Den Nordpol umsegelt - Borge Ousland - E-Book

Den Nordpol umsegelt E-Book

Borge Ousland

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Beschreibung

Børge Ousland und Thorleif Thorleifsson durchsegelten im Sommer 2010 auf einem Trimaran sowohl die Nordost- als auch die Nordwestpassage. Ihre Expedition war die erste, die es schaffte, rund um den Nordpol in einer Saison zu segeln. Für diese herausragende seemännische Leistung erhielten sie vom Royal Cruising Club in London die renommierte Tilman-Medaille verliehen. Auf ihrer Fahrt durch die Eismeerpassagen konnte die Besatzung der Northern Passage auch die gravierenden Klimaveränderungen in der Arktis feststellen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

BØRGE OUSLAND: Das Eis

BØRGE OUSLAND: Die Vorbereitung

THORLEIF THORLEIFSSON: »Und das meiste davon ist Norden«

BØRGE OUSLAND: Eine stolze russische Polartradition

THORLEIF THORLEIFSSON: Spuren eines arktischen Imperiums

BØRGE OUSLAND: Durch Labyrinthe von Eis

THORLEIF THORLEIFSSON: Bürokratische Improvisation für eine Plastiktonne Benzin

Thorleif Thorleifsson: Von Ost nach West

Børge Ousland: Hinein in die Nordwestpassage

THORLEIF THORLEIFSSON: Zwischen Skylla und Charybdis

BØRGE OUSLAND: Den Winter auf den Fersen

Thorleif Thorleifsson: Zwischen Eisberg und Bohrplattform

DAS BOOT

Vorwort

Durch die Nordwest- und die Nordostpassage zu segeln, war 500 Jahre lang für Polarfahrer, Wissenschaftler, Seeleute und Abenteurer ein nasser und eiskalter Traum. Die Expeditionen führten in unbekanntem Gebiet in unerwartete Gefahren und bedeuteten äußerste körperliche Belastungen bei extremen Witterungsbedingungen. Die meisten Abenteurer kamen nicht zurück. Die Reise konnte drei Jahre dauern, wie zum Beispiel die Gjøa-Expedition von Roald Amundsen von 1903 bis 1906, die erste Durchsegelung der Nordwestpassage. Einige Polarfahrer schafften es jedoch heimzukommen und konnten so in Tagebüchern, Reportagen, wissenschaftlichen Artikeln oder durch Vorträge und Fotos von ihrer Reise erzählen, wie zum Beispiel Fridtjof Nansen und Roald Amundsen. Oder wie es heute Børge Ousland schon oft getan hat, von dem einige Bücher erschienen sind.

Inspiriert durch die große norwegische Polartradition, segelten Børge Ousland und Thorleif Thorleifsson 2010 in einem einzigen Sommer durch beide Passagen – also rund um den Nordpol – und das in einem 31 Fuß langen Glasfiberkatamaran. Angesichts dieser Tatsache stellt ihre Expedition einen starken Kontrast dar zu Nansens und Amundsens damaligem Kampf gegen die Eiswüste. Ouslands und Thorleifssons Tour ist geprägt durch die Botschaft, dass die Arktis wegschmilzt; man kann inzwischen rund um den Nordpol herumsegeln. Und dies stellt uns Menschen im Norden vor neue Herausforderungen, gibt uns aber auch ungeahnte Möglichkeiten. Den Nordpol umsegelt ist deshalb ein abenteuerreiches, imponierendes, spannendes – aber auch ein beängstigendes Buch.

Beängstigend vor allem deswegen, weil die Eisschmelze offen vor unseren Augen geschieht; der Prozess geht rasend schnell voran. Das, was da im Norden passiert, schickt uns eine deutliche Warnung vor der stattfindenden globalen Klimaveränderung. Die Forschung zeigt uns, dass die jährliche Durchschnittstemperatur in der Arktis doppelt so schnell steigt wie im Rest der Welt. Klimaveränderungen in der Arktis gehen schneller vor sich, als wir bislang annahmen. Das dicke mehrjährige Eis schwindet. Im Winter 2009 waren weniger als 15% des Eises im Nordpolarmeer älter als zwei Jahre. Auch das Ausbreitungsgebiet des Eises verändert sich stark. Dies alles konnte die Besatzung der Northern Passage auf ihrer Fahrt 2010 durch die Eismeerpassagen feststellen.

