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Seven Sins 3: Bittersüßes Begehren E-Book

Lana Rotaru

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Beschreibung

»Sag, dass du mich brauchst, Avery.«  Von ihrer Reise zur Bewältigung der ersten Todsünde zurückgekehrt, versucht Avery sich wieder in ihrem normalen Leben zurechtzufinden. Wäre da nicht das winzige Detail, dass sie während eines Gesprächs mit dem Inkubus David fast die Kontrolle verliert und seinen Schmeicheleien verfällt – woran ihr im Nachhinein jedoch jegliche Erinnerungen fehlen. Das kann der hitzige Höllendiener Nox natürlich nicht akzeptieren und versucht zu verhindern, dass David einen Keil zwischen sie beide treibt. Nox ist sich sicher: Averys Prüfung zur zweiten Todsünde hat begonnen. Sieben Sünden. Sieben Prüfungen. Und ein höllischer Vertrag ... Lass dich von Lana Rotarus neuester Urban-Fantasy-Serie in eine faszinierende Welt entführen, in der die Sünde und die Freiheit deiner Seele unausweichlich miteinander verbunden sind. Ein absolutes Must-Read für Fans von Fantasy-Liebesromanen der besonderen Art! Leserstimmen auf Amazon: »Wow, Wow, Wow!!!« »Perfekt, um aus der Realität zu verschwinden, sich zu verlieren und mitzufühlen.« »Einfach großartig.« »Unerwartet und fesselnd.« »DEFINITIV IST DIESES BUCH JEDE SEITE WERT...« //Dies ist der dritte Band der romantischen Urban Fantasy-Reihe »Seven Sins«. Alle Bände der Buchserie bei Impress:  -- Seven Sins 1: Hochmütiges Herz -- Seven Sins 2: Stolze Seele -- Seven Sins 3: Bittersüßes Begehren -- Seven Sins 4: Neidvolle Nähe -- Seven Sins 5: Zerstörerischer Zorn -- Seven Sins 6: Maßlose Macht -- Seven Sins 7: Grauenhafte Gier//

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Lana Rotaru

Seven Sins 3: Bittersüßes Begehren

»Sag, dass du mich brauchst, Avery.«Von ihrer Reise zur Bewältigung der ersten Todsünde zurückgekehrt, versucht Avery sich wieder in ihrem normalen Leben zurechtzufinden. Wäre da nicht das winzige Detail, dass sie während eines Gesprächs mit dem Inkubus David fast die Kontrolle verliert und seinen Schmeicheleien verfällt – woran ihr im Nachhinein jedoch jegliche Erinnerungen fehlen. Das kann der hitzige Höllendiener Nox natürlich nicht akzeptieren und versucht zu verhindern, dass David einen Keil zwischen sie beide treibt. Nox ist sich sicher: Averys Prüfung zur zweiten Todsünde hat begonnen.

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Lana Rotaru lebt zur Zeit mit ihrem Ehemann in Aachen. Der Lesewahnsinn begann bei ihr bereits in früher Jugend, die sie Stunde um Stunde in einer öffentlichen Leihbibliothek verbrachte. Nun füllen Hunderte von Büchern und E-Books ihre Wohnzimmer- und E-Reader-Regale und ein Ende ist nicht in Sicht. Eine Lesepause legt sie nur ein, wenn sie gerade selbst an einem neuen Roman schreibt.

Die Wollust zu bändigen, ist Tugend,

und nicht, keine zu empfinden.

Erasmus von Rotterdam († 1536)

WAS BISHER GESCHAH …

Mein Name ist Avery Marie Harper und dem Teufel gehört meine Seele. Mein erfolgsgeiler Erzeuger, der meine Mom und mich vor zwölf Jahren verließ, verkaufte sie, um seine Schauspielkarriere voranzutreiben.

Der Vertrag sollte an meinem achtzehnten Geburtstag durch meinen Tod in Erfüllung gehen, doch Adam, mein bester Freund und mir persönlich zugeteilter Schutzengel, eröffnete mir eine Möglichkeit, um meine Freiheit zu kämpfen. Dafür muss ich nur acht Prüfungen bestehen. Die ersten Sieben stehen mit je einer Todsünde in Verbindung, den Abschluss bildet ein persönliches Treffen mit Luzifer.

Zum Glück muss ich mich den Aufgaben nicht allein stellen. Sowohl Adam als auch Nox, der höllische Kopfgeldjäger, der geschickt wurde, um meine Seele einzukassieren, sind durch meine Entscheidung an die Prüfungen gebunden und verspüren einen gewissen Anreiz, mir zu helfen. Schließlich bedeutet mein Scheitern auch ihr Scheitern. Mein Tod bedeutet ihren Tod.

Zumindest hatten wir das angenommen. Denn nach unserem grandiosen Versagen im Feenreich, wo wir die erste Prüfung absolvieren mussten, wurden wir nicht in die Hölle verbannt, sondern erwachten in San Francisco. Meinem Zuhause.

Doch das sollte nicht die einzige Frage bleiben, die uns in Zukunft beschäftigen würde. Nox behauptete, dass der fremde, blond gelockte Typ an seiner Seite mein bester Freund Adam sei. Bedauerlicherweise hatte ich diesen Kerl noch nie zuvor gesehen.

TEIL 1

EINS

»Nox?«

»Ja, Kleines?«

»Wer ist dieser Adam, der gerade meine Mom tröstet?« Diese Frage hatte ich soeben dem Höllendiener gestellt, doch anstatt einer Antwort kassierte ich nur einen Blick, als hätte ich den Verstand verloren.

»Was?« Nox runzelte die Stirn. In seinen Augen las ich Verwirrung, aber bereits im nächsten Moment wurde diese von einem amüsierten Funkeln und dem vertrauten schiefen Grinsen abgelöst, das meinen Herzschlag regelmäßig aus dem Takt brachte. »Witzig, Kleines. Ja, ehrlich. Fast hätte ich dir abgekauft, dass du nicht weißt, wer Goldlöckchen ist.«

Nun war ich es, die irritiert dreinblickte. Doch bevor ich die Chance hatte, Nox zu sagen, dass ich meine Worte sehr wohl ernst gemeint und tatsächlich keine Ahnung hatte, wer dieser Adam sein sollte, wurden wir unterbrochen und ich drehte mich zu der Störquelle herum.

»Geh schon mal nach Hause, Nox.« Die Stimme gehörte Adam. Ihr Tenor war so weich und warm, dass er mir ein wohliges Schaudern entlockte.

Mit gerunzelter Stirn und gemischten Gefühlen beobachtete ich, wie Adam einen Arm um meine Mom geschlungen hielt und sie ins Haus bugsierte, während sie sich schluchzend an ihn schmiegte. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, aber es behagte mir nicht, sie in diesem Zustand mit einer mir fremden Person allein zu lassen.

»Nox«, begann ich und wandte mich wieder dem Höllendiener zu. Doch kaum blickte ich in seine funkelnden grünen Augen, vergaß ich prompt, was ich eigentlich hatte sagen wollen. Stattdessen spürte ich den allzu vertrauten Sog, der nach mir greifen und mich in seinen Bann ziehen wollte. Mein Körper begann zu kribbeln und mein Blick huschte automatisch ein weiteres Mal zu Nox’ Lippen. Auch wenn es völlig unangebracht war, wünschte ich mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als ihn ein weiteres Mal zu küssen.

Der Höllendiener erwiderte meinen Blick mit einer Miene, die es mir unmöglich machte seine Gedanken zu erraten. Erst als er ein gefluchtes »Zur Hölle!« ausstieß, mit jeweils einer Hand meinen Nacken und meine Hüfte packte und mich mit einem Ruck fest an sich zog, wurde mir bewusst, dass ich nicht die Einzige war, die sich diese Vereinigung ersehnt hatte.

Der Kuss war hart, fordernd und zugleich voller Hingabe und Zuneigung. Er spiegelte all das wider, was ich fühlte, mir wünschte und erhoffte.

Dieser Kuss war ein Meilenstein.

Ein Neubeginn für Nox und mich.

Wir hatten so viel durchgemacht, dass es an ein Wunder grenzte, dass wir diesen Moment hier tatsächlich erleben durften.

Mir entfloh ein widerwilliges Stöhnen, als Nox diesen alles verändernden Kuss beendete. Ein Teil von mir fragte sich, wie der Höllendiener die Selbstbeherrschung für diese Tat aufbringen konnte, während der Rest von mir den gefallenen Engel für sein Handeln am liebsten umgebracht hätte.

»Das nächste Mal lasse ich dich nicht so einfach davonkommen, Kleines!« Nox’ Blick glühte vor Lust, als er seine Hände sinken ließ und einen Schritt von mir wegtrat. Begierde strahlte aus jeder seiner Poren. »Es wird Zeit, dir zu zeigen, weshalb ich in deiner Gegenwart immer so dreckige Fantasien habe.«

Nox’ Worte ließen mich erzittern, während meine prickelnden Lippen sich zu einem breiten Strahlen verzogen.

»Ich kann es kaum erwarten.« Mit langsamen Schritten begab ich mich rückwärts die Stufen zum Haus hinauf, während ich wie ein Honigkuchenpferd grinste. Die Vorfreude auf Nox’ Versprechen überstrahlte selbst meine Glücksgefühle bezüglich des Umstandes, dass wir die erste Prüfung überlebt hatten.

