Alpengold 172 - Rosi Wallner - E-Book

Alpengold 172 E-Book

Rosi Wallner

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Beschreibung

"Danke! Danke für alles!", raunt Jonas Meringer und im Überschwang der Gefühle zieht er Tabea fest in seine starken Arme. Nach dem Tod seiner Frau Veronika hat die hübsche Dorfhelferin auf dem Meringer-Hof wahre Wunder vollbracht: Mit ihrer Fröhlichkeit und liebevollen Zuwendung hat sie Jonas' Kindern Linus und Hannchen das Lachen zurückgebracht! Und auch ihm selbst ist das Herz etwas leichter geworden. Nun wagt Jonas sogar, den Pflichten des Hofes wieder nachzugehen und an einer Zukunft für sich und die Kinder zu arbeiten ... Als Jonas Tabea loslässt, liest er in ihren schönen Augen, was sie für ihn fühlt - und weicht erschüttert zurück! Denn es darf nicht sein! Niemals wird er den Verlust Veronikas verwinden, nie eine andere Frau als sie lieben können, sondern für immer an eine Tote gebunden sein ...

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Seitenzahl: 136

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Inhalt

Cover

Impressum

Die gute Seele des Dorfes

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-8387-5957-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Die gute Seele des Dorfes

Nur an ihr eigenes Glück dachte sie nicht

Von Rosi Wallner

»Danke! Danke für alles!«, raunt Jonas Meringer, und im Überschwang der Gefühle zieht er Tabea fest in seine starken Arme. Nach dem Tod seiner Frau Veronika hat die hübsche Dorfhelferin auf dem Meringer-Hof wahre Wunder vollbracht: Mit ihrer Fröhlichkeit und liebevollen Zuwendung hat sie Jonas’ Kindern Linus und Hannchen das Lachen zurückgebracht! Und auch ihm selbst ist das Herz etwas leichter geworden. Nun wagt Jonas sogar, den Pflichten des Hofes wieder nachzugehen und an einer Zukunft für sich und die Kinder zu arbeiten …

Als Jonas Tabea loslässt, liest er in ihren schönen Augen, was sie für ihn fühlt – und weicht erschüttert zurück! Denn es darf nicht sein! Niemals wird er den Verlust Veronikas verwinden, nie eine andere Frau als sie lieben können, sondern für immer an eine Tote gebunden sein …

»Wisst ihr, was dem Linus fehlt?«, fragte Susanne Neudorfer ihre Klasse, doch sie erntete nur gleichgültiges Schulterzucken oder unverständliches Getuschel.

»Mein Vater tät sagen, dem fehlen nur ein paar Watschen«, warf Seppi Angerer ein, und ein gehässiges Glitzern stand in seinen wasserblauen Augen.

»Wie kommst denn dazu, so etwas zu sagen, Seppi?«, fragte die junge Lehrerin erstaunt.

Sie war um einen freundlichen Ton bemüht, was ihr gegenüber dem aufsässigen Achtjährigen häufig schwerfiel. Denn er ähnelte jetzt schon allzu sehr seinem Vater, dem streitlustigen Angerer-Bauern, der seine Nachbarn mit Prozessen überzog und ihren Ruf mit übler Nachrede schädigte.

»Der treibt sich draußen herum, und wir sind hier eingesperrt und müssen uns langweilen mit dem ganzen Schmarren«, erwiderte er frech.

Ein anderer Schüler meldete sich und sagte, dass er den Linus gestern erst gesehen habe.

»Und da hat er kein bisserl krank ausgesehen«, fügte er hinzu.

»Ich werde mich drum kümmern«, sagte Susanne und ging zu Rechtschreibübungen über, was Seppi ein Aufstöhnen entlockte.

Der jungen Lehrerin bereitete es Mühe, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, denn der kleine Linus Meringer war ihr Sorgenkind. Immer wieder fehlte er im Unterricht, manchmal sogar ohne Entschuldigung, und wenn er schließlich doch teilnahm, wirkte er abwesend und starrte vor sich hin.

Susanne hatte schon mehrmals den Versuch gemacht, mit Linus zu reden, doch der Junge verschloss sich vor allem. Er senkte den Kopf und schwieg hartnäckig, aber Susanne spürte, dass es nicht Trotz oder Verstocktheit war, sondern eine Abwehrhaltung, die von großem Schmerz herrührte.

