Seven Sins 7: Grauenhafte Gier - Lana Rotaru - E-Book

Seven Sins 7: Grauenhafte Gier E-Book

Lana Rotaru

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Beschreibung

»Wähle weise, Avery.« Noch immer kann Avery nicht glauben, was Luzifer ihr offenbart hat. Doch die schockierenden Enthüllungen treten rasch in den Hintergrund, als die letzte Sündenprüfung beginnt. Um ihre Seele endlich zurückzugewinnen, muss sie es mit den vier Reitern der Apokalypse aufnehmen. Eine scheinbar unlösbare Aufgabe, setzt doch Averys wahrer Feind alle Hebel in Bewegung, um sie geradewegs in die Hölle zu schicken. Gemeinsam mit dem kämpferischen Seeleneintreiber Nox stellt sie sich der finalen Schlacht und einmal mehr muss Avery sich fragen: Wem kann sie wirklich trauen? Sieben Sünden. Sieben Prüfungen. Und ein höllischer Vertrag … Lass dich von Lana Rotarus Urban-Fantasy-Serie in eine faszinierende Welt entführen, in der die Sünde und die Freiheit deiner Seele unausweichlich miteinander verbunden sind. Ein absolutes Must-Read für Fans von Fantasy-Liebesromanen der besonderen Art! Leser*innenstimmen zu »Seven Sins« auf Amazon: »Wow, Wow, Wow!!!« »Perfekt, um aus der Realität zu verschwinden, sich zu verlieren und mitzufühlen.« »Einfach großartig.« »Unerwartet und fesselnd.« »DEFINITIV IST DIESES BUCH JEDE SEITE WERT ...« //Dies ist der siebte Band der romantischen Urban-Fantasy-Reihe »Seven Sins«. Alle Bände der Buchserie bei Impress: -- Seven Sins 1: Hochmütiges Herz -- Seven Sins 2: Stolze Seele -- Seven Sins 3: Bittersüßes Begehren -- Seven Sins 4: Neidvolle Nähe -- Seven Sins 5: Zerstörerischer Zorn -- Seven Sins 6: Maßlose Macht -- Seven Sins 7: Grauenhafte Gier// Diese Reihe ist abgeschlossen.  

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Lana Rotaru

Seven Sins 7: Grauenhafte Gier

»Wähle weise, Avery.«

Noch immer kann Avery nicht glauben, was Luzifer ihr offenbart hat. Doch die schockierenden Enthüllungen treten rasch in den Hintergrund, als die letzte Sündenprüfung beginnt. Um ihre Seele endlich zurückzugewinnen, muss sie es mit den vier Reitern der Apokalypse aufnehmen. Eine scheinbar unlösbare Aufgabe, setzt doch Averys wahrer Feind alle Hebel in Bewegung, um sie geradewegs in die Hölle zu schicken. Gemeinsam mit dem kämpferischen Seeleneintreiber Nox stellt sie sich der finalen Schlacht und einmal mehr muss Avery sich fragen: Wem kann sie wirklich trauen?

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Vita

Playlist

Danksagung

© Photo Home Studio

Lana Rotaru verliert sich seit frühester Kindheit nur zu gern in Büchern. Es ist also kein Wunder, dass sie inzwischen selbst Geschichten verfasst. Wenn sie nicht gerade an neuen fantastischen und romantischen Werken arbeitet, verbringt sie ihre Zeit am liebsten mit ihrem Mann und ihrem Sohn an der frischen Luft, wo sie neue Kraft und Inspiration findet.

Für jeden, der sehnsüchtig auf dieses Buch gewartet hat.Danke für deine Treue!

VORWORT

Dass ich diese Worte schreiben darf, bedeutet mir ebenso viel wie der Umstand, dass du sie gerade liest. Das heißt nämlich, dass die Seven-Sins-Reihe ein (hoffentlich würdiges) Ende gefunden hat und du Avery, Adam und Nox während all der Zeit gegenüber loyal geblieben bist. Das ist unglaublich und ich danke dir von Herzen dafür – ganz gleich, ob du von der ersten Minute an dabei warst (Band eins erschien 2017 im Self Publishing) oder ob du erst später dazugestoßen bist.

Als Dank und gleichzeitig als kleine Gedankenstütze findest du am Ende des Buches ein Personenregister, das du gefahrlos lesen kannst. Sämtliche Punkte, die das Finale betreffen, wurden rausgelassen.

Um einen nahtlosen Einstieg ins Finale zu erhalten, empfehle ich dir, den Epilog von Band 6 (erneut) zu lesen, da das hier vorliegende Buch an das vorherige Ende anknüpft.

Nun wünsche ich dir viel Spaß bei der letzten Seelenprüfung und hoffe, du genießt jede Seite so sehr, wie ich es beim Schreiben getan habe.

PLAYLIST AVERY & NOX

Hochmütiges Herz (Band 1)

Believer – Imagine Dragons

Stolze Seele (Band 2)

Fallen Angel – TIX

Bittersüßes Begehren (Band 3)

Heaven – Julia Michaels

Neidvolle Nähe (Band 4)

Demons – Imagine Dragons

Zerstörerischer Zorn (Band 5)

Zombie – Cranberries

Maßlose Macht (Band 6)

Hallelujah – Kate Voegele

Grauenhafte Gier (Band 7)

Song to say Goodbye – Placebo

WAS BISHER GESCHAH …

Mein Name ist Avery Marie Harper und dem Teufel gehört meine Seele. James Goose, der erfolgsgeile Ex-Mann meiner Mom, der uns vor zwölf Jahren verlassen hat, verkaufte sie, um seine Schauspielkarriere voranzutreiben.

Der Vertrag sollte an meinem achtzehnten Geburtstag durch meinen Tod in Erfüllung gehen. Doch Adam, mein bester Freund und mir persönlich zugeteilter Schutzengel, eröffnete mir eine Möglichkeit, um meine Freiheit zu kämpfen. Dafür muss ich acht Prüfungen bestehen, die mit je einer Todsünde und dem dazugehörigen Höllenfürsten in Verbindung stehen, ehe ein Treffen mit Luzifer den Abschluss bildet.

Zum Glück muss ich mich diesen Herausforderungen nicht alleine stellen. Sowohl Adam als auch Nox, der aus dem Himmel verstoßene Engel, der für die Hölle als Seelenjäger arbeitet, stehen mir zur Seite – wenn auch anfangs eher unfreiwillig, da ihre Leben seit meiner Zustimmung zu den Prüfungen mit meinem verknüpft sind. Das heißt, mein Scheitern bedeutet ihr Scheitern. Mein Tod bedeutet ihren Tod.

In den vergangenen Monaten ist es uns entgegen aller Wahrscheinlichkeit gelungen, fünf der acht Prüfungen zu bestehen. Den Hochmut im Feenreich, die Wollust beim Blutkarneval, den Neid in der Unterwelt, den Zorn in Rom und schließlich die Völlerei auf einem Vampirball. Doch ehe wir dieses letzte kleine Wunder vollbracht haben, gab es einige Hürden zu überwinden.

Zum einen war da Hope, Adams himmlische Ehefrau, die ihn vor über achtzehn Jahren verlassen hat und die nun urplötzlich zurückgekehrt ist. Sie verriet uns nicht nur, dass sie ihren Sanprado nicht freiwillig verlassen hätte, sondern dass sie entführt und all die Zeit gefangen gehalten worden sei. Sie behauptete zudem, dass die Seele meiner Mom nicht die eines gewöhnlichen Menschen sei und dass diese seit ihrem Tod weiterhin auf der Erde wandeln würde.

Doch das war nicht einmal das Schlimmste. Zusätzliche Sorgenfalten haben wir Reed zu verdanken, der sich während Satans Zornprüfung in Rom mit einem tödlichen Dämonengift infizierte und beinahe gestorben wäre. Allein einem Pakt mit Gabriel, dem vermeintlichen Erzengel, der sich für meinen leiblichen Vater ausgibt, in Wahrheit jedoch ein unglaublich mächtiges Wesen ist, dessen wahre Existenz wir bisher nicht kennen und das ganz eigene Ziele verfolgt, war es uns möglich, Reed zu retten. Dieser Pakt bot uns gleichzeitig die Möglichkeit, der Vampirgräfin Annabelle de LaCroix durch eine List ihr Collier abzunehmen, das wir brauchten, um die fünfte Seelenprüfung zu bestehen. Beelzebub, der Höllenfürst der Völlerei, hatte mich nämlich mit einem mächtigen Zauber belegt, der mir vorgaukelte, dass ich mich in einen Vampir verwandelte. Aus diesem Grund waren wir gezwungen, das Heilmittel gegen Vampirismus zu finden.

Bei dem großen Showdown im Schloss Versailles, in dem Annabelles Vampirball stattfand, kam es dann neben einer Konfrontation zwischen Luzifer und »Gabriel« auch zu einem Kampf zwischen der französischen Gräfin und mir. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurden Annabelle, ebenso wie Reed und seine Schwester Nova, in Menschen verwandelt.

Doch anstatt uns über unseren Sieg und damit über einen weiteren Schritt in Richtung Zielgerade zu freuen, stehen wir in diesem Moment auf der in nächtliche Dunkelheit gehüllten Golden Gate Bridge in San Francisco Luzifer und seinem Sohn Belphegor, dem Höllenfürsten der Trägheit, gegenüber. Nox’ ehemaliger Boss hat mir soeben ein teuflisch verlockendes Angebot unterbreitet: Er beantwortet all unsere Fragen und sorgt dafür, dass wir die sechste Todsünde überspringen können. Dadurch würden wir gleich zur letzten Sündenprüfung, der Habgier, gelangen. Sollte es uns gelingen, Gabriel und Mammon, den letzten Höllenfürsten, zu besiegen, verzichtet Luzifer auf einen Kampf um meine Seele und der Vertrag, den er einst mit James geschlossen hat, gilt als »erfolgreich erfüllt«.

