ob er die Taten angemessen schildere oder etwas vergessen habe, was zu schildern notwendig ist. Ich sei doch in den letzten Tagen des göttlichen Alexander, so schreibt er ein wenig ölig, dessen liebster Begleiter gewesen. Dies schreibt er jedoch nur in seinem begleitenden Brief, aber in seinem Bericht über Alexander steht davon nichts, was sicher kein Zufall ist. Er wusste, dass ich Alexanders Tagebücher habe und an einem eigenen Bericht über den Alexanderzug arbeite und dies hat ihn sicher nervös gemacht. Erinnerungen können trügen und man solle sich abstimmen, schreibt er. Er war schon immer ein Fuchs, mein Freund Ptolemaios, der Alexander und mich verriet.

Vor mir liegen die Armreifen, die Halsketten, die mir einst Alexander schenkte und mich als Verwandten und Strategen auszeichneten. Wie fing alles an? Je tiefer ich in meine Vergangenheit eindringe, desto klarer wird mir, dass auch mein Bericht über den Alexanderzug, eine sehr persönliche Schilderung ist. Es ist meine Wahrheit, meine Sicht der Ereignisse. Es ist keine Aneinanderreihung von Triumphen, Schlachten und Morden. Jawohl, Alexander war ein Mörder, aber war das nicht auch Achilles, den Homer so unübertroffen besingt, dass man dem Sohn der Thetis nachsieht, welchen Frevel er dem Hektor antat? Ich werde Alexanders Missetaten nicht verschweigen, genau so wenig wie meine. Ich werde berichten, wie er tötete und dabei lachte und nicht verhehlen, dass auch ich getötet habe. Es klebt Blut an unseren Händen. Ich könnte es auf die Götter schieben, aber nicht sie, sondern wir sind verantwortlich für das, was wir taten. Auch wenn ich vorgab, im Namen Apolls zu sprechen, so standen doch meine Wünsche, meine Vorlieben dahinter. Apollon möge mir verzeihen, dass ich so oft seinen Namen missbrauchte.

Meine Geschichte fängt also vor der Zeit an, als ich dem König begegnete. Und es war keine gute Zeit. Es hatte mit Mord zu tun und dem Unaussprechlichen, das nur ich kenne. Doch hier auf dem Papyrus will ich es nicht verschweigen, nichts werde ich verbergen, weil ich abrechnen muss, mit mir, mit dem König und den Gefährten, die er zu seinen Verwandten zählte und die ihn erst liebten, aber zum Schluss nur noch fürchteten.

Mein Bericht ist nichts für zarte Seelen, denn er handelt von einer Mörderbande, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Es wird von Blut und Schweiß, von Tränen und meines Vaters Samen die Rede sein, vor allem aber von den Frauen, die ich liebte. Ich habe drei Frauen geliebt und jeder von ihnen habe ich hier in Gordion einen Tempel geweiht, wenn sie auch die Götternamen Hera, Artemis und Aphrodite tragen. Ich habe marmorne Statuen hineinstellen lassen, die ihnen nicht gerecht werden, obwohl ich die größten Künstler Griechenlands damit beauftragte.

Ptolemaios will eine ehrliche Antwort über seinen Alexanderbericht, ein Urteil. Ich soll wohl die Wahl des Paris wiederholen. Und natürlich erwartet er Lob und Anerkennung. Aber ich werde ihm nicht schmeicheln. Ich werde ihm schreiben, dass er vielleicht ein großer König ist, aber zum Chronisten nicht sehr viel taugt. Warum? Indem er Ereignisse aneinanderhängt, wird er Alexander nicht gerecht. Er ist nicht einmal ein Xenophon. Es ist eine blutleere lieblose Abhandlung. Mein Bericht über den Alexanderzug wird ihm den Unterschied aufzeigen. Natürlich wird er sich darüber ärgern und es wird ihm leidtun, dass er mir das Leben rettete. Es gibt da so einiges, was ich ihm bisher nicht heimgezahlt habe. Schließlich ist es seine Schuld und die des Perdikkas und Seleukos, dass man mich nicht Herr über Asien nennt.

Ich liebte drei Frauen, so könnte ich anfangen. Denn mehr werden es nicht werden, so sehr man mir auch Alexanders Schwester als Gemahlin anpreist. Dies wäre ein guter Anfang für einen Dichter, aber mein Leben wurde nicht von ihnen bestimmt, sondern von dem Alp, der auf meine Seele drückte.

Ich sitze hier auf dem Turm meiner Burg und schaue auf das von der Sonne versengte Land, das man mir als mein Reich zugeteilt hat und das nur deswegen bekannt ist, weil unten in dem Tempel Alexander den berühmten Knoten, den gordischen, mit seinem Schwert löste. Es ist eine Burg, wie sie die Alten bauten. Nichts hat sie von den edlen Linien griechischer Tempel, nichts von der barbarischen Pracht der Apadama in Persepolis, noch von der uns fremd wirkenden Anmut ägyptischer Götterhäuser. Große mächtige Steine wurden fugenlos aufeinander getürmt, als hätten Titanen sie herangeschleppt, Sklaven der Götter, die sie in manischem Zorn zusammenfügten als Mahnung, dass es noch größere Wesen gibt als uns Menschen. Die Könige von Mykene hätten sich in Gordion sicher wohlgefühlt. Der alte Streitwagen steht noch in dem Tempel, aber der Knoten ist zerschlagen und die Enden hängen lose von der Deichsel. Alexander wurde Herr Asiens und nicht ich. Aber wenigstens neidet mir keiner die Herrschaft über Phrygien. Jedenfalls keiner von denen, die einmal meine Gefährten waren und die ich nun verachte. Ptolemaios wähnt sich immer noch als mein Freund, obwohl er sich an mir vergangen hat und an Alexander. Je tiefer ich grabe, je mehr ich bloßlege, umso deutlicher schält sich heraus, dass der Mann, dem ich mein Leben verdanke, es auch verdarb.

Obwohl es um den Alexanderzug geht, steht nicht der König, sondern mein Vater im Mittelpunkt. Wir sind Bergmakedonen und lebten oberhalb von Pella und Anthes. Mein Vater war der Clanhäuptling. Unser Haus stand auf einem von Felsen durchzogenen Hügel und sah von Weitem wie der Rumpf einer Triere aus, und die Winter waren lang und sehr kalt und der Frühling feucht und die Sommer so heiß, dass der Fluss in der Ebene austrocknete.

2.

Es begann damit, dass eine Raupe herankroch. Ich stand im Hof unter der mächtigen Eiche, von der mein Vater behauptete, dass sie dort schon gestanden habe, als Ajax sich nach Troja aufmachte, was natürlich eine genau so eine blödsinnige Behauptung war wie seine Tiraden, dass wir von den trojanischen Helden abstammen. Jeder, der etwas auf sich hält, hat in unserer Gegend einen trojanischen Ahnen. An deren Frauen kann sich jedoch niemand erinnern. Da auch mein Vater dazu mit keinem Namen herausrückte, ist meine Abstammung von Priamos’ Untertanen als sehr unsicher anzusehen.

Was unter uns den Berg hochkroch, war keine Raupe, und ich war auch nicht besonders erpicht darauf, dass sie endlich auf dem Berg ankam. Wir wussten, dass sie kommen würde und mein Vater hatte das Haus dazu auch entsprechend herrichten lassen. Der Hof war gefegt und der Türeingang mit Misteln bekränzt. Ein anderer als mein Vater hatte sich aufs Pferd geschwungen und wäre seiner Braut entgegen geritten. Aber so etwas war nicht seine Art. Breitbeinig stand er im Eingang des Hauses, die Hand auf den Nacken meines Bruders gelegt, was er mit mir sein Lebtag nicht getan hat. Mein Vater hasste mich und meine Gefühle standen den seinen in nichts nach. Meinen Bruder dagegen liebte er. Antiochios war sein Augapfel, der Mittelpunkt des Hauses und alle schrieben ihm Eigenschaften zu, die vermuten ließen, dass er bald vom König zu den Getreuen geholt werden würde.

