Seven Sins 4: Neidvolle Nähe - Lana Rotaru - E-Book
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Seven Sins 4: Neidvolle Nähe E-Book

Lana Rotaru

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Beschreibung

»Willkommen in meiner Welt, Avery.«  Averys Schock über ihre besondere Verbindung zum Schutzengel Adam sitzt tief. Doch der temperamentvolle Seeleneintreiber Nox lenkt sie gekonnt davon ab, indem er alles daransetzt, Avery von seinen Gefühlen für sie zu überzeugen. Gemeinsam tauchen sie tief in die magische Welt der Vampire, Engel und Feen ein. Aber Avery hat nur wenig Zeit sich auszuruhen, denn die dritte Prüfung der Sünden wartet bereits auf sie. Auf den Spuren des mystischen Kainsmals führt ihre nächste Aufgabe sie direkt in die Hölle …    Sieben Sünden. Sieben Prüfungen. Und ein höllischer Vertrag ...   Lass dich von Lana Rotarus neuester Urban-Fantasy-Serie in eine faszinierende Welt entführen, in der die Sünde und die Freiheit deiner Seele unausweichlich miteinander verbunden sind. Ein absolutes Must-Read für Fans von Fantasy-Liebesromanen der besonderen Art!     Leserstimmen auf Amazon:   »Wow, Wow, Wow!!!«    »Perfekt, um aus der Realität zu verschwinden, sich zu verlieren und mitzufühlen.«    »Einfach großartig.«    »Unerwartet und fesselnd.«    »DEFINITIV IST DIESES BUCH JEDE SEITE WERT ...«   //Dies ist der vierte Band der romantischen Urban Fantasy-Reihe »Seven Sins«. Alle Bände der Buchserie bei Impress:  -- Seven Sins 1: Hochmütiges Herz -- Seven Sins 2: Stolze Seele -- Seven Sins 3: Bittersüßes Begehren -- Seven Sins 4: Neidvolle Nähe -- Seven Sins 5: Zerstörerischer Zorn -- Seven Sins 6: Maßlose Macht -- Seven Sins 7: Grauenhafte Gier//

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Seven Sins 4: Neidvolle Nähe

»Willkommen in meiner Welt, Avery.«Averys Schock über ihre besondere Verbindung zum Schutzengel Adam sitzt tief. Doch der temperamentvolle Seeleneintreiber Nox lenkt sie gekonnt davon ab, indem er alles daransetzt, Avery von seinen Gefühlen für sie zu überzeugen. Gemeinsam tauchen sie tief in die magische Welt der Vampire, Engel und Feen ein. Aber Avery hat nur wenig Zeit sich auszuruhen, denn die dritte Prüfung der Sünden wartet bereits auf sie. Auf den Spuren des mystischen Kainsmals führt ihre nächste Aufgabe sie direkt in die Hölle …

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Vita

Danksagung

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Lana Rotaru lebt zur Zeit mit ihrem Ehemann in Aachen. Der Lesewahnsinn begann bei ihr bereits in früher Jugend, die sie Stunde um Stunde in einer öffentlichen Leihbibliothek verbrachte. Nun füllen Hunderte von Büchern und E-Books ihre Wohnzimmer- und E-Reader-Regale und ein Ende ist nicht in Sicht. Eine Lesepause legt sie nur ein, wenn sie gerade selbst an einem neuen Roman schreibt.

Die Neider sterben wohl, doch niemals stirbt der Neid.

Moliere († 1673)

Die Eifersucht lässt dem Verstand niemals genügend Freiheit,

um die Dinge zu sehen, wie sie sind!

Miguel de Cervantes († 1616)

WAS BISHER GESCHAH …

Mein Name ist Avery Marie Harper und dem Teufel gehört meine Seele. Mein erfolgsgeiler Erzeuger, der meine Mom und mich vor zwölf Jahren verließ, verkaufte sie, um seine Schauspielkarriere voranzutreiben.

Der Vertrag sollte an meinem achtzehnten Geburtstag durch meinen Tod in Erfüllung gehen, doch Adam, mein bester Freund und mir persönlich zugeteilter Schutzengel, eröffnete mir eine Möglichkeit, um meine Freiheit zu kämpfen. Dafür muss ich nur acht Prüfungen bestehen. Die ersten sieben stehen mit je einer Todsünde in Verbindung, den Abschluss bildet ein persönliches Treffen mit Luzifer.

Zum Glück muss ich mich den Aufgaben nicht allein stellen. Sowohl Adam als auch Nox, der höllische Kopfgeldjäger, der geschickt wurde, um meine Seele einzukassieren, sind durch meine Entscheidung an die Prüfungen gebunden. Beide verspüren deshalb einen gewissen Anreiz, mir zu helfen. Schließlich bedeutet mein Scheitern auch ihr Scheitern. Mein Tod bedeutet ihren Tod.

In den letzten drei Monaten ist es uns geglückt, zwei der acht Prüfungen erfolgreich zu meistern. Als Erstes haben wir den Hochmut im Feenreich besiegt, der uns nicht nur beinahe das Leben, sondern mich auch meine Freundin Harmony sowie meine Erinnerungen an Adam gekostet hat. Anschließend mussten wir uns der Todsünde Wollust stellen, die uns zum Blutkarneval führte. Dieser abartige Jahrmarkt für Dämonenblütler wurde von meinem vermeintlichen Mitschüler David Sinclaire geleitet, der in Wahrheit einer von Luzifers Söhnen ist.

Asmodis.

In der felsenfesten Überzeugung, meine Aura wäre für einen Menschen zu einzigartig, wollte der Höllenfürst mich unbedingt zu seiner Königin machen. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass er mit seinem Verdacht recht behielt.

Aber das war nicht die einzige negative Überraschung, die mich während der zweiten Prüfung eiskalt erwischte. Killian, einer meiner engsten Freunde, versuchte meine Mom zu erschießen, weil Asmodis Besitz von seiner Seele ergriffen hatte. Glücklicherweise verhinderte Nox diese ungeheuerliche Tat, indem er die Kugel mit seinem Körper abfing.

Das war schon ein ziemlich harter Schlag, aber nichts im Vergleich zu dem, was uns bei unserer Rückkehr zu Hause erwartete. Denn während ich mich über meine zurückerhaltenen Adam-Erinnerungen freute und mir gleichzeitig Gedanken darüber machte, wie mein bester Freund die Tatsache verkraften würde, dass ich seine romantischen Gefühle nicht erwiderte, sondern mich immer wieder für seinen Bruder entscheiden würde, beichtete mir Nox den Grund, weshalb er trotz seiner Gefühle für mich nicht mit mir zusammen sein wollte. Ihm war schlichtweg seine Freundschaft zu Adam wichtiger und er war der Meinung, dass wir meinen Schutzengel mit unseren Gefühlen füreinander verletzen würden.

Mit den Beweggründen des Höllendieners hätte ich irgendwie umgehen können, aber angesichts Gabriels Offenbarung sah die Sache schon anders aus. Der vermeintliche Arbeitskollege meiner Mom war nämlich der wahrhaftige Erzengel Gabriel, der gemeinsam mit seinem Sohn Kegan auf die Erde gekommen war, um uns bei den Prüfungen zu helfen – zumindest in einem tolerierten Rahmen. Und auch wenn mich diese Information eigentlich hätte erfreuen müssen, war ich nicht in der Verfassung, Glück zu empfinden. Das lag vor allem an dem Umstand, dass die Hälfte meines Erbguts nicht von James Goose stammt, wie ich mein Leben lang angenommen habe, sondern von Gabriel, was mich zu einem Nephilim macht. Einem Halbengel.

Und gerade als ich dachte, dass dieser Morgen nicht schlimmer werden könnte, offenbarte man mir, dass ich gar nicht die Avery Harper bin, für die ich mich immer gehalten habe. Der Kern meines Wesens, meine Seele, hat nämlich vor knapp neunzehn Jahren einem Engel gehört, der auf den klangvollen Namen »Hope« hörte. Aber Hope war nicht irgendein weiblicher Seraph. Sie war Gabriels leibliche Tochter und Kegans Schwester. Und sie war Adams erste und einzige große Liebe, die er vor Hunderten von Jahren geheiratet hat, bevor sie ihn ohne Erklärung oder einen richtigen Abschied einfach verließ. Fast neunzehn Jahre lang wusste er nicht, wo sie sich aufhielt oder weshalb sie gegangen war. Dabei war er ihr die ganze Zeit nah.

TEIL 1

EINS

»Bist du dir sicher, dass ich fliegen soll?« Meine Mom blickte mich aus unglücklichen Augen an, während ihre Hand die meine umklammert hielt. Sie saß auf meiner Bettkante, ich hatte mich unter meiner kuscheligen Steppdecke zu einer Kugel zusammengerollt. »Du bist immer noch ganz blass um die Nase. Bestimmt hast du dir im Krankenhaus irgendeinen Virus eingefangen.« Sie strich mit ihrem Daumen über meinen Handrücken, was mir einen gewissen Trost spendete.

»Mir geht es gut, Mom«, wiederholte ich zum gefühlt hundertsten Mal. Seit fast einer halben Stunde versuchte ich sie davon zu überzeugen, dass die Kotzorgie, die ich vorhin im Badezimmer veranstaltet hatte, nicht auf ein antibiotikaresistentes Bakterium, sondern auf einen überreizten Magen zurückzuführen war. Zwar entsprach das nicht im Geringsten der Wahrheit, aber in Anbetracht dessen, was ich vor weniger als einer Stunde über mein Leben erfahren hatte, war diese Version weit weniger verstörend.

