Zodiac 2: Soldiers of the Sun - Lana Rotaru - E-Book

Zodiac 2: Soldiers of the Sun E-Book

Lana Rotaru

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Beschreibung

Ich bin der Schütze. Mein Ziel verfehle ich nie.

Als June nach den Ereignissen in Mexiko wieder zu sich kommt, ist nichts mehr, wie es war. Phoenix ist ein Shadow und Ollys Leben hängt am seidenen Faden. Die anderen Lunaris misstrauen June, sogar Jackson geht ihr aus dem Weg. Da taucht ausgerechnet Phoenix im Garten des Hauptquartiers auf und will June sprechen. Er wirkt verändert – irgendwie kühl und distanziert. Doch Phoenix behauptet, sich bei den Shadows einschleusen zu wollen …


Urban Fantasy vom Feinsten – Auserwählte, beschenkt mit der Gabe der Sternzeichen, kämpfen gegen seelenlose Schatten, um die Menschheit zu beschützen.

//Dies ist der zweite Band der »Zodiac«-Dilogie. Alle Romane der Sternezeichen-Romantasy im Loomlight-Verlag:
Band 1: Servants of the Moon 
Band 2: Soldiers of the Sun//

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Das Buch

Ich bin der Schütze. Ich verfehle nie mein Ziel.

Als June nach den Ereignissen in Mexiko wieder zu sich kommt, ist nichts mehr, wie es war. Die anderen Lunaris misstrauen ihr, sogar Jackson geht ihr aus dem Weg. Da taucht ausgerechnet Drake mit einem Brief von Phoenix auf. Er will sie sehen und behauptet, sich bei den Shadows einschleusen zu wollen. Doch June zweifelt an ihm, denn der Schütze wirkt verändert. Kann sie ihm noch vertrauen?

Das Finale der »Zodiac«-Dilogie

Die Autorin

© Anna Constanty

Lana Rotaru verliert sich seit frühester Kindheit nur zu gern in Büchern. Es ist also kein Wunder, dass sie inzwischen selbst Geschichten verfasst. Wenn sie nicht gerade an neuen fantastischen und romantischen Werken arbeitet, verbringt sie ihre Zeit am liebsten mit ihrem Mann und ihrem Sohn an der frischen Luft, wo sie neue Kraft und Inspiration findet. Gemeinsam mit ihrer Familie und zwei schnurrenden Vierbeinern lebt sie im Bergischen Land.

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Loomlight auch!Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor:innen und Übersetzer:innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator:innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

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Viel Spaß beim Lesen!

Lana Rotaru

Soldiers of the Sun

LOOMLIGHT

Für jeden, der mich nach dem Ende von Band 1nicht genug (oder eben doch) gehasst hat,um weiterlesen zu wollen.

Das ist mein Geschenk an dich.

Kapitel Eins – Juneau

Ein farbloses Gesicht.

Schwarze Augen mit silbrig schimmernden Schlangenpupillen.

Rauchschwaden, die wie lebendige Wesen an einem Körper emporzüngeln.

All das, was ich früher für die Beschreibung einer Kreatur aus einem Fantasybuch gehalten hätte, stand mir nun leibhaftig gegenüber.

Doch anstatt schreiend davonzulaufen, stand ich da, stocksteif und gleichzeitig mit zitternden Muskeln, während meine Haut glühte, als würde jeder Tropfen Blut in meinen Adern kochen.

»Warum hast du das getan?«, tobte Arizona, und starrte Phoenix, ihren Zwillingsbruder, mit vor Fassungslosigkeit glühenden Shadow-Augen an. »Wie konntest du das nur tun, du gigantischer Vollidiot?!«

Obwohl ich Arizona kaum kannte, und wir bis auf das gleiche Sternzeichen nichts miteinander gemein hatten, sprach sie mir aus der Seele. Auch ich wollte wissen, warum Phoenix …

Nein!

Ich weigerte mich, diesen Gedanken zu beenden. Nur weil der Lunaris-Schütze zu einem Shadow geworden war, bedeutete das nicht, dass er Selbstmord begangen hatte.

So etwas würde er niemals tun!

Er musste einen anderen Weg gefunden haben, um sich zu verwandeln.

Er musste einfach!

Denn er hatte überhaupt keinen Grund, sich das Leben zu nehmen. Schließlich hatten wir Arizona gefunden. Und wir waren allein deswegen nach Mexiko gereist.

Okay, dass seine Zwillingsschwester zuvor Selbstmord begangen hatte, um zu einem Shadow zu werden, hatte niemand von uns geahnt. Aber es hatte auch niemand damit gerechnet, dass Drake, das kleine Lichtwesen, das angeblich an meine Seite geschickt worden war, um mir zu helfen, in Wahrheit für die Shadows arbeitete.

Solche Dinge passierten eben – vor allem, wenn man so strohdumm und heillos naiv war wie ich. Dann machte man Fehler, die im schlimmsten Fall das Ende der Welt bedeuteten. Denn unsere Feinde planten, ein übermächtiges Wesen freizulassen, das eingesperrt worden war, weil es die Kraft besaß, mit einem einzigen Fingerschnippen die gesamte Menschheit auszulöschen.

Dafür benötigten sie jedoch mich. Meinen frei gewählten Tod, um genau zu sein.

Mein einziger Trost war, dass ich nun die Gewissheit hatte, dass nicht Jackson – der Lunaris-Löwe und Anführer unseres Teams – für unsere ausweglose Situation verantwortlich war, sondern ein ausgeklügeltes Netz aus Intrigen und Manipulationen.

Phoenix verzog als Antwort auf Arizonas Worte die stahlgrauen Lippen zu einem arroganten Lächeln. Diese Geste war mir so vertraut, dass sich meine Brust verkrampfte. Seit ich dem Schützen nach anfänglichen Schwierigkeiten im Laufe der letzten Tage sowohl emotional als auch körperlich nähergekommen war, gab es einige Dinge, die ich über ihn gelernt hatte. Allem voran, dass Phoenix stur wie eine Felswand war und nie das tat, was man erwartete. Aus diesem Grund bezweifelte ich, dass Arizona, und damit auch ich, jemals Antworten auf unsere Fragen erhalten würden.

Diese Annahme wurde von meinem sich stetig verschlechternden Zustand untermalt. Ebenso wie Jackson und Olly hatte auch ich mich durch Kontakt mit den Shadow-Rauchschwaden mit einem Schattenbrand infiziert und würde im besten Fall nur noch wenigen Minuten leben. Vor meinen Augen tanzten bereits schwarze Flecken und mich schwindelte es, als wäre ich ein Leichtmatrose auf stürmischer See. Lange würde es nicht mehr dauern, bis mein Bewusstsein in die eisige Dunkelheit des unbarmherzigen Todes kippte.

Vielleicht sollte ich mir langsam Gedanken über ein paar letzte Worte machen?

Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die Stille und ich schrak so heftig zusammen, dass meine Füße einen Augenblick lang den Kontakt zum Boden verloren.

Ich hatte keine Ahnung, was auf einmal los war, aber mir blieb auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Denn plötzlich geschahen mehrere Dinge auf einmal.

Der Shadow, der Olly in seinen rauchigen Klauen gehalten hatte, stieß einen schrillen Schrei aus und löste sich daraufhin in eine stinkende Schwefelschwade auf. Die Stier-Dame sackte in sich zusammen, wurde aber im letzten Moment von einem Paar muskulöser Arme aufgefangen.

Jackson, der ebenfalls nicht länger von Schattenschlangen festgehalten wurde, fiel keuchend auf alle viere und rang mit hängendem Kopf geräuschvoll nach Atem. Arizona und Jackson schienen verschwunden zu sein.

Mit geweiteten Augen sah ich von Jackson zu Olly und weiter zu den tätowierten Armen, die sie an eine breite Brust zogen. Es dauerte einen Moment, bis ich die schwarzen Linien wiedererkannte.

»Charleston? Bist du das? Was machst du hier? Woher wusstest du, wo du uns finden kannst?«

Der Lunaris-Heiler antwortete nicht, sondern unterzog Olly mit geübtem Blick einem schnellen Check. Währenddessen wehte eine vertraute Stimme an mein Ohr und lenkte meinen Fokus auf sich.

»Prove, geh und hilf Jackson! Denver, sieh nach June! Ich kümmere mich solange um die zwei verbliebenen Scheißviecher!« Die Schnelligkeit und Effizienz, mit denen die Befehle verteilt wurden, erinnerte mich an ein Maschinengewehr. Dennoch hatte ich kristallklar Raleigh herausgehört, die soeben mit einem goldenen Revolver in den Händen an mir vorbeilief.

Mir war klar, wem sie nacheilte, doch ich war nicht in der Lage, sie an ihrem Vorhaben zu hindern. Wie denn auch? Niemals würde mir jemand glauben, was mit Arizona und Phoenix geschehen war.

»June? Kannst du mich hören?« Ein Gesicht schob sich so dicht vor mein Blickfeld, dass sich unsere Nasenspitzen berührten. Hellgrüne Augen musterten mich besorgt, und der blonde Bartschatten, der sich um schmale Lippen zog, verlieh dem Träger eine Ernsthaftigkeit und Reife, die ich ihm niemals zugetraut hätte.

Mein Mund öffnete sich für eine Erwiderung, aber es war ein instinktiver Reflex. Kein Ton drang mir über die Lippen.

Der Fisch begriff sofort und schlang genau in der Sekunde seine Arme um meine Körpermitte, als meine Beine nachgaben.