Nox’ Erwiderung bestand aus einem animalischen Knurren, während er mich mit besitzergreifendem Blick fokussierte und dabei jeden Zentimeter meines Körpers in Flammen aufgehen ließ.

Das erregende Gefühl ebbte selbst dann nicht ab, als ich mich ins Haus rettete und die Eingangstür geräuschvoll hinter mir schloss.

***

Was zur Hölle ist hier passiert?, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, als ich mit schreckgeweiteten Augen die Küche betrat. Der Anblick war so verstörend, dass sich sämtliche unanständige Empfindungen, die soeben noch meinen Körper dominiert hatten, schlagartig in Luft auflösten. Rund um meine Mom, die schluchzend am Tisch saß, herrschte ein derartiges Chaos, dass ich einen Augenblick lang ernsthaft glaubte, mich im falschen Haus zu befinden. Auf dem Tisch, den Arbeitsflächen, ja sogar auf dem Fußboden standen dreckige Teller mit angetrockneten Essensresten sowie leere Weingläser und -flaschen herum. Dazu gesellten sich achtlos hingeworfene Kleidungsstücke, die dem verströmenden Geruch nach von einer ganzen Horde Footballspieler getragen worden sein mussten. Zumindest würde das den heftigen Gestank nach Schweiß erklären, der sich mit Alkoholausdünstungen mischte und meinen Würgereflex herausforderte.

Bitte nicht, Mom! Bitte sag mir, dass du nicht wieder mit dem Trinken angefangen hast!

Ich hatte angenommen, dass die Zeiten vorbei waren, in denen sie ihre Probleme in Unmengen von Wodka ertränkte.

Dem Schock war es geschuldet, dass ich Adam völlig vergessen hatte und mich erst wieder an seine Anwesenheit erinnerte, als er aus dem Wohnzimmer kam, im Schlepptau unsere alte Fleecedecke, die er in einer liebevollen Geste um Moms bebenden Körper legte und ihr anschließend sanft über den Rücken strich. Danach sah er auf, als hätte er meinen Blick gespürt. Der warme Karamellton seiner Iriden strahlte etwas zutiefst Reines und Aufrichtiges aus, was meinen Körper heftiger reagieren ließ, als mir lieb war.

»Du solltest dich umziehen, Ave. Es bringt nichts, eine Lungenentzündung zu riskieren«, sagte Adam in liebevoller Strenge und begab sich mit überraschender Selbstverständlichkeit an den Wandschrank, wo er eine Taschentuchbox herausholte und diese neben meiner Mom auf dem Küchentisch abstellte, ehe er sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte.

Irritiert beobachtete ich sein Handeln und fragte mich, wer dieser Typ war. Dass sowohl meine Mom als auch Nox ihn kannten und ihm zu vertrauen schienen, war unübersehbar. Leider brachte mich das auf der Suche nach einer Antwort keinen Schritt weiter.

Vielleicht ist er ein neuer Nachbar. Oder der Sohn eines Arbeitskollegen.

Diese Möglichkeiten waren ebenso plausibel wie unwahrscheinlich. Selbst wenn Adam tatsächlich ein Teil von Moms Leben war, gab es keine logische Erklärung, warum Nox ihn kennen sollte und ich nicht.

Die Grübelei verstärkte das Pochen in meinem Kopf. Ich beschloss dem drängenden Wunsch meines Körpers nachzugehen und eine heiße Dusche zu nehmen. Auch wenn es mir schwerfiel, meine Mom jetzt allein zu lassen, musste ich auf ihre und Nox’ Menschenkenntnis vertrauen.

Gerade als ich das Obergeschoss erreicht und die Tür zum Badezimmer geöffnet hatte, eilte mir jemand schnellen Schrittes hinterher. Ein Blick über meine Schulter bestätigte mir, dass es sich dabei um Adam handelte.

»Ave, warte!« Er übersprang die Stufen wie ein Athlet und stellte sich vor mich. Mit derselben Souveränität, mit der er sich hier im Haus bewegte, ergriff er meine Hände und trat noch näher an mich heran. Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht, als er mit leiser, aber eindringlicher Stimme sprach. »Das, was du vorhin zu Nox gesagt hast, war nur ein blöder Witz, oder? Du weißt, wer ich bin, nicht wahr?« Sein Blick war so intensiv, dass es schien, als wollte er bis auf den Grund meiner Seele schauen.

Normalerweise würden an diesem Punkt meine Alarmglocken losschrillen und mein Bewusstsein in den Abwehrmodus schalten. Doch Adams Nähe und seine Frage hatten mich eiskalt erwischt und machten es mir unmöglich, auch nur einen Muskel zu bewegen. Wie ein Schaf vor dem Schlachter starrte ich in seine hellbraunen Augen, die von blonden Locken und einem ebenmäßigen Gesicht umgeben waren.

Mit jeder schweigsamen Sekunde änderte sich Adams Miene. Hatte er zuvor Ernsthaftigkeit ausgestrahlt, wirkte er nun irritiert, wenn nicht gar besorgt. Doch als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, unterbrach ihn ein lautes Scheppern aus dem Erdgeschoss.

Als hätte man uns bei etwas Verbotenem erwischt, stoben wir auseinander und blickten in Richtung Treppe. Aber weder hörten wir weitere Geräusche noch tauchte meine Mom auf den Stufen auf.

Adam seufzte. »Geh duschen, ich sehe nach Joleen.« Mit hängenden Schultern wollte er sich zum Gehen wenden, hielt jedoch in der Bewegung inne und drehte sich mit traurigem Blick ein weiteres Mal zu mir herum. »Mach bitte nie wieder einen so makabren Scherz. Allein die Vorstellung, du könntest dich nicht mehr an mich erinnern, ist …« Er beendete den Satz mit einem Kopfschütteln, ehe er mir endgültig den Rücken kehrte und die Stufen ins Erdgeschoss hinuntertrabte.

Erstarrt blickte ich ihm nach, bis ich von ihm nichts mehr sah und hörte. Erst als ich mir sicher war, dass er nicht zurückkommen würde, wagte ich es, mich zu bewegen und ins Badezimmer zu flüchten. Ich hoffte, ein paar Minuten unter dem kochend heißen Wasserstrahl würden genügen, um die eisige Kälte in meinem Inneren zu vertreiben, die die Begegnung mit Adam in mir ausgelöst hatte. Doch selbst als meine Fingerkuppen längst Rosinen ähnelten und der gesamte Raum in dichten Nebel gehüllt war, fröstelte es mich noch immer, wenn ich an seine Worte zurückdachte. Der Schmerz in seinem Blick sowie die Art und Weise, wie er mit mir gesprochen und mich berührt hatte, ließen mich wie Espenlaub erzittern.

Er tut ja gerade so, als würden wir uns schon ewig kennen. Als wären wir Freunde oder so.

Ich schauderte. Adams Emotionen waren so rein und intensiv gewesen, dass es mir vorkam, als hätte ich sie selbst gespürt. In dem Moment, als er sich vorgestellt hatte, ich würde ihn nicht kennen, war in meiner Brust ein riesiges schwarzes Loch aufgeklafft, das alle positiven Empfindungen in sich aufgesogen hatte, bis nichts als deprimierende Leere übrig geblieben war.

Erneut schüttelte es mich und ich versuchte die Erinnerung an dieses Gefühl zu verdrängen. Erfolglos.

Aber wie kann das sein? Wieso denkt Adam, dass wir uns kennen, wenn ich ihn noch nie in meinem Leben gesehen habe?

Diese Frage bereitete mir ebenso Kopfzerbrechen wie der Umstand, dass ich überraschend intensiv auf ihn reagierte. Selbst Nox war es nicht gelungen, nach so kurzer Zeit des Kennens derartige Emotionen in mir auszulösen.

Als das heiße Wasser aufgebraucht war, verließ ich das Bad und schlich in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Am liebsten hätte ich den kuscheligen Bademantel angelassen, aber stattdessen schlüpfte ich in eine bequeme Jogginghose und ein XXL-Sweatshirt.

Zurück im Erdgeschoß stellte ich erleichtert fest, dass es meiner Mom besser ging. Sie hatte aufgehört zu weinen und saß nun aufrecht. In ihren Händen hielt sie eine dampfende Tasse, auf deren Inhalt sie mit leerem Blick starrte. Adam entdeckte ich an die Arbeitstheke gelehnt. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und seine Beine an den Knöcheln gekreuzt, während er meine Mom mit gerunzelter Stirn beobachtete.

Möglichst unauffällig setzte ich mich an meinen Platz, an dem ich einen Becher mit heißer Schokolade, Sahne und Mini-Marshmallows vorfand. Mein liebstes Alles-wird-gut-Getränk.

Die Stille im Raum dehnte sich aus und meine Schuldgefühle wurden immer stärker. Am liebsten hätte ich etwas gesagt, um die Situation erträglicher zu machen, aber mir wollte nichts Passendes einfallen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit unterbrach Adam das Schweigen mit einem Räuspern. Gleichzeitig stieß er sich von der Theke ab und trat auf meine Mom zu.

»Ich gehe jetzt besser, damit ihr zwei euch in Ruhe unterhalten könnt.« Er drückte sie kurz aber herzlich an sich, bevor er sich von ihr löste und mir zuwandte. »Immerhin gibt es viel zu bereden, nicht wahr?« So, wie er mich ansah, erweckte er den Eindruck, als wollte er mir eine Botschaft übermitteln. Leider hatte ich keine Ahnung, welche das sein sollte. »Wenn was ist, wisst ihr ja, wo ihr mich findet.« Er beugte sich zu mir herunter und schlang seine Arme um mich. »Lass heute Nacht dein Zimmerfenster auf«, wisperte er mir ins Ohr und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe. All das geschah in so kurzer Zeit, dass ich keine Möglichkeit zum Reagieren hatte, und wenig später hatte Adam die Küche bereits wieder verlassen. Gleich darauf fiel die Haustür ins Schloss.