»Und was, wenn es doch etwas Ernsteres ist?« Meine Mom verstärkte ihren Griff und ihre Miene trübte sich. »Wie soll ich unbekümmert in ein Flugzeug steigen, wenn mein kleines Mädchen krank im Bett liegt?!«

Schmunzelnd verdrehte ich die Augen. So sehr mich dieses Gespräch auch nervte – ich wollte einfach nur allein sein und meine Ruhe haben! –, ihre Fürsorge rührte mich. Da ich meiner Mom trotz allem nicht den Eindruck vermitteln wollte, als würden mich ihre Sorgen amüsieren, brachte ich meine Mimik rasch unter Kontrolle.

»Ich bin nicht krank, Mom«, entgegnete ich liebevoll, aber nachdrücklich. »Ich brauche einfach nur ein bisschen Ruhe. Falls es mir schlechter gehen sollte, gehe ich zum Arzt. Das verspreche ich dir hoch und heilig. Okay?!« Als sie immer noch nicht überzeugt schien, richtete ich mich seufzend auf und begab mich in den Schneidersitz. »Mom, du musst zu diesem Kongress fliegen! Du hast so hart für diese Beförderung gearbeitet, dass es unfair wäre, wenn Mr Stevens diesen Speichellecker Marc Zorello zum Leiter der Finanzabteilung macht.«

Meine Mom verzog das Gesicht. Die Vorstellung, unter Marc Zorello zu arbeiten, war ihr sichtlich zuwider, was mich hoffnungsvoll stimmte und mich dazu animierte, weiter auf sie einzureden.

»Außerdem bist du nur für eine Nacht weg. Morgen Abend kommst du schon zurück. Adam und ich haben also gar nicht genügend Zeit, das Haus zu verwüsten.« Die Worte waren mir unbedacht über die Lippen gekommen. Ein Reflex. Denn wenn ich ehrlich war, war Adam im Augenblick die letzte Person, die ich sehen wollte. Gleich neben Nox, Gabriel und Kegan.

Moms verkniffene Miene ließ mich vermuten, dass meine unbedachte Aussage nicht das gewesen war, was sie hatte hören wollen. Doch bevor ich meinen Fauxpas korrigieren und das Gespräch in eine andere Richtung lenken konnte, klopfte jemand leise an meine Zimmertür und ich verstummte augenblicklich.

»Tut mir leid, euch zu stören.« Der tiefen, warmen Stimme folgte ein freundlich dreinblickender Mann mit kurzen grau melierten Haaren und einer autoritären Ausstrahlung. Gabriel. »Aber es ist fast zwölf Uhr. Wenn wir unseren Flug nicht verpassen wollen, müssen wir jetzt los. Kegan wartet bereits im Auto, um uns zum Flughafen zu bringen.«

Gabriels plötzliche Anwesenheit in den geschützten vier Wänden meines Zimmers versetzte mich in eine Starre und lenkte mich davon ab, dass er meine Mom nach Los Angeles begleiten würde. Stattdessen kämpften sich Bilder in mein Bewusstsein, die ich zuvor erfolgreich verdrängt hatte. Aber nun saß ich wieder – zumindest gedanklich – neben Adam in der Küche und hörte ihn sagen, dass meine Seele einst seiner Sanprada Hope gehört hatte.

Erst hatte ich ihn wie vom Blitz getroffen angeblickt, dann hatte mein rebellierender Magen den Kampf gewonnen und mich ins Obergeschoss katapultiert, wo ich krampfhaft versucht hatte, ebenjene Seele aus meinem Leib zu kotzen.

»Danke, Gabe«, erwiderte Mom mit einem vernehmbaren Lächeln und wandte sich wieder mir zu. Wegen meines überstürzten Aufbruchs hatte ich nicht mitbekommen, was sie aus ihrem magischen Schlaf geholt hatte, aber irgendwann hatte sie neben mir auf dem Badezimmerboden gekniet und mir sanft über den Rücken gestreichelt. Dieser Geste war es auch zu verdanken, dass ich mich inzwischen in meinem Bett befand, anstatt länger jeden Partikel meines Innersten in die Kloschüssel zu spucken.

»Ich fliege wirklich nur ungern«, sprach Mom weiter und ihr war der Zwiespalt, in dem sie feststeckte, deutlich ins Gesicht geschrieben. »Aber du hast mich überzeugt. Trotzdem möchte ich dein Versprechen haben, dass du dich wie eine reife und verantwortungsbewusste junge Frau benehmen wirst. Zwar habe ich deinen Hausarrest und das Handyverbot bisher nicht aufgehoben, aber mir ist bewusst, dass ich dich nicht länger wie ein kleines Kind behandeln kann. Deswegen bitte ich dich von Frau zu Frau: Mach keine Dummheiten. Und solltest du dich auch nur im Geringsten unwohl fühlen, rufst du sofort Dr. Bernard an. Abgemacht?«

»Versprochen, Mom. Ich werde dir keinen Anlass geben, dich zu sorgen. Vermutlich bleibe ich sowieso den ganzen Tag im Bett und entspanne mich einfach. Vielleicht lese ich endlich das Buch zu Ende, das ich vor meinem Geburtstag begonnen, aber seitdem nicht wieder in die Hand genommen habe.«

Dieses Mal hatte ich die richtigen Worte gewählt, denn meine Mom nickte erleichtert und lächelte. Anschließend beugte sie sich zu mir vor, umarmte mich fest und hauchte mir mehrere Küsse auf die Wangen, zwischen denen sie immer wieder beteuerte, wie sehr sie mich schon jetzt vermisse und wie ungern sie mich in diesem Zustand allein lasse. Hätte ich sie nicht sanft von mir weggedrückt, hätte sie vermutlich gar nicht mehr aufgehört und am Ende ihren Flug verpasst.

»Ich ruf dich an, sobald ich gelandet bin. Also hol dir bitte dein Handy aus meinem Nachtschränkchen.« Nachdem meine Mom einen letzten Luftkuss in meine Richtung gehaucht hatte, bugsierte Gabriel sie aus dem Zimmer und schloss nach einem kurzen, aber intensiven Blick in meine Richtung die Tür hinter sich.

Ich sah den beiden nach, bis ich die Ereignisse der letzten Stunden nicht länger verdrängen konnte und die Anspannung, die mich nach Nox’ Beichte gepackt und die mit jeder weiteren Nachricht an Intensität zugenommen hatte, in einer explosionsartigen Erschütterung von mir abfiel. Mein Herzschlag und meine Atmung fielen in einen unregelmäßigen Rhythmus und mir stiegen von neuem Tränen in die Augen. Mein Körper begann heftig zu beben, als wäre ich ein vom Wind gepeinigter Laubbaum.

Dieser Empfindung war es auch geschuldet, dass ich das leise Klopfen an meiner Zimmertür nicht wahrnahm, sondern erst bemerkte, dass erneut jemand gekommen war, um nach mir zu sehen, als sich die Klinke zögerlich bewegte und die Tür einen Spaltbreit aufging.

Hastig wischte ich mir die Tränenspuren von den Wangen und atmete tief durch. Doch die Mühe hätte ich mir sparen können. Adam, der mit gesenktem Kopf und angespannter Haltung mein Zimmer betrat, sah mich nicht einmal an. Er schloss nur die Tür hinter sich und lehnte sich anschließend mit dem Rücken dagegen. Die Arme hatte er dabei eng an seinen Körper gepresst und die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben.

Die Stille, die den Engel umgab, war so unangenehm, dass ich nicht wusste, was ich tun oder sagen sollte. Alle Worte der Welt erschienen mir entweder lächerlich, peinlich oder schlichtweg unangebracht, weshalb ich schweigend auf meinem Bett saß und nichts anderes tat, als die atmende Hülle anzustarren, die ich bis vor einer Stunde als meinen besten Freund, als meinen Anker in stürmischer See betrachtet hatte.

»Ich werde für einige Zeit weggehen«, sagte Adam, gerade als ich selbst den Mund geöffnet hatte, um die unerträgliche Spannung zu beenden, die sämtlichen Sauerstoff aus diesem Zimmer geraubt hatte, bis ich kaum noch atmen konnte.

»Was?« Meine Stimme schrillte durch den Raum und ich hoffte, mich verhört zu haben. »Du gehst weg? Aber wieso? Und wohin überhaupt?« Die Fragen perlten mir unkontrolliert über die Lippen, während mir nur langsam die wahre Bedeutung der Situation bewusst wurde.

Adam geht weg? Er lässt mich einfach allein?

Dass mich mein bester Freund ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt verließ, an dem ich ihn gerade erst zurückbekommen hatte und ihn mehr denn je brauchte, glich der abartigsten Version von Ironie, die ich mir jemals hätte vorstellen können.

»Wann kommst du wieder?«, fragte ich unvermittelt. Ebenso wie die Tränen in meinen Augen brannten auch die Silben auf meiner Zunge.

Anstatt einer Antwort erklang ein leises, zynisches Lachen, das die Schultern des Engels kurz zucken ließ.