Was da herankroch, konnte für mich nur Ärger bedeuten, denn alles, was mein Vater in die Wege leitete, brachte mir Ärger. Eurydike, auch sie von den Molossern abstammend, genau so wie die Mutter Alexanders, also von diesem wilden halb barbarischen Stamm, sollte nun die Frau unseres Vaters werden. Meine leibliche Mutter, die mich bis dahin vor den schlimmsten Verfolgungen des Alten bewahrt hatte, war nicht einmal ein halbes Jahr unter der Erde, als er sich eine neue Frau ins Haus holte, obwohl doch genug Mägde da waren, die ihm seinen Spaß nicht verwehrten. Auch dies hatte neben anderen tierischen Ausschweifungen dafür gesorgt, dass sie gestorben war. Ich dachte stets voller Zärtlichkeit an ihre Liebe, an ihre Hand auf meinem Kopf und hasste meinen Vater für das, was er ihr angetan hatte. Für die Schläge, für die trunkenen Worte und die Arbeit, die er ihr aufbürdete. Ihre Beziehung zu meinem Vater war, so lange ich denken kann, vergiftet gewesen. Wir gehören nicht dem Hochadel an und mein Vater herrscht nur über ein paar einfältige Bergbauern in ihren Katen, aber er war der Anführer und ließ darüber keinen Zweifel aufkommen. In Pella nannten sie ihn einen Makedonen von altem Schlag. Unsere Burg war auch nichts Besonderes und bestand hauptsächlich aus einer rauchgeschwärzten Halle, die stets im Halbdunkel lag. Genug Kammern hatte die Burg zwar, aber viele waren feucht und weil ich meine Gesundheit erhalten wollte, übernachtete ich oft draußen in der Scheune. Neben dem Haupthaus standen im Karree Gesindehaus, Stallungen und Scheunen, die mit einer mannshohen Mauer verbunden waren. Unser ganzer Reichtum bestand nur aus Schafen und Ziegen und dicht war nur das Dach des Haupthauses. Unsere Knechte und Mägde froren im Winter in den Kammern des windschiefen Gesindehauses neben den Stallungen. Anthes fror natürlich nicht, denn er saß behaglich ausgestreckt mit seinem Lieblingssohn und einem Pokal Wein auf dem Tisch vor dem riesigen Kaminfeuer des Haupthauses und grunzte genussvoll. Mich hatte er dann mit einem Fluch und einem geworfenen Knochen oder Schemel, was ihm gerade in die Hand geriet, schon längst in die Kälte vertrieben.

Auf den ersten Blick waren wir Anthes also nichts besonderes, dennoch hatte mein Vater einen hervorragenden Ruf und der große Feldherr Parmenion, der schon so lange König Philipps Gunst besaß, hielt große Stücke auf ihn. Sie waren beide von der gleichen altmakedonischen Art. Auch Parmenion glaubte an die alten Götter wie Uranos und Gaia und ließ vielleicht noch den Titan Kronos gelten, aber sie kamen nicht einmal im Traum darauf, sich als Auserwählte der Götter oder gar für Götter selbst zu halten.

Ich sah also die Raupe oder den Wurm heraufziehen und mir war nicht sehr wohl dabei zumute und meine Stimmung verbesserte sich auch nicht, als mein Vater und Antiochios zum Tor der Burg gingen, angetan mit ihren besten Chitons aus gutem Leinen, und ich hinkte ihnen in meinen Fetzen wie ein Bettler hinterher. Mein Vater war wohl zu der Erkenntnis gekommen, daß mein Anblick nicht gerade das Ansehen der Familie förderte und brüllte mir zu, dass ich mich davon scheren solle. Also hinkte ich hinter das Haus zu der großen Tanne und bestieg sie.

Ja, nun ist es heraus. Der Sohn des großen Helden Anthes ist ein Krüppel. Mein rechter Fuß ist etwas kurz geraten, sodass ich mich nie für den Stadionlauf in Olympia melden brauchte. Nicht, dass es mich sehr behindert, aber ich bin nun einmal ein Gefäß mit einem Sprung. Nur meine Mutter war immer der Meinung, dass dies mich erst wertvoll mache. Von dem Hinken einmal abgesehen sei ich ein ganz hübscher Kerl. Nun, wir wissen, wie objektiv Mütter sind. Aber auch die Mägde schienen meine Sommersprossen und die grünen Augen unter meinen rotblonden Haaren zu mögen und machten mir schon früh schöne Augen. Vielleicht hatten sie mich einfach nur gern, weil mich sonst niemand gern hatte. Mein kompakter Oberkörper machte mich zu einem guten Ringer, was ich im Kampf gegen die Bauernjungen oder meinen Bruder des Öfteren unter Beweis stellte. Trotz meiner Behinderung wusste ich mich also zu wehren. Im Klettern war ich fix, noch besser war ich auf einem Pferd, was sich in meinem Leben als sehr vorteilhaft erwies.

Als sich mit der Raupe nun Vaters neue Bettgenossin ankündigte, stieg ich bis in die höchste Gabelung und hatte nun einen guten Überblick über unseren Berg und das Tal und in den Hof hinein. Nun war der Wurm heran und eine Sänfte wurde zu Boden gelassen und heraus sprang eine Frau, die besagte Molosserin. Selbst auf diese Entfernung konnte ich sehen, dass sie für meinen Vater viel zu jung war. Hinter ihr standen viele Diener und Sklaven, die zur reichlichen Mitgift gehörten. Sie war die illegitime Tochter eines Molosserfürsten, der sie wohl mit Anstand hatte los sein wollen. General Parmenion hatte dies eingefädelt, um seinem treuen Leibgardisten zu etwas Wohlstand zu verhelfen. Beim Festmahl, nachdem der Priester das Brautpaar unten im Tal in dem alten Uranostempel zusammengetan hatte, konnte ich sie mir ein bisschen genauer ansehen. An der Haupttafel war für mich natürlich kein Platz, sondern am Katzentisch, wo dem niederen Volk, den Bauern aus der Umgebung gnädig ein Platz zugewiesen worden war. An der Haupttafel saßen Kriegsgefährten, Hauptleute und Verwandte der Eurydike. Mein Bruder saß natürlich neben meinem Vater. Von Frauen hatte ich bis dahin nicht all zu viel Ahnung, aber dass die neue Frau meines Vaters eine harte Nuss für ihn sein würde, erkannte ich sofort. Sie war so schön wie eine der Furien, hatte dunkles lockiges Haar, einen kleinen Frauenbart und einen Vorderbau, der selbst mich bereits beeindruckte. Ihre Schultern hätten auch einem Ringkämpfer gut angestanden. Ihre Stimme klang nicht wie Zwitschern, sondern hart und selbstbewusst. Kurz, sie war ein Mannweib, jedoch nicht ohne Reiz, wenn man Frauen mochte, mit denen man sich kräftig prügeln kann. Die Braut machte ein Gesicht, als wäre ihr die Ernte verhagelt und auch die Begeisterung im Gesicht meines Vaters hielt sich in Grenzen. Nicht ihre Schönheit war der Anlass für diese Hochzeit, sondern ihre stattliche Aussteuer. Sie schien über meinen alten Herrn auch nicht besonders glücklich zu sein und schielte dauernd zu meinem Bruder.