Dann würde Luzifer weiterhin über die Unterwelt regieren und Adam, Nox und ich wären frei.

Uns trennt also nur noch eine Prüfung von unserem Sieg.

Leider sagt mir mein Bauchgefühl, dass diese in nichts mit dem zu vergleichen sein wird, was wir bisher erlebt haben.

TEIL 1

EINS

»Wo muss ich unterschreiben?« Meine Stimme klang fest, obwohl mir das Herz bis zum Hals pochte. Allein Nox’ starken Armen, die er um meine Taille geschlungen hielt, war es zu verdanken, dass ich noch aufrecht stand. Ohne den Halt des ehemaligen Höllendieners – es war genau, wie Luzifer gesagt hatte: Nox war der Unterwelt nicht mehr loyal ergeben –, wäre ich längst zu Boden gegangen.

»Eine physische Unterschrift ist nicht nötig«, sagte Luzifer in neutralem Ton, jedoch konnte ich an seinen leicht gehobenen Mundwinkeln den Anflug eines zufriedenen Lächelns ablesen. Mit dem dunklen Haar, das akkurat in Form gelegt war, und der schlanken Statur, die in einem maßgeschneiderten schwarzen Anzug steckte, sah der Herrscher der Hölle aus wie ein Immobilienmakler für Luxusvillen. Doch seine Ausstrahlung – diese subtile Macht sowie die Autorität, die von ihm ausgingen und die respekteinflößender nicht hätten sein können – ließ keinen Zweifel daran, wie töricht es wäre, ihn zu unterschätzen. »Deine mündliche Zustimmung, auch wenn sie gut verborgen ist, genügt.« Wie aufs Stichwort begann der Vertrag, der in Form einer altertümlichen Schriftrolle vor meiner Nase schwebte, zu leuchten. Das Strahlen nahm zu, bis das bräunlich anmutende Papier so stark glühte, dass ich den Blick abwenden musste. Erst als ein weiteres Fingerschnippen erklang und das Leuchten abflaute, wagte ich es, mich wieder nach vorne zu wenden. Wie erwartet war der Vertrag verschwunden.

»Nun, da die Formalitäten geklärt sind, sollten wir keine Zeit verschwenden und zum geschäftlichen Teil kommen.« Luzifer nickte seinem Sohn zu, der in Baggyjeans, ausgeleiertem T-Shirt, mit einem Skateboard in der Hand und verkehrt herumgedrehtem Cappy neben ihm stand und ähnlich motiviert dreinschaute wie ich während meiner Highschoolzeit an einem gewöhnlichen Montagmorgen.

Ohne eine Miene zu verziehen, trat Belphegor einen Schritt auf uns zu. Reflexartig wich ich zurück und presste mich fester gegen Nox, während er seinen Griff um meine Körpermitte verstärkte. Unterdessen schossen Adam, Reed und Nova vor, als wollten sie mich mit ihrem Leben verteidigen.

»Ich bitte euch!« Luzifer schnalzte mit der Zunge. »Denkt ihr ernsthaft, ich hätte mir die Mühe gemacht und Avery dieses Angebot unterbreitet, wenn ich sie bei der erstbesten Gelegenheit umbringen wollte? Um euch die sechste Prüfung bestehen lassen zu können, muss sie zunächst einmal beginnen. Und dafür ist es vonnöten, dass Avery gezeichnet wird.«

Meine Augenbrauen jagten in die Höhe. Wie bitte? Ich musste gezeichnet werden? War das der gängige Weg, wie die Prüfungstattoos auf meinen Körper gelangten? Bisher hatte ich angenommen, sie würden einfach so erscheinen. Aber wenn ich genauer darüber nachdachte, hatte jeder der bisherigen Höllenfürsten die Gelegenheit gehabt, mich mit seinem Prüfungssymbol zu versehen. Nur Leviathan, der in der Hölle festgesteckt hatte, hatte auf eine alternative Ausweichmöglichkeit zurückgreifen müssen. Emilia.

Ich verdrängte meine Überlegungen mitsamt meinem Unbehagen. Gewiss hatte ich Luzifers Deal nicht angenommen, um gleich wieder zu kneifen.

»Schon gut«, sagte ich an meine Freunde gewandt und reckte selbstbewusst das Kinn. »Tu es!«, forderte ich Belphegor im gleichen Atemzug auf. Luzifer hatte recht. Wenn es sich hierbei um eine Falle handeln sollte, hätte er nicht zuvor einen derartigen Aufwand betreiben müssen.

Belphegor warf seinem Vater einen fragenden Blick zu und trat, nachdem dieser ihm bestätigend zugenickt hatte, einen weiteren Schritt auf mich zu.

Obwohl es mir schwerfiel, ließ ich Belphegor nicht aus den Augen. Ich sah selbst dann nicht weg, als er eine Hand hob und diese an meinen Oberarm legte. Die Haut unter dem Hoodie, den ich mir von Reed geliehen hatte, erwärmte sich augenblicklich und ich sog scharf die Luft ein. Je länger diese Prozedur andauerte, desto mehr fühlte sich dieser Bereich an, als würde ihn jemand mit grobem Schmirgelpapier bearbeiten.

»War’s das?«, knurrte Nox, als Belphegor seine Hand sinken ließ und einen Schritt zurücktrat.

Die Antwort des Höllenfürsten bestand aus einem simplen Schulterzucken, als wäre ihm jede verbale Erwiderung zu anstrengend.

Den Blick stur auf die personifizierte Trägheit gerichtet rieb ich mir über den schmerzhaft pochenden Arm. Es hätte mich nicht gewundert, wenn der Stoff unter der starken Hitzeeinwirkung einen Brandfleck davongetragen hätte.

»Ave«, wisperte Adam und ich musste mich nicht zu ihm herumdrehen, um zu wissen, was er wollte.

Ich schob den Ärmel des Hoodies nach oben. Meine Haut leuchtete krebsrot und fühlte sich heiß und wund an. Dadurch kam das handtellergroße und in der Farbe von Kornblumen strahlende Bild besonders deutlich zur Geltung.

»Was zum Henker …« Mein Kopf ruckte nach vorn und ich starrte Belphegor mit einer Mischung aus Verwirrung und Unmut an. »Willst du mich verarschen? Was ist das denn für ein bescheuertes Tattoo? Wie hätten wir damit auch nur eine Idee erhalten sollen, worum es sich bei deiner Prüfung handelt?«

»Das Tattoo ist ziemlich eindeutig, Kleines.« Nox’ überraschend ehrfürchtige Tonlage ließ mich den Kopf in den Nacken legen. Doch der Blick des gefallenen Engels war auf das blau schimmernde Diamantherz auf meinem Bizeps gerichtet.

»Ach ja?« Es wunderte mich nicht, dass Nox mal wieder genau zu wissen schien, welch bösartige Absichten die Höllenfürsten in Bezug auf ihre Prüfungen verfolgten. Die Dienstzeit in der Unterwelt hatte ihn unbestreitbar geprägt.

»Ja. Dein Herz hätte sich im wahrsten Sinne des Wortes in einen Edelstein verwandelt und dir damit nicht nur all deine Charaktereigenschaften sowie ein weiteres Mal sämtliche Emotionen und Gefühle geraubt, du hättest auch deinen Kampfgeist und den Überlebenswillen eingebüßt.« Nox’ Blick fand meinen. »Dir wäre es im wahrsten Sinne des Wortes scheißegal gewesen, ob du weiterlebst oder nicht.«

Belphegor nickte bestätigend und kaute aufs Neue in geradezu nervtötender Gemächlichkeit vor sich hin.

»Wie hätten wir die Prüfung bestehen können?«, fragte Adam gewohnt sachlich.

»Ihr hättet eine Möglichkeit finden müssen, um ihr Herz wieder zum Schlagen zu bringen.«

Ich keuchte auf und sofort verstärkte sich der Druck auf meiner Brust. Unsicher, welcher Aspekt der Prüfung mich am meisten traf, sah ich zu dem schmalen, dadurch aber nicht weniger beeindruckenden Diamantring an meinem Ringfinger. Nox hatte ihn mir letzte Nacht als Versprechen auf eine gemeinsame Zukunft angesteckt.

Ob die Erinnerung an dieses Versprechen gereicht hätte, um mein Herz wieder zum Schlagen zu bringen?

Ein urplötzlicher stechender Schmerz überkam mich und drängte nicht nur sämtliche Gedanken und Überlegungen in den Hintergrund, sondern auch mich in die Knie. Nur am Rande meiner Wahrnehmung registrierte ich, dass es Adam und Nox ähnlich erging. Auch sie waren zu Boden gegangen, die Hände mit schmerzverzerrten Gesichtern gegen die Brust gepresst.

»Was zur Hölle ist hier los?«, fauchte Nox mit gedämpfter Stimme, während uns der Rest unserer Gruppe mit schreckgeweiteten Augen und sorgenvollen Mienen beobachtete. »Was treibt ihr für ein perverses Spiel mit uns?« Sein Blick schnellte zwischen Luzifer und Belphegor hin und her. Während uns Letzterer mit zur Seite geneigtem Kopf und einem Anflug von Verwirrung musterte, wirkte sein Vater allenfalls überrascht.

»Wisst ihr es denn nicht? Das Band, das euch drei aufgrund von Averys Zustimmung zu den Prüfungen verbunden hat, wurde durch das Bestehen der sechsten Prüfung aufgehoben.«

»Wie bitte?«, entfloh es mir. Im selben Moment gab Nox ein geknurrtes »Und das heißt im Klartext?« von sich.

