Der Tote im Kanzleramt - Heinz-Joachim Simon - E-Book

Der Tote im Kanzleramt E-Book

Heinz-Joachim Simon

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Beschreibung

Im Kanzleramt schläft man schlecht. Niemand zahlt zwanzigtausend Euro Vorschuss, wenn es darum geht, einem bösartigen Nachbarn die Magnum an die Stirn zu drücken. Kirilow hasste Pfusch. Sein erster Schuss galt dem Kopf, der zweite dem Herz. Er machte keine Fehler. Es war bereits dunkel im Kanzleramt. Die Büros waren leer, der Kanzler war ausgeflogen. Die Flure lagen im fahlen Licht der Notbeleuchtung und wirkten wie Schleusen eines Raumschiffs. Die Wahrheit lag im Lauf der Tokarev. Er wollte, dass sein Opfer dem Tod ins Gesicht sah. Sie fuhren über den See, und Hauptkommissar Huntinger sah über die spiegelnde Fläche auf den Horizont, wo Segelboote so friedlich unter der Sonne segelten, als wäre das Böse unbekannt … Was dann passierte, geschah erst unspektakulär, dennoch brachte es jene Ereignisse in Gang, die zu den aufregendsten und seltsamsten Erfahrungen in der Laufbahn des Hauptkommissars Huntinger gehören sollten. Ein Roman ist nur dann gut, wenn der Leser glaubt dabei zu sein.

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Heinz–Joachim Simon

Der Tote im Kanzleramt

Ein Huntinger-Roman

Simon, Heinz-Joachim : Der Tote im Kanzleramt. Ein Huntinger-Roman. Hamburg, acabus Verlag 2018

Originalausgabe

ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-673-5

PDF-eBook: ISBN 978-3-86282-672-8

Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag

Covermotiv: pixabay.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

_______________________________

© acabus Verlag, Hamburg 2018

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

1

Der Mörder einsam auf seinem Zimmer

Er wartete auf die Nachricht, wen er töten sollte. Er brauchte nicht nur den Namen, sondern auch den Ort, wo es passieren sollte, denn ihm war schon klar, dass es um eine wichtige Persönlichkeit ging. Niemand zahlt zwanzigtausend Euro Vorschuss, wenn es darum geht, einem bösartigen Nachbarn die Magnum an die Stirn zu drücken. Schon seit Tagen saß er in diesem Hotel in Kreuzberg und wartete auf den Anruf. Es machte ihm nichts aus, zu warten. Geduldig wie ein Judoka, der um sein Können weiß und die Geduld mitbringt, den entscheidenden Augenblick abzuwarten, konzentrierte er sich auf sich selbst.

Kirilow stand in seinem Pass, aber es war nicht sein richtiger Name und nicht einmal der erste falsche und ihm so gleichgültig wie alle vorangegangen Namen, den richtigen eingeschlossen. Man brauchte ihn hier, so wie man ihn bereits in Moskau, in Rom oder Paris gebraucht hatte, und das, was er dort an Arbeit abgeliefert hatte, galt in seinen Kreisen als professionell. Seine Person wurde mit der Russe umschrieben, Diktatoren nannten ihn so, Wirtschaftsbosse und korrupte Politiker. In Kreisen der Macht galt er als Meister des Todes. Es gab Regeln dabei. Seine eigenen.

Und jetzt war er hier, in einem Deutschland, in dem alles drunter und drüber ging, weil die Politiker es hoffnungslos vermasselt hatten, weil man seit Jahren nur noch Staatsschauspielerei betrieb und bella figura in den Primetalkshows ausreichten, um von den Medien gefeiert zu werden. Oh ja, das Wohlfühlvolk hatte die Politiker bekommen, die es wollte, und nun spitzte sich die Lage zu, die vertanen Jahre des Herumschusterns drohten nun das Land ins Chaos zu stürzen. Schlechte Zeiten waren gute Zeiten für ihn.

Seit drei Tagen wartete er nun in diesem elenden Zimmer mit den feuchten Wänden, auf denen sich die Tapeten bereits lösten. Und der Ausblick auf den tristen Hinterhof machte es auch nicht besser.

Von der Dusche her hörte er die Wassertropfen auf den Boden knallen, so gleichmäßig wie das Ticken einer Uhr. Er lag auf einem Bett, dessen Laken verdächtig genug aussahen und starrte an die Decke mit den braunen Wasserflecken und rauchte und wartete. Nicht nur sein Zimmer sah heruntergekommen aus, der Flur draußen und der Empfang unten ließen auch keine hoffnungsvollen Gedanken aufkommen.

Der dicke schmierige Kerl mit einer Fresse, die jedem gleich signalisierte, ihm ja keine Arbeit zu machen, hatte Kirilow den Empfangszettel zugeschoben und mit einem zufriedenen Grunzen die Vorauszahlung eingestrichen. Hier hatte niemand Kredit.

Der Dicke wusste, dass Kirilow nicht ganz koscher war, genauso wie man ihn auch nicht gerade als mustergültigen Bürger bezeichnen würde, aber andere Gäste wurden hier auch nicht erwartet. Man verstand sich in der Gleichgültigkeit untereinander, der einzigen Solidarität, die Outlaws untereinander pflegten.

Das Hotel lag in einer Gasse in Kreuzberg, in die man sich bereits am späten Nachmittag nur noch zu zweit und nachts nicht einmal mit Polizeibegleitung hineintraute. Eine Gegend, wo überwiegend Türkisch gesprochen wurde und sich halbwüchsige Knaben herumtrieben, die weder richtig Türkisch noch Deutsch konnten und das Wort Integration als etwas verstanden, was ihnen Milch und Honig versprach, weil die Bäuche ihrer Frauen eines Tages dafür sorgen würden, dass sie die Mehrheit im Land hatten.

Er hätte ohne Weiteres im Adlon oder Regent absteigen können, schließlich hatte man ihm genug Vorschuss gezahlt. Er würde noch einmal den gleichen Betrag bekommen, wenn man ihm das Opfer genannt und Hunderttausend auf die Kralle, wenn er die Sache hinter sich gebracht hatte. Das war sein Tarif. Aber er fühlte sich hier sicherer. Nicht, dass er Angst gehabt hätte, im Adlon zu logieren, denn Furcht war ihm fremd, aber er wusste, dass er dort auffallen würde, egal, wie dunkel sein Anzug war und wie intensiv sein Rasierwasser roch. Mit seiner Größe, seinem Gesicht hatte er überall eine Präsenz, die die Blicke auf sich zog. Zum anderen erinnerte ihn die Umgebung in Kreuzberg an Moskau, bevor Gorbatschow das Weltreich herschenkte für nichts als die Erkenntnis und Hoffnung, dass es so nicht weiter ging und ein anderer Weg zum Paradies führen musste.

Damals war er Hauptmann beim KGB gewesen. Später hatte man ihn sogar zum Oberst gemacht. Aber gelebt hatte er nicht viel besser als ein Muschik. Also hatte er umgesattelt. Bereut hatte er es nie. Zwölf Menschen hatte er bereits getötet. Der erste Auftrag war noch mit einem großen Erstaunen darüber verbunden gewesen, dass es so leicht war und er nichts dabei fühlte. Eine saubere, professionell durchgeführte Operation. Er hatte kein Mitleid gespürt, keine Gewissensbisse, weder bei diesem Geschäft noch bei den folgenden.