Nun muss ich anführen, dass er das genaue Gegenteil von mir war. Als Zeus das Aussehen verteilt hat, muss er nicht einmal, sondern mehrmals „hier“ gerufen haben, jedenfalls hätte er ohne Mühe den Paris ausstechen können. Wir waren Brüder, aber waren uns nicht ähnlich, weder im Aussehen noch im Charakter. Er sah aus wie die Kourosstatuen vor den Tempeln und war groß und hatte schwarze Locken und das ganze Weibsvolk war hinter ihm her. Er war der Erbprinz und ich war der Niemand. Dabei war er kein verweichlichter Lustlümmel, sondern männlich und hatte große Körperkräfte und ihm war jene Schlauheit eigen, die oft Bauern zu gefährlichen Geschäftspartnern machen. Mein Vater liebte ihn abgöttisch, zumal er ein großer Krieger zu werden versprach, was die Anthes weiterbringen würde, wenn Parmenion nur bald erreichen konnte, dass mein Bruder in die Leibgarde des Königs aufgenommen wurde. Darum ging es. Er, Antiochios, war dazu auserwählt, den Stab der Anthes weiter zu reichen. Er war der zukünftige Held, der auf seine Berufung zu den Göttergestalten um König Philipp wartete. Ich spielte bei den Zukunftsüberlegungen meines Vaters keine Rolle und war ihm nur peinlich.

Unsere neue Mutter hatte also nur Augen für den Stiefsohn und dieser ließ es sich grinsend gefallen. Als unser Vater den vielen Weinbechern erlag, machte er der Eurydike genau so schöne Augen und diese rückte immer näher an ihn heran. Nachdem sie sich genug über das Klima in Epirus und über den Unterschied zu unseren Bergen unterhalten und auch die Verwandtschaft der hiesigen Königshäuser durchgehechelt hatten, fiel ihr Blick auf mich. Denn ich saß ihrem Tisch gegenüber und hatte mich so gesetzt, dass ich ihr Gespräch verfolgen konnte. Ich wollte mitbekommen, ob mein Bruder bereits in dieser Nacht den Vater ersetzen würde. Sie fragte Antiochios, wer der Knabe mit den rotblonden Locken und den frechen Augen sei, der dauernd auf ihre Brust schiele.

„Ach, das ist nur Leonnatos, mein Bruder!“ stellte mich Antiochios vor und genau so hätte er sagen können, das ist unser Köter, der von unseren Abfällen lebt. „Ein Krüppel. Er ist verwachsen. Ein Krieger wird der nie!“, setzte mein Bruderherz hinzu.

Es war gemein und außerdem unwahr. Ich bin nicht verwachsen. Ich habe zugegebenermaßen eine etwas krumme Körperhaltung, so dass meine Schultern kräftig hervortreten und meinen Oberkörper unproportioniert aussehen lassen. Aber das wächst sich aus, hatte meine Mutter behauptet. Und ich vertraute darauf. Mein Bein war nur kürzer. Das ist alles. Deswegen bin ich auch nicht gut zu Fuß, was mich aber zum Ausgleich zu einem Reiter werden ließ, der es mit den besten Thessaliern aufnehmen könnte. Jawohl, bereits damals, wenn ich ein gutes Pferde gehabt hätte, wäre ich bei den olympischen Spielen nicht als letzter durchs Ziel gegangen. Ich wusste, dass ich nicht wertlos war, wie mein Vater stets behauptete, sondern hatte dank meiner Mutter und anderen Zuspruch, wovon gleich zu berichten sein wird, genug Selbstvertrauen. Deswegen ließ ich mich auch nicht durch die herabsetzenden Worte meines Bruders durcheinander bringen.

„Wir werden ja sehen, wer als erster durchs Ziel geht. Noch sind wir beide nicht einmal gestartet“, rief ich zu den beiden hinüber.

„Mit der Zunge ist er ja ganz flink“, sagte Eurydike und ich sah, dass sie unter dem Tisch nach den Schenkeln meines Bruders tastete. Sie legte ein ganz schönes Tempo vor. Wir Makedonen sind da eigentlich eher zurückhaltend. Es sei denn, wir sind betrunken.

„Wahrscheinlich war Vater besoffen, als er den Kretin zeugte!“ erwiderte mein Bruder und grinste frech meinen Vater an, der bereits so hinüber war, dass er nur noch vor sich hinstarrte.

„Aber in dieser Nacht hat er die Möglichkeit diesen Fehler gut zu machen!“ fuhr mein Bruder fort und ich sah, wie unter dem Tisch seine Schenkel auseinander gingen und sich die Hand unserer Stiefmutter weiter bewegte. Man braucht keine große Vorstellungskraft, um zu wissen, was sie dort trieben.

„Ich möchte den Bastard nicht im Haus haben!“ sagte Eurydike und sah mich unzufrieden an. „Krüppel bringen Unglück.“

„Er kann im Stall schlafen“, pflichtete ihr Antiochios bei.

Sein beseelter Eindruck hatte sicher andere Ursachen. Ich wünschte mir nicht an seiner Stelle zu sein. Dennoch hatte ich das Bedürfnis, unsere neue Mutter zu einer besseren Meinung von mir zu bewegen.

„Als Hochzeitsgeschenk werde ich dir die Tatzen eines Bären bringen!“ prahlte ich, zugegebenermaßen etwas großsprecherisch. Nun, ich hatte auch einige Becher Wein geleert, was nicht oft vorkam.

„Nimmt er den Mund immer so voll?“ fragte Eurydike geringschätzig und sah meinen Bruder an, der immer noch ein Gesicht machte, als wäre er im Olymp.

„Dazu reicht es gerade“, sagte Antiochios wegwerfend, als spräche er über etwas, das so unappetitlich war, dass man es vom Hof kehren sollte.

„Er ist ein ganz passabler Speerwerfer und Bogenschütze, dieser Waffe der Feigen. Er hat schon Wölfe, Wildschweine und einen kleinen Bären erlegt. Allerdings war der sehr klein.“

„Die Rotblonden sind mir immer unheimlich“, sagte Eurydike und sah mich nun mit nachdenklichen Augen an. Mittlerweile hatte Antiochios einen roten Kopf bekommen, was sicher nicht am Weingenuss lag. Als ihm schließlich die Augen fast aus den Höhlen sprangen, konnte ich es mir nicht verkneifen ihm zuzurufen, dass er an das Schicksal des Orest denken solle. Er achtete nicht auf meinen Zuruf und sein Kopf sank mit einem Seufzer auf die Tischplatte. Eurydike leckte sich genussvoll die Finger.

„Wenn ich dich draußen erwische, kannst du was erleben!“ drohte mir Antiochios. Das brauchte keine ausführliche Erklärung. Wir waren wie Hund und Katze und ich hatte unter seinen Anschwärzungen schon immer gehörig zu leiden. Aber ich war bereits damals ein guter Ringer. So manches Mal hatte ich meinen Bruder auf den Boden gedrückt. Obwohl mit sechzehn und siebzehn Lenzen für solche Auseinandersetzungen eigentlich zu alt, verging kaum eine Woche, in der wir nicht aneinander gerieten.

„Ihr hättet ihn als Kind aussetzen sollen“, sagte meine neue Mutter. Damit war unser Verhältnis ein für allemal geklärt. Meine Freundin würde diese Stiefmutter gewiss nicht und auf solche Handreichungen, wie sie mein Bruder von ihr erhielt, war ich ohnehin nicht scharf.

„Nimm es nicht so schwer!“ sagte neben mir ein Riese mit einem gutmütigen roten Gesicht und einer Knollennase und einem trotz seiner Jugend langen beachtlichen Bart. Er sah aus wie eine Mischung aus Herkules und einem Pan. Ich kannte ihn nicht. Er war im Gefolge der Eurydike auf unseren Hof gekommen.

„Ich bin das gewöhnt.“

„Ich heiße Phokis. Übrigens, geh ihr aus dem Weg. Sie ist ein Miststück!“ flüsterte er mir zu und zwinkerte dabei verschwörerisch.