Perplex sah ich Adam hinterher, während meine Mom aus ihrer Lethargie erwachte. Schwerfällig hob sie den Kopf und blickte mich aus trüben Augen an, wie ich bemerkte, als ich mich ihr mechanisch zuwandte. Von dem einstigen Blau ihrer normalerweise strahlenden Iriden war nichts mehr zu sehen und auch sonst war von der attraktiven Frau, als die ich meine Mom in Erinnerung hatte, nicht viel übrig. Mit der kränklich anmutenden Haut und den spröden Lippen, die sie missbilligend zusammenpresste, wirkte sie um Jahre gealtert.

»Wo warst du, Avery? Und wieso hast du dich nicht ein einziges Mal gemeldet?« Jetzt, da Mom sicher sein konnte, dass es mir den Umständen entsprechend gut ging, war ihre Sorge um mich vergessen und sie konzentrierte sich voll und ganz auf ihren Groll.

Ich versuchte gar nicht erst, ihrem Blick standzuhalten, und sah stattdessen auf die Tischplatte. Da ich ihr unmöglich die Wahrheit sagen konnte, schwieg ich lieber.

»Avery«, sagte Mom warnend. Sie erwartete eine Antwort. Und zwar sofort.

»Die Sache ist höllisch kompliziert«, erwiderte ich widerwillig und hob den Kopf. »Aber du musst mir glauben, es ging nicht anders! Ich musste gehen. Ich hatte keine Wahl. Und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich mich gemeldet. Das schwöre ich!«

Mom schnaubte. »Du hattest keine Wahl? Was redest du denn da? Man hat immer eine Wahl! Selbst …« Schlagartig veränderte sich ihre Mimik. Die Wut war einem Ausdruck von Sorge gewichen. »Steckst du etwa in der Klemme? Wirst du bedroht oder ist jemand hinter dir her?« Hektisch sah sie sich um, als erwarte sie jeden Augenblick einen heimtückischen Angriff.

»Nein, Mom, ich werde nicht bedroht. Und es ist auch niemand hinter mir her«, antwortete ich hastig und hoffte, damit die Wahrheit zu sagen.

»Was ist es dann, Avery? Sag es mir! Was ist los? Was verschweigst du mir?« Moms Augen wurden feucht und ihre Lippen begannen zu beben. »Bitte rede mit mir, Spätzchen! Die letzten Tage bin ich durch die Hölle gegangen! Du hast dich so verändert, seit dieser Nox hier aufgetaucht ist.« Sie spie den Namen wie eine wüste Beschimpfung aus. »Plötzlich hast du Geheimnisse, lässt dich tätowieren und verschwindest tagelang, ohne ein Lebenszeichen von dir zu geben. Selbst dein langjähriger und bester Freund wusste nicht, wo du warst!« Tränen stahlen sich aus ihren Augenwinkeln und rannen ihr über die Wangen. »Du weißt gar nicht, wie sehr Adam unter deinem Verschwinden gelitten hat. Ich habe den armen Kerl kaum wiedererkannt. Er war nicht mehr er selbst!« Sie schüttelte den Kopf, als würde sie die Geister der Vergangenheit vertreiben wollen. »Und dann steht auch noch auf einmal die Polizei vor unserer Tür und will mit dir über diesen völlig absurden Vorwurf reden, dass du Harmony entführt haben sollst. Zum Glück hat Mrs Jaramango Monys Abschiedsbrief gefunden«, fügte sie in leisem Ton hinzu, als wäre der Nachtrag mehr an sie selbst gerichtet.

Jedes ihrer Worte fühlte sich wie eine schallende Ohrfeige an und ich hatte Mühe, meine eigenen Tränen unter Kontrolle zu halten. Vor allem die Erinnerung an meine Freundin Harmony und ihren Bruder Killian, dem ich Schreckliches angetan hatte, ließen meine Kehle eng werden. Aber die Information, dass Monys Verschwinden als Entführung eingestuft wurde und die Polizei mich deswegen auf dem Radar hatte, überschattete alles. Sogar den winzigen Silberstreif, dass Harmony in weiser Voraussicht ihres baldigen Verschwindens einen Abschiedsbrief fingiert hatte, um ihrer Familie Kummer zu ersparen.

»Ich sagte doch schon, die Sache ist nicht so einfach zu erklären«, erwiderte ich hilflos. Es war unmöglich, all die Fragen zu beantworten, ohne die Wahrheit preiszugeben oder Mom irgendwelche Lügen aufzutischen.

»Was ist denn so kompliziert, Avery?« Ihre Stimme war erneut in Wut umgeschlagen und ihre Augen verengten sich vor Groll. »Der Teil, dass du rücksichtslos und ohne ein erklärendes Wort mit Harmony nach Los Angeles abgehauen bist, oder dass euch dieser Kriminelle dabei geholfen haben muss? Wie sonst hättet ihr euch die Flugtickets und den Aufenthalt dort leisten können?« Sie blickte mich einen Moment lang an, ehe sie entrüstet den Kopf schüttelte. »Ich will mir gar nicht vorstellen, was dieser Verbrecher dafür von euch verlangt hat!«

Perplex aufgrund der plötzlichen Gesprächswendung starrte ich meine Mom mit geöffnetem Mund an. Ich war so verwirrt, dass ich nicht einmal Anstoß an ihrer kränkenden Andeutung nahm.

Wovon zum Teufel redet sie? Was sollten Mony und ich in L.A.?

»Sieh mich nicht so an, Avery! Ich weiß genau, wo du dich die letzten Tage aufgehalten hast.« Schützend verschränkte Mom ihre Arme vor der Brust. »Monys Schreiben war eindeutig. Zudem hat der Flughafen eure eingelösten Tickets und die Einreise bestätigt.«

Mit jedem Wort verstand ich weniger von dem, was meine Mom sagte. Bis auf die Tatsache, dass mein Auto verlassen irgendwo in der Pampa gefunden worden war, wie Mom vorhin draußen vor dem Haus erwähnt hatte, entsprach nichts der Realität.

Was zur Hölle ist hier los?

»Bitte erklär es mir, Avery!«, flehte Mom mit zerbrechlicher Stimme. Sie musste völlig mit den Nerven am Ende sein, wenn ihre Emotionen beinahe sekündlich wechselten. »Wieso bist du nicht zu mir gekommen und hast mir von euren Plänen erzählt? Seit wann können wir nicht mehr miteinander reden?«

Mit jeder zitternden Silbe, die aus ihrem Mund kam, verstärkte sich der Druck auf meinem Brustkorb, bis ich vor Schuldgefühlen kaum noch Luft bekam. Da ich ihr jedoch unter keinen Umständen die Wahrheit sagen konnte, aber auch nicht lügen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als möglichst ausweichend zu antworten.

»Es tut mir leid, Mom. Wirklich. Ich weiß, ich hätte mich dir anvertrauen sollen. Aber dazu blieb mir gar keine Zeit. An dem Abend der Strandparty ging alles ganz schnell und ich musste Entscheidungen treffen.«

»Und anstatt dich dafür zu entscheiden, mit mir zu reden, hast du beschlossen einfach wegzufliegen?«, unterbrach sie mich mit neuer Energie. »Mit dem Sexgeld eines Verbrechers?«

»Mom! Es reicht!«, stieß ich, nun ebenfalls wütend, hervor. Ich konnte nicht länger hinnehmen, dass sie Nox für einen Kriminellen und mich für sein geldgeiles Flittchen hielt. »Du hast keine Ahnung, wie es wirklich war! Nox ist weder ein Verbrecher, noch hat er Mony oder mich zu etwas gezwungen. Er hat uns geholfen und mir mehrfach das Leben gerettet. Ohne ihn …« Ich schüttelte müde den Kopf. Mir fehlte die Kraft für eine derartige Unterhaltung. »Ohne ihn wären wir verloren gewesen.«

»Er hat euch also geholfen, hm?«, fasste Mom mit deutlich hörbarer Skepsis zusammen. Gleichzeitig erhob sie sich von ihrem Platz und stützte sich mit gestreckten Armen auf der Platte des Küchentisches ab. »Wenn das so ist, dann hast du bestimmt nichts dagegen, der Polizei die ganze Geschichte zu erzählen.« Sie wandte sich dem Festnetztelefon zu, das an der Küchenwand hing. »Ich werde Detective Barnes anrufen und uns ankündigen. Du gehst so lange auf dein Zimmer, junges Fräulein!«

»Junges Fräulein?« Ein überraschtes und völlig unpassendes Lachen perlte über meine Lippen. So hatte meine Mom mich nicht mehr seit der Junior High genannt. »Mom, ich bin achtzehn! Weder kannst du mich auf mein Zimmer schicken noch mich dazu zwingen, zur Polizei zu gehen. Ich habe keine Gesetze gebrochen.«

Ohne mich anzusehen, griff sie nach dem Hörer. Während sie wählte, sagte sie in einem eisigen Tonfall: »Vielleicht hast du gegen keine Bundesgesetze verstoßen, Avery Marie Harper, aber du bist meine Tochter und es ist mir egal, ob du acht, achtzehn oder achtundachtzig bist. Als deine Mutter ist es meine Aufgabe, dich zu beschützen. Wenn es sein muss auch gegen deinen Willen.«

Vor Fassungslosigkeit und Scham gelähmt, starrte ich Moms Hinterkopf an. Das Tuten des Freizeichens mischte sich mit meiner schnellen Atmung und meinem rasenden Herzschlag. Mir war bewusst, dass ich dieses Telefonat verhindern musste. Aber ich war unfähig mich zu bewegen.

