All These Broken Strings - Lana Rotaru - E-Book
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Lana Rotaru

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Beschreibung

**Rockstar-Liebe zwischen Erfolg und Vergangenheit** Seit dem Tod ihres Großvaters verbindet die einst leidenschaftliche Songwriterin MacKenzie mit der Musik nichts als Schmerz. Einzig sein Vermächtnis, das Camp Melody, spendet ihr Trost. Als sie jedoch erfährt, dass das Ferienlager für Musikbegabte inmitten der Natur Montanas nicht mehr genug Gewinn einbringt, will sie es um jeden Preis retten. Wäre der Schlüssel dazu nicht ausgerechnet Vincent Kennedy, ihr ehemaliger Mitcamper mit den stechend blauen Augen – der Mann, der damals mit ihrem gemeinsam geschriebenen Song über Nacht zum Star wurde …  »Die Melodie war so unglaublich dunkel und melancholisch, die Lyrics voller Herzschmerz. Fast hatte es den Anschein, als hätte Vincent beim Komponieren tief in mein Innerstes geblickt und wiedergegeben, was er dort sah.« (Textauszug) //»All These Broken Strings« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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ImpressDie Macht der Gefühle

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Lana Rotaru

All These Broken Strings

**Rockstar-Liebe zwischen Erfolg und Vergangenheit**

Seit dem Tod ihres Großvaters verbindet die einst leidenschaftliche Songwriterin MacKenzie mit der Musik nichts als Schmerz. Einzig sein Vermächtnis, das Camp Melody, spendet ihr Trost. Als sie jedoch erfährt, dass das Ferienlager für Musikbegabte inmitten der Natur Montanas nicht mehr genug Gewinn einbringt, will sie es um jeden Preis retten. Wäre der Schlüssel dazu nicht ausgerechnet Vincent Kennedy, ihr ehemaliger Mitcamper mit den stechend blauen Augen – der Mann, der damals mit ihrem gemeinsam geschriebenen Song über Nacht zum Star wurde …

Buch lesen

Vita

Danksagung

© Anna Constanty

Lana Rotaru verliert sich seit frühester Kindheit nur zu gern in Büchern. Es ist also kein Wunder, dass sie inzwischen selbst Geschichten verfasst. Wenn sie nicht gerade an neuen fantastischen und romantischen Werken arbeitet, verbringt sie ihre Zeit am liebsten mit ihrem Mann und ihrem Sohn an der frischen Luft, wo sie neue Kraft und Inspiration findet.

Für zweite Chancen und die Liebe.

Und für Anja. Du hast jeden Schritt dieser Geschichte von der ersten Sekunde an begleitet. Danke, dass du in mein Leben getreten bist und entschieden hast zu bleiben. Du bist meine Sadie.

MACKENZIE

Mein Grandpa sagte immer: »Leben heißt nicht, warten, bis der Sturm vorüberzieht, sondern lernen, im Regen zu tanzen.« Ich hatte diesen Satz sehr oft von ihm gehört, aber niemals wirklich begriffen. Erst als jene Weisheit zum Songtitel meines eigenen Lebens wurde, hat sich das geändert.

Aber damit ihr versteht, wovon ich rede, sollte ich wohl am Anfang der Geschichte beginnen …

One Direction

Camp Melody, Montana, USASechs Jahre zuvor

MACKENZIE

»Klopf, klopf.« Ein warmes, weiches Timbre erklang anstelle des typischen Fingerknöchel-auf-Holz-Geräusches, als ein vertrauter dunkelhaariger Lockenschopf in der geöffneten Tür meiner Holzhütte auftauchte. »Störe ich?«

Beim Anblick des Überraschungsgastes wanderten meine Mundwinkel gen Ohren.

»Nein, komm ruhig rein.« Ich zog den Reißverschluss meiner Reisetasche zu. »Ich bin gerade fertig geworden.«

Vincent folgte meiner Einladung. Wie ich es nicht anders von ihm gewohnt war, trug er eine beigefarbene Cordhose, ein dunkles, locker sitzendes Band-T-Shirt und darüber ein offenes rot kariertes Flanellhemd. In Kombination mit dem schwarzen Stofftuch, das stets um sein linkes Handgelenk gewickelt war, der verbeulten und inzwischen leicht verwaschen aussehenden Beanie auf seinem Kopf und der schwarz gerahmten Brille auf seiner Nase erinnerte er mich an eine Mischung aus Hipster und Rockstar.

»Womit bist du gerade fertig geworden?« Vincent durchquerte die rund dreißig Quadratmeter große, aus Rundhölzern erbaute Blockhütte und ließ sich auf die zerwühlten Laken meiner Mitbewohnerin Dakota Kinley fallen.

Da Dakota und ich uns gemeinsam mit Sadie, meiner besten Freundin, eine der wenigen Behausungen ohne Doppelstockbetten teilten, wurde der überschaubare Raum mit den drei aus schlichten Holzbettgestellen und dünnen Matratzen bestehenden Schlafplätzen, dem einfachen Schreibtisch unter dem kleinen Fenster und dem Kleiderschrank auf der anderen Seite fast vollständig ausgereizt. Dennoch mochte ich die warme, urige Atmosphäre, die das viele Tannenholz in Kombination mit den altmodischen Gardinen, die zu der karierten Bettwäsche passten, ausstrahlte. Granny hatte sich sehr viel Mühe gegeben, die Hütten so heimelig und wohnlich wie möglich zu gestalten, sodass man sich trotz der zum Teil enormen Entfernung zum eigenen Zuhause nicht völlig verloren fühlte.

Vincent entdeckte meine prall gefüllte Reisetasche und seine Augenbrauen schossen in die Höhe. »Du hast schon gepackt? Wieso das denn? Abreise ist doch erst morgen nach dem Frühstück.«

Obwohl ich mich am liebsten neben ihn gesetzt hätte, ließ ich mich auf meine eigene Matratze nieder und kreuzte die Beine zu einem Schneidersitz. Den Saum meines gelb geblümten Sommerkleides drapierte ich geschickt über meine Knie und begann automatisch an dem goldenen Notenschlüssel zu spielen, der an einer Kette um meinen Hals hing. Beides hatten mir meine Eltern zu meinem letzten Geburtstag geschenkt.

»Du sagst es! Morgen ist Abreisetag. Da haben die Angestellten des Camps immer besonders viel zu tun. Und auch wenn Granny und Pops mich niemals darum bitten würden, möchte ich ihnen und den anderen so viel wie möglich zur Hand gehen, ehe mich Mom abholt.« Meine Worte klangen melancholischer als beabsichtigt. Gleichzeitig spiegelten sie nicht ansatzweise die Traurigkeit wider, die ich in diesem Moment empfand.

Den Fokus auf meine ehemals schneeweißen Chucks gerichtet, ließ ich meine Kette los und strich über die bunten Buchstaben und Symbole auf dem hellen Stoff. Im Laufe des Sommers hatte ich alle meine Camp-Freunde gebeten, sich auf meinen Schuhen zu verewigen, sodass sie nun von verschiedenen Namen, Sprüchen oder Zeichen geziert wurden. Nur bei dem Jungen, der mir von allen Campern am wichtigsten war, hatte ich mich bisher nicht getraut – und ich bezweifelte, dass ich bis zum offiziellen Camp-Ende morgen früh die Courage dafür finden würde.