Kirilow erhob sich und ging ans Fenster, zog die schmutzige Gardine zur Seite und sah durch die mit toten Fliegen beschmutzte Scheibe hinunter auf den Hof. Ein paar Jungen spielten Fußball und träumten wohl davon, eines Tages bei Bayern München oder Hertha Karriere zu machen. Arme Idioten, dachte er und reckte sich und ging zu dem Koffer, der auf dem wackligen Schrank stand und hob ihn herunter und öffnete ihn. Das Klicken der Schlösser liebte er, genauso wie er das Klicken der Pistole liebte, wenn er sie durchlud. Kirilow liebte Präzision, und er liebte diesen teuren Koffer, den angenehmen Ledergeruch. Fast zärtlich strich er über die Außenwand, über die Messingschließen und öffnete ihn, schob die Hemden beiseite und nahm die Tokarev heraus. Er mochte es, wie sie in der Hand lag. Blauschwarzer Stahl, eine der zuverlässigsten Handfeuerwaffen, die er kannte, die ihre Bewährung in dem großen vaterländischen Krieg mehr als bestanden und damals die Hüfte jedes Offiziers geschmückt hatte. Er nahm sie jeden Tag auseinander und reinigte sie und setzte sie wieder zusammen. Es war wie ein Ritual, die golden glänzenden Patronen herauszunehmen und wieder in das Magazin zu drücken.

Er würde wie immer zwei Schüsse abfeuern. Darunter tat er es nicht. Sein erster Schuss galt dem Kopf, der zweite dem Herz. Kirilow hasste Pfusch und ging stets auf Nummer sicher, was seinen Ruf begründet hatte. Er machte keine Fehler. Fast andächtig legte er die Waffe in den Koffer zurück und ließ die Schlösser zuschnappen und schob den Koffer zurück auf den Schrank.

Er sah auf seine Breitling. Es war nach zwanzig Uhr. Heute würde er keinen Anruf mehr bekommen. Sie hatten verabredet, dass er jeden Tag von achtzehn bis zwanzig Uhr in diesem Hotel erreichbar war. Kirilow überlegte, ob er wie jeden Abend hinuntergehen und nebenan in der Kebab–Bude etwas essen sollte. Er mochte nicht den Geruch und die Typen, die dort herumhingen, die aber bei seinem Eintreten jedes Mal verstummten und ihn wie Hyänen belauerten.

Nein, er hatte keine Lust, jetzt runterzugehen und legte sich wieder aufs Bett. Er war es gewohnt, dem Hungergefühl nicht nachzugeben. Oft genug hatte es ihn in seiner Jugend in diesem elenden Nest bei Smolensk gequält. Als er noch nicht Offizier war, war der Hunger auch in der Armee sein täglicher Begleiter und verschwand erst, als er als Jahrgangsbester die Offiziersschule absolviert hatte. Anschließend hatte man ihn nach Dresden geschickt, wo er einen stillen, höflichen und unscheinbaren schmalen Kerl kennenlernte, der nun Russland regierte und sich dabei wie der Zar vorkam.

Er überlegte, ob er ins Kino gehen sollte. Er sah sich gern Hollywoodfilme mit Silvester Stallone, Charles Bronson oder Clint Eastwood an, obwohl er die Drehbuchschreiber alle für durchgeknallte Spinner hielt. Danach konnte er sich irgendein Flittchen greifen, aber er verwarf dies sofort. Wenn er einen Auftrag hatte, waren Frauen für ihn tabu, da er wusste, dass die Mädchen ihn niemals vergaßen. Nicht wegen seiner Liebenswürdigkeit oder Großzügigkeit oder weil er gar zu brutal zu ihnen gewesen war, sondern wegen seines Gesichts und seiner Körpergröße. Er wusste, dass dies sein Handicap war, vorzüglich geeignet für das Erstellen eines Phantombilds. Nein, er sprach nicht mit Huren, wenn er auf Jagd war. Auch sonst war er eher wortkarg, obwohl er sehr gut Deutsch als auch Englisch und Französisch sprechen konnte. Deswegen hatten sie ihn auch seinerzeit nach Deutschland geschickt. Er war schon damals vielseitig verwendbar. Doch nun arbeitete er auf eigene Rechnung. Es kam halt mehr dabei raus, wenn man in die eigene Kasse zahlte. Eines Tages, wenn er genug Geld zusammen hatte, wollte er ein Haus in der Nähe von Cannes oder Nizza kaufen, keine große Sache, aber mit freiem Blick auf einen weißen Strand, wo ein braun lackiertes Boot, eine Riva liegen würde. Noch ein paar Jahre, dann hatte er es geschafft. Wenn ihn nur nicht Amateure reinrissen. Ob in Deutschland oder Frankreich oder Italien, überall traf er auf Amateure. Seit das Reich des Bösen zusammengebrochen war, gab es im Westen einfach keine Profis mehr.

Amateure! Er dachte an das Treffen im Descartes, einer Cocktailbar am Gendarmenmarkt, in der sich dunkel gekleidete, gegelte Jünglinge trafen und das Geld ausgaben, das sie sich mit Devisengeschäften und Werbesprüchen ergaunert hatten. Allesamt eine Bande hedonistischer Bengel, aus denen in anderen Zeiten vielleicht etwas hätte werden können, die aber, gepampert aufgewachsen, keine Chance gehabt hatten und kein anderes Ziel kannten, als noch mehr Geld in die Hände zu bekommen, um teure Anzüge von Brioni oder Kiton spazieren zu führen, sich die Nase zuzukoksen und betrunken wilde Reden zu führen, um dann im Porsche reifenquietschend durch Berlin von Disco zu Disco zu jagen, wo immer die gleichen betrunkenen oder angekoksten Leute auf sie warteten. Alles lief auf Spaß hinaus. Das war in Moskau nicht anders als in Berlin.

Er war nicht zufällig ins Descartes gegangen. In Moskau hatte ihn jemand angerufen, den er aus der Zeit in Dresden kannte und der auch ein Oberst, aber von der anderen, gleichwohl befreundeten Fakultät gewesen war. Zuckermann war sein Verbindungsoffizier zur Staatssicherheit gewesen. Nun war er allerdings im Waffengeschäft tätig, wozu jedoch noch andere Geschäfte gehörten und nicht nur die Beschaffung von AK 47 für die Mörderbanden im Sudan oder Kongo.

Zuckermann hatte ihm dieses Geschäft mit der lachenden Aufforderung vermittelt, ihn nicht zu blamieren und sich zu revanchieren, wenn er eines Tages mit einer Bitte auf ihn zukäme. Wie sagten die Deutschen doch immer? Eine Hand wäscht die andere. Man würde ihn im Descartes ansprechen, wenn er an dem oder dem Tag dort sein würde. Er solle ein rotes Einstecktuch in der Brusttasche und die Uhr am rechten statt linken Handgelenk tragen. Was für Einfälle! Albern, schlimmer noch: amateurhaft! Aber wer die Kapelle bezahlte, bestimmte die Musik. Er wusste, dass er in diesem Schuppen auffiel. Er passte nicht zu den schmalhüftigen Jünglingen mit den Brillanten im Ohr und zu ihrem exaltierten Gehabe und ihrer scheinbaren Coolness. Er war einfach zu groß, um hier nicht aufzufallen, zu breitschultrig, und sein Gesicht war zu hart, zu bedrohlich. Selbst wenn er lachte, ähnelte er ein wenig den großen Boxchampions aus Russland, mit denen ein paar Runden mitzuhalten er sich durchaus zutraute. Doch Schlägereien waren nicht sein Ding. Er hatte sich immer aus Prügeleien rausgehalten, seit er einmal in seiner Jugend einen Kommilitonen halb totgeschlagen hatte und deswegen beinahe von der Akademie geflogen wäre. Nicht, dass er mit ihm Mitleid gehabt hatte – ihm würde auch jeder andere nicht leidtun, der es mit ihm aufnehmen wollte –, aber Prügeleien hatten nichts Endgültiges. Es war dann nie vorbei, selbst wenn der andere am Boden lag, außerdem hatte so etwas auch meist Publikum, und der Unterlegene konnte sich immer noch rächen und einen mit Gesetzen in Schwulitäten bringen.