»Schon gut«, wisperte Denver und zog mich an sich. Meine Lider senkten sich schwer über meine Augen und tauschten das Bild meines Lunaris-Kollegen gegen Dunkelheit. »Ich hab dich. Jetzt wird alles gut.« Seine warmherzig klingenden Worte folgten mir in die Tiefen einer Ohnmacht und kitzelten eine Erinnerung wach, die ich nicht einzuordnen wusste. Allein die damit verbundene Empfindung, das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, kämpfte sich tapfer in meinen umnebelten Verstand vor.

Gern hätte ich deshalb gelächelt. Doch die Gewissheit, hinter wem Raleigh her war, blitzte in meinem Kopf auf, kurz bevor die Kälte des drohenden Todes sämtliche Verbindungen zu der Welt um mich herum kappte.

»Phoenix«, zwang ich mit allerletzter Kraft über die Lippen. Doch natürlich verstand mich Denver nicht. Niemand würde jemals wirklich verstehen, was heute Nacht hier geschehen war.

Mich eingeschlossen.

Kapitel Zwei

Ein leises Piepen drang an mein Ohr und riss mich aus einem tranceähnlichen Dämmerzustand. Meine Lider hoben sich in Eigenregie und mein Blick traf auf eine weiß gestrichene Zimmerdecke. Ein weißer, blickdichter Vorhang befand sich auf der linken Seite meines Bettes und rechter Hand entdeckte ich einen Tisch, auf dem ein Computermonitor und irgendwelche Laborapparaturen standen. Dekorative Landschaftsbilder hingen an orange gestrichenen Wänden, und Steh- und Tischlampen verströmten ein angenehmes, indirektes Licht.

»Was mache ich auf der Krankenstation des Lunaris-Hauptquartiers?« Mir war die Frage ungewollt über die Lippen gekommen, was ich sofort bereute. Ich war nicht allein im Zimmer.

Papier raschelte, Stuhlbeine schabten über den Boden. Das Quietschen von Gummisohlen folgte.

»Na, endlich! Du bist wach!« Ein Typ mit blonder Strubbelfrisur, sonnengebräunter Haut und einem breiten Strahlemann-Grinsen tauchte hinter dem Vorhang auf. Wie gewohnt trug Denver ein weißes Tanktop, das seine trainierten Arme hervorhob. »Ich dachte schon, ich muss eine weitere Nacht allein hier unten verbringen.« Er setzte sich zu meinen Füßen. »Wie geht’s dir? Hast du Schmerzen? Jack meinte zwar, dass du nichts bekommen darfst, damit du so schnell wie möglich aufwachst. Aber jetzt bist du ja wach, also kannst du auch was haben.« Denver grinste verschmitzt. »Du musst einen heftigen Brummschädel haben, nach drei Tagen durchpennen.«

»Was?« Reflexartig setzte ich mich auf. Das Schwindelgefühl in meinem Kopf verstärkte sich, ebenso wie das Pochen hinter meiner Stirn. Ansonsten jedoch ging es mir überraschend gut. Bis auf meinen Magen zumindest. Der fühlte sich wie ein schwarzes Loch an.

»Ich war drei Tage weggetreten?« Sprachlos vor Entsetzen zog ich die Beine an die Brust. Dabei bemerkte ich, dass eine Infusionsnadel in meinem Handrücken und ein klobiges Pulsmessgerät an meinem Finger steckte. Doch im Gegensatz zum letzten Mal war kein durchsichtiger Plastikbeutel mit mir verbunden. Auch trug ich meine eigenen Klamotten mit undefinierbaren Flecken.

»Was ist passiert?« Ich wandte den Blick von den dunkelbraunen Schmierstreifen auf dem schneeweißen Bettlaken ab, die meine Ankle Boots hinterlassen hatten. »Wieso will Jackson, dass ich so schnell wie möglich aufwache?«

»Kannst du dich nicht erinnern?« Ein dunkler Schatten überzog Denvers Sonnenscheingemüt. Dieser Anblick war so falsch, dass ich die Zähne tief in meine Unterlippe grub.

»Jack, Olly, Phoenix und du seid nach Aguascalientes gefahren – weiß der Geier, warum. Dort wurdet ihr von Shadows angegriffen. Glücklicherweise kamen wir rechtzeitig, um euch den Hintern zu retten.«

Meine Lippen teilten sich, vermutlich, um nach weiteren Details zu fragen. Doch Denvers Worte hatten einen Stein ins Rollen gebracht, der durch meinen Verstand kullerte und dabei Bilder und Erinnerungen an die Oberfläche meines Bewusstseins beförderte, die meinen Puls rekordartig in die Höhe schnellen ließen. Plötzlich waren sie wieder da, die Gespräche mit Phoenix, unsere gemeinsame Zeit auf der Autorückbank, und der Streit zwischen Jackson und Olly, weil der Löwe zugegeben hatte, dass er sich mehr von mir erhoffte als eine platonische Freundschaft. Ich erinnerte mich auch wieder an die Fahrstunde mit Phoenix und unseren Kuss – der ihn trotz meines Giftspeichels nicht umgebracht hatte. Unsere Ankunft in Aguascalientes kehrte in mein Gedächtnis zurück, ebenso wie die Erkenntnis, dass der Shadow, der mich auf dem Jahrmarkt in Laramie bedroht hatte, Arizona gewesen war. Ich wusste wieder, dass Drake uns verraten hatte, und dass ich mit Matt gekämpft und ihn aus Notwehr getötet hatte – und zwar dieses Mal endgültig. Ich erinnerte mich wieder an meine Freunde und meine Eltern, die man ebenfalls alle in Shadows verwandelt hatte, um mich zu verletzen. Dabei schmerzte ihr Versuch, mich zu töten weniger als die Gewissheit, dass es nichts gab, was ich tun konnte, um sie zu retten. Im Gegensatz zu Phoenix und Arizona waren sie verloren.

Schnell lenkte ich meine Gedanken weiter. Das Bild von Jackson und Olly schob sich vor meine Augen, wie sie von diesen Schattenschlangen an den Rand des Todes getrieben wurden, und natürlich wie Phoenix … Ein entsetztes Keuchen entfloh mir und ich schlug die Hände vor den Mund. Sofort reagierte der Pulssensor alarmierend, weshalb ich das Ding gedankenlos von meinem Finger zog. Daraufhin explodierte der Warnton regelrecht.

Sofort verschwand Denver hinter dem Vorhang und stellte die Maschine ab. Das schrille Piepen verstummte, aber es blieb ein wiederkehrender Ton, der sehr viel leiser und unrhythmischer klang als zuvor.

Doch dafür hatte ich gerade keinen Kopf. Mit einem heiseren Atemzug entfloh mir ein einziges Wort.

»Phoenix!«

Das Bild seiner obsidianschwarzen Augen mit den silbrigen Pupillen erschien vor mir, als stände der Schütze leibhaftig da.

»Er … Er ist …« Anstatt meine mentale Überforderung weiter in hirnloses Gestammel zu übersetzen, stiegen mir brennende Tränen in die Augen. Meine Brust verkrampfte sich und meine Haut zog sich zusammen, als wäre sie um Nummern zu klein. Das, was ich für den schlimmsten Albtraum meines bisherigen Lebens gehalten hatte, war in Wirklichkeit die grausame Realität.

»Du weißt es bereits? Woher?« Denver wirkte irritiert, doch dann ließ Trauer seine Gesichtszüge hart wirken. »Ja, es ist echt riesige Scheiße, was mit ihm passiert ist. Aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Charleston gibt alles, um ihn irgendwie wieder auf die Beine zu bekommen. Solange sein Herz schlägt, dürfen wir nicht aufgeben.«

»Wie meinst du das …?« Eine steile Falte bildete sich zwischen meinen Brauen und ich blinzelte mehrfach, um meine schwimmende Sicht zu klären. Vielleicht würde es mir leichter fallen, zu begreifen, was der Fisch von sich gegeben hatte, wenn das Bild von Phoenix meinen Verstand nicht länger lahmlegte.

»Wie, wie meine ich das …? Weißt du doch nicht Bescheid? Ich dachte …« Denver schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Ich bin momentan selbst nicht ganz auf der Höhe.« Er lachte verlegen, wurde jedoch gleich wieder ernst. Nach einem tiefen Atemzug fuhr er sich mit der rechten Hand, an der ein blassrosafarbener Stein in einem Silberring eingefasst war, durch die Haare. Seit Kurzem wusste ich, dass jeder Lunaris seinen Geburtsstein auf diese Art bei sich trug. So konnten sie – und zwar buchstäblich auf magische Weise – von gewöhnlichen Menschen wahrgenommen werden. Ich hingegen, die kein solches Schmuckstück besaß, war auch weiterhin im wahrsten Sinne des Wortes unsichtbar für jeden, der nichts mit der magischen Welt zu tun hatte. Dafür musste ich nur jeglichen Blickkontakt vermeiden.