»Witzig. Exakt dieselben Fragen habe ich dir in Paris gestellt, kurz bevor du mich verlassen hast.« Adam hob den Kopf und der Ausdruck in seinem Gesicht ließ mich zischend einatmen. Sein für gewöhnlich von der Sonne geküsster Teint war aschfahl und seine Lippen blassrosa. Die normalerweise glänzend braunen Augen funkelten in einer nie dagewesenen Intensität, trotzdem strahlten sie nicht den geringsten Hauch Wärme oder Zuneigung aus. Stattdessen zeugten sie von einem alles verzehrenden Schmerz, der sogar den Kummer übertraf, den Adam während meiner Amnesie verspürt haben musste. »Jedoch gibt es einen Unterschied zwischen damals und heute«, sprach der Engel weiter. »Ich liebe dich so sehr, dass ich niemals ohne eine Erklärung gehen könnte.« Begleitet von dieser Aussage stieß er sich von der Tür ab und kam langsam auf mich zu. »Nox ist kurz nach deiner Flucht ebenfalls abgehauen, deshalb werde ich ihn als Erstes aufsuchen. Er soll während meiner Abwesenheit auf dich aufpassen und mich auf dem Laufenden halten, was die Prüfungen angeht.«

Obwohl mich Adams Worte nicht überraschten, trafen sie mich schmerzhaft. Wer wusste schon, womit – oder besser gesagt mit wem – der Höllendiener die jüngsten Ereignisse zu verarbeiten versuchte? Trotzdem war es nicht Nox, der für das klaffende Loch in meiner Brust verantwortlich war, das sich anfühlte, als wäre mein Herz herausgerissen worden. Nein, dieses Gefühl hatte ich Adams wenig dezenter Aggressivität zu verdanken, die sich mir mit jeder Sekunde, die verstrich, deutlicher zeigte.

Er hasst mich, weil seine Ehefrau – oder besser gesagt ich! – vor neunzehn Jahren eine Entscheidung getroffen hat, an die ich mich weder erinnern kann noch die ich gutheiße oder – erneut vor die Wahl gestellt – wiederholen würde.

Zwar konnte ein Teil von mir Adams Emotionen nachvollziehen, trotzdem fühlte ich mich gekränkt, verraten und trauerte der besonderen und einmaligen Verbindung nach, die schon immer zwischen dem Engel und mir geherrscht hatte. Selbst als ich mich wegen dieser verhassten Gedächtnislücke nicht an ihn hatte erinnern können, war mir tief in meinem Inneren bewusst gewesen, dass Adam immer für mich da sein würde – egal wie sehr ihn mein Handeln verletzt oder gequält haben mochte.

Meine Lippen teilten sich, doch ehe der erste Ton erklingen konnte, kam mir Adam zuvor.

»Du weißt, ich liebe dich auf eine Art, die keine Sprache dieser Welt zum Ausdruck bringen kann.« Seine distanzierte Miene und die kalte Stimme harmonierten nicht mit der Sanftheit seiner Worte, weshalb es mir schwerfiel, ihm zuzuhören, während er Schritt für Schritt näherkam. Als er unmittelbar vor mir stehen blieb, legte er mir eine Hand auf die Schulter und ich zuckte bei der Berührung unweigerlich zusammen. »Aber im Moment weiß ich nicht, wen ich sehe, wenn ich dich anblicke. Hope, meine Sanprada, die mich einfach ohne Erklärung verlassen hat. Oder Avery, meine beste Freundin, die meine Gefühle nicht erwidert, weil sie meinen Bruder liebt.« Der Engel musterte mich mit verengten Augen, als hoffte er die Antwort auf diese Frage in meinem Blick zu entdecken. Vergeblich, wie sich herausstellte, als er schließlich sanft den Kopf schüttelte. »Diese Zerrissenheit treibt mich noch in den Wahnsinn«, fügte er mit brüchiger Stimme hinzu, ehe er sich zu mir herunterbeugte und mir einen Kuss auf den Scheitel hauchte.

Ich schloss die Augen und in der Annahme, dadurch dem Schmerz in meiner Brust standhalten zu können, doch genau der gegenteilige Effekt trat ein. Neben hervorquellenden Tränen, die mir über die Wangen rannen, spürte ich Adams Leid auf diese Weise noch intensiver.

»Ich brauche Zeit zum Nachdenken, Engelchen«, wisperte Adam, bevor er kurz darauf sowohl seine Hand als auch seine Lippen von mir nahm und von einem sanften Windhauch begleitet verschwand, ohne auf meine Frage geantwortet zu haben, wann – oder ob überhaupt – er jemals zurückkäme.

ZWEI

Ich war schon immer der festen Überzeugung gewesen, dass jeder Mensch an etwas glaubte. Sei es an Himmel und Hölle, eine Religion mit dazugehöriger Gottheit, an die Wissenschaft oder von mir aus einfach daran, dass jeder von uns nur eine begrenzte Zeit auf Erden weilte.

Auch ich hatte mein Leben lang an etwas geglaubt. Als Kind waren es Santa Claus und der Osterhase gewesen, und als ich für diese Mythen zu alt geworden war, hatte mein Verständnis von Gut und Böse zu einer höheren Macht gewechselt, die ich als Karma kennenlernte. Laut diesem Grundsatz widerfuhr einem genau das, was man zuvor anderen angetan hatte. Und weil ich felsenfest an dieses Gleichgewicht geglaubt hatte, war ich stets um Aufrichtigkeit, Freundlichkeit und Wahrheit bemüht gewesen. Niemals hatte ich Mitschüler gemobbt, geklaut oder Dinge getan, die rechtfertigen würden, weshalb ich derart grausame Schicksalsschläge verdient hatte.

Die nackten Zehen im warmen Sand vergraben, stützte ich mich hinter meinem Rücken auf den Unterarmen ab und streckte mein Gesicht der Sonne entgegen. Seit jenem verhängnisvollen Tag, an dem mir Nox das Bild von diesem blutüberströmten Dämonenmädchen in den Kopf projiziert hatte, war ich nicht mehr an diesem Strandabschnitt, geschweige denn im Wasser gewesen. Aber Adams Weggehen hatte mich in einem Maß getroffen, dass mir nichts anderes übriggeblieben war, als einen Ort aufzusuchen, der in mir dasselbe Gefühl auslöste, wie es ein Gotteshaus bei einem gläubigen Christen tat. Und tatsächlich hatte sich der Moment, als ich vorhin zum ersten Mal wieder auf dem Surfbrett gestanden hatte, wie eine Erlösung angefühlt. Das angenehm kühle Nass hatte sowohl meinen Körper als auch meinen Geist reingewaschen, sodass es mir gelungen war, meine Probleme für eine gewisse Zeit zu vergessen.

Mit geschlossenen Augen spürte ich die wärmenden Sonnenstrahlen und lauschte dem beruhigenden Meeresrauschen, das von dem Kreischen einiger Möwen und aufgeregtem Kinderlachen begleitet wurde. Der Duft von Sonnencreme und Speiseeis stieg mir in die Nase, wurde jedoch von dem unangenehmen Gestank der angespülten Meeresalgen übertüncht, während sich feinkörniger Sand in meine Haut bohrte.

»Es wundert mich nicht, dich hier anzutreffen«, erklang eine vertraute Stimme, die mich wider besseres Wissen die Lider öffnen ließ. Prompt fiel mein Blick auf schwarze, tief auf Hüften sitzende Badeshorts, deren nasser Stoff sich an muskulös trainierte Beine schmiegte. Und obwohl – oder vielleicht auch gerade deswegen – ich genau wusste, wer vor mir stand, konnte ich meinen Blick nicht davon abhalten, langsam an dem dunklen Stoff emporzugleiten, bis ich den feinen Haarstreifen entdeckte, der sich zwischen Bund und Bauchnabel befand. Unmittelbar darüber sprangen mir definierte Bauch- und Brustmuskeln ins Auge, die von glänzenden Wasserperlen benetzt waren und dadurch noch besser zur Geltung kamen. »Aber ich bin überrascht, dass du dich nicht im Sand hin und her rollst und dabei sabbernd am Daumen nuckelst«, sprachen die vollen, sinnlichen Lippen weiter, ehe sie mich auf schiefe Art angrinsten.

»Tut mir leid, wenn dir nicht gefällt, was du siehst.« Mein Blick suchte Nox’ smaragdgrüne Augen, die auf bekannte Weise funkelten und mein Herz einen Hüpfer machen ließen. Da ich mir meine verräterische Reaktion nicht anmerken lassen wollte, legte ich den Kopf mit geschlossenen Lidern in den Nacken. »Du musst ja nicht hierbleiben, wenn dir mein Anblick nicht gefällt«, fügte ich betont desinteressiert hinzu und hoffte, der Höllendiener würde den Wink verstehen – was er natürlich nicht tat.