Vincent senkte ebenfalls den Blick und ich war mir sicher, dass ihm dieselben Gedanken durch den Kopf jagten wie mir: Heute war nicht nur der letzte Abend des diesjährigen Campsommers, für ihn würde auch eine Camp-Ära zu Ende gehen. Er war vor wenigen Tagen achtzehn geworden und würde nächstes Jahr nicht mehr ans Camp Melody zurückkehren können.

Stille breitete sich in der Hütte aus, doch ich empfand sie nicht als unangenehm. Im Gegenteil sogar. Es gab nicht viele Leute, mit denen ich schweigen konnte, ohne dass es merkwürdig wurde. Vincent war einer von ihnen, weshalb die Vorstellung, nie wieder die Gelegenheit dazu zu bekommen, mir Luftnot bereitete.

Warum musste ich mein fünfzehnjähriges Teenagerherz auch ausgerechnet an ihn verlieren?! Das war nicht fair!

Obwohl ich Vincent seit inzwischen drei Campsommern kannte und wir uns von Beginn an super verstanden hatten, war mir das Funkeln in seinen ozeanblauen Augen in diesem Jahr zum ersten Mal so richtig aufgefallen.

Er räusperte sich und riss mich aus meinen Gedanken.

»Ich wollte eigentlich auch nur nachschauen, wie es dir geht. So kurz vor unserem Auftritt, meine ich«, fügte er hinzu und schenkte mir ein schüchternes Lächeln.

Ich zwang mich, die Geste zu erwidern. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, dass Vincent den wahren Grund herausfand, weshalb ich ihn zu Beginn des Sommers gefragt hatte, ob er gemeinsam mit mir beim Final Jam, dem berühmten Abschluss-Event des Camps, auftreten wollte. Die Schar überaktiver Schmetterlinge, die jedes Mal in meinem Bauch eine Party à la Woodstock veranstaltete, wenn Vincent mich anlächelte und dabei diese anbetungswürdigen Grübchen zur Schau trug, war ein Geheimnis, das ich nur mit Sadie teilte.

»Du weißt doch, der Begriff ›Lampenfieber‹ existiert nicht in meinem Wortschatz«, gab ich betont lässig zurück, strich mir eine Strähne meiner blonden Haare hinters Ohr und lehnte mich anschließend mit hinter dem Rücken ausgestreckten Armen zurück. »Du musst dir also keine Sorgen machen, dass ich kneife.«

Vincent erwiderte mein Lächeln. Er wusste, dass meine Worte der Wahrheit entsprachen. Seit meine Großeltern das Camp vor fünfundzwanzig Jahren eröffnet und es von da an mit Liebe und Hingabe geführt hatten, war kein Sommer vergangen, in dem ich nicht hier gewesen war. Meinen ersten Auftritt auf der hiesigen Bühne hatte ich mit drei Jahren gehabt – kein Wunder, denn mein Grandpa hatte mir die Leidenschaft für Musik in die Wiege gelegt. Der Mann, der von jedem liebevoll »Pops« genannt wurde, hatte mich und meinen Traum, eine berühmte Sängerin zu werden, von meiner ersten schief gesungenen Note an in einem Maß unterstützt, für das es keine Worte gab. Ich verdankte ihm so viel mehr als nur meine erste Gitarre.

»Das freut mich zu hören«, sagte Vincent mit seiner ihm so eigenen Stimme, die nicht nur unglaublich weich und gleichzeitig voll, tief und rein klang, sondern die in mir auch die Assoziation von Erdbeereis mit Schokosoße weckte und meinen Puls jedes Mal in die Basstrommel von Eric Carr verwandelte. In meinen Augen war Vincent Kennedy schlichtweg die Grunddefinition eines Traumtypen. Leider war diesem Gedanken die Problematik geschuldet, dass mir allein bei der Vorstellung, heute Abend mit ihm unser selbst komponiertes Lied zu performen, die Kehle eng wurde.

»Ich bin übrigens echt froh, dass du mich gefragt hast, ob wir zusammen einen Song komponieren wollen«, sagte Vincent plötzlich, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Es ist ein überaus beruhigender Gedanke, dass es hier im Camp tatsächlich noch Mädchen gibt, die immun gegen Jamies vermeintlichen Charme sind.«

Seine Züge erweichten und in seine Augen trat ein warmer, liebevoller Ausdruck. Sadie behauptete, dass so nur ein verliebter Junge dreinschaute. Aber wir wussten beide, dass sie das nur sagte, weil sie meine beste Freundin war. Für Vincent war ich nicht mehr als eine Camp-Kumpeline. Wäre es anders gewesen, hätte er beim Komponieren am See, bei den gemeinsamen Abenden am Lagerfeuer oder bei einer der vielen anderen Camp-Aktionen die Gelegenheit gehabt, mir das zu zeigen. Aber das hatte er nicht getan und ich musste es schweren Herzens akzeptieren.

Als Antwort auf Vincents Worte stieß ich ein lautes Prusten aus, das von deutlichen Würgegeräuschen abgelöst wurde. Jamie Owen war der mit Abstand arroganteste Typ hier im Camp – aber mit seinem Boyband-Surfer-Look und dem perfekten Zahnpastawerbelächeln leider auch der beliebteste. Dabei verstand ich nicht, wieso ihn die ganzen Mädchen anschmachteten. Abgesehen davon, dass sein Ego größer war als der Mount Rushmore, würde er sich nicht einmal nach hundert Jahren Gesangsunterricht so gut anhören, wie Vincent es bei seinen Stimmübungen tat.

Meine Reaktion ließ Vincents Lächeln strahlender werden. Am liebsten hätte ich mir die Hand auf die Brust gepresst. Wie war es möglich, dass ein und dasselbe Herz zur gleichen Zeit vor Liebe überquellen und vor Schmerz zu zerbrechen drohen konnte?

»Na gut, dann will ich dich nicht länger stören.« Vincent erhob sich von Dakotas Bett. Sie war die Einzige von uns drei Mädchen, die ihre Laken nie ordentlich herrichtete. Es sah immer aus, als wäre sie gerade erst aufgestanden, weshalb es auch nicht auffallen würde, dass Vincent dort gesessen hatte. »Der Final Jam beginnt ja schon in einer Stunde und ich habe Hendrik versprochen, zuvor noch einmal seine Performance mit ihm durchzugehen.«

Er steuerte die offen stehende Hüttentür an, warf mir jedoch einen letzten Blick zu, als lastete ihm noch etwas auf der Seele.

Wollte er mich vielleicht um meine Handynummer bitten? Da Vincent fast zweihundert Meilen von meiner Heimatstadt Bozeman entfernt wohnte, wäre das die einzige Möglichkeit für uns, in Zukunft in Kontakt zu bleiben. Aber was es auch gewesen war, das ihn noch einmal hatte zu mir herübersehen lassen, blieb sein Geheimnis. Ohne ein weiteres Wort von sich zu geben, verließ er meine Hütte – und bekam gar nicht mit, dass ihm mein Herz als blinder Passagier folgte. Währenddessen raste in meinem Kopf ein einziger Gedanke in Dauerschleife umher: Verflixter Kuhmist! Wie kann man nur so unfassbar feige sein?

VINCENT

Verdammt! Wie kann man nur so unfassbar feige sein?

Dieser Gedanke raste seit über einer Stunde in Dauerschleife durch meinen Verstand. Selbst als ich meine Stirn wiederholt gegen einen der hinteren Holzpfähle der Open-Air-Bühne schlug, der glücklicherweise in Schatten gehüllt lag und damit vor den Augen des Publikums verborgen war, wollte das Karussell in meinem Schädel nicht stoppen.