»Charleston weiß trotz seiner Lumen-Erfahrung nicht, was Phoenix fehlt«, erklärte Denver. »Er sagt, es ist, als wäre Phoenix in einer Art Koma. Sein Herz schlägt zwar, aber er ist weder ansprechbar, noch reagiert er auf irgendwelche Reize. Deswegen will Jack dich auch so dringend sprechen. Er hofft, dass du vielleicht mitbekommen hast, was mit Phoenix geschehen ist.«

»Jackson … er will mich sprechen?« Meine Stimme kiekste. Dass sich der Löwe mit mir unterhalten wollte, konnte ich mir nur allzu gut vorstellen. Immerhin hatte ich ihn nicht nur des Hochverrates beschuldigt, indem ich Drake geglaubt hatte, dass Jackson der Maulwurf im Team und Grund für Arizonas Selbstmord war. Nein, der Lunaris-Anführer hatte auch mitbekommen, wie ich problemlos mit den Shadows kommuniziert hatte, weil ich ihre wahre Gestalt sehen konnte. Das gehörte nämlich ebenfalls zu meinen Tricks. Nur wusste ich leider nicht, wieso das der Fall war. Denn laut Drake war ich die einzige Lunaris, die diese Fähigkeit besaß, und sollte sie deshalb besser für mich behalten. Das war ein überraschend guter Hinweis. Denn, wie ich inzwischen selbst mitbekommen hatte, neigten Lunaris dazu, Dingen, die nicht der Norm entsprachen, mit Misstrauen zu begegnen.

»Und Phoenix’ Herz schlägt noch?«, schob ich die zweite, für mich weitaus wichtigere Frage nach, als es mir gelungen war, Denvers Worte einigermaßen zu verarbeiten.

»Ja, Jack hat gesagt, wir sollen ihm sofort Bescheid geben, wenn du aufgewacht bist. Aber eigentlich will ich ihn gar nicht aufscheuchen. Er hat seit unserer Rückkehr kein Auge zugemacht und Charleston hat ihm deswegen heute Abend etwas in sein Essen gemischt. Wir waren uns alle einig, dass sich unser Captain mal ordentlich ausruhen muss. So wie er aktuell aussieht, könnte er easy-peasy die Hauptrolle in jedem Zombie-Film spielen.« Denver verschränkte locker die Arme vor der Brust. »Tja, und was Phoenix angeht, der liegt oben in seinem Zimmer und hält seinen Dornröschenschlaf, aus dem wir ihn partout nicht wachbekommen. Aber vielleicht wartet er auch nur auf den Kuss einer holden Maid.« Er zwinkerte mir vielsagend zu, was ich gekonnt überging. Stattdessen fokussierte ich mich auf das Kribbeln, das mich dazu drängte, aus dem Bett zu springen und nach oben zu rennen. Ich musste mich einfach mit eigenen Augen davon überzeugen, dass Phoenix noch am Leben war.

Dass er keinen Selbstmord begangen hat.

»Ja, wo sollten wir ihn sonst unterbringen?« Der Fisch sah mich mit einem Ausdruck im Gesicht an, als zweifelte er an meiner Zurechnungsfähigkeit. »Etwa hier unten bei Olly und dir? So viel Platz haben wir nicht. Aber keine Sorge, Charleston weiß schon, was er tut. Er hat ein Auge auf deinen Märchenprinzen.«

Ich wollte nicken, als Zeichen, dass ich Denver verstanden hatte – und anschließend so schnell mich meine Beine tragen aus dem Krankenzimmer verschwinden. Doch stattdessen starrte ich den Fisch mit offen stehendem Mund an.

»Olly … sie ist hier?« Die Worte waren kaum lauter als ein Wispern und mein Kopf drehte sich automatisch in Richtung Vorhang. Ihr Puls war es also, der für das arhythmische Piepen verantwortlich war.

»Als wir zu euch stießen, war Ollys Schattenbrand bereits so weit fortgeschritten, dass Charleston ihr noch an Ort und Stelle einen starken Medikamenten-Cocktail geben musste. Seitdem warten wir darauf, dass sie aufwacht – falls es jemals dazu kommt«, fügte Denver mit so dünner Stimme hinzu, dass der Knoten in meinem Magen eine Etage tiefer sackte. Zwar verbuchte ich es als gute Neuigkeit, dass Olly überhaupt noch am Leben war. Aber wenn nicht einmal Charleston mit Sicherheit sagen konnte, dass sie wieder zu sich kommen würde, war sie so gut wie verloren.

Mich durchfuhr ein Schmerz, als würde mir jemand ein Messer in die Brust rammen. Olly war von Anfang an so unbeschreiblich nett und herzlich zu mir gewesen, dass ich in ihr fast so etwas wie eine Freundin gesehen hatte. Dass sie nun am Rand des Todes schwebte, war allein meine Schuld. Hätte ich nicht darauf bestanden, dass Jackson sich Phoenix und mir nach Mexiko anschloss, hätte die Stier-Dame keinen Grund gehabt, ebenfalls mitzukommen.

Ein Schluchzen überkam mich und ich schlug mir die Hände vors Gesicht. Die Schuldgefühle, die mich quälten, waren eine gerechte Strafe.

»Bei Phoenix sah die Sache anders aus«, sprach Denver weiter, ich nahm an, um besser mit seinen eigenen Emotionen umzugehen. »Als wir euch erreichten, lag er mit einem Lumi-Dolch zwischen den Rippen auf dem Boden. Wir waren uns sicher, dass für ihn jede Hilfe zu spät kam. Aber als wir zurück zum Heli wollten, mit dem wir euch nachgeflogen sind, bemerkte Raleigh, dass Phoenix trotz seines enormen Blutverlustes noch immer einen Puls besaß – ein Wunder, für das wir bis heute keine Erklärung haben.«

Raleigh!

Sie hatte ich völlig vergessen. Dabei war sie es, die Phoenix und Arizona nachgerannt war, angetrieben von der festen Absicht, sie zu töten.

Die Frage, ob sie ihr Ziel erreicht hatte, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren und trieb mir Tränen in die Augen.

Doch ich versuchte mich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass Raleigh Phoenix unmöglich getötet haben konnte, wenn sein Körper weiterhin einen Puls besaß.

Ich muss endlich herausfinden, was hier los ist!

Ohne weitere Zeit zu vergeuden, riss ich die Infusionsnadel aus meiner Haut und schwang die Beine über den Matratzenrand. Ein heftiger Schmerz jagte von meinem verletzten Fußknöchel empor, als ich auf den Boden sprang, doch darauf nahm ich keine Rücksicht. Trotz der schwarzen Punkte, die mir vor den Augen tanzten, eilte ich auf den Ausgang des Krankenzimmers zu.

»Wo willst du hin?«, rief Denver, als ich die Tür öffnete und hinaus auf den Flur lief. »Ich muss Charleston Bescheid geben, dass du wach bist. Er muss dich untersu–« Der Rest seiner Worte wurde vom Zufallen der Tür geschluckt.

Aber ich hatte dem Fisch ohnehin nicht mehr zugehört. Meine Gedanken wurden allein von der Aussicht dominiert, einen Weg zu finden, Phoenix zu retten.

Es musste einfach einen geben!

Und beim leibhaftigen Teufel, ich würde alles dafür tun, um herauszufinden, welcher das war.

Kapitel Drei

Ich hastete durch den schmucklosen und von Neonröhren beleuchteten Flur, ohne den weiß verputzten Wänden oder den Türen Beachtung zu schenken, die zu Umkleideräumen und Trainingshallen führten. Mein Atem ging hektisch und meine Ankle Boots verursachten bei jedem Schritt dumpfe Geräusche. Schweiß rann meinen Nacken herab und mein Herz donnerte wie ein Presslufthammer.

Doch die Hoffnung, Phoenix irgendwie noch retten zu können, trieb mich die geländerlosen Stufen hinauf, bis ich mich in einer großzügigen Galerie mit hoher Decke, freistehender Treppe und dickem Teppich auf dunklem Holzboden wiederfand.

Wie ein Duracell-Hase auf Ecstasy jagte ich weiter, die Stufen ins Obergeschoss hinauf.

Im ersten Stock befanden sich die Schlafzimmer der weiblichen Lunaris, im zweiten die der männlichen. Am Ende des länglichen und ebenfalls dekadent eingerichteten Flures lag das Gästezimmer, das Olly für mich hergerichtet hatte. Bisher hatte ich keine Gelegenheit gehabt, dort mehr als nur wenige Minuten zu verbringen. Aber die Warmherzigkeit der schillernden Stier-Dame rührte mich noch immer so sehr, dass ich es mir niemals verzeihen würde, sollte sie sich nicht wieder zu einhundert Prozent erholen.

Mit polterndem Herzschlag blieb ich vor einer Tür stehen, an der ein in einen Bogen eingespannter Pfeil aus Messing hing. Das Symbol war mir inzwischen so vertraut, dass ich es blind hätte zeichnen können.

Meine mit Blut und Schweiß überzogenen Finger zitterten, als ich sie auf die Klinke legte und die Tür ohne vorheriges Klopfen öffnete.

Der Raum versank in Dunkelheit, dennoch erkannte ich vage Schemen, nachdem sich meine Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Phoenix’ Reich war großzügiger geschnitten als meines, aber identisch eingerichtet. Vor hellen Wänden standen ein Kleiderschrank, eine Kommode und ein Schreibtisch. Das Fenster über dem Schreibtisch wurde von dunklen Vorhängen verdeckt und obwohl Phoenix bereits seit einem Jahr hier lebte, konnte ich keine persönlichen Gegenstände entdecken. Allein ein gerahmtes Foto stand auf dem Schreibtisch. Das Bild zeigte einen jüngeren Phoenix neben einer dunkelhaarigen Schönheit. Seine Gesichtszüge wirkten weicher, seine Augen strahlten hell und unbekümmert. Ein breites Grinsen lag auf seinen Lippen, während er dem Mädchen neben sich einen Arm um die Schulter legte und zwei gestreckte Finger hinter ihrem Kopf in die Höhe hob.