Er hatte bisher nicht zugelassen, dass jemand über ihn reden konnte, und dies galt auch für die Zukunft. Er hielt sich für den Besten, und er wusste nur von einem Serben und einem Australier, die genau so gut wie er sein sollten. Man würde ja sehen, wer am längsten auf der Wildbahn blieb. Er hatte jedenfalls vor, seinen Job so lange zu machen, bis er sich das Haus an der Côte d’Azur leisten konnte. Er würde jedenfalls keine Spuren und keine Zeugen zurücklassen. Es gab von ihm keine Akte in Deutschland oder Frankreich oder gar Russland, wenn man einmal von der Akte absah, in der dokumentiert war, dass er als Oberst den KGB in Ehren verlassen hatte.

Er hatte das Descartes nur widerwillig akzeptiert, doch das Honorar war in Ordnung, und er wusste schließlich, was er zu tun hatte, wenn sich der Auftraggeber nicht als hasenrein erweisen sollte.

Kirilow starrte an die Decke, langte zum Nachttisch und steckte sich eine neue Marlboro Menthol an. Die Lampe an der Decke hatte nicht einmal einen Schirm. Die nackte Birne verbreitete ein hartes Licht.

Er ging noch einmal das Gespräch mit seinem Auftraggeber durch:

„Scheußliches Wetter“, hatte Winkelmann gesagt und sich neben ihn an die Bartheke gedrängt.

Ehe er weitersprechen konnte, hatte Kirilow die Hand gehoben und zu der Sitzgruppe in der Ecke der Bar gedeutet.

„Setzen wir uns dorthin!“

„Ja. Natürlich. Verstehe“, hatte Winkelmann gesagt, ein schmalbrüstiger Mann mit Nickelbrille, strengem Scheitel und dunklem Anzug; das eifrige, faltenlose Gesicht eines ältlichen Pennälers.

Sie setzten sich.

Winkelmann bestellte einen Martini Cocktail.

Kirilow entschied sich für einen Scotch.

„Zuckermann hat Sie informiert?“

Kirilow nickte grantig.

„Zur Sache!“

„Es geht um ein hohes Tier.“

„Versteht sich!“

„Ja. Ein wichtiger Mann, der sich zu wichtig nimmt, der das ganze System und unsere Demokratie in Gefahr bringt. Ein Catalina, ein gewissenloser Intrigant.“

„Wie weit oben?“, fragte Kirilow trocken, dem Catalina nichts sagte.

„Ziemlich weit oben.“

„Ein Militär?“

„Nein. Ein bekannter Politiker.“

„Ein Minister?“

„Nein. Aber wichtiger als ein Minister.“

„Schön. Wie heißt er? Wie kommt man an ihn heran?“

„Wir werden Sie beizeiten informieren. Hier ist die erste Anzahlung.“

Er schob einen Umschlag über den Tisch. Kirilow behielt die Umgebung im Blick, als er ihn einsteckte.

„Wollen Sie nicht nachzählen?“

„Warum? Sie wissen, dass man mich nicht bescheißen kann!“

Winkelmann wurde bleich und rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her.

„Man sagte mir, dass Sie absolut zuverlässig sind.“

„Wer sagte Ihnen das?“ fragte Kirilow scharf und war jetzt so wachsam, als hätte neben ihm eine Alarmglocke geläutet.

„Das tut nichts zur Sache!“, sagte Winkelmann schnell, den Kirilow insgeheim bereits Winkelmännchen getauft hatte.

„Tut es aber. Ich muss wissen, wer alles Bescheid weiß.“

„Einer vom Begleitschutz, der früher für einen Herrn Zuckermann gearbeitet hat, den ich allerdings nicht kenne.“

So also ist das Geschäft zustande gekommen. Winkelmännchen hatte den Kerl vom Begleitschutz gefragt und der hatte sich an Zuckermann gewandt. So war er ins Spiel gekommen. Es hatte ihm zwar einen saftigen Auftrag eingebracht, aber es gab bereits zu viele Leute, die davon wussten. Nicht, dass er Zuckermann für nicht vertrauenswürdig hielt, aber er kannte diesen Kerl vom Begleitschutz nicht.

„Wie heißt der Mann? Wo wohnt er?“, fragte er barsch.

„Keine Sorge. Er ist mit mir verwandt. Ein Cousin. Absolut vertrauenswürdig“, erwiderte Winkelmann schnell.

„Wie heißt er?“, wiederholte Kirilow hartnäckig.

„Werner Fleming. Wohnt in Steglitz draußen“, stotterte Winkelmann. „Wie gesagt, ein … ein absolut zuverlässiger Mann.“

„Na schön. Lassen wir das. Und was macht Ihnen Sorgen? Warum rücken Sie nicht gleich mit dem Namen raus, der ausgeschaltet werden soll?“

„Weil noch nicht feststeht, wie weit er gehen wird. Vielleicht ist es gar nicht notwendig, dass Sie ihn … Deswegen müssen wir noch warten.“

Kirilow schüttelte den Kopf. Es lief nicht gut. Bisher hatte er immer gleich gewusst, um wen es ging.

„Ich bin nicht extra aus Moskau gekommen, um dann … wieder abgeschaltet zu werden.“

„Keine Sorge! Sie bekommen auch dann Ihr Geld“, sagte Winkelmann schnell.

„Warten verteuert das Ganze. Es erhöht mein Risiko. Ich muss einen Zuschlag von fünfundzwanzig Prozent verlangen, wenn ich noch länger als zwei Tage warten muss.“

„Sie bekommen doch Geld genug.“

„Nicht, wenn sich das Risiko erhöht.“

„Gut. Ich gebe das weiter.“

Ich habe es gewusst, Winkelmännchen ist nicht der Drahtzieher, sondern nur der Mittelsmann. Die Hose war für seinen Arsch zu groß.

Er zündete sich eine weitere Marlboro Menthol an und behielt das Lokal im Auge. Doch niemand beobachtete sie.

„Das nächste Mal treffen wir uns woanders.“

„Warum? Was ist am Descartes auszusetzen? Hier im Halbdunkel fallen wir doch nicht auf. Oder ist Ihnen ein russisches Lokal lieber?“

„Nein. Wie wäre es mit dem Einstein auf den Linden?“, entgegnete Kirilow.

Er hatte nicht vor, sich dort mit Winkelmann zu treffen. Es war ein Versuchsballon. Er wollte wissen, wie wichtig sich Winkelmännchen nahm. Er hatte gelesen, dass sich im Einstein die Führer der Parteien, Minister und manchmal sogar der Kanzler mit seiner Entourage aufhielten. Sollte Winkelmann etwas mit der Regierung zu tun haben, wäre er schön blöd, sich dort mit ihm zu treffen. Seine Vermutung wurde auch gleich bestätigt.

