Alleine zum Nordpol - Borge Ousland - E-Book

Alleine zum Nordpol E-Book

Borge Ousland

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Beschreibung

Ein packender Bericht über die erste Solo-Expedition auf Skiern ohne Nachversorgung aus der Luft zum Nordpol.

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Seitenzahl: 226

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Inhalt

Kap Arctichesky

Die Herausforderung

Vorbereitungen

Sredny

Nordwärts

Packeis

Offene Wasserrinnen

Sturm

Kälte

86° 14’

Stille

Der Nordpol

Epilog

CAP ARCTICHESKY

»Dieser dunkle Schatten ist vielleicht offenes Wasser«, sagte der russische Helikopterpilot und zeigte nach Nordwesten. Wir flogen zum westlichen Teil der Severnaya Zemlya-Inselgruppe weit im Norden Sibiriens. Kap Arctichesky war die letzte Station, eine eiskalte Nehrung, die ins Polarmeer hineinragte; die Landzunge, von der aus ich in Richtung Nordpol aufbrechen sollte – allein und ohne Nachschubversorgung.

Der Pilot hatte den Frostrauch gesehen, der von der offenen Rinne vor uns aufstieg, und kurz danach trat ein, was ich am meisten gefürchtet hatte. Ein starker Südwestwind hatte drei Tage lang geweht und das Eis nach Norden getrieben. Zwischen dem Land und den ersten vereinzelten Eisschollen hatte sich im Windschatten des Kaps eine zwanzig Kilometer breite Rinne gebildet. Schwarzes, unüberwindbares Wasser. Das erste feste Eis war 50 km weiter nördlich. Die Aussichten waren alles andere als rosig.

Ich hatte ein kleines Gummiboot mitgenommen, um schmale Wasserrinnen in der Nähe von Festland zu überqueren, aber zwanzig Kilometer waren etwas völlig anderes. Die Wellen vor der Küste waren hoch, und es wäre Wahnsinn, es in einem solch kleinen Boot zu versuchen. Wie konnte ich hinüberkommen? Die offene Rinne zu überfliegen und auf festem Eis zu starten, hätte den Bruch eines ungeschriebenen Gesetzes bedeutet. Ich musste vom Land aus starten, ganz gleich, wie ungünstig die Bedingungen waren.

Nach einer Erkundungsrunde mit dem Helikopter flogen wir wieder in Richtung Kap. Eine Eiszunge, die mit dem Festland verbunden war, erstreckte sich weit im Nordosten. Die Rinne schien sich in dieser Richtung zu verschmälern; wenn ich nur weit genug Richtung Osten vordringen würde, könnte ich eine Stelle zum Überqueren finden. Dann hinaus auf das Treibeis, weg vom Land – und danach Richtung Norden.

Es war am 2. März kurz nach 14 Uhr, als der Helikopter auf Kap Arctichesky landete. Ein Schneetreiben empfing uns. Eine frische Brise aus Süd ließ die 37 Grad minus noch kälter erscheinen. Auf diesem Breitengrad scheint die Sonne so früh im Jahr nur ein paar Stunden über Mittag. Die Dunkelheit, die sich im Osten bildete, teilte den Himmel. Strahlend und hell, wo die Sonne untergegangen war, die eine Hälfte, die andere grau und bleiern.

Im Helikopter trank ich eine letzte Tasse Tee und aß eine Scheibe Brot mit russischen Würstchen. Wir sprachen wenig. Alle Vorbereitungen waren getroffen, die Stimmung war bedrückt. Wir alle wussten, dass dies die schlimmsten Bedingungen waren, mit denen ein Polarreisender zu rechnen hatte. Ich bekam die Brotstücke kaum hinunter. Irgendwie schien meine Kehle sich zusammenzuschnüren, und ich fühlte einen Druck hinter den Augen. Gleich würde ich allein auf dem Eis stehen und dem Helikopter nachblicken, wie er in Richtung Süden verschwand.

Bewegende Momente haben die Eigenschaft, sich messerscharf im Bewusstsein einzubrennen. Bis heute läuft mir ein Schauer über den Rücken, wenn der Name Arctichesky erwähnt wird. Mein eigener Wille – unerbittlich und unumstößlich – würde mich aus dem Helikopter zerren und vom Rest der Welt abschneiden.