»Ich habe nicht gesagt, dass mir dein Anblick nicht gefällt.« Nox ließ sich neben mir in den Sand sinken, so nah, dass sein nackter, nasser Arm meinen berührte und ich zusammenzuckte. »Es verblüfft mich nur, dass du nach dem ganzen Mist in der letzten Zeit noch nicht den Verstand verloren hast. Aber du tust ja nie das, was man dir sagt. Wieso wundert es mich also, dass du nicht so reagierst, wie es zu erwarten wäre?!«

Zu gerne hätte ich mit einem Kommentar gekontert á la »Es genügt, wenn einer von uns nicht mehr alle Latten am Zaun hat«. Aber das hätte der gefallene Engel nur als Aufforderung angesehen, eine neue Runde unseres Schlagabtausch-Spielchens zu starten. Aus diesem Grund verkniff ich mir die Worte und sagte stattdessen: »Du musst nicht den Babysitter spielen, nur weil Adam dich darum gebeten hat. Ich habe dich oft genug sagen hören, wie sehr du diesen Job hasst.«

»Wer sagt denn, dass ich meine Meinung nicht geändert habe?« Nox drehte seinen Kopf zu mir herum und ich spürte die Bewegung am Arm, ehe sein Blick wie eine zärtliche Berührung über mein Profil strich. »Jetzt, da sich dein himmlisches Geheimnis offenbart hat, meine ich.«

Ich verzog den Mund, ehe ich mich widerwillig zu ihm herumdrehte. »Darum geht es dir? Du willst über das reden, was Gabriel gesagt hat?« Mit einem Schnauben widmete ich mich wieder dem wogenden Meer. Das stetige Auf und Ab der Wellen hatte eine meditative Wirkung. »Dann kannst du gleich wieder abhauen. Ich habe beschlossen, diesen ganzen Irrsinn zu ignorieren und so zu tun, als wäre mein Leben kein gigantischer Scherbenhaufen.«

»Ach, und was glaubst du, wie lange das funktionieren wird?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber solange Adam weg ist und sich kein neues Tattoo zeigt, existiert der Seelenvertrag für mich nicht.«

Nox studierte mein Gesicht mit einem Ausdruck, den ich nicht deuten konnte. Deshalb vermochte ich auch unmöglich zu sagen, mit welcher Art von Erwiderung ich rechnen sollte. Doch als der Höllendiener den Mund öffnete und eine verblüffend ernste und einfühlsame Antwort von sich gab, war es mir nicht länger möglich, ihn zu ignorieren.

»Du weißt aber, dass Adam nicht allein deinetwegen gegangen ist, oder? Die jüngsten Ereignisse haben uns alle aus der Bahn geworfen. Nur hat es ihn am härtesten erwischt.« Nox’ Blick intensivierte sich und das Grün seiner Augen wurde eine Spur dunkler. »Er hat nicht nur zum zweiten Mal seine beste Freundin verloren, sondern dieses Mal auch seine Sanprada. Keiner von uns kann sich vorstellen, was er gerade durchmacht.«

Auch wenn es rührend war, dass Nox für seinen Freund Partei ergriff, fühlten sich seine Worte wie ein Boxhieb an.

Das musste er mir angesehen haben, denn bevor ich ihm klarmachen konnte, dass ich sehr wohl wusste, was Adam im Augenblick durchmachte, kam er mir zuvor. »Ich weiß, was du sagen willst, Kleines. Und ich behaupte nicht, dass die Sache für dich leicht ist. Aber im Gegensatz zum letzten Mal musst du dich dem ganzen Mist nicht allein stellen.« Sein Kopf näherte sich meinem. »Eines sollst du wissen und nie wieder vergessen: Ganz gleich, was in den letzten Wochen, am Abend des Blutkarnevals oder heute Morgen geschehen ist, nichts davon hat Einfluss auf das, was ich dir in deinem Zimmer gesagt habe. Mir ist es völlig schnuppe, ob du ›Avery‹ oder ›Hope‹ heißt und ob du ein Seraph, ein Nephilim oder ein Mensch bist. Für mich bist und bleibst du die beeindruckendste Frau, der ich jemals begegnet bin. Deshalb werde ich so lange um dich kämpfen, bis der letzte Funken Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft für uns beide in mir erloschen ist – was im Übrigen zeitgleich mit meinem letzten Atemzug der Fall sein wird.«

Nox’ Offenheit verschlug mir die Sprache und ich konnte nichts anderes tun, als ihn mit geöffneten Lippen und geweiteten Augen anzustarren.

»Ach, und was ist mit Adam?«, fragte ich. »Noch vor einer Woche war dir eure Freundschaft so viel wichtiger als deine Gefühle für mich. Wieso sollte ich dir glauben, dass sich das geändert hat? Und ausgerechnet jetzt, wo bekannt ist, wessen Seele in meinem Körper steckt?!«

Anstatt Nox mit meiner Zickerei zu vergraulen, nahm ich ein feines Lächeln auf seinen Lippen wahr. »Du vergisst eins, Kleines. Ich habe dir meine Gefühle gestanden, bevor wir von deiner geheimen Identität erfuhren. Und auch wenn du in deinem früheren Dasein Adams Sanprada warst und das einem der grausamsten Scherze gleichkommt, die ich jemals erlebt habe, ändert das gar nichts. Zumindest nicht für mich. Und das weiß Adam auch. Unter anderem deswegen ist er gegangen. Er ist sich darüber im Klaren, dass eure gemeinsame Zeit vorbei ist und dass wir beide jetzt zusammengehören. So wie er es selbst bei Asmodis gesagt hat.«

Mir war heiß und schwindelig und mein Puls stand wie der Flügelschlag eines Kolibris kurz vor der Explosion, während Schuldgefühle und Glückshormone sich einen erbarmungslosen Kampf lieferten. Wie lange hatte ich mich danach gesehnt, ebendiese Worte von Nox zu hören?

»Adam ist mein Bruder«, fuhr der Höllendiener fort. »Und er bedeutet mir sehr viel, das leugne ich nicht. Aber die Eifersucht, die ich bei eurem Anblick auf dem Festival verspürt habe, war die qualvollste Erfahrung, die ich je machen musste – und das trotz jahrzehntelanger Höllenfolter. Deswegen habe ich mir geschworen: Sollte es zwischen uns jemals etwas Schützenwertes geben, werde ich nicht zulassen, dass sich irgendwas oder irgendwer zwischen uns drängt.« Er lehnte seine Stirn gegen meine und sah mich mit strahlenden Augen an. »Und du weißt, ich halte stets, was ich verspreche.«

Völlig gebannt von seinem Blick war ich unfähig, auch nur einen einzigen Gedanken zu bilden. Mein Herz jagte davon und ich war froh, dass das Atmen ein lebensnotwendiger Reflex war. Ansonsten wäre ich spätestens in diesem Moment in Ohnmacht gefallen.

»Ich weiß, es wäre zu viel verlangt, dich darum zu bitten, mir einfach zu glauben«, wisperte der Höllendiener und sein Atem liebkoste mein Gesicht. »Deswegen erspare ich uns beiden diesen Mist. Stattdessen werde ich dir beweisen, dass ich jedes Wort todernst meine.« Blitzschnell und dennoch unfassbar zärtlich strich er mit seinen Lippen über meinen Mundwinkel. Die Berührung war so sanft, dass ich mir nicht einmal sicher war, den Kuss wirklich gespürt zu haben. Dennoch hatte ich die Augen geschlossen. Als ich sie wieder öffnete, war Nox verschwunden.

Verblüfft sichtete ich den rege besuchten Strand, doch bis auf entspannte Sonnenanbeter, spielende Kinder und bewegungsbegeisterte Sportfreunde konnte ich niemanden entdecken.

Nox war wie vom Erdboden verschluckt.

***

Ich blieb noch einige Zeit am Strand und ritt ein paar Wellen, bis ich am Ende völlig erschöpft nach Hause zurückkehrte, um meinen kraftlosen Muskeln die heiße Dusche zu gönnen, nach der sie sich sehnten. Währenddessen sprangen meine Gedanken wie bei einem Pingpong-Match von einem Thema zum nächsten und ich änderte sekündlich meine Meinung, ob die Begegnung mit Nox tatsächlich stattgefunden hatte oder ob sie nur eine Wunschvorstellung gewesen war. Leider sprachen genügend Hinweise sowohl dafür als auch dagegen, weshalb ich mich dazu zwang, die Frage ad acta zu legen. Stattdessen duschte ich mich in aller Seelenruhe und befreite meinen Körper von Schweiß, Sand und Meeressalz. Anschließend gönnte ich mir ein ausgiebiges Körperverwöhnprogramm, das aus Beinrasur, Haarkur, und Gesichtspeeling bestand und seinen Abschluss in einer wundervoll nach Vanille duftenden, aber sehr teuren Bodylotion fand, die eigentlich meiner Mom gehörte. Da dieses Wundermittel meine anspruchsvolle Haut in pure Seide verwandelte, hielt sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen. Das änderte sich erst, als ich in mein Zimmer zurückkehrte und dort mein Handy bemerkte, das ich nach meiner Rückkehr vom Strand aus Moms Zimmers geholt hatte. Das Display zeigte fünf Anrufe in Abwesenheit sowie acht ungelesene SMS an.

Ich wusste sofort, dass sämtliche Benachrichtigungen von meiner Mom stammen mussten. Also überflog ich die SMS, noch bevor ich mich anzog, und antwortete anschließend mit einer Notlüge, indem ich behauptete, den ganzen Tag geschlafen zu haben. Danach wünschte ich ihr – ebenso wie Gabriel, den ich mit einem Zwinkersmiley erwähnte – viel Spaß beim Kongress und taperte, in meinen kuscheligen Bademantel gehüllt, ins Erdgeschoss. Mein Plan für den Abend war ebenso schlicht wie genial: Ich würde mir ein umfangreiches Fresspaket zusammenstellen und es mir auf der Couch bequem machen, wo ich mir bis zur Rückkehr meiner Mom eine romantische Liebeskomödie nach der anderen ansehen wollte. Auf diese Weise würde ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen musste ich meine Happy-End-Reserven auffüllen, die nach all den Problemen der letzten Zeit nahezu erschöpft waren, und zum anderen wollte ich möglichst wenig Zeit in meinem Zimmer verbringen, wo mich jeder Quadratzentimeter an den katastrophalen Morgen erinnerte.