»Hallo? Detective Barnes? Hier ist Joleen Harper.« Die Anstrengung, ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten, ließ ihre Stimme erzittern. »Ja, ich weiß, wie spät es ist«, erwiderte sie nach einer kurzen Pause. »Es tut mir auch leid, Sie geweckt zu haben, aber dieser Anruf konnte nicht warten.«

Ich versuchte die Erwiderung des Polizisten am anderen Ende der Leitung zu verstehen, scheiterte jedoch. Dafür dröhnte jedes von Moms Worten unnatürlich laut durch die Küche.

»Es gibt Neuigkeiten über den Aufenthaltsort meiner Tochter.« Sie warf einen flüchtigen Blick über ihre Schulter, um sicherzugehen, dass ich mich nicht in Luft aufgelöst hatte. »Sie ist hier. Vor einer halben Stunde stand sie auf einmal halb nackt und völlig malträtiert vor der Tür.« Stille kehrte ein, während der Polizist etwas erwiderte. »Nein«, fuhr meine Mom fort, »angeblich geht es ihr gut. Aber dieser Mann, von dem ich Ihnen erzählt habe, ist auch wieder aufgetaucht. Ich bin mir sicher …« Sie verstummte und warf einen weiteren Blick über ihre Schulter. Ich sah, dass sie auf ihrer Unterlippe kaute und die Augenbrauen hochzog. Offenbar gefiel ihr nicht, was auf der anderen Seite der Leitung gesagt wurde. »Nein, ich denke nicht, dass sie Anzeige erstatten will. Sie nimmt diesen Verbrecher sogar in Schutz. Deswegen denke ich …« Erneut schien sie unterbrochen worden zu sein. »Ich weiß, dass sie volljährig ist, Detective, immerhin ist sie meine Tochter. Und mir ist auch bewusst, dass Ihnen der Fall glasklar erscheint und Sie ihn deswegen geschlossen haben, aber …« Stille. »Sie verstehen nicht, Detective. Dieses Verhalten ist völlig untypisch für meine Tochter. Sie ist niemand, der einfach ohne Erklärung für mehrere Tage verschwindet. Bestimmt hat man sie unter Drogen gesetzt, vielleicht wird sie auch erpresst.« Erneute Stille. »Sie wollen mir also sagen, dass ich nichts unternehmen kann, außer Anzeige zu erstatten, die aufgrund mangelnder Beweise sowieso fallen gelassen wird?«

Obwohl meine Mom mit dem Rücken zu mir stand, erkannte ich an ihrer angespannten Haltung, dass das Gespräch nicht nach ihren Vorstellungen verlief. Zwar schmerzte es mich, dass ihr Kummer bereitet wurde, gleichzeitig verspürte ich jedoch Erleichterung. Es schien, als hätte sich wenigstens dieses Problem von selbst gelöst.

»Ja, mir tut es auch leid, dass Sie mir nicht helfen können, Detective.« Mit diesen Worten donnerte meine Mom den Hörer zurück in die Halterung. Einen Moment stand sie reglos vor dem Telefon, dann drehte sie sich zu mir um. Ihre Miene war eine Maske aus Zorn, Enttäuschung und Gram. »Vielleicht kann ich dich nicht dazu zwingen, mir die Wahrheit zu sagen oder zur Polizei zu gehen und diesen Verbrecher anzuzeigen, aber solange du unter meinem Dach wohnst, hast du dich an meine Regeln zu halten. Und wenn in dir noch ein Funken von dem Mädchen steckt, das ich geboren, großgezogen und dem ich Liebe und Anstand beigebracht habe, dann erwarte ich, dass du mir den Respekt entgegenbringst, den ich als deine Mutter verdiene. Das bedeutet, ich dulde keine Lügen und Geheimnisse mehr. Stattdessen erwarte ich Gehorsam! Ansonsten …« Ihre Stimme, die immer dünner geworden war, brach und sie senkte den Kopf. »Ansonsten möchte ich dich morgen früh nicht mehr hier sehen.« Mit diesen Worten kehrte sie mir den Rücken, trat aus der Küche und ließ mich zurück, wie ich sie an dem Abend der Strandparty zurückgelassen hatte.

ZWEI

Nachdem meine Mom die Küche verlassen hatte, blieb ich noch auf meinem Platz sitzen und dachte über ihre Worte nach. Auch wenn mich die Härte ihrer Forderung getroffen hatte, konnte ich sie nachvollziehen. Die letzten Tage mussten für sie der blanke Horror gewesen sein und es war nicht fair, dass sie solche Qualen hatte durchleiden müssen.

Aber ich hatte keine andere Wahl! Ich musste Mony helfen und das Zepter finden! Sonst wäre ich jetzt tot!

Kraftlos sackte ich auf dem Tisch zusammen. Dieses Gespräch ebenso wie die Gewissheit, dass es in Zukunft nicht leichter werden würde, ließ den letzten Funken Energie in meinem Körper erlöschen.

Was soll ich nur machen? Ich kann doch nicht einfach abhauen und Mom allein lassen. Sie braucht mich genauso sehr wie ich sie! Aber wenn ich hierbleibe, ist sie in Gefahr!

Die Frage, welcher Weg der richtige war, schwebte wie ein Damoklesschwert über mir. Mir war bewusst, dass ich eine Entscheidung treffen musste, aber ich durfte diese Wahl unmöglich überstürzen. Zumindest die heutige Nacht sollte ich mir Zeit zum Nachdenken nehmen.

Schwerfällig machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Ich sehnte mich nach der Vertrautheit meiner vier Wände und der Geborgenheit meines kuscheligen Bettes. Und in ebendieses ließ ich mich wie ein geschlagener Baum fallen, sobald ich mein Reich betreten hatte. Sehnsuchtsvoll schmiegte ich mein Gesicht in das kühle Laken und tastete mit einer Hand nach der Decke, um mich darunter zu verkriechen. Doch anstatt des mit Daunen gefüllten Überwurfs bekamen meine Finger etwas anderes zu fassen, weshalb ich mit einem Mal senkrecht auf der Matratze saß.

Mit schreckgeweiteten Augen starrte ich den überraschenden Besucher an, ehe ich den braunen Plüschbären mit den warmen Knopfaugen ergriff und näher in Augenschein nahm. Seine Verarbeitung wirkte hochwertig und obwohl ich keine Ahnung hatte, woher er kam und was er in meinem Bett zu suchen hatte, verspürte ich bei seinem Anblick ein wehmütiges Gefühl.

»Wer bist du denn?«, fragte ich den Bären, der mir glücklicherweise nicht antwortete. Auf diese Art von Dachschaden konnte ich gerne verzichten. Je länger ich ihn betrachtete, desto stärker wurde der Impuls, ihn in den Arm zu nehmen. Ich presste das flauschige Tierchen fest an meine Brust und vergrub mein Gesicht in seinem weichen Fell. Der schwache Duft nach Meeresluft und Sonnencreme stieg mir in die Nase und linderte ein wenig das Gefühl von Einsamkeit in meinem Inneren.

Leider hielt dieser wohltuende Effekt nur einen kurzen Moment an, ehe er sich ins Gegenteil umkehrte und das Gefühl verstärkte, als fehlte ein Teil meiner selbst.

Ich vermisse meine Freunde so sehr!

Zwar hätte ich rein theoretisch jetzt sofort mit Killian reden können, aber diese Möglichkeit bestand eben nur in der Theorie. Zum einen war es mitten in der Nacht, zum anderen hatte ich Angst vor seiner Reaktion, wenn ich plötzlich vor ihm auftauchte. Unsere letzte Begegnung war alles andere als glücklich verlaufen und wenn ich daran zurückdachte, wie er auf den Boden gelegen und mich ungläubig angestarrt hatte, weil ich gemeinsam mit einem wildfremden Mann seine Schwester entführt hatte, wurde mir übel.

Ganz egal, was Mony in ihrem Abschiedsbrief geschrieben hat, Ian wird mir die Schuld geben, dass sein Seelenzwilling weg ist. Das weiß ich genau.

Mein Bad in Selbstmitleid wurde von einem leisen Klonk unterbrochen, das von meinem Fenster zu kommen schien. Zuerst dachte ich, es mir eingebildet zu haben, doch als es sich binnen kurzer Zeit mehrfach wiederholte, war meine Neugier geweckt und ich zwang meinen ermatteten Körper vom Bett.

Möglichst leise zog ich die Vorhänge auf und warf einen Blick hinaus in die Nacht. Trotz des hellen Mondscheins, der unseren Garten in ein unheimliches Silberlicht hüllte, konnte ich nichts erkennen. Alles lag in nächtlicher Einsamkeit vor mir.

Merkwürdig. Hat mir mein Verstand etwa einen Streich gespielt?