Ich musste mir das Bild nicht näher ansehen, um zu wissen, dass es sich bei dem Mädchen um Arizona handelte. Die Ähnlichkeit, die die beiden verband, war selbst auf die Entfernung zu erkennen. Und jetzt, da ich wusste, wie Arizona vor ihrem Shadow-Dasein ausgesehen hatte, verstand ich auch, wieso Jackson als Highschoolschüler ein Auge auf sie geworfen hatte. Sie war nicht nur bildschön, ihr Lachen strahlte selbst auf dem Foto eine Leichtigkeit aus, die ansteckend wirkte.

Schnell wandte ich den Blick ab, und folgte dem Ursprung des leisen, rhythmischen Piepens, das Denvers Worte bestätigte. Auch Phoenix’ Zustand wurde angemessen überwacht.

Ich fand das Bett und erstarrte augenblicklich. Mir rutschte das Herz in die Hose und ich musste mich an der Wand neben mir festhalten, um nicht umzufallen. Der sonst so draufgängerische und selbstbewusste Schütze lag mit geschlossenen Augen auf hellen Laken. Seine dunklen Locken fielen wie eine Krone um seinen Kopf, und sein Mund stand einen winzigen Spalt offen. Die dichten Wimpern warfen schwarze Kränze unter die geschlossenen Lider und bildeten einen starken Kontrast zu seiner Gesichtsfarbe.

»Phoenix …« Der Laut war mir ungewollt über die Lippen gekommen. Gleichzeitig wünschte ich, ich besäße die Stärke, ihn noch einmal zu wiederholen. Bewusster. Kräftiger. Denn diese Hilflosigkeit und Angst, die unverkennbar in meiner Stimme mitschwangen, waren nicht das, was Phoenix von mir hören sollte.

Mit zitternden Knien zwang ich mich näher ans Bett. Eine Decke lag über Phoenix’ Beinen, um seine Brust war ein blütenreiner Verband gewickelt. Die Silberkette um seinen Hals war verschwunden, ebenso wie der Silberring an seiner Hand. Seine Arme ruhten neben seinem Körper, und in einer Beuge steckte ein Venenzugang, der durch einen Schlauch mit einem durchsichtigen Beutel an einem Metallständer verbunden war. Eine klare Flüssigkeit floss auf diese Weise in Phoenix’ Blutbahn.

Ich legte meine Hand auf die des Schützen. Seine Finger fühlten sich kalt und trocken an.

»Was ist nur mit dir passiert?«, schluchzte ich, als ich keine Kraft mehr hatte, stark zu bleiben. Ich wusste, dass es allein meine Schuld war, dass er hier so lag. Hätte ich Phoenix nicht verschwiegen, was ich über seine Schwester herausgefunden hatte, hätte ihn der Schock in Mexiko vielleicht nicht so hart getroffen. Und vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen.

»Ich hatte gehofft, du hättest eine Antwort auf diese Frage.« Die Stimme, so klar und vertraut, ließ mich auf dem Absatz herumwirbeln. Ich hatte nicht gemerkt, dass jemand das Zimmer betreten hatte. Aber in meinem aktuellen Zustand hätte auch eine Bombe neben mir einschlagen können, ohne dass ich es mitbekommen hätte.

»Jackson«, rief ich gleichermaßen überrascht wie erschrocken. Denver hatte sich zwar getäuscht, was Jacksons Entspannungsmodus anging, aber er hatte nicht übertrieben, was den gesundheitlichen Zustand unseres Captains anging. Die Schwellungen in Jacksons Gesicht waren zurückgegangen, aber noch immer zierten grün-gelbe und blau-lila schimmernde Flecken seine Mimik. Dazu mischten sich noch nicht gänzlich verheilte Schnittwunden.

Der Löwe trug einen dunkelblauen Kapuzen-Hoodie, eine helle Jogginghose und Turnschuhe. Auf den ersten Blick sah er aus, als wäre er auf dem Weg in den Fitnessraum. Doch der Gehstock in seiner linken Hand, auf dem er sich abstützte, strafte diesen Eindruck Lügen.

»Denver sagte, du würdest schlafen.«

Anstatt zu antworten, musterte Jackson mich von Kopf bis Fuß. Bereits unter normalen Umständen wäre mir eine derartige Prüfung unangenehm gewesen. Aber jetzt, da nichts als eisige Kälte in Jacksons Augen lag, war es die reinste Qual.

»Ich wusste, dass du herkommen würdest, sobald du aufwachst«, sagte der Löwe und humpelte einen Schritt auf mich zu. »Deswegen habe ich die letzten Tage nicht geschlafen – oder etwas von dem Zeug genommen, das Charleston mir ins Essen gemischt hat. Ich wollte dabei sein, wenn du herkommst.« Er kam noch einen Schritt näher. Seine Bewegungen waren steif und unbeholfen, und trotz seiner Bemühung, sich nicht anmerken zu lassen, wie groß seine Qual war, zuckte es in seiner Mimik.

»Und ich muss sagen«, fuhr Jackson mit kratzender Stimme fort, »das Warten hat sich gelohnt. Deine Performance ist wirklich überzeugend. Wenn ich nicht live mitbekommen hätte, was in Mexiko passiert ist, würde ich dir tatsächlich abkaufen, dass dich Phoenix’ Schicksal derart trifft.«

»Jackson, ich –«

»Was, Juneau?« Jackson machte noch einen wackeligen Schritt auf mich zu. Inzwischen trennte uns kein Meter mehr. »Willst du mir noch mehr Lügen auftischen? Noch mehr Geheimnisse vertuschen?« Er fletschte die Zähne, was die Kälte in seinen Augen zu einem regelrechten Blizzard anschwellen ließ. Tosend. Peinigend. Gänsehaut verursachend. Obwohl ich gewusst hatte, dass mein Widersehen mit Jackson kein Sonntagsspaziergang werden würde, hätte ich niemals mit einem solchen Ausmaß gerechnet. Beinah meinte ich, die Qual des Löwen am eigenen Leib zu spüren. »Glaubst du wirklich, ich würde dir, nach dem, was du getan hast, auch nur noch ein Wort glauben? Du hast das gesamte Team hintergangen, einen verdammten Spion in unsere Mitte geführt, mich ausgenutzt, und uns alle in Lebensgefahr gebracht – ganz zu schweigen davon, dass deinetwegen beinah das Götterkind befreit worden wäre.« Er verengte die Augen zu Schlitzen, und als er weitersprach, war seine Stimme so gefährlich ruhig geworden, dass sich die Abscheu in seinen Silben wie Messerstiche anfühlten. »Am liebsten würde ich dich aus dem Team werfen und dem Lunaris-Rat melden, damit er darüber entscheidet, was mit dir geschieht. Aber damit würde ich dir nur in die Karten spielen, nicht wahr? Dann könntest du einen anderen Idioten mit deiner Armes-verängstigtes-Mädchen-Nummer um den Finger wickeln.«

Sprachlos starrte ich Jackson an. Ich konnte seine Wut nachvollziehen. Und vielleicht hatte ich sie sogar verdient. Dennoch trieben mir seine Worte Hitze der Scham und der Erniedrigung ins Gesicht. Dachte Jackson wirklich, dass ich derart abgebrüht war und alles nur vorgetäuscht hätte?

Ja, ich hatte Scheiße gebaut. Verdammt große sogar. Aber musste ich deswegen gleich wie ein Staatsfeind behandelt werden? Waren Jackson meine Gefühle völlig egal?

Moment!

Wo kam das denn plötzlich her? Und wieso drohte mich der Streit mit dem Löwen in ein verweichlichtes Schulmädchen zu verwandeln, das von seinem Schwarm auf dem Schulhof vor versammelter Mannschaft fertiggemacht wurde?

So intensiv hatte mich nicht einmal Denvers Verkündung bezüglich Ollys und Phoenix’ auswegloser Lage aus der Bahn geworfen.

Es ist seine Gabe, gab ich mir selbst die Antwort. Ich reagiere auf Jacksons Gabe! Mal wieder!

Ein stummer Fluch bildete sich in meiner Brust. Bereits vor unserer Reise nach Mexiko war mir klar geworden, dass ich Jacksons magische Fähigkeit anders wahrnahm als die anderen Lunaris. Anstatt in dem Löwen einen autoritären und Respekt einflößenden Captain zu sehen, hatte ich eine zart romantische Verbindung zwischen uns verspürt. Erst durch Phoenix, dessen Anwesenheit wie Kryptonit auf diese Verbindung wirkte, hatte ich begriffen, dass ich nicht wirklich für Jackson schwärmte.

Nur, was sollte ich jetzt tun, da Phoenix mir in diesem Bereich nicht länger helfen konnte?

Jackson erwiderte meinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken, und so standen wir einander einige Zeit schweigend gegenüber. Die Stille zwischen uns wurde immer peinigender, und ich hätte einiges dafür getan, um dieser Situation zu entfliehen. Gleichzeitig brachte ich es nicht über mich, den ersten Schritt zu wagen.