Voller erzwungener Euphorie begab ich mich an unseren Vorratsschrank und ignorierte die eingedellte Kühlschranktür. Für einen kurzen Moment keimte in mir die Frage auf, wie Gabriel meiner Mom diesen Unfall erklärt hatte, aber im Grunde war mir die Antwort egal. Viel drängender erschien mir die Tatsache, dass unser Naschfach leergefuttert war.

Wie kann das sein?!

Für gewöhnlich türmte sich in dem Vorratsschrank ein reich gefüllter Zuckerberg, der jede Ernährungsberaterin in den nervlichen Ruin treiben würde.

Enttäuschung machte sich in mir breit. Ich hatte mich so sehr auf einen Kitschmarathon mit Filmen wie »Liebe braucht keine Ferien«, »Valentinstag« und »Tatsächlich Liebe« gefreut. Aber ohne Schokolade, Popcorn, Chips, Marshmallows, Karamellsauce, Eis und Sahne wäre es einfach nicht dasselbe. Das bestätigte mir auch mein knurrender Magen, der den ganzen Tag noch nicht viel zu tun gehabt hatte.

Kurz überlegte ich, mir einfach ein paar Leckereien bei Luigi, meinem Lieblingsitaliener, zu bestellen. Aber selbst eine extragroße Pizza Hawaii mit doppelt Käse würde mein Verlangen nach einem Zuckerschock nicht lindern. Also blieb mir nichts anderes übrig, als einkaufen zu fahren.

Wieder in meinem Zimmer, schlüpfte ich mit feuchten Haaren und klebriger Haut in ein weißes Tanktop und eine Jeansshorts-Latzhose, ehe ich im Hausflur meine heiß geliebten weinroten Converse Chucks anzog. Geld nahm ich aus der ausgemusterten Keksdose, die meine Mom als finanzielle Notreserve nutzte, und trat anschließend, mit meinem Schlüsselbund gewappnet, aus der Haustür – wo ich mitten in der Bewegung erstarrte.

Was zur Hölle …?!

Mit geweiteten Augen und offenstehendem Mund blickte ich unsere Einfahrt hinunter, auf der sich hinter dem silberfarbenen Volvo meiner Mom ein nachtschwarzes Cabrio befand. Zwar konnte ich von hier aus nicht erkennen, um welche Marke es sich handelte, aber es musste etwas Extravagantes sein, denn allein die Ledersitze des Sportwagens waren vermutlich wertvoller als mein gesamter Hyundai.

»Ich bin beeindruckt.« Nox stand lässig gegen die Fahrertür gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, die Beine gekreuzt. Er trug eine schwarze Hose, ein weißes Shirt und seine Lederjacke. In Kombination mit dem schiefen Grinsen auf seinen Lippen sah er ziemlich heiß aus. »Ich dachte schon, du kommst heute gar nicht mehr aus dem Haus. Zumindest hat sich das Warten gelohnt.«

»Was machst du hier?«, fragte ich, anstatt auf seine Worte einzugehen. Mal wieder hatte es der Höllendiener geschafft, mich zu verblüffen. Nur wusste ich selbst nicht, was es war, das mich aus der Bahn warf. Nox, der offenbar tatsächlich am Strand gewesen war und nun seinen Worten Taten folgen ließ, oder dass er der Meinung war, für seinen Eroberungsstreifzug einen Sportwagen zu benötigen. »Und wieso stehst du hier einfach so rum, anstatt wie gewohnt in mein Zimmer zu platzen?«

Das Grinsen auf Nox’ Lippen wurde breiter und ich meinte ein gewisses Funkeln in seinen Augen zu erkennen. »Glaub mir, Kleines, das hätte ich zu gerne getan. Aber ich wollte ausnahmsweise mal so tun, als würde ich deine Privatsphäre respektieren.« Betont lässig stieß er sich vom Wagen ab und umrundete die Motorhaube, bis er an der Beifahrerseite zum Stehen kam und die Tür öffnete. Als er mich anschließend ins Visier nahm, war in seine Augen ein Ausdruck getreten, der mein Herz zum Wummern brachte. »Außerdem hat mich dein Duschgesang ziemlich gut unterhalten. Ich bin zwar kein Fan vom Bieber-Bubi, aber deine Version von ›Sorry‹ hat selbst mir gefallen. Fast hatte ich den Eindruck, dass du den Song extra für mich geträllert hast.«

Entsetzt schnappte ich nach Luft, doch meine Mundwinkel zuckten. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich vor Scham tot umfallen oder doch lieber Nox für seinen frechen Spruch eine reinhauen wollte.

»Bewegst du jetzt endlich deinen Knackarsch hierher?!« Der Höllendiener deutete mit einem Kopfnicken in Richtung der offenen Wagentür. »Oder willst du dich noch einmal umziehen?«

So ungern ich es auch zugab, die Vorstellung, in den Wagen zu steigen, hatte etwas Verlockendes. Dass ich trotz meines Grolls Nox gegenüber so empfand, lag vermutlich daran, dass ich mich seit Gabriels Offenbarung irgendwie fremd und unecht fühlte. Wie eine Hülle mit falschem Inhalt. Auch hatte Adams Verschwinden nicht gerade dazu beigetragen, dieses Empfinden zu lindern.

Meine Entscheidung traf ich aus dem Bauch heraus. Spontan verwarf ich den ruhigen Abend mit endloser Zuckerzufuhr und Hollywood-Hotties wie Ashton Kutcher und Jude Law und zog stattdessen die Haustür hinter mir ins Schloss. Dann trabte ich die Stufen hinunter zu Nox.

»Tja, hättest du dich bemerkbar gemacht, anstatt wie ein Stalker hier herumzulungern, hätte ich vielleicht etwas anderes angezogen.« Zielsicher steuerte ich den Höllendiener an. »Jetzt musst du mit dem klarkommen, was ich anhabe.« Ich erreichte das Auto und wollte mich gerade hineinsetzen, als sich mir Nox blitzschnell in den Weg stellte – und zwar so, dass seine Brust beim Atmen meinen Busen streifte und sein Gesicht nur wenige Zentimeter über meinem schwebte.

»Dort, wo wir hinfahren, interessiert es niemanden, was du trägst.« Seine Worte waren kaum mehr als ein sinnliches Raunen, trotzdem waren sie nicht der Grund für die kribbelnde Gänsehaut, die meinen Rücken hinaufkroch, ehe mein gesamter Körper davon erfasst wurde. Diese Empfindung rührte eindeutig von dem intensiv glänzenden Blick her, mit dem er mich fokussierte und der schlagartig den vertrauten Sog zwischen uns aufleben ließ. »Zumindest interessiert es niemanden außer mir. Aber ich habe bereits eine festgelegte Meinung darüber, was dir am besten steht.«

Jede einzelne Silbe aus seinem Mund kam mir vor wie das Zerplatzen von Sektbläschen auf nackter Haut. Wie gebannt hing ich an Nox’ Lippen.

»Sieh mich nicht so an, Kleines.« Nox knurrte seine Worte auf sinnliche Art, als hätte er meine Gedanken erraten. Er legte seine freie Hand auf meinen unteren Rücken und seine glühenden Fingerspitzen schienen sich regelrecht durch den Stoff meiner Latzhose zu brennen. »Sonst vergesse ich noch meinen Vorsatz, dich erst wieder zu küssen, wenn du mich darum bittest.«

Dieses Mal glichen seine Worte einer eiskalten Dusche und ich zuckte reflexartig zurück. Dadurch gewann ich zwar ein wenig Abstand, aber erst als Nox entschied, seinen Arm sinken zu lassen, war auch unsere körperliche Verbindung getrennt.

»Wie bitte? Du willst mich erst wieder küssen, wenn ich dich darum bitte? Und was war vorhin am Strand?« Ich klang entsetzter, als ich es beabsichtigt hatte. Vor allem als Nox, anstatt etwas zu erwidern, nur süffisant grinste und zurücktrat, damit ich endlich in den Wagen steigen konnte, hätte ich mir am liebsten selbst eine Ohrfeige verpasst.

Um die Peinlichkeit zu überspielen, ließ ich mich in den samtweichen Ledersitz sinken. Nox schloss währenddessen die Autotür mit einem wohlklingenden Geräusch. Der typische Neuwagenduft stieg mir in die Nase und ich fragte mich, woher Nox das Geld für ein solches Auto besaß. Wurde er etwa für seine Dienste in der Hölle bezahlt?

»Wie auch immer.« Ich schnallte mich an, während Nox zur Fahrerseite ging und sich grinsend hinter das Steuer setzte. »Denk jetzt aber nicht, dass ich dir einfach so verzeihe. So leicht kommst du mir nicht davon.«

Unbeeindruckt startete er den Motor und lenkte den Wagen aus der Einfahrt in Richtung Hauptstraße. Da ich keine Lust verspürte, die ganze Fahrt schweigend zu verbringen, startete ich einen weiteren Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen.

»Wohin fahren wir eigentlich?« Ich legte meinen Schlüssel samt den losen Geldscheinen ins Handschuhfach. Warum hatte ich nicht an eine Tasche oder wenigstens an mein Portemonnaie gedacht?

Nox’ Antwort bestand erneut aus beharrlichem Schweigen, weshalb ich seufzend und mit verschränkten Armen aus dem Fenster sah. Gerade als ich so etwas wie Reue verspürte, in den Wagen gestiegen zu sein, brach der Höllendiener sein Schweigen.

