Allein auf Wolke Sieben - Jana Voosen - E-Book

Allein auf Wolke Sieben E-Book

Jana Voosen

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Beschreibung

Das Leben geht weiter!

Lena ist im siebten Himmel auf dem Weg zur Kirche, in der sie ihrer großen Liebe Michael das Jawort geben will. Man sollte mit Brautschuhen nicht Auto fahren, denkt sie noch, als ihr Fuß vom Bremspedal rutscht. So plötzlich sie aus dem irdischen Leben gerissen wird, so weich landet sie im Himmel. Dort arbeitet sie als Engel, der die Menschen aus dem Leben hinausbegleitet. Ist es da nicht ein schlechter Scherz, dass Michael sterben und ausgerechnet sie ihn holen soll?

Himmlische Unterhaltung von Jana Voosen.

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Seitenzahl: 324

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Inhaltsverzeichnis
 
Das Buch
Die Autorin
 
Kapitel 1
MEIN HOCHZEITSTAG 3. MAI 2003
SECHS JAHRE SPÄTER:
 
Kapitel 2
IM HIMMEL
 
Copyright
HEYNE <
Das Buch
Im Himmel lässt es sich durchaus himmlisch leben und ihr Job dort oben ist in Ordnung. Doch was nützt es Lena Kaefert, die trotz aller Annehmlichkeiten immer noch ihre große Liebe unten auf Erden vermisst. Wie grausam muss Gott sein, dass er ausgerechnet diese beiden getrennt hat? Lena hat alles versucht, sogar Beschwerdebriefe hat sie an Gott geschrieben. Genützt hat es nichts, im Gegenteil: Auf der Auftragskarte mit dem nächsten Erdenbewohner, den sie in den Himmel geleiten soll, findet sie Michaels Namen. Lena lässt sich einiges gefallen, aber das geht zu weit!
Die Autorin
Jana Voosen, Jahrgang 1976, studierte Schauspiel in Hamburg und New York. Es folgten Engagements an Hamburger Theatern. Daneben war sie in TV-Produktionen wie Tatort, Stahlnetz und Im Tal der wilden Rosen zu sehen. In der Sat1-Medi cal-Serie Klinik am Alex spielt sie die weibliche Hauptrolle. Jana Voosen lebt und arbeitet in Hamburg. Nach ihrem erfolgreichen Jugendtheaterstück Hunger und ihren fünf Romanen Schöner Lügen, Er liebt mich …, Venus allein zu Haus, Zauberküsse und Mit freundlichen Küssen ist Allein auf Wolke Sieben ihr sechstes Buch.
Für weitere Informationen über die Autorin siehe auch www.jana-voosen.de
Lieferbare Titel
Mit freundlichen Küssen - Venus allein zu Haus - Er liebt mich …
Das Leben ist schwächer als der Tod, und der Tod ist schwächer als die Liebe.
 
(Khalil Gibran)
Hamburg, den 1.12.1985
 
Lieber Herr Gott, kannst Du bitte dem Weihnachtsmann sagen, dass er mir dieses Jahr unbedingt ein Pony bringen soll? Auf Dich hört er sicher. Ich habe ihm meinen Wunschzettel geschickt, aber weil er so viel zu tun hat, vergisst er immer die Hälfte. Ich verspreche auch, mich mindestens eine Woche nicht mit meiner Schwester zu streiten.
Mit freundlichen Grüßen,
Deine Lena
Milchstraße 7, den 7.05.2009
 
Sehr geehrter Herr Gott, da Sie meine letzten vierhundertfünfunddreißig Briefe nicht beantwortet haben (die aus meiner Kindheit nicht mit eingeschlossen, obwohl diese ebenfalls ohne Antwort blieben), ersuche ich Sie hiermit nochmals dringend um einen persönlichen Termin. Dass ich das gewünschte Pony nie bekommen habe, kann ich verkraften, aber dass Sie mich vor sechs Jahren kurz vor der Hochzeit mit meiner großen Liebe Michael haben holen lassen und seitdem beharrlich eine Stellungnahme verweigern, kann und werde ich nicht akzeptieren.
Hochachtungsvoll,
Lena, geborene und leider auch gestorbene Kaefert
Kapitel 1