Aber es musste sein. Es ging doch einfach nur darum, loszumarschieren. Je länger ich das Unvermeidliche vor mir herschob, umso schlimmer würde der Aufbruch werden.

Irgendwie war ich schon weg und fühlte eine deutliche Kluft zwischen mir und den anderen im Helikopter. Sie beäugten mich wie eine merkwürdige Kreatur, die zum ersten Mal in die Wildnis entlassen werden sollte. Wie käme sie zurecht? Würde sie all die Gefahren da draußen überleben?

Gesprochen wurde wenig. Thom hielt eine kleine Ansprache darüber, wie gut ich vorbereitet war und dass ich es sicher schaffen würde, aber das meiste kam bei mir nicht an. Kjell Ove riet mir, es die ersten Tage locker anzugehen, und massierte meine Oberschenkel. Die Standardprozedur eines ehemaligen Slalomtrainers. Håvard stieß ein »Bis bald« aus, riss sich zusammen und fügte hinzu: »Ich meine, im Mai.«

Meine Skier warteten unbarmherzig auf mich. Ich legte sie aufs Eis, nahm wegen der offenen Wasserrrinne Verpflegung für drei Extra-Tage mit und packte den Rest meiner Ausrüstung auf den Schlitten. Der Letzte, von dem ich mich verabschiedete, war Thom. »Versprich mir, dass du mir einen Platz freihältst, wenn du deinen Vortrag vor der Royal Geographical Society hältst«, sagte er. »Ja«, flüsterte ich. Dort hatten wir uns im Vorjahr kennengelernt, bei einem Vortrag von Erling Kagge. Erlings Expedition zum Südpol war ein großer Erfolg gewesen. Jetzt war ich an der Reihe.

Mein Kiefer war taub, weil ich die Zähne so lange mit aller Kraft zusammengebissen hatte; jetzt konnte ich mich nach Nordosten wenden und ein paar meiner Gefühle abreagieren. Jeder konnte sehen, was ich durchmachte, aber ich wollte stark sein, und falls ich zusammenbrechen würde, dann wäre es besser, wenn ich dabei alleine wäre. Es gab schließlich kein Zurück mehr. Ich pflanzte meine Skistöcke in den Schnee und brach auf zu einem Ziel, das unglaubliche 980 Kilometer weiter nördlich lag.

DIE HERAUSFORDERUNG

Östlich von George Island vor Franz-Josef-Land kämpften sich zwei Männer und ein Hund durchs Packeis. Es war früh im Jahr 1993. Agnar Berg, ein Husky namens Sarek und ich unternahmen den kühnen Versuch, Svalbard auf Skiern zu erreichen. Wir waren von Jackson Island gekommen, wo Fridtjof Nansen und Hjalmar Johansen überwintert hatten. Fast ein Jahrhundert zuvor waren sie nach Svalbard aufgebrochen, nachdem sie bei dem Versuch gescheitert waren, den Nordpol vom Polarschiff Fram aus zu erreichen. Zufall, Schicksal oder wie man es auch nennen mag beschlossen etwas anderes, und während sie immer noch auf Franz Josef-Land waren, trafen sie auf eine britische Expedition und wurden nach Norwegen zurückgebracht. Die Bereisung der Inselgruppe blieb unvollständig, und genau diesen Kraftakt wollten Agnar und ich in Angriff nehmen.

Sarek musste sich sehr anstrengen; ich ging etwas voraus. Das Schneetreiben war dicht, und Agnars stämmige Umrisse kamen und gingen wie ein verschwommener Schatten in der konturlosen Landschaft. Schließlich verschwanden sie vollständig, aber da ich genau wusste, dass sie meiner Spur folgen würden, eilte ich alleine weiter.

Ich sah mich um; alles war weiß und grau, und ich spielte mit dem Gedanken: allein. Wie käme ich zurecht, wenn ich hier allein wäre? War ich aus so hartem Holz geschnitzt, dass ich eine lange Isolation aushalten würde? Die Jäger, die nach Norden gingen, waren oft monatelang allein, und es waren allermeistens ganz normale Menschen. Andere waren allein zu Expeditionen aufgebrochen und waren auch zurechtgekommen. Ich spürte, ich konnte es schaffen, aber gleichzeitig erschien mir das Ganze größer und beängstigender als alles, was ich bis dahin erreicht hatte. Würde ich wahnsinnig? Würde die Angst die Oberhand gewinnen, wenn ich niemanden hatte, auf den ich mich stützen konnte?