»Die Shadows werden auch weiterhin hinter dir her sein«, sagte Jackson schließlich in einem überraschend geschäftsmäßigen Ton. »Zwar haben wir die Dios de los muertos hinter uns gebracht, aber ich bin nicht so naiv zu glauben, dass wir damit viel Zeit gewonnen haben. Die Shadows werden weiterhin alles daransetzen, das Götterkind zu befreien. Und solange du der Schlüssel dazu bist, behalte ich dich lieber im Auge.« Er atmete tief ein und straffte die Schultern. »Deshalb stehst du ab sofort unter Arrest. Es ist dir untersagt, allein durchs Haus zu wandern, aber unter Aufsicht darfst du in den Garten gehen. Das Grundstück wird unter keinen Umständen verlassen, und du nimmst fortan an jedem Morgen- und Abendappell, sowie an den Trainingsstunden teil. Die Mahlzeiten kannst du oben in deinem Zimmer oder gemeinsam mit uns im Erdgeschoss einnehmen. Aber du wirst dich ab sofort jedes Mal bei mir persönlich an- und abmelden.«

Mit großen Augen und offen stehendem Mund starrte ich Jackson an. »Das ist ein Witz, oder? Du verarschst mich. Aus Rache.«

Jacksons Miene blieb ausdruckslos, was Antwort genug war.

»Hast du sie nicht mehr alle? Du kannst mich doch nicht wie eine Schwerverbrecherin einsperren! Fehlt nur noch, dass ich eine verdammte Fußfessel bekomme. Scheiße, Jackson! Ich bin doch nicht Pablo Escobar!«

»Escobar hin oder her – ich kann dir nicht länger vertrauen. Als Anführer dieser Gruppe obliegt es jedoch meiner Verantwortung, dieses Team zu schützen. Und da ich dich, wie bereits erwähnt, nicht einfach jemand anderem aufs Auge drücken kann, habe ich keine andere Wahl, als dich einzusperren.« Mit einem letzten Blick, der deutlich einen Riss in der Eisschicht seiner Emotionen zeigte, wandte er sich zum Gehen. Doch so leicht würde ich ihn nicht davonkommen lassen.

Angetrieben von der Panik, dass Jackson wirklich Ernst machen und mich wie einen Serienkiller hinter schwedische Lunaris-Gardinen stecken würde, eilte ich ihm nach.

»Nicht so schnell! Du kannst nicht einfach beschließen, dass ich ab sofort unter Arrest stehe, und dann abhauen, ohne mir die Gelegenheit zu geben, mich zu verteidigen. Ich weiß, ich habe ordentlich ins Klo gegriffen. Und ja, alles, was in Mexiko passiert ist, geht auf meine Kappe. Aber tu bitte nicht so, als wäre ich die Einzige, die auf Drake reingefallen ist. Du bist ebenfalls mit ihm unterwegs gewesen und hast nichts von seinem falschen Spiel mitbekommen.«

Jacksons Blick bohrte sich in meinen und die Eisschicht, die seine Emotionen zuvor auf Minusgrade heruntergekühlt hatte, schmolz durch die lodernde Wut, die ihm mit einem Mal ins Gesicht geschrieben stand.

»Mag sein, dass ich den Drachen unterschätzt habe. Aber ich hätte niemals zugelassen, dass er – oder sonst irgendjemand – mir einredet, du könntest mit den Shadows unter einer Decke stecken. Denn im Gegensatz zu dir, habe ich dir von Anfang an vertraut. Ich habe mich für dich eingesetzt, dich vor den anderen in Schutz genommen und Anthony davon überzeugt, alle Informationen mit dir zu teilen, die wir bis zum Zeitpunkt deiner Ankunft besaßen.« Er beugte sich so weit vor, dass sein gesamtes Körpergewicht auf seinem Stock ruhte. »Ich war immer auf deiner Seite, June. Immer. Und was habe ich dafür zurückbekommen?«

Mein Ärger erlosch wie eine Kerzenflamme im Sturm und die Schuldgefühle kehrten mit solcher Wucht zurück, dass ich Jacksons Blick nicht länger standhalten konnte. Wie ein kleines Kind senkte ich den Kopf.

»Es tut mir leid. Wirklich. Ich wünschte, ich könnte etwas sagen oder tun, die Zeit zurückdrehen und all meine falschen Entscheidungen wiedergutmachen. Aber das kann ich nicht.«

»Nein, das kannst du nicht.« Jacksons Stimme klang derart gebrochen, dass ich unweigerlich aufsah. Seine flammenden Emotionen waren verschwunden und hatten nichts als Ödland zurückgelassen. Verbrannte Erde und die traurige Gewissheit, dass einem alles genommen worden war, was einem wichtig war.

Als Jackson dieses Mal auf seinen Stock gestützt in Richtung Zimmertür humpelte, hielt ich ihn nicht auf. Es war alles gesagt.

Kapitel Vier

Nachdem Jackson gegangen war, stieß ich meinen angehaltenen Atem geräuschvoll aus. Normalerweise war ich niemand, der sich in Selbstmitleid suhlte. Aber im Augenblick war das das Einzige, was ich zustande brachte. Ohne Olly, Phoenix und Jackson an meiner Seite, fühlte ich mich einsamer als jemals zuvor.

Gleichzeitig war mir bewusst, dass ich nicht die Zeit hatte, mich wie eine Schildkröte in ihrem Panzer zu verkriechen. Uns blieben gerade Mal vierzehn Tage, um Arizonas – und nun auch Phoenix’ – Seele aus den Fängen der Shadows zu befreien, und unser aller Leben zu retten.

Ich verabschiedete mich mit dem Versprechen von Phoenix, bald wiederzukommen und schlüpfte hinaus auf den Flur. Nach drei Tagen Knock-out brauchte ich als Erstes eine Dusche und frische Klamotten. Anschließend würde ich mir einen Schlachtplan zurechtlegen.

Kaum hatte ich die Schwelle des Schützen-Schlafzimmers passiert und die Tür hinter mir zugezogen, erschien Denver wie aus dem Nichts vor mir. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass noch jemand hier auf dem halbdunklen Flur sein würde, und konnte mir nur knapp einen spitzen Schrei verkneifen. Doch mein Herz schlug heftig gegen meine Rippen.

»Denver!« Ich presste mir eine Hand auf die Brust. »Du hast mich erschreckt! Was machst du hier?«

»Auf dich warten?!« Denver sah mich verständnislos an. »Jack hat dir doch gesagt, dass er mich zu deinem Bodyguard ernannt hat, oder? Ich dachte, unter anderem deswegen hatte er so dringend mit dir reden wollen.«

»Er hat dich zu meinem Bodyguard ernannt?« Meine Verwirrung schlug in Wut um, und Hitze explodierte in meinen Wangen. War das Jacksons verdammter Ernst? Hausarrest alleine genügte ihm nicht? Jetzt band er mir auch noch einen Wachhund ans Bein?

Natürlich las mir Denver mit Leichtigkeit meine Emotionen im Gesicht ab, weshalb er die Hände in die Höhe hob und defensiv einen Schritt zurücktrat.

»Bitte bring nicht den Boten um. Ich habe Jackson bereits gesagt, dass ich seine Vorsicht völlig übertrieben finde. Aber el Capitano meinte, dass er kein Risiko eingehen will und du ab sofort unter besonderem Schutz stehst.«

»Ich stehe unter besonderem Schutz?« War das Denvers betont positive Version von Jacksons Anweisung, oder hatte der Löwe den anderen nicht die gesamte Wahrheit erzählt?

Aber wieso sollte er mich decken?

»Und aus welchem Grund genau stehe ich unter besonderem Schutz?«, hakte ich vorsichtig nach. Ich musste herausfinden, wie viel die anderen wussten. Doch Denver zuckte nur locker mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Jack ist nicht ins Detail gegangen. Er meinte nur, dass wir dich nicht mehr aus den Augen lassen dürfen, weil die Shadows hinter dir her sind.«

Ich nickte langsam. Dass Denver einen solchen Befehl von Jackson einfach so akzeptierte, wunderte mich nicht. Dafür sorgte Jacksons Gabe. Aber wieso nahm mich der Löwe in Schutz, wenn er mir gleichzeitig zu verstehen gab, dass ich in seinen Augen der Staatsfeind Nummer eins war?

Um mich von dieser Frage abzulenken – im Moment würde ich ohnehin keine Antwort darauf erhalten –, wechselte ich das Thema.

»Danke übrigens für die Rettung. Ihr seid in letzter Minute gekommen.«

»Ist doch klar!« Denver grinste mich an und legte mir wie selbstverständlich einen Arm um die Schulter. »Wir sind eine Family und müssen zusammenhalten. Ich bin nur froh, dass Phoenix uns rechtzeitig informiert hat und wir den Heli des New Yorker Teams haben konnten. Ansonsten wären wir niemals rechtzeitig bei euch gewesen.«

»Phoenix hat euch informiert? Wann war das?«

»Das weiß ich nicht mehr. Aber er hat Raleigh eine Nachricht geschickt. Wir sind dann sofort los.«

Ich nickte, während sich meine Gedanken überschlugen. Wieso hatte mir Phoenix nicht gesagt, dass er das Team alarmiert hatte? Hatte er keine Gelegenheit dazu gehabt, oder hatte er mir nicht so sehr vertraut, wie er behauptet hatte?

Bei der Vorstellung schauderte es mich und ein schaler Geschmack breitete sich in meinem Mund aus.

»Kopf hoch, June.« Denver lächelte mich aufmunternd an. Doch in seinen Augen lag Traurigkeit. »Die Lage mag im Augenblick nicht unbedingt rosig aussehen, aber noch ist es zu früh, um die Flinte ins Korn zu werfen. Olly und Phoenix werden sich schon wieder berappeln. Und wir werden auch einen Weg finden, Arizona zu retten. Bis dahin amüsieren wir uns einfach über Anthony. Er hat nämlich die ganze Zeit die Mondgöttin beschworen, dass sie euch beschützen soll, damit er euch eigenhändig umbringen kann.«

So dankbar ich Denver auch für seinen Versuch war, mich ablenken zu wollen, hatte er mit seinen Worten genau den gegenteiligen Effekt erzielt. Den Archivar hatte ich völlig vergessen. Dabei wetzte er sicherlich bereits seine verbalen Messer, um uns für unsere Dummheit zurechtzustutzen.