»Das heißt, dass ihr neben der Rückkehr all eurer himmlischen Fähigkeiten ab sofort auch nicht mehr mit eurem Leben an das von Avery gebunden seid. Fortan genügt es für die Erfüllung des Vertrages, wenn sie überlebt.«

»Was?«, schrillte es erneut aus meinem Mund, als wäre ich eine kaputte Schallplatte. »Unsere Leben sind nicht länger aneinandergebunden?« Der Schmerz in meiner Brust geriet in Vergessenheit und ich zwang mich auf die Beine. Nox und Adam taten es mir gleich. »Wie kann das sein?« Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen und meine kurzzeitig unterdrückte Übelkeit kehrte in einer neuen Intensität zurück. Die einzige Konstante, die es während all der letzten Monate gegeben hatte, galt nicht länger? Das war eine Katastrophe! Unser besiegelter Untergang! Während ich zu Beginn der Prüfungen noch alles dafür getan hätte, um eine solche Nachricht zu erhalten – insbesondere Adams und Nox’ zurückerhaltene Engelskräfte waren ein nicht zu unterschätzender Vorteil –, entsprach diese Offenbarung inzwischen der schlimmsten Hiobsbotschaft, die ich mir vorstellen konnte. Adam war durch die Rückkehr seiner Sanprada neuer Lebenswille verliehen worden. Aber Nox? Der gefallene Engel war bescheuert genug, um ernsthaft zu denken, dass das Überleben seiner Freunde und seiner Familie wichtiger war als sein eigenes.

»War euch dieser Punkt nicht bekannt?« Luzifer verzog den Mund. »Das wundert mich nicht. Vater hat immer gern ein Geheimnis um das Kleingedruckte in den Prüfungsstatuten gemacht. Er behauptet zwar, dies zum Schutz seiner Kinder zu tun, aber insgeheim ist diese Taktik seinem geradezu kranken Kontrollwahn geschuldet.« Für den Bruchteil einer Sekunde verschleierte sich der Blick des Höllenkönigs, als verlöre er sich gedanklich in irgendwelchen Erinnerungen. Doch einen Wimpernschlag später durchbohrte mich wieder sein stählerner Blick. »Im Grunde bedeutet es aber keinen Unterschied. Ihr könntet ohnehin nichts daran ändern.«

Ich warf dem Teufel einen giftigen Blick zu, als Nox im selben Moment seine Arme wieder um meinen Bauch schlang und mich zurück an seinen Körper zog. Die Lippen dicht an meinem Ohr wisperte er: »Keine Sorge, Kleines. Wir haben nicht so hart dafür gekämpft, deine Seele zu retten, nur um am Ende zu versagen. Wir werden siegen. Koste es, was es wolle. Das verspreche ich dir.«

Ein Schauder perlte meinen Rücken hinab und meine Kehle schwoll zu. Egal, ob unbewusst oder beabsichtigt: Nox hatte soeben meinen Gedanken bestätigt. Würden wir im Zuge der letzten Prüfung vor die Wahl gestellt, wessen Leben es zu retten galt, würde Nox sein eigenes nicht an erste Stelle stellen.

»Nun, da das geklärt ist …« Luzifer nickte seinem Sohn zu und raubte mir damit die Gelegenheit, auf Nox’ Worte einzugehen.

Belphegor erwiderte die Geste und löste sich ohne weitere Erklärungen in Luft auf.

Vor Erleichterung stieß ich den angehaltenen Atem geräuschvoll aus. Dabei gab es für eine derartige Empfindung keinen Grund. Wir waren noch lange nicht in Sicherheit.

»Kommen wir nun zu euren Fragen.« Luzifer schenkte uns seine Aufmerksamkeit, seine Mimik ein Musterbeispiel blanker Ausdruckslosigkeit.

»Wer ist Gabriel?«, kam es mir über die Lippen, kaum dass ich meine Gedanken zurück auf das Hier und Jetzt gelenkt hatte. Diese Frage brannte mir seit Langem auf dem Herzen und ich wollte vermeiden, dass mir jemand mit einer anderen Überlegung zuvorkam.

Ein Zucken ging durch Luzifers Miene und mein Verdacht, dass er nicht gewollt hatte, dass sein eigener Sohn bei der Beantwortung dieser Frage zugegen war, erhärtete sich.

»Es ist Lilith, meine erste Frau«, gestand Luzifer mit einem kaum wahrnehmbaren Seufzen und ein kollektives Keuchen erfüllte die Nachtluft. Ich kannte diverse Sagen und Legenden über die Figur der Lilith und sie ließen sich allesamt zu zwei Punkten zusammenfassen: Sie war die Mutter aller Dämonen und sie hatte einst an Luzifers Seite über die Hölle regiert. Das Wort »mächtig« wurde ihr also nicht ansatzweise gerecht.

»Wie ist das möglich?« Adams Stimme klang dumpf vor Furcht. »Heißt es nicht, Ihr selbst hättet sie vor Äonen vernichtet?«

»So heißt es, ja«, bestätigte Luzifer. »Aber diese Lüge wurde von mir höchstpersönlich in Umlauf gebracht.«

»Wieso?«, knurrte Nox. Im selben Maß, wie mein bester Freund angesichts dieser Neuigkeit Sorge verspürte, schien sein Bruder vor Zorn zu brennen.

»Um meinen Vater zu ärgern.« Luzifer zuckte nonchalant mit den Schultern. »Nachdem ich aus dem Himmel verbannt worden war, dachte mein alter Herr, die Unterwelt könnte auf Dauer ein wenig einsam werden. Also schickte er Lilith zu mir, nachdem diese Adam im Garten Eden mit ihrem Temperament überfordert hatte. Jedoch …« Seine Laune kippte und ein zornverzerrter Ausdruck zeichnete sich auf seinen Zügen ab. Seine Pupillen loderten auf, und als er den Mund öffnete, um weiterzusprechen, hatten sich seine ebenmäßigen weißen Zähne in rasiermesserscharfe Degen verwandelt. »Jedoch bin ich im Gegensatz zu meinen nichtsnutzigen Brüdern und Schwestern kein Schoßengel, der sich nach Vaters Liebe verzehrt und bereit ist, als Babysitter für eins seiner fehlgeschlagenen Experimente herzuhalten.«

»Ist das nicht ziemlich heuchlerisch?« Hope reckte mit tränenfeuchten Augen trotzig das Kinn. Seit sie erfahren hatte, dass ihr Deal mit Gabriel – pardon, Lilith – keinen Bestand mehr hatte und sie sich erneut in der Situation sah, dass sie im Gegensatz zu ihrem Sanprado unsterblich war, hatte sie kaum gesprochen. Ich bildete mir nicht ein, mir auch nur vage vorstellen zu können, welchen emotionalen Kampf sie gerade in ihrem Inneren ausfechten musste. »Ihr behauptet, dass Ihr nicht den Babysitter spielen wollt, und gebt deshalb das Gerücht in Umlauf, Lilith getötet zu haben. Doch in Wahrheit habt Ihr sie am Leben gelassen? Wozu? Welche Verwendung hattet Ihr für sie, nachdem sie Euch Eure Söhne geboren hat?«

Luzifers Blick glitt zu Hope und einen Moment lang glaubte ich, Adams Frau hätte mit ihren Worten eine Grenze überschritten. Doch der Höllenfürst lächelte nur kühl und einen Wimpernschlag später milderten sich seine Gesichtszüge wieder.

»Dass du mir diese Frage stellst, Nichte, bestätigt mich in der Annahme, dass meine Geschwister noch immer die Lügen über mich verbreiten, die Vater ihnen zu verkünden aufgetragen hat.« Er zog eine Fratze, die halb amüsiert, halb erschöpft wirkte. »Zu eurem Glück bin ich es inzwischen gewohnt, die Bilder ins rechte Licht zu rücken, die meine Familie nicht müde wird, über mich in Umlauf zu bringen.« Er zog die Hände aus den Taschen und zupfte an seinen Hemdsärmeln, wodurch die goldenen Manschettenknöpfe im seichten Schein des Übergangs von Nacht zu Tag aufblitzten. »Ich behaupte nicht, dass ich frei bin von Fehlern oder nie etwas getan habe, was ich hinterher bereut habe. Dennoch ist es allein der Propaganda meines Vaters und seinen blind-loyalen Anhängern geschuldet, dass die Menschheit all das Böse in der Welt, ihre Sünden und Fehler mir zuschreibt.« Die Härte, die zuvor in Luzifers Augen gelegen hatte, war einem sanften, fast schon warmen Ausdruck gewichen. »Denn entgegen der gängigen Meinung verführe ich nicht zum Bösen, ich handle lediglich damit. Für mich sind die niederen Gelüste und Sehnsüchte der Menschen, die Teil des freien Willens sind, auf den Vater so beharrt, ein Gut wie jedes andere auch. Jemand bestellt die Entdeckung eines bisher ungekannten Kontinents? Ich liefere ihm im Gegenzug für seine Seele Amerika. So simpel ist es. Aber kein falsches Mitleid, bitte. Ich habe mich mit meinem Schicksal arrangiert. Schließlich weiß ich, dass die Menschen einen Sündenbock brauchen, um sich selbst noch im Spiegel ansehen zu können, nachdem sie zur Erfüllung ihrer dunkelsten Träume ihren Wesenskern zu einer Ewigkeit voller Qualen verdammt haben – was im Übrigen Vaters Ideologie entspricht. Er ist derjenige, der die Hölle erschaffen hat. Ich wurde nur zu dessen Regiment abkommandiert.«

Für die Dauer eines Wimpernschlags glaubte ich so etwas wie Schmerz und Kummer in Luzifers Augen aufblitzen zu sehen. Doch bevor ich näher über diesen Eindruck nachdenken konnte, sprach der Teufel bereits weiter und nichts erinnerte mehr an diese kurzfristige Einbildung. »Leider bin auch ich ein Kind Gottes und somit nicht vor den Spielchen und Intrigen meines Vaters gefeit. Nachdem er also Lilith aus dem Garten geworfen und sie zu mir in die Hölle verbannt hatte, konnte ich mich nicht gegen den Anflug von Mitgefühl zur Wehr setzen, der in mir aufkam. Ebenso wie ich war auch sie aus ihrer Heimat vertrieben worden, weil sie den unerreichbaren Ansprüchen meines Vaters nicht gerecht werden konnte.«

»Was ist dann passiert?«, fragte ich aufrichtig neugierig.