Bei diesen Überlegungen wurde mein Gedankengang unterbrochen, weil Agnar und Sarek wieder neben mir waren. Wir gingen zusammen weiter. Zwei Wochen später steckten wir auf einer Eisscholle fest, die sich westlich von Franz-Josef-Land schnell nach Süden bewegte. Eine riesige offene Wasserrinne hatte sich geöffnet, und Eis aus dem Bereich, in dem wir uns befanden, hatte angefangen, dort hineinzutreiben.

Das war für uns drei das Ende der Reise. Die schwankende Scholle wurde immer kleiner und brach schließlich vollständig um uns herum ab. Wir saßen im Zelt und diskutierten, was wir tun sollten, als wir es plötzlich mehrmals laut knallen hörten. Eineinhalb Meter vom Zelt entfernt hatte sich das Eis geöffnet, und unsere Schlafsäcke, die zum Trocknen draußen lagen, schwammen im Wasser. Schnell kappten wir die Leinen des Zelts und schafften die Ausrüstung auf festeres Eis. Es war der 19. April. Und um 11:40 Uhr morgens baten wir um Hilfe. Fünf Stunden später nahm uns ein Rettungshubschrauber von Svalbard auf.

Nach vorangegangenen Reisen hatte ich immer lange gebraucht, bis ich zu neuen Herausforderungen bereit war. Das Abenteuer als solches verliert nie an Anziehungskraft, aber die Reisen selbst sind anstrengend, und es dauert einige Zeit, um genug Motivation aufzubauen, damit man wieder einen Trip mit Hunger und Kälte durchstehen kann.

Aber diesmal war es anders. Seit meiner ersten Expedition durch Grönland 1986 hat mich die Arktis ungemein angezogen. Als ich von Franz-Josef-Land heimgekommen war, sehnte ich mich bereits wieder danach, zum Eis zurückzukehren – zu seiner Stille und der leuchtenden Pracht der Elemente.

Der Entschluss, solo zum Nordpol zu gehen, kam später. Es war Sjur Mørdre, der das als Erster konkret vorgeschlagen hat. Einige andere und ich hatten bislang lediglich mit diesem Gedanken gespielt – vor allem, als Erling den Südpol alleine erreicht hatte. Doch der Nordpol und das Polarmeer sind eine andere Nummer. Zum einen sind sie gefährlicher, und es fällt einem Menschen unter rein physischen Gesichtspunkten deutlich schwerer, allein und ohne Proviantnachschub über das Packeis bis zum Pol zu kommen.

In den letzten Jahren haben mehr als zehn Expeditionen versucht, den Nordpol ohne Nachschub zu erreichen. Es gelang unter diesen Bedingungen – ohne irgendwelche Hilfe oder Unterstützung von außen – erst 1990. Am 8. März brachen Geir Randby, Erling Kagge und ich von Ward Hunt Island in Kanada auf. Geir verletzte sich schwer am Rücken und musste ausgeflogen werden, aber 58 Tage nach dem Aufbruch erreichten Erling und ich den Pol. Es war eine extrem anstrengende Expedition, die keiner von uns so leicht vergessen wird.

Dasselbe solo zu versuchen, wäre noch wesentlich härter. Zwei Menschen waren zuvor »solo« zum Nordpol gereist: Umura aus Japan fuhr 1982 mit einem Hundegespann los und wurde auf der Reise drei Mal aus einem Flugzeug, das auf dem Eis landete, mit Vorräten und einem frischen Hundegespann versorgt. 1986 tat der Franzose Louis Etienne es ihm gleich, allerdings ohne Hunde. Auch er wurde vom Flugzeug aus nachversorgt, das auf dem Eis landete, und sein Schlitten wog niemals mehr als 50 kg.

Unterwegs keinen Nachschub zu bekommen, bedeutete ganz einfach, dass du mit dem zurechtkommen musst, was du mitnimmst. Deine eigene Kraft und deine Fähigkeiten sind die entscheidenden Faktoren – nicht die Hunde, die Versorgung aus der Luft oder die Schneemobile. Wenn man bedenkt, welche lange Zeitspanne er auf sich alleine gestellt überleben und welche Entfernung er überwinden muss, dann gibt es kaum etwas Effektiveres als einen Mann auf Skiern, der einen Schlitten zieht. Aber das Allerwichtigste ist, dass dies eine Herausforderung der ehrlichsten Art ist, ohne jede Möglichkeit zu mogeln.