Linus Meringer hatte im letzten Jahr seine Mutter verloren.

Und seitdem hatte sich der aufgeweckte, lebhafte Junge völlig verändert und war weder Trost noch Ermahnungen zugänglich. Sein Vater ließ sich nie zu einem Elterngespräch blicken. Susanne hatte ihn sogar angeschrieben, aber Jonas Meringer hatte nicht darauf reagiert.

Sie hatte es bislang vermieden, mit ihrem Kollegen, der gleichzeitig ihr Vorgesetzter war, darüber zu sprechen. Denn Alwin Moshuber war noch ein Lehrer alter Schule, der sich laufend darüber beklagte, dass die Prügelstrafe abgeschafft worden war.

Susanne hielt Moshuber, der ein verbitterter Mensch war, durchaus für dazu imstande, dass er das Jugendamt informierte. Susanne wollte sich erst gar nicht vorstellen, wie Linus auf eine Fürsorgerin reagieren würde. Sie würde ihn nicht nur für verstockt, sondern vielleicht auch für verwahrlost halten, was weitreichende Folgen nach sich ziehen könnte.

Doch ehe es erst so weit kam, wollte sie sich selbst ein Bild von den häuslichen Verhältnissen, in denen das Kind lebte, machen. Vielleicht gelang es ihr auch, den Vater dazu zu bewegen, sich mehr um seinen Sohn zu kümmern.

Nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatte, fühlte sie sich erleichtert. Da es sowieso bald klingeln würde, unterbrach sie den Unterricht, griff nach ihrer Gitarre und stimmte mit den Kindern ein Lied an.

Nach Schulschluss beeilte sie sich, nach Hause zu kommen. Weil sie an diesem Nachmittag freihatte, nahm sie sich vor, schon heute auf den Meringer-Hof zu gehen und mit Linus’ Vater zu sprechen. Zu Fuß erreichte sie ihr kleines Haus in einer versteckten Seitenstraße am Ortseingang, das, verborgen vor neugierigen Augen, in einem zugewucherten Garten stand.

Susanne musste sich eingestehen, dass sie am Ziel ihrer Träume war. Sie lebte in dem kleinen Gebirgsdorf, das ihr auf einer Bergwanderung so gut gefallen hatte, dass sie sich an die dortige Schule beworben hatte, sobald eine Stelle frei geworden war. Und sie hatte es nicht bereut. Sie war bald heimisch geworden, und das Unterrichten bereitete ihr große Freude. Die Klassen waren klein, sodass sie sich besser um jedes einzelne Kind bemühen konnte.

Eine unverhoffte Erbschaft hatte es ihr ermöglicht, das Haus zu kaufen, und sie war nun dabei, es Schritt für Schritt zu renovieren und den Garten neu anzulegen. Für die Sommerferien hatte sie sich viel vorgenommen …

Sie bereitete sich eine Kleinigkeit zum Essen zu und ruhte sich ein wenig aus, dann machte sie sich für den Besuch auf dem Meringer-Hof fertig. Sie zog ein sommerliches Dirndl an, fuhr mit dem Kamm durch die gelockten goldbraunen Haare und tauschte die leichten Sandalen gegen festes Schuhwerk aus. Dann war sie gerüstet und verließ voller Tatendrang und mit den besten Absichten das Haus.

Der Meringer-Hof lag etwas außerhalb in einer fruchtbaren Talmulde. Der Weg führte durch Almwiesen und einen lichten Mischwald bergan, die letzte Wegstrecke war ziemlich steil. Susanne seufzte erleichtert auf, als der Meringer-Hof in Sicht kam.

Sie blieb kurz stehen, um das Bild, das sich ihren Augen bot, auf sich wirken zu lassen. Der Meringer-Hof war ein stolzes Anwesen, das Wohnhaus war kunstvoll mit Lüftlmalerei verziert, zahlreiche Nebengebäude schlossen den Hofplatz mit dem plätschernden Brunnen von beiden Seiten ein.

Doch als sie näherkam, erwies sich die Idylle als Täuschung, denn der Hof zeigte deutliche Spuren der Vernachlässigung. Aus den Blumenkästen auf den Balustraden wucherte Unkraut statt Hängegeranien. Auch in den Terrakottatöpfen rechts und links der Haustür waren die Pflanzen vertrocknet, und aus den Ritzen des Vorplatzes spross das Grün. Rechter Hand hatte sich wohl der Bio-Hofladen befunden, dort war nun alles mit Brettern vernagelt.