„Nein, das geht nicht. Dort könnte man mich erkennen. Wie wäre es mit dem Bistro in der Mercedesniederlassung auf dem Kurfürstendamm?“

Kirilow nickte. Er würde dieses Bistro schon finden. Er hatte also recht gehabt. Winkelmännchen gehörte, wenn auch im zweiten Glied, zur Regierungsmannschaft. In diesen Höhen zu arbeiten war immer gefährlich. Eine Businessgeschichte, das Ausschalten eines Rivalen wäre ihm lieber gewesen. Also musste er sehr vorsichtig sein. Es würde von ihm verlangen, dass er Kollateralschäden einplante und möglichst alle Mitwisser ausschaltete. Politische Geschichten ganz oben brachten stets eine Menge Aufregung, und irgendein findiger Journalist würde versuchen, ihn aufzuspüren. Er durfte keine Zeugen zulassen.

„Wer steckt nun wirklich dahinter?“

„Was meinen Sie?“

„Wer ist der Auftraggeber?“

„Ich. Von mir bekommen Sie den Auftrag und das Geld.“

„Reden Sie keinen Stuss! Ich will wissen, für wen ich die Drecksarbeit mache.“

„Sie müssen sich schon mit mir begnügen“, sagte Winkelmann steif.

„Kennt Ihr Chef meinen Namen? Was weiß er von mir und von Zuckermann?“

„Er weiß nichts davon!“, verriet sich Winkelmann und biss sich auf die Lippen.

Nicht einmal das kann er für sich behalten, sagte sich Kirilow. Wenn wir ihn beim KGB in die Mangel genommen hätten, wäre er nach wenigen Minuten zum Singvogel geworden.

„Er will nichts mit dem Operativen zu tun haben“, rückte Winkelmann nun, da er schon einmal angefangen hatte zu reden, mit weiteren Informationen heraus.

Er leerte hastig sein Glas. Anschließend verabredeten sie, dass er jeden Tag zwischen achtzehn und zwanzig Uhr erreichbar sein würde. Winkelmann verabschiedete sich sichtlich erleichtert.

Anschließend war er zur U–Bahnstation Friedrichstraße gegangen und hatte von einer Telefonzelle Zuckermann angerufen.

„Es wird zu viel gequatscht!“, herrschte er den Oberst a.D. der Staatssicherheit an.

„Was ist los, Towarischtsch?“

„Noch nichts. Wer ist dieser verdammte Fleming, dem du meinen Namen gegeben hast?“

„Ein guter Junge. War bei mir einmal im Begleitschutz. Hast du ein Problem mit ihm?“

„Könnte sein. Die Sache ist politisch.“

„Dachte ich mir. Fleming ist beim Kanzlerbegleitschutz gelandet. Wie gesagt, er ist in Ordnung. Kein Quatschkopf. Du kannst ganz beruhigt sein.“

„Ist sonst irgendwo mein Name gefallen?“

„Ich bin doch kein Amateur. Natürlich nicht. Fleming wusste deinen Namen aus der Zeit, als du für mich die Sache mit dem Libanesen gedeichselt hast. Er fragte mich, ob ich dich bei einer wichtigen Sache für den richtigen Mann halte und ob ich dich informieren könne. So lief die Sache. Also mehr als deinen jetzigen Namen und dass du der absolute Profi bist, weiß er nicht.“

„Ich befürchte, dass dieses Geschäft mächtig viel Staub aufwirbeln wird. Die Journaille wird heiß laufen. Und dieser Winkelmann, der das Ganze abwickelt, ist ein Greenhorn.“

„Verstehe. Nein, der Fleming wird nicht quatschen, selbst wenn man ihn in die Mangel nimmt.“

„Kommt darauf an, wer ihn unter Druck setzt. Würde es dich stören, wenn er …?“

„Nein. Würde es nicht. Schalt ihn aus, wenn du es für richtig hältst. Ich bin weder verwandt noch verschwägert mit ihm.“

„Roger. Mach’s gut!“

Das war gestern gewesen, und nun wartete er auf das nächste Treffen, doch vorher wollte er sich den Fleming genauer ansehen und das tun, was notwendig war. Zum Teufel damit, dass dieser nicht quatschen würde. Wenn der Mann, auf den es Winkelmännchen abgesehen hatte, ganz weit oben stand, würde eine Bande der schärfsten Bullen hinter ihm her sein, und sie würden bald auf Fleming stoßen. Er war nicht gewillt, sich auf dessen Widerstandskraft zu verlassen. Es gab Methoden, die jeden zum Reden brachten.

Unzufrieden drückte er die Zigarette aus und verließ das Zimmer. Die Tokarev ließ er im Koffer. Er benutzte sie nur bei den wirklich wichtigen Sachen. Doch er war nicht waffenlos. Am Fußgelenk trug er in einem kleinen Holster eine Smith & Wesson, einen kurzläufigen, giftig aussehenden Revolver, der auf kurze Entfernungen gleichwohl seinen Zweck erfüllte.

Er ging zur nächsten S–Bahnstation. Wie er es gelernt hatte, sah er niemanden direkt an. Als wäre er ein Traumwandler, ging er in die Unterführung und fuhr bis Bahnhof Zoo, stieg dort um und landete kurze Zeit später in Steglitz. Er ging zu der Straße - die genaue Adresse hatte er von der Auskunft erfahren – und fand bald an einem langen Häuserblock an der Klingel Flemings Namen. Er wohnte im zweiten Stock. Aber es brannte kein Licht. Kirilow ging auf die andere Straßenseite zu einer typischen Berliner Eckkneipe und setzte sich an einen blank gescheuerten Tisch am Fenster, von dem er einen guten Blick auf die andere Straßenseite hatte. Der Wirt, ein schnauzbärtiger Glatzkopf, stellte seine Bestellung, ein frisch gezapftes Bier, mit scheuem Blick vor ihn auf den Tisch. Kirilow wusste, dass seine Gestalt, sein massiger Körper und sein Gesicht als bedrohlich empfunden wurden und hatte sich daran gewöhnen müssen, dass etwas von ihm ausging, das die anderen einschüchterte, ohne auch freilich nur zu vermuten, wer er wirklich war. Doch wenn ihm mal jemand krumm kam, reichte es meist, dass er aufstand und den anderen musterte und ihn mit seinen kalten grauen Augen fixierte, die, wie ihm einmal seine Frau gesagt hatte, an einen Wolf erinnerten. Er war einmal verheiratet gewesen, aber sie hatte es nicht lange mit ihm ausgehalten und ihn verlassen. Seitdem begnügte er sich damit, Huren ins Bett zu holen. Sie machten keine Probleme. Huren stellten keine Fragen.

Die restlichen Gäste in der Kneipe hatten kurz aufgesehen und ihn verwundert gemustert, aber dann weiter über Hertha gefachsimpelt, ob die nun wieder aufsteigen und Bayern München oder Schalke den deutschen Meister stellen würden. Er lauschte dem trunkenen Streit über Fußball, der bald vom Schimpfen auf die Regierung abgelöst wurde. Man war sehr unzufrieden mit dem Kanzler.