Ich persönlich zweifelte nicht daran, dass die richtige Person es solo schaffen würde. Die Frage war nur, ob ich diese richtige Person war. Ich war schon vorher dort gewesen und wusste, was ich mir körperlich zumuten konnte. Ich zweifelte auch nicht an meiner eigenen Willenskraft, aber ich hatte noch nie eine so lange Reise alleine bewältigt. Wie würde ich in einer so rauhen und herausfordernden Region wie dem Polarmeer mit einer zweimonatigen Isolation zurechtkommen? Dies war die Frage, auf die ich eine Antwort suchte.

Um das Problem zu lösen, brauchte ich die Unterstützung anderer. Als ich meine verschwommenen Pläne gegenüber meiner Partnerin Wenche erwähnte, überraschte mich ihre Antwort: »Ja, ich glaube, du solltest es machen.« – »Aber zwei Monate allein«, hakte ich nach. »Ja, das schaffst du, kein Problem«, bekam ich zur Antwort. Obwohl es aus meiner Sicht nicht ganz so einfach war, war damit eine wichtige Voraussetzung erfüllt.

Die Reaktionen meiner engsten Freunde waren etwas gemischter, bezogen sich allerdings eher auf Risikofaktoren und den Schwierigkeitsgrad. »Wenn einer es schafft, dann du«, sagten sie, und das half.

Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr reifte die Idee. Je mehr Zeit verging, umso sicherer wurde ich, dass dies etwas war, was ich schaffen konnte. Im Juli traf ich den endgültigen Entschluss. Der Nordpol sollte mir gehören, und ich begann, mich auf die vielleicht größte Herausforderung meines Lebens vorzubereiten.

Training im Oslofjord

VORBEREITUNGEN

Den größten Teil des Sommers über arbeitete ich weiter als Berufstaucher in der Nordsee und plante währenddessen meine Expedition. Mein letzter Tauchgang war im September, und von da an widmete ich all meine Zeit der Ausrüstung, den Finanzen und dem Training. Ich trainierte etwa drei Stunden am Tag fünf Mal die Woche. Für gewöhnlich mit einem Rucksack und einem Autoreifen im Schlepp, der den Schlitten simulieren sollte, aber manchmal auch nur mit einem schweren Rucksack. Was bei einer solchen Expedition zählt, ist ein gleichmäßiger, stetiger Schritt, und obwohl das Trainingsprogramm eher einen improvisierten, unprofessionellen Charakter hatte, schien es mir doch ausgewogen zu sein. Reines Jogging wäre zu wenig intensiv gewesen: Niedrigpulstraining. Schwerstarbeit über einen bestimmten Zeitraum hinweg bereitet Muskeln und Skelett besser auf die enormen Anstrengungen vor. Niemand ist als Polarreisender geboren. Es klappt nur mit hartem Training.

Mein Sohn Max begleitete mich oft. Seit seinem zweiten Lebensjahr kommt er als willkommener Extra-Ballast mit zu meinen vorbereitenden Trainingseinheiten vor einer Expedition. Max ist einer der wenigen Menschen, die es für ganz normal halten, auf Skiern zum Nordpol zu fahren. Wir profitierten beide davon. Ich wurde stärker und stärker, und im Kindergarten hatten die anderen Kinder das Nachsehen, wenn Max erläuterte, wie wichtig es war, fünf Mal die Woche einen Gummireifen hinter sich herzuziehen. Das war viel bedeutender, als ins Büro zu gehen.

Die finanzielle Seite eines solchen Projekts gehört zu den Dingen, die am meisten Zeit kosten. Zu meinem Ziel gab es keine Flugverbindung, und das Chartern von Flugzeugen und Hubschraubern war der größte Posten im Budget. Langsam, unaufhaltsam und unverhältnismäßig hoch im Vergleich zum restlichen Nordpol-Konto stieg die Telefonrechnung an.

Ein großer Teil dieser Arbeit wurde mir von Hanne Gamnes abgenommen, einem wirklichen Enthusiasten, der an mich glaubte und manchmal alles andere zur Seite schob, um hinter den Kulissen als mein Türöffner zur Wirtschaft zu fungieren. Die Schwierigkeit liegt oft darin, zu den richtigen Leuten vorzudringen. Kontakte zu haben und genau zu wissen, wen man anrufen musste, war äußerst wichtig.