Der Dorfklatsch war auch Susanne zu Ohren gekommen, und so hatte sie von der tragischen Familiengeschichte der Meringers erfahren. Der alte Pius Meringer hatte große Pläne mit seiner einzigen Tochter Veronika gehabt, doch sie hatte sich für einen wenig begüterten jungen Agraringenieur entschieden.

Sie ließ sich nicht von der Heirat abbringen, und Pius hatte schließlich seine Einwilligung gegeben, aber nur unter der Bedingung, dass sein zukünftiger Schwiegersohn den Namen Meringer annahm. Kurz nach der Heirat seiner Tochter erlitt Pius einen Schlaganfall, an dessen Folgen er verstarb, danach wandelte Jonas Meringer den Betrieb in einen Bio-Hof um.

Die beiden Kinder wurden geboren, und das Paar führte eine glückliche Ehe, bis Veronika tödlich verunglückte. Jonas Meringer konnte den Tod seiner Frau nicht verwinden und hatte sich völlig zurückgezogen.

Susanne durchschritt zögernd das Hoftor und spähte nach dem Hund aus, aber anscheinend war die Hütte neben der Scheune unbenutzt. Sie ging auf das Wohnhaus zu und klopfte, doch niemand öffnete, und auch auf ihr Rufen erhielt sie keine Antwort. Sie stellte fest, dass die Tür unverschlossen war, wie meistens auf dem Land, und trat in den Flur.

Die Luft roch säuerlich und abgestanden, fast als wäre das Haus unbewohnt. Linker Hand war die Stube, und sie trat durch die offene Tür ein. Der Raum, dessen Einrichtung von bäuerlichem Wohlstand zeugte, war verdunkelt, und Susanne hatte ziemliche Mühe, sich zu orientierten. Doch schließlich entdeckte sie auf einem Sofa die Umrisse einer zusammengekrümmten Gestalt, die unter einer Decke lag.

»Was wollen Sie hier?«

Der Mann, der anscheinend nur vor sich hin gedämmert hatte, war aufgefahren und sah sie feindselig an.

Susanne schrak zusammen. »Es tut mir leid, dass ich hier eingedrungen bin«, stammelte sie.

»Was wollen Sie?«, wiederholte er unfreundlich.

»Ich bin die Lehrerin Ihres Sohnes und wollte wissen, wie es Linus geht. Kann ich nach ihm sehen?«

»Es geht ihm gut. Sie haben ihn doch schließlich heute im Unterricht gehabt.«

Susanne hatte sich inzwischen an das Halbdunkel gewöhnt, sodass sie Jonas Meringer genauer in Augenschein nehmen konnte. Er hatte inzwischen die Decke abgeworfen und sich aufgerichtet, war aber offenkundig nicht gewillt, ihr einen Platz anzubieten.

Meringer war ein kräftiger Mann Anfang dreißig mit dunklen Haaren und markanten Gesichtszügen, die von Schmerz und Erschöpfung gezeichnet waren, sodass er wesentlich älter wirkte. Er war nachlässig gekleidet, nur eine gewisse Gepflegtheit verhinderte, dass er verwahrlost wirkte.

Die Stube war unaufgeräumt, und der Staub auf den Möbeln verriet, dass schon lange nicht mehr geputzt worden war. Auf dem runden Tisch, an dem sich die Familie zu gemeinsamen Mahlzeiten zusammengefunden hatte, standen achtlos zurückgelassene Teller mit Essensresten. Fliegen umsummten sie.

»Linus war seit ein paar Tagen nicht in der Schule. Und das ist kein Einzelfall«, erklärte Susanne ruhig.

»Das kann nicht sein. Ich schicke ihn jeden Morgen samt Pausenbrot weg«, erklärte Meringer ungläubig.

»Aber er kommt nicht dort an. Wissen Sie, wo er sich stattdessen aufhält?«

Jonas Meringer gab keine Antwort. Doch Susanne hatte den Eindruck, dass er genau Bescheid wusste.

»So kann das nicht weitergehen, Sie brauchen Hilfe. Ich kann es auch nicht länger verschweigen, dass Linus nicht zum Unterricht erscheint«, sagte sie drängend.

»Ich werde mit ihm reden«, erklärte er abweisend.

Im gleichen Augenblick hörten sie vom oberen Stockwerk das jämmerliche Weinen eines kleinen Kindes.