Børge Ousland und Thorleif Thorleifssons Expedition ist deutlich inspiriert von einer langen und stolzen norwegischen und europäischen Polartradition, bei der Forscherdrang, Neugier und Mut, kombiniert mit Innovation, Können und tatkräftigen Unterstützern zuhause, die Erfolgsformel ausmachten. Für eine große Anzahl von Expeditionen war es lange Zeit das erklärte Ziel, Westeuropas und Asiens Seewege über nördliche Routen in beide Richtungen zu verbinden. Seit ungefähr dem Jahr 1500 gab es viele strapaziöse Versuche, oft missglückten sie unter tragischen Menschenverlusten, bis es endlich Roald Amundsen gelang, mit dem kleinen Polarschiff Gjøa durch die Nordwestpassage zu segeln.

Das Überwintern bei den Inuit, an einem Platz auf King William Island, der später Gjøahavn getauft wurde, schaffte die Basis für die Kenntnisse, die entscheidend dazu beitrugen, dass Amundsens Vorstoß zum Südpol im Jahre 1911 glücken konnte. Der schwedisch-finnische Forscher Adolf Nordenskiöld war 1878-1880 der Erste, der durch die Nordostpassage segelte, während Amundsen, der die Nordostpassage mit der Maud 1918-1920 durchfuhr, der Erste war, der beide magische Passagen bezwingen konnte.

Polarexpeditionen zur damaligen Zeit erforderten das Allerbeste an Technologie, Wissen und Können. Vor über 100 Jahren waren das beispielsweise speziell gebaute Polarschiffe wie die Fram, Gjøa oder Maud, die sich dem Treibeis anpassen und dessen Kräfte aushalten konnten, wenn sie einfroren. In unserer Zeit ist dies mit der Northern Passage eine Nussschale aus Glasfiber, die so schnell durch die beiden Passagen segeln kann, dass ein kurzer Arktissommer dafür genügt. Beide Schiffstypen waren bzw. sind innovativ und auf der Höhe ihrer Zeit.

Der Kontrast zwischen Nansens und Amundsens rustikalen Eismeerkuttern und dem eleganten Glasfiber-Rennboot macht die Entwicklung in unseren polaren Gebieten deutlich. Vor 100 Jahren konnte sich ein Polarschiff nicht vor dem Packeis davonstehlen, sondern musste sich mit bis zu einem Meter dicken Schiffswänden schützen, wie z. B. die Fram, und mit Spezialkonstruktionen versehen, die es ermöglichten, das Schiff auf dem Packeis intakt zu halten, wenn die Naturkräfte ihre Gewalt ausspielten. 2010 konnten Ousland und Thorleifsson im selben öden Nordmeer mit einem Schiffsrumpf von 2-3 cm Dicke um die Eisberge herum navigieren. Diese Entwicklung ist faszinierend und gleichzeitig ein wenig beängstigend.

Die vielen Expeditionen Ouslands sind, wie die von Sverdrup, Nansen und Amundsen, geprägt von akribischer Planung und langer, intensiver Erfahrung. Wissen um die örtlichen Gegebenheiten, neue Technologien und wissenschaftliche Erkenntnisse flossen mit ein. Selbst wenn heutige Polarabenteurer wie Ousland keine neuen Inseln, Berge und Fjorde mehr entdecken oder Farbe auf die weißen Flecken der Weltlandkarten setzen können wie ihre Helden ein Jahrhundert zuvor, haben sich Ousland und sein Team in diesem Polargebiet auf neuartige Weise und mit neuen Techniken fortbewegt.

Seit meinem ersten Tag als norwegischer Außenminister richtete auch ich meine Aufmerksamkeit gegen Norden. Von Norwegens Wirtschaftsgebieten erfährt der Norden momentan die stärksten Veränderungen. Wir sehen darin große Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten, die sich aufgrund des wachsenden Interesses an Ressourcen und aufgrund der Folgen der Klimaveränderung ergeben. Neue wirtschaftliche Seewege können erschlossen werden. Dabei steht Norwegens entspanntes Verhältnis zu seinen Nachbarländern im Zentrum, inklusive des großen Nachbarn im Osten, Russland. Eine große Verantwortung für unsere Regierung besteht darin, dafür zu sorgen, dass Norwegen eine klare politische Strategie verfolgt und alles dafür tut, damit Norwegens Führungsposition im Norden, wie sie seit Ende des 19. Jahrhunderts besteht, gewahrt bleibt.