Die Marketing-Leute großer Firmen bekommen täglich eine große Menge Anfragen auf den Tisch. Der Weg zum Papierkorb ist kurz; ob dein Projekt dort endet oder zum Posteingang wandert, hängt von vielen Faktoren ab und ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Wenn der Marketing Manager sich mehr für Segeln interessiert als für Polarexpeditionen, ist die Schlacht ohnehin verloren. Im Allgemeinen ist eine ordentliche Kurzfassung über das Wer, Was und Wohin, zusammen mit der Aussage, was der Angesprochene für seine Unterstützung erwarten kann, wichtig, aber wie ich schon sagte: Es gibt keine festen Regeln. Das einzig Sichere ist die Tatsache, dass niemand, oder zumindest fast niemand, aus purer Wohltätigkeit gibt.

Irgendetwas wird als Gegenleistung erwartet. Entweder sollst du den Namen oder das Logo der Firma zeigen, oder das Unternehmen setzt dich persönlich innerhalb der Firma für irgendeinen Werbezweck ein. Die Polarforscher von früher konnten ihren Sponsoren zur Unsterblichkeit verhelfen, indem sie Inseln, Gletscher oder Berge nach ihnen benannten. Leider ist dies nicht mehr möglich, und die Wünsche sind sehr viel kommerzieller geworden. Wir müssen nicht nur gut darin sein, von A nach B zu kommen, sondern auch in der Vermarktung, indem wir uns selbst und das Produkt, das wir bewerben, verkaufen. Die PR-Maschinerie um eine solche Expedition herum ist daher lebenswichtig. Ohne sie wäre unsere finanzielle Basis sehr schwach gewesen. Deshalb wurde Hans Christian Erlandsen, der zuvor die Südpolexpedition Erlings vertreten hatte, mein Pressesprecher.

Geplant war, dass ich einmal pro Woche im Laufe des Tages mit »der Stimme aus Longyearbyen«, Mathias Bjerrang, in Funkkontakt treten sollte. Hans Christian sollte die von mir per Funk übermittelten Informationen entgegennehmen und an die Presse und an meine Sponsoren weiterleiten. Neben einem Funkgerät bekäme ich noch einen Argos-Transmitter mit, der mehrmals täglich meine Position und die aktuelle Temperatur übertrug. Das Signal sollte zuerst über Satellit zu Argos in Frankreich gelangen und von dort dann über Modem zu Hans Christians Computer in Oslo. Neben einem Notsignal konnte Argos 16 vordefinierte Nachrichten versenden. Sollte mein Funkgerät versagen, so konnte ich immer noch einige wenige Informationen übermitteln.

Zusammengenommen boten diese beiden Systeme einen ausreichenden Informationsfluss, und da Mathias und Hans Christian sich um meine Berichte kümmerten, fühlte ich mich in guten Händen. Beide erledigten ihre Sache mit viel professionellem Geschick.

Das Funkgerät wie auch das Argos waren wichtig für die Sicherheitsvorkehrungen. Der Hauptgrund, aus dem ich mich für ein Funkgerät entschied, das immerhin einige Kilo wog, war die zusätzliche Sicherheit. Es wäre ein Albtraum, wenn der Schlitten und die ganze Ausrüstung in einer Wasserrinne verschwänden. Die Chance, dass dies geschehen konnte, war ständig gegeben; deshalb beschloss ich, einen kleinen Notsender mitzunehmen, den ich immer am Körper trug. Wenn es ganz schlimm käme und ich keinen Ausweg mehr wüsste, hätte ich immer noch den Notsender.

Mein Training verlief nach dem üblichen Muster und fand meist abends statt, während die Vorbereitung der Ausrüstung und das Kümmern um die finanziellen Angelegenheiten den Rest der Zeit in Anspruch nahmen. Irgendwann war das Budget mehr oder weniger im grünen Bereich, und ich brauchte mich nur noch mit der Ausrüstung zu beschäftigen.

Eine Expedition durch Packeis, offene Wasserflächen und extreme Kälte stellt hohe und oft ganz besondere Bedingungen an die Ausrüstung. Meine Erfahrung half mir, eine solch anspruchsvolle Expedition in so kurzer Zeit zu organisieren. Ohne diese Kenntnisse hätte ich mindestens zwei Jahre für Planung und Tests gebraucht, bevor ein Aufbruch zu vertreten gewesen wäre.