»Nichts übertrifft das Bild, wenn du frisch geduscht und nur in ein Handtuch gewickelt vor mir stehst. Mit nassen Haaren, geröteten Wangen und diesem glückseligen Funkeln in den Augen. Ich träume oft davon und kann es kaum erwarten, ein weiteres Mal in den Genuss dieses Anblicks zu kommen. Dann aber mit meinen Armen um deinen nackten Körper anstatt eines Frottees.«

Mir entglitten die Gesichtszüge und ich war froh, meinen Blick rechtzeitig nach draußen gerichtet zu haben. Doch selbst die vorbeiziehende Landschaft konnte mich nicht von dem Gedankenkarussell ablenken, das Runde für Runde durch meinen Kopf kreiste und immer wieder ein und dieselbe Frage aufwarf.

Worauf habe ich mich nur eingelassen?!

DREI

Die knapp vierzigminütige Autofahrt durch San Francisco während der Rushhour verlief angenehmer, als ich angenommen hatte. Nox erwies sich nicht nur als überraschend entspannter Fahrer, sondern auch als kurzweiliger Geschichtenerzähler, dessen Storys die perfekte Mischung aus Erheiterung und Spannung bildeten und mich bestens unterhielten.

So erfuhr ich unter anderem, dass der Höllendiener eine tragende Rolle gespielt hatte, als die große Sphinx von Gizeh ihre Nase verlor, dass die angeblichen Aliens, die man 1974 bei Roswell gefunden hatte, nur gelangweilte Dämonen gewesen waren, und dass hinter dem Geheimnis des Bermudadreiecks eine Gruppe extrem zickiger Sirenen steckte, die es überhaupt nicht leiden konnten, wenn Menschen ihr Reich passierten.

Des Weiteren erklärte mir Nox, dass der Maserati, in dem wir gerade unterwegs waren, ein GranCabrio sei und einen Wert von rund einhundertfünfzigtausend Dollar habe, weshalb ich gern etwas enthusiastischer dreinschauen dürfe – andere Leute würden für ein solches Auto morden, wie der Höllendiener aus eigener Erfahrung zu berichten wusste.

Anstatt auf seinen Kommentar einzugehen, erkundigte ich mich, wie er an eine solche Protzkarre gekommen sei. Diese Frage, die offenbar einer Beleidigung gleichkam, handelte mir zunächst nur ein verächtliches Schnauben ein, doch dann erfuhr ich, dass das Auto, ebenso wie das Motorrad, das Nox in der Nacht von Moms Unfalls gefahren hatte – im Übrigen eine MV Agusta F4CC für schlappe einhunderttausend Dollar! –, Geschenke eines italienischen Geschäftsmannes gewesen waren. Und zwar an Adam. Mein bester Freund hatte vor rund zwei Jahren durch Zufall die beiden Töchter des Mannes vor einem Doppelselbstmord bewahrt und somit das Leben der gesamten Familie nachhaltig geprägt. Aus diesem Grund hatte Adam die Fahrzeuge erhalten. Natürlich hatte er darauf bestanden, dass der Italiener die Geschenke zurücknahm und den Gegenwert an eine wohltätige Einrichtung spendete, doch der großzügige Gönner hatte nichts davon hören wollen. Also war Adam nichts anderes übriggeblieben, als sich seinem Schicksal zu beugen. Da er die beiden »Schmuckstücke«, wie Nox die Vehikel nannte, in einer angemieteten Garage »vor sich hinrotten« ließ – ebenfalls ein Zitat des Höllendieners –, hatte Nox beschlossen, dieses herzlose Verhalten nicht zu akzeptieren und stattdessen die Patenschaft für die beiden Fahrzeuge zu übernehmen. Seitdem fuhr er in regelmäßigen Abständen mit ihnen durch die Gegend, damit sie an die frische Luft kamen.

»Und ich dachte, du hättest den Wagen bei einem illegalen Pokerspiel gewonnen.« Meinen Blick, den ich während unseres bisherigen Gesprächs auf die vorbeiziehende und von bunten Lichtern überflutete Innenstadt geheftet hatte, richtete ich nun auf den Höllendiener. Die Sonne war zwischen den hoch aufragenden Gebäuden nur noch gelegentlich auszumachen, wodurch Nox’ Gesicht abwechselnd von Schatten oder Lichtreflexen überzogen wurde. »Ich muss zugeben, ich bin enttäuscht.«

»Wow! Noch nie hat eine Frau diese Worte zu mir gesagt.« Für den Bruchteil einer Sekunde huschte sein Blick in meine Richtung, ehe Nox sich wieder dem Straßenverkehr widmete, dieses Mal ein feines Grinsen auf den Lippen. »Aber keine Sorge, Kleines. Der Abend ist noch jung. Mir bleibt also genügend Zeit, um dir zu beweisen, dass ich durchaus der böse Junge bin, in den du hoffnungslos verknallt bist – auch wenn du dir weiterhin einzureden versuchst, dass das nicht der Fall ist.«

Seine frivole Andeutung ließ meine Mundwinkel zucken, was ich mit einem übertriebenen Augenrollen zu überdecken versuchte, ehe ich das Thema wechselte.

»Wie kommt es eigentlich, dass du dich bei deinem Entführungsvorhaben für den Wagen und nicht für das Motorrad entschieden hast?« Ich wandte meinen Blick ebenfalls nach vorn und rieb mir über die Arme. Der geißelnde Fahrtwind hatte meine Haut in das gerupfte Leder einer Gans verwandelt, weshalb sich jede Fahrtsekunde wie die Züchtigung mit einer neunschwänzigen Peitsche anfühlte. »Ich meine, damit hätten wir unser Ziel sicherlich schneller erreicht.«

Nox sah mich erneut aus den Augenwinkeln an. »Entführungsvorhaben?« Ein leises Lachen erklang. »Soweit ich mich erinnere, bist du freiwillig in den Wagen gestiegen. Und auch wenn ich deine Denkweise zu schätzen weiß – immerhin hättest du dich bei einer Motorradfahrt fest an mich klammern müssen –, dachte ich, diese Art der Fortbewegung würde dir eher zusagen.« Er bog, ohne zu blinken oder die doppelt durchgezogene Fahrbahnlinie zu beachten, in eine unbeleuchtete Seitenstraße ein. »Aber gut. Das nächste Mal, wenn ich dich entführen will, wähle ich eine schnellere, wenn auch weitaus weniger luxuriöse Fortbewegungsmöglichkeit. Goldlöckchen ist nämlich nicht länger der Einzige, der eine seiner magischen Fähigkeiten zurückerhalten hat.«

»Was? Du auch?«, konnte ich gerade noch fragen, ehe die schmale Gasse meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Die Hauswände standen so dicht beieinander, dass der Maserati nur knapp zwischen den bauchigen Müllcontainern und leeren Pappkartons hindurchpasste, die die grauen Backsteinmauern flankierten. In Kombination mit dem einsamen Gullydeckel, aus dem grauer Dunst emporstieg, erweckte die Umgebung keinen allzu einladenden Eindruck.

Gerade als ich den Höllendiener fragen wollte, wo wir uns befanden und weshalb er uns durch eine Gasse beförderte, die ich nicht einmal bei Tageslicht freiwillig betreten hätte, parkte er den Wagen zwischen zwei Müllcontainern.

»Auch wenn ich deine Abneigung gegen den Wagen nicht verstehen kann, hast du die Folter nun überstanden. Du darfst aussteigen. Wir sind da.« Nox machte den Motor aus. In einer galanten Bewegung sprang er zuerst auf den Sitz und anschließend aus dem Auto. Dann umrundete er die Motorhaube und kam neben meiner Tür zum Stehen. All dies geschah, während ich ihn mit geweiteten Augen anstarrte.

»Wir sind da?« Ich hoffte inständig, dass sich der Höllendiener nur einen blöden Scherz mit mir erlaubte. »Und was wollen wir hier? Obdachlose bestehlen? Oder einen Bandenkrieg anzetteln?«

Nox öffnete grinsend die Beifahrertür. Diese zuvorkommende Geste verunsicherte mich mindestens so sehr wie unser vermeintliches Ziel. Da jedoch seine exzentrische und anzügliche Seite weiterhin dominierte, zwang ich mich, der gelegentlichen Wesensveränderung keine allzu große Bedeutung beizumessen.

»Beides keine schlechten Ideen, Kleines. Aber die Umsetzung muss bis zum nächsten Mal warten. Für heute haben wir bereits Pläne.« Nox bedeutete mir mit einem Kopfnicken, endlich auszusteigen, was ich nur widerwillig tat. Zum einen hatte er meine Neugier geweckt, zum anderen hegte ich Sorge, dass die Ratten, deren Anblick mir bisher erspart geblieben war, nur auf eine Gelegenheit warteten, um aus ihren Löchern zu kommen und sich auf mich zu stürzen.

Wir ließen den Wagen hinter uns und durchquerten die Gasse. Unsere Schritte hallten von den Mauern wider, und als Nox mit seinen Bikerstiefeln in eine Wasserpfütze trat, ertönte ein schmatzendes Geräusch.

»Hast du keine Angst, dass jemand den Wagen klaut?«, fragte ich mit betont gleichgültiger Miene, obwohl meine Muskeln angespannt und meine Sinne geschärft waren.

Nox’ Antwort bestand in einem leisen Lachen und einem schlichten Kopfschütteln, weshalb ich mich gezwungen sah, eine meiner vorherigen Fragen zu wiederholen, um dieser gespenstischen Stille etwas entgegenzusetzen.

