Und Eva sprach ... - Jana Voosen - E-Book

Und Eva sprach ... E-Book

Jana Voosen

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Beschreibung

Adam und Eva. Und ich.

Seit fünf Jahren sind Evi und Alexander ein Paar. Alles könnte so schön sein. Wenn da nicht Evis Schwäche für hübsche Männer wäre, für die sie allzu leicht entflammt. Von Reue gebeutelt sucht sie Hilfe bei einem Therapeuten, der Evi in einer Hypnosesitzung weiter zurückschickt als geplant, nämlich mitten hinein ins Paradies. Dorthin, wo die weiblichen Schuldgefühle ihren Ursprung haben. Aber war die Sache mit dem Apfel tatsächlich so, wie sie im meistgelesenen Buch der Welt überliefert wird?

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Seitenzahl: 404

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ZUM BUCH

Seit ihrer Fremdknutscherei auf einer Betriebsfeier trägt Pastorentochter Evi das Büßerhemd. Mit allen Mitteln versucht sie, ihre Beziehung zu Alex zu retten – selbst wenn das bedeutet, sich seinem Wunsch nach ländlicher Idylle zu beugen und in ein Kuhdorf vor den Toren Hamburgs zu ziehen. Hier sagen sich Fuchs und Hase Gute Nacht und die Männer sind entweder vergeben oder hässlich oder beides. Soweit die Theorie. Doch ausgerechnet Nachbar Joshua ist ein Bild von einem Mann und stellt Evis Treueschwur erneut auf eine harte Probe. Jetzt ist guter Rat teuer und den sucht Evi an einem Ort, wo man sich mit Versuchungen bestens auskennt: Dem Paradies.

Urkomisch und clever: Was haben uns Adam und Eva wirklich zu sagen?

ZUR AUTORIN

Jana Voosen, Jahrgang 1976, studierte Schauspiel in Hamburg und New York. Es folgten Engagements an Hamburger Theatern. Seitdem war sie in zahlreichen TV-Produktionen (»Tatort«, »Marienhof«, »Hochzeitsreise zu viert« u. a.) zu sehen. Jana Voosen lebt und arbeitet in Hamburg.

LIEFERBARE TITEL

Er liebt mich …

Zauberküsse

Mit freundlichen Küssen

Allein auf Wolke Sieben

Zauberküsse

Prinzessin oder Erbse?

Liebe mit beschränkter Haftung

Pantoffel oder Held?

JANA VOOSEN

UND EVA SPRACH ...

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Originalausgabe 11/2014

Copyright © 2014 by Jana Voosen

Copyright © 2014 by Wilhelm Heyne Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Anne Tente

Umschlaggestaltung: © Eisele Grafik-Design, München

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-14479-1

www.heyne.de

»Bedenkt dabei vor allem dies: Keine Weissagung der Schrift darf eigenmächtig ausgelegt werden; denn niemals wurde eine Weissagung ausgesprochen, weil ein Mensch es wollte, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben Menschen im Auftrag Gottes geredet.«

2. PETRUS 1, VERS 20-21

1.

Schon als kleines Kind war ich leicht zu beeindrucken.

»Evi ist sehr begeisterungsfähig und geht offen auf ihre Mitschüler zu«, stand in meinem ersten Zeugnis. Aber auch: »Manchmal leidet darunter ihre Konzentrationsfähigkeit und der Wille, ein begonnenes Projekt auch zu Ende zu führen. Sie lässt sich leicht ablenken und neigt zu Sprunghaftigkeit.« Wenn meine Grundschullehrerin Frau Kupfer wüsste, wie sehr sie mit dieser Beschreibung den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Auch heute, fast dreißig Jahre später, bin ich noch leicht entflammbar. Dazu braucht es nicht viel. Ein markantes, von einem leichten Bartschatten überzogenes Kinn und ein Blick aus vorzugsweise hellen Augen mit dichten Wimpern, so, wie mein Gegenüber in der U-Bahn ihn mir gerade zuwirft, und schon ist es um mich geschehen. Meine Freundin Corinna behauptet, ich sei in dieser Beziehung geradezu männlich. Mein Sexualtrieb scheint unmittelbar mit meinem Sehnerv verbunden zu sein. Was jetzt nicht bedeutet, dass ich mit jedem Mann, der mir gefällt, sofort durchbrennen möchte. Auch nicht mit meinem Gegenüber. Er trägt eine Umhängetasche mit der Aufschrift Hamburg-Kurier und ist mit viel gutem Willen Mitte zwanzig. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein Student, der sein Bafög als Fahrradkurier aufbessert. Aus welchem Grund auch immer so einer U-Bahn fährt. Ganz sicher jedenfalls ist er nicht der zukünftige Vater meiner Kinder. Trotzdem pumpert mein Herz schneller, als er mir jetzt ein verschmitztes Lächeln zuwirft. Ich grinse zurück und umklammere meinen Kaffeebecher, der unter dem Druck meiner plötzlich nervös verkrampften Finger nachgibt. Ein Schwall Latte Macchiato ergießt sich über meine Hand.