„Alles sitzt er aus, wa? Mann, kriecht ne Masse Jeld und quatscht dauernd von der ruhigen Hand und dass man nich auf Panik machen soll, wa, weil sonst allet den Bach runtergeht. Jetzt ham wa schon über fünf Millionen Arbeitslose, und et werden imma mehr, fast stündlich kannsse sagen. Und nu quatschen se ooch noch davon, dass se, um den ganzen Schisselameng an Schulden loszuwerden, die Penunzen entwerten müssen, wa? Und Kanzler „Wie hätten Sie es gern“ quatscht dauernd von verantwortungsvollem Handeln und moderiert, wie man so sagt, und für uns kommt nüscht dabei raus. Man kann ja sajen, wat man will – mit dem Schröder wär det allet nich passiert, der hätte das janze Gequatsche mit eenem eenzigen Basta beendet und sein Ding durchgezogen. Der hat wenigstens noch jeführt, wa? Abba wat tut dieser feine Spross einer Reederdynastie? Er quasselt wat von der deutschen Hausfrau und hält den Geldbeutel uff für die, die die janze Scheiße anjerührt ham. Und seinen Kumpels von den Banken, wa, hat er Milliarden in den Hintern jeblasen. Ja, und die großen Unternehmen? Wat meenste? Mensch, denen pudert der noch die Eier, weeste! Mensch hör doch uff, die sind doch alle mit dem Klammerbeutel gepudert! Diesen Scheißwohlfühlkanzler mit seinem lauwarmen Jequatsche, den könnense von mir aus in der Natronlauge ertränken, weesse!“

Die mit hochrotem Kopf herausgebellte Volksrede hielt ein schmächtiger kleiner Mann mit faltenreichem Gesicht, der seine Worte mit Faustschlägen auf die Theke begleitete, empathisch unterstützt von seinen Kumpels.

„Jawoll, gib’s ihm!“

Ja, auch die tüchtigen Deutschen hatten nun ihre Sorgen, dachte Kirilow. Die erneute Banken– und Weltwirtschaftskrise hatte sie voll erwischt. Der Export war wieder rückläufig, und ein Ende der Krise, vielfach prophezeit, stellte sich nicht ein. Die Deutschen, die ohnehin zu Wehleidigkeit, Selbstmitleid und Schwermut neigten, waren Krisen nicht gewohnt. Da sind wir Russen schon anders. Wir kennen nichts anderes als Krisen. Wenn es uns endlich einmal über lange Zeit gut ginge, würden wir es wahrscheinlich nicht aushalten.

Gegenüber, in Flemings Wohnung, ging das Licht an. Er war also heimgekommen.

Kirilow legte das Geld für sein Bier auf den Tisch und ging, ohne jemanden anzusehen, hinaus und über die Straße. Es störte ihn nicht, dass es anfing zu regnen. Schlechtes Wetter war gut für sein Geschäft.

2

Kommissar Huntinger an neuer Wirkungsstätte

Nun war er also Hauptkommissar der Berliner Kriminalpolizei. Er hatte sich in die Hauptstadt versetzen lassen, nicht weil er in Bochum zu wenig Arbeit gehabt oder weil ihn der junge Staatsanwalt wieder einmal genervt hatte, sondern weil er noch einmal eine Herausforderung suchte. Es war nicht einfach gewesen, von einem Bundesland in ein anderes zu wechseln, und der Amtsschimmel hatte kräftig gewiehert. Auch Berlin hatte ihn wegen seines Alters nicht gleich haben wollen, schließlich ging er bereits auf die Fünfzig zu. Er hatte ein paar Freunde einschalten müssen, die ihm noch einen Gefallen schuldig waren.

Charles Huntinger hatte ein breites, fleischiges Gesicht mit einem kräftigen weißen Schnauzbart. Er hätte als kerniges, gut aussehendes Mannsbild durchgehen können, wenn nicht diese pockennarbige Haut gewesen wäre, die ihm etwas Bedrohliches gab. Dazu kam ein einschüchternd mächtiger Körper, den man nur mit einigem Wohlwollen als kräftig bezeichnen konnte.

Er hatte in einem Plattenbau in der Leipziger Straße im obersten Stockwerk eine gemütliche Wohnung gefunden, die den Vorzug hatte, dass er die Dome des Gendarmenmarktes sehen konnte. Bereits am zweiten Tag in Berlin, noch bevor er offiziell den Dienst antrat, hatte er einen Mitbewohner bekommen: eine große weiße Katze mit einem löwenartigen trotzigen Gesicht. Dabei war er ein Hundefreund und mochte keine Katzen. Er hielt Katzen für ungesellig, arrogant und eingebildet, also nicht gerade für menschenfreundlich. Aber sie ließ sich durch sein brummiges Wesen nicht stören, stand jedes Mal, wenn er heimkam, vor seiner Wohnung und schlüpfte, wenn er aufschloss, wie selbstverständlich in den Flur. Dies wurde recht schnell zu einer Gewohnheit, und es begann sich langsam eine distanzierte Freundschaft zu entwickeln, die von den Launen Pulcinellas abhängig war. Er hatte sie so getauft, weil der Name vortrefflich zu ihrem divenhaften Wesen passte. Aber sie reagierte ohnehin nur selten auf seine Kommunikationsversuche. Sie blieb so eingebildet und arrogant, wie er sie eingeschätzt hatte, und nutzte ihn aus, und er ließ es sich gefallen, denn immerhin war sie jemand, der seine Nähe suchte. Und so war er schon bald höchst erschrocken, wenn sie ihn einen Tag mal nicht mit ihrer Gegenwart beehrte.

Zu allem Überfluss entpuppte sie sich rasch als ausgesprochene Lachsliebhaberin, was gehörig ins Geld ging. Aber sie half ihm, sich die ersten Tage in Berlin nicht so allein zu fühlen. Er telefonierte zwar jeden Abend mit seinem Freund, Untersuchungsrichter Steinbock, den er als Schachpartner schmerzlich vermisste, weshalb er gelegentlich sogar eine Partie über das Telefon mit ihm austrug, aber es fehlten ihm doch die Atmosphäre, der gute Cognac und die Gespräche über die Zeitläufe. Schlussendlich fühlte er sich ein wenig verloren in dieser großen Stadt. Als er den Dienst antrat, hatte man ihn auch nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Dies hatte ihm der Polizeipräsident gleich zu verstehen gegeben.

„Was zum Teufel hat Sie geritten, sich hierher versetzen zu lassen?“, fragte Krassel und sah den Pfeife rauchenden schwergewichtigen Mann in dem schlecht sitzenden Anzug unzufrieden an, um ihn im gleichen Atemzug darauf aufmerksam zu machen, dass man in den Amtsstuben nicht zu rauchen habe. Auf Krassels Gesicht war deutlich abzulesen, dass er die Planstelle, wie er es vorgehabt hatte, lieber mit einem jungen dynamischen Mann besetzt hätte, denn es war doch klar, dass dieser zweifellos erfahrene Mann seinen eigenen Kopf hatte und den neuen Methoden misstraute. Aber die Zeugnisse waren tadellos, wenn nicht sogar die besten, die er je bei einem Kommissar gesehen hatte. Seine Aufklärungsquote war so gut, dass er diesen Angaben nicht so recht trauen wollte. Hatte man diesen Huntinger in Bochum vielleicht sogar loswerden wollen? Wie war er auch angezogen! Mit Pfeifenasche auf dem Revers würde er nie zu einer Zierde des Kommissariats werden. Und auch der Name störte ihn, denn wie sprach man ihn aus? Huntinger oder Hantinger? Der Hauptkommissar verriet ihm ja nicht, wie er zu diesem Namen gekommen war, dass es seinen Vater, einen Schotten, nach Niedersachsen verschlagen hatte, wo er mit Walisern und Engländern nach dem Sieg des großen Monty zu den Besatzern – und manche sagten zu den Befreiern – gehörte und in einem Nest bei Wolfsburg zu einem Dorffest ging und sich in eine große blonde Deutsche verguckte und sie bald darauf schwängerte. Als sie ihren Sohn gebar, reparierte er schon längst wieder in seinen Highlands Spitfires, Triumphs, Rovers und Fords. Aber dann wollte er doch, dass sein Sprössling seinen Namen trug und unterstützte ihn auch finanziell. Dass er ihn und die blonde Germanin nicht zu sich holte, hatte seinen Grund darin, dass er dort in den Bergen bereits ein Weib mit drei Blagen hatte. Er hatte ihm also nur den Namen vererbt und für einen anständigen Vornamen gesorgt, der sogar für einen Kronprinzen gut genug gewesen war. Doch Charles Huntinger hatte von dem Highlander noch anderes geerbt: die robuste Natur und das Gespür des Jägers. Tatsächlich war Charles Huntingers Vater der Sohn eines Jägers.