Wieso kann ich MacKenzie nicht einfach gestehen, dass ich mich in sie verliebt habe?

War es wirklich so schwer, jemandem zu beichten, dass sich die eigenen Gefühle im Laufe der letzten Wochen verändert hatten? War das nicht ein riesiges Kompliment?

Vielleicht wäre es das gewesen, wenn es nicht von einem Typen gekommen wäre, der bisher in seinem Leben nur von zwei Frauen geküsst worden war: seiner Mom und seiner Grandma.

Hinzu kam, dass MacKenzie Jordan das witzigste, begabteste und schönste Mädchen im gesamten Camp war. Mit ihren strahlend mitternachtsblauen Augen, den langen goldblonden Haaren und der zierlichen Figur sah sie nicht nur aus wie ein Engel, sie besaß auch die Stimme eines solchen Himmelsgeschöpfes – von ihrem Talent beim Schreiben von Songtexten ganz zu schweigen!

Tosender Applaus rollte vom Publikum über die Bühne hinweg und riss mich aus meinen Gedanken. Sofort richtete ich mich auf und schaute an den Lautsprecherboxen vorbei auf das in Rampenlicht gehüllte Podest. Rund fünfzig Camper tummelten sich davor und nutzten den lauen Sommerabend, um sich enthusiastisch den Final Jam anzuschauen. Solarbetriebene Gartenfackeln, bunte Lampions und Lichterketten in den Bäumen sowie ein großes Camp-Melody-Banner, das quer über dem Showbereich angebracht war und von Scheinwerfern beleuchtet wurde, untermalten die feierliche Atmosphäre des heutigen Abends. Nicht zum ersten Mal in diesem Sommer wünschte ich mir, dass meine Eltern heute hätten hier sein können. Aber leider gab es auf dem Campgelände keine Übernachtungsmöglichkeit für Gäste und sie würden bereits morgen die mehrstündige Fahrt auf sich nehmen müssen, um Hendrik und mich abzuholen. Außerdem war es vermutlich sogar besser, wenn mich meine Mom nicht auf der Bühne sah. Ihr Stolz bezüglich ihres, laut ihren eigenen Worten, extrem talentierten Sohns konnte manchmal ziemlich peinliche Ausmaße annehmen.

Mich umsehend registrierte ich mit Erschrecken, dass sämtliche Show-Acts, die vor MacKenzie und mir dran gewesen waren, bereits performt hatten.

Wir waren als Nächste an der Reihe!

Hastig schluckte ich meine Nervosität herunter und wagte mich mit weichen Knien aus meinem Versteck. Die anderen Camper, die auf ihren eigenen Auftritt warteten, hatten sich am Seitenrand der Bühne eingefunden, also gesellte ich mich zu ihnen. Hier würde mich MacKenzie am leichtesten finden.

Apropos MacKenzie …

Wo war meine Duettpartnerin?

Mit gerunzelter Stirn scannte ich den in Dämmerlicht gehüllten Backstagebereich ab. Ich war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie den Final Jam von diesem Rasenplatz aus verfolgen würde, da dies die einzige Möglichkeit war, über eine kleine Treppe hoch zum Showbereich zu gelangen. Dabei, so wurde mir in dieser Sekunde bewusst, hatte ich sie seit meinem Besuch in ihrer Hütte nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Nervös rieb ich mir den Nacken. Eigentlich war es nicht ungewöhnlich, dass MacKenzie für gewisse Zeit verschwand. Ich wusste, dass sie es liebte, den Camp-Angestellten bei jeder sich bietenden Gelegenheit unterstützend unter die Arme zu greifen. Aber doch nicht heute Abend. Nicht, wenn unser Auftritt unmittelbar bevorstand. Oder?

Sofort verfluchte ich mich dafür, dass ich sie nicht nach ihrer Handynummer gefragt hatte. Sonst hätte ich sie jetzt anrufen können.

»Danke! Ich danke euch! Ihr seid die Besten!« Mein Kumpel Hendrik stand mit weit ausgebreiteten Armen vor seinem Publikum und sonnte sich mit einem fetten Grinsen im Gesicht im Sound seines Erfolgs. Er gehörte ebenso wie MacKenzie zu den Personen, die für das Showbusiness geboren waren, weshalb ich jede Wette eingegangen wäre, dass er später für irgendwelche Megastars als Backgroundtänzer arbeiten würde. Das nötige Talent dafür besaß er allemal.

»Na, wen haben wir denn hier?« Dakota Kinley, MacKenzies Hüttenmitbewohnerin und das beliebteste Mädchen im gesamten Camp, erschien vor mir, gerade als ich mich auf die Suche nach meiner Gesangspartnerin machen wollte. Mit ihren mahagonifarbenen Locken, den großen grünen Augen und den vollen Lippen war Dakota der Traum vieler Männer. Doch im Gegensatz zu den gängigen Klischees war sie kein zickiges Biest, sondern wirklich nett und herzlich. Ich mochte sie ehrlich gern.

»Ungeduldig wegen deines großen Auftritts?« Schmunzelnd deutete sie auf meine Finger, mit denen ich gedankenverloren auf meinen Oberschenkeln trommelte. »Oder mache ich dich so nervös?« Sie zwinkerte mir zu, was mir ein verlegenes Lachen entlockte.

»Eine Mischung aus beidem vielleicht?« Ich schob meine Hände in die Taschen meiner Hose und scannte erneut die Menge vor und neben der Bühne ab. Doch ganz gleich wie gründlich ich dabei auch vorging, MacKenzie war weit und breit nicht zu sehen.

»Wow, jetzt fühle ich mich aber geschmeichelt.« Dakota lachte leise, weshalb ich mich wieder zu ihr herumdrehte.

Am liebsten hätte ich meine Suche nach MacKenzie fortgeführt, aber ich wollte Dakota auch nicht vor den Kopf stoßen. Außerdem würde MacKenzie, wo auch immer sie gerade steckte, unweigerlich an mir vorbeimüssen, wenn sie auf die Bühne wollte. Aus diesem Grund wäre es am besten, wenn ich einfach hier auf sie wartete.

»Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass du uns alle nach heute Abend einfach vergisst«, sprach Dakota weiter und lächelte mich auf warme Weise an. »Wenn du ein berühmter Rockstar geworden bist, meine ich.«

Dieses Mal war ich derjenige, der ein leises Lachen nicht zurückhalten konnte. Ein berühmter Rockstar? Ich? Na klar! Und morgen stünde überall in der Zeitung, dass Schweine fliegen konnten.

Dabei war die Wahrscheinlichkeit, nach einem Auftritt beim Final Jam in der Musikbranche Fuß zu fassen, gar nicht so abwegig. Seit Jahren luden Granny und Pops ausgewählte Musikagenten ein, um den Campern die Gelegenheit zu geben, Kontakte zu knüpfen. Meines Wissens waren auf diese Weise seit Gründung des Camps fast ein Dutzend wirklich talentierte Sänger und Sängerinnen entdeckt worden, von denen man selbst heute noch hörte. Es war also kein Wunder, dass das Sommerprogramm stets viele Monate im Voraus ausgebucht war. Jedes musikbegeisterte Kind im Alter von sechs bis achtzehn träumte davon, hierherkommen zu dürfen.