„Hast du viel Ärger mit ihr hinter dir?“

„Nein. Noch nicht. Ihr Vater hat mich ihr erst kürzlich geschenkt. Aber alles, was ich mit ihr erlebt habe, lässt vermuten, dass du keine sehr gute Zeit mit ihr haben wirst und dein Vater auch nicht.“

„Freut mich für ihn.“

„Er ist dein Vater!“ sagte er erstaunt.

„Er ist ein Ungeheuer und hat meine Mutter auf dem Gewissen.“

„So ist das also.“

„Ja. Genau so. Wir hassen uns“, gestand ich offen.

Dass ich auf dem Hof meines Vaters wie ein Stück Dreck behandelt wurde, würde er ohnehin bald erleben. Wenn mein Vater mich sah, warf er oft genug irgendeinen Gegenstand nach mir und brüllte, dass ich ihm aus den Augen gehen solle. Und die Knechte taten es ihm nach. Wenn man dies von klein auf erfährt, macht das einen ganz schön hart. Als meine Mutter noch lebte, konnte ich wenigstens zu ihr flüchten und sie trotzte meinem Vater und schalt die Knechte und sie wagten mich nur zu quälen, wenn sie es nicht sah. Aber als sie dann starb, war ich auf mich allein gestellt. Der einzige, der mir ein wenig Schutz bot, war Andreos, der Koch. Als Koch war er eigentlich miserabel, aber meinem Vater, der sich an die Speisen der Väter hielt, war er gerade gut genug. Andreos, der Koch, war eigentlich ein Lehrer aus Thrakien, aber er gab sich sehr griechisch und kannte alle Philosophen und kam mit Feuereifer der selbst gestellten Aufgabe nach, aus mir einen halbwegs gebildeten Menschen zu machen. Also lernte ich durch einen Thraker Sokrates, Platon und die ganze Bande vor ihnen, also Heraklit, Thales und Pythagoras, kennen und selbst Empedokles war mir nicht fremd. Natürlich hat er mit mir auch die Ilias gepaukt, nicht nur gelesen, sondern sie mir so lange in den Schädel gehämmert, bis ich alle vierundzwanzig Gesänge auswendig konnte. Dass mir das später einmal nützen würde, war zu dieser Zeit nicht abzusehen. Aber ich hatte viel Freude dabei. Wenn ich über den Zorn des Achilleus las, dann wurde ich zu Achilleus, und dem Agamemnon wäre es schlecht ergangen, wenn ich ihm begegnet wäre. An manchen Tagen war ich doch lieber Hektor und hatte auf Paris eine Stinkwut, weil er uns die verdammte Helena angeschleppt hatte. So sorgte ein Koch, der ein Lehrer war und zudem noch Thraker, dafür, dass ich nicht so dumm war wie ich aussah. Denn wer mich in meinen Lumpen erblickte, musste annehmen, dass er es mit einem skythischen Sklaven oder etwas ähnlichem zu tun hatte. Mein Vater hielt nicht viel von den griechischen Weisheiten. Er hielt seine Ahnen hoch und die Erdgötter, und ich hörte ihn oft genug sagen, dass ein Mann stark und treu und trinkfest und hart und natürlich Philipp, dem König, treu ergeben sein müsse. Die Reihenfolge wechselte je nach Laune.

Seit dem Einzug der Eurydike hatte mein Vater Unterstützung darin bekommen, sich Gemeinheiten gegen mich auszudenken. Es fing bereits ein paar Tage später an. Mittlerweile wussten selbst die Pferdeknechte, dass nicht nur der Vater mit Eurydike schlief, sondern auch sein ältester Sohn.

„Sie hat eine Menge drauf, diese Eurydike“, gestand mir mein Bruder lachend. Große Mühe gab er sich nicht damit, sein Verhältnis zu verbergen, und nach einiger Zeit hatte ich den Eindruck, dass selbst Vater davon wusste, dass sein Sohn ihn darin unterstützte, die Leidenschaft der jungen Frau zu befriedigen. Es war ja auch nicht gerade eine Liebesheirat. Mit ihrer Mitgift konnte er die Scheunen ausbessern und die Zahl der Schafe vergrößern und sogar einige Weiden auf der gegenüber liegenden Seite unseres Berges dazu kaufen. Ohnehin ließ er seinem Liebling Antiochios alles, aber auch wirklich alles durchgehen und verdarb ihn dadurch.

Seit Eurydike einzogen war, ging es bei uns drunter und drüber. Mittlerweile hatte sie das Regiment übernommen und sie hatte ohnehin genug Diener und Sklaven mitgebracht, die sich ihr verpflichtet fühlten, so dass auf unserer Burg von nun an alles nach ihrer Nase ging, was Vaters Laune nicht gerade verbesserte. Ihr Streit schallte ständig durchs Haus. Theatralisch die Hände zum Himmel gereckt rief er die alten Götter an: „Hört, ihr Ahnen, hört, ihr Götter, vom Leid des Anthes. Was für eine Furie wurde in mein Haus gespült. Minderwertig ist ihr Blut, schrecklich ihr Aussehen, niederträchtig sind ihre Gedanken. Ihr Leib ist mir ein stinkender Pfuhl.“

So oder ähnliches bekam man ständig zu hören und Antiochios lachte dazu. Ihn schien das Theater bei uns zu amüsieren. Wenn man nicht darunter zu leiden hatte, konnte es auch ganz unterhaltsam sein. Es war jedenfalls bei uns ständig etwas los. Sie saß wie eine große Spinne in der rauchgeschwärzten Halle vor der großen Feuerstelle und wartete darauf, ihr Gift verspritzen zu können. Feist und groß und mit mächtigem fast entblößtem Busen saß sie auf einem thronartigen Hocker und musterte mich, als wolle sie mich verspeisen. Vater saß wie ein Zyklop an dem langen blank gescheuerten Tisch, einen Becher Wein vor sich, und blickte unwillig mit rot unterlaufenen Augen zu uns herüber. Mein Bruder lümmelte sich auf der Bank an der Wand mit ausgestreckten Beinen und wartete darauf, was dann folgte. Dies sind die Bilder aus meines Vaters Haus.

„Ich mag dich nicht“, schrie sie mich oft genug an. „Ich sage es unumwunden. Wenn ich dich geboren hätte, würdest du deine Geburt kaum überlebt haben. Nun ist es zu spät. Wir können dich jetzt kaum ohne Aufsehen ersäufen. Aber verkrümele dich, geh mir aus den Augen, du Unglücksbringer! Ich glaube, dass selbst die Schafe und Ziegen dich verabscheuen, wenn du sie besteigst.“

Sie schien dies für einen köstlichen Scherz zu halten und es gluckste aus ihrer mächtigen Brust und ihr fleischiges Gesicht mit dem kleinen Mund verzog sich zu einem grässlichen Lachen.

„Hast du es überhaupt schon einmal mit einer Frau getrieben?“ fragte sie, und mein Bruder schlug sich kreischend auf die Schenkel.

„Der Krüppel doch nicht.“

Auch meinen Vater amüsierte dies und er stimmte in sein Kichern ein.

„Lasst das!“ herrschte meine Stiefmutter die beiden an. „Ich habe gehört, dass gerade die Krüppel es wie die Kaninchen treiben. Sie sind sonst zu nichts gut, aber rammeln können sie andauernd. Es gibt Frauen, die solche Ausdauer anziehend finden.“ Ihre Zunge strich dabei lüstern über die Lippen, als laufe ihr das Wasser im Munde zusammen. Sicher dachte sie nicht daran, mich für ihre Lust heranzuziehen. Die Blicke, die sie in die Runde schickte, galten nicht mir, sondern vor allem meinem Bruder.