Für die Außenpolitik der Regierung haben seit 2005 die nördlichen Gebiete wichtigste strategische Bedeutung. Die übergeordneten außenpolitischen Ziele für die Politik in diesem Gebiet sind, den Frieden zu sichern, für Stabilität in der Region zu sorgen, eine tragfähige Verwaltungsstruktur aufzubauen und die Ressourcen unter Stärkung der internationalen Zusammenarbeit auszunützen, um den gemeinsamen Herausforderungen in der Region begegnen zu können. Wenn wir es schaffen, diese übergeordneten Ziele zu erreichen, können wir auch den Rahmen schaffen für das Erreichen der eher innenpolitischen Ziele wie der Stärkung der Beschäftigungsstruktur, der wachsenden wirtschaftlichen Wertschöpfung und der Erhöhung des Lebensstandards im ganzen Land.

Der verstärkte Einsatz für die nördlichen Gebiete kann mit den drei Schlüsselwörtern Aktivität, Kenntnisreichtum und Präsenz ausgedrückt werden. Als Erstes sollte Norwegen den Ehrgeiz haben, vorherrschend auf den wichtigsten Gebieten wirtschaftlicher Aktivitäten im Norden zu sein. Zweitens sollte Norwegen führend auf allen Wissensgebieten sein, die für den Norden wichtig sind, also Polar- und Klimaforschung, Wirtschaftsentwicklung und Geopolitik. Und drittens sollte Norwegen das Ziel haben, das Leben im Norden durch eine gute Wohnungsbaupolitik, durch Erhöhung der Wertschöpfungsmöglichkeiten für die Menschen, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Unterstützung vielfältiger kultureller Aktivitäten zu sichern. Das Ziel sollte sein, dass Menschen in allen Teilen des norwegischen Festlandes und der umliegenden Meeresgebiete leben und wirken können.

Mit der Wahl von Tromsø als Sitz für das neue ständige Sekretariat der Organisation ›Arktischer Rat‹ im Jahr 2011 hat Norwegen ein weiteres Mal seine Rolle in der Entwicklung der nördlichen Gebiete und der Arktis gestärkt. Auf einen Nenner gebracht geht es für Norwegen vor allem um die natürlichen Ressourcen, das Klima und das Verhältnis zu Russland, was die Entwicklung im Norden »treibt« und antreibt: Der Klimawandel fordert die Umwelt und die Menschen in der Arktis heraus. Die Polarregion ist ein Laboratorium, ein Warnsystem für die großen globalen Klimaveränderungen, die momentan vor sich gehen. Es zeigt, wie verletzlich Arktis und Antarktis gegenüber menschlichen Einflüssen sind, zum Beispiel durch die Vermüllung mit Schwermetallen und anderen Umweltgiften. Die Folgen für die Gesundheit der Menschen in diesen Regionen sind vehement, vor allem für die Ureinwohner.

Ein einzelnes Land kann diese Herausforderungen nicht allein meistern. Es muss sich mit anderen Ländern zusammentun, wenn es gelingen soll, die Möglichkeiten zu nutzen, die der Rückzug des Eises in der arktischen Polarregion eröffnet, und gleichzeitig die einzigartige Natur und traditionsreiche Kultur nachhaltig zu bewahren. Durch enge, gute und pragmatische Zusammenarbeit mit unserem Nachbarn, der größten arktischen Nation Russland, haben wir bereits gute Resultate im Umweltschutz und bei der Regulierung des Dorschbestandes erzielt. Die grenznahe Zusammenarbeit mit Russland entwickelt sich ständig weiter, und wir haben – im Laufe von 40 Jahren unermüdlichen Verhandelns – ein Abkommen mit Russland er reicht, das die Grenzen im Meer festlegt.