Leider gehörte ich zu der Sorte Camper, die die Aussicht abschreckte, einen der Agenten auf sich aufmerksam zu machen, weshalb ich in der Vergangenheit nie bei einem der Abschluss-Events mitgemacht hatte. Allein MacKenzie war es geschuldet, dass ich mich dieses Jahr trotz Bauchschmerzen und Herzrasen auf die Bühne wagen würde. Denn im Gegensatz zu mir war es nicht nur ihr größter Traum, eines Tages eine berühmte Sängerin zu werden, es war ihr Schicksal.

Ich schüttelte zur Antwort auf Dakotas Worte den Kopf. »Was das angeht, musst du dir bei mir keine Sorgen machen. Ich liebe es zwar, auf meiner Gitarre zu spielen und neue Musik zu kreieren, aber das war’s auch schon. Der Traum, Rockstar zu werden, steht auf meiner ›Was will ich werden, wenn ich groß bin‹-Liste nicht sehr weit oben.«

»Nicht?« Dakota wirkte verblüfft, konnte ihre Meinung diesbezüglich aber nicht weiter erläutern, da soeben Carmen, eine der Kursleiterinnen, die Bühne betrat. Sofort schenkten ihr alle Anwesenden ihre Aufmerksamkeit. Nur ich konnte der Lobeshymne auf Hendriks Auftritt nicht konzentriert lauschen. Die Frage, wo MacKenzie blieb, ließ mir einfach keine Ruhe.

»Was ist los?« Dakota schien meine Anspannung nicht zu entgehen. »Hast du einen Blackout und kennst euren Songtext nicht mehr? Oder hast du vergessen, wie du deine Gitarre halten sollst?« Sie stieß mir frech grinsend den Ellbogen in die Seite.

»Um ehrlich zu sein, suche ich MacKenzie. Wir sind als Nächste dran, aber ich kann sie einfach nirgends entdecken.«

»Oh.« Dakotas Augen weiteten sich und ein undefinierbarer Ausdruck zeichnete sich auf ihrer Miene ab. »Das ist … ja ärgerlich.«

Die Art und Weise, wie sie das letzte Wort aussprach, ließ mich hellhörig werden.

»Was ist los?«, fragte ich alarmiert.

Der Ausdruck auf ihrem Gesicht verstärkte sich. Sie wirkte merkwürdig betroffen. »Na ja, ich hatte eigentlich nichts sagen wollen, weil ich weiß, wie sehr du Mac magst, und …«

Mein Magen zog sich zusammen. Als wäre es nicht peinlich genug, dass meine Gefühle für MacKenzie kein so gut gehütetes Geheimnis waren, wie ich angenommen hatte, bestätigten Dakotas Worte meine unheilvolle Vorahnung. Irgendetwas stimmte nicht.

»Los, sag schon«, drängte ich, angeheizt durch Carmens schwärmende Anmoderation von MacKenzies und meinem Song. Gleichzeitig bemerkte ich aus den Augenwinkeln vereinzelte Camper, die in unsere Richtung sahen und hinter vorgehaltener Hand miteinander tuschelten. Ich wollte lieber nicht wissen, worüber sie sprachen.

»Was verheimlichst du mir?«, hakte ich mit gesenkter Stimme nach und sah Dakota flehend an. Wir waren Freunde. Sie konnte mich unmöglich einfach hängen lassen.

Dakota biss sich auf die Lippe und ich las ihr in den Augen ab, dass sie mit sich rang. Doch dann ließ sie mit einem Seufzen die Schultern herabsacken. »Ich habe MacKenzie vor wenigen Minuten hinter unserer Hütte gesehen. Mit Jamie. Sie haben miteinander rumgemacht.«

»Wie bitte?« Meine Augen weiteten sich. »Du hast MacKenzie und Jamie …?« Meine Sicht begann zu verschwimmen und mir war auf einmal ganz flau im Magen.

MacKenzie und … Jamie?!

Nur langsam bahnte sich die Erkenntnis einen Weg in mein Bewusstsein. Doch als ich schließlich realisierte, was Dakota da von sich gegeben hatte, ballten sich meine Hände zu Fäusten und ich musste meine Lippen fest aufeinanderpressen, um keinen wüsten Fluch auszustoßen.

Wollte mich MacKenzie verarschen? Hatte sie nicht vorhin über die Möglichkeit gelacht, ebenfalls Jamies Fanklub anzugehören? Hatte sie mir etwas vorgemacht, um meine Gefühle nicht zu verletzen? Wenn Dakota bemerkt hatte, dass ich mir mehr von MacKenzie wünschte als nur Freundschaft, war es nicht auszuschließen, dass es MacKenzie ebenfalls aufgefallen war. Oder war ich am Ende einfach nur blind vor Liebe gewesen und hatte ihre Reaktion missverstanden? Bisher hatte ich geglaubt, dass MacKenzie viel zu klug war, um auf Jamie und seine Sonnyboy-Show hereinzufallen. Aber wie es schien …

»Vince?« Dakotas Stimme bohrte sich qualvoll in meinen Kopf und riss mich grob zurück in die Realität. »Ist alles okay bei dir? Du bist auf einmal ganz blass.« Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und ich zuckte reflexartig zusammen.

»Sorry, was hast du gesagt?«

Dakota verstärkte ihren Griff und musterte mich besorgt. »Du siehst echt nicht gut aus, Vincent. Willst du dich vielleicht hinsetzen? Ich kann dir etwas zu trinken holen.«

»Nein, nein, schon gut. Mir geht’s gut. Ich … ich muss auf die Bühne.« Mein Mund agierte ohne mein Zutun und erst als ich die Silben hörte, offenbarte sich mir das gesamte Ausmaß der Situation. MacKenzie zog nicht nur Jamie, diesen Lackaffen, mir vor. Nein, sie ließ mich auch im Stich, was unseren Auftritt anging.

Ihr ist unser Song total egal.

Ich bin ihr völlig egal.

Mein Herz verkrampfte sich und in meinem Hals bildete sich ein Kloß. Meine Augen begannen zu brennen, und wenn ich mich nicht auf der Stelle zusammenriss, würde ich als der Kerl in die Geschichte des Camp Melody eingehen, der vor Dakota Kinley in Tränen ausgebrochen war.

»Ich muss auf die Bühne«, wiederholte ich und räusperte mich, während Carmen erneut MacKenzies und meinen Namen ausrief. Mir blieb keine Zeit, länger zu warten. »Ich muss Bescheid sagen, dass …« … mir MacKenzie das Herz aus der Brust gerissen hat und ich jetzt unmöglich singen kann. »… dass wir unsere Teilnahme am Final Jam zurückziehen.«

Ich wollte mich bereits an Dakota vorbeischlängeln, als sie ihren Griff an meiner Schulter verstärkte.

»Du willst deine Teilnahme zurückziehen?« Unglaube und Fassungslosigkeit vermischten sich in ihrem Blick. »Weil MacKenzie mit Jamie rummacht? Das ist doch hoffentlich nicht dein Ernst! Ich meine, abgesehen davon, dass du zu den wenigen Glücklichen gehörst, die überhaupt einen Platz in der Show bekommen haben, wäre es geradezu sträflich dumm, eine solche Chance zu verpassen!«

Dakotas freundschaftliche Strenge verblüffte und rührte mich derart, dass ich kurzzeitig den Schmerz von MacKenzies Verrat vergaß. Vor allem mit dem Argument, dass ich im Gegensatz zu vielen anderen willigen Campern überhaupt auftreten durfte, sprach Dakota etwas Wichtiges an. In diesem Jahr hatte es zum ersten Mal mehr Anmeldungen für den Final Jam gegeben, als Zeitslots zur Verfügung standen. Aus diesem Grund hatten Granny – so wurde Elisabeth Groover, die Leiterin des Camps, von allen genannt – und ihr Ehemann Pops die Teilnehmer für die Show auslosen müssen. Dakota, die dieses Jahr ebenso wie ich altersbedingt zum letzten Mal am Camp teilnahm, hatte kein Glück gehabt.