„Wir sollten sehen, dass wir aus diesem Auswurf das beste machen“, fuhr sie fort. „Er kann die Tochter meines Bruders heiraten. Als Mitgift bringt sie nicht viel, aber ich bin ihm verpflichtet und das Mädchen hat dann einen Kerl, und wie man ihr zu Kindern verhilft, wird er wohl bald heraus bekommen.“

Mein Vater war von diesem Vorschlag nicht sehr begeistert.

„Wenn sie keine große Mitgift mitbringt, wovon soll der Kretin dann leben? Als Krieger ist er nicht zu gebrauchen. Ich hatte an die Tochter des Mithridates gedacht, die ist fett und doof, aber kriegt ein paar schöne Wiesen als Aussteuer, die unser Land gut ergänzen.“

„Ich will ihn aus dem Haus haben. Vielleicht kann dein Parmenion ihn in der Heeresverwaltung unterbringen. Du tust doch so, als wenn der große Feldherr dein Gönner wäre. Jetzt kann er etwas für dich tun.“

„Er tut ja bereits etwas für uns. Er wird dafür sorgen, dass Antiochios bei den Gefährten des Königs oder wenigstens des Kronprinzen aufgenommen wird. Ich erwarte täglich die Nachricht, dass er es geschafft hat. Ich kann ihn jetzt doch nicht auch noch mit Leonnatos belämmern.“

So stritten sie oft und wie zu erwarten war, setzte sich Eurydike durch. Der Mond rundete sich zweimal, als wieder ein Zug den Berg hochkam und natürlich war er kleiner und recht bescheiden anzusehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als die Sänfte in den Burghof getragen wurde. Es stimmte, was mein Bruder gesagt hatte. Bis dahin war mein Kontakt zu Mädchen äußerst spärlich gewesen, geschweige denn, dass ich bei einer Frau gelegen hätte. Alles war ich über den Eros wusste, hatte ich den Tieren auf der Weide abgesehen und die unflätigen Bemerkungen unserer Mägde und Knechte zu einer recht lückenhaften Vorstellung zusammen gefügt. Eine gute Vorbereitung für eine Hochzeitsnacht konnte man das kaum nennen.

Der Zug bestand nur aus zwei altersschwachen Dienern auf zwei mageren Eseln, wenn man von den vier Sklaven absah, die die Sänfte trugen.

„Jetzt wollen sie die arme Maus bei dir loswerden!“ flüsterte Phokis, mit dem ich mich angefreundet hatte.

„Du kennst sie?“

„Ja. Sie ist ein netter Kerl. So schlecht hast du es mit ihr nicht getroffen. Sie ist anders als Eurydike.“

Wenigstens das, dachte ich. Aber wer will schon einen netten Kerl zur Frau, wenn man keine siebzehn ist. Von Eurydike schloss ich auf die Nichte, erwartete also trotz seiner Worte ein ähnliches Ungeheuer, nur ein bisschen jünger und vielleicht ohne Schnurrbart.

Als sie den Schleier zurückschlug und ich ihr Gesicht sehen konnte, verschlug es mir fast den Atem. Auch von meinem Vater hörte ich einen erstaunten Ruf und Antiochios stieß einen gellenden Wolfspfiff aus. Beim Apollon, bei der Verteilung von Schönheit war meine Braut nicht zu kurz gekommen. Sie machte der göttlichen Aphrodite allemal Konkurrenz. Eurydike war auf den Eindruck, den ihre Nichte machte, natürlich ein wenig stolz. Antiochios warf sie einen unwilligen Blick zu, als dieser rief, dass die Schönheit für mich doch viel zu schade sei. So ganz konnte ich es auch noch nicht glauben, dass sie für mich bestimmt war. Denn etwas Gutes hatte ich nicht von meiner Stiefmutter erwartet. Andromache sah mich ohne Scheu an und lächelte, so dass mir ganz komisch in den Knien wurde. Wie es sich gehörte, sagte ich ihr, dass ich über die Wahl meiner Eltern sehr glücklich sei und ähnliches. Ich hatte zu dem Empfang ein abgelegtes Überkleid meines Bruders bekommen und mich gewaschen, so dass ich einigermaßen manierlich aussah. Was mich wunderte, aber noch zu keinem Schluss führte, war ihr Schweigen. Lange konnte ich auch nicht darüber nachdenken, denn man trennte uns sofort. Ich schrieb dies der Tatsache zu, dass wir noch nicht im Tempel zusammengegeben waren.

3.

Der Frühling ist in unseren Bergen sehr feucht. Es regnet meist viele Tage lang. Ich war auf der Nordweide. Dort die Schafe zusammenzuhalten, gehörte zu meinen Aufgaben. Oft war ich dort oben wochenlang, und der Eurydike war es nur recht, dass sie mich lange Zeit nicht zu Gesicht bekam. Unterhalb der Schneegrenze hatte ich mir eine Hütte aus Steinen gebaut, mehr ein Unterstand als eine Hütte. Aber sie hatte ein Dach, das mich vor Wind und Regen schützte und ich hatte die meiste Zeit Phokis, diesen Riesenkerl, bei mir, der mehr und mehr zu meinem Vertrauten und Freund geworden war.

Es geschah kurz vor dem Fest des Dionysos. An diesem Tag hatte ich Phokis nach Haus geschickt, weil unsere Nahrungsmittel zu Ende gingen. Ich stand vor unserem Unterstand, eingehüllt in eine Decke und war nass bis auf die Haut. Trotz des großen Hutes lief mir das Wasser ins Gesicht. Auf den Hirtenstab gestützt, sah ich den Schafen zu, die sich zwar von dem Wetter nicht beeindrucken ließen, aber seltsam häufig den Kopf in den Nacken warfen und sich blökend zusammendrängten. Ich sah hinunter ins Tal und in die Richtung, in der ich unser Gut wusste und stellte mir vor, was meine Andromache gerade tat und wünschte mir sie bei mir zu haben. Obwohl ich noch kein Wort mit ihr gewechselt hatte, war ich in sie verliebt. Sie war bis dahin das schönste Mädchen, das ich zu Gesicht bekommen hatte und ich war in dem Alter, in dem man sich über Mädchen heftig den Kopf zerbricht.

Es fing damit an, dass plötzlich unter mir die Erde zu zittern anfing und dann grollte es, als würde der Himmel einstürzen. Ein mächtiger Sturm zog auf und warf mich zu Boden. Ich krallte mich in die schwankende Erde und als ich zum Himmel sah, erblickte ich eine Gestalt, die dem Apoll sehr ähnlich sah, wovon ich mich später in Milet überzeugen konnte. Jedenfalls wusste ich sofort, dass es Apollon war, wovon auch die Leier in seiner Hand Zeugnis ablegte. Ehe ich mich von dem Anblick erholen konnte, geriet der Berg ins Rutschen und fiel ins Tal herab. Es war so, als würde einem eine Decke unter den Füßen weggezogen. Dazu krachte es ordentlich und es hörte sich so an, als würden Hephaistos, Zeus, Poseidon, Ares, also die ganze göttliche Verwandtschaft, die himmlischen Trommeln schlagen. Ich wurde durch den rutschenden Berg in die Höhe gewirbelt und mit mir, das sah ich noch, flogen die Schafe durch die Luft. Dann war es um mich herum dunkel. Tatsächlich, ich war bereits über den Fluss und im Schattenreich angekommen und kein Fährmann hatte ein Scherflein von mir verlangt. Ich war im Hades. Einige Schatten wankten auf mich zu. Alte Bekannte. Achilleus und Odysseus waren dabei und beklagten ihr Schicksal und schimpften über das Leben hier unten. Zu ihnen gesellten sich Platon und Sokrates und der olle Heraklit und erzählten das Gegenteil, priesen die Ruhe, die sie nun hätten, und dass das Maß aller Dinge die Mitte sei und ähnliches, womit ich damals noch nicht viel anfangen konnte. Sie stritten sich also, wie es sich für Griechen gehörte. Achilleus und Odysseus beharrten darauf, dass alle Grenzen hinter sich zu lassen, den wahren Menschen ausmache und es war auch klar, dass sie zu den Besten gehört hatten, wenn auch nicht beide in der gleichen Disziplin angetreten waren. Der eine hatte es mit den Muskeln, der andere mit dem Kopf. Wo ich sie schon einmal traf, wollte ich die Gelegenheit nutzen.