Der Rückzug der polaren Eiskappe ermöglicht uns in den Nordgebieten neuen Zugang zu Rohstoffen wie Fisch, Öl und Gas sowie die Chance verstärkten menschlichen Einsatzes. Die Aussicht, die Nordostpassage intensiver nutzen zu können, muss unter dem Aspekt betrachtet werden, dass die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den ökonomischen Zentren in Asien und Europa ständig zunehmen. Der globale Klimawandel wird die Fahrwasser im Polarmeer und in den umliegenden Meeresgebieten für den internationalen Schiffsbetrieb sukzessive zugänglicher machen. Das Interesse an einem regelmäßigen Schiffsverkehr durch die Nordostpassage wächst. Der Grund liegt auf der Hand. Die Strecke Yokohama – Hamburg ist ungefähr 40% kürzer als die Schifffahrtsroute durch den Suezkanal. Und der Kraftstoffverbrauch soll immerhin noch um circa 20% geringer sein.

Seit dem Sommer 2010 gibt es schon einen, wenn auch noch begrenzten, Schiffsverkehr zwischen Europa und Asien durch die Nordostpassage. Auf längere Sicht wird diese Passage einen guten Teil der Aktivitäten internationaler Handelsflotten aufnehmen können. Natürlich sind mit der Schifffahrt durch arktische Gewässer etliche Herausforderungen zu meistern, vor allem was die Sicherheit anbelangt, aber auch die Ausrüstung, Überwachung und Kontrolle. Die Kosten für die Überwachung des Eiszustandes sind enorm. Andere Kostentreiber werden die Dunkelheit im Winter, die Vereisung der Schiffe und die hohen Versicherungsprämien sein. Und nicht zuletzt ist zu erwarten, dass die Regulierungsrestriktionen niedriger sein werden als sonst im Schiffsverkehr. In der Abhandlung ›Neue Bausteine im Norden‹ schlägt die Regierung eine Reihe von Grundregeln vor, die dazu beitragen sollen, in den nördlichen Meergebieten die Überwachung, die Ausrüstung und die Sicherheit auf See zu verbessern. Außerdem wird in der internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) daran gearbeitet, dass es verbindliche Regeln für den Schiffsverkehr in polaren Fahrwassern geben soll.

Norwegen und andere arktische Länder nehmen die Herausforderungen sehr ernst, die ein vermehrter Schiffsverkehr in arktischen Gewässern mit sich bringen wird. Ich selbst habe beim Treffen des Arktischen Rates 2011 bindende Absprachen mitunterzeichnet, die sich um das Such- und Rettungswesen in der Arktis drehen. Dabei ging es darum, welche Verantwortung jedes Land hat, falls ein Unglück geschehen sollte.

In diesem Jahr feiern wir den 150. Jahrestag von Fridtjof Nansens Geburt – und es ist genau 100 Jahre her, dass Roald Amundsen die norwegische Flagge am Südpol ins Eis rammte. Die beiden Nationalhelden sahen zurück, um zu lernen; und sie blickten voraus, Fram, also vorwärts sozusagen, um handeln zu können. Das muss auch unsere Inspiration sein – so wie spätere Expeditionen davon inspiriert wurden. Eine alte Parlamentsvorlage des Storting von 1907 (Nr. 78) über die Gjøa-Expedition gibt uns einen lebendigen Eindruck davon, wie wichtig solche Vorhaben für Norwegen waren: »Alle sind sich einig darin, dass die ganze Expedition vom Anfang bis zum Ende dem Volk zu Ruhm und Ehre gereichte – dass sie eine bedeutungsvolle Rolle für die von Norwegen ausgehende und geleitete polare Forschung hat, was vielleicht mehr als alles andere dazu beigetragen hat, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die wissenschaftliche Arbeit zu lenken, die bei uns ausgeübt wird.«

Die historische Schiffsexpedition von Børge Ousland und Thorleif Thorleifsson von 2010 als die erste, der eine Durchquerung der Nordwest- und Nordostpassage per Schiff in einem einzigen Sommer gelang, fügt sich hier im Norden in die gute Tradition ein, Erster zu sein in den polaren Gewässern. Diese Expedition liefert aber auch den Beweis für die enormen Veränderungen, die es derzeit in unserer Umwelt gibt. Das Buch ist deshalb eine Inspiration für unsere Arbeit im Sinne einer friedlichen und nachhaltigen Entwicklung in den Nordgebieten, wo der Schutz der verletzlichen Natur, Innovation, Risikobereitschaft und Spitzenkompetenz eine zentrale Rolle spielen müssen.