»Also?« Denver löste seinen Arm von mir und schob die Hände in die Taschen seiner Hose. Entspannt wippte er auf den Füßen vor und zurück. »Was willst du jetzt tun? Da du die letzten zweiundsiebzig Stunden gepennt hast, gehe ich nicht davon aus, dass du müde bist.«

Ich schüttelte den Kopf. Zwar fühlte ich mich körperlich und mental ziemlich gebeutelt, aber schlafen wollte ich tatsächlich nicht. Jedoch gab es etwas, wonach ich mich seit dem Moment meines Erwachens sehnte.

»Sag mal, Denver, kannst du die Kaffeemaschine in der Küche bedienen?«

Kapitel Fünf

Die Küche lag im Erdgeschoss und war ein geräumiger Raum mit weißen Einbauschränken, modernen Geräten und einem großen Tisch, an dem locker sechs Personen Platz fanden. Normalerweise würde mich eine solche offensichtliche Zurschaustellung von Geld nicht beeindrucken, aber die Kaffeemaschine – oder besser gesagt, der Hightech-Kaffeevollautomat, der mehr Schnickschnack besaß, als je ein Profi-Barista würde nutzen können – ließ mein Kaffeejunkie-Herz höherschlagen. Beziehungsweise würde es das tun, wenn es Denver gelingen würde, dieses Ding in Gang zu bringen. Aber momentan sah es eher danach aus, als würde ich weiterhin ein kaffeeloses Dasein fristen müssen.

»Es reicht!« Jacksons Stimme polterte so klar und deutlich aus dem angrenzenden Esszimmer, dass nicht nur ich erschrocken zusammenfuhr. Auch Denver, der zuvor scheinbar wahllos irgendwelche Knöpfe gedrückt hatte, erstarrte. Keiner von uns hatte gewusst, dass sich Jackson nebenan aufhielt.

»Ich bin dir zwar dankbar, dass du die Stellung während meiner Abwesenheit gehalten hast. Aber noch bin ich der Captain dieser Gruppe, und das bedeutet –«

»Wie schön du das noch betont hast«, giftete eine zweite Person mit schneidender Stimme zurück. Raleigh. Unverkennbar. »Offenbar hat dir Juneau doch nicht das gesamte Hirn vernebelt, und dir ist selbst bewusst, wie wackelig der Ast ist, auf dem dein Anführerarsch hockt.«

»Soll das eine Drohung sein?« Ich konnte förmlich vor mir sehen, wie Jacksons Augen bei diesen geknurrten Worten blitzten.

»Hey, ich denke, wir sollten abhauen, ehe die beiden rauskommen«, wisperte Denver und sah mich flehend an. Doch ich nahm ihn kaum wahr. Mein gesamter Fokus war auf das Gespräch im benachbarten Zimmer gerichtet.

»Fass es auf, wie du willst, Jackson. Aber Fakt ist, dass du, seit diese Betrügerin aufgetaucht ist, nur noch mit deinem Schwanz denkst. Alles dreht sich nur noch um June. Aber wie es uns damit geht, dass sie Arizona – unsere Freundin und Schwester – ersetzt, geht dir am Arsch vorbei. Du hast dir bisher ja noch nicht einmal Gedanken darüber gemacht, wie wir Ari wiederfinden sollen. Dabei bleiben uns nur noch zwei Wochen! Aber du bist ja viel zu sehr damit beschäftigt, wie ein herrenloser Welpe vor Juneaus Tür herumzuhängen, um bloß den Moment nicht zu verpassen, wann deine Angebetete endlich aufwacht. Du warst ja noch nicht einmal bei Anthony, um nach ihm zu sehen. Dabei weißt du ganz genau, wie mies es ihm gerade geht.«

Dröhnende Stille umhüllte mich wie kalter Nebel und eine Gänsehaut zog über meinen gesamten Körper. Jackson sollte sich die ganze Zeit vor der Krankenstation herumgetrieben haben? Zwar erklärte das, wie der Löwe von meinem Erwachen erfahren hatte. Aber wieso war er nicht einfach hereingekommen, um mit mir zu reden?

Die Tür zur Küche wurde impulsiv aufgerissen, und ich zuckte so heftig zusammen, dass ich mir auf die Zunge biss.

Jackson erschien im Türrahmen, die Nasenflügel gebläht, die Miene vor Zorn verzerrt. Sein Blick huschte zwischen Denver und mir hin und her, und ich konnte genau den Moment erkennen, in dem der Löwe realisierte, dass wir Zeugen seines Streits mit Raleigh geworden waren. Das kräftige Zornrot wich so schnell aus seinen Zügen, dass das zurückgebliebene Weiß ihm etwas Gespenstisches verlieh.

Doch Jackson wäre nicht Jackson, wenn er seine Mimik nicht unmittelbar wieder unter Kontrolle hätte. Den Blick stur auf Denver gerichtet, der vorgab, das leuchtende Display der Kaffeemaschine so gründlich zu studieren, als würde er eine Doktorarbeit darüber schreiben wollen, rauschte Jackson durch die Küche und hinaus auf den Flur.

Raleigh, die nun anstelle von Jackson auf der Schwelle zwischen Esszimmer und Küche erschienen war, verschränkte die Arme vor der Brust. Im Gegensatz zu Jackson schien es ihr völlig egal zu sein, dass wir sie belauscht hatten.

»Na, zufrieden?« Ihre eisblauen Augen verengten sich herausfordernd. Bereits bei unserer ersten Begegnung hatte sie mich mit ihrer hellen Gesichtsfarbe und den langen schwarzen Haaren an Schneewittchen erinnert. »Seit du hier bist, bricht dieses Team Stück für Stück auseinander. Deswegen hätte ich dich in Mexiko töten sollen, anstatt den Shadows nachzurennen.«

»Raleigh!« Denver wirbelte mit kugelrunden Augen zu uns herum. Doch die Krebs-Dame beachtete ihn ebenso wenig wie ich. Mein Herz stand kurz vor einem Kollaps, als mir bewusst wurde, was Raleigh gerade angedeutet hatte.

»Heißt das … du … du hast … du hast die Shadows erwischt?«

Nein! Nein, das darf einfach nicht sein! Bitte nicht!

Ich wollte mir die Konsequenzen nicht vorstellen, sollten Phoenix’ und Arizonas Seelen tatsächlich vernichtet worden sein.

Raleigh trat langsam auf mich zu. Als sie so dicht vor mir stand, dass sich unsere Ellbogen berührten, zischte sie: »Ich weiß nicht, welches Spiel du hier treibst, Fake-Skorpion. Aber ich schwöre dir: Sollten Olly oder Phoenix nicht bald wieder die Alten sein, mache ich dich«, sie stach mit ihrem Zeigefinger schmerzhaft gegen meine Brust, »dafür verantwortlich. Scheißegal, was Jackson behauptet. Dann bist du fällig!«

Mit einem letzten Blitzen warf sie sich die Haare über die Schulter und verschwand aus der Küche, jedoch nicht, ohne die Chance zu nutzen, mich im Vorbeigehen einmal heftig mit der Schulter anzurempeln.

»Das … also … ich schwöre, manchmal könnte ich sie …« Denver sah Raleigh kopfschüttelnd nach. Als ich nichts darauf erwiderte, kam er zu mir und legte mir eine Hand auf die Schulter. »June? Ist alles okay? Du weißt, dass du Raleigh nicht ernst nehmen darfst. Sie ist nur –«

»Nein, sie hat recht«, unterbrach ich Denver, ohne den Blick von der Stelle zu wenden, wo Raleigh zuvor gestanden hatte. Noch immer spürte ich den Druck ihres Fingers in meiner Brust. »Wenn Olly und Phoenix nicht mehr aufwachen, ist es meine Schuld.«

Genauso, wie alles andere, was gerade den Bach runtergeht.

»Wir können uns einen Film auf meinem Laptop ansehen«, schlug Denver vor, als wir die Küche verließen und hoch in den zweiten Stock gingen. Mir war die Lust auf Kaffee vergangen. Stattdessen wollte ich allein sein. Aber natürlich würde ich Denver nicht so einfach loswerden.

»Wir können aber auch Karten oder ein Brettspiel spielen. Ich bin zwar eine Niete im Schach, aber dafür unschlagbar im Strip-Poker.« Er grinste mich frech an, was ich mit einem ungewollten Zucken meiner Mundwinkel kommentierte. Der Fisch war wirklich manchmal unmöglich.

»Nimm es mir nicht übel, aber im Augenblick habe ich weder Lust auf einen Film noch auf irgendwelche Spiele. Ich will mich einfach nur ins Bett legen und nichts tun.«

Gemeinsam mit Denver bog ich in unseren Ziel-Flur ab.

»Klar, kein Problem. Dann chillen wir einfach nur.« Zielstrebig steuerte er mein Zimmer an. Ich hingegen blieb auf halbem Weg stehen und sah ihm irritiert nach. Hatte ich mich etwa nicht klar genug ausgedrückt?

»Äh, Denver, ich meinte eigentlich, dass ich gern allein wäre. So nur für mich, weißt du?«

Der Fisch blieb ebenfalls stehen, die Hand auf der Türklinke liegend.