„Was ist für mich das richtige? Mit meinem Bein habe ich wohl kaum die Chance einem Hektor oder anderen Helden Angst einzujagen und so weise wie Platon und Sokrates bin ich nun auch wieder nicht.“

Ich war also felsenfest davon überzeugt, dass ich aus dem Hades zurückkehren würde. Woher ich diese Zuversicht nahm? Keine Ahnung. Vielleicht wegen des aufmunternden Lächelns des Apollon, der etwas abseits zuhörte.

Odysseus sah betroffen Platon an und der dunkle Heraklit murmelte „Alles fließt“, womit ich auch nicht viel anfangen konnte.

„Was meinst’n?“ fragte Achilleus den unsterblichen Apollon. Ein wenig war ich über die respektlose Anrede schon betroffen. Der gute Held tat so, als wäre der Gott nichts anderes als ein Beutegrieche aus Illyrien.

Und Apollon in seiner Güte nahm dies nicht einmal krumm. Er klimperte gedankenverloren ein wenig auf seiner Lyra und es klang sehr hübsch und wir hörten zu und warteten, bis er zum Ende kam.

„Er wird Zeugnis ablegen. Er wird im Schatten stehen und doch wird das Licht seinen Weg bescheinen. Er wird der Held sein und doch der Unbekannte. Er wird mein Bote sein und ich werde über ihn wachen. Er wird den Helden besingen, aber nur sein Sänger sein.“

Jeder, der in Delphi war, weiß, wie rätselhaft sich die Götter ausdrücken und Apollon stand der Pythia nicht viel nach. Ich konnte jedenfalls damit nicht viel anfangen. Achilleus zuckte mit den Achseln und sah mich mitleidig an und Sokrates seufzte und Platon kraulte sich den Bart. Aber wenn die beiden klügsten Menschen Griechenlands ratlos waren, dann konnte man auch von mir nicht verlangen, dass ich die dunklen Worte verstand.

„Langweilig wird ihm dabei nicht werden“, kicherte Platon.

„Lass ihn doch wenigstens König werden. Muss ja nicht Griechenland sein“, schlug Sokrates vor. Bekanntlich hatte er eine friedliche Ader. „Irgendetwas in Asien. Vielleicht kann er daraus etwas machen.“

Apollon klimperte wieder ein wenig versonnen und schüttelte dabei den Kopf. „Ihr versteht nicht. König zu sein wird ihm nicht gerecht. Er soll von dem großen Gedanken berichten. Das ist es, was ich ihm auftrage.“

„Na, hoffentlich stehst du ihm tatsächlich bei, wenn er dich braucht. Mir hast du vor Troja nicht gerade den großen Helfer abgegeben!“ murrte Achilleus, der, wie jedes Kind weiß, in Apollon nicht gerade einen Freund hatte.

„Er wird nicht wie du sein. Er wird ein Feldherr sein, aber kein Totschläger.“

„Armer Kerl!“ bedauerte mich Achilleus.

„Vielleicht kann er mit List etwas bewegen“, hoffte Odysseus. „Ich hätte da so ein paar Ideen, die ihm helfen könnten.“

„Er wird nicht verschlagen sein“, verneinte Apollon. „Er wird erkennen, was wichtig ist und was nicht. Das sei seine Belohnung.“

„Ein bisschen armselig“, winkte Odysseus ab.

„Ich werde auf ihn aufpassen. Er wird seinen Weg gehen“, versprach Apollon.

„Vielleicht wird er etwas Neues sein. Man steigt nicht zweimal in den gleichen Fluss“, warf Heraklit ein, der immer die gleichen Sprüche drauf hatte. Aber wenigstens kam er nicht damit, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei.

„Können sich die Menschen verändern? Sind sie nicht immer so, wie sie schon vor Urzeiten waren?“ zweifelte Achilleus.

„Zum besseren?“ setzte Odysseus hinzu und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Das will ich doch hoffen!“ sagte Plato. „Aber zugegebenermaßen geht so etwas nur langsam. Bis der Mensch halbwegs geglückt ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen.“

„So lange müssen wir warten, bis hier im Hades Menschen auftauchen, die anders sind als wir?“ fragte Odysseus, der ewig Neugierige, enttäuscht.

„Ja. Wir müssen Geduld haben“, stimmte Plato zu.

„Und er macht den Anfang?“ murrte Achilleus und sah mich an, als wäre ich ein stinkender Käse.

„Nein. Er wird nur davon berichten, was anders sein sollte!“ widersprach Apollon.

„Ein Hinkender als dein Bote? Das sieht dir ähnlich!“ brummte Achilleus.

„Auch Hephaistos hinkte und Prometeus litt unter dem Adler. Es sind die Leidenden, die sich um die Menschheit verdient machen.“

„Da wirst du ganz schön auf ihn aufpassen müssen“, gab Odysseus zu bedenken.

„Ich werde ihn begleiten. Ihm kann nichts passieren. Nicht wirklich.“

Klar, dass ich mich über das Versprechen freute. Aber nun fiel mir wieder ein, wie der Berg ins Rutschen gekommen und ich durch die Luft geflogen und hier gelandet war. Dann konnte er ruhig gleich mit der Hilfe anfangen. Und kaum hatte ich dies gedacht, passierte es auch schon. Es wurde hell und ich sah in das Gesicht meines schwarzbärtigen Riesen. Phokis schrie, dass mir die Ohren wehtaten.

„Er lebt! Er lebt tatsächlich. Den Göttern sei Dank. Leonnatos lebt.“

Sie hatten, nachdem die Erdlawine ins Tal gerauscht und die Erde sich beruhigt hatte, den Abhang nach mir abgesucht. Selbst mein Vater und Antiochios, aber ihnen ging es wohl in erster Linie um die Schafe. Apollon hatte Wort gehalten und den Hunden den rechten Geruch in die Nase gegeben und die hatten kräftig gejault und waren wie irre im Kreis herumgelaufen, und dies hatte Phokis zum Anlass genommen, die Erde abzutragen. Die Freude meiner Eltern oder gar meines Bruders hielt sich in Grenzen. Der Alte jammerte immer wieder über die schöne Herde, die der Berg verschlungen hatte. Stattdessen hatte er mich ausgespuckt. Er hielt dies für einen verdammt schlechten Tausch.

„Wahrscheinlich wollten sie ihn im Schattenreich nicht behalten. So ein Kröterich hätte ihnen nur die Laune verdorben“, war sein Kommentar und Antiochios wieherte dazu wie die Pferde des Achill.

„Mich hat ein Gott unter seinen Schutz genommen“, hielt ich dagegen. Nicht, weil ich prahlen oder gar Eindruck schinden wollte, sondern nur um zu zeigen, dass es Mächte gab, die mich, den Hinkenden, schätzten. Das mit dem Kröterich hatte mich schon verletzt.

„Seit wann kümmern sich Götter um Krüppel?“ höhnte mein Bruder.

„Denk mal nach, du Ebenbild des Paris!“ wehrte ich mich. „Hundert Schafe begrub der Berg. Aber ich lebe noch. Wenn das kein Zeichen ist, dann habe ich keine Ahnung von Omen. Am besten du gehst nach Pella und fragst einmal im Tempel des Apollon nach, was dies auf sich hat. Der Gott ist mit mir.“

„Was habe ich mit Apollon zu schaffen? Ich bin ein Krieger und halte mich an Ares. Du dagegen wirst als Bauer hier in den Bergen versauern, während ich mit den Getreuen des Königs gegen die Perser ziehe.“

Dies ließ einen Stachel in meinem Fleisch zurück und mein Bruder, dieses Früchtchen, wusste dies.