»Ich ernannte sie zu meiner Königin. Zudem verlieh ich ihr genügend Macht, damit sie gemeinsam mit mir über die Unterwelt regieren und meine Söhne zur Welt bringen konnte. Bedauerlicherweise stieg ihr nach einer gewissen Zeit ihr Einfluss zu Kopf und sie begann nach meinem Thron zu gieren. Anfangs amüsierten mich ihre Bemühungen, doch als sie dazu überging, meine Söhne gegen mich aufzubringen, verlor ich die Geduld mit ihr und sperrte sie in das entfernteste und zugleich am besten geschützte Verlies der Unterwelt.«

»Witzig«, grollte Nox vor Sarkasmus triefend und seine Brust vibrierte, während er sprach. »Dabei heißt es doch immer, der tiefste Höllenkreis sei unüberwindbar. Und das Verdammte-Seelen-Verlies liegt sogar noch eine Etage tiefer. Aber scheinbar sind diese Gerüchte ebenfalls nur Teil einer perfiden Lügenkampagne.«

»Du solltest nicht vergessen«, konterte Luzifer mit schneidender Stimme und machte dadurch deutlich, auf welch dünnem Eis sich das Gespräch inzwischen bewegte, »dass Lilith die erste Frau der Menschheit war. Vater verlieh ihr – ebenso wie Adam zu Beginn – gewisse Fähigkeiten, um sie uns Himmelswesen ebenbürtig zu machen. Nachdem ihm jedoch sein Fehler bewusst geworden war und er Lilith ihre neue Wohnadresse mitgeteilt hatte, revidierte er seinen Fauxpas und lernte, diesen bei seinen späteren Experimenten nicht zu wiederholen. Doch aus welchen Gründen auch immer scheint Vater bei Lilith nicht ordentlich genug gearbeitet zu haben. Über die Jahrtausende hinweg konnte sie ihre Kräfte mit der von mir erhaltenen Macht bündeln und eine kaum zu bändigende Stärke entwickeln. Das ist auch der Grund, weshalb es so bedeutsam ist, sie ein für alle Mal zu vernichten.«

Luzifers Worte hingen schwer in der angespannten Stille und ich war mir sicher, dass ich mich nicht als Einzige fragte, welches Ausmaß Liliths Kräfte wohl im Detail annahmen.

»Okay«, verlieh ich der Luft in meinen Lungen verbalen Ausdruck und fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare. Dabei löste ich einige der Rosenklammern, die mir Hope in die Strähnen frisiert hatte. »Ich verstehe zwar, weshalb Ihr mit Lilith diese kleine Fehde führt und warum Eure Ex-Frau derart angepisst ist. Aber was hat das alles mit mir zu tun? Weshalb ist es ausgerechnet meine Seele, die all das ins Rollen gebracht hat? Was ist an mir so besonders?«

Luzifers Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, das ich zum ersten Mal als freundlich bezeichnen würde.

»Die Antwort auf diese Frage ist ebenso einfach zu nennen, wie es kompliziert wird, sie dir näherzubringen. Doch im Endeffekt geht es darum, dass du meine Tochter bist und ich dich, ebenso wie meine Söhne, in meiner Obhut wissen will.«

ZWEI

»Was?« Die Silbe schallte, von einem vielstimmigen Chor vorgetragen, durch die Nacht und breitete sich, beflügelt vom Wind, in alle Himmelsrichtungen aus. Es wunderte mich nicht im Geringsten, dass Luzifers Worte nicht nur mich wie eine Abrissbirne trafen, sondern auch meine Freunde wie versteinert dastehen ließen. Mit geweiteten Augen und offen stehenden Mündern starrten wir alle den König der Unterwelt an.

»Du bist meine Tochter«, wiederholte Luzifer, als glaubte er ernsthaft, wir hätten ihn akustisch nicht verstanden.

»Nein!«, erwiderte ich. Vehement den Kopf schüttelnd klammerte ich mich an Nox’ Arme. »Das ist unmöglich! Schlichtweg inakzeptabel!« Mein Kopf ruckte so manisch von einer Seite auf die andere, dass meine Nackenwirbel protestierend knackten. Doch ich beachtete sie nicht. Ebenso wenig wie den Kloß in meiner Kehle, der in diesem Moment auf seine doppelte Größe anschwoll und mir nicht nur kochende Tränen in die Augen trieb, sondern auch verhinderte, dass ich mehr als nur dürftige Atemzüge zustande brachte. Allein Nox’ Griff um meine Taille, der sich deutlich verstärkt hatte, als versuchte der Engel mich zusammenzuhalten, während alles in mir in Abermillionen winzige Teile zu zerspringen drohte, registrierte ich mit geradezu schmerzhafter Deutlichkeit.

Ich sollte die Tochter des Teufels sein? Die verfluchte Prinzessin der Hölle? Und Luzifer hatte James meine Seele abgeknöpft, weil er mich bei sich in der Unterwelt haben wollte?

Was glaubte er, wer wir waren? Die dämonische Version der Brady Family?

Zwar hatte ich seit Kenntnisnahme des Seelenvertrages und im Laufe der Prüfungen immer wieder zu hören bekommen, dass ich etwas Besonderes sei, und für eine gewisse Zeit hatte sogar im Raum gestanden, dass ich ein Nephilim, ein Halbengel, war. Dennoch toppte diese Offenbarung alles bisher Dagewesene.

»Mir ist bewusst, dass diese Information in Anbetracht der vorangegangenen Monate ein wenig überraschend erscheinen mag. Dennoch –«, begann Luzifer, woraufhin ich ihm ins Wort fiel.

»Wieso sollte ich dir glauben?«, wechselte ich fließend zum Du und scherte mich einen feuchten Dreck darum, ob ich irgendeine Benimmetikette, eine Grenze oder ein magisches Gesetz brach. Abgesehen davon, dass der Herrscher der Unterwelt deutlich gemacht hatte, dass er unserer Hilfe bedurfte, um den von ihm begangenen Fehler auszubügeln, hatte er jeglichen Anspruch auf Respekt verloren, als er sich als mein Daddy geoutet hatte. »Wieso sollte ich dir glauben, dass du mein Erzeuger bist? In Bezug auf dieses Thema wurde ich mein gesamtes Leben lang nur belogen. Warum sollte ich auch nur in Erwägung ziehen, dass es dieses Mal anders ist?« Tränen hatten sich aus meinen Augenwinkeln gelöst und flossen wie kleine Lavaströme über meine eiskalte Gesichtshaut. Ich fühlte mich, als wäre ich ein zum Leben erwachter Eiswürfel.

Luzifer zog die Augenbrauen zusammen und eine steile Falte bildete sich über seinem Nasenrücken. Er war es sicherlich nicht gewohnt, dass man auf diese Weise mit ihm sprach. Doch zu meiner Verwunderung – und im Gegensatz zu den anderen mächtigen magischen Wesen, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tun gehabt hatten – strebte er nicht danach, mich für mein loses Mundwerk zu mahnen oder seine unbestreitbare Überlegenheit zu demonstrieren. Stattdessen musterte er mich mit leicht zur Seite geneigtem Kopf.

»Im Gegensatz zu Lilith oder meinen Söhnen hindert mich das himmlische Blut in meinen Adern daran, Unwahrheiten von mir zu geben. Zudem sehe ich keine Notwendigkeit, dich anzulügen. Zum einen hast du durch deine Zustimmung zu unserem Deal bereits eingewilligt, für mich zu kämpfen, zum anderen bist du das Ebenbild deiner Mutter – und ich würde niemals ihr Andenken beschmutzen, indem ich unser gemeinsames Kind mit List und Tücke täusche, nur um mein Ziel zu erreichen.«

»Meine Mutter?« Meine Hirnwindungen fanden nur langsam zurück an die richtigen Stellen. Ich wusste nicht, weshalb ich nicht schon früher daran gedacht hatte, nahm aber an, dass sich mein Verstand bislang geweigert hatte, das Offensichtliche anzuerkennen.

Mom hatte eine Affäre mit dem Teufel. Sie hat mit dem König der Hölle geschlafen!

Die Kälte in meinem Inneren intensivierte sich exponentiell und ich bildete mir sogar ein, eine dünne Eisschicht auf meiner Haut zu spüren, die sich unaufhörlich ausbreitete und mich zum Zittern brachte.

»Ich kenne die Geschichte, die dir Lilith in ihrer Hülle als Gabriel bezüglich deiner Mutter erzählt hat«, sprach Luzifer weiter. »Und zu Teilen entspricht sie der Wahrheit – weshalb sie auch so überzeugend war. Dennoch wurden überaus wichtige Aspekte falsch dargestellt oder unerwähnt gelassen.«

»Wie zum Beispiel der Umstand, dass sich meine Mom den wohl miesesten aller Erzengel ausgesucht hat?«, erwiderte ich aufmüpfig. Den Reaktionen meiner Freunde zufolge – Nox, Reed und Nova sogen scharf die Luft ein, während mir Adam ein warnendes »Ave!« zuzischte – war ich auf dem besten Weg, einen Schritt zu weit zu gehen. Doch das war mir egal. Seit Monaten lebte ich in ständiger Furcht und Sorge, wurde wie ein Spielball von einem mächtigen Wesen zum nächsten geschubst und hatte nicht nur Freunde und Familie verloren, sondern auch meine Hoffnung auf eine halbwegs unbeschwerte Zukunft.