»Scheiße«, sage ich inbrünstig, während die heiße Flüssigkeit auf meinen hellen Trenchcoat tropft und meine Sitznachbarin empört aufschreit. Dabei habe ich sie überhaupt nicht getroffen. Mit Argusaugen inspiziert sie ihre Kleidung, muss aber dann zugeben, dass nicht der kleinste Spritzer darauf gelandet ist. Trotzdem wirft sie mir noch einen vorwurfsvollen Blick zu, bevor sie sich demonstrativ abwendet. Wie ein begossener Pudel sitze ich da, als plötzlich ein altmodisches, kariertes Taschentuch in meinem Blickfeld auftaucht.

»Hier.« Der Fahrradkurier ohne Fahrrad trocknet meine Hand. »Haben Sie sich wehgetan?« Ich schüttele den Kopf, obwohl meine Haut sich jetzt tatsächlich leicht zu röten beginnt. Damit passt sie sich ganz hervorragend meiner Gesichtsfarbe an, die wahrscheinlich mittlerweile ins Purpur übergeht. Das war nämlich mal wieder typisch für mich. Sobald ein hübscher Mann auftaucht, lasse ich garantiert etwas fallen, stolpere über meine Füße, falle eine Treppe hinunter. Je nachdem, was sich gerade so anbietet.

Das ist auch etwas, das Frau Kupfer schon damals erkannt hat: »In ihrem Übereifer schießt Evi so manches Mal über das Ziel hinaus und ist daher anfälliger für Unfälle und Missgeschicke als andere Kinder. Um sich und andere zu schützen, muss sie lernen, sich ihres eigenen Körpers bewusster zu werden.« Zehn Jahre Ballettunterricht verdanke ich dieser Einschätzung. Genützt hat es, wie man gerade einmal wieder sieht, herzlich wenig. Ich bin immer noch ein Tollpatsch.

»Wie schade um Ihren schönen Mantel«, unterbricht der Kurier meine Gedanken und beginnt damit, eben diesen trocken zu tupfen. Und zwar am oberen Ende meiner Oberschenkel. Dabei wirft er mir einen, wie ich finde, flammenden Blick zu. Das Herz schlägt mir nun bis zum Hals und meine Kehle wird ganz trocken. Die Frau neben mir wirft uns einen scheelen Blick zu, was mich dazu veranlasst, nach seiner Hand zu greifen, die in gefährlicher Nähe zu meinem Schritt tupfende und kreisende Bewegungen vollführt. Vielleicht geht das doch ein bisschen zu weit. In einem öffentlichen Verkehrsmittel. Seine Hand ist warm.

»Ähm, danke, ich mach das schon.« Er reicht mir das Opa-Taschentuch.

»Behalten Sie es. Ich muss hier raus.« Ein letztes Zwinkern seiner schönen Augen.

»Zu Ihrem Fahrrad?«, rufe ich ihm hinterher. Er hebt fragend eine Augenbraue. »Ich meine, danke«, schiebe ich schnell hinterher.

»Keine Ursache.« Weg ist er. Ich wische noch ein wenig an meinem Trench herum, dann gebe ich meine Bemühungen auf, weil der schrille Alarmton meines Telefons erklingt. Erneut trifft mich ein vorwurfsvoller Seitenblick und ich krame hektisch in meiner Tasche nach dem Handy.