Ich war schon vorher am Nordpol gewesen und kannte die Anforderungen deshalb ziemlich genau. Trotzdem musste enorm viel organisiert werden. Neue Ideen und Kleingegenstände mussten getestet werden, ebenso eine Anzahl von vorgenommenen Verbesserungen. All das kostete Zeit; die Tage flogen dahin, und der Aufbruchstermin rückte näher. Eine solche Arbeit zu delegieren, ist oft schwierig, weil man nur selbst weiß, wie alles zu sein hat, und deshalb macht man am Ende das meiste selber.

Wie immer war mein Wohnzimmer zu Hause das »Basiscamp«, wo Ausrüstung und Verpflegung sich vom Keller bis zum Dach in Kisten türmten. Man glaubt gar nicht, dass eine Ein-Mann-Expedition so viel mehr erfordert, als in einen Schlitten passt. Denn ich musste auch damit rechnen, dass ich nachversorgt werden musste. Bevor ich die endgültige Auswahl traf, wollte ich einiges unter realen Bedingungen ausprobieren. Da diese Tests nicht möglich waren, bevor wir in Sibirien angekommen wären, stapelte sich die Ausrüstung mehr und mehr.

Der Hauptunterschied zu vorhergegangenen Expeditionen betraf den Schlitten. Ich hatte eine Konstruktion im Sinn, mit der der Schlitten so leicht wie möglich durch das Packeis gleiten sollte. Ich entwarf ihn mit runden Konturen, sanften Rundungen, einer hohen Front, stabil und nicht zu lang. Die größte Innovation bestand darin, dass man ihn als Boot verwenden konnte. Er bestand aus zwei dünnen Schalen, eine in der anderen liegend. Nahm man sie auseinander, konnten sie mit Skiern zu einem Katamaran zusammengefügt werden, der einen Auftrieb von mindestens 440 Kilo hatte. Anders ausgedrückt: Die Freibordmarke betrug 10 cm bei einer Beladung mit 200 Kilo. Ineinandergelegt und verbunden trugen beide Teile zur Stärke und Steifigkeit des Schlittenkörpers bei. Also hatte ich ein brauchbares Boot ohne zusätzliches Gewicht.

Meine Stiefel waren ebenfalls eine Sonderanfertigung. Sie basierten auf einer Entwicklung der Amundsen-Stiefel, die Sjur Mørdre 1990 für seine Südpolexpedition wieder eingeführt hatte. Amundsen hatte Kanvas statt Leder als Obermaterial benutzt und einen weichen Stiefel entwickelt, der sich gut an den Fuß anlegte, ohne viele Falten zu bilden. Der kritische Faktor ist immer die Isolierung, die nicht davon abhängt, woraus der Stiefel besteht, sondern davon, wie viel Platz für Socken und Einlegesohlen ist. Die Stiefel wurden von Alfa Footwear in Norwegen hergestellt, und da ich herkömmliche Schuhspitzenbindungen benutzte, um meine Fahrtechnik zu optimieren, sahen sie am Ende aus wie übergroße Skistiefel. Der Unterschied lag in einer speziellen Sohle, die die Kälte abhalten sollte, und im Obermaterial, das aus einem synthetischen Material bestand, das in Rucksäcken verwendet wird. Dieses System funktionierte blendend. Viel Platz für die Zehen und ein weiches Obermaterial bedeuteten, dass ich so gut wie keine Blasen bekäme. Allerdings waren meine Füße kalt, und ich hätte vielleicht ein zweites Paar Socken einplanen sollen. Aber wie kalt deine Füße werden, hängt davon ab, wie kalt dein Körper ist. Beine und Arme leiden als erste darunter, wenn der Körper auskühlt.

Abgesehen davon war fast alles Standard-Ausrüstung, wie man sie in den meisten großen Sportgeschäften findet; das meiste davon in Norwegen hergestellt.

Das Essen ist ein Kapitel für sich, hier haben bei meinen Erfahrungen Versuch und Irrtum eine große Rolle gespielt.

Auf dem Grönland-Trip 1986 schätzten wir unseren Bedarf völlig falsch ein. Das Ergebnis war, dass wir damals viel hungriger waren als auf jeder nachfolgenden Expedition, an der ich teilgenommen habe. Wir nahmen viel zu wenig Fett und überhaupt zu wenig zu essen mit: nur 4.400 kcal pro Tag.