Als wir wieder auf dem heimischen Berg waren, tat Eurydike so, als wäre ich nicht vorhanden. Auf die kurze Schilderung meines Vaters beklagte sie nur die verlorenen Schafe. Meine zukünftige Braut sah mich dagegen an, als trüge ich den Lorbeer des Apollon auf dem Kopf. Aber reden tat sie immer noch nicht und mein Vater beobachtete verärgert ihre mich bewundernden Blicke. Ich konnte mir anfangs keinen Reim darauf machen.

„Ist sie dumm?“ fragte ich Phokis. „Warum redet sie nicht? Ich habe sie noch nie reden gehört.“

„Man hat es dir nicht erzählt?“

„Was erzählt?“

„Sie ist stumm. Meinst du, man hätte sie dir sonst zur Frau gegeben?“

Mich dauerte ihr Schicksal. Aber ich liebte sie deswegen nicht weniger. Sie war mir wie eine Feengestalt, ein Zauberwesen. Was die anderen als Makel ansahen, machten ihre Augen, ihr lächelnder Mund, ihr zartes Gesicht mehr als wett. Nein, für mich war es kein Makel, denn sie hatte Hände, die mich berühren würden. Doch leider sah ich sie nur selten. Bis zu meiner Hochzeit, die für das Frühlingsende vorgesehen war, hielt man meine zukünftige Braut von mir fern. Dies geschah nicht aus Schicklichkeitsgründen, sondern war reine Bosheit. Denn Eurydike trieb es ärger denn je, nicht nur mit meinem Bruder, sondern, wie Antiochios mir gegenüber kichernd erwähnte, mit einigen Dienern und ihrer Leibsklavin Lydia. Trotz der strengen Aufsicht meiner Stiefmutter fand ich schließlich die Möglichkeit Andromache zu treffen. Als sie im Hof mit den Mägden am Waschzuber stand, gelang es mir ihr einen Treffpunkt vorzuschlagen und sie hatte mit leuchtenden Augen genickt. Da man sich seit der Ankunft der Molosserin angewohnt hatte nach Sonnenuntergang in der großen Halle kräftig zu bechern, kam die ganze Gesellschaft am nächsten Tag erst sehr spät aus den Betten. Dies nutzte ich für meine glücklichen Stunden mit Andromache.

Noch bevor das erste Licht in das Dunkel sickerte, ging ich den Berg hinunter bis zu dem Wäldchen an der Straße nach Pella. Hier hatte die Natur eine Rosenhecke zu einer Laube geformt. Dort schloss ich sie in die Arme und sie lag stumm und zitternd an meiner Brust und ich erzählte ihr, was nach dem Erdrutsch geschehen war und sie hörte mir zu und tat, was ich so sehr ersehnt hatte. Sie streichelte mein Gesicht und anderes.

Mit der Zeit lernte ich die Sprache ihrer Hände und ich erfuhr, wie schlimm sie es in ihrer Familie gehabt hatte. Auch sie war ein Außenseiter, ein verachtetes Mitglied der Familie, und suchte Zärtlichkeit und Geborgenheit. Ich versprach ihr, dass unsere Liebe ewig dauern würde. Wie leicht fallen einem in der Jugend diese Schwüre.

„Und wenn ich weggehe, und ich werde eines Tages weggehen, dann nehme ich dich mit.“

Sie war es schließlich, die meine Schüchternheit überwand und mich das Küssen lehrte, so dass tiefe Seufzer unseren Kehlen entflogen. Sie lehrte mich die zarte Liebe. Sie legte meine Hand auf ihre Brust und ich schob sie in ihr Kleid und fühlte ihre samtene Haut und drängte mich an sie und sie ließ es zu und ergab sich mir und wir umklammerten uns wie zwei Ertrinkende und waren glücklich uns gefunden zu haben.

Ich hatte bis dahin, nach dem Tod meiner Mutter, nie Liebe empfangen und ihr war es genau so ergangen, und so empfanden wir uns gegenseitig als Gottesgeschenk, als Entschädigung für die fürchterlichen Tage unserer Kindheit. Und wenn es so weitergegangen wäre, dann hätte ich gern darauf verzichtet, Babylon kennen zu lernen, Persepolis, Susa und Ekbatana. Ich hätte auf Indien verzichtet und auf Alexanders Freundschaft. All das hätte ich hingegeben für ein Leben mit meiner Andromache. Zum letzten kam es nicht und das bedauere ich noch heute. Die gegenseitige Achtung voreinander hielt uns davor zurück. Sie brauchte sich meiner nie zu erwehren. Sie gab mir, was sie geben wollte und ich war damit zufrieden. Ich hielt inne, wollte das letzte erst nehmen, wenn uns der Priester vor den Göttern zusammengetan hatte. In meiner ersten Liebe war ich kein Eroberer, sondern nahm sie als Gnade wie ein Gläubiger im Tempel entgegen.

Bald sollte Apollon sich mir offenbaren. Wir erfuhren, dass der Sohn des Königs, zusammen mit seinen Gefährten, bei unserem Nachbarn, dem Clanchef auf der anderen Seite des Berges, zu Gast war und sie bei diesem zur Jagd gehen wollten. Eine Ehre, die den Menandros unter allen Clanchefs unserer Gegend heraushob. Mein Vater war deswegen schlechter Laune.

„Er kommt nicht zu uns, weil wir Gefolgsleute des Parmenion sind. Das ist es. Der Kronprinz geht nur zu denen, die ihn umschmeicheln. Oh ja, mag Menandros ruhig auf dieses Pferd setzen. Noch ist es nicht sicher, ob Alexander der Nachfolger Philipps wird. Noch kann Philipp weitere Söhne zeugen. Schließlich wird er jetzt die Nichte des Attalos heiraten, die nicht eine Fremde wie die Olympias ist, sondern von Makedonen abstammt. Es ist nie gut, wenn man sich mit fremden Völkern vermischt. Das Blut muss rein bleiben.“

Er warf dabei seiner Eurydike scheele Blicke zu, die wie Olympias von den Molossern abstammte und diese quittierte seine Worte mit Flüchen und warf mit ein paar Krügen nach ihm und rächte sich, indem sie ihn über Wochen nicht in ihr Bett ließ, was sicher auch zu dem Unglück beitrug, das dann später geschah. Jedenfalls nahm mein Vater es sehr persönlich, dass Alexander seinen Nachbarn mit seiner Anwesenheit beehrte und das nur, wie er sagte, weil dessen schwächlicher Sohn ein Freund des Ptolemaios sei, der wiederum ein Freund des Kronprinzen war. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn der Sohn des Königs auch bei uns eingekehrt wäre. Es hätte vielleicht dem Anstand in unserem Hause gut getan und sicher auch das verhindert, was sich bald darauf ereignete und die Todfeindschaft zwischen mir und meinem Vater verursachte.