»Dein Engagement in allen Ehren«, zwang ich mich zu sagen, nachdem ich sicher war, dass meine Stimme nicht das wahre Ausmaß meiner Emotionen verraten würde. »Aber wie soll ich ohne eine Partnerin ein Duett singen?«

»Wer sagt denn, dass du keine Partnerin hast?« Dakota lächelte mich an, wirkte jedoch plötzlich … unsicher? Verlegen? Nervös? »Ich singe mit dir. Ich habe dir und Mac so oft beim Proben zugehört, dass ich den Song auswendig kann. Außerdem«, ihre Hand wanderte von meiner Schulter über meine Brust hinab zu meinem Arm, wo sie schließlich liegen blieb, »sind nicht alle Mädchen hier im Camp so blind und dumm wie deine Angebetete. Manche von uns wissen dein Talent – und vor allem dich – durchaus zu schätzen.« Ihre Augen funkelten, als sie sich zu mir vorbeugte und mich durch dichte Wimpern scheu anblickte. Noch nie war ich von einem Mädchen auf diese Weise angesehen worden.

Carmen rief ein weiteres – und ihrem Drängen nach auch letztes – Mal nach MacKenzie und mir.

Ich musste eine Entscheidung treffen.

Jetzt!

»Also? Was meinst du, Vincent? Erlaubst du mir, unsere Camp-Ära mit einem unvergesslichen Auftritt angemessen zu beenden?«

Green Day

Bozeman, Montana, USAGegenwart

MACKENZIE

»Houston, wir haben ein Problem!« Ich begrüßte meine beste Freundin Sadie völlig außer Atem, nachdem ich mit einer fünfzehnminütigen Verspätung in das kleine, gemütliche Kitsch-Café geeilt war, das sich durch seine übertrieben rosafarbenen Prinzessinnen-Polsterstühle, die von der Inhaberin selbst gehäkelten Zierdeckchen und die altmodischen Emaille-Tassen auszeichnete.

Sadie, die an unserem Stammtisch an der langen Fensterfront saß und mit ihrem Handy beschäftigt gewesen war, hob den Kopf und zog eine dunkle, perfekt in Form gezupfte und mit einem Ring durchstochene Augenbraue in die Höhe.

»Auch dir ein fröhliches Hallo, Sonnenschein.« Mit einem gezielten Griff brachte sie ihre Kaffeetasse in Sicherheit, damit ich sie nicht mit meiner Tasche umwarf, die ich gedankenlos auf die Tischplatte donnerte.

Seufzend ließ ich mich auf den leeren Stuhl gegenüber von Sadie sinken.

»Möchtest du einen Kaffee?«, fragte sie, wartete aber keine Antwort ab, sondern reckte ihre viel beringte Hand samt Handy in die Höhe. Sadie wusste, dass ich ebenso wie sie ein hoffnungsloser Anhänger der Kaffeebohne war und ohne das dunkle Gold nicht leben konnte.

Der Barista, der Sadie und mir seit fast drei Jahren jeden Mittwochnachmittag dieselben Getränke zubereitete, bestätigte die wortlose Bestellung mit einem Nicken und meine Freundin wandte sich wieder mir zu.

»Also? Wo brennt es?« Sie steckte das Handy in die Tasche ihrer Lederjacke, die über ihrer Stuhllehne hing, beförderte anschließend mit der freien Hand meine Tasche auf den Boden und stellte hinterher ihre Tasse zurück auf den Tisch. »Ich meine, abgesehen von deiner chronischen Unpünktlichkeit und dem damit einhergehenden Chaoswesen«, fügte sie hinzu und ihr perlweißes Grinsen, das durch ihre sinnlichen, heute in einem dunkelvioletten Ton angemalten Lippen besonders frech wirkte, blitzte auf.

Ich überging ihren Kommentar bezüglich meiner Verspätung und schälte mich aus Jacke, Wollschal und Mütze. Obwohl es Ende März war, hielten die eisigen Temperaturen meine Heimatstadt noch immer fest in der Hand.

Sadie wartete mit auf dem Tisch verschränkten Armen geduldig darauf, dass ich sie in jenes Geheimnis einweihte, das meinen Herzschlag seit heute Morgen wie ein Rennpferd galoppieren ließ.

»Ich war vor der Uni bei Granny im Büro«, begann ich meine Erzählung, musste mich jedoch gleich wieder unterbrechen, da mein Kaffee serviert wurde. Nachdem ich die Tasse entgegengenommen und mich bei der Kellnerin bedankt hatte, sprach ich weiter. »Ich wollte ihr bei der Ablage helfen, die in den letzten Wochen wegen der bevorstehenden Steuerprüfung liegen geblieben war. Dabei stieß ich auf ein Schreiben.«

Seit Pops vor sechs Jahren verstorben war, half ich meiner Grandma bei der Organisation des Camp Melody. Einerseits wollte ich ein Auge auf sie haben, weil sie sich in letzter Zeit immer mehr von ihrem Umfeld und den Dingen, die ihr einst Freude bereitet hatten, zurückzog. Andererseits konnte ich diese Tätigkeit als Praktikum deklarieren und meinen Lebenslauf damit ein wenig aufwerten. Da ich in meinem Wirtschaftsstudiums bisher eher mittelmäßige Noten vorzuweisen hatte – und das trotz intensiver Lerneinheiten und sogar Tutoren-Nachhilfestunden –, hatte ich diese Form der Unterstützung im Hinblick auf meine berufliche Zukunft bitter nötig.

»Mr Jenkins, Grannys Steuerberater, hat eine Terminbestätigung für ein Treffen nächsten Monat auf dem Campgelände geschickt. Ein gewisser Thomas Hankes von der Hankes Real Estate Group soll dabei anwesend sein.« Als Sadie mich nur verständnislos ansah, beugte ich mich über den Tisch und senkte verschwörerisch die Stimme. »Du weißt schon. Das ist die Firma, die in den letzten drei Jahren fast zwanzig Prozent aller Gebäude in Montana erbaut hat.«

Noch immer bestand Sadies einzige Reaktion aus einem Stirnrunzeln. »Na und? Was ist daran so schlimm?« Sie nippte seelenruhig an ihrem Heißgetränk. Wie immer ließ sie sich nicht im Geringsten von meiner Unrast anstecken.

Ich antwortete nicht sofort, sondern umklammerte den weißen Becher zwischen meinen Fingern. Vielleicht gelang es mir, einen Teil meiner Anspannung darauf ableiten.

»Ich glaube, Granny will das Camp verkaufen«, flüsterte ich und hörte in meinem Kopf ein animationsfilmähnliches Ba-Ba-Bam! ertönen.

Dass meine Worte nicht spurlos an Sadie vorbeigingen, war daran zu erkennen, dass meine Freundin mitten in der Bewegung erstarrte, als hätte jemand die Pausetaste bei einem YouTube-Video gedrückt.