Weil der Schlitten zu Beginn am schwersten war und wir bergauf reisen mussten, hatten wir uns für die ersten Etappen Extrarationen zugeteilt und nach zwölf Tagen die Kalorien reduziert. Das war ein Fehler gewesen mit dem Ergebnis, dass wir die großen Rationen, die wir am Anfang zubereiteten, nicht schafften, und unsere Rationen, als wir nach zwölf Tagen richtig Hunger bekamen, zurückfahren mussten. Die Reise war härter, als wir uns vorgestellt hatten, und um Gewicht zu sparen, hatten wir uns auf eine gefährlich niedrige Kalorienzufuhr eingelassen. Nach zwei Wochen dachten wir an nichts anderes mehr als an Essen. Dieser ständige Hunger wurde irgendwann zu einer großen körperlichen und psychischen Belastung.

Der Kuchen, den Erling und ich auf unseren nachfolgenden Expeditionen mitgenommen haben und der nach und nach zu einer Institution wurde, hatte seinen Ursprung auf dieser Reise. Wir mussten mitten in Grönland einen Sturm überstehen. Poker war das einzige Kartenspiel, das wir kannten, und als uns das zu langweilen anfing, lagen wir hohläugig und hohlwangig da und starrten die Zeltdecke an. Wir versuchten, nicht zu viel ans Essen zu denken, weil es uns wahnsinnig machte. Plötzlich sagte Jan Morten: »Mag einer von euch Mandelkuchen mit Cremefüllung?« Im Zelt wurde es still. Agnar und ich taten so, als hätten wir nichts gehört, aber von diesem Tag an spukte die Vorstellung von Förderbändern voller Mandelkuchen in unseren Köpfen herum. Es war unmöglich, sie aus den Gedanken zu verbannen. Danach habe ich nie mehr gewagt, ohne einen solchen Kuchen auf eine Expedition zu gehen.

Ich nahm mir die Grönland-Erfahrungen zu Herzen und machte mich an die Planung der Verpflegung für die Nordpolexpedition von 1990. Ich wollte den Anteil an Fett und Kalorien drastisch erhöhen. Ernährungsexperten, denen immer eingeimpft worden war, dass Fett schlecht für den Körperhaushalt sei, schüttelten den Kopf. Selbst diejenigen, die sich mit Ernährung im Spitzensport beschäftigten, sagten, dass wir mehr Kohlehydrate und weniger Fett mitnehmen sollten. Meine eigenen Erfahrungen und die anderer Expeditionen, ganz zu schweigen von den Arktisforschern früherer Zeiten, erzählten eine ganz andere Geschichte.

Schließlich kam ich in Kontakt mit zwei Personen, die eine differenziertere Einstellung hatten: Halvor Holm vom Ernährungsinstitut in Oslo und Knut Christian Opstad vom Forschunginstitut des norwegischen Verteidigungsministeriums. Zusammen mit ihnen entwickelte ich ein Menü, das 5.750 kcal enthielt, wobei 65% der Energie aus Fett bestand.

Fett in so großen Mengen ist vermutlich nahe an der Grenze dessen, was der Körper verarbeiten kann. Unser Plan war, ihn schon einige Zeit vorher an hohe Dosierungen zu gewöhnen. Frühzeitig begannen wir deshalb, uns auf Fettreiches in großen Mengen zu stürzen. Das Ergebnis war, dass Geir Randby über 100 kg wog, als wir aufbrachen. Schlimmer war, dass er ungefähr genausoviel wog, als er dreizehn Tage später ausgeflogen werden musste.

Erling und ich waren mit unseren Extra-Fettreserven gut zurechtgekommen. Vorausgesetzt, du bist fit, ist es viel besser, 10 kg zuviel auf den Rippen zu haben als dasselbe Gewicht auf dem Schlitten. Man muss sehr viel essen, um ein Kilo Fettreserven im Körper anzulegen. Wir wurden trotzdem sehr hungrig, während wir uns ins Zeug legten, um die zwei Briten Ranulph Fiennes und Mike Stroud zu übertreffen, die mit dem gleichen Ziel wie wir von Russland aus gestartet waren. Unsere Körper hatten kein Problem damit, so viel Energie aufzunehmen, und die Rationen passten, obwohl wir Tag für Tag dasselbe aßen.