»Oh. Okay.« Er lachte verlegen. »Dann hab ich dich falsch verstanden. Nur, na ja …« Er druckste herum, was so wenig zu seiner sonst so direkten Art passte, dass sich tiefe Falten auf meine Stirn gruben. »Was das angeht, also, das könnte ein kleines Problem darstellen.« Er rieb sich mit der freien Hand den Nacken. »Jackson hat ziemlich deutlich gemacht, dass ich dich nicht aus den Augen lassen darf. Er hat echt Schiss, dass dich die Shadows in die Finger bekommen.«

Das glaubte ich sofort, dass Jackson verhindern wollte, dass die Shadows und ich aufeinandertrafen. Jedoch aus völlig anderen Gründen, als Denver dachte.

Ich bemühte mich bei meinen nächsten Worten um eine neutrale Tonlage.

»Mag sein. Aber du kannst mich unmöglich vierundzwanzig Stunden am Tag bewachen. Oder willst du mir sogar beim Duschen zugucken?« Ich fügte meinen Worten ein leises Lachen hinzu, um zu verdeutlichen, wie albern ich meine Aussage meinte. Doch als Denver den Kopf hob und eine verräterische Röte seine Wangen zierte, klappte mir der Mund auf. »Denver!«, rief ich entsetzt. »Das ist hoffentlich nicht dein Ernst!« Energisch stürmte ich auf den Fisch zu und boxte ihm gegen die Schulter. »Du wirst mich nicht in den Waschraum begleiten! Das ist … abartig!«

»Das hatte ich doch gar nicht vor!« Denver rieb sich die schmerzende Stelle. Leider klang seine Verteidigung wenig überzeugend.

»Das hoffe ich für dich! Denn es ist mir völlig egal, was dir Jackson aufgetragen hat. Ab sofort gelten meine Regeln, verstanden? Du kannst mich gern im ganzen Haus auf Schritt und Tritt verfolgen, aber mein Zimmer und der Waschraum sind bodyguardfreie Zonen! Das kannst du auch gern Jackson so ausrichten! Wenn er damit ein Problem hat, soll er das mit mir klären!«

Denver erwiderte meinen Blick mit verdutzter Miene, dann wanderten seine Mundwinkel gen Ohren und er stieß ein anerkennendes Lachen aus.

»Heiße Ansprache, Lovely!« Nun war er es, der mir sacht die Faust gegen die Schulter stieß. »Würdest du nicht bereits bis über beide Ohren in einem Beziehungsdreieck stecken, würde ich meinen Hut ebenfalls in den Ring werfen. Aber gegen Jackson und Phoenix will ich nicht einmal in einem Trainingskampf antreten – von einem Fight um das Herz einer Lady ganz zu schweigen.« Er verwuschelte mir die Haare, als wäre ich ein kleines Kind.

Schnaubend schlug ich seine Finger weg und strich mir die wirren Strähnen glatt. Am liebsten hätte ich Denver darauf hingewiesen, dass ich nicht in einem Beziehungsdreieck steckte – schließlich wusste ich ganz genau, wem mein Herz gehörte, auch wenn mir Jacksons Gabe etwas anderes vorzutäuschen versuchte. Aber es ging den Fisch nichts an, was ich für wen empfand.

»Okay, was hältst du von folgendem Kompromiss«, sagte Denver nach einem Moment. »Ich checke kurz, ob dein Zimmer sauber ist, dann verkrümel ich mich wieder auf den Flur. Die Tür bleibt aber einen Spaltbreit auf. Einverstanden?«

Mit ernster Miene sah ich zwischen Denvers Gesicht und seiner mir dargebotenen Hand hin und her. Zwar widerstrebte es mir, meine Zimmertür nicht richtig schließen zu können, aber ich wollte Denvers ohnehin blöde Lage nicht unnötig verschlimmern. Immerhin war er bereit, mir trotz Jacksons Anordnung entgegenzukommen.

»Einverstanden.« Ich besiegelte unseren Deal mit einem Handschlag, dann verschwand Denver in meinem Zimmer. Nach wenigen Minuten kehrte er wieder und nickte mir als Zeichen der Entwarnung zu. Erleichtert, endlich allein sein zu können, schlüpfte ich in mein Reich.

Wie versprochen ließ ich die Tür einen Spalt auf, und begab mich auf direktem Weg zu meinem Bett. Die Klamotten, die ich vor meiner Mexiko-Reise dort hatte liegen lassen, beförderte ich achtlos auf den Boden und warf mich anschließend selbst auf die weiche Matratze. Nach den Anstrengungen der zurückliegenden Tage fühlte sich dieser Moment wie das leibhaftige Paradies an. Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie erschöpft ich eigentlich war. Meine Muskeln waren steif, und die Stelle, wo mich Matt mit seinen Schattenschlangen erwischt hatte, fühlte sich taub an. Hinzu kamen die Schuldgefühle Olly und Phoenix gegenüber, und die widersprüchlichen Empfindungen, die Jackson in mir hervorrief.

Ich nahm einen tiefen Atemzug, aber es half nicht gegen die Enge in meiner Brust. Jetzt, da ich allein war und mich nichts mehr ablenkte, verwandelte sich die vermeintlich heilsame Stille meines Rückzugsortes in ein ohrenbetäubendes Gefängnis, das mein Herz zum Rasen brachte und mir das Gefühl vermittelte, als bekäme ich keine Luft.

Stöhnend hievte ich mich wieder auf die Beine und bahnte mir einen Weg durch das Klamottenchaos auf dem Boden. Ein wenig frischer Sauerstoff würde sicherlich die Geister aus meinem Kopf vertreiben.

Ohne das Licht einzuschalten, tapste ich auf die silbrig schimmernden Lichtstreifen zu, die durch das Fenster fielen und den Schreibtisch samt Stuhl am anderen Ende des rund zwanzig Quadratmeter großen Zimmers erhellten.

Ich schob die Verschlussriegel zur Seite und rüttelte an dem Holzrahmen. Doch nichts tat sich. Frustriert stöhnend legte ich den Kopf in den Nacken. Olly hatte mich an meinem ersten Abend vorgewarnt, dass es hier im Haus Fenster gab, die sich nur schwer oder gar nicht öffnen ließen. Und wie es den Anschein erweckte, fiel das hier in diese Kategorie.

Aber so einfach wollte ich nicht aufgeben. Ich zog und zerrte weiter, aber es war zwecklos. Egal wie viel Kraft ich aufwendete, weder die untere noch die obere Fensterhälfte ließen sich bewegen.

Das durfte doch nicht wahr sein!

Mit geschlossenen Augen stieß ich meine Stirn wiederholt gegen das Fensterglas. Konnte heute Nacht nicht wenigstens eine Sache reibungslos funktionieren?!

»Bist du endlich aus deinem Schönheitsschlaf erwacht? Zur Mondgöttin! Das wurde ja auch mal Zeit! Ich dachte schon, du würdest dich gar nicht mehr hier oben blicken lassen!«

Die nasal tönende Stimme, die mich immer an ein verschnupftes Kleinkind erinnerte, drang so unvermittelt an mein Ohr, dass ich begleitet von einem spitzen Schrei herumwirbelte.

Auf meinem Kopfkissen thronte, die kurzen Arme vor der schuppigen Brust verschränkt und den fuchsiafarbenen Schwanz um die Füße gewickelt, ein rund fünfzehn Zentimeter großer Drache, und sah mit genervter Miene zu mir auf.

»Drake?!«

Kapitel Sechs

Ich traute meinen Augen nicht. Dass es das Lichtwesen wagte, sich hier blicken zu lassen, nach allem, was es mir und den anderen angetan hatte, traf mich völlig unvorbereitet. Schlagartig war meine Müdigkeit vergessen. Dafür schalteten meine Sinne in erhöhte Alarmbereitschaft.

»Was zum Henker machst du hier?« Ich näherte mich zielstrebig dem Bett. In Mexiko hatte ich dazu keine Gelegenheit gehabt, aber hier und jetzt würde ich den Drachen eigenhändig für seinen Verrat zur Rechenschaft ziehen.

Drake schien mein Vorhaben vorauszusehen, denn er erhob sich mit großen Augen ruckartig in die Höhe.

»Ich bin hier, um dich zu warnen«, beeilte er sich zu sagen. »Deswegen wäre es toll, wenn du aufhören würdest, hier so herumzuschreien. Mein Anti-Lausch-Zauber dämmt nur Zimmerlautstärke.«

»Dein Anti–was?« Verdutzt blieb ich stehen. Dass der Drache über Zauberkräfte verfügte, war keine Neuigkeit für mich. Dass er jedoch die Macht besaß, mein Zimmer abhörsicher zu machen, verblüffte mich hingegen. Wer wusste schon, welche Tricks er noch auf Lager hatte.

»Mein Anti-Lausch-Zauber«, antwortete Drake etwas selbstbewusster und kam knapp unter der Decke zum Halten. Vermutlich glaubte er, dort in Sicherheit zu sein. »Ich verkrieche mich doch nicht tagelang in dieser Gefängniszelle, hungere mich auf ein Existenzminimum herunter, und warte verzweifelt darauf, dass du endlich aufwachst, nur um dann bei der erstbesten Gelegenheit aufzufliegen!« Er zog die Nase kraus, als würde er niesen müssen. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck und wusste, dass das Drakes Version eines abfälligen Blickes war. »Und jetzt hör mir endlich zu, Mädchen. Uns läuft die Zeit davon. Dein drei Tage andauerndes Schläfchen hat den anderen einen ordentlichen Vorsprung verpasst.«

Mir entglitten sämtliche Gesichtszüge und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Doch dann erinnerte ich mich daran, mit wem ich hier sprach. Glaubte Drake ernsthaft, dass ich seiner ausgelegten Brotkrumenspur erneut folgen würde? Der Drache hatte mich einmal gelinkt. Ein zweites Mal würde ich nicht auf ihn reinfallen.