»Wie kommst du darauf? Nur wegen dieses Schreibens? Oder hat sich Granny irgendwie dazu geäußert?«

Als ich den Kopf schüttelte und mich wieder gerade hinsetzte, schürzte Sadie die Lippen.

»Dann versteh ich nicht, wieso du dich so verrückt machst. Granny würde das Camp niemals verkaufen, ohne vorher mit dir darüber zu reden. Am besten fragst du sie einfach, was es mit dem Schreiben und dem Treffen auf sich hat. Ich bin mir sicher, es gibt eine völlig logische und vor allem harmlose Erklärung dafür.«

»Und die wäre?«, hakte ich wenig überzeugt nach.

»Keine Ahnung. Vielleicht plant sie, das Camp umzubauen?«

»Ein Umbau? Ernsthaft?« Nun hob ich eine Augenbraue. Obwohl sich Sadie offenkundig dagegen wehrte, den Ernst der Lage zu realisieren, spürte ich dennoch, wie sich die Last auf meiner Brust reduzierte. Jetzt, da meine beste Freundin eingeweiht war, fühlte ich mich gleich ein wenig besser.

»Abgesehen von der Finanzierungsfrage – du weißt, dass auf dem Camp-Grundstück zwei horrende Hypotheken lasten –, wüsste ich nicht, für wen Granny das Camp umbauen sollte. In den letzten drei Jahren haben die Einnahmen durch die angemeldeten Camper gerade so gereicht, um die Fixkosten zu decken. Aber den kontinuierlich sinkenden Anmeldezahlen nach zu urteilen, schaffen wir das dieses Jahr nicht noch einmal.«

Ich schaute auf das Heißgetränk zwischen meinen Händen. »Nein, Sad. Ich bin mir sicher, dass Granny aufgegeben hat. Sich und das Camp.« Die Worte, meine schlimmsten Befürchtungen, laut auszusprechen trieb mir Tränen in die Augen. Meine Grandma war früher eine so fröhliche und lebensbejahende Person gewesen. Stets hatte sie ein Liedchen geträllert – sie und Pops waren sogar Mitglieder in einem Chor gewesen –, und ich erinnerte mich noch genau daran, wie es gewesen war, mit den beiden in ihrem Wohnzimmer zu sitzen und Musik zu machen. Pops hatte entweder am Klavier oder auf seiner Gitarre gespielt, und Granny und ich waren tanzend durch den Raum gewirbelt.

Bei dem Gedanken, dass ich Granny seit Pops’ Tod nicht einmal mehr eine Melodie hatte summen hören, überkam mich ein Schmerz, als würde mir jemand das Herz aus der Brust reißen. Ich fühlte mich genauso leer und hilflos wie damals, als mein Grandpa gestorben war. Nur kam es mir dieses Mal so vor, als würde ich nicht nur ihn ein zweites Mal verlieren, sondern meine Grandma gleich dazu.

»Sie haben das Camp vor über dreißig Jahren gemeinsam gegründet«, sprach ich mit erstickter Stimme weiter. »Es war ihr Herzensprojekt. Ich verstehe einfach nicht, wie Granny es jetzt so einfach verkaufen kann.«

Sadie erwiderte nichts auf meine Worte, sondern streckte einen Arm über den Tisch hinweg und legte ihre warmen Finger auf meine Hand. Unweigerlich hob ich den Kopf und schaute in die Augen meiner Freundin, in denen sich ihr sanftes Lächeln widerspiegelte.

»Granny verkauft das Camp bestimmt nicht einfach so«, meinte Sadie mit einfühlsamer Stimme. »Wenn du wirklich recht hast und sie diesen Schritt gehen will, muss sie sehr lange und gründlich darüber nachgedacht haben. Und wenn du ehrlich zu dir selbst bist, wirst du sie vielleicht sogar verstehen können. Ich meine, überleg doch mal. Sie hat das Camp die letzten Jahre nicht nur allein führen, sondern auch mit ansehen müssen, wie ihr und Pops’ gemeinsames Vermächtnis unaufhaltsam auf einen Abgrund zusteuerte. Ich kann mir nicht vorstellen, was das für eine Last für sie gewesen sein muss.«

Ich seufzte schwerfällig. Natürlich hatte meine Freundin recht. Das wusste ich selbst. Ich hatte meinen Grandpa vielleicht geliebt, bewundert und verehrt. Aber meine Liebe zu ihm hatte nie an die Intensität herangereicht, die zwischen meiner Grandma und ihm geherrscht hatte. Die beiden waren beste Freunde gewesen. Seelenverwandte.

Das war vermutlich auch der Grund, wieso Granny trotz der rückläufigen Anmeldequoten, der sich stapelnden Mahnungen sowie der jedes Jahr vermehrt abspringenden Kursleiter, Küchenmitarbeiter und Technikgurus konsequent jeden Sommer die Tore des Camps geöffnet hatte.

»Sie muss unglaublich müde sein, Mac«, sagte Sadie weiter und strich mir mit dem Daumen über den Handrücken. »Vielleicht ist es am besten, wenn sie das Camp verkauft. Möglicherweise ist es an der Zeit, loszulassen.«

»Das kann ich nicht«, quälte ich hervor und wischte mir mit der freien Hand über die tränenfeuchten Wangen.

Seit Grandpas Tod hatte ich weder Musik gemacht noch das Campgelände betreten. Und auch wenn ich dankbar war, dass Granny das Geschäft außerhalb der Saison von einem kleinen Bürozimmer in ihrem Haus aus führte, bereitete mir die Vorstellung Übelkeit, dass dieser wundersame Ort nie wieder von jemandem besucht werden würde.

Sadie und ich sahen einander an. Dann stieß meine Freundin ein tief aus dem Inneren kommendes Seufzen aus.

»Du wirst nicht lockerlassen, oder?« Obwohl ihre Worte als Frage formuliert waren, war Sadies Tonlage deutlich anzuhören, dass sie die Antwort bereits kannte. Dennoch schüttelte ich den Kopf.

»Du weißt, wie viel mir das Camp bedeutet«, schniefte ich. »Es ist alles, was ich von Pops noch habe.«

Sadie ließ ergeben den Kopf sinken, und ich wusste, dass ich sie überzeugt hatte. »Na gut«, stöhnte sie, schaute wieder auf und ließ meine Hand los, um sich aufrecht hinzusetzen. Ein entschlossener Zug lag um ihre Lippen und ihre Augen funkelten herausfordernd. »Dann lass uns mit der Mission ›Rettet das Camp Melody‹ beginnen!«

Die nächsten Stunden verbrachten Sadie und ich damit, bei literweise Kaffee alle möglichen Ideen unter die Lupe zu nehmen, womit wir unser anvisiertes Ziel erreichen konnten. Leider war das Finden einer geeigneten Lösung nicht so einfach, wie ich gehofft hatte. Wir standen nicht nur unter Zeitdruck, sondern mussten auch etliche Hürden überwinden. So schieden beispielhaft alle Punkte aus, bei denen es um reine Finanzspritzen ging. Diese hätten zwar kurzfristig die Kuh vom Eis geholt, indem offene Rechnungen hätten beglichen, neue Mitarbeiter angestellt und eine kleine regionale Werbekampagne gestartet werden können. Aber nichts davon garantierte den Zufluss begeisterter und hoffentlich auch in Zukunft loyaler Camper.