Für meine jetzige Expedition verfuhr ich nach demselben Konzept, erhöhte aber die Kalorienzahl auf 6.200 und den Fettgehalt um ein paar Prozent. Das Frühstück bestand aus Haferflocken, Trockenmilch, Zucker und Sojaöl. Mittags gab es das Gleiche, vermischt mit Nüssen und Rosinen. Das Mittagessen enthielt auch eine Tüte mit speziell hergestellten Schokoladenstücken mit hohem Fettgehalt. Das Abendessen bot die einzige Abwechslung im Menü: Hier konnte ich wählen zwischen gefriergetrocknetem Lachs oder Schinken mit Kartoffelpüree und – natürlich – Sojaöl. Das Essen war sorgfältig abgewogen und wegen der leichteren Handhabung und längeren Haltbarkeit vakuumverpackt portioniert worden.

Lange bevor das Weihnachtsessen auf den Tisch kam, hatte ich angefangen, zuzunehmen. Ich hatte Flaschen mit Olivenöl in der Küche und im Auto und nahm nach jeder Mahlzeit einen Schluck. Das ging eine Zeitlang gut, aber am Ende geschah das Unvermeidbare: Ich bekam Magenschmerzen. Der Fettgehalt war extrem hoch und vielleicht zu viel von einer Sorte. Nachdem ich stattdessen Sahne trank, wurde es viel besser. Ich trank etwa einen halben Liter Sahne pro Tag und aß, soviel ich konnte. Aber immer noch war ich nicht so schwer wie erhofft. Als ich aufbrach, wog ich 84 kg, nur 5 kg mehr als sonst. Dies lag an der reichlich hektischen Zeit in den Monaten vor meinem Aufbruch.

Manchmal begann ich mich zu fragen, ob diese Reise wirklich eine so clevere Idee war. Aber ich hatte meine Entscheidung getroffen, und jetzt ging es darum, mich so gut wie möglich vorzubereiten. Ich dachte über alles nach, was möglicherweise schiefgehen konnte, und wollte mich positiv auf alles einstimmen, was mir vielleicht begegnen würde.

Ein Teil dieser Vorbereitungen bestand darin, mit Leif Roar Falkum Kontakt aufzunehmen, der viel mit Top-Athleten gearbeitet hat. Eines der wichtigsten Dinge war, dass ich versuchte, mich selbst so gut wie möglich verstehen zu lernen angesichts dessen, was mich erwartete. Die eine Sache war, fit und optimistisch zu sein, aber ich musste akzeptieren, dass ich mich dort draußen bestimmt manchmal klein und ängstlich fühlen würde. Ich musste mit solchen Gefühlen zurechtkommen, wenn sie hochkämen, durfte aber die Angst nicht die Oberhand gewinnen lassen. Jedenfalls war das die Theorie, und ich versuchte, diese Gefühle so gut ich konnte zu hinterfragen, vor allem nachdem ich etwas von der bevorstehenden Reise geträumt hatte. Wie ich mich in der Praxis verhalten würde, wenn der Sicherheitskokon um mich herum weggefallen war, blieb abzuwarten. Natürlich hätte ich eine Woche alleine im Gebirge verbringen können, aber es ist ein meilenweiter Unterschied, sowas zu machen, oder zwei Monate alleine auf dem Polarmeer zu verbringen, weshalb ich nicht glaube, dass es etwas geholfen hätte.

Was, wenn ich versagte? Die Wahrscheinlichkeit, dass ich erfolglos blieb, war ziemlich groß. Die meisten – selbst jene, die unterwegs mit dem Fallschirm abspringen – erreichen den Pol nicht, und ich musste mit der Möglichkeit rechnen, dass es vielleicht nicht klappte. Das Wichtigste an einer Expedition dieser Art ist, sein Ziel zu erreichen, zu gewinnen. Aber aus einer größeren Perspektive betrachtet, gibt es Wichtigeres im Leben, als auf Skiern an den Nordpol zu gelangen. Vor dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Fragen nahm das ganze Projekt die Dimensionen eines Sportwettkampfes an, und es ging nicht mehr nur um die Frage, den Pol zu erreichen oder nicht. Das Wichtigste war, heil zurückzukommen und danach ein normales Leben führen zu können, selbst wenn ich aufgeben müsste.