Oslo, Juni 2011 Jonas Gahr Støre

BØRGE OUSLAND

Das Eis

Eis hat das Land durch Millionen von Jahren geformt, geknetet und geschliffen. Mit ihrer langsamen, unaufhaltsamen Kraft haben die Gletscher das Land stückweise abgeschabt und gezeichnet. Es war das Eis, das die Berge rund geschliffen und die tiefen fruchtbaren Täler geschaffen hat. Alles wurde geformt durch das Eis. Steile Küsten wurden zu Inseln, Schären und Fjorden, die gegen die rohe Kraft des Meeres schützten. Als das Eis sich nach und nach zurückzog, blieben Moränen und riesige Flächen losen Gesteins zurück. Das Klima wurde milder. Aus dem Moränenland wurden langsam aber sicher pflanzenbewachsene Erde und Wald. Geschützte Weidemöglichkeiten schufen die Grundlage für ein reiches Tierleben und lockten so die ersten Jäger an.

Und dann ertönte der Klang von Axthieben. Der unermüdliche Kampf der Neusiedler begann. Sie bearbeiteten die Erde, weideten ihre Tiere, jagten in den Wäldern und bis hinauf zu den Gletschern. Die Winter waren kalt und das Leben hart; aber es gab nun eine Grundlage dafür, geschaffen vom Eis, das dem Land eine Form hinterlassen hatte, die ein Überleben so weit im Norden möglich machte.

Es sind circa tausend Jahre vergangen seit der letzten Eiszeit; selbst heutzutage wäre es nicht leicht, hier oben im Norden ein Leben durchzustehen ohne die Landschaftsveränderungen durch das Eis. Eine tundraähnliche Gebirgslandschaft, hoch über der Baumgrenze, eignet sich nicht für dauerhafte Ansiedlungen. Vielleicht würden die Küsten die Möglichkeit für einige wenige kleine Siedlungsgemeinschaften bieten, aber es gäbe kaum sichere Häfen, und diese nur in nacktem Fels. Dass Norwegen zu dem wurde, was wir heute kennen, dieses Land mit all seinen Fjorden und Tälern, Hochgebirgen und Wäldern, verdanken wir dem Eis.

Ich liebe Eis und Schnee. In vielerlei Hinsicht hat das mein Leben geprägt: von den ersten Schritten als Junge auf Nesodden bis zur Tour über Grönland vor fünfundzwanzig Jahren und später über die Eisbarrieren des Polarmeeres, und nicht zuletzt in den schier endlosen Weiten der Arktis. Wenige Dinge sind so unglaublich schön, und nur wenige Erlebnisse haben mir Ähnliches geben können.

Doch was hat es auf sich mit diesem Eis und Schnee, das einen dazu bringen kann, dass man sich so sehr nach dem Kalten und Weißen sehnt?

Die Freude darüber, Ski laufen zu können, ist ein Teil der Antwort. Skier waren zuerst einmal nur Gerätschaften, mit denen man leichter ein Ziel erreichen konnte. Aber gleichzeitig ermöglichten sie eine ganz besondere Art der Fortbewegung: leicht und frei über tiefen Schnee zu gleiten, die Elemente zu beherrschen. Als Fortbewegungsmittel sind Skier genauso wichtig wie das Segel auf dem Schiff. Für mich ist es faszinierend, mutterseelenallein in der leblosen Schneelandschaft zu sein. Man kommt sich selbst und den Elementen näher, wenn man niemand anderen hat, an den man sich anlehnen kann. In strengster Kälte kann es um Tod oder Leben gehen. Aber wenn man sich richtig vorbereitet hat und diese Herausforderung meistert, dann ist das Erfolgserlebnis immens groß. Ein anderes Element dieser Faszination ist selbstverständlich die Abenteuerlust, die tiefe Sehnsucht nach Herausforderungen. Der wichtigste Grund aber ist das Phänomen »Winter« selbst und das Vermächtnis, das diese kalte Jahreszeit uns beschert hat. Ich bin überzeugt, dass der Winter eine große Rolle dabei gespielt hat, uns als Nation zu formen. Wir haben gelernt, mit den Elementen umzugehen – und wir ertragen sie. Der Winter hat uns ein tiefes Gefühl von Zugehörigkeit zur Natur gegeben: eine natürliche und pure Freude, die an Urinstinkten in uns rührt.