»Alert! Ovulation expected tomorrow!«, verkündet mir das Display. Prompt erfasst mich das schlechte Gewissen, dass ich mich von dem Fahrradkurier habe ablenken lassen. Und das, obwohl ich doch seit fünf Jahren in einer festen Beziehung mit Alex bin. Und ich meine richtig fest, mit Zusammenwohnen und Kinderwunsch und allem. Aber wie Frau Kupfer es damals so treffend beschrieben hat: »Manchmal vergisst Evi ein bereits begonnenes Projekt.« Natürlich nicht wirklich. Wenn ich in eine kurzzeitige Schwärmerei verfalle, ist Alex nicht vollständig vergessen – er rückt nur in den Hintergrund. Aber nicht so weit, dass ich mich zu einer wirklichen Dummheit hinreißen lassen würde. Meistens beruhigen sich meine Hormone schon nach kurzer Zeit wieder. Zudem habe ich ja, wie gesagt, ein ziemlich zuverlässiges Männer-Abwehrsystem entwickelt. Wahrscheinlich tut mir mein Körper sogar einen Gefallen mit seiner Tollpatschigkeit. Die wirkt nämlich auf die meisten Männer nicht gerade anregend.

»Könnten Sie das abstellen?«, fragt meine Nachbarin gereizt und deutet auf mein noch immer in kurzen Abständen schrillendes Telefon.

Auf dem kurzen Fußweg von der U-Bahn-Station zur Arbeit rufe ich Alex an. Schon nach dem ersten Klingeln hebt er ab.

»Ja?«

»Hey! Du hast doch gesagt, dass du heute mit den Jungs Fußball gucken willst, oder?«

»Ja. Bayern gegen Dortmund! Das wird der Hammer!« Oh, Mist. Ausgerechnet Bayern spielt? Das ist wirklich schlechtes Timing.

»Könnte ich dich vielleicht dazu überreden, erst zur zweiten Halbzeit hinzugehen?« Genauso gut könnte ich den Papst bitten, sein Morgengebet zu verschieben.

»Warum solltest du so etwas tun?« Er klingt ehrlich betroffen.

»Du musst erst noch mit mir Sex haben«, erkläre ich ihm sanft.

»Schon wieder Eisprung?«, stöhnt er und ich bin ein bisschen beleidigt.

»Was heißt hier schon wieder? Er kommt alle 28 Tage, das solltest du in den letzten drei Jahren inzwischen mitbekommen haben.«

»Kommt mir vor, als wäre es erst letzte Woche gewesen.«

»Tut mir sehr leid, wenn du die Vorstellung von Sex mit mir als Pflicht empfindest.«

»Tu ich doch gar nicht. Evi, jetzt sei nicht albern!«

»Dann geh halt zu deinem doofen Fußballspiel!« Ich schiebe die Unterlippe vor, obwohl er das gar nicht sehen kann.

»Ehrlich? Darf ich?«, erklingt es hoffnungsfroh aus dem Hörer.

»Nein«, sage ich empört. »Ich dachte, du willst auch ein Kind.«

»Das will ich doch auch.«

»Und es muss nun endlich klappen.« Wie so oft bei dem Thema schießen mir die Tränen in die Augen. »Ich werde immer älter, Monat für Monat. Bald komme ich in die Wechseljahre und dann ist es zu spät.«

»Süße, du bist fünfunddreißig.«

»Und damit sowieso schon eine Spätgebärende.« Ich weiß selber, dass wir das schon tausend Mal durchgekaut haben, jetzt auf dem Weg zur Arbeit der falsche Zeitpunkt ist und dass die Rumjammerei mich einem Kind auch nicht näher bringt.

»Schon gut. Heute Abend. Ich werde da sein.«

»Danke.«

»Du musst dich nicht bedanken. Ich wünsche es mir genau so sehr wie du.« Mir wird warm ums Herz.

»Wann fängt denn das Fußballspiel an?«

»Um viertel vor neun.«

»Erst? Aber du gehst doch immer schon um sieben aus dem Haus.«

»Ich muss mich mental vorbereiten«, verteidigt er sich. »Und ein bisschen vorglühen.« Der Vater meines zukünftigen Kindes ist vierzig Jahre alt und benutzt trotzdem das Wort Vorglühen. Ich kann mir gerade noch verkneifen zu sagen, dass übermäßiger Bierkonsum nicht gerade förderlich für die Zeugungsfähigkeit ist. Mit meinen ständigen Gesundheitstipps gehe ich Alex sowieso schon auf die Nerven.