MEIN HOCHZEITSTAG 3. MAI 2003

»Jetzt mal ehrlich, Julia, ist das Kleid nicht ein bisschen zu …?«
»Überladen? Drüber? Teuer?«, unterbricht meine ältere Schwester mich wie aus der Pistole geschossen und grinst unverschämt von einem Ohr zum anderen. »Absolut. Aber zu dir passt es irgendwie.«
»Frechheit«, gebe ich zurück und bin kein bisschen beleidigt. Entzückt betrachte ich mich in dem mannshohen Spiegel im Schlafzimmer meiner Eltern und muss mich schwer zurückhalten, nicht vor lauter Glück und Freude loszuquietschen. Dieses Kleid ist ein Traum. Und die Braut erst. »Sissi« ist ein Dreck dagegen. Meine langen, sonst schnittlauchgeraden dunkelbraunen Haare hat Julia mithilfe von Spezialwicklern in akkurate Korkenzieherlocken verwandelt, die mein Gesicht mit den braunen, rauchig umschatteten Augen und den zart rosa geschminkten Lippen sanft umrahmen. Die fein bestickte Korsage des Kleides schmiegt sich eng an meinen Oberkörper und puscht meine eher jämmerliche Oberweite zu einem recht ansehnlichen Dekolleté hoch. Von der eng geschnürten Taille fällt der Rock in unzähligen Lagen weit und bauschig bis auf den Boden herab und endet in einer fast eineinhalb Meter langen Schleppe.
»Ich fühle mich wie in eine Wolke eingehüllt«, sage ich feierlich und streiche behutsam mit der Hand über den edlen, elfenbeinfarben schimmernden Stoff. »Am liebsten möchte ich es nie wieder ausziehen.«
»Das wäre bei dem Preis auch das einzig Sinnvolle«, kommentiert Julia trocken, während sie prüfend um mich herum geht. »Die brauchen morgen früh wahrscheinlich nicht mal den Festsaal auszufegen, du wirst den ganzen Müll in dieser monströsen Schleppe mit nach Hause tragen.« Gespielt empört stemme ich die Hände in die Hüften und sehe sie kopfschüttelnd an.
»Auch wenn du mir wie aus dem Gesicht geschnitten bist, ich weigere mich, jegliche genetische Übereinstimmung zwischen uns anzuerkennen.«
»Einer muss schließlich auf dem Teppich bleiben, Prinzessin«, meint sie grinsend und ich wende mich wieder meinem Spiegelbild zu. Ja, ich sehe aus wie eine Prinzessin. So, genau so habe ich mir das vorgestellt. Und was noch wichtiger ist als jedes Kleid der Welt: Ich habe einen echten Prinzen gefunden. Wie aufs Stichwort erklingen in diesem Moment die ersten Takte des Hochzeitsmarsches von Mendelssohn, seit Michaels Antrag sein Klingelton auf meinem Handy.
»Hey du«, säusele ich zärtlich ins Telefon.
»Na, mein Krabbelkäferchen, wie siehts aus? Du bist doch wohl nicht durchgebrannt?«, ertönt seine tiefe, immer leicht amüsiert klingende Stimme.
»Nein. Und du?«
»Ich habe mir sogar vorgenommen, pünktlich zu sein.«
»Ich habe genau das Gegenteil geplant«, kichere ich.
»Ist mir klar, du kleine Dramaqueen«, neckt er mich. »Keine Sorge, ich werde unruhig von einem Bein aufs andere treten und mich bis zur letzten Sekunde bangend fragen, ob meine große Liebe erscheinen wird.«
»Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht, wenn dann bloß ich auftauche«, grinse ich und er lacht.
»Bitte sei so nett.«
»Ich denke, ich werde es einrichten können«, sage ich großmütig. »Dann bis später.«
»Ja, bis dann. Weißt du was, mein Krabbelkäferchen?«
»Du liebst mich?«
»Das auch. Aber außerdem …« Er macht eine bedeutungsschwangere Pause.
»Ja?«
»Ich hätte nie gedacht, dass ich so was jemals sagen würde, aber ich bin wirklich gespannt auf dein Kleid.« Ich liebe diesen Mann!
 