Es sah ganz danach aus. Doch gerade als ich mich abwenden und zurück ins Bett schleichen wollte, tauchten wie aus dem Nichts zwei glühende Smaragde auf. Ihr Anblick versetzte mich in eine Schockstarre, sodass ich nicht einmal in der Lage war, einen Schrei auszustoßen. Erst als mein Verstand ein paar Sekunden später das dazugehörige Gesicht samt blonder Haarmähne registrierte und alles zu einem Bild zusammenfügte, fiel die Anspannung von mir ab.

»Nox?« Der Name war mir vor Überraschung und Freude viel zu laut über die Lippen gekommen. Prompt schlug ich beide Hände vor den Mund und drehte mich mit angehaltenem Atem zur offenen Zimmertür herum. Aber entweder schlief meine Mom bereits oder sie hörte Musik über ihre Kopfhörer. So oder so, meine Unachtsamkeit war unbemerkt geblieben.

Schnell öffnete ich das Fenster und trat einen Schritt zurück, um Nox hineinzulassen. Frische, klare Nachtluft begleitete den Höllendiener, als er galant in mein Zimmer stieg und trotz seiner schweren Bikerstiefel fast lautlos auf dem Holzboden landete.

»Was machst du hier?«, fragte ich im Flüsterton und schlich zur Zimmertür, um sie zu schließen.

Nox antwortete nicht, sondern strich sich ein paar verirrte Strähnen aus der Stirn und sah sich neugierig in meinem Zimmer um. Obwohl er sich umgezogen hatte, trug er wie immer schwarze Jeans, ein dunkles T-Shirt und seine geliebte Lederjacke, die den vertrauten Duft eines Lagerfeuers verströmte.

»Täusche ich mich oder hast du nicht einmal davon geträumt, dass wir beide in deinem Zimmer unaussprechliche Dinge miteinander treiben?« Nox näherte sich mir mit der Anmut einer Raubkatze auf der Pirsch. Seine Augen funkelten lüstern und ich war mir sicher, dass mir mein Herz gleich aus der Brust springen würde.

»Keine Ahnung, wovon du redest.« Meine Stimme klang heiser und ich wich schrittweise zurück, bis ich mit dem Rücken gegen die Tür stieß. Bilder eines längst vergessenen Traumes tauchten vor meinem geistigen Auge auf und verstärkten das Pochen in meinem Körper. Nox und ich waren allein in meinem Zimmer gewesen, hatten in meinem Bett gelegen und unsere Körper aneinandergeschmiegt, während uns nichts außer dünne Bettlaken umhüllten.

Auf Nox’ Lippen breitete sich ein anzügliches Grinsen aus und er stellte sich so dicht vor mich, dass sein Oberkörper bei jedem Atemzug den meinen streifte. »Tze, tze, tze. Du wagst es, mich anzulügen, Kleines?« Er legte mir eine Hand an die Wange und strich mit dem Daumen über meine Unterlippe. Dabei sah er mir tief in die Augen. »Dafür werde ich dich bestrafen müssen.«

Hitze kroch meinen Hals empor und ließ meine Wangen vor Scham und Verlangen glühen, während sich alles in mir danach sehnte, dass er seine Drohung wahr machte. Und zwar jetzt sofort.

»Schade, dass wir nicht mehr lange allein sind. Sonst hätte ich mich umgehend darum gekümmert«, sprach Nox weiter, als hätte er meine Gedanken gelesen. Aber vermutlich war das gar nicht nötig. Wahrscheinlich stand mir meine Begierde ins Gesicht geschrieben.

»Nox«, wisperte ich und sein Name klang wie ein sehnsüchtiges Stöhnen, als es meinen Mund verließ. Mein gesamter Körper war von Aufregung und der Hoffnung erfüllt, dass wir dort weitermachten, wo wir vorhin aufhören mussten. Ganz egal, was er gerade gesagt hatte.

»Ja, Kleines?« Auch Nox’ Stimme war nicht mehr als ein sinnliches Raunen.

»Ich …«, begann ich, ohne zu wissen, wie der Satz weitergehen sollte. Ich wollte nicht reden. Ich wollte beenden, was wir in Mabs Verlies begonnen hatten. Sämtliche Vernunft und Gedanken einfach ausblenden und stattdessen meinem Verlangen nachgeben.

Kurzum, ich wollte Nox.

Hier und jetzt.

Mit halb geschlossenen Lidern blickte ich auf seine Lippen. Das zarte Rosé, der sinnliche Schwung, all das lud regelrecht zum Küssen ein. Und ich war mehr als gewillt, dieser Einladung nachzukommen. Doch als ich meine Hände auf Nox’ Brust legte und mich auf die Zehenspitzen stellte, um ihm näher zu kommen, ertönte ein dumpfes Geräusch auf der anderen Seite des Zimmers.

Schlagartig waren sämtliche unanständige Gedanken und Gelüste aus meinem Kopf verschwunden. Stattdessen dominierte die Frage meine Gedanken, wer uns ausgerechnet jetzt stören musste.

Der Höllendiener trat währenddessen von mir zurück und kehrte mir den Rücken. »An deinem Timing müssen wir noch arbeiten, Goldlöckchen!« Die deutlich vernehmbare Frustration in Nox’ Stimme ließ mich trotz des Schreckens schmunzeln. Offenbar war ich nicht die Einzige, die sich über die Unterbrechung ärgerte.

»Ich weiß. Ich komme zu spät. Oder besser noch, ich hätte dich gar nicht erst allein vorgehen lassen dürfen.« Adam stand mit vor der Brust verschränkten Armen am Fenster und sah uns mit einer Mischung aus Groll und Enttäuschung an. Auch er hatte sich umgezogen und trug nun eine abgeschnittene Jogginghose und ein weißes T-Shirt mit einem kiffenden Kermit-der-Frosch-Motiv. »Aber ich musste erst sichergehen, dass es Joleen gut geht und sie uns nicht stören wird. Auch wenn ich es nicht gerne sage, aber die halbe Flasche Chardonnay, die sie vorhin in ihrem Zimmer getrunken hat, hat sie völlig ausgeknockt.« Er seufzte, löste seine Arme und trat näher. »Ich weiß, dass du keinerlei Moral und Anstand besitzt, Nox. Deswegen bin ich nicht sonderlich überrascht dich in einer solchen Situation zu erwischen. Mal wieder. Aber von dir, Ave, hatte ich mehr erwartet.« Mit einem flehenden Gesichtsausdruck sah er zu mir herüber. »Du hast es mir versprochen! Muss das sein? Ich weiß, ihr habt viel zusammen durchgemacht und er hat dir das Leben gerettet, aber …« Er kratzte sich am Kinn und senkte dabei den Kopf. Als er wieder aufsah, glitt sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde zu Nox, ehe er mich abermals anschaute und sich der Anflug eines Lächelns zeigte. »Himmel, es ist Nox! Wieso ausgerechnet er?«

Auch wenn Adams Worte viele neue Frage aufwarfen, dominierte das Gefühl von Scham. Es war mir unangenehm, im Vorspann eines FSK18-Films erwischt worden zu sein.

»Jetzt reg dich nicht künstlich auf, Goldlöckchen«, sagte Nox leichthin und schlenderte auf mein Bett zu. In einer eleganten Drehung warf er sich auf die Matratze, streckte sich aus und schob seine Hände unter den Kopf. »Glaubst du wirklich, ich würde meine Belohnung einlösen, wenn ich weiß, dass du jeden Moment auftauchst? Von wegen! Wenn ich die Kleine vernasche, werde ich mir dafür sehr viel Zeit nehmen und jede einzelne Stunde genießen.« Er bedachte Adam mit einem frivolen Grinsen, woraufhin sich das Glühen meiner Wangen verstärkte.

Adam schien Nox’ Erwiderung weniger amüsant zu finden. Mit geballten Fäusten und angespannten Muskeln wandte er sich dem Höllendiener zu, als würde er sich jeden Moment auf ihn stürzen wollen. »Sag so etwas noch einmal, du dreckiger Höllenhund, und ich vergesse unseren Waffenstillstand!«

Mit geweiteten Augen und offen stehendem Mund starrte ich Adam an. Dabei waren es weniger seine vor Aggressivität strotzenden Worte, die mich derart schockierten, sondern vielmehr der Umstand, dass seine Augen in einem unmenschlichen Weiß aufgeleuchtet waren. Etwas, was ich bisher nur bei dem Höllendiener gesehen hatte.

»Nox?«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Kannst du mir bitte endlich verraten, wer oder was zum Henker Adam ist?«

***

»Das war schon beim ersten Mal nicht witzig, Kleines«, erwiderte Nox mit strenger Miene. Er sprang vom Bett auf und walzte auf mich zu. Erst dicht vor mir kam er zum Stehen. »Jetzt hör auf mit dem Mist und sag mir, dass du weißt, wer Goldlöckchen ist!« Seine Stimme klang ernst. Fordernd. Und eine Spur besorgt.

Ehe ich Gelegenheit hatte, auf seine Worte zu reagieren, gesellte sich Adam zu uns und ergriff meine Hand. Automatisch wandte ich mich ihm zu und blickte prompt in die gleiche sorgenbeladene Miene, die auch Nox präsentierte.

»Ave, bitte sag mir, dass du dir einen echt schlechten Witz mit uns erlaubst.« Die angespannte Hoffnung in Adams Stimme versetzte mir einen Stich.

Ich wollte den Mund öffnen, um etwas auf seine Worte zu erwidern, aber ich konnte es nicht. Eine Antwort war auch offenbar nicht nötig, denn mit einem lauten, qualvollen Stöhnen ließ Adam meine Hand los und taumelte mit gesenktem Kopf einige Schritte zurück. Ich sah ihm mit gerunzelter Stirn und einem Gefühl nach, als hätte mir soeben jemand das Herz aus der Brust gerissen.