»Dann schaffst du es ja locker zum Anpfiff«, sage ich stattdessen. »Ich mache um sechs Schluss und komme ganz schnell nach Hause.«

»Super. Also, bis nachher. Ich muss jetzt mal loslegen.«

»Ich auch. Tschüß!«

Bevor ich ins Büro gehe, mache ich noch einen Abstecher zum Blumengeschäft an der Ecke, das, wie jeden Mittwoch, gerade mit einer neuen Ladung aus Holland beliefert wurde. Schon auf zehn Meter Entfernung kann ich den intensiven Duft nach Tulpen, Rosen und Amaryllis wahrnehmen. Durch die schmale Schneise inmitten des Blumenmeers gehe ich zum Kassentresen, an dem ich von der Besitzerin wie eine alte Bekannte begrüßt werde. Kein Wunder, schließlich bin ich hier seit Jahren Stammkundin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Mini-Cooper, den sie sich vor ein paar Monaten gekauft hat und der samt Werbeslogan »Flower Power – weil Blumen das Lächeln der Erde sind« direkt vor dem Laden geparkt ist, komplett von mir finanziert worden ist. Aber das ist schon in Ordnung so. Denn Blumen sind das Lächeln der Erde. Sie machen glücklich. Mich zumindest machen sie glücklicher als Schuhe. Und sie sind im Vergleich ja sogar äußerst preisgünstig. Auch wenn die Lebensdauer von Blumen natürlich etwas begrenzter ist.

»Hallo Evi!«

»Guten Morgen, Rita!« Ich lasse meine Augen über die bunte Pracht gleiten und erwäge kurz, meinen ursprünglichen Vorsatz über Bord zu werfen und einen riesigen Strauß weißer Rosen zu kaufen. Dann entscheide ich mich aber doch für die Orchideen, die in mit Wasser gefüllten Plastikröhrchen auf Käufer warten. Sie sind nämlich die Blumen der Lust und Fruchtbarkeit. Nach jahrelangem Versuchen nehme ich jede Hilfe, die ich bekommen kann. »Ich hätte gerne Orchideen. Zweimal gelb und zweimal rosa bitte.« Rita grinst mich breit an.

»Verstehe. Es ist wieder soweit, hm?« Damit wendet sie sich ab, um mir ein paar besonders schöne Exemplare herauszusuchen und mir gleichzeitig Gelegenheit zu geben, meine Gesichtsfarbe wieder unter Kontrolle zu bekommen. Vielleicht sollte ich nicht jedem Menschen, dem ich begegne, meinen Kinderwunsch und die noch so winzigen Details dieser Problematik auf die Nase binden. Halb Hamburg weiß mittlerweile davon, und wenn Alex das mitbekommt, ist er immer ein wenig verstimmt, weil er sich dadurch vor anderen irgendwie kastriert vorkommt. Was mich dazu veranlasst hat, meine ohnehin schon ausführlichen Erläuterungen zum Thema noch auszuweiten und jedem zu erzählen, dass mit Alex’ Sperma laut ärztlichem Befund alles in bester Ordnung ist. Dann sagt er, ich soll endlich aufhören, mit fremden Leuten über sein Sperma zu reden. Versteh einer die Männer. An meinen Eizellen liegt es übrigens ebenfalls nicht. Auch da ist alles so, wie es sein soll.

Mit geübtem Griff schlägt Rita die Blumen in braunes Packpapier ein. »Übrigens, meine Schwägerin meint, Männer sollen ihr Handy keinesfalls in der Hosentasche tragen«, sagt sie mit einem verschwörerischen Unterton in der Stimme, »wegen der Strahlung. Ganz schlecht für die kleinen Kerle da unten, sagt sie.«

»Äh, okay.« Ich muss Alex Recht geben. Vielleicht ist das in aller Öffentlichkeit wirklich kein so gutes Gesprächsthema. Schon gar nicht, wenn sich hinter einem eine weitere Kundin deutlich älteren Jahrgangs angestellt hat, die etwas irritiert schaut.

»Toitoitoi!«, sagt Rita aufmunternd.