Um halb drei machen sich meine Eltern auf den Weg zur Kirche, um kurz nach halb klingelt Oliver, Michaels bester Freund und Trauzeuge, an der Tür.
»Hi, Oli, hat alles geklappt mit dem Blumenschmuck für das Auto?«, höre ich Julia, die ihn hereinlässt, fragen und atme erleichtert auf, als er das bejaht.
»Und wo ist die Braut?«
»Hier bin ich«, rufe ich zu den beiden hinunter, raffe mit einer Hand meine Röcke und steige vorsichtig die Treppe meines Elternhauses hinunter.
»Hallo, Oli«, begrüße ich ihn strahlend, als ich unten angekommen bin und genieße seinen fassungslosen Gesichtsausdruck.
»Ich … äh … hallo, also, wenn ich das so sagen darf: wow!«
»Danke«, lächele ich geschmeichelt.
»Sag mal, warst du immer schon so groß?«, erkundigt er sich und Julia lacht.
»Nein, das liegt an ihren Schuhen. Komm schon, zeig ihm deine Schuhe«, fordert sie mich auf und ich strecke meinen Fuß unter dem Kleid hervor, der in einer zierlichen Riemchensandale aus weißem Satin steckt, mit einem Neun-Zentimeter-Absatz.
»Ah, das erklärt einiges«, nickt Oli verstehend, während Julia unkt: »Spätestens nach dem Sektempfang kannst du in den Dingern nicht mehr stehen, wetten?«
Ich ignoriere ihren blöden Kommentar heldenhaft und wende mich stattdessen an Oliver, der übrigens in seinem schwarzen Smoking mit dem rosafarbenen Hemd ebenfalls klasse aussieht.
»Schick«, lobe ich ihn, »an dir ist ja ein James Bond verloren gegangen.«
»Danke.« Er wird ganz rot und fährt sich durch das kurz geschnittene, blonde Haar.
»So, wollen wir dann noch schnell einen Kaffee trinken?«, frage ich aufgeräumt und er sieht erst mich, dann seine Armbanduhr an.
»Wir sollten besser los.«
»Ach was, wir haben massig Zeit, die Kirche ist doch nur fünf Minuten entfernt.«
»Schon, aber es ist doch schon Viertel vor und …«
»Glaub nicht, dass meine kleine Schwester vorhat, auch nur eine Minute früher als um fünf nach drei zu ihrer eigenen Hochzeit zu erscheinen«, wirft Julia grinsend dazwischen, was den armen Mann vollends in Verwirrung zu stürzen scheint.
»Ja, aber die Trauung beginnt doch schon um drei«, meint er ratlos und sieht mich hilfesuchend an. Ich tätschele lässig seinen Arm und flöte: »Ohne mich beginnt sie sicher nicht.«
»Da hat sie zweifelsohne Recht, nicht wahr?«
»Ja, aber, wieso …?«, stammelt Oliver.
»Das ist doch nicht so schwer«, sagt Julia in einem Tonfall, als spräche sie mit einem begriffsstutzigen Maultier, »sie möchte den Bräutigam ein bisschen zappeln lassen.« Über so viel weibliche Unverfrorenheit bleibt Oli der Mund offen stehen. Er sieht mich an, als sei ich der Teufel selbst, so dass ich beschwichtigend sage: »Es sind doch nur fünf Minuten.«
»Was heißt hier nur fünf Minuten?«, regt er sich auf. »Kannst du dir vorstellen, wie lang diese fünf Minuten sind, wenn man auf die Frau seines Lebens wartet? In einer Kirche mit hundert Gästen, die einen anstarren? Ganz alleine vorne am Altar? Du liebe Güte, wenigstens ich als sein Trauzeuge sollte bei ihm sein.«
»Du wolltest ja unbedingt fahren«, gebe ich spitz zurück.
»Ja, damit ich sicher sein kann, dass du pünktlich bist.«
»Ich will jetzt einen Kaffee«, sage ich von oben herab und wende mich Julia zu, die unserer Konversation mit einem breiten Grinsen lauscht.
»Du magst gar keinen Kaffee, Süße«, sagt sie sanft und ich schüttele störrisch den Kopf.
»Jetzt will ich einen. Oder wenigstens ein Glas Prosecco«, schwenke ich um, weil mir gerade noch rechtzeitig einfällt, dass ich von Kaffee tatsächlich immer schreckliche Bauchschmerzen bekomme. »Das beruhigt die Nerven.«
»Du hast doch Nerven wie Drahtseile«, ätzt Oli und ich funkele ihn wütend an.
»Ich hole dir ein Glas«, erklärt meine Schwester ungewohnt friedfertig und verschwindet in Richtung Küche.
»Können wir danach bitte fahren?«, schlägt Oli jetzt einen anderen Ton an, »ich möchte mich wirklich nicht mit der Braut streiten, aber versteh doch, Michael ist mein bester Freund.«
»Weiß ich doch«, begrabe auch ich das Kriegsbeil. »Falls es dir bisher entgangen sein sollte, ich kann ihn auch recht gut leiden.« Damit zwinkere ich Oli spitzbübisch zu und stürze den Prosecco in einem Zug hinunter. Ups, mir wird ganz warm im Bauch, vielleicht hätte ich doch etwas frühstücken sollen. »Dann wollen wir mal.«
Mit einiger Mühe verfrachten wir mich samt meinem üppigen Brautkleid auf dem Rücksitz des mit einer Rosengirlande geschmückten, schwarzen BMW. Kaum ist Julia auf der anderen Seite eingestiegen, drückt Oli aufs Gas.
»Sei so nett und bring uns lebend ans Ziel«, ruft sie empört und klammert sich am Haltegriff fest.
»Hauptsache pünktlich«, kommt es zurück. Ich halte mich ebenfalls gut fest und sehe aus dem Fenster in den klaren, tiefblauen Himmel hinauf. Was für ein traumhafter Tag! Die Maisonne schickt ihre wärmenden Strahlen wie einen vorzeitigen Hochzeitsgruß. Gerade durchfahren wir die frühlingsgrüne Allee in Richtung Kirche. Vögel zwitschern in den Baumkronen, ein lauer Wind streicht durch die Blätter. Es ist alles genau so, wie frau es sich für ihren Hochzeitstag erträumt.