»Wo sind wir hier, Nox? Und vor allem, was wollen wir hier?«

»Du hast gesagt, du würdest gerne den Seelenvertrag und alles, was seitdem geschehen ist, vergessen.« Er griff nach meiner Hand und verschränkte wie selbstverständlich unsere Finger miteinander. Die Berührung jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken. »Und da ich zufälligerweise den perfekten Ort für dieses Vorhaben kenne, dachte ich, ich tue dir diesen Gefallen.« Gemeinsam bogen wir um eine Ecke. Auch wenn ich bisher der Meinung gewesen war, mich sehr gut im inneren Kern meiner Heimatstadt auszukennen, hatte ich keinen blassen Schimmer, wo wir uns befanden.

Nox hielt vor einer unscheinbaren, dunkelgrauen und von Graffiti überzogenen Tür an, die ich im ersten Moment gar nicht wahrgenommen hatte. Aber bevor ich mich fragen konnte, ob ich überhaupt wissen wollte, an welche Art von Ort mich der gefallene Engel gebracht hatte, hämmerte er bereits mit seiner freien Hand gegen das Metall. Der dumpfe Klang dröhnte durch die Gasse, während Nox mich mit seinem typischen Grinsen bedachte.

»Passwort?« Eine näselnde Stimme ertönte, die mir vollkommen unbekannt war. Irgendwie erinnerte sie mich an einen pubertierenden Jungen im Stimmbruch.

Mit gerunzelter Stirn ließ ich meinen Blick schweifen, doch außer uns beiden konnte ich niemanden entdecken.

»Mach die Tür auf, Spike!« Nox klang sowohl gelangweilt als auch ungeduldig. »Du weißt genau, wer hier ist.«

»Ich kann die Tür nur öffnen, nachdem das Passwort genannt wurde.« Wieder sprach die näselnde Stimme, dieses Mal klang sie schmollend und zugleich entschuldigend. »Das weißt du!«

Mein Blick hatte endlich den Ursprung der Stimme ausgemacht und ich starrte mit geweiteten Augen die Tür an. Ich hatte zwar schon viel Kurioses erlebt, eine sprechende Tür vermochte mich dennoch zu verblüffen. Die Graffiti, die ich im ersten Moment für eine wahllos zusammengewürfelte Mischung aus diversen Strichen und Kleinkinderzeichnungen gehalten hatte, stellten in Wahrheit ein abstraktes Gesicht dar, das sich bewegte, als wäre es lebendig.

»Schon gut, Spike. Ich erlöse dich. Meine Begleitung scheint nämlich jeden Moment in Ohnmacht zu fallen.« Nox amüsierte sich offenkundig über meine Reaktion, was in mir den Wunsch erweckte, ihn zu knuffen. »Und falls es tatsächlich dazu kommt, hätte ich gerne eine ununterbrochene Flüssigkeitszufuhr in meiner Nähe«, fuhr er mit einem frechen, an mich gerichteten Zwinkern fort. »Willst du den Plagegeist von seinem Leid erlösen?«

»Was? Ich?« Widerstrebend löste ich meinen Blick von dem sprechenden Graffito und sah Nox entgeistert an. Meine Finger klammerten sich an seinen fest. »Und wie soll ich das machen? Ich kenne das Passwort doch gar nicht.« Wären wir am Londoner Hauptbahnhof zwischen den Bahngleisen 9 und 10 oder in der Wüste vor einer gigantischen Steinhöhle, wüsste ich, was zu tun wäre. Aber hier?! »Sorry, ich muss passen«, sagte ich mit einem Kopfschütteln.

Nox’ feixendes Grinsen wurde breiter und in seinen Augen zeigte sich ein amüsiertes Funkeln. »Wie du meinst. Spike? Buchclub.«

»Danke, Nox.« Das Graffito – Spike – klang erleichtert. Kurz darauf öffnete sich die Tür mit einem unangenehmen Quietschen und gab den Blick auf ein schwarzes Loch frei, das mich an den Eingang des Pandämoniums beim Blutkarneval erinnerte. Mit geweiteten Augen starrte ich den Höllendiener an.

»Buchclub?« Ich wusste nicht, ob ich lachen oder entsetzt sein sollte. »Das ist das Passwort für den Eintritt in einen magischen Untergrund oder was auch immer das hier ist?« Um ehrlich zu sein, interessierte mich die Antwort auf diese Frage weit weniger, als es den Anschein machte. Viel lieber hätte ich gewusst, ob dies der Ort war, an dem sich Nox neulich aufgehalten hatte, als Adam verzweifelt versucht hatte, ihn zu kontaktieren.

»Hey, sieh mich nicht so an!« Nox lachte und drückte sanft meine Finger. »Ich hab mir das Passwort nicht ausgedacht. Die Besitzerin dieses Etablissements leitet tagsüber einen Buchladen in den oberen Etagen dieses Gebäudes, der sich vor allem auf … nennen wir es eine besondere und nicht unbedingt menschliche Kundschaft spezialisiert hat.« Er zuckte mit den Schultern. »Vermutlich denkt sie, das magische Volk sei dämlicher als ein Waldtroll, und hat den Zugang zu ihrer Bar extra einfach gestaltet – nichts für ungut, Spike.«

Das Graffito zwitscherte ein gut gelauntes »Kein Ding, Bro«.

»Wie bitte? Wir stehen hier vor dem Eingang einer Bar?« Meine Stimme kiekste. »Einer magischen Bar? Dir ist aber schon klar, dass ich weder einundzwanzig bin noch einen gefälschten Ausweis besitze, oder?!«

Das leise Lachen des Höllendieners bestätigte, wie naiv mein Kommentar gewesen sein musste. Trotzdem wirkte seine amüsierte Miene keineswegs spottend.

»Weißt du noch, was ich dir vorhin gesagt habe? Bezüglich deiner Klamotten und dass es niemanden interessieren wird, was du trägst?« Als ich nickte, wurde Nox’ Lächeln zu einem breiten Grinsen. »Das Einzige, was die Leute hier noch weniger beachten werden als deine Garderobe, ist dein Alter. Und jetzt vertraue mir endlich und geh rein. Spike hat bestimmt keinen Bock, den ganzen Abend hier rumzuhängen und deinem Gemecker zu lauschen.«

»Och, macht euch wegen mir keinen Stress«, erwiderte das Graffito. »Im Moment ist es ziemlich ruhig und deine Begleitung scheint witzig zu sein.«

Wäre die Situation nicht derart absurd, hätte ich mich vielleicht über das Kompliment des Sprühgemäldes gefreut. Doch im Augenblick war ich viel zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt, weshalb die Worte wirkungslos an mir abprallten.

Unschlüssig biss ich mir auf die Unterlippe. Nach den Ereignissen des Blutkarnevals hatte ich mir fest vorgenommen, nicht allzu bald wieder ein magisches Gebäude zu betreten. Aber ich war neugierig, wohin mich Nox geführt hatte und aus welchem Grund er der Meinung war, dass ich diesen Laden kennenlernen sollte. Zudem lockte mich die Aussicht, mehr über das Leben sowie die Interessen des gefallenen Engels in Erfahrung zu bringen.

Erneut traf ich meinen Entschluss aus dem Bauch heraus. Vielleicht wurde es allmählich Zeit, mir eine geeignetere Methode anzueignen, um derart wichtige Entscheidungen zu fällen. Doch zumindest für heute Nacht würde ich noch bei dem alten Verfahren bleiben – und wie jedes Mal hoffen, dass es keine allzu dumme Idee war.

VIER

Der hinter der Tür befindliche Raum stellte sich als Gang heraus, der so schmal war, dass keine zwei Personen nebeneinander hindurchgehen konnten. Nox schien das nichts auszumachen, denn er stellte sich wortlos hinter mich, seine Finger weiterhin mit meinen verschränkt. Als die Tür ins Schloss fiel und sämtliches Licht mit sich nahm, nutzte er die Situation, um dicht an mich heranzutreten.

Zu gerne hätte ich seine Pläne torpediert, indem ich einfach weiterging. Aber leider konnte ich überhaupt nichts erkennen. Nicht einmal meine eigene Hand konnte ich ausmachen, als ich sie probehalber vor mein Gesicht hielt.

»Was ist, Kleines?« Nox drängte sich noch näher an mich heran, sodass ich jeden seiner Atemzüge im Nacken spürte. Sofort versteifte ich mich und mein Herz begann wie wild zu pochen. Die feinen Härchen auf meinen Armen stellten sich auf, als der Höllendiener sich zu mir runterbeugte und mir leise ins Ohr raunte: »Willst du lieber hierbleiben? Allein und ungestört?!« Zur Untermalung seiner Worte strich er sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken.

Ich erschauderte augenblicklich und wirbelte reflexartig herum. Auf meiner Zungenspitze lag bereits die Erwiderung, dass ich es vorziehen würde, mit einer Horde Ratten eine Teeparty zu veranstalten, doch kaum hatten meine Hände Nox’ Brust ertastet, schienen sich meine Gedanken in Luft aufzulösen. Mein Puls schoss in die Höhe und meine Knie wurden weich. Nox’ warmer und einladender Duft stieg mir in die Nase und mein Oberkörper bewegte sich wie von selbst auf mein Gegenüber zu.

Ich wusste nicht, was ich da tat, nur dass es sich gut und richtig anfühlte. Und vielleicht wäre am Ende alles ganz anders gekommen, wenn nicht just in diesem Moment neben unseren Köpfen eine Reihe Fackeln den Gang ebenso wie meinen Verstand erhellt hätte.

»Besser so?!«, fragte Nox, als hätte ich ihm die rettende Lichtquelle zu verdanken.