»Danke!« Ich schnappe mir die Blumen und verlasse eiligst den Laden, um dem nun entrüsteten Blick der Dame zu entfliehen. Außerdem bin ich sowieso schon zu spät dran. Aber vielleicht lässt sich mein Chef ja durch eine schöne gelbe Orchidee auf seinem Schreibtisch besänftigen. Auch wenn er die als Vater von vier Söhnen nicht wirklich nötig hat.

Ein bisschen abgehetzt betrete ich das »Steuerberatungsbüro Michael Hybel«, in dem ich als Steuerfachangestellte arbeite. Ja, ich weiß: Das klingt sterbenslangweilig. Mir ist schon klar, dass die meisten Leute allein von dem Begriff Steuererklärung Nesselsucht bekommen. Aber ich nicht. Ich finde Steuerrecht interessant. Ich liebe Zahlen, und für die Klienten eine möglichst hohe Ersparnis herauszuschlagen, dabei den Rahmen der Legalität zu dehnen ohne ihn zu sprengen, das ist meine Form von Sudoku.

Als Kind wollte ich noch Pastorin werden, denn mein Vater war Pfarrer. Wenn er sonntags in seiner schwarzen Robe von der Kanzel aus zur Gemeinde sprach, war ich jedes Mal schwer beeindruckt. In meinen Augen passte zwischen ihn und den lieben Gott kein Blatt. Frau Kupfer war damals hellauf begeistert, dass ich im Religionsunterricht sämtliche Geschichten aus der Kinderbibel auswendig vortragen konnte. Von Schneewittchen oder Tischlein deck dich hatte ich dagegen noch nie etwas gehört. Leider ließen sich meine Eltern kurz darauf scheiden, meinen Vater sah ich nach meinem achten Lebensjahr nur noch sporadisch, und mein Interesse an Religion im Allgemeinen und dem Pastorenberuf im Speziellen war erschüttert, wenn mich auch der Glauben, die Bibel und alles, was mit der Kirche zusammenhängt, nie ganz losgelassen haben, inklusive eines quasi permanenten schlechten Gewissens. Pastorentochter bleibt Pastorentochter. Aber wie konnte ich damals noch glauben, wenn Gott es zuließ, dass meine Eltern sich trennten? Und wie weit war es mit Papas Nächstenliebe her, wenn er mir, seiner einzigen Tochter, von da an die kalte Schulter zeigte?

»Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, gibt.«

2. MOSE 20, VERS 12

Ich bemühe mich redlich, das fünfte Gebot einzuhalten, aber manchmal frage ich mich, warum Gott bei Zehn so einfach Schluss gemacht hat. Er hätte ruhig noch erwähnen können, dass Väter ihren Kindern ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit schulden.

Wie immer schlägt mir schon im Eingangsbereich der vertraute, leicht muffige Geruch nach altem Teppichboden und abgestandener Luft entgegen. Außer mir kommt hier nie mal jemand auf die Idee, freiwillig zu lüften. Ich reiße das Fenster auf und durchquere den großen Raum mit den sechs Schreibtischen, an denen meine Kollegen schon fleißig auf ihre Computertastaturen einhacken. Bei näherem Hinsehen aktualisieren die meisten von ihnen jedoch lediglich ihren Facebook-Status, sodass sich mein schlechtes Gewissen über das Zu-Spät-Kommen in Grenzen hält. Ein Blick durch die offene Tür von Herrn Hybels Büro sagt mir, dass der Chef auch noch nicht am Platz ist. Dafür aber meine Freundin Corinna, deren Schreibtisch direkt neben meinem steht. Schon während wir Wangenküsschen tauschen, schaut sie begehrlich auf die Blumen in meiner Hand. Auch auf ihrem Gesicht macht sich ein wissendes Lächeln breit, als ich die Orchideen aus ihrer Papierhülle befreie.

»Ah, die Blume für gewisse Stunden!« Ich überhöre ihren Kommentar, halte den Atem an und eile in die immer ein bisschen nach Schimmel riechende Gemeinschaftsküche, um zwei Vasen mit Wasser zu füllen. Nach Luft schnappend komme ich zurück und platziere die gelben Blumen auf Corinnas Schreibtisch. »Das ist so lieb von dir, Süße. Danke! Ich hoffe nur, bei mir haben sie nicht den gewünschten Effekt. Wenn ich von Mike schwanger werden würde, das wäre eine echte Katastrophe. Dann sehe ich ihn nie wieder.«

»Ich verstehe sowieso nicht, warum du immer noch mit ihm zusammen bist.« Kopfschüttelnd schäle ich mich aus meinem Mantel und begutachte unglücklich die Kaffee-Bescherung darauf.