»Da oben meint es jemand wirklich gut mit euch«, sagt Julia und ich nicke. Dies verspricht ein absolut perfekter Tag zu werden. Und ein perfekter Start in ein perfektes Leben mit dem perfekten Mann. Ich spüre das Blut in meinen Adern rauschen, wenn ich daran denke, dass ich in weniger als einer halben Stunde tatsächlich verheiratet sein werde. Nun gut, streng genommen bin ich das ja bereits. Schließlich haben wir schon gestern auf dem Standesamt die Ringe getauscht, sie aber gleich darauf wieder abgenommen und bei Oliver in Verwahrung gegeben. Für mich hatte dieser Behördengang nichts mit der eigentlichen Hochzeit zu tun. Ein stickiger Raum, in dem es nach muffigem Teppich und einem Hauch von Schimmel riecht, ein Beamter, der seinen Text runterrattert, Zettel, die man unterschreibt, als würde man eine Waschmaschine kaufen, nein, das alles passt für mich nicht zu Liebe und Romantik. Und auch den Namen Sintinger werde ich erst annehmen, nachdem ich vor Gott und der Welt Michaels Frau geworden bin. Selbst wenn ich dafür noch mal zum Standesamt latschen muss. In einiger Entfernung erklingt Glockengeläut, einmal, zweimal, dreimal.
»Ich habe Michael übrigens am Telefon schon gesagt, dass ich ein paar Minuten später komme«, gebe ich in Olis Richtung Entwarnung. »Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen.«
»Ich kapier’s trotzdem nicht«, grummelt der vor sich hin. »Aber jetzt sind wir ja da.« Und tatsächlich. In diesem Moment erscheint vor uns die kleine, weiße Hochzeitskirche mit den bunten Fenstern und den blühenden Rhododendronbüschen drumherum. In der strahlenden Nachmittagssonne ist sie sogar noch schöner, als ich sie in Erinnerung habe. Das Portal steht weit offen, im Vorraum entdecke ich meinen Vater, der darauf wartet, mich zum Altar zu führen. Er winkt mir zu und ich winke zurück. Ansonsten ist der Kirchenvorplatz wie ausgestorben. Sämtliche Gäste befinden sich schon im Inneren und warten. Auf mich. Die Braut. Mein Herz beginnt aufgeregt zu pochen.
»Verdammt, jetzt ist hier natürlich kein Parkplatz mehr«, flucht Oli durch die Zähne hindurch und wirft mir über den Rückspiegel einen giftigen Blick zu.
»Weißt du was? Du kannst wirklich von Glück sagen, dass ich so ruhig bin und nicht das geringste Anzeichen von Panik oder kalten Füßen zeige. Ansonsten wärst du mit deiner Aufgabe hoffnungslos überfordert.«
»Dann wäre ich ja auch noch hier«, wirft Julia ein. »Also keine kalten Füße?«
»Überhaupt nicht.« Ich strahle sie an. »Ich werde gleich da reingehen und den tollsten Mann der Welt heiraten.«
»Falls wir irgendwann einen Parkplatz finden«, unkt Oli, dessen Gesichtsfarbe mittlerweile ins Purpurrote gewechselt hat, während er Runde um Runde um die Kirche dreht.
»Stell dich doch da in die Einfahrt«, schlage ich vor und deute mit dem Finger in Richtung eines rot gestrichenen Garagentors.
»Willst du nachher zu Fuß zum Empfang laufen?«, fragt er mich. »In den Schuhen?«
»Die werden doch nicht das Brautauto abschleppen«, sage ich wegwerfend.
»Aber das hier ist ein Firmenwagen«, gibt er noch zu bedenken und ich kann förmlich sehen, wie es in seinem Gehirn rattert. Schließlich entscheidet er, dass es im Moment nichts Wichtigeres gibt, als endlich zu Michael zu eilen und ihm in dieser schweren Stunde zur Seite zu stehen. Also parkt er den Wagen und hält mir die Tür auf.
»Wenn du nichts dagegen hast, laufe ich schon mal vor und sage Michael, dass du jetzt da bist. Dass alles in Ordnung ist und du, also, dass du gleich kommst. Das tust du doch, oder? Ich kann ihm sagen, dass du in drei Minuten da bist?« Verwundert sehe ich ihn von unten herauf an. Dem Armen stehen die Schweißperlen auf der Stirn und er atmet kurz und stoßweise.
»Ja«, sage ich mit meiner sanftesten Stimme und nehme seine Hand, die er mir hilfreich entgegenstreckt. »Es ist alles in bester Ordnung. Ich komme gleich nach. Ich werde nicht ausreißen.«
»Alles klar. Gut. Dann renne ich mal. Schließt ihr bitte ab?« Damit wirft er Julia über das Wagendach die Autoschlüssel zu, die diese geschickt auffängt.
»Gut. Bis gleich. Ach, warte noch kurz, Oli«, rufe ich ihm hinterher.
»Ja?«
»Hast du die Ringe?« Für den Bruchteil einer Sekunde sieht er mich so entsetzt an, dass es auch um meine Ruhe geschehen ist. Doch gleich darauf fasst er sich an die Brusttasche und seine Gesichtszüge entspannen sich.
»Klar, ich hab sie. Dann bis gleich.«
»Ja, bis gleich«, krächze ich heiser. Muss der mich so erschrecken? Ich lege die Hand auf meinen Brustkorb und versuche, tief ein- und auszuatmen, was bei der Enge der Korsage gar nicht so einfach ist.
»Alles okay, Schwesterherz?«, erkundigt sich Julia aufgeräumt und plötzlich läuft ein Adrenalinstoß durch meinen Körper. Nein, es ist gar nichts okay! »Du bist ja plötzlich rot wie eine Tomate«, stellt meine Schwester erschrocken fest. »Was ist denn?« Aber ich habe keine Zeit, mich um sie zu kümmern. Stattdessen drehe ich mich so schnell, wie es mir in meinem umfangreichen Kleid möglich ist, um und krabbele zurück auf die Rückbank des Wagens, schiebe meine Hand zwischen die Sitzkissen, durchstöbere den Fußraum. »Lena, was um alles in der Welt machst du da?«, ruft Julia, bis ich schließlich wieder aus dem Auto auftauche und mich ihr unglücklich zuwende. »Wozu habe ich mir eigentlich die Mühe gemacht, deine Schnittlauchlocken aufzudrehen?«, schimpft sie mich aus und beginnt, an meinen Haaren herumzuzupfen, doch mein Gesichtsausdruck lässt sie erstarren. »Was ist?«, fragt sie zum wiederholten Mal. »Sag nicht, dass du jetzt doch kalte Füße bekommst.«
»Schlimmer«, sage ich düster, »ich habe Omis Kette verloren.«
 