Ich hatte es endgültig satt, ständig den Kopf einzuziehen und wie ein Angsthase jeden Tag aufs Neue um mein Leben bangen zu müssen.

»Deine Mutter – Joleen, wie ihr sie nanntet – wusste nicht, wer ich war, als ich vor neunzehn Jahren in ihr Leben trat. In ihren Augen war ich ein gewöhnlicher Geschäftsmann, der ihr in schweren Zeiten ein wenig Licht und Hoffnung schenkte.«

»Heißt das, du hast … ihr ihre Seele geraubt?« Vor Entsetzen kochte mein Magensaft hoch und verätzte alles, was ihm dabei in die Quere kam. Mom hatte mich früher immer als ihr kleines Wunder bezeichnet, da sie laut medizinischer Meinung nicht schwanger hätte werden können. Doch irgendwann war der Test positiv gewesen – wie von Zauberhand.

»Wenn es derart einfach wäre, an die Seele deiner Mutter zu gelangen, würde sie mir bereits seit Äonen gehören. Leider wird mir die einzige Wesensessenz, nach der ich jemals gestrebt habe, seit jeher verwehrt.« Sein Blick wirkte merkwürdig melancholisch. Doch das änderte nichts an meiner Anspannung, die sich zunehmend verstärkte. Natürlich hätte mir klar sein müssen, dass ein Gespräch mit dem Teufel nicht unbedingt ein Sonntagsspaziergang werden würde. Doch je länger wir hier standen und uns unterhielten, desto mehr schwirrte mir der Kopf. Ich brauchte endlich klare Antworten – insbesondere da ich Hopes These bezüglich der Seele meiner Mom nicht vergessen konnte.

»Was weißt du über meine Mutter?«, presste ich mit bleischwerer Zunge hervor und grub meine Nägel in Nox’ Arme, um wenigstens einen Teil meiner Anspannung loszuwerden.

»Deine Mutter – oder besser gesagt, der Kern ihres Seins – entspricht nicht dem, was ihr unter einem Menschen versteht«, antwortete Luzifer kryptisch.

»Und das heißt genau? Ist sie etwa auch ein Engel?«

Ein zartes, fast schon sanftes Lächeln zupfte an Luzifers Lippen und der Ausdruck in seinen Augen wurde weich. »Nein, sie ist kein Seraph, Avery. Dennoch ist sie nicht minder himmlischen Ursprungs.« Die Hände wieder in den Taschen seiner Hose vergraben trat Luzifer einen Schritt auf uns zu. Nox ebenso wie der Rest unserer Gruppe versteifte sich. Nur mein Verstand schien die Gefahr, die vom Herrscher der Unterwelt ausging, nicht länger als solche wahrzunehmen. Viel eher fühlte ich so etwas wie … Verbundenheit? »Die Seele, die ihr als Joleen Harper kennengelernt habt, ist ebenso alt wie die Welt selbst. Und obwohl ihr erstes Leben auf der Erde schon so weit zurückliegt, dass sich nur die wenigsten Himmelsdiener noch an diese Zeit erinnern, kennt jeder ihren Namen.«

»Meint er damit etwa …?« Hopes Wispern war trotz der herrschenden Stille kaum zu hören, weshalb ich mich zu ihr herumdrehte. Ihre geweiteten Augen wirkten in dem unnatürlich blassen Gesicht wie zwei riesige Kugeln.

»Nein, das ist unmöglich!«, lautete Adams gehauchte Antwort, ehe er ein zweifelndes »Oder?« nachschob und zu Nox hinübersah.

Mein Blick folgte Adams. Auch Nox erweckte den Anschein, als hätte er soeben erfahren, dass es engelfressende Gespenster gab – und dass eins davon genau vor ihm stand.

Da ich es inzwischen gewohnt war, als Einzige aus unserer Gruppe nicht zu begreifen, was für alle anderen offensichtlich war, wandte ich mich Luzifer zu und hob eine Augenbraue.

»Wer ist meine Mom?«, wiederholte ich, dieses Mal unmissverständlich, dass ich allmählich die Geduld verlor.

Luzifer hob den Blick, und als wir uns erneut in die Augen sahen, war da wieder dieser sanfte, ja fast schon warme Ausdruck in seinen Iriden.

»In ihrem ersten Leben war sie Eva, die zweite Frau Adams und meine große Liebe.«

Ich starrte Luzifer an, unwissend, ob ich in schallendes Gelächter ausbrechen oder endlich dem Drängen in meinem Inneren nachkommen und mich auf der Stelle übergeben sollte.

»Eva?«, vernahm ich ein heiseres Krächzen, das vage Ähnlichkeit mit meiner Stimme besaß. Offenbar hatte sich mein Unterbewusstsein dazu entschieden, dem Gefühlschaos in meinem Inneren verbalen Ausdruck zu verleihen. »Die Eva? Die das Paradies für alle Menschen unzugänglich gemacht hat? Die der Versuchung der verbotenen Frucht nicht widerstehen konnte und die aus der Rippe eines Mannes erschaffen wurde? Die Eva, die Kain und Abel geboren hat?«, würgte ich hervor und schwarze Punkte begannen meine Sicht zu trüben. Wenn es stimmte, was Luzifer soeben von sich gegeben hatte – und davon war leider Gottes auszugehen –, war mein Leben sehr viel verkorkster als bisher angenommen.

Der Teufel ist mein Vater, Eva meine Mutter und Kain, der erste Mörder der Weltgeschichte, mein Halbbruder.

Na, wenn das mal keine illustre Familienkonstellation war – ganz zu schweigen davon, dass Gott …

Nein, ich weigerte mich, diese Überlegung fortzuführen.

»Eva ist nicht deine Mutter«, antwortete Luzifer, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Sie und Joleen mögen zwar dieselbe Seele besessen haben und dadurch in den Grundzügen ihres Charakters ähnlich gewesen sein, dennoch sind sie zwei völlig unterschiedliche Frauen. Jede von ihnen hat Dinge erlebt, Erfahrungen gesammelt und Fehler gemacht, die sie zu dem geformt haben, wer sie waren.« Luzifer schürzte die Lippen, ehe er konzentriert den Kopf senkte. »Dennoch sollst du die Wahrheit über Eva erfahren. Denn die Geschichten, die um sie kursieren, sind ebenso zu hinterfragen wie die Hetzkampagne gegen mich. Entgegen der gängigen Meinung hat Eva nämlich weder das Paradies noch ihren Mann verraten, sondern sich verliebt – und zwar in mich.« Er hob den Kopf und ich entdeckte ein paar Falten auf seiner Stirn. »Zu der Zeit, als der Garten noch für alle von Vaters Geschöpfen zugänglich war, lebte ich gemeinsam mit meinen Brüdern und Schwestern in seliger Harmonie. Doch Vater, der niemals mit etwas zufrieden sein kann, entschied irgendwann, dass Adam und Lilith als Einzige dort ihr Heim haben sollten, und zwang uns zurück in den Himmel. Diese Degradierung ließ in mir einen derartigen Zorn aufkommen, dass das Gleichgewicht des Himmels aus den Fugen geriet und ich hinab in die Hölle verbannt wurde. Als auch Lilith kurz darauf rausgeworfen wurde, wollte ich Vater mit seinem krankhaften Perfektionismus konfrontieren. Auf dem Weg zu ihm traf ich im Garten auf Eva.« Das zarte Lächeln kehrte auf Luzifers Lippen zurück und die Spannung in meinem Inneren ließ ein wenig nach. Ganz gleich, was ich vom König der Unterwelt halten mochte, es stand außer Frage, dass ihm Eva viel bedeutet hatte. »Sie war so darum bemüht gewesen, Adams Wohlwollen für sich zu gewinnen, dass ich nicht umhinkam, sie im selben Maß für ihren Ehrgeiz zu bewundern, wie ich sie dafür verabscheute, dass ihr Ansporn der Furcht geschuldet war, demselben Schicksal zu erliegen wie Lilith.« Ein weiteres Mal kippte die Mimik des Teufels und die vorherige Sanftheit wich einer Maske des Zorns. »Ich verwarf mein Vorhaben, Vater zur Rede zu stellen, und entschloss mich stattdessen, auf Eva einzuwirken. Ich erklärte ihr, dass das vermeintliche Paradies in Wahrheit ein Gefängnis war, in dem sie niemals aufrichtig glücklich sein würde, und bot ihr im selben Atemzug an, mit mir zu kommen. Leider war aufgrund Vaters unentwegter Parade an Lügen ihre Angst vor mir zu groß, als dass sie mir Gehör geschenkt hätte. Doch ich war nicht gewillt aufzugeben. Aus diesem Grund wiederholte ich meine Besuche im Garten und brachte Eva stets ein anderes Präsent mit.« Als er kurz innehielt, folgte ein tiefer Atemzug und Luzifers Gesichtszüge entspannten sich wieder. »Es dauerte eine geraume Zeit, um das Bild, das Vater von mir in Evas Kopf gepflanzt hatte, zu revidieren, doch schließlich gelang es mir, und Eva begann mir zu vertrauen. Wir verbrachten viel Zeit miteinander und entwickelten entgegen jeder Vernunft Gefühle für den jeweils anderen.«

Gebannt lauschte ich der Erzählung und wagte es kaum zu atmen. Entsprach das hier tatsächlich der Wahrheit? War der Teufel insgeheim nur ein in Verruf geratener Engel, der mit einer komplizierten Familiengeschichte gestraft war?