»Wir sind doch gar nicht zusammen. Mit einem Rockstar ist man nicht zusammen. Mit dem vögelt man bloß.«

»Rockstar?« Ich hebe ironisch eine Augenbraue. »Dass er sich zweimal in der Woche mit ein paar anderen Möchtegern-Musikern in einer Garage trifft und dort auf ein Schlagzeug einprügelt, macht ihn noch nicht zu einem Rockstar.«

»Sie haben auch Gigs!«

»Erinnere mich nicht daran.« Vor ein paar Wochen bin ich Corinna in einen verqualmten Bunker gefolgt, in dem Mikes Band vor fünfzehn Leuten einen solchen Höllenlärm veranstaltet hat, dass meine Ohren Tage brauchten, um sich davon zu erholen.

»Du bist wirklich sehr spießig.« Sie grinst mich gutmütig an. »Aber ich mag dich trotzdem.«

»Danke. Ich mag dich auch.« Aus der untersten Schublade meines Schreibtisches krame ich einen Ovulationstest hervor. »Bin gleich wieder da.«

Zufrieden kehre ich fünf Minuten später an meinen Arbeitsplatz zurück. Der Test hat bestätigt, was die App bereits angekündigt hat: Mein Eisprung steht kurz bevor. Dieses Mal muss es einfach klappen. Es muss. Ich merke schon wieder, wie ich innerlich verkrampfe, und bemühe mich, tief in den Bauch zu atmen. Es zu sehr wollen wirkt nämlich laut meiner Frauenärztin auch nicht gerade Empfängnis fördernd. Also bemühe ich mich, es nicht so sehr zu wollen. Ich wünschte, ich wäre so lässig wie Corinna, die neben mir gerade mit Mike chattet. Ich fahre meinen Rechner hoch und will selber nur mal ganz kurz auf Facebook vorbeischauen, als sich ein Schatten über meine Tastatur legt.

»Hallo«, sagt eine mir wohlbekannte Stimme und ich bekomme augenblicklich Schwitzehändchen. Mich innerlich wappnend blicke ich hoch, mitten hinein in Benjamin Hybels strahlend blaue Augen.

»Ich aber sage euch: Wer eine Frau (oder einen Mann? Anmerkung von Evi Blum) auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr (oder ihm? Anmerkung von Evi Blum) begangen.«

MATTHÄUS 5, VERS 28

»Hallo«, sage ich knapp, während ich Corinnas Grinsen neben mir förmlich spüren kann.

»Schön, dich zu sehen.« Jetzt setzt er sich auch noch halb auf meinen Schreibtisch und schaut lächelnd auf mich runter. Hilfe! Kann mich bitte mal jemand retten? Benjamin Hybel sitzt auf meinem Schreibtisch. Vielleicht muss ich da kurz mal ausholen. Benjamin ist der jüngere, viel besser aussehende Bruder unseres Chefs und taucht öfters unangemeldet bei uns auf. Es gibt also nie die Gelegenheit, mich darauf vorzubereiten. Plötzlich ist er da, und dann ist es so wie in der Cola-Light-Werbung, wenn dieser superheiße Typ aus dem Aufzug steigt und alle Frauen lang hinschlagen.

»Ja, dich auch. Darf ich mal?« Ich greife nach dem Blatt Papier, auf das er sich gesetzt hat. Leider steht er nicht auf, sondern hebt nur leicht seine Pobacke an.

»Natürlich. Tschuldigung.«

»Danke.« Ich werfe Corinna einen flehenden Blick zu.

»Hallo Benjamin. Willst du zu deinem Bruder?« Er nickt. »Tja, der ist leider noch gar nicht da.«

»Macht doch nichts.« Benjamin strahlt jetzt regelrecht. »Ich bleibe einfach so lange hier.«

»Nein!« Ich sage es so laut, dass er zurückzuckt und beinahe von meinem Schreibtisch purzelt. Unwillkürlich greife ich nach seinem Arm, um das zu verhindern. Blöder Fehler. Wie kann ein Mann so weiche Haut haben? Ich lasse los, als hätte ich mich verbrannt. Er fällt glücklicherweise nicht. In diesem Moment beneide ich Corinna brennend um ihre Freiheit. Und ihren Vorsatz, die Familienplanung frühestens mit vierzig zu beginnen. Beruhigend tätschelt sie Benjamin den anderen Unterarm.