Krassel unterdrückte ein Seufzen. Es nutzte nichts, er musste diesen Mann akzeptieren und ihm sein wichtigstes Ressort, die Mordkommission, anvertrauen, denn selbst aus dem Innenministerium hatte man signalisiert, dass man diesen Mann in Berlin haben wollte.

Behäbig, als würde ihn das Misstrauen des Polizeipräsidenten nichts angehen, saß Huntinger, die geöffneten fleischigen Hände im Schoß, wie ein Buddha vor ihm.

„Man muss von Zeit zu Zeit etwas Neues ausprobieren, und Berlin ist nun einmal die aufregendste Stadt in Deutschland“, begründete er gelassen seinen Versetzungswunsch.

„Sie suchen Aufregung?“, fragte Krassel gedehnt. „Solche Feuerfresser sind hier nicht gefragt. Wir brauchen Leute, die stinknormale Polizeiarbeit tun, die moderne forensische Methoden einzusetzen wissen, also mit moderner Kriminalistik vertraut sind.“

„Eben. Das habe ich gesucht. Stinknormale Polizeiarbeit.“

„Und die gibt es nicht in Ihrem Bochum?“

„Oh doch. Aber rein statistisch müsste in einer so großen Stadt wie Berlin stinknormale Polizeiarbeit noch mehr gefragt sein. Kurz: Je mehr Einwohner desto mehr Verbrechen. Das gab den Ausschlag.“

„Sie scheinen über erstaunliche Verbindungen zu verfügen. Sogar das Innenministerium hat sich für Sie eingesetzt“, brummte Krassel missmutig.

Huntinger wedelte vage mit der Hand.

„Na ja, in dreißig Dienstjahren lernt man eine Menge Leute kennen und manchmal sogar sehr wichtige.“

„Es steht in Ihrer Beurteilung, dass Sie manchmal zu unkonventionellen Methoden neigen und mit diesen sogar überaus erfolgreich sind.“

„Ja, wenn die konventionellen Methoden nichts bringen.“

„Das mögen wir hier nicht. Das mögen wir gar nicht! Bei uns halten wir uns streng an die Richtlinien und Gesetze.“

„Natürlich. Streng!“, sagte Huntinger.

Krassel sah misstrauisch hoch. Wollte ihm dieser Provinzler komisch kommen? Doch Huntingers Gesicht zeigte keine Regung.

„Sie werden ein gut eingespieltes Team übernehmen. Gute Leute, die aber eine strenge Hand verlangen.“

„Wie groß ist die Abteilung?“

„Ihnen unterstehen drei Kommissare. Pressel, Belsen und die Mäusel. Eine Kommissarin“, fügte er säuerlich hinzu. „Die Mäusel ist ein schwieriger Fall, eine von diesen … Feministinnen, wenn Sie wissen, was ich meine. Ist mit Ihrem Vorgänger überhaupt nicht klargekommen. Beschwerte sich dauernd, dass sie benachteiligt wird. Aber Sie wissen ja, wie das heute ist. Man muss sie ertragen. Die beiden anderen sind in Ordnung. Ach ja, da gibt es noch einen vielversprechenden Kommissarsanwärter, den sollten Sie aufbauen. Aus dem könnte etwas werden.“

„Gut. Was für Fälle sind am Laufen?“

„Ein Mord in Moabit, einer in Steglitz. Ein Überfall in Lankwitz, ein Beziehungsmord unter Türken in Kreuzberg. Das wäre es schon, was Ihre Abteilung betrifft. Ihre Leute werden Sie über alles andere unterrichten.“

„Sehen Sie, deswegen bin ich nach Berlin gekommen.“

„Weswegen?“, fragte der Polizeipräsident irritiert.

„In Bochum wäre es nur ein Fall gewesen.“

„Na schön. Ihrem Arbeitseifer werde ich mich ganz bestimmt nicht in den Weg stellen. Und nun wünsche ich uns eine erfolgreiche Zusammenarbeit!“

„Daran werde ich arbeiten!“, sagte Huntinger freundlich blinzelnd.

Das war es gewesen, und Huntinger war der Meinung, dass er den Einstieg ganz gut hinbekommen hatte, schließlich hatte er sich nicht anmerken lassen, dass er den Kerl nicht mochte. Er war sich bereits ziemlich sicher, dass sie miteinander Ärger bekommen würden, aber das war in Bochum auch nicht anders gewesen. Auch dort hatte er mit Vorgesetzten, die sich als Prinzipienreiter oder Karrieristen entpuppten, stets Ärger gehabt.

Anschließend hatte er die Mannschaft um sich versammelt, die Kommissare und seine zukünftige Sekretärin, Frau Kleinschmidt. Alle hatten sie wache Augen, was wohl verständlich war, wenn man einen neuen Chef bekam, zudem einen aus der Provinz, dem man deswegen ein wenig misstraute, der aber gleichwohl dadurch beeindruckte, dass alles massig an ihm war, die Statur, das Gesicht, die Schultern, die großen Hände.

„Wir werden zu einem guten Team zusammenwachsen, und bald werden Sie wissen, dass ich nicht so bärbeißig bin, wie ich aussehe. Wir werden gute Arbeit abliefern und die Verbrecher das Fürchten lehren!“, kündigte er an.

Ein Trompetenstoß, wie ihn weder einer seiner Vorgänger hinbekommen hatte, noch sich überhaupt getraut hätte, auch nur so etwas zu denken. Bei einem anderen hätten sie es vielleicht als Großsprecherei gewertet, aber diesem Mann mit der ständig erkalteten Pfeife in der Hand und einem Gesicht, so narbig und dunkelrot wie gegerbtes Leder, glaubten sie.

„Daran gilt es zu arbeiten, und dafür brauche ich Sie. Wenn jemand Ärger hat, kommt er zu mir. Wenn jemand Scheiße gebaut hat, werde ich ihm helfen, wenn er sich nicht allzu dusselig anstellt. Ihr könnt euch auf mich verlassen, wie ich mich auf euch verlasse. Wenn ich morgens schlecht gelaunt bin und euch das nicht gefällt, dann sagt es mir. Sollte ich eurer Meinung nach Scheiße bauen, werde ich mir dies auch anhören. Kurz: Wir werden uns jeden Tag bemühen, besser zu werden. Strengen wir uns also an!“

„Kegeln Sie, Chef?“, fragte Heiner Belsen, ein dickbäuchiger kleiner Mann mit einem runden Gesicht und Halbglatze.

„Nein!“, sagte Huntinger verdutzt.

„Dann werden wir es Ihnen beibringen. Wir sind jeden Freitagabend, wenn es die Arbeit erlaubt, auf der Kegelbahn.“

„Er ist unser Kegelchampion!“, erklärte Edgar Pressel, ein spindeldürrer Lulatsch mit einem pfiffigen Gesicht und roten Haaren.

„Na schön. Ich habe schon vieles in meinem Leben lernen müssen, also werde ich auch das lernen.“

„Trinken Sie gern mal ein Pils?“, insistierte Belsen weiter.

Nach seinen Fragen und seinem eifrigen Gesicht zu urteilen, schien es ihm vor allem wichtig zu sein, wie der Chef sich zum Freizeitverhalten stellte.