»Hannchen ist aus dem Mittagsschlaf aufgewacht«, erklärte Jonas und sprang auf, wobei erkennbar wurde, wie hochgewachsen er war.

Wenn er gedacht hatte, dass Susanne das als Zeichen dafür hielt, sich von ihm zu verabschieden, so sah er sich getäuscht, denn sie folgte ihm ohne Umschweife die Treppe hoch. Er öffnete die Tür der Kammer, aus der die jammernde Stimme des Kindes erschallte.

Der Kinderzimmer war liebevoll eingerichtet und verriet noch ganz die Hand einer fürsorglichen Mutter. Eine bunte Tapete mit Tiermotiven, eine hübsche Bettdecke und Gardinen, die farblich dazu passten. Doch alles war schon lange nicht mehr gewaschen worden, Spielzeug war in einer Ecke aufgehäuft und ein wildes Durcheinander von Kinderkleidern hing über einer Stuhllehne.

Das Mädchen, eine blondlockige Vierjährige, war noch halb vom Traum umfangen, Tränen liefen über ihr gerötetes Gesichtchen.

Hannchen weinte nach ihrer Mutter.

Susanne stieß tröstende Laute aus, und die Kleine kam zu sich und blickte hoffnungsvoll auf, als sie eine weibliche Stimme vernahm. Doch als sie erkannte, dass eine Fremde vor ihrem Bettchen stand, verstärkte sich ihr Weinen.

Jonas nahm seine Tochter mit überraschender Behutsamkeit auf und flüsterte ihr beruhigende Worte zu. Doch das Kind war zu aufgewühlt, stieß mit den Händchen sogar gegen die Brust des Vaters. Mit Hannchen auf dem Arm ging er die Treppe hinunter, goss in der Küche Milch aus dem Kühlschrank in einen Becher und reichte sie dem Kind.

Doch Hannchen wehrte sich, und zuletzt floss die Milch, die auch viel zu kalt für das Kind war, über die Schulter ihres Vaters. Ein Ausdruck der Verzweiflung erschien auf dem fahlen Gesicht Jonas Meringers, und er ließ sich auf einen Küchenstuhl sinken. Dabei umklammerte er seine Tochter so fest, dass sie aufschrie.

»So geht das net!«

Susanne hatte keine Erfahrung mit Kindern, aber es gelang ihr, tröstend auf die Kleine einzureden, bis ihr Weinen schließlich verstummte. Sie kochte einen Grießbrei und brachte Hannchen dazu, davon zu essen, danach gab es noch etwas Obst.

Jonas hatte das alles mit erschöpfter Miene verfolgt, er machte den Eindruck, als würde er sich am liebsten wieder auf seinem Sofa in der Stube verkriechen.

»So kann das net weitergehen«, sagte Susanne entschieden, als Hannchen schließlich gesättigt auf ihrem Schoß saß.

»Die Kinder bleiben bei mir«, stieß Jonas hervor.

»Die gehören auch zu ihrem Vater. Aber ich wüsst eine andere Lösung. Meine Freundin ist Dorfhelferin, und sie tät gern hierher überwechseln. Sie versteht etwas von Hauswirtschaft und kann gut mit Kindern umgehen. Das wäre doch ein Segen für Linus und Hannchen«, sagte Susanne mit großem Nachdruck.

»Ich will keine Fremden im Haus«, erklärte Jonas abwehrend.

»Sie bleibt nur so lange, bis alles wieder seinen geregelten Gang geht, sie ist schließlich keine Wirtschafterin, die eine Stelle sucht. Dann geht sie zu einer anderen Familie, wo es nottut. Es ist also eine Übergangslösung, es gibt keinen Arbeitsvertrag oder etwas Ähnliches«, erläuterte Susanne.

Jonas dachte mit zusammengezogenen Brauen darüber nach, dann gab er widerstrebend seine Einwilligung. »Dann soll sie halt herkommen.«

»Sie heißt Tabea, Tabea May. Und bisher hat es noch niemand bereut, bei dem sie gewesen war. Sie bringt die Dinge wieder ins Lot.«

Ein verächtliches Zucken lief um Jonas Meringers Mund, aber er sagte wohlweislich kein Wort dazu. Stattdessen streckte er die Arme nach seiner Tochter aus, und Hannchen hatte nun nichts mehr dagegen, von ihm aufgenommen zu werden, und schmiegte sich an seine Brust.