»Wie ihr euch vermutlich vorstellen könnt, war Adam – und dadurch auch Vater – von dieser Entwicklung alles andere als begeistert. Während man mich zurück auf die höllische Strafbank schickte, wurde Eva aus dem Garten verbannt. Adam, dessen Stolz die erneute Demütigung nicht verkraftet hatte, folgte seiner Frau, um sie zurückzuholen – im Zweifel auch gegen ihren Willen.« Ein harter Zug bildete sich um Luzifers Lippen und ich kam nicht umhin, seine Empfindung zu teilen. »Vater, der zwar immer vom freien Willen predigt, diesen aber nur duldet, wenn er nach seinen eigenen Vorstellungen ausgelebt wird, erzürnte Adams Vorhaben derart, dass er uns alle seinen unbändigen Zorn spüren ließ. Adam wurde dazu verdammt, nie wieder eine andere Frau als Eva zu lieben, und das trotz der steten Gewissheit, dass sie seine Gefühle niemals erwidern würde. Mir wurde untersagt, jemals wieder auf die Erde zurückzukehren, da mein Bruder Michael mich ansonsten vernichten würde.« Ein stolzes Lächeln umspielte Luzifers Mundwinkel, schlug jedoch schnell in Resignation um. »Leider wusste Vater nur allzu genau, dass mich die Aussicht auf eine Rauferei mit meinem älteren Bruder niemals davon abhalten würde, die Frau aufzusuchen, die ich liebte. Aus diesem Grund nahm er Eva nicht nur die Erinnerungen an mich und unsere Liebe, sondern verdammte ihre Seele zudem dazu, für alle Ewigkeit auf Erden zu wandeln, sodass es ihr niemals gelingen wird, im Himmelreich oder an meiner Seite Frieden zu finden.«

»Das ist … grausam!«, echote Hope und sprach mir damit tief aus dem Herzen.

Luzifer nickte. »Das ist es – insbesondere in Anbetracht des Umstandes, dass es mir nur etwa alle fünfhundert Jahre vergönnt ist, Vaters Bann so weit zu schwächen, dass ich in Erfahrung bringen kann, in wessen menschlicher Gestalt Evas Seele zum jeweiligen Zeitpunkt auf Erden wandelt. Auf diese Weise ist es mir zumindest möglich, jedes halbe Jahrtausend für ein paar Stunden ihre Gesellschaft zu genießen.«

Meine Beklemmung schwoll stetig an, als wäre sie ein rasch wachsender Tumor. Wie sollte ich all diese Neuigkeiten mit dem in Einklang bringen, was ich bisher zu wissen geglaubt hatte?

»Ich kann euch euer Entsetzen zwar nicht verdenken, dennoch erfüllt es mich mit einer gewissen Genugtuung, dass ihr jetzt die Wahrheit kennt – vor allem, da euch nun bewusst sein sollte, wie besonders Avery tatsächlich ist.« Luzifer musterte mich intensiv, ehe er sein Wort wieder an alle richtete. »Nichtsdestotrotz ist es unübersehbar, dass die Flut an Informationen euch ziemlich mitgenommen hat. Deshalb empfehle ich, die Unterhaltung an dieser Stelle zu beenden und den Rest eurer Fragen zu einem späteren Zeitpunkt zu beantworten.« Er trat einen Schritt zurück und wandte sich zum Gehen, als ihm noch ein Gedanke kam und er sich wieder zu uns umdrehte. »Eins noch: Ich kann euch zwar nicht sagen, wie es jetzt weitergehen wird, da ich nicht im Besitz von Informationen bezüglich Mammons Prüfung bin. Da jedoch Lilith mitwirkt, tätet ihr gut daran, mit allem – und das meine ich wortwörtlich – zu rechnen. Schließlich pflegen die Menschen nicht grundlos das Sprichwort, dass die Hölle keine Wut kennt wie die einer verschmähten Frau. Aber gleichwohl es mir nicht gestattet ist, euch aktiv bei der Bewältigung der Prüfung zu unterstützen, bedeutet das nicht, dass ihr völlig auf euch allein gestellt seid. Aus diesem Grund möchte ich euch etwas mitgeben – seht es als Wertschätzung eurer bisherigen Leistungen an.« Luzifer schnippte ein weiteres Mal mit den Fingern, woraufhin Adam, Nox und ich zu ächzen begannen. Ich fühlte, wie in meiner Brust eine kaum zu ertragende Hitze aufbrandete und sich meine Innereien qualvoll zusammenzogen. Ähnlich musste es den beiden Engeln ergehen.

Glücklicherweise endete die unvorhergesehene Tortur binnen weniger Sekunden, sodass wir aufatmen konnten.

»Das nächste Mal wäre eine kleine Vorwarnung ganz nett«, zischte ich mit eisigem Blick.

»Ich hoffe, dass es zu keinem nächsten Mal kommen wird, Avery. Sollte der Schutzzauber, mit dem ich euch soeben versehen habe, nicht gegen Liliths Illusionsfähigkeiten ankommen, sind unsere Probleme von weitaus höherem Maß, als augenblicklich anzunehmen ist.« Mit einem letzten kaum merklichen Nicken verabschiedete sich der Herrscher der Unterwelt und verschwand ebenso schnell und spurlos, wie er zuvor auf der Brücke erschienen war.

DREI

»Komm schon, Kleines!« Nox stieg aus dem Maserati und ließ die Tür der Fahrerseite mit einem dumpfen Geräusch hinter sich zufallen. Ich folgte seinem Beispiel auf der Beifahrerseite – wenn meine Bewegungen auch weitaus weniger galant wirkten. »Wir wissen beide, dass es dir nicht gut geht!« Sein Blick bohrte sich in meine Schläfe, als versuchte er die Wahrheit über meine seelische Gesundheit unmittelbar aus meinem Kopf zu saugen. Nachdem ich ihn bereits auf der Fahrt von der Golden Gate Bridge hierher erfolglos mit einem halbherzig erwiderten »Mir geht’s gut« zu vertrösten versucht hatte, konnte ich ihm seine Bemühungen nicht verübeln.

Anstatt auf Nox’ Worte einzugehen, sog ich mit einem tiefen Atemzug jedes Detail meiner Umgebung in mich auf. Zu meiner Rechten, beschienen von den ersten zarten Sonnenstrahlen des Tages, erhob sich das Haus meiner Kindheit. In der Einfahrt vor mir parkte Moms alter steingrauer Volvo und die dämmerige Morgenluft war mit den Nuancen von Winterkälte, Tannenzweigen und dem schwachen Echo selbst gebackener Plätzchen angereichert.

»Kleines«, wirkte Nox erneut auf mich ein und riss mich damit aus dem Gedanken, dass wir uns bereits mitten in der Adventszeit befanden und mir ein erstes Weihnachtsfest ohne meine Mom bevorstand. »Rede mit mir!«

Ich wandte mich herum und erwiderte Nox’ Blick. Die Sorge, die ihm offenkundig ins Gesicht geschrieben stand, traf mich härter, als ich es beschreiben konnte. Denn, bei Gott, ich hätte alles dafür gegeben, um den Mann, den ich liebte, zu beruhigen. Doch hegte ich berechtigte Zweifel, dass ich dafür die passenden Worte finden würde.

»Ich geh den Schlüssel holen«, sagte ich stattdessen und begab mich, begleitet von einem leisen Knurren aus Richtung des einstigen Höllendieners, auf den Weg zu dem hüfthohen schmiedeeisernen Tor, das sich zwischen der Hausfassade und der Garage befand und den Zugang zum Garten abgrenzte. Die dahinter gelegene Terrasse wurde durch eine bodenlange Fensterfront vom Wohnzimmer getrennt und beherbergte unter einem losen Stein den Ersatzschlüssel für das Haus. Da Adam, Hope, Reed und Nova mit meinem Wagen unterwegs waren – glücklicherweise hatten sowohl Nox’ Schätzchen als auch mein Auto in der Nähe des Vampirrefugiums geparkt, sodass wir nach unserem überstürzten Aufbruch gemeinsam mit all unseren Habseligkeiten verschwinden konnten –, hatte ich keinen Zugriff auf meinen Schlüsselbund und musste auf diese Möglichkeit ausweichen.

Nachdem ich fündig geworden war, ging ich zurück zur Haustür, wo Nox bereits auf mich wartete. Die Schulter gegen die Hauswand gelehnt beobachtete er mit vor der Brust verschränkten Armen und einem raubtierhaften Blick jeden meiner Schritte. Die omnipräsente Aura, die er dabei ausstrahlte, brachte meine Haut zum Prickeln. Ich hatte zwar schon immer sehr intensiv auf Nox reagiert, doch dieses Mal fühlte es sich anders an. Fast so, als würden sich meine Antennen jetzt, da Nox’ und mein Leben nicht länger miteinander verbunden waren, stärker auf ihn ausrichten.

Ohne Nox’ Blick zu begegnen, positionierte ich mich vor der Eingangstür. Meine Finger zitterten, als ich den Schlüssel ins Türschloss schob.

»Avery«, knurrte Nox ein weiteres Mal ungeduldig, jedoch mit einer unüberhörbaren Spur Verzweiflung.

Unweigerlich musste ich lächeln. Die gesamte Situation war so vollkommen surreal, dass ich gar nicht anders konnte. Um mir meine völlig unpassende Reaktion nicht anmerken zu lassen, fokussierte ich mich wieder auf mein eigentliches Vorhaben.

Das leise Klicken, als die Verriegelung des Schlosses zurücksprang und sich die Tür einen winzigen Spalt nach innen öffnete, schallte wie ein Gewehrschuss durch die sonst geräuschlose Nacht und ich konnte mir ein reflexartiges Zusammenzucken nicht verkneifen.

»Avery …«, wiederholte Nox, dieses Mal unüberhörbar gequält.