Norwegen liegt weit im Norden. Sollte der Schnee in der dunklen Jahreszeit einmal verschwinden, würde alles grau und dunkel sein. Schnee und Eis reflektieren den größten Teil ihrer Energie zurück ins All. Wenn die Gletscher und das Meereis schmelzen und stattdessen Land und Meer sichtbar werden, geschieht genau das Gegenteil. Die dunkleren Flächen absorbieren 70-80% der Sonnenenergie, statt diese zu reflektieren. Dieser Mechanismus trifft in besonderem Maße für die Polargebiete zu, wo das Treibeis ständig dünner wird, weil sich das Meer erwärmt. Das löst einen Teufelskreis aus. Dieser Mechanismus ist der Hauptgrund dafür, dass die Durchschnittstemperaturen in der Arktis doppelt so schnell steigen wie im Rest der Welt.

Dass das Packeis im Polarmeer schmilzt, hat außerdem schlimme Auswirkungen für die Tierwelt. Das Packeis ist wie ein umgekehrter Meeresboden: Algen wachsen unter dem Eis, was Nahrung bedeutet für Krebstiere und Fische, die wiederum die größeren Tiere, weiter oben in der Nahrungskette, am Leben erhalten. Die Tiere in der Arktis sind spezialisiert auf diese Art der Nahrungsaufnahme. Wenn das Packeis in kurzer Zeit verschwindet, schrumpft auch ihr Umfeld, in dem sie sich bewegen und wo sie Nahrung finden können. Die Veränderungen gehen so schnell vor sich, dass sich die Tiere nicht daran anpassen können. Das Tierleben in der Arktis, so wie wir es heute kennen, ist ernsthaft bedroht, weil die bisherige Nahrungsgrundlage zu verschwinden droht.

Als Erling Kagge, Geir Randby und ich 1990 zum Nordpol gingen, redete man noch nicht viel über globale Erwärmung. Es sah so aus, als seien der Nordpol und das Eis so wie immer: solid und dick, ungefähr drei Meter. Solches Eis hat mehrere Sommer überdauert und wurde von Jahr zu Jahr dicker. Es ist etwas ganz Besonderes, auf solchem Eis zu gehen, auf einer gewellten Landschaft mit schneegefüllten alten Eisblockbarrieren, fast so wie zu Hause im Gebirge.

Damals waren mehr als 60% des Eises im Polarmeer älter als zwei Jahre, jetzt sind es noch 10%. Als Thomas Ulrich und ich 2007 vom Nordpol nach Franz-Josef-Land gingen, maßen wir im Auftrag des Norwegischen Polarinstituts jeden Tag das Eis. Die Dicke betrug im Schnitt eineinhalb bis zwei Meter, was eine Reduktion von etwa einem Meter in 20 Jahren bedeutete. Russische Forscher, mit denen ich mich auf der treibenden Forschungsstation »Severnaja Polus 36« unterhielt, berichteten genau dasselbe. Ein Meter dünner in 20 Jahren, über so eine kurze Zeit hinweg, das ist eine gewaltige Verminderung!

2007 war auch das Jahr, in dem ich die Idee hatte, rund um den Nordpol zu segeln; in einer einzigen Saison durch die Nordost- und die Nordwestpassage, einfach weil ich auf Satellitenbildern sah, dass beide Passagen gleichzeitig offen waren. Das war im September. Die Aufnahmen zeigten gewaltige Gebiete mit offenem Wasser. Abgesehen von einer kleinen Eiszunge auf russischer Seite, waren die Passagen nahezu eisfrei. Das ergab eine völlig neue Situation: Noch nie seit Beginn der Eismessungen gegen Ende der Siebzigerjahre hatte es so wenig Eis im Polarmeer gegeben.

Durch die Nordost- oder die Nordwestpassage zu segeln, ist keine neue Idee. Schnellere Handelsrouten nach Asien zu finden, war seit etwa 1500 ein Traum der Europäer. Und der kürzeste Weg dorthin verläuft über die nördliche Eismeerroute. Von den vielen britischen Expeditionen, die sich an der Nordwestpassage versuchten, war die Franklin-Expedition von 1845 die katastrophalste. 129 Mann starben, nachdem die Schiffe Erebus und Terror nahe der Victoria-Straße vom Eis zerquetscht worden waren.