»Wir brauchen etwas, das schnell und möglichst kostenlos sehr viel Aufmerksamkeit auf das Camp lenkt«, sagte Sadie, nachdem wir das Café verlassen hatten und den Weg zu meinem Auto einschlugen. Da Sadie in der Nähe der Uni wohnte, brauchte sie keinen fahrbaren Untersatz – was mich automatisch zu ihrer Chauffeurin machte, wenn wir zusammen unterwegs waren. »So etwas wie ein Benefizkonzert zum Beispiel.«

»Die Idee hattest du bereits«, murmelte ich gegen meinen dicken Winterschal, der die untere Hälfte meines Gesichts verbarg. Die Temperaturen waren im Laufe des Nachmittags noch weiter gesunken, sodass sich der eisige Wind auf meiner Gesichtshaut wie tausend Nadelstiche anfühlte. »Und wir haben sie abgeschrieben, weil ein solches Konzert eben weder schnell noch kostenlos organisiert werden kann. Ganz zu schweigen davon, dass niemand von uns beiden die Zeit oder die Erfahrung für eine solche Aktion mitbringt.«

Sadie stieß ein frustriertes Stöhnen aus und rollte mit den Augen. Dabei bildete sich ihr Atem in weißen Wölkchen vor ihren Lippen, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, wie meine Freundin bei solchen Temperaturen in ihrer dünnen Lederjacke, den absichtlich mit großen Löchern versehenen Jeans und dem freizügigen Top nicht erfror.

»Das ist doch zum Mäusemelken! Ein Benefizkonzert wäre die optimale Lösung.« Beleidigt schritt Sadie weiter. »Wenn der Sänger oder die Sängerin dann vielleicht sogar noch damit einverstanden wäre, für einen oder zwei Abende bei uns im Camp vorbeizuschauen, hätte jeder, der auch nur vage an Musik interessiert ist, gar keine andere Wahl, als sich sofort anmelden zu wollen.«

Ich nickte. Sadie hatte die Lösung unseres Problems treffsicher auf den Punkt gebracht. Nur leider war die Umsetzung in der Realität um Welten komplizierter.

Die Hände tief in die Taschen meines Parkas geschoben und meine Handtasche fest an meine Seite gepresst, zog ich die Schultern gen Ohren. Gleich, wenn ich zu Hause war, würde ich als Erstes heiß duschen. Vielleicht würde mir dabei eine halbwegs praktikable Lösung in den Sinn kommen. Denn gerade war mein Hirn viel zu tiefgefroren, um vernünftig nachdenken zu können. Hinzu kam, dass ich meine Konzentration mit den bevorstehenden Semesterabschlussprüfungen und den damit verbundenen Uni-Lerneinheiten teilen musste. Denn sosehr ich das Camp auch liebte und es unbedingt retten wollte, musste ich an meine eigene Zukunft denken. Diese würde jedoch, sollte ich aufgrund von Kursen, in denen ich durchfiel, noch mehr Zeit und Geld in mein Studium investieren müssen, noch schwärzer aussehen, als sie es ohnehin schon tat.

»Und was wäre«, sagte Sadie nach einiger Zeit und klang dabei ähnlich verschwörerisch wie ihr zehnjähriges Ich, das mich dazu hatte überreden wollen, uns gegenseitig Ohrlöcher zu stechen, »wenn wir wirklich einen Stargast ins Camp einladen würden?«

»Was?«, lachte ich. Während Sadie anscheinend noch immer an ihrer völlig verrückten Konzert-Idee festhielt, hatte ich versucht, gedanklich weiterzuziehen. Doch mir war beim besten Willen keine anständige Alternative eingefallen. Jedes von uns bisher in Erwägung gezogene Szenario endete zwangsläufig in einer Sackgasse.

Hatte ich die Lage womöglich unter- und mich selbst überschätzt? Hatte Sadie recht und es war an der Zeit, sich vom Camp Melody zu verabschieden, weil eine Rettung unmöglich war?

Sadie sah mich weiterhin mit diesem Blick an, den ich nur allzu gut kannte. Sie hatte eine derart verrückte Idee ausgetüftelt, dass sie selbst nicht wusste, ob sie mir davon erzählen sollte oder ob es zu abgedreht war. Zu ihrem Glück war ich inzwischen verzweifelt genug, um mir ihren Gedanken zumindest anzuhören.

»Du meinst das wirklich ernst, oder?«, hakte ich vorsichtig nach. »Du willst einen Superstar ins Camp einladen, damit er neue Camper anlockt? Wow, ja klar! Warum eigentlich nicht? Ich rufe gleich Robbie an und sage ihm, er soll Gary und den anderen Jungs Bescheid geben, dass sie ihre Sachen packen sollen. Sie werden es bestimmt kaum erwarten können, im Camp einzuziehen.«

Sadie ließ sich von meinem Sarkasmus nicht im Geringsten abschrecken.

»Ja, ich meine das in der Tat ernst – im Gegensatz zu dir offenbar. Ganz ehrlich, Mac. Take That? Hast du mal wieder die alten Platten deiner Eltern im Keller entdeckt?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich rede von einem Superstar, der nicht bereits auf der Bühne stand, als sich unsere Eltern mit gefälschten Ausweisen in Klubs geschlichen haben. Immerhin«, sie beugte sich verschwörerisch in meine Richtung und wackelte übertrieben mit den Augenbrauen, »hatte eine von uns mal einen heißen Draht zu Mr Vincent Kennedy himself.«

Steif wie ein Eiszapfen blieb ich mitten im Weg stehen.

»Wie bitte?« Mit geweiteten Augen starrte ich meine Freundin an. »Schlägst du gerade ernsthaft vor, Vincent um Hilfe zu bitten? Ausgerechnet ihn?« Ich hoffte inständig, dass sich Sadie einen dummen Witz mit mir erlaubte.

Meine Freundin, die sofort wusste, dass der Spaß vorbei war, wurde ebenfalls ernst und stellte sich vor mich.

»Hör mir erst mal zu«, sagte sie und legte mir einfühlsam die Hände auf die Oberarme. »Ich weiß, dass das verrückt klingen mag. Aber Vincent ist nicht nur einer der bekanntesten und erfolgreichsten Rockstars der letzten Jahre, er hat seine Wurzeln auch im Camp. Kannst du dir vorstellen, was das für eine Publicity wäre, wenn er zustimmen würde, ein paar Tage bei uns zu verbringen, mit den Kids am Lagerfeuer zu sitzen und ihnen einige Kniffe an der Gitarre beizubringen?«

Ihr Blick intensivierte sich. »Bereits ein einzelner Post auf seinem Instagram-Account wäre werbewirksamer als jede Anzeige, die wir jemals schalten könnten. Überleg doch mal, Mac! Das ist die perfekte Lösung – ganz zu schweigen davon, dass ihr beiden früher ein unschlagbares Team gewesen seid. Die Dynamik zwischen euch war so funkensprühend, dass es ein Wunder ist, dass ihr beim Singen nicht das Camp abgebrannt habt!« Sie näherte sich mir einen winzigen Schritt. »Diese Energie würde unsere Rettungsmission nicht nur befeuern, sie würde sie zu einem echten Feuerwerk mutieren lassen.«

Ich sah Sadie fest in die Augen, in der Hoffnung, dass sie mir meine Wut, Abscheu und Fassungslosigkeit über ihren Vorschlag im Gesicht ablas. Wie konnte sie es nur wagen, von einem unschlagbaren Team, sprühenden Funken und meisterhafter Energie zu reden? Nichts davon traf auf das Verhältnis zwischen Vincent Kennedy und mir zu. Zumindest nicht mehr.