Ein paar Sekunden stehen wir einfach nur voreinander und sagen kein Wort. Dann bricht Julia das Schweigen: »Mist.«
»Kann man wohl sagen.«
»Bist du sicher, dass du sie umgelegt hast?« Irritiert sehe ich sie an.
»Wieso ich? Du hast mich doch angezogen.«
»Aber nicht die Kette. Oh, ich weiß, ich wollte sie gerade vom Frisiertisch nehmen, als es an der Tür geklingelt hat und Oli gekommen ist.«
»Oli, natürlich«, murmele ich ärgerlich, als ob er was dafür könnte. Dann fange ich unvermittelt an zu heulen. »Nicht, hör auf zu weinen«, versucht Julia mich zu beruhigen und zückt ihr Taschentuch. »Immerhin heißt das, dass du sie nicht verloren hast. Sie liegt zu Hause auf dem Frisiertisch.«
»Das eine ist so schlimm wie das andere«, schluchze ich hysterisch. »Ich kann ohne diese Kette nicht heiraten, das weißt du doch. Seit Generationen tragen die Frauen in unserer Familie bei der Trauung diese Kette.«
»Beruhige dich doch«, fleht meine Schwester und tupft vorsichtig mein Gesicht ab. »Denk doch an dein schönes Make-up.« Vor lauter Verblüffung höre ich auf zu weinen. »Na also, es geht doch«, meint sie zufrieden. »Und nun geh schon mal vor, ich fahre rasch nach Hause und hole die Kette, kein Problem.«
»Aber das dauert ja mindestens eine Viertelstunde«, schniefe ich und sie zuckt die Schultern.
»So lange muss der Bräutigam es noch aushalten, bevor er ein ganzes Leben mit dir bekommt«, sagt sie bestimmt und schickt sich an, in das Auto zu steigen.
»Das geht nicht«, sage ich nachdrücklich und Olivers Worte klingen mir im Ohr. Fünf Minuten können eine Ewigkeit sein, wenn man auf seine große Liebe wartet. Kurz entschlossen stöckele ich meiner Schwester hinterher und hindere sie daran, die Autotür zu schließen. Dabei werfe ich einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Zehn nach drei. Entschlossen greife ich Julias Arm und ziehe daran. »Bitte lauf in die Kirche und sag Michael Bescheid«, sage ich bestimmt.
»Süße, ich bin doch gleich wieder da.«
»Trotzdem«, drängele ich. »Es ist zehn nach. Der Gag an der Sache ist vorbei.« Sie steigt zögernd aus dem Auto und sieht mir fest in die Augen.
»Lena, jetzt mach nicht so ein Drama daraus. Michael wird nicht eine Sekunde daran zweifeln, dass du auftauchst.«
»Umso schlimmer, dann wird er denken, mir ist was passiert«, sage ich plötzlich erschrocken.
»Auf den dreihundert Metern vom Auto zur Kirche?«, fragt Julia ungläubig, doch mein unerbittlicher Gesichtsausdruck lässt sie schließlich einlenken. »Na gut, dann sag ich ihm schnell Bescheid«, seufzt sie ergeben, »auch wenn wir dadurch noch mal zehn Minuten verlieren. Bin gleich wieder da.« Ich sehe ihr hinterher, wie sie, so schnell es ihre hohen Absätze zulassen, in ihrem pastellgrünen Brautjungfernkleid davoneilt und blicke wieder sorgenvoll auf die Uhr. Viertel nach. Eigentlich sollte ich jetzt schon so gut wie verheiratet sein. Ich spüre, wie der Schweiß mir aus allen Poren bricht. Siedendheiß fällt mir ein, dass wir für den Gottesdienst nur eine Dreiviertelstunde Zeit haben, weil die nächste Trauung bereits für vier Uhr angesetzt ist. Kurz entschlossen steige ich auf den Fahrersitz. Mit einiger Mühe gelingt es mir, die mich umgebenden Stoffmassen ebenfalls im Auto unterzubringen und die Tür zu schließen, bevor ich mit quietschenden Reifen Vollgas gebe.
 