Nördlich von Sibirien suchte man den Weg nach Osten. Der Holländer Willem Barentsz stach 1596 in See, um den nördlichen Seeweg nach Indien zu finden. Der Versuch endete auf Nowaja Semlja. Der Däne Vitus Bering drang in russischen Diensten um 1700 noch weiter nach Norden vor. 1879 bezwang der Finnlandschwede Adolf Erik Nordenskiöld mit seiner Vega als Erster die Nordostpassage.

Der größte Triumph der Schweden in den Polargebieten ist und bleibt also die Erstbefahrung der Nordostpassage, oder der nördlichen Seeroute, wie sie auch genannt wird. Diese erstreckt sich entlang des gesamten nördlichen Teils Russlands von der Barentssee bis zur Beringstraße. Sie ist jetzt schon eine Reihe von Jahren offen für die kommerzielle Schiffsfahrt, ermöglicht durch die Begleitung von Eis brechern. Zuerst waren es vor allem russische Schiffe, die die Strecke nutzten. Das führte dazu, dass der Weg gut kartographiert wurde; ganz im Gegenteil zur kanadischen Seite, wo man der Untersuchung des Meeresgrundes keine große Bedeutung beimaß und wo die Seekarten nach wie vor höchst mangelhaft und unvollständig sind.

Die Nordwestpassage auf der anderen Seite des Eismeeres erstreckt sich längs der Nordküsten von Alaska und Kanada und endet in der Baffin Bay an Grönlands Westküste. Diese Route wurde kommerziell kaum genutzt, weil das dicke Eis oft erst sehr spät im Jahr schmolz – und auch wegen der engen Durchfahrten und zahlreichen Untiefen im Fahrwasser. Erst 1906, nach dreijähriger Reise, gelang es Roald Amundsen mit seinem kleinen Schiff Gjøa als Erstem, die Nordwestpassage von der Baffin Bay bis zur Westküste Alaskas zu durchqueren. Amundsen war später auch der Erstbefahrer beider Passagen, als er von 1918 bis 1920 mit dem speziell dafür entworfenen Polarschiff Maud durch die Nordostpassage fuhr.

Ohne Unterstützung von Eisbrechern war es noch bis vor wenigen Jahre normal, ein oder zwei Winter eingefroren im Eis zu überstehen. Das erste Segelboot, das beide Passagen meisterte, war im Jahre 2003 die französische Vagabond. Die Fahrt hatte insgesamt drei Jahre gedauert. Genauso lange unterwegs war der irische Segler Northabout, der in Gegenrichtung segelte und 2005 sein Ziel erreichte. Seither ist die Ausbreitung des Eises stetig zurückgegangen, mit deutlichem Schwinden in den letzten vier Jahren.

BØRGE OUSLAND

Die Vorbereitung

Es ist Herbst 2008 und ein Jahr her, seit ich mit Thomas Ulrich von Franz-Josef-Land heimgekommen bin. Die Idee der Nordost- und Nordwestpassagen-Durchquerung war gereift, und ich verfolgte ständig per Satellitenbilder die Entwicklung der Eisausbreitung. Im September zeigten die Bilder dasselbe wie ein Jahr zuvor. Auch jetzt war das Meereis wieder auf ein Restminimum geschrumpft und beide Passagen so gut wie offen. Das war die Bestärkung, auf die ich gehofft hatte. Sich für dieses Experiment zu entscheiden, löste ein herrliches Gefühl in mir aus. Endlich ist der Plan konkret, und ich weiß, was ich tun muss. Das Wichtigste ist immer, einen Entschluss zu fassen, ein Datum festzulegen. Praktische Fragen wie Ausrüstung, Logistik, Wetter und Eis sind Herausforderungen, die gemeistert werden müssen, aber diese liegen noch in weiter Zukunft. Erstes Gebot ist also immer, herauszufinden, ob ich mir etwas wirklich wünsche und in welchem Grad dies durchführbar ist. Weil das Vorhaben realisierbar und wohlüberlegt sein muss, benötige ich eine lange Bedenkzeit dafür. Eine Expedition benötigt für ihre Durchführung vielleicht nur ein paar Monate, aber es liegt ihr jahrelange harte Arbeit und Planung zugrunde.