Nox blickte zwischen Adam und mir hin und her. Seine anfängliche Irritation wich Fassungslosigkeit, die ihm aus sämtlichen Poren strahlte. »Was? Nein! Fuck, nein! Das ist doch nicht euer Ernst!«

Mit Augen so groß wie Untertassen schaute ich zwischen den beiden Männern hin und her. Auch wenn ich Angst vor der Antwort hatte, musste ich erfahren, was hier gerade passierte. »Könnt ihr mich bitte mal aufklären? Wieso sollte ich Adam kennen und wieso tue ich es nicht?«

»Wieso du den Harfenquäler kennen solltest?«, fragte Nox mit einer Stimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Wenn er derart ruhig und beherrscht sprach, machte er mir mehr Angst, als wenn er mich anschrie. »Weil er dein gottverdammter Schutzengel ist und wir nur wegen euer bizarren Freundschaft in diesen verfluchten Prüfungen stecken!«

DREI

»Was?«, rief ich und klang dabei wie ein erstickender Hund. »Er ist ein Engel? Mein Schutzengel?« Ungewollt flog mein Blick zu Adam, der noch immer wie ein getretenes Tier dastand und auf den Zimmerboden starrte.

Nein! Das kann nicht sein! Wenn das stimmen würde, müsste ich mich doch an ihn erinnern können!

Obwohl es mir schwerfiel, diese Neuigkeit zu glauben, wusste ich tief in meinem Inneren, dass sie der Wahrheit entsprach. Und zwar nicht nur aus dem Grund, weil Nox gar nicht in der Lage war zu lügen, sondern weil das die perfekte Erklärung für meine intensive Reaktion auf Adam war. Sicherlich waren wir durch irgendeinen Schutzengel-Schützling-Bund miteinander verwoben.

»Ja, er ist ein Himmelsdiener«, knurrte Nox und dehnte seinen Nacken, was ein Geräusch ähnlich dem von berstenden Knochen verursachte. »Genau wie ich, bevor ich rausgeworfen wurde. Du erinnerst dich doch noch an die Geschichte, die ich dir über meine Vergangenheit erzählt habe, oder?« Erneut schwang ein Hauch Sorge in seiner Stimme mit.

Ich nickte. Glücklicherweise waren Nox, unsere Gespräche und unsere gemeinsame Zeit fest in meinen Gedanken verankert.

»Dann weißt du bestimmt auch noch, dass ich neben Emilia einen anderen Engel erwähnt habe. Jemanden, der wie ein Bruder für mich gewesen war und mir alles bedeutet hat?« Sein Blick glitt bedeutungsschwanger zu Adam.

Meine Kinnlade klappte herunter und ich blickte erneut von Nox zu Adam, der wiederum mit großen Augen den Höllendiener anstarrte. Ich wusste nicht, wen von uns beiden Nox’ Worte mehr überraschten. Adam, der offenbar nicht damit gerechnet hatte, etwas Derartiges von Nox zu hören, oder mich, die bis gerade eben sicher gewesen war jedes Detail dieser Geschichte zu kennen, und nun eines Besseren belehrt wurde.

»Du bist also mein Schutzengel, hm?«, fragte ich Adam, als ich die vorherrschende Spannung nicht länger aushielt. Obwohl ich jetzt Adams wahre Identität kannte, wusste ich immer noch nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte.

»Ja, das bin ich«, erwiderte er mit einem leisen Seufzen und drehte sich zu mir herum. Der Kummer in seinen Augen war grenzenlos und ich konnte mir unmöglich vorstellen, wie sehr er unter der Situation leiden musste. »Aber das ist nicht alles, Ave. Wir waren immer mehr füreinander. Beste Freunde. Geschwister. Seelenverwandte. Wir haben zusammen Sachen erlebt, die …« Er verstummte und fuhr sich mit beiden Händen durch die Locken, gleichzeitig wandte er sich von mir ab. »Ich kann nicht fassen, dass ich dir ernsthaft erklären muss, was wir einander bedeuten«, fügte er murmelnd hinzu.

Den Blick auf den Boden gerichtet, steuerte ich mein Bett an und setzte mich auf die Kante. Gerne hätte ich Adams Schmerz mit ein paar tröstenden Worten gelindert, aber egal wie verzweifelt ich grübelte, mir wollte nichts Hilfreiches einfallen. Stattdessen fokussierte ich mich darauf, meine Emotionen und Gedanken unter Kontrolle zu bringen.

»Das ist echt harter Tobak«, sagte ich und sah auf. »Aber ich versteh nicht, wie das möglich sein kann. Wie können sämtliche Erinnerungen an eine einzelne Person verschwinden?«

»Das ist eine verdammt gute Frage, Kleines.« Nox verschränkte seine massigen Arme vor der Brust. Zwar stand er gerade mal einen halben Meter von mir entfernt, doch seine abweisende Haltung vermittelte mir ein Gefühl, als trennten uns Welten. »Bevor du in Galoai in den See gesprungen bist, war noch alles beim Alten. Also wird es wohl damit zusammenhängen.«

Ohne auf Nox’ Schlussfolgerung einzugehen, blickte ich Adam an. »Warst du auch dort? Im Feenreich meine ich.«

Adam nickte, dann stieß er völlig unvermittelt einen Fluch aus und drehte sich wieder zu mir herum. Immer wieder ballte er seine Hände zu Fäusten, als versuchte er, auf diese Art mit seinen Gefühlen klarzukommen.

»Du weißt gar nichts mehr von dem, was mich betrifft, oder?«, fragte er und sah mich mit unergründlichem Blick an. »Für dich ist es, als wären wir uns zuvor nie begegnet, richtig?« Offenbar schien er nur allmählich das Ausmaß der Situation zu begreifen.

Wortlos erwiderte ich seinen Blick. Ich wollte nicht antworten, mochte seinen Kummer nicht verstärken. Doch mein Schweigen war Bestätigung genug.

Mit einem weiteren lauten Fluch trat Adam kraftvoll gegen einen Haufen Klamotten, der achtlos auf dem Boden lag. »Klasse! Das ist wirklich spitzenmäßig!«, rief er, ehe er mit einem freudlosen Lachen Schultern und Kopf hängen ließ und wie ein zum Tode Verurteilter auf das Bett zuschlich. »Dann wäre es wohl am besten, wenn du eine kurze Zusammenfassung unserer gemeinsamen Vergangenheit erhältst.« Er setzte sich neben mich und begann, ohne mich anzusehen, mit seiner Erzählung.

Ich erfuhr, dass er mir seit meiner Geburt zugeteilt war, dass er aber erst, nachdem mein Vater meine Seele verkauft hatte und abgehauen war, als reale Person in mein Leben getreten war. Wir kannten uns demnach seit dem Kindergarten und waren angeblich von Beginn an unzertrennlich gewesen. Des Weiteren erzählte er mir, dass er das letzte Jahr bei meiner Mom und mir gewohnt hatte, jedoch wegen Nox zurück in sein altes Haus gezogen war. Er beichtete mir, dass er es gewesen war, der mir am Vorabend meines Geburtstages die Wahrheit über den Vertrag und die Prüfungen erzählt hatte, und dass er ebenso wie Nox durch meine Zustimmung mit seinem Leben an deren Erfolg gebunden sei. Dadurch hatte er aber auch seine Engelskräfte, die er mir kurz nannte und erklärte, verloren.

Ich hörte Adam gespannt zu und versuchte gleichzeitig zu entscheiden, ob ich ihm glauben sollte. Die ganze Geschichte klang so abenteuerlich, dass sie Hollywood selbst kreiert haben könnte. Aber ebenso wie Nox war er als Engel unfähig zu lügen. Zudem strahlte er mit jedem Wort, jeder Geste und jedem Blick diesen alles verzehrenden Schmerz aus, sodass es mir unvorstellbar erschien, jemand könnte dieses Leid vortäuschen.

»Wow, das ist wirklich krass!«, war meine einzige Erwiderung, als ich nach dem Plüschbären griff und ihn fest an meine Brust drückte. Erneut stieg mir der vertraute Duft eines Sommertages am Strand in die Nase und half mir, mein wild pochendes Herz zu beruhigen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Adam mich mit einem melancholischen Lächeln beobachtete.

»Was ist?«, fragte ich unsicher. Auch wenn wir früher vielleicht eine besondere Beziehung zueinander gehabt hatten, fühlte es sich merkwürdig an, von ihm auf diese vertraute Art und Weise angesehen zu werden.

»Nichts. Ich musste nur gerade an den Tag zurückdenken, an dem ich dir den Bären geschenkt habe«, antwortete Adam und sein Blick bekam etwas Nostalgisches, als er gedanklich in der Zeit zurückzureisen schien. »Es war an dem Samstag vor deinem Geburtstag. Wir waren am Pier gewesen und du hattest gedacht, ich hätte ihn bei Ghirardelli gestohlen.« Ein leises Lachen entfloh seinen Lippen. »Der Tag war einer der schönsten, den ich je mit dir erleben durfte.«

Ich erwiderte Adams Blick. Das Braun seiner Iriden erinnerte mich an flüssiges Karamell und weckte in mir ein Gefühl von Sicherheit und Zuversicht. Es war verrückt, aber mit einem Mal schienen alle negativen Empfindungen, Gedanken und Ängste zu verblassen. Dafür kämpfte sich an deren Stelle ein längst vergessener Optimismus hervor, als könnte mir mit Adam an meiner Seite nichts passieren.