Sehr viel schneller als erlaubt heize ich über die Elbchaussee, auf der heute zum Glück trotz des schönen Wetters ausnahmsweise mal kein Stau ist. Schon wieder scheint es jemand gut mit mir zu meinen. Wie konnte ich nur so blöd sein, die Kette meiner Oma zu vergessen? Vor meinem inneren Auge erscheint ihr gutmütiges, faltiges Gesicht, dem man ansah, dass sie in ihrem Leben sehr viel mehr gelacht als geweint hat. Sie war siebenundachtzig Jahre alt, als sie vor vier Jahren starb. Das war kurz nachdem ich Michael kennen gelernt hatte. Nachdem ich ihn ihr vorgestellt hatte, nahm sie mich beiseite und gab mir die Kette, ein eng anliegendes Kollier aus unterschiedlich großen Perlen mit einem Saphir-Anhänger.
»Diese Kette hat schon meine Urgroßmutter an ihrer Hochzeit getragen. Sie wird von Generation zu Generation weiter vererbt und ich möchte, dass du sie trägst, wenn du diesen Mann da draußen heiratest, damit eure Ehe so glücklich wird wie meine.« Bei der Erinnerung daran kommen mir erneut die Tränen. Meine Oma wusste schon damals, dass Michael der Richtige für mich ist. Nervös sehe ich auf die Uhr. Fünfzehn Uhr zwanzig. Als ich wieder hochschaue, sehe ich den dunkelblauen Jeep direkt auf mich zukommen. Plötzlich geht alles ganz schnell. Ich reiße das Steuer herum, will bremsen, rutsche mit meiner glatten Sohle vom Pedal ab und spüre einen scharfen Schmerz in meinem Fuß. Ein Knacken hallt in meinen Ohren wider und ich kann nicht zuordnen, ob es mein Fuß oder der Absatz meines Brautschuhs ist, der gebrochen ist. Noch während ich mich frage, was schlimmer wäre, höre ich es krachen.