»Hast du völlig den Verstand verloren?«, keifte ich los, um meine Meinung bezüglich ihres Vorschlags unmissverständlich klarzumachen. »Hast du vergessen, was mir dieser Arsch angetan hat?« Meine Stimme schrillte viel zu laut über die gut besuchte Straße, aber es war mir egal. Selbst wenn ich auf dem Times Square in New York gestanden hätte, hätte ich meinen Zorn nicht gedrosselt. Wäre es nach mir gegangen, hätte die ganze Welt die Wahrheit über Vincent Kennedy und seinen Erfolg erfahren sollen.

»Er ist mit unserem – unserem! – Song beim Final Jam aufgetreten, während ich …« Der Schmerz, den ich mit jenem letzten Camp-Abend vor sechs Jahren verband, machte es mir unmöglich, den Rest meiner Worte über die Lippen zu bringen.

»Nein, Sadie!«, sagte ich unnachgibig, nachdem ich meine aufsteigenden Tränen mit reiner Willenskraft unter Kontrolle gebracht hatte. »Niemals und unter keinen Umständen, werde ich Vincent, dieses Egoisten-Verräterschwein, um Hilfe bitten! Nur über meine Leiche!« Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust und wandte den Kopf zur Seite ab.

Wie konnte Sadie es nur wagen, diesen Gedanken überhaupt in Erwägung zu ziehen? Sie war doch in jenem Sommer vor Ort gewesen. Sie hatte miterlebt, was geschehen war und wie stark und andauernd ich unter den einschneidenden Ereignissen gelitten hatte. Sie hatte mich stundenlang weinend im Arm gehalten, weil ich nicht nur alles verloren hatte, was mir jemals etwas bedeutet hatte, sondern weil ich auch von dem Jungen verraten worden war, für den ich zum ersten Mal aufrichtig romantische Gefühle empfunden hatte. Glaubte sie wirklich, eine derartige Wunde würde jemals verheilen?

»Bist du fertig?«, fragte Sadie und strich mir mit einem sanftmütigen Lächeln über die Arme. Ihr war bewusst, dass sie mit ihrem Vorschlag eine gewaltige Bombe in mir hatte hochgehen lassen. Doch anstatt zurückzurudern und zu retten, was zu retten war, hielt sie an ihrer mich in dieser Sekunde zur Weißglut treibenden Zen-Ruhe fest.

»Natürlich habe ich nicht vergessen, was Vincent dir angetan hat. Und denkst du wirklich, ich könnte jemals vergessen, wie man dich schreiend und wild um dich schlagend aus Pops’ Krankenzimmer getragen hat, damit du den Ärzten bei ihren Reanimationsversuchen nicht im Weg stehst?« Ihre Augen füllten sich ebenfalls mit Tränen, doch es war eine andere Art von Trauer. Sie war älter, reifer und endgültiger. Im Gegensatz zu mir hatte Sadie gelernt, mit Pops’ Tod zu leben.

»Pops war vielleicht nicht mein leiblicher Großvater, aber ich habe ihn wie meinen eigenen Grandpa geliebt. Und es hat auch mir das Herz zerrissen, als er starb. Aber genau aus diesem Grund, weil ich weiß, wie sehr du ihn geliebt hast und wie sehr dich die Vorstellung quält, das Camp zu verlieren, versuche ich, dir zu helfen.« Sie drückte liebevoll meine Arme. »Und so ungern du es auch hören magst, ändert es nichts an der Tatsache, dass Vincent der beste und womöglich auch einzige Schlüssel zu diesem Vorhaben ist.«

Als ich Sadie bei der erneuten Nennung von Vincents Namen nicht sofort wieder an die Gurgel ging, atmete sie erleichtert auf und sprach weiter. »Es steht außer Frage, dass er sich wie ein verfluchter Riesenarsch benommen hat. Und ganz ehrlich, das hätte ich niemals von ihm erwartet. Nicht nachdem er damals im Camp so …« Sie unterbrach sich, animiert durch mein erbostes Augenfunkeln. Hätte sie es gewagt, ihre vollkommen verblendete Ansicht über die vermeintlich romantische Beziehung zwischen Vincent und mir ein weiteres Mal anzusprechen, hätte ich ihr vermutlich doch noch den Hals umgedreht.

»Aber glaubst du nicht, dass es gerade deswegen eine gute Idee ist, ihn um Hilfe zu bitten? Nach dem, was er dir angetan hat, schuldet er dir diesen Gefallen. Außerdem«, sagte sie weiter, »denk doch nur einmal an die Chance, die sich dir damit bietet! Ihr habt euch jahrelang nicht gesehen, Sweety. Damals warst du ein flachbrüstiger Teenie, der jeden Tag auf seine erste Periode gehofft hat. Aber jetzt …« Sie ließ ihren Blick vielsagend über meinen Körper gleiten und pfiff anerkennend durch die Zähne.

Unweigerlich musste ich schmunzeln, kaschierte das jedoch mit einem deutlichen Kiefermahlen. Die Wahrheit war, derselbe Gedanke war mir kurz zuvor ebenfalls durch den Kopf geschossen. Doch ich hatte ihn sofort verdrängt, weil ich nicht der Typ Frau war, der Spielchen spielte. Weder, um einen Kerl auf sich aufmerksam zu machen, noch um Rache zu üben. Aber jetzt, als Sadie es von sich aus ansprach, konnte ich den kleinen Teufel auf meiner Schulter nicht länger ignorieren.

Vincent trug nicht nur eine Teilschuld daran, dass die Musik, meine einstige Leidenschaft – mein Lebensmittelpunkt –, zu einer mit Schmerz und Bitterkeit erfüllten Giftblase geworden war, die mir sämtliche Luft abschnürte, sobald ich auch nur wagte, in ihre Nähe zu kommen. Nein, indem Vincent mir damals mein junges Herz gebrochen hatte, hatte er mir auch die Möglichkeit geraubt, jemals wieder Vertrauen zu einem Mann aufzubauen und mich emotional zu öffnen. Er hatte mich sozusagen zu meinem unglücklichen Dauersingle-Dasein verbannt.

Aus diesem Grund hatte ich vor Jahren beschlossen, Vincent Kennedy für den Rest aller Tage für seine bloße Existenz zu hassen. Doch nun geriet dieser Vorsatz ins Wanken, was nicht zuletzt an Sadies folgenden Worten lag, die sie mit einem wissenden, ja fast schon siegessicheren Unterton verlauten ließ.

»Du willst nicht, dass Vincent uns hilft, das Camp zu retten? Okay, das kann ich akzeptieren. Aber kannst du mit der Gewissheit leben, dass dein dämlicher Stolz der Grund dafür sein wird, dass das Camp keine Chance auf ein Überleben haben wird?«

Mit fest aufeinandergepressten Kiefern und grob in die Oberarme gekrallten Fingern stierte ich Sadie an. Das kleine Biest wusste genau, dass sie mich am Haken hatte.

»Fein«, sagte ich. »Ich denke darüber nach. Aber sollte ich mich wirklich dazu durchringen und Vincent schreiben, und sollte er – entgegen jeder Wahrscheinlichkeit – zusagen, dann ist es deine heilige Pflicht als meine beste Freundin, mir moralisch zur Seite zu stehen – und zwar buchstäblich! Ich will deinen sexy Tänzerinnenarsch die ganzen sechs Wochen an mir kleben sehen, als wären wir siamesische Zwillinge! Verstanden?«