„Wenn es nicht nur eins ist,“ erwiderte Huntinger schmunzelnd.

„Wie spricht man Ihren Namen aus?“, warf die Kleinschmidt ein. „Huntinger oder Hantinger wie bei den Engländern?“

„Das ist mir wurscht. Reden Sie, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist.“

„Da mache ich es mir einfach. Für mich sind Sie der Chef“, krähte Belsen. „Ist schon mal gut, dass Sie gern ein Bierchen trinken. Unser letzter Chef war Antialkoholiker.“

„Nein. Ich habe nichts gegen ein Bierchen nach Feierabend“, bekräftigte Huntinger.

Es war nicht die ganze Wahrheit. Gut, er trank hin und wieder, wenn es heiß war, ein Pils. Aber lieber trank er einen guten Rotwein, sei er aus Bordeaux oder aus der Toskana, aber auch einen guten Barolo verschmähte er nicht, und dann war da noch, nach einem kräftigen Ärger, die Liebe zum Calvados. Aber diese kleine Schwäche zu offenbaren war ihm noch zu früh.

Dann setzte er sich mit Helga Kleinschmidt zusammen, die groß und sehr schlank, wenn nicht dürr war und ein freudloses Gesicht hatte, das sicher von viel zu vielen einsamen Stunden herrührte, aber, wie er aus den Personalakten ersehen hatte, seit zwanzig Jahren Sekretärin der Mordkommission war und als sehr tüchtig beurteilt wurde, also das Polizeipräsidium bis in die letzten Verästelungen kennen musste.

„Nun erzählen Sie mir mal: Wie ist die Truppe?“, sagte er, als sie allein zusammensaßen.

Er rührte dabei in seinem Kaffee, den sie ihm mitgebracht hatte und den er mit gehörig viel Zucker aufhübschte. Dabei war er eigentlich Teetrinker und bevorzugte Earl Grey und nicht Apfel–, Lindenblüten– oder sonst was für Tee. Seine Sekretärinnen mussten lernen, den Earl Grey mit möglichst viel Zucker und in genau der richtigen Stärke zuzubereiten. Tee war eine Leidenschaft, die er bei einem Austauschprogramm in London bei Scotland Yard schätzen gelernt hatte.

„Es sind gute Leute“, erwiderte sie loyal. „Ihr Vorgänger, Herr Bichler, wusste sie nur nicht zu nehmen. Er war magenkrank und ein wenig zu streng und nahm alles so ernst, der Gute. Und zum Schluss war er ein wenig verbittert, dass er von oben so wenig Anerkennung erfuhr. Darunter litten das Betriebsklima und die Aufklärungsquote. Aber wir alle haben trotzdem zu ihm gehalten. Pressel und Belsen sind schon sehr lange in der Abteilung.“

„Ja, sie sind bestimmt erfahrene Leute. Schließlich sind sie bereits Anfang Vierzig.“

„Ja. Nur die Maus ist relativ neu, ich meine Elke Mäusel. Sie ist erst achtundzwanzig. Ich bin achtunddreißig. Ich kam mit achtzehn hierher“, fügte sie hinzu und strich sich dabei den unattraktiven karierten Rock glatt.

„Wer ist der zuständige Untersuchungsrichter?“

„Das ist Siegmund Dremmler. Sie werden ihn heute Nachmittag kennenlernen. Ich habe bereits einen Termin für Sie gemacht. Nun, er ist jung und forsch und gilt als sehr tüchtig. Von der Sorte Hoppla, jetzt komm ich!. Der gute Bichler hatte einiges mit ihm auszuhalten.“

Das kann ja heiter werden, sagte sich Huntinger und dachte ein wenig wehmütig an seinen alten Freund und Schachpartner in Bochum, der ihm in seiner Funktion als Untersuchungsrichter so manches Mal hilfreich zur Seite gestanden hatte.

„Und wie sind die Staatsanwälte?“

„Auch alles junge Männer, fest entschlossen, schnellstens Karriere zu machen. Vorsehen müssen Sie sich nur vor Eduard Strenger, der scharfe Eddy, wie wir ihn nennen. Er will immer gleich die Kavallerie losschicken. Strenger versteht sich sehr gut mit dem Herrn Polizeipräsidenten. Sie werden ihn auch bei dem Gespräch mit Herrn Dremmler kennenlernen. Die beiden sind dicke Freunde. Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf?“

„Nur zu!“

„Dremmler und Strenger wollen Sie heute, nun drücken wir es so aus, tüchtig ins Kreuzverhör nehmen. Sie haben unverhohlen ihre Meinung geäußert, dass man auf diesem wichtigen Posten lieber einen jungen dynamischen Mann gehabt hätte und nicht – entschuldigen Sie, so wird es erzählt – einen alten Knacker aus der Provinz. Sie haben durchblicken lassen, dass sie Ihnen das Leben schwer machen wollen, damit Sie bald die Segel streichen.“

„Freut mich, dass Sie so offen mit mir sprechen. Das sollten wir immer so halten. Sie sind schließlich meine rechte Hand.“

„Ich bin mit den beiden arroganten Schnöseln auch schon öfter zusammengestoßen. Aber ich gehöre mittlerweile zum Inventar. Mit mir müssen sie leben. An mich wagen sich die beiden so schnell nicht ran. Schließlich bin ich im Betriebsrat der Polizeigewerkschaft.“

„Wir werden bestens auskommen“, erwiderte Huntinger schmunzelnd.

„Ach, noch etwas. Der Mäusel müssen Sie helfen. Sie ist eine gute Kraft. Aber sie ist überaus empfindlich und fühlt sich ständig benachteiligt. Ihr Vorgänger ist überhaupt nicht mit ihr klargekommen. Dabei ist sie sehr fleißig und klug, aber sie steht sich ständig selbst im Wege. Sie wird für Sie durchs Feuer gehen, wenn Sie sie zu nehmen wissen.“

„Danke. Das ist ein guter Hinweis. Ich hörte bereits, dass sie nicht so ganz einfach ist.“

„Ach? Sicher vom Polizeipräsidenten. Der kann sie nicht leiden, weil sie ihm in aller Öffentlichkeit widersprochen hat. Wie kann eine kleine Kommissarin auch dem großen Manitu widersprechen? Aber die Mäusel ist in Ordnung. Ich habe bereits einmal verhindert, dass sie zur Sitte abgeschoben wird. Aus der wird noch mal was.“

Dann informierte er sie kurz, wie er sich den Tagesablauf wünschte, wann er die Post sehen wollte, wann die „Kleine Lage“ fällig war und welche Eigenheiten er hatte. Sie nahm es hin, als habe sie all dies erwartet, und nach ihrer Miene zu urteilen, war sie mit dem, was sie hörte, sehr zufrieden. Selbst als er sie bat, sich um den Earl Grey zu kümmern und ihn nicht zu lange ziehen zu lassen, nickte sie wie selbstverständlich zustimmend.

„Und wenn Sie rauchen wollen, rauchen Sie nur!“, forderte sie ihn auf und deutete auf seine kalte Pfeife. „Ich rieche Pfeife gern. Rauchen ist zwar offiziell verboten, aber ich mache dann gleich das Fenster auf, und dann wird es schon gehen.“

„Ja, die Reglementierlust dieser Generation kennt keine Grenzen. Als Nächstes werden sie uns noch eine gute Schweinshaxe verbieten und den Alkohol und was weiß ich was sonst noch“, stöhnte Huntinger, der seine neue Sekretärin immer sympathischer fand; da hast du wirklich einen Glücksfang gemacht, dachte er zufrieden.