SECHS JAHRE SPÄTER:

»Finden Sie nun immer noch, dass das Leben, oder vielmehr der Tod, ungerecht zu Ihnen ist?«, beende ich meine Geschichte. »Nach neunzig erfüllten Jahren mit, wenn ich das richtig sehe«, ich lasse meinen Blick durch das vollgestopfte Krankenzimmer schweifen, »drei Kindern und sieben Enkeln?« Herausfordernd sehe ich auf den weißhaarigen Mann nieder, der umringt von seinen Angehörigen im Bett liegt und sich seit vierzehn Stunden beharrlich weigert, seinen letzten Atemzug zu tun. Vierzehn Stunden stehe ich hier schon herum, rede mir den Mund fusselig, dass er endlich loslassen und mit mir kommen soll. Bisher ohne Erfolg. Ich bin erschöpft. So müde, dass ich Wilhelm Küster, so heißt er, schließlich sogar von mir selbst erzählt habe. Von meinem eigenen Tod. Das war vielleicht nicht unbedingt sehr professionell von mir, aber langsam bin ich einfach mit meinem Latein am Ende. Nach einem langen, anstrengenden Tag in diesem stickigen Krankenhaus sehne ich mich danach, endlich wieder in den Himmel zurückzukehren. Und das, obwohl ich immer noch nicht gerade ein Fan meiner neuen Bleibe bin, die ich seit sechs Jahren bewohne. Dennoch, irgendetwas muss sich doch jetzt einmal bewegen. Wie lange soll ich denn noch hier herumstehen? »Also, was ist?«, wende ich mich Wilhelm zu und meine Stimme klingt geradezu flehentlich. Seine ausgemergelte Gestalt ist unter der Decke kaum auszumachen, die Lungen rasseln bei jedem Atemzug, aber in den steingrauen Augen, mit denen er mich mustert, glimmt noch immer der Lebenswille. »Nun?«, hake ich nach und er stößt ein heiseres Lachen aus.
»Dafür, dass sie ein Produkt meiner Phantasie sind, war das eine wirklich rührende Geschichte«, sagt er stumm, so dass nur ich ihn hören kann. Fängt das schon wieder an? Ich dachte, das hätten wir schon vor Stunden geklärt.
»Ich bin hier, um Sie abzuholen«, wiederhole ich und komme mir langsam vor wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat. »Ich bin …«
»Ein Todesengel, ja doch, sicher!« Wer hätte gedacht, dass ein Mensch, der kaum genug Kraft für seinen nächsten Atemzug hat, noch zu solch beißendem Spott fähig ist?
»Nun, ich bevorzuge den Ausdruck Helfer, aber wie Sie mich nennen, ist natürlich allein Ihre Sache«, entgegne ich frostig.
»Ich glaube Ihnen kein Wort. Das bilde ich mir doch bloß alles ein, weil ich hoffe, meine Annie wiederzusehen.« Plötzlich sieht er sehr unglücklich aus und mein Ärger schwindet.
»Sie haben Verwandtschaft oben«, frage ich mitfühlend.
»Meine Frau«, nickt er schwach und murmelt mit flatternden Lidern: »Na gut, ich komme mit. Aber wehe, Sie sind gleich nicht mehr da.« Er wirft mir einen letzten grimmigen Blick zu und schließt die Augen. Ich kann einen Seufzer der Erleichterung nicht unterdrücken, während ich beobachte, wie Wilhelm Küster seinen letzten Atemzug tut. Plötzlich wird es still im Raum. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Alle starren mit weit aufgerissenen Augen auf den Sterbenden. In diesem Augenblick tritt ein dunkelhaariger Mann mit markantem Kinn und athletischem Körperbau an mich heran. Verstohlen beobachte ich ihn von der Seite. Auch nach Jahren in diesem Job fasziniert es mich immer wieder, wenn die Seele eines Menschen sich von ihrem Körper löst. Außer den durchdringend grauen Augen hat mein Gegenüber nichts gemein mit der leblosen Gestalt, die er im Krankenbett zurückgelassen hat. Er wirkt jung und dynamisch und sieht mich misstrauisch an.
»Sie sind ja tatsächlich noch da,« stößt er hervor.
»Selbstverständlich«, nicke ich. »Ich bin hier, um Sie nach oben zu begleiten.«
»Nach oben? Wie meinen Sie das, etwa in den Himmel?«
»Genau.« Ungläubig schüttelt er den Kopf, sieht an sich herunter und stößt einen leisen Pfiff aus.
»Was ist denn mit mir passiert? Ich sehe aus, als wäre ich dreißig.«
»Das liegt daran, dass Sie Ihren Körper abgestreift haben. Und die Seele unterliegt keinem Alterungsprozess«, erkläre ich ihm geduldig, während er seine jungenhaften Hände mit den altersfleckigen Exemplaren seiner leblosen Überreste vergleicht.
»Das ist doch nicht zu fassen«, entfährt es ihm. »Das heißt, es geht wirklich weiter?«
»Immer weiter«, bestätige ich und ein Lächeln breitet sich auf seinem markanten Gesicht aus. Seine Zähne sind ebenmäßig und strahlend weiß.
»Das hätte ich nicht für möglich gehalten«, sagt er und beginnt unvermittelt, in sich hineinzukichern.
»Das sagten Sie bereits«, erwidere ich und sehe ihn ein wenig befremdet an. Sicher, vielleicht muss nicht jeder auf den eigenen Tod so empfindlich reagieren wie ich damals, aber ein wenig Mitleid mit seinen schluchzenden Verwandten könnte der Mann schon haben. Aber es ist nicht meine Aufgabe zu urteilen. Deshalb bemühe ich mich um einen neutralen Tonfall: »Vielleicht möchten Sie sich von Ihrer Familie verabschieden, bevor wir gehen?« Er wirft einen Blick auf seine Kinder und Enkel und sagt: »Das habe ich schon den ganzen Tag getan. Ausgiebigst! Jetzt möchte ich zu meiner Frau! Sie wartet bestimmt schon auf mich.«
 
Auf dem Weg nach oben versuche ich Wilhelm vergeblich klarzumachen, dass es durchaus möglich ist, dass seine Frau, die er zärtlich Annie nennt, bereits ein neues Leben begonnen hat. Zehn Jahre sind schließlich eine lange Zeit. Aber davon will er nichts hören.
»Ich weiß, dass sie auf mich gewartet hat«, sagt er in einem so bestimmten Tonfall, dass ich verstumme. Na gut, wenn er meint. Ich wollte ja nur nicht, dass er sich falsche Hoffnungen macht.
»Für jemanden, der bis eben noch nicht einmal an ein Leben nach dem Tod geglaubt hat, sind Sie aber jetzt ziemlich überzeugt«, kann ich mir dennoch nicht verkneifen, und er zuckt mit den Schultern.
»Annie wusste, dass es weitergeht. Sie hat ständig davon geredet. Ich hätte auf sie hören sollen, dann wären die letzten zehn Jahre leichter gewesen.«
 