Doch ehe die Wandlung vollends abgeschlossen war, wandte er sich ab und die aufkeimende Hoffnung schnellte wie ein gerissenes Gummiband ins Nichts zurück. Stattdessen eroberten Einsamkeit, Leere und Angst mein Herz zurück.

»Das war das letzte Mal, dass wir unbeschwert Zeit miteinander verbracht haben«, sprach Adam mit hörbarer Resignation in der Stimme weiter. »Am selben Abend erfuhrst du die ganze Wahrheit über den Vertrag, mein wahres Wesen und die Prüfungen.«

Ich sah ihn an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Situation erschien mir trotz all des bisher Erlebten völlig surreal.

»Ich unterbreche eure sentimentale Reise in die Vergangenheit ja nur ungern«, mischte sich Nox ein, »aber können wir uns darauf einigen, dass meine Zeit zu kostbar ist, um sie mit einem derart lapidaren Mist zu vergeuden?« Er marschierte zu meinem Schreibtisch, griff sich den Drehstuhl und setzte sich rittlings darauf. Seine Arme auf die Rückenlehne gelegt, schaute er gelangweilt zu Adam und mir. »Es ist immerhin nicht auszuschließen, dass die Kleine ihre Erinnerungen absichtlich verdrängt hat – so öde wie eure bisherige Beziehung war, könnte ihr das niemand verübeln.«

»Nox!« Empört stierte ich den gefallenen Engel an. Es war eine Sache, wenn er der Meinung war, wir würden seine ach so wertvolle Lebenszeit vergeuden. Doch die Unterstellung, ich hätte Adam absichtlich aus meinen Erinnerungen getilgt, war ein Schlag unter die Gürtellinie. »Wie kannst du so etwas Grausames nur sagen?« Schnell wandte ich mich an Adam, um ihm zu beteuern, dass Nox mit seinem Kommentar völlig falsch lag. Doch dieser beachtete mich gar nicht, sondern funkelte seinen ehemaligen Kollegen an, als wollte er ihn eigenhändig zurück in die Unterwelt befördern.

»Zur Hölle, jetzt stellt euch nicht so an. War doch nur ein Witz.« Nox rollte mit den Augen und stieß ein übertriebenes Seufzen aus. »Ihr habt echt kein Gespür für Humor.« Mit einem sachten Kopfschütteln wurde er wieder ernst. »Na schön. Dann lasst mal hören, was eurer Meinung nach der Grund für die plötzliche Amnesie der Kleinen sein könnte. Wie ich bereits sagte, gehe ich davon aus, dass ihr Tauchgang etwas damit zu tun hat.« Er fokussierte seine Aufmerksamkeit auf mich, ohne Adam und mir die Möglichkeit zu geben, ihm zu antworten. »Hast du dir im Wasser den Kopf angeschlagen oder hat dich irgendein Tier angeknabbert, ohne dass du es bisher für erwähnenswert gehalten hast?«

»Nein, weder das eine noch das andere ist passiert«, erwiderte ich angesäuert. Sein abscheulicher Kommentar wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. »Nachdem ich abgetaucht war, entdeckte ich das Zepter auf dem Grund und wollte es wie besprochen bergen.« In knappen Sätzen berichtete ich, was während meiner Zeit im Wasser geschehen war. »Dann bekam ich auf einmal keine Luft mehr und ertrank. Zumindest habe ich das zu dem Zeitpunkt angenommen.«

Nox grunzte frustriert und strich sich mit einer Hand die blonden Strähnen aus der Stirn. »Tolle Story. Wirklich. Leider bringt sie uns keinen Schritt weiter.«

»Das zwar nicht«, erwiderte Adam mit ernster Stimme, während ich Nox wütend anfunkelte. Es war nicht meine Schuld, dass sich die Lösung für unser Problem nicht auf dem Silbertablett präsentieren ließ. »Aber es ist dennoch interessant zu erfahren, dass die Prüfung offenbar gar nicht darin bestand, das Zepter zur Dryade zu bringen. Vielleicht hilft uns dieses Wissen dabei, die künftigen Aufgaben besser einzuschätzen.«

Nox erwiderte Adams Blick mit einer Mimik, die deutlich zeigte, was er von dessen Worten hielt. Dankenswerterweise sparte er sich einen Kommentar und verbarg stattdessen sein Gesicht in den Handflächen, was zu einer erholsamen Stille führte.

Wenn ich mich an Adam erinnern konnte, bevor ich ins Wasser gestiegen bin, es aber nichts mit meinem Tauchgang zu tun hat, dann liegt es vielleicht an …

»Was ist bei euch los gewesen, als ich im Wasser war?«, fragte ich und sah aufgeregt zwischen den beiden Männern hin und her. Ohne es begründen zu können, hatte ich das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. »Ich meine, vielleicht liegt die Lösung des Problems nicht in dem, was ich getan habe, sondern hat mit etwas zu tun, was euch widerfahren ist.«

Adam und Nox wechselten einen langen Blick, bevor mein Schutzengel das Wort ergriff. »Wie du nicht mehr weißt, hatte es Alyssa geschafft, mich mit ihrem Zauber unter einen Bann zu knechten«, begann er einleitend und berichtete anschließend den anderen Teil der Geschichte.

»Ihr wurdet gleichzeitig von Alyssa, Mab und ihren Feenritterarmeen angegriffen? Das ist unfassbar! Wie konntet ihr euch retten?« Die Information, dass niemand etwas über den Verbleib von Harmony oder Marron wusste, nahm ich schweren Herzens zur Kenntnis. Ich konnte nur hoffen, dass es den beiden gelungen war, sich zu retten, und dass sie nun unversehrt in ihrer Heimat weiterlebten. Ich würde es nicht verkraften, wenn die ganze Mühe, die wir auf uns genommen hatten, um Monys Leben zu retten, umsonst gewesen wäre.

»Darum geht es doch gerade, Kleines!«, unterbrach Nox meine Gedanken. »Wir konnten uns nicht retten! Adam wurde von D…« Er stockte. Sein Blick wurde hart und er presste seine Lippen zornig aufeinander. Als er weitersprach, war seine Stimmlage um einige Nuancen kälter geworden. »Er wurde von einer Winterfee aufgespießt und wir sind auf dem Schlachtfeld verreckt!«

Nach Beendigung der Erzählung herrschte eisernes Schweigen und die Atmosphäre im Zimmer wurde immer unangenehmer. Zwar hatte ich mir bereits gedacht, dass wir bei unserer Rückkehr aus dem Feenreich auf neue Hürden und Probleme stoßen würden, doch die aktuelle Lage übertraf all meine Vorstellungen.

»Okay, lasst mich das Ganze noch mal zusammenfassen«, beendete Nox die Stille und erhob sich mit stoischer Miene von seinem Platz. Mit verschränkten Armen begann er in meinem Zimmer auf und ab zu schreiten, was ihm den Eindruck eines eingesperrten Tieres verlieh. »Wir überleben die erste Prüfung, obwohl wir gestorben sind, und keiner weiß wieso. Wir landen in der realen Welt, wo sich die Kleine plötzlich nicht mehr an Adam erinnert, und wieder weiß niemand wieso.« Er blieb stehen und sah Adam und mich an. Er gab sich keine Mühe seine Gereiztheit zu verbergen. »Und neben diesen Problemen müssen wir uns auch noch der nächsten Prüfung stellen, von der – welch Überraschung! – erneut keiner von uns auch nur den Hauch einer Ahnung hat.«

»Ja, die Lage sieht gerade nicht sonderlich gut für uns aus«, gab Adam zu und erhob sich ebenfalls, »aber im Moment können wir nichts daran ändern. Deshalb sollten wir jetzt nach Hause gehen und uns ausruhen. Wir werden unsere Kräfte sicherlich bald brauchen.« Mit strengem Blick und einem Kopfnicken in Richtung Fenster wandte er sich an Nox. »Nach dir.«

Der Höllendiener erwiderte Adams Blick mit einem sarkastischen Lächeln, ehe er sich dem offenen Fenster näherte und ohne Verabschiedung oder wenigstens einen letzten Blick in meine Richtung in die Nacht verschwand.

Verblüfft starrte ich Nox hinterher, obwohl er gar nicht mehr zu sehen war. Auch wenn ich Verständnis dafür hatte, dass die neue Situation für alle ziemlich überraschend kam und Nox sicherlich Zeit zum Nachdenken und Sackenlassen benötigte, hatte ich dennoch mit etwas mehr Empathie seinerseits gerechnet. Vor allem nach dem heftigen Knistern, das vorhin zwischen uns stattgefunden hatte.

Adams leises Seufzen erinnerte mich daran, dass ich nicht allein war. »Ich weiß, du kannst dich nicht mehr an unser Gespräch über Nox erinnern, deswegen spare ich mir ein ›Ich habe dich gewarnt‹ – auch wenn es mir nicht leichtfällt.« Er stellte sich vor mich und legte mir mit einem sanften Lächeln die Hände auf die Schultern. Doch bereits im nächsten Augenblick wurde er wieder ernst. Trauer stahl sich in seinen Blick. »Es tut mir ehrlich leid, wie alles gekommen ist, Ave. Aber ich verspreche dir, wir kriegen das schon wieder hin. Vertrau mir.«

Ich nickte, zu erschöpft für eine verbale Erwiderung. Auch wenn ich Adam überhaupt nicht kannte, fiel es mir nicht schwer, seinen Worten Glauben zu schenken.