Es geschah nach einem Jagdausflug. Ich war ein guter Jäger geworden, was das Verdienst des Spitames war, der mich schon als Kind das Jagen lehrte. Die Jagd war für mich eine Flucht vor den Menschen, vor dem Unglück im Haus meines Vaters. In der Einsamkeit der Wälder und Berge hatte ich immer Trost gefunden. Schon von klein auf durchstreifte ich den Forst in den Tälern. Ich kannte die Farnwiesen, die Bäche, an denen das Wild trank. Spitames war ein Bergbauer und ein Jäger und lebte in einer armseligen Kate an der Schneegrenze. Er hatte keine Familie und war der älteste Mann in unserer Gegend und schlug sich mehr schlecht als recht durch. Aber klagen hörte ich ihn nie. Er lehrte mich das Waidwerk. Ich sehe ihn vor mir, eine gebückte, nachlässig gekleidete dürre Gestalt mit einem Gesicht, als habe er bereits bei den Thermophylen gekämpft, und mit dem Wissen von Generationen von Jägern. Es war ein Gesicht, das sich zu beschreiben lohnt. Nicht, dass jemand auf die Idee gekommen wäre, seine Gesichtszüge in einem Marmorblock zu verewigen, gleichwohl war es ein Gesicht, dass man nie vergaß. Da er seine Zähne längst verloren hatte, waren seine Wangen eingefallen und dies gab ihm ein fast unheimliches Aussehen. Auf eine eigentümliche Weise sah er den Mumien ähnlich, die mir später in Ägypten gezeigt wurden. Eigentümlich auch deswegen, weil in dem dunklen, oft schmutzigen Gesicht blaue Augen leuchteten. Die wenigen Haare klebten um einen länglichen Totenkopf. Er lehrte mich den Berglöwen zu bekämpfen, den Schwarzbär und die Wölfe. Er hasste Wölfe und war ihnen in den Wintermonaten, wenn sie heulend seine Hütte umschlichen, ein erbarmungsloser Feind. Er hatte nur eine kleine Schafherde und konnte auf kein Tier verzichten und das hatte ihn zu einem Wolfstöter gemacht. Er lehrte mich trotz meiner Behinderung zurechtzukommen, indem er meine Treffsicherheit mit dem Speer durch ständige Übungen verbesserte. Meine Schultern hatten mich ohnehin zu einem guten Ringer gemacht, und ich hatte die nötige Kraft in den Armen, um ihn todbringend zu schleudern.

Ich wurde zum Jäger, wenn ich oft monatelang allein in den Bergen war und die Schafe und Ziegen hütete. Spitames kam mit seiner Herde vorbei und ich verweigerte ihm nicht unsere Weiden und er lehrte mich gegen den Wind zu schleichen, den tödlichen Pfeil mit einem thrakischen Bogen abzuschießen und den Speer todbringend zu schleudern. Wir jagten Hirsche und Gemsen und einmal erlegte ich einen Bär, zugegebenermaßen kein großes Tier, aber sein Fell beeindruckte einen Augenblick sogar meinen Vater. Mir war Spitames, der Wolfstöter, ein Freund, und ich hielt mich zu recht für einen guten Jäger. Bis dann Kyros, der Königsbär, auftauchte und ich erkennen musste, dass ich noch viel zu lernen hatte. Spitames hatte ihn so getauft, weil er ihn für einen Fürst hielt, einen verwunschenen König. Lange Zeit sahen wir nur seine Spur, den Abdruck mächtiger Tatzen und folgten ihnen ohne Jagdglück. Doch eines Morgens an einem Fluss sahen wir ihn aus dem Wald treten. Ein mächtiger Kopf und ein Körper wie ein Fels. Gemütlich trabte er heran und ging in das seichte Wasser und schon bald holte er einen Lachs ans Ufer.

„Sieh dir den Kerl an!“ flüsterte Spitames.

Langsam robbten wir uns heran. Plötzlich drehte er sich um und erhob sich auf seine Beine und wir sahen nun, dass es der größte Bär war, der je in unserer Gegend gesehen worden war. Er wollte uns wohl zeigen, dass wir uns besser nicht mit ihm anlegten. Unsere Hunde jaulten wie verrückt und wir hetzten sie auf ihn und er wehrte sie ab. Nach einigen Prankenschlägen lagen zwei unserer Tiere tot am Boden.

„Was für ein Kämpfer!“ flüsterte Spitames begeistert.

„Wir müssen näher heran. Wir umgehen ihn.“

Wir machten einen Bogen und stakten in dem schnell fließenden Wasser des Flusses langsam auf ihn zu. Er hatte uns erblickt und wir hatten Angst, dass er sich davonmachen würde. Normalerweise legt ein Bär, wenn er nicht gar mit seinem Wurf unterwegs ist, keinen großen Wert auf die Bekanntschaft mit Menschen. Aber er dachte nicht daran, vor uns auszureißen, sondern erhob sich noch einmal zu einer Höhe, die uns bei weitem überragte und erwartete uns mit aufgerissenem Maul.

„Ein König. Ein Kyros!“ rief der Alte.

Weiß der Dionysos, wie Spitames auf den Namen des großen Perserkönigs kam. Aber diesen königlichen Namen trug unser Bär mit Recht. Wie ein Berg stand er vor uns und seine Tatzen teilten die Luft. Ich nahm den thrakischen Bogen und ließ einen Pfeil schwirren und traf ihn mitten in die Brust, was ihm aber nur ein ärgerliches Brummen abnötigte. Er schlug mit der Tatze den Pfeil ab.

„Mit Pfeil und Bogen kriegen wir den nicht. Da müssen wir schon mit etwas härterem kommen!“ schrie Spitames und wir stellten unsere Speere auf. Langsam kam Kyros auf uns zu und ich hatte Mühe, meine Angst zu bezwingen und wäre am liebsten davongelaufen.

Als er bis auf wenige Schritte heran war, warf Spitames seinen Speer und er traf ihn gut und ich tat es ihm nach und traf den Bär auch unterhalb der Brust und jetzt hätte er sich eigentlich hinlegen oder wenigstens davonlaufen müssen. Aber er tappte brüllend auf uns zu und wir nahmen die Beine in die Hand und rannten aus dem Wasser heraus und am Ufer entlang und er folgte uns und kam näher und näher und sicher hätte er uns eingeholt, wenn vor uns nicht der Wasserfall aufgetaucht wäre und wir uns nicht in die Höhle dahinter geflüchtet hätten. Mein guter Spitames kannte jede Zuflucht in diesen Bergen. Wir hörten Kyros hinter dem Wasserfall brüllen. Er wartete eine ganze Weile und wir hörten ihn missvergnügt im Wasser plantschen. Schließlich war er es leid und verdrückte sich. Das war unsere erste Begegnung mit Kyros.

Bald war die ganze Gegend erfüllt mit Geschichten über den König der Bären und die Bauern beklagten gerissene Schafe und Ziegen. Fast jeder Clanchef, auch mein Vater, ging in die Berge, um ihn zu jagen. Es gab wohl keinen Mann von Adel und Anstand, der nicht erzählte, dass er ihm begegnet sei. Doch erlegen konnte ihn keiner. Kyros wurde in ganz Makedonien berühmt und vielleicht waren es die immer wilder werdenden Geschichten über seine Größe und Tapferkeit, die schließlich den Thronfolger in unsere Gegend führten. Doch bevor sich mein Name mit dem des Kyros verband, geschah etwas, das mein Leben veränderte und mir die Todesverachtung eingab, um dem Kyros ein todbringender Feind zu sein.

Weil eines unserer Pferde gefohlt hatte, machte ich mich etwas verspätet zu meinem Treffen mit Andromache im Hain an der Straße nach Pella auf. Der Morgenstern funkelte nur noch blass, als ich den Berg hinunter hinkte. Als ich Flüche vor mir hörte, ahnte ich schon Schlimmes und jagte den Berg hinunter, stürzte mehr voran als dass ich lief. Als ich die schützende Hecke teilte, sah ich einen gebeugten Rücken und einen Körper mit stoßenden Bewegungen und unter ihm um sich schlagende Arme. Ich stürzte mich auf den keuchenden Mann, zerrte ihn von Andromache herunter und erkannte nun, dass der Mann, der meiner Braut Gewalt antat, der war, der mich erzeugt hatte.

„Hau ab, Kröterich, verzieh dich!“ brüllte er.

„Was tust du da, Vater!?“