Als ich aufsah, begegnete ich seinem Blick aus Resignation, Kummer und Liebe, der meine mühsam aufrechterhaltene Selbstbeherrschung gefährlich ins Wanken brachte. Doch das war nicht der Grund, weshalb ich den Engel mit geweiteten Augen und aufgeklapptem Mund anstarrte.

»Wie zur Hölle …?«

Im Rahmen der geöffneten Haustür stand Nox mir unmittelbar gegenüber. Meine Hand, in der ich gerade noch den Schlüssel gehalten hatte, schwebte unbewegt in der Luft.

»Wie hast du das gemacht?« Meine Zunge überschlug sich bei dem Versuch, die Silben über meine Lippen zu befördern. Ich kannte Nox und seine Fähigkeiten. Mir war bewusst, dass er sich erschreckend schnell und völlig geräuschlos bewegen konnte. Doch niemals hätte er binnen eines Wimpernschlages die Tür aufstoßen und sich derart entspannt vor mir postieren können – Teleportationskünste hin oder her.

»Rede mit mir!«, wiederholte Nox, als hätte ich zuvor gar nichts gesagt. Er würde mir meine ins Gesicht geschriebene Frage erst beantworten, wenn ich seiner Forderung nachkam. Klasse!

Seufzend ließ ich die Schultern hängen und erwiderte Nox’ Blick. Früher hatten wir uns oft solche stummen Duelle geliefert, die nichts anderes gewesen waren als kindische Machtkämpfe. Doch diese Ebene hatten wir längst hinter uns gelassen, wie Nox bestätigte, als er seine verknoteten Arme löste und seine Hände federleicht auf meine Hüften legte. Ich spürte die Wärme seiner Finger selbst durch den Stoff des Hoodies hindurch.

»Bitte, Kleines«, sagte er leise und das schillernde Grün seiner Iriden wandelte sich, bis ich mich seiner Wirkung nicht länger entziehen konnte. Als hätte jemand eine Löschdecke über die lodernde Hysterie in meinem Inneren geworfen, beruhigte sich mein Puls zum ersten Mal seit dem Vorabend und ich erlaubte meinen mühevoll aufrechterhaltenen Mauern, dem Druck nachzugeben.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, gab ich ehrlich zu und ließ meinen Arm sinken. »Denn natürlich geht es mir nicht gut! Ich meine, der verfluchte König der Hölle ist mein Vater, meine Mutter besaß Evas Seele und die sechs Fürsten der Unterwelt, die mir so viel genommen haben, weil sie mich nicht selbst töten konnten, sind meine Halbbrüder. Geht es noch abgedrehter?« Beim Sprechen hatten sich unerwünschte Tränen in meine Augen gestohlen, die ich verzweifelt wegblinzelte. »Doch nichts von dem ändert sich, nur weil ich darüber rede. Darum sollten wir uns die Mühe sparen und uns stattdessen auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren.« Ein wackeliges, wenn auch wackeres Lächeln wurde von einer Welle blanken Stolzes auf meine Lippen gespült. Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass wir uns unmittelbar vor der allerletzten Seelenprüfung befanden. Wir hatten das Unmögliche erreicht. »Ich weiß natürlich, dass du es nur gut meinst und mir helfen willst, aber ich muss erst für mich selbst einen Weg finden, wie ich mit diesem ganzen Irrsinn umgehen will. Denn so schwer es dir vielleicht auch zu glauben fällt, bin ich nicht länger das zu Tode verängstigte Mädchen von vor über einem halben Jahr. Ich mache mir nicht mehr wegen jeder neu erfahrenen Kleinigkeit gleich in die Hose. Im Laufe der letzten Monate habe ich nicht nur gelernt, dass es Dinge auf dieser Welt gibt, die mir früher nicht einmal in meinen schlimmsten Albträumen eingefallen wären, sondern dass diese Dinge nun Teil meines Lebens sind.« Immer noch trotzig lächelnd ergriff ich Nox’ Handgelenke und drückte sie sanft. »Aus diesem Grund hast du jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder du akzeptierst, dass ich. Nicht. Reden. Will – und dass das nichts mit dir oder uns zu tun hat und nichts an unserer Beziehung zueinander ändert. Oder du bleibst hier draußen stehen, wartest auf die anderen und berichtest ihnen, dass ich völlig den Verstand verloren habe. Dann könnt ihr damit beginnen, einen total sinnfreien Interventionsplan auszuarbeiten, während ich mir den Kopf darüber zerbreche, wie wir Lilith und Mammon den Arsch aufreißen können!«

Die Falten auf Nox’ Stirn glätteten sich und brachten dieses verdammte schiefe Grinsen zum Vorschein, das meine Knie selbst nach all der gemeinsamen Zeit jedes Mal weich werden ließ.

»Dafür, dass du angeblich nicht reden willst, fällt es dir erstaunlich schwer, die Klappe zu halten.« Nox entzog mir eine Hand und strich mir in einer zärtlichen Geste ein paar meiner Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dabei blitzte es schelmisch in seinen Augen.

Erleichtert atmete ich auf. Obwohl er es nicht explizit erwähnte, wusste ich, dass er zu einhundert Prozent hinter mir stand – ganz egal, worum es ging.

»Kannst du dich mal entscheiden?«, erwiderte ich gespielt augenrollend und ließ Nox’ zweites Handgelenk los, um meine Arme um seinen Nacken zu schlingen. »Erst beschwerst du dich, dass ich mich dir nicht anvertraue, und jetzt maulst du rum, weil ich nicht mehr aufhöre?« Breit grinsend begann ich mit den in den letzten Wochen stets länger gewordenen Haarsträhnen in seinem Nacken zu spielen. Es faszinierte mich immer wieder aufs Neue, wie sehr sich nicht nur Nox, sondern auch unsere Beziehung im Laufe der Zeit verändert hatte. Zwar gab es auch heute noch Situationen, in denen wir nicht die Meinung des jeweils anderen teilten, aber anstatt uns wie früher bei solchen Gelegenheiten gegenseitig das Leben schwer zu machen, begegneten wir einander inzwischen mit Respekt und auf Augenhöhe.

»Wird da jemand aufmüpfig?« Grinsend beugte sich Nox vor und strich mit seinen Lippen über meine. Allein diese winzige Berührung genügte, um mir einen wohligen Schauder über den Rücken zu jagen und meinen gesamten Körper zu entspannen.

Wenn ich es zugelassen hätte, hätte Nox die Führung übernommen – er war offensichtlich mehr als gewillt, das Wirrwarr in meinem Kopf für eine gewisse Zeit zum Schweigen zu bringen. Aber so verlockend diese Aussicht auch erscheinen mochte, ich konnte ihr nicht nachkommen. Dafür war die Spannung in meinem Inneren noch zu intensiv.

»Tu doch nicht so echauffiert!«, antwortete ich und schummelte mich an Nox vorbei durch die offen stehende Haustür. Über meine Schulter hinweg fügte ich ein »Wir wissen beide, dass dein viel zu großes Ego regelmäßig einen Sparringspartner braucht« hinzu.

Ohne auf das Knurren des Engels einzugehen, zog ich den Hausschlüssel aus dem Türschloss und warf ihn in die mit bunten Mosaiksteinen verzierte Tonschale, die auf der hüfthohen weißen Kommode stand. Dann schlüpfte ich aus meinen Schuhen und stellte sie unter den an der Wand befestigten Garderobenhaken. All diese kleinen Gesten waren mir in Laufe meines Lebens so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich für den Bruchteil eines Moments vergaß, welch entsetzliche Wahrheit unserem Besuch in diesem Haus zugrunde lag.

Ich peilte die Küche an, die den Durchgang zum Wohnzimmer darstellte. Der Raum sah genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte – dabei wusste ich, dass achtzig Prozent der Einrichtung erst vor kurzer Zeit ersetzt worden waren. Nach dem Kampf mit Satan, der von Moms Körper Besitz ergriffen hatte, war die ursprüngliche Einrichtung nicht mehr als ein Haufen Schrott gewesen.

Ich hörte Nox hinter mir die Küche betreten, gerade als ich den rechteckigen Holztisch erreichte, der, von sechs Stühlen umgeben, in der Zimmermitte stand. Dieses gute Stück war, ebenso wie die Herd-Backofen-Kombination, die renovierte Wand und der Holzboden, neu. Sämtliche Erinnerungen, die aufgrund von Kratzern, Macken und Mängeln die Geschichten einer ungewöhnlichen, jedoch von Herzen liebenden Familie erzählten, waren unwiderruflich ausgelöscht. Doch im Gegensatz zum letzten Mal, als ich hier gewesen war, zwang mich dieser Gedanke nicht länger in die Knie. Viel eher erkannte ich in diesen frisch eingezogenen Möbeln einen überaus passenden Neubeginn für die recht unorthodoxe Patchworkfamilie, die ab sofort hier wohnen würde.

»Was haben die anderen gesagt, wie lange sie in etwa weg sein werden?« Ich drehte mich zu Nox herum, der erneut die Arme vor der Brust verschränkt hatte und sich mit der Schulter gegen den Türrahmen der Küche lehnte. Seine Miene wirkte neutral, vielleicht sogar gelangweilt. Aber ich wusste es besser. In Nox’ Augen tobte ein Sturm, der den Erinnerungen geschuldet war, die bei seinem letzten Aufenthalt hier geschaffen worden waren.