»Ich muss den Linus suchen«, sagte er dann kurz angebunden.

Susanne erhob sich. »Ich werde mit Tabea sprechen, dass sie so schnell wie möglich hierherkommt.«

Jonas nickte mit verschlossener Miene.

Susanne verließ nachdenklich den Meringer-Hof. Das Leid, das die Familie getroffen hatte, griff ihr ans Herz, und obwohl sich Jonas Meringer so unfreundlich verhielt, wollte sie ihm und den Kindern helfen. Tabea war in ihren Augen dafür die Richtige, sie war nicht nur tüchtig, sondern sie besaß auch Einfühlungsvermögen.

Seit der Kindheit waren Tabea und sie miteinander befreundet, stammten aus derselben Kleinstadt und waren miteinander zur Schule gegangen. Auch wenn ihre Berufe sie auseinandergeführt hatten, waren sie doch immer in Verbindung geblieben. Beide teilten eine Vorliebe für das Landleben. Seitdem Tabea in einer benachbarten Ortschaft arbeitete, hatten sie sich wieder öfters getroffen.

In der letzten Zeit hatte Tabea bedrückt gewirkt, denn es hatte bei der Familie, in der sie zuletzt eingesetzt war, einige unliebsame Vorfälle gegeben. Sie fühlte sich dort nicht mehr wohl.

***

So kam es, dass Tabea May schon wenige Tage später mit einem großen Koffer und einem Rucksack vor der Tür des Meringer-Hofes stand.

Auch sie war von dem stattlichen Anwesen beeindruckt gewesen, doch da ihr Blick durch Berufserfahrung geschärft war, stellte sie sofort fest, in welchem Ausmaß der Hof heruntergekommen war. Und sicher lag auch die Haushaltsführung völlig darnieder, sodass es eine Weile dauern würde, bis alles wieder in geordneten Bahnen verlief.

Da sich im Haus nichts rührte, ging Tabea kurzerhand hinein. Wie Susanne, die ihr den Besuch auf dem Hof ausführlich geschildert hatte, fand sie Jonas Meringer schlafend auf dem Sofa in der Stube vor.

Wo wohl seine kleine Tochter ist?, dachte sie beunruhigt und ging leise die Treppe hoch zum Obergeschoss. Zu ihrer Erleichterung lag Hannchen unversehrt in ihrem Bett und war noch nicht aus ihrem Mittagsschlaf erwacht.

Tabea betrachtete das reizende Mädchen liebevoll. Die Wangen waren rosig, die blonden Löckchen ringelten sich in die Stirn. Im Schlaf wirkte sie wie ein zufriedenes, glückliches Mädchen, doch Tabea ahnte, dass der Verlust der Mutter folgenschwere Spuren im kindlichen Gemüt hinterlassen hatte.

Leise verließ sie das Zimmer wieder und ging nach unten. Linus war nicht im Haus, von Susanne wusste sie, dass der Junge oft ruhelos herumstreunte und den ganzen Tag über spurlos verschwunden war.

Es gab viel für Tabea zu tun in dieser Familie!

Jonas Meringer war inzwischen erwacht und saß zurückgelehnt auf dem Sofa.

»Was schleichst hier umeinand’?«, fragte er unfreundlich, als er sie erblickte.

Er sprach sie mit dem vertrauten Du der Gebirgler an, doch aus seinem Mund klang es eher abschätzig.

»Ich schleich net umeinand’, ich wollt nur die Kleine nicht aufwecken. Und dich auch net, Bauer, wenn du am helllichten Tag deinen Schlaf brauchst. Ich heiße Tabea May und bin die neue Dorfhelferin«, stellte sie sich vor.

»Das hab ich mir fast gedacht«, erwiderte er spöttisch, lehnte sich noch weiter zurück und musterte sie unverhohlen.

Vor ihm stand eine junge Frau von etwa Mitte zwanzig, auf deren Aussehen der Ausdruck »blühend« am besten zutraf. Ihr schönes Gesicht mit den regelmäßigen Zügen war von üppigen Locken umrahmt, die im Schatten die warme Farbe dunklen Honigs annahmen, aber wie Gold schimmerten, wenn die Sonne darauf fiel. Ein Hauch rosiger Frische lag auf ihren Wangen, die Haut im Dirndl-Ausschnitt war sanft gebräunt.