»Evi meint damit nur, dass sie noch wahnsinnig viel aufzuarbeiten hat, weil sie heute mal wieder zu spät dran war. Komm, du kannst hier bei mir sitzen.« Mit einer Handbewegung lädt sie ihn ein, sich auf ihrer Arbeitsplatte niederzulassen. Benjamin wechselt den Platz, nicht ohne mir vorher noch einen traurigen Blick zuzuwerfen. Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein. Ich habe eine blühende Fantasie und hatte mein Leben lang eine Schwäche für Star-Crossed-Lover-Geschichten, in denen brutalste äußere Umstände die füreinander bestimmten Liebenden nie, nie, nie oder wahlweise nur nach herzzerreißenden Opfern zueinander kommen lassen. In der elften Klasse war ich unsterblich in meinen Mathe-Lehrer verliebt und habe ihm so lange nachgestellt, bis seine Ehefrau sich genötigt fühlte, mit mir ein Gespräch zu führen. Von Frau zu Teenager sozusagen. Nicht gerade mein rühmlichster Moment. Aber ich habe mich davon erholt, meine Einbildungskraft blüht trotzdem weiter bunt vor sich hin. Es ist also durchaus möglich, dass ich mir Benjamins Zuneigung, nein, seine glühende Verehrung, nur einbilde. Und tatsächlich, er plaudert angeregt mit Corinna und scheint nicht gerade am Boden zerstört. Gut so. Gut so? Und ich? Ich tue beschäftigt.

2.

Um kurz vor halb sieben erklimme ich die Stufen zu unserer Wohnung und muss kurz verschnaufen, bevor ich den Schlüssel ins Schloss stecke. Eigentlich sollte man meinen, nach drei Jahren im sechsten Stock ohne Fahrstuhl müsste ich gut im Training sein. Trotzdem schnappe ich nach jedem Aufstieg nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Macht aber nichts. Ich liebe unseren Altbau im Schanzenviertel mitten in Hamburg. Man muss nur aus der Haustür treten und schon ist man im Leben. Rund um die Uhr kann man sich an jeder Ecke Falafel, Kaffee, Asia-Food oder Alkohol besorgen. Sicher, am Wochenende kommt man in dem Gedrängel manchmal kaum vorwärts, und das Gegröle der Betrunkenen bis nachts um fünf kann einem schon mal auf die Nerven gehen, aber ich fühle mich hier pudelwohl. Wozu gibt es schließlich Ohropax? Alex dagegen träumt vom Landleben. Ja, er träumt nicht nur davon, sondern besitzt seit fast zwei Jahren sogar einen verträumten, kleinen Bauernhof in Heven. Man muss sich nicht schlecht fühlen, wenn man das nicht kennt. Das ist ein winziges Dorf vor den Toren Hamburgs. Fünfhundert Einwohner, eine Kirche, ein Gasthof. Der Bauernhof gehörte Alex’ Großmutter, und er hat dort als Kind seine sämtlichen Ferien verbracht. Da ist es kein Wunder, dass er die Sache ein bisschen verklärt sieht. Und sich seit seiner Erbschaft zu jedem Geburtstag und Weihnachten von mir nur eins wünscht: Dass ich mit ihm nach Heven ziehe. Offensichtlich ist eine 200-Euro-Uhr zu Weihnachten (letztes Jahr) nichts im Vergleich zu einem Umzug in das ödeste Kaff der Welt. Zu seinem Vierzigsten vor ein paar Wochen hat er Stadionkarten für das Spiel Bayern gegen bekommen. Das war, auch wenn es nicht Heven war, das erste Mal seit zwei Jahren, dass er nicht wie ein trauriger Dackel auf ein Geschenk von mir geguckt hat. Dabei ist es gar nicht so, dass ich es grundsätzlich ausschließe, mit ihm dahin zu ziehen. Irgendwann. Vielleicht, wenn ich endlich schwanger bin. Aber eben noch nicht jetzt.

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