»Schwer zu sagen.« Nox zuckte mit einer Schulter und der Schleier, der über seinem Blick gelegen hatte, lichtete sich. »Als Erstes wollten sie runter nach Santa Cruz, um für Reed und Nova Papiere in Auftrag zu geben, die sie für ihr menschliches Leben benötigen werden. Sozialversicherungsnummer, Führerscheine und so etwas. Anschließend wollte Goldlöckchen ins Studentenwohnheim und zu unserem alten Haus, um den Rest unseres Krams zu holen.« Ein sarkastisches Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. »Du weißt schon, da wir von nun an alle als große, glückliche Familie in der Casa de Harper leben werden.«

Ungewollt zuckten auch meine Mundwinkel. Nach Luzifers Verschwinden hatten wir uns der Frage stellen müssen, wo wir zukünftig Unterschlupf finden wollten. Da das Haus meiner Mom im Gegensatz zu Adams und meinem Wohnheimapartment über ausreichend Schlafzimmer verfügte und ich mich strikt geweigert hatte, in ein Haus zu ziehen, in dem Emilia genächtigt hatte, war die Entscheidung recht schnell gefallen.

»Ich schätze«, sagte Nox weiter, »dass wir etwa vier oder fünf Stunden Ruhe vor ihnen haben werden – vorausgesetzt, deine rostige Klapperkiste gibt nicht mitten im Nirgendwo den Geist auf.«

Ich kommentierte seine Worte mit meinem Mittelfinger und schob mich grinsend an ihm vorbei zurück in den Flur. Neben dem kleinen Gäste-WC schlängelte sich eine offene Holztreppe ins Obergeschoss, die ich anvisierte.

»Anstatt deine Energie damit zu verschwenden, über mein Auto zu lästern«, rief ich über meine Schulter hinweg, »solltest du deinen Hintern in mein Schlafzimmer bewegen! Du sagst, wir haben mindestens vier Stunden, ehe die anderen kommen. Die sollten wir möglichst produktiv nutzen.«

Das Gesagte war noch nicht gänzlich verklungen, als ich Nox bereits hinter mir spürte. Er schlang einen Arm um meinen Bauch und zog mich rücklings gegen seine breite Brust. Dabei fanden seine Lippen zielgerichtet den Weg an mein Ohr und sein Atem strich in zarten Wellen über meinen Kiefer.

»O Kleines. Du weißt genau, was ein Mann hören will.« Sinnlich grollend biss er mir in den Hals. Eine Hitzewoge jagte durch meinen Körper und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Glücklicherweise schaffte ich es gerade noch, mich mit einer Hand am Geländer festzuhalten.

Meine Lider begannen zu flattern und ich brauchte einen Moment, um mich daran zu erinnern, was ich eigentlich hatte sagen wollen.

»Wirklich?«, krächzte ich und lehnte meinen Kopf gegen Nox’ Schulter. Diese Wärme, dieser Duft … Dieser Mann war die pure Versuchung. »Ich wusste gar nicht, dass dich die Aussicht auf Hausarbeit so heiß macht.«

Nox verspannte sich augenblicklich und katapultierte mich damit aus der kurzzeitigen Fantasie, welche Alternative ihm für einen möglichen Zeitvertreib vorgeschwebt hatte.

Kichernd richtete ich mich auf und erklomm eilig die letzten Stufen. Während der Rest unserer Gruppe unter Adams Kommando in Richtung Süden abgerauscht war – er hatte Reeds und Novas Einwände, dass die Beschaffung ihrer gefälschten Papiere nicht sofort heute in Angriff genommen werden musste, beharrlich ignoriert und darauf bestanden, diesen Punkt abzuhaken, »ehe etwas dazwischenkam« –, waren Nox und ich vorgefahren, um einige Vorkehrungen zu treffen. Adam und Hope würden das Gästezimmer beziehen, das Adam im letzten Jahr bewohnt hatte. Nox und ich wollten das Schlafzimmer meiner Mom übernehmen und Reed und Nova bekamen mein Zimmer. Vermutlich wäre es einfacher gewesen, den Geschwistern Moms Reich zu überlassen, aber ich brachte es nicht übers Herz, jemand anderen dort schlafen zu lassen.

In meinem Schlafzimmer angekommen sah ich mich gründlich um. Da ich bereits vor meinem Umzug ins Wohnheim fast alle persönlichen Gegenstände ausgeräumt hatte und Adams Rückzugsort unangerührt bleiben würde, gingen Nox und ich – Ersterer unter Protest – gleich zu Stufe zwei meines Plans über.

Während der nächsten Stunden wischten wir im gesamten Haus den seit Wochen liegenden Staub weg, putzten Fenster, jagten Wollmäuse über den Boden und bezogen die Betten. In Adams Zimmer legten wir auf dem Queensize-Bett ein zweites Set Kissen und Decken bereit, während mein altes Zimmer mit einer Gästepritsche vom Dachboden ausstaffiert wurde. Die Lösung, dass Reed und Nova sich vorerst ein Schlafzimmer teilen mussten, war nicht perfekt, aber besser, als obdach- und schutzlos unter einer Brücke zu hausen. Und da ich wusste, dass die Beziehung zwischen den beiden Geschwistern ebenso eng und familiär war, wie die Freundschaft zwischen Adam und mir es einst gewesen war, glaubte ich nicht, dass unseren ehemaligen Vampirfreunden die Situation missfallen würde.

Um die kühle, unpersönliche Atmosphäre aufzuwärmen, die der Raum durch das leer geräumte Regal, den ungenutzten Schreibtisch sowie die leeren Kommodenschubladen und den Kleiderschrank verströmte, holte ich ein paar Zierkissen aus dem Wohnzimmer herauf und drapierte sie gemeinsam mit der alten Fleecedecke einladend auf der dünnen Pritschenmatratze.

»War’s das endlich?« Nox hatte es sich auf meinem alten Bett gemütlich gemacht. Lang ausgestreckt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Füße übereinandergeschlagen bot er einen derart vertrauten Anblick, dass ich grinsen musste. Das erste Mal, als er in meinem Zimmer gewesen war, hatte er es sich in exakt derselben Pose bequem gemacht. Das war unmittelbar nach unserem ersten Prüfungssieg gewesen. Es hatte etwas Symbolisches, dass wir jetzt, zum Zeitpunkt der letzten Prüfung, an jenen Ort zurückkehrten, an dem alles begonnen hatte.

Obwohl ich mich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten konnte und ich ständig gähnte, sträubte sich alles in mir dagegen, mich hinzulegen und etwas zu schlafen. Die Furcht, dass die Ereignisse der letzten Stunden mich in meinen Träumen heimsuchen könnten, war zu groß. Zwar hatte ich in der Vergangenheit dank Nox’ Anwesenheit in meinem Bett Ruhe vor Albträumen gehabt, aber ich war mir sicher, dass auch diese Wirkung nicht ewig anhalten würde.

»Fast«, antwortete ich und wischte mir die schweißfeuchten Finger an der Hose ab. Es mochte verrückt erscheinen, dass wir im Kampf um unser aller Leben nichts Besseres zu tun hatten, als das Haus zu putzen. Aber abgesehen von dem Umstand, dass wir ab sofort sehr viel Zeit hier verbringen würden und ich während meiner vielleicht letzten Lebenstage nicht in einem Saustall leben wollte, wirkte sich eine derart normale Tätigkeit wie Putzen beruhigend auf meine angespannten Nerven aus. »Wir müssen noch unser Schlafzimmer vorbereiten und einkaufen gehen. Ich bezweifle, dass die Vorräte, sofern sich in der Küche noch welche finden lassen, genießbar sind.«

Nox stöhnte und schloss gequält die Augen. »Was tut man nicht alles für die Aussicht auf Sex.«

Ich kicherte. »Stell dich nicht so an! Wenn du willst, können wir die Aufgaben auch aufteilen, dann sind wir schneller fertig. Ich kümmere mich um Moms Schlafzimmer und du gehst einkaufen.«

»Du willst, dass ich einkaufe, während du hier allein im Haus zurückbleibst?« Nox riss die Lider auf und stützte seinen Oberkörper auf den Unterarmen ab. Noch nie hatte er mich mit einem derart entsetzten Blick angesehen. »Du musst völlig durch den Wind sein, wenn du auch nur denkst, dass ich dich in der aktuellen Situation für einen Wimpernschlag aus den Augen lasse.« Kopfschüttelnd ließ er sich zurück auf die Matratze sinken.

»Nicht?« Ich ging auf das Bett zu und zog Nox’ Füße, die noch immer in Bikerstiefeln steckten, von der frisch bezogenen Decke und setzte mich auf den Bettrand. »Heißt das etwa, du wirst mir ab sofort auf Schritt und Tritt folgen? Wie ein kranker Stalker, der die Haare aus meiner Bürste klaut, um sich daraus einen Pullover zu stricken?«

»Bis auf den Teil mit den Haaren hast du ziemlich ins Schwarze getroffen.« Träge grinsend setzte sich der Engel in eine aufrechte Position, und als er einen Arm um meinen Rücken schlang, schmiegte ich mich an ihn. »Oder hast du bereits vergessen, dass wir im Visier eines niederträchtigen, manipulativen und gemeingefährlichen Gegners stehen? Zwar will ich nicht behaupten, dass es leicht werden wird oder dass wir wegen der jüngsten Neuigkeiten einen wie auch immer gearteten Vorteil genießen. Trotzdem denke ich, dass wir zum ersten Mal, seit du den Prüfungen zugestimmt hast, berechtigterweise auf einen Sieg hoffen können. Verflucht, ich meine, wir haben es bis zur siebten Prüfung geschafft! Das ist …« Er brach ab und schüttelte ungläubig lächelnd den Kopf. »Das ist einfach unvorstellbar, Avery!«

Wie jedes Mal, wenn Nox mich bei meinem Namen nannte, kroch eine Gänsehaut über meinen Körper und ließ die feinen Härchen auf meinen Armen strammstehen.

»Aus diesem Grund«, fuhr Nox mit leiser, aber unnachgiebiger Stimme fort, »werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um deine Seele zu retten – selbst wenn ich dir dafür unter die Dusche folgen muss, während du eins von deinen schrägen Bieber-Bubi-Konzerten trällerst.«