»Du willst, dass ich dir zuhöre?« Ich funkelte den Drachen mit erboster Miene an. Noch immer wollte ich ihm am liebsten den Hals umdrehen. Doch wenn die magischen Kräfte des Lichtwesens stärker waren, als ich bisher angenommen hatte, war es nicht sonderlich klug, mich gedankenlos auf ihn zu stürzen. Vor allem, wenn Denver draußen vor der Tür nichts davon mitbekam.

»Du meinst, weil sich das in der Vergangenheit für mich ja auch als so super gute Idee entpuppt hat.«

Drake senkte betroffen den Kopf, was mir eine gewisse Genugtuung verschaffte. Doch die Demut des Lichtwesens hielt nicht lange an. Bereits im nächsten Moment nahm er mich wieder in den Fokus seiner Aufmerksamkeit.

»Wenn du endlich mal den Sabbel halten würdest, könnte ich dir erklären, dass –«

»Dass was?«, fiel ich Drake scharf ins Wort. »Was willst du mir erklären? Dass die ganze Sache nicht so war, wie es ausgesehen hat? Dass du uns gar nicht verraten hast?«

Der Drache öffnete das Maul, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Spar es dir, Drake. Es ist mir scheißegal, wieso du hier bist oder was du mir erklären willst. Ich will auch nicht wissen, vor wem oder was du mich angeblich warnen willst. Denn ich glaube dir ohnehin kein Wort, ganz egal, was du sagst.« Obwohl ich meine Stimme nicht erhoben hatte, dröhnte es in meinen Ohren, als hätte ich geschrien.

Drake war mein Freund gewesen – zumindest hatte ich ihn dafür gehalten. Doch sein Verrat hatte alles zerstört. Trotzdem stand ich nun hier und fühlte mich hundeelend, weil ich etwas in seinen Augen sah, das den Riss in meinem Herzen vergrößerte.

»Er hat mich vorgewarnt, dass du so reagieren wirst.« Der Drache schwebte ein Stück herab, und verzog die Lefzen. Kleine Vampirzähne blitzten auf, aber anstatt eines frechen Drachengrinsens schaute mir eine traurige Miene entgegen. »Ich wollte ihm nicht glauben. Jetzt wünschte ich, ich hätte es getan.«

Noch bevor ich fragen konnte, über wen Drake sprach oder ich meine Entscheidung, den Drachen nicht ausreden zu lassen, bereuen konnte, verblasste das Lichtwesen, bis es gänzlich verschwunden war. Allein ein kleines Etwas, das aus der Luft hinab auf mein Kissen fiel und dabei für den Bruchteil einer Sekunde im Schein des Mondlichtes metallisch aufblitzte, bewies, dass ich mir die Anwesenheit des Drachen nicht eingebildet hatte.

Ich stierte das kleine weiße Rechteck auf meinem Kissen an, als wäre es ein abgeschlagener Pferdekopf. Das Herz drohte mir zu explodieren und zwischen meinen Schläfen polterte es, als würde ein Panzer hindurchbrettern.

Nein, das ist unmöglich! Das kann nicht sein!

Doch egal, wie sehr ich mich auch weigerte, das sich mir bietende Bild wahrhaben zu wollen, es änderte nichts an der Wahrheit.

Auf meinem Kissen lag ein zusammengefalteter Zettel, um den eine Silberkette gewickelt war. Ein Anhänger hing daran. Ein in einen Bogen eingespannter Pfeil.

Arktiskälte fraß sich durch meinen Körper und ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Die feinen Härchen auf meinen Armen standen stramm und ich zitterte wie noch nie in meinem Leben. Zwar war mir bereits bei meinem Besuch in Phoenix’ Zimmer aufgefallen, dass seine Kette fehlte, jedoch hatte ich angenommen, er hätte sie im Kampf in Mexiko verloren, oder jemand im Team hätte sie ihm ausgezogen. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass …

Aufwallende Übelkeit unterbrach meine Gedanken und ich musste mich an der Schreibtischkante hinter mir festklammern, um nicht zu Boden zu sinken.

»June?« Denvers Kopf erschien, begleitet von einem leisen Klopfen, in meinem Zimmer. »Ist bei dir alles okay? Mir war, als hätte ich jemanden wein– Shit!« Der Fisch stürmte in den Raum. »Was ist los? Was ist passiert?« Er packte meine Schultern und sah sich hektisch um.

Ich wollte zu einer Erklärung ansetzen, aber ich brachte keinen Ton hervor. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass Drake hier gewesen war und mich hatte vor irgendwem oder irgendwas warnen wollen? Selbst wenn Denver nichts vom Verrat des Lichtwesens wusste, hätte der Fisch Fragen gestellt, die ich ihm nicht beantworten konnte. Weil ich die Antworten nicht kannte. Weil mich Drakes Auftauchen völlig unvorbereitet erwischt und vollkommen aus der Bahn geworfen hatte.

Mein Blick fiel erneut auf mein Kissen. Nichts an der vorangegangenen Situation ergab irgendeinen Sinn. Der Drache behauptete, hergekommen zu sein, um mich zu warnen. Aber wieso hinterließ er mir dann eine Drohung? Ich wusste genau, dass Phoenix seine Kette niemals abgenommen hatte, nicht einmal beim Duschen.

Was hatte das zu bedeuten?

Der Versuch, meine wirren Gedanken zu sortieren, ließ ein weiteres Beben durch meinen Körper jagen. Sofort zog mich Denver fest an sich, als sorgte er sich, ich könnte jeden Moment auseinanderbrechen.

»Scheiße, was ist denn los, June?« Er klang ähnlich überfordert, wie ich mich fühlte. »Soll ich Jack oder jemand anderen holen? Ist was passiert? Hast du Schmerzen oder brauchst du etwas?«

Ich schüttelte den Kopf. Denvers Umarmung fühlte sich so warm und gut an, dass ich nicht wollte, dass sie endete.

Denver akzeptierte meine nonverbale Bitte und strich mir sanft über den Rücken. Dadurch schmolz die Eisschicht, die der Schock über meine Emotionen gezogen hatte, und eine neuerliche Welle überwältigender Empfindungen brach über mich herein. Halt suchend packte ich Denvers Shirt. Das tränennasse Gesicht an seiner Schulter vergraben, schluchzte ich gedämpft. Ich hatte das Gefühl, kontrolllos durch einen bodenlosen Tunnel zu fallen und dabei in alle Himmelsrichtungen gleichzeitig gezogen zu werden.

Der Fisch ließ alles kommentarlos über sich ergehen und hielt mich einfach nur fest.

Als es mir einigermaßen besser ging, hob ich schniefend den Kopf.

»Danke.« Meine Stimme klang belegt und mein Gesicht fühlte sich heiß und verquollen an. »Dass du hier bist, meine ich. Du bist echt ein guter Freund.«

Denver verzog gequält das Gesicht, dennoch erkannte ich ein Lächeln auf seinen Lippen.

»Hast du mich gerade gefriendzoned? Und das, nachdem ich dich habe mein Lieblingsshirt vollschnoddern lassen?« Er schüttelte in gespielter Entrüstung den Kopf und löste die Arme von mir. Mit den Daumen wischte er mir über die feuchten Wangen. »Darüber reden wir ein anderes Mal, junge Dame. Aber jetzt erzählst du mir erst mal, was gerade los gewesen ist. Dein Ausbruch hat mich ziemlich erschreckt. Ich dachte, ich müsste einen Exorzisten rufen.«

Ein Teil von mir wollte wegen dieser Worte lächeln – vor nicht allzu langer Zeit hatte ich selbst geglaubt, einen Exorzisten zu benötigen. Doch die Schuldgefühle, weil Denver sich meinetwegen Sorgen gemacht hatte, erstickten jegliche Erheiterung im Keim.

»Tut mir leid.« Kraftlos ließ ich die Arme sinken und trat einen Schritt von Denver zurück. »Es war nur … ich habe …« Wie sollte ich das Chaos, das mein Leben ohne jegliche Atempause immer wieder aufs Neue beutelte, in Worte fassen?

»Schon gut«, sagte Denver einfühlsam. »Du musst mir nichts erklären. Du sollst nur wissen, dass ich für dich da bin, wenn du deine Meinung änderst.« Er deutete mit einem Finger über seine Schulter in Richtung Zimmertür. »Nur einen Ruf weit entfernt«, fügte er augenzwinkernd hinzu.

»Danke«, erwiderte ich mit einem warmen Gefühl im Bauch.

Denver nickte, dann wandte er sich zum Gehen.

Ich war fest entschlossen ihn ziehen zu lassen, um mich trotz größter Ängste Drakes Brief zu stellen.

Doch mit jedem Schritt, den sich der Fisch von mir entfernte, schnürte sich meine Kehle weiter zu. Was, wenn sich herausstellte, dass der Drache Phoenix in Gewahrsam hatte und folterte? Ich wusste nicht, ob ich mit einer solchen Nachricht würde umgehen können.

»Denver? Würde es dir etwas ausmachen, vielleicht doch noch etwas zu bleiben? Plötzlich hab ich echt Lust auf einen Film.«