Die Hauptidee scheint im Bereich des Möglichen zu liegen: durch die Nordost- und die Nordwestpassage in einem einzigen Sommer um die Welt zu segeln. Ich rechne damit, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis andere diesen Versuch unternehmen werden. Aber ich habe großen Respekt vor dem Meer. Und weil die Planungsphase einer Expedition ihr wichtigster Teil ist, beschließe ich, bis 2010 zu warten.

Ich habe vor, ein kleines Team zusammenzustellen, wie bei einer normalen Expedition. Zuerst einmal kommt selbstverständlich Thomas Ulrich dafür in Frage. Wir haben drei herausfordernde Expeditionen zusammen absolviert. Zwei in Patagonien und 2007 vom Nordpol bis Franz-Josef-Land auf den Spuren von Fridtjof Nansen. Wir ergänzen uns gegenseitig und kommen gut miteinander aus. Thomas ist ein hervorragender Kletterer und für eine Expedition überaus geeignet, aber er kommt aus den Schweizer Alpen und ist kein Seefahrer.

Als Thomas und ich Franz-Josef-Land durchquert hatten, holte uns Thorleif Thorleiffsson an Bord des Segelbootes Athene am Kap Flora ab. Thorleif ist Segler und Skiläufer, früherer Marineoffizier und heute Start-Up- und Betriebsberater. Abgesehen davon, dass Thorleif ein erfahrener Segler ist, kann man mit ihm problemlos vier Monate auf einem Boot verbringen. Direkt vor Weihnachten 2008 frage ich ihn, ob er sich vorstellen könnte, auf einer Segelexpedition rund um den Nordpol dabei zu sein. In groben Zügen weihe ich ihn in meinen Plan ein: »Es wird ungefähr vier Monate dauern, wir reisen leicht und rasch, du bist der Skipper und ich der Expeditionsleiter«, erkläre ich ihm. Diese Rollenverteilung könnte gut funktionieren, weil Thorleif viel mehr Segelerfahrung hat als ich. »Das ist ein fantastischer Plan, und ich fühle mich geehrt, dass du mich fragst«, antwortet er spontan, »aber gib mir ein paar Wochen Bedenkzeit – Zeit, um daheim den Boden dafür vorzubereiten«, fügt er hinzu.

Ich nehme dies als ein Ja und beginne die Planung ernsthafter voranzutreiben. Das Segeln in arktischen Gewässern ist für mich ziemlich neu, andererseits ist die Planung ganz ähnlich wie bei früheren Landexpeditionen. Das Wichtigste ist die Phase, in der man möglichst viel über die größten und schwierigsten Herausforderungen herausfinden muss. Wenn man die Essenz eines Problems versteht, ist es fast immer möglich, eine Lösung dafür zu finden. Kleinere Herausforderungen kann man erst mal vernachlässigen. Sie geraten normalerweise erst nach und nach, wenn man konkret am Projekt arbeitet, in den Fokus.

Auch wenn die Herbststürme im Nordatlantik sicher gefährlich werden können, so ist und bleibt das Eis das größte Hindernis. Die Distanz ist nicht das Abschreckende, ungefähr zehntausend Seemeilen, aber Boote jeder Größe wurden schon durch das Eis aufgehalten, gestoppt oder schwer beschädigt. Gute Satelliteninformationen werden wichtig sein, um genau beurteilen zu können, wo Eis ist und wohin es driftet.

Das andere, was von großer Bedeutung ist, ist die Wahl des richtigen Fahrzeugs. Das Boot muss schnell genug sein, damit die Strecke zurückgelegt werden kann, bevor die Passagen im Herbst wieder zufrieren, aber es muss auch sehr beweglich sein, um gut durchs Eis hindurch navigieren zu können. Es wie die Wikinger zu machen, scheint mir klug zu sein, d. h. ein Boot mit wenig Tiefgang zu nutzen, mit dem man sich leicht entfernen kann, wenn das Eis zu gefährlich wird. Vor allem entlang der sibirischen Küste ist es sehr seicht; es gibt Streifen offenen Wassers direkt in Landnähe, wo man vermutlich hindurchsegeln kann.