Adam nickte ebenfalls und ließ seine Hände sinken. Er wollte sich bereits zum Gehen wenden, doch dann richtete er erneut das Wort an mich. »Wie geht es Joleen eigentlich? Hast du ihr erzählt, was passiert ist? Kennt sie jetzt die Wahrheit?«

»Nein, ich habe ihr nichts gesagt.« Ich blickte an Adam vorbei in den sternenlosen Himmel. Allein die Vorstellung, meine Mom in eine Welt hineinzuziehen, die ich selbst nicht richtig verstand, die aber Qual, Leid und Tod bereithielt, verursachte mir Übelkeit. »Sie war nicht in der Verfassung für irgendeine Art von Gespräch«, fügte ich erklärend hinzu und senkte den Blick. Einen Moment lang hatte ich überlegt, die Sache mit dem Abschiedsbrief anzusprechen, mich jedoch dagegen entschieden. Für den heutigen Abend hatten wir bereits genügend Probleme besprochen. Außerdem erschien mir dieses Thema im Augenblick nicht wirklich relevant.

»Das wird wieder, Ave«, sagte Adam mitfühlend. Vermutlich bezogen sich seine Worte auf Moms Alkoholproblem, das ihm nicht fremd sein dürfte, wenn er tatsächlich bereits so lange Teil unseres Lebens war. »Sie hat schon einmal die Kurve gekriegt und wird es wieder schaffen. Das weiß ich genau. Sie ist eine starke Frau und sie liebt dich. Das darfst du nie vergessen.«

VIER

Wie lange ich wach lag, bis ich die Hoffnung aufs Einschlafen aufgab, wusste ich nicht, aber die Morgendämmerung hatte bereits eingesetzt und verwandelte den Himmel vor meinem Fenster in ein farbenfrohes Spektakel aus verschiedenen Blau- und Orangetönen. Auch wenn ich völlig übermüdet war und mein Körper sich nach Regeneration sehnte, hatte es keinen Sinn, länger liegen zu bleiben und mich den Qualen meines auf Hochtouren arbeitenden Verstandes auszusetzen. Die Zeit konnte ich besser nutzen und mich dem einen Problem widmen, dessen Lösung in meiner Hand lag.

Die Beziehung zu meiner Mom.

Adams Worte, bevor er Nox in die Dunkelheit gefolgt war, hatten mich daran erinnert, wie egoistisch und feige es wäre, einfach abzuhauen. Mom und ich waren ein Team und gehörten zusammen. Und auch wenn es viel Zeit und Geduld bedurfte, bis unser Verhältnis auch nur im Ansatz wieder der Stärke und Verbundenheit entsprach wie vor meiner Abwesenheit, war ich bereit, diese Energie zu investieren.

Unter Aufbietung all meiner Kraft zwang ich mich aus dem Bett, um den ersten Teil meines Wiedergutmachungsplanes in die Tat umzusetzen. Dabei musste ich mich irgendwie blöd bewegt haben, denn ein stechender Schmerz schoss mir in die Seite, kaum dass meine Füße den Holzboden berührt hatten.

Was zur Hölle ist das denn schon wieder?, fragte ich mich, während ich meine Hand auf den Rippenbogen presste.

Es dauerte vielleicht zwei oder drei Sekunden, ehe mir ein Gedanke kam, der mich regelrecht aus dem Bett und vor den Spiegel an meiner Zimmertür katapultierte.

Oh nein! Nein, nein, nein!

Auf einmal ahnte ich, welche Art von Schmerz mich an diesem frühen Morgen heimsuchte, auch wenn ich hoffte mich zu täuschen.

Bevor ich meinem Verdacht nachgehen konnte, fiel mein Blick auf das Mädchen im Glas. Ihre Haut war blass und mit verkrusteten Wunden und blauen Flecken überzogen. Das wasserstoffblonde Haar war strohig und wirkte eher wie ein Vogelnest als eine Frisur. Trotz der besonderen Mischung aus Marineblau und Smaragdgrün wirkten ihre Augen stumpf und leblos, was die schwarzen Ringe ihrer Tränensäcke betonte und den ungewohnten Zombielook perfektionierte.

Wow, Kate Upton ist eine Vogelscheuche gegen mich!

Die Augen verdrehend griff ich an den Saum meines XXL-Snoopy-Schlaf-T-Shirts und hob den Stoff so weit an, dass mein halber Oberkörper frei lag. Es dauerte keinen Wimpernschlag, bis ich die frische Tinte entdeckte, die sich farbenfroh von meiner hellen Haut abhob und meine schlimmste Befürchtung bestätigte.

Vielen Dank für die großzügige Verschnaufpause, dachte ich mit einem Anflug von Groll und konzentrierte mich auf das untertassengroße Tattoo. Wie auch die Fee war dieses hier bildschön und detailreich. In der Mitte eines Kreises, der aus ineinander verschlungenen Wurzeln zu bestehen schien, wuchs ein Laubbaum, dessen Blätter in einem saftigen Grün leuchteten. Seine Rinde war braun und so exakt ausgearbeitet, dass ich jedes noch so unscheinbare Astloch erkennen konnte. In der Krone befanden sich ein halbes Dutzend goldener Äpfel, die den einen purpurglänzenden in ihrer Mitte umgaben. Links neben dem Baumstamm, versteckt zwischen hohen Grashalmen, lag eine Schlange. Ihr Schuppenkleid schimmerte in einem metallischen Bronzeton und sie hatte ihre purpurfarbene Zunge zischend auf eine Frau gerichtet, die sich auf der anderen Baumseite befand. Ihr gebeugter Körper, der vermutlich so etwas wie eine betende Haltung darstellen sollte, war in ein weißes Leinenkleid gehüllt, was einen starken Kontrast zu ihren langen, braunen Haaren darstellte.

Ist das Eva im Garten Eden?

Alles deutete darauf hin, dennoch wagte ich nicht mich darauf zu versteifen. Vielleicht wollte man uns mit dieser Offensichtlichkeit in die Irre führen. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass unzählige Gedanken auf mich einströmten. Welche Todsünde war mit dem Tattoo gemeint? Welches magische Wesen würde mir bei der zweiten Prüfung begegnen? Hatte die Zeit, die uns zum Bestehen der Aufgabe zur Verfügung stand, bereits zu laufen begonnen? Standen die Äpfel womöglich für die Anzahl der Tage, in denen wir erfolgreich sein mussten? Oder gab es dieses Mal keine zeitliche Begrenzung?

Auch wenn ich mal wieder nicht wusste, was das alles zu bedeuten hatte, war ich mir zumindest in einem Punkt sicher:

Ich muss mit Nox und Adam reden. Und zwar sofort!

Entschlossen, die beiden auf der Stelle aufzusuchen, kam mir ein weiterer Gedanke, der mich innehalten ließ.

Vielleicht hat das neue Tattoo das alte ersetzt? Womöglich ist die Fee verschwunden?

Auch wenn die Wahrscheinlichkeit äußerst gering war und ich kaum auf dieses Glück zu hoffen wagte, zog ich dennoch in Windeseile mein Schlafshirt aus. Leider verpuffte der kaum entstandene Lichtschimmer in dem Moment, als ich das handtellergroße Tattoo mit der einst lebendigen Fee auf meinem Schulterblatt entdeckte.

Verfluchter Dreck! Wenigstens diesen Gefallen hätte man mir tun können.

Leider war das hier kein Wunschkonzert und meine Hoffnungen hatten nichts zu melden. Einzig und allein der Gedanke, dass wir es höchstwahrscheinlich sowieso nicht bis zur dritten Prüfung schafften und ich mich deshalb mit keinem weiteren Tattoo würde rumärgern müssen, dämpfte ein wenig meinen Groll.

Mit diesem schwarzhumoristischen Gedanken schlurfte ich in Richtung Kleiderschrank und zog die erstbesten Klamotten hervor, die mir zwischen die Finger kamen. Meine Motivation, Nox und Adam auf der Stelle von dem Tattoo zu berichten, war gemeinsam mit meiner Hoffnung zerplatzt. Aber vermutlich war das auch besser so. Weder hatte ich Lust, mich den neuen Fragen und Problemen zu stellen, die unweigerlich aufkommen würden, wenn die beiden von dem neuen Tattoo erfuhren, noch wollte ich meiner Mom mit meiner Abwesenheit eine falsche Botschaft vermitteln.

Nein, der Kampf um meine Seele musste einen Tag pausieren. Für heute hatte ich andere Pläne.

***

Zwei Stunden später trug ich vier prall gefüllte Einkaufstaschen ins Haus und lauschte nach verräterischen Geräuschen. Ich hatte zwar eine Notiz hinterlassen, dass ich einkaufen war, dennoch erleichterte es mich, dass meine Mom offenbar noch schlief und meine Abwesenheit unbemerkt geblieben war. So blieb mir Zeit, dem zweiten Teil meines Wiedergutmachungsplanes nachzukommen.

Nachdem ich die Einkäufe auf den Tisch gehievt hatte, atmete ich tief durch. Eigentlich hatte ich nur ein paar frische Zutaten besorgen wollen, aber nach einem Blick in unseren Vorratsschrank war mir nichts anderes übrig geblieben, als den halben Trader Joe’s leerzukaufen.