Er hatte Recht. Obwohl ich den ganzen Tag auf den Beinen war, hat er mich nach unserer Ankunft im Himmel gezwungen, mit ihm zum Seelenmeldeamt zu gehen, um dort nach der Adresse seiner Annie zu forschen. Und weil er sich hier oben nicht auskennt, musste ich ihn natürlich auch dorthin begleiten. Zwar hat mich die rührende Wiedervereinigung der beiden etwas entschädigt, doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass ich in dieser Nacht mal wieder zu wenig Schlaf bekommen habe.
Schlaftrunken wälze ich mich am nächsten Morgen auf die andere Seite und versuche den erbarmungslosen Sonnenstrahlen zu entkommen, die durch die geschlossenen Lider auf meine Netzhaut brennen und dem Körper, oder wie auch immer man das hier oben nennt, unmissverständlich zu verstehen geben, dass es nun vorbei ist mit der Nachtruhe. Ich habe keine Jalousien oder Gardinen, die das Licht aussperren. Ich lebe ganz im Einklang mit der Welt. Dem Himmel. Aber auch nach sechs Jahren habe ich mich noch nicht daran gewöhnt, mit der Sonne aufzustehen. Unten war ich ein erklärter Langschläfer. Ein Morgenmuffel bin ich hier auch noch. Ich bin so müde. Missmutig tapse ich zum Fenster meines Schlafzimmers und blinzele träge zum Horizont in Richtung des flammenden Feuerballs. Auch in den anderen Häusern erwachen die Seelen langsam, ich will nicht sagen »zum Leben«, denn das wäre polemisch. Am mir direkt gegenüberliegenden Fenster erscheint jetzt mein Nachbar Thomas und winkt mir fröhlich zu.
»Guten Morgen«, ruft er herüber, »wir sehen uns gleich!« Ich nicke zur Antwort. Thomas und ich arbeiten nämlich in derselben Abteilung der »Soulflow GmbH«. Nur dass er dort in der Verwaltung beschäftigt und für die Vergabe und Archivierung der Aufträge verantwortlich ist, während ich selbst als Helfer arbeite. Einen langweiligen Schreibtischjob hatte ich schließlich unten schon und da hat er mir auch nicht gefallen. Allerdings war mir das nicht so wichtig. Schließlich hatte ich ja Michael.
»Was ist denn los mit dir?«, ruft Thomas herüber und ich blicke auf.
»Nichts, wieso?«
»Deine Aura ist plötzlich ganz dunkel geworden.«
»Ist schon gut«, wehre ich ab und versuche, den Gedanken an meinen ehemaligen Verlobten und die damit unweigerlich aufkommende Traurigkeit zu verdrängen. Schon spüre ich, wie es um mich herum wieder heller wird, während ich ins Bad gehe und in meine Duschwolke steige. Eine ganze Weile bleibe ich hier, lasse mich von dem feinen Wassernebel beleben, genieße das Britzeln und die angenehme Kühle. Mit geschlossenen Augen denke ich an meinen Auftrag von gestern und frage mich, wie es Wilhelm wohl in seiner ersten Nacht im Himmel ergangen ist. Meine Gedanken schweifen zurück zu meiner eigenen Ankunft vor sechs Jahren, ziemlich genau drei Monate nach dem Autounfall, der mich ins Koma fallen ließ …
Kapitel 2

IM HIMMEL

»So, hier sind wir. Ein besonders schönes Haus«, sagt mein Helfer und sieht mich Beifall heischend an. Ich fühle mich noch immer wie betäubt und würdige das strahlend weiße Gebäude kaum eines Blickes. Theo, der mich hergebracht hat, öffnet die Türe und macht eine einladende Geste. Ich trotte lustlos vor ihm her in meine neue Wohnung und bin einen kurzen Moment überrascht. Von innen wirkt sie nämlich viel größer, als ich das von außen angenommen hätte. Ich stehe mitten in einem leeren Raum mit sehr hohen Decken, dessen weiße Wände warm schimmern. Fragend sehe ich Theo an und bemerke erst jetzt, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Nur mühsam hält er die Augen offen, die tief in ihren Höhlen liegen. Plötzlich wird mir bewusst, dass mein Tod auch für ihn nicht leicht war. Deshalb nicke ich ihm zu und bringe mühsam hervor: »Danke. Es ist sehr schön. Dann auf Wiedersehen.«
»Soll ich dir nicht noch erklären …?«
»Nein danke«, unterbreche ich ihn mitten im Satz und schüttele den Kopf. »Ich wäre jetzt gerne ein bisschen allein.«
 
 
Vollständige Taschenbucherstausgabe 05/2009
Copyright © 2009 by Jana Voosen Copyright © 2009 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagillustration: © Dorling Kindersley; Floresco Productions/ OJO Images/Getty Images
eISBN : 978-3-641-03401-6
 
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