Das Grinsen, mit dem er mich bedachte, war so ansteckend, dass meine Mundwinkel ungewollt nach oben wanderten. Egal wie sehr ich mich auch gegen das stetig intensiver werdende Knistern zwischen uns zu wehren versuchte, es war zwecklos.

»Wie man’s nimmt«, konterte ich zuckersüß und löste meine Finger aus seinen. Nur am Rande meiner Wahrnehmung bekam ich mit, dass die rubinroten Flammen, die den Fackeln entströmten, keinerlei Wärme abstrahlten. Offenbar handelte es sich um kein echtes Feuer. »Jetzt kann ich zwar den Gang erkennen, aber auch dein blödes Grinsen.« Mit einem Schulterzucken kehrte ich Nox den Rücken und setzte, begleitet von seinem mürrischen Knurren, einen Fuß vor den anderen.

Am Ende des Gangs erreichte ich einen gold glänzenden Perlenvorhang. Nach einem tiefen Atemzug passierte ich diesen und fand mich auf einem Treppenabsatz wieder, von dem aus rund vierzig Stufen hinab zu einer typisch amerikanischen Bar führten. Zumindest nahm ich das an, denn meine Erfahrungen mit dieser Art von Lokalität basierten ausschließlich auf Filmen, Büchern oder den Erzählungen anderer.

Nox stupste mich sanft in den Rücken und bedeutete mir weiterzugehen. Zögernd folgte ich seiner Aufforderung, doch mit jeder Stufe, die ich hinabstieg, sprangen mir mehr und mehr Details ins Auge, die mich langsamer gehen ließen, bis ich schließlich auf dem unteren Drittel der Treppe einfach stehen blieb und mit großen Augen das Treiben vor mir bestaunte. Die leise im Hintergrund spielende Rockmusik mischte sich mit dem charakteristischen Geruch nach Rauch, Schweiß und Alkohol, der die anwesenden Gäste nicht zu stören schien. Doch waren Feenwesen mit ihrer schillernden Ausstrahlung, den kunterbunten Haarschöpfen und ihren verräterischen Ohrspitzen nicht einmal die außergewöhnlichsten Besucher. Viel aufregender fand ich die Kreaturen, die durch Hörner, Flügel, Ganzkörperbehaarung oder eine ungewöhnliche Anzahl von Extremitäten auffielen, sodass ich annehmen konnte, auf einer extravaganten Kostümparty gelandet zu sein.

Die ungewöhnliche Klientel war nicht das einzig Auffällige in dem Lokal. Auch das Interieur und die Dekoration konnten jedem Kuriositätenkabinett Konkurrenz machen. Anstatt mit runden Holztischen, dazu passenden Stühlen, Musik- und Sportpostern sowie einer Dartscheibe, die vom Schein verstaubter Deckenlampen beleuchtet wurde, ausgestattet zu sein, erinnerte der in Rotlicht gehüllte Raum an einen gigantischen Luftschutzbunker im Halloween-Stil. Es gab keine Fenster und der einzige sichtbare Zugang befand sich am oberen Ende der Treppe. Die Wände erweckten den Eindruck, als würde an ihnen unentwegt frisches Öl hinabfließen, und am Scheitelpunkt der hohen Decke befand sich ein imposanter Kristallkronleuchter, der vermutlich aus der Renaissancezeit stammte.

Nach einigen Augenblicken entdeckte ich die Quelle für das ungewöhnliche Licht. Die rubinroten Flammen, die ich bereits oben im Gang gesehen hatte, fanden sich auch hier wieder. Doch anstatt in Fackelform brannten sie an den Spitzen unzähliger schwarzer Stabkerzen, die zu kleinen Gruppen angeordnet waren und sich auf mannshohen Ständern befanden.

»Es sieht beeindruckender aus, als es in Wirklichkeit ist«, sagte Nox gelassen und trat an mir vorbei. Seine Bewegungen wirkten selbstbewusst, als er die Stufen hinabstieg und sich durch den gut gefüllten Raum bewegte. Dabei schien er den dekadenten Sesseln, Sofas und Chaiselongues im Barockstil keinerlei Beachtung zu schenken. Ich hingegen war wie gebannt von dem Anblick der Sitz- und Rückenflächen, die mit bordeauxrotem Samt überzogen und von anthrazitfarbenen Metallnieten umrandet waren. Auch die niedrigen Couchtische aus schwarzem Glas, die sich in der Mitte einer jeden Sitzgruppe befanden, konnte ich unmöglich ignorieren.

Erst als ich Nox an einem Tresen entdeckte, bemerkte ich, dass ich allein zurückgeblieben war. Sofort zwang ich meine Muskeln, dem Höllendiener nachzueilen.

»Bist du wahnsinnig?!«, zischte ich, kaum dass ich ihn eingeholt hatte. »Du kannst mich doch nicht einfach stehen lassen!«

»Und warum nicht?« Nox bedachte mich mit einem feinen Lächeln. »Keiner der Anwesenden interessiert sich für dich. Oder für mich. Sie wollen nur in entspannter Atmosphäre etwas trinken, ein paar Drogen nehmen und vielleicht an der ein oder anderen Orgie teilnehmen, die wie jede Nacht in einem der Hinterzimmer stattfindet.«

Obwohl mir in meinem tiefsten Inneren klar war, dass Nox mich nur aufziehen wollte – obwohl zumindest ein Teil dessen, was er gesagt hatte, wahr sein musste –, weiteten sich meine Augen mit jedem seiner Worte. Um meine Reaktion zu überspielen, kletterte ich möglichst souverän auf den nächstbesten freien Barhocker und legte meine Arme auf die kalte, schwarz glänzende Tresenfläche, die mich an das Obsidiangestein erinnerte, das ich zum ersten Mal beim Blutkarneval gesehen hatte.

»Erklärst du mir bitte noch einmal, wieso du mich hierhergebracht hast?!« Unauffällig sah ich mich um. »Ich dachte, du wolltest mich an einen Ort bringen, an dem ich nicht an den Seelenvertrag erinnert werde. Aber hier wimmelt es geradezu von Dämonen.«

»Es sind Dämonenblütler«, korrigierte mich Nox und ahmte meine Haltung nach. »Keine Dämonen. Luzifers Abgesandten ist der Zutritt zu diesem Laden verwehrt. Dein Blut muss mindestens zur Hälfte nicht-dämonisch sein, damit du Spike überhaupt rufen kannst.« Der Höllendiener stieß sich vom Tresen ab und trat in einer fließenden Bewegung hinter mich. Seine Arme stützte er links und rechts neben mir ab, sodass ich zwischen ihm und dem Tresen eingekeilt war. Als er sich gegen meinen Rücken lehnte, spürte ich seinen Atem in meinem Nacken. »Und wenn du endlich damit aufhörst«, wisperte er mir ins Ohr, »dich gegen deine Gefühle zu wehren, und mir stattdessen vertraust, würde dir vielleicht auffallen, dass ich dir zwar nichts über die magische Welt erzählen darf, dass es mir aber durchaus möglich ist, sie dir zu zeigen.« Seine Lippen glitten über die empfindliche Stelle hinter meinem Ohr.

Die Berührung brachte meine Lider zum Flattern und mein Pulsschlag geriet außer Kontrolle. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und ein wohliges Schaudern perlte meinen Rücken hinab.

Nox ließ mit einem selbstzufriedenen Grinsen von mir ab und begab sich zurück auf seinen ursprünglichen Platz. Er präsentierte eine neutrale, beinahe schon unbeeindruckte Miene, während mein Innerstes in Flammen stand und ich mich dafür verabscheute, dass es immer noch einen – ganz zu meinem Leidwesen nicht gerade unerheblichen – Teil in mir gab, der sich trotz aller Geschehnisse weiterhin nach den Berührungen des Höllendieners verzehrte.

Mit einem Räuspern versuchte ich meine Gedanken zur Ordnung zu rufen und meine Emotionen zu verbergen. Erfolglos, wie sich herausstellte, als ich eine weitere Frage stellte. Meine Stimme klang dünn und sehnsüchtig. »Wer oder was ist dieser Spike eigentlich?«

Nox’ Grinsen verblasste und nur ein angedeutetes, trauriges Lächeln blieb zurück. »Spike ist ein Faun. Eigentlich gehört er dem Lichten Volk an, jedoch wurde er vor einem knappen Jahrhundert verstoßen. Als Eximilierter wäre er längst verschwunden, aber irgendwie ist es ihm gelungen, die Besitzerin dieser Bar davon zu überzeugen, ihm zu helfen. Ich kenne zwar nicht die Details ihres Deals und kann erst recht nicht Spikes Beweggründe nachvollziehen, doch der Plagegeist nimmt offenbar lieber qualvolle Schmerzen in Kauf und lebt als Feenwesen in einer Metalltür, als dass er sein Ende akzeptiert und verschwindet.«

Überraschung und Wehmut vertrieben jegliches romantische Gefühl aus meinem Inneren. Auch wenn das Graffitigesicht kaum drei Sätze von sich gegeben hatte, berührte mich sein Schicksal. Da das Lichte Volk mit seinen grausamen Regeln und Gepflogenheiten aber das letzte Thema war, über das ich im Augenblick reden wollte, wechselte ich die Richtung unserer Unterhaltung.

»Okay, und wer – oder besser gesagt was – betreibt nun den Buchladen und diese Bar? Bisher hast du weder den Namen noch die Wesensart erwähnt, was für gewöhnlich bedeutet, dass du die Person für vollkommen unfähig und uninteressant hältst.«