Dann ließ Huntinger Pressel kommen, dessen Kleidung so aussah, als hätte er gerade die Währungsreform erlebt. Der Anzug schlackerte um sein dürres Gestell, und die Nase stach spitz aus dem ausgemergelten Gesicht. Pressel informierte ihn knapp und professionell über den Stand der anstehenden Fälle und wie man ganz allgemein die Schlagkraft der Abteilung verbessern könnte.

„Na ja, eine Revolution kann man hier im Kommissariat nicht durchführen. Es ist alles ein wenig eingeschliffen, und jeder Änderungsvorschlag scheitert an denen dort oben. Wir würden viel effektiver arbeiten, wenn wir uns nicht dauernd nach oben absichern müssten.“

Er wies mit dem Finger auf das Stockwerk über ihnen.

„Sie haben alle Schiss vor den Medien. Entweder greifen wir zu lasch durch oder zu scharf. Auf jeden Fall haben wir immer den Schwarzen Peter. Und der Oberboss läuft ständig mit zugekniffenem Arsch herum. Am liebsten sind denen da oben die Fälle, wo man den Täter mit einem Schuldgeständnis an den Staatsanwalt abliefert. Zudem erschwert es die Arbeit, dass wir hier in Berlin ständig unter Beobachtung stehen. Jeder hat einen Spezi im Bundestag oder gar im Regierungsapparat, und ständig sind hier alle in Aufregung, weil die Medien geil auf Nachrichten sind. Umso unangenehmer und schlimmer, desto besser.“

Huntinger nickte zustimmend und dachte besorgt: So ist das in dieser Republik, seit man das provinzielle, doch gemütliche Bonn verlassen hat und die Medien wie die Frösche um den Teich hocken und zum Kanzleramt und zum Reichstag hinüberstarren und darauf warten, eine möglichst dicke Fliege zu erwischen.

Huntinger öffnete das Fenster und stopfte sich die Pfeife. Pressel stöhnte erleichtert und holte eine Schachtel Gitanes aus der Tasche. Eine Weile rauchten sie schweigend, und es stellte sich ein gewisses Grundeinverständnis heraus. Es war schon klar, dass sie miteinander auskommen würden.

„Gibt es einen Giftpilz in unserer Umgebung?“, fragte Huntinger offen und drehte sich zu Pressel.

Pressel nickte düster.

„Ich will keinen in die Scheiße reiten. Kriegel macht ständig Ärger. Er war heute Morgen nur nicht dabei, weil er bei der Staatsanwaltschaft Bericht erstatten musste. Man sagt, dass unser Kriminalkommissaranwärter nach oben, nun ja, einen sehr guten Draht hat. Jeder passt auf, was er in seiner Gegenwart sagt. Aber, wie gesagt, machen Sie sich selbst ein Bild. So sieht’s aus. Kein schöner Land in dieser Zeit, wie es so schön heißt.“

„Noch etwas?“

„Unser Fuhrpark ist lausig. Gar nicht daran zu denken, dass wir bei einer Verfolgungsjagd eine Chance hätten. Wissen Sie, Chef, alles ist so … mittelmäßig geworden. Unsere Arbeit, unsere Mittel und unsere … Nun ja, die dort oben. Die Zeit des Rock’n Roll ist vorbei.“

„Verstehe!“

Der Kommissar ging zu seinem Schreibtisch, ergänzte seine Notizen und kringelte das Wort Fuhrpark ein.

Das Gespräch mit dem dicken, kleinen Belsen bestätigte seinen ersten Eindruck. Belsen war jemand, dem seine Gemütlichkeit über alles ging, der vor allem seinen Feierabend schätzte und den seine vielen Hobbys völlig in Beschlag nahmen. Obwohl er vorlaut und nicht sehr helle war, war er im Grunde ein loyaler Mitarbeiter.

Dann ließ er Elke Mäusel kommen, die alle nur Maus nannten, wie er von der Kleinschmidt erfahren hatte. Sie war klein, und in früheren Zeiten hätte man sie einen Blaustrumpf genannt. Ein gedrungener Körper mit einem beachtlichen Busen, über dem ein Engelsgesicht mit langem, blondem Haar thronte, mit den blauesten Augen, die er je gesehen hatte. Irgendwie hatte sich der Herrgott bei der Zusammenstellung dieses Menschen vertan. Sie hatte ein bezauberndes Lächeln, das sie viel zu selten einsetzte. Auf den ersten Blick wirkte sie plump, und ihre sackartigen Kleider verbesserten nicht gerade diesen Eindruck. Make–up hielt sie wohl für Teufelswerk, und ihre schönen Augen zeigten meist Trotz, Ablehnung oder gar Empörung.

Mit zusammengedrückten Beinen saß sie vor ihm. Im trotzigen, fast pampigen Ton berichtete sie ihm von dem Fall, an dem sie gerade arbeitete. Er musste ihr fast jede Information aus der Nase ziehen. Huntinger versuchte sie locker zu machen, indem er sich gemütlich zurücklehnte und die Pfeife anzündete, was sie missbilligend beobachtete. Sie setzte mehrmals an und platzte dann heraus:

„Rauchen ist in den Amtsräumen untersagt.“

Huntinger nickte und paffte weiter.

„Es stört Sie also.“

„Ja. Es stört mich. Die Kollegen halten sich auch leider nicht an das Rauchverbot, und wenn Sie jetzt auch noch …“

„Na schön. Wenn es Sie stört!“, sagte Huntinger und legte die Pfeife auf den Schreibtisch. „Sie wird gleich ausgehen. Ich werde mir Mühe geben, in Ihrer Gegenwart nicht zu rauchen.“

Sie schwieg verstockt.

„Wie fühlen Sie sich in der Abteilung?“

„Schlecht!“, trotzte sie weiter. „Die Kollegen sind alle Chauvis … Machos! Aber das liegt nicht nur an ihnen, sondern an dieser Scheiß–Macho–Gesellschaft, die uns Frauen einfach nicht hochkommen lassen will!“

„Ja, Frauen müssen immer noch doppelt so gut sein, wenn sie sich in einer Männergesellschaft wie bei der Polizei durchsetzen wollen.“

„Ist das gerecht?“, fragte die Mäusel.

„Nein. Aber ich werde an Ihre Leistungen den gleichen Maßstab anlegen wie an Ihre männlichen Kollegen. Es spricht für Sie, dass Sie es in so jungen Jahren bereits zur Kommissarin gebracht haben. Mein Respekt!“

„Sehen Sie, was ist daran so ungewöhnlich? Das ist doch auch nur ein männliches Vorurteil. Ich bin so gut wie die anderen und vielleicht sogar noch besser, das müsste doch reichen.“

„Das müsste reichen!“, stimmte Huntinger zu. „Aber vielleicht gehen Sie ja auch ein wenig streng mit uns Männern um. Wir sind auch keine vollkommenen Wesen.“

„Ha!“, fauchte sie und warf den Kopf hoch.

Huntinger wusste, dass er mit ihr ein Sorgenkind haben würde. Sorgenkind nicht wegen ihrer Intelligenz oder ihres Fleißes, sondern wegen der Probleme, die sie mit sich herumschleppte.

„Ich verspreche Ihnen, dass ich mir Mühe geben werde, Sie wie alle anderen zu behandeln“, betonte Huntinger noch einmal. „Und wenn Sie sich einmal ungerecht behandelt fühlen, dann sagen Sie es mir … unter vier Augen. Ich möchte nicht vor den anderen mit Ihnen Wortgefechte führen. Verstehen wir uns?“