Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
ALS DIE ROSENZEIT BEGANN ist der 20. Band der Romanreihe LIEBE UND MEHR. Im Im Schloss des berühmten Malers Moro Rossini, das sich in dem historischen Städtchen Sankt Augustine befindet, wohnt die Journalisten Abigail Mühlberg, die immer wieder zur Lösung mysteriöser Kriminalfälle beiträgt. In diesem warmen Sommer erscheint ein fremdes Kind im Schloss und verweigert die Auskünfte über seine Herkunft. Aber auch Senta und Jasmin benötigen dringend die Hilfe der Freundin, für eine Weile scheint die Welt auf dem Kopf zu stehen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 216
Veröffentlichungsjahr: 2021
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
ALS DIE ROSENZEIT BEGANN ist der 20. Band der Romanreihe LIEBE UND MEHR. Im Schloss des berühmten Malers Moro Rossini, das sich in dem historischen Städtchen Sankt Augustine befindet, wohnt die Journalisten Abigail Mühlberg, die immer wieder zur Lösung mysteriöser Kriminalfälle beiträgt. In diesem warmen Sommer erscheint ein fremdes Kind im Schloss und verweigert die Auskünfte über seine Herkunft. Aber auch Senta und Jasmin benötigen dringend die Hilfe der Freundin, für eine Weile scheint die Welt auf dem Kopf zu stehen.
„Was für ein Tag!“ Laura blickte in den strahlend blauen Sommerhimmel und streckte die Arme aus. „Es ist doch immer wieder schön, hier im Schlosspark der Rossinis zu sitzen und ein bisschen zu faulenzen. Der letzte Film war wirklich stressig.“
Ich sah in ihr schönes, heute ungeschminktes Gesicht. „Das war der Film „Blätter im Wind“, stimmt es? Handelt der nicht von Flüchtlingskindern?“
„Schäm dich! Du könntest meine Karriere auch ein bisschen besser verfolgen“, scherzte sie. „Selbst von hier aus. Heutzutage ist doch Amerika keine Entfernung mehr. Und über diesen Film spricht doch wirklich schon fast jeder.“
Ich füllte ihr das Wasserglas erneut. „Das tut mir leid, Laura. Hier im Schloss gab es in der letzten Zeit viel Aufregung. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Handwerker, die hier einiges restaurieren sollten, gar keine Fachleute sind, mussten wir eine ganze Menge umdisponieren. Jetzt gibt es schon ein bisschen Durcheinander, denn die Kunststudenten trudeln so langsam wieder ein, und die Musiker brauchen ihre Räume zum Proben. Und nebenbei spiele ich auch noch ein bisschen den Kummerkasten und versuche, verschiedene Streitigkeiten zu schlichten.“
„Zum Glück ist bei Kevin und mir alles in Ordnung. Seit ich ihn bei den Dreharbeiten nicht mehr als Ehemann ansehe, sondern als Chef, kommen wir prima miteinander aus. Das muss man einfach lernen, wenn man als Paar miteinander arbeitet. Bei dir geht es bestimmt um Jasmin aus dem Gutshof. Der bin ich vorhin nämlich auch schon über den Weg gelaufen, und sie hat mir von ihren Problemen berichtet.“
„Ja, sie ist eine von den beiden. Und ich denke, dieses Thema gibt es in vielen Partnerschaften. Niklas, der Kommissar, ist natürlich arbeitsbedingt oft außer Haus, mal tags und auch mal nachts, und Jasmin ist oft überarbeitet. Schließlich hat sie ja nur ihre Schwester Senta, die mit ihr den Gutshof bewirtschaftet. Kein Wunder, dass sie dann manchmal keine Nerven mehr hat.“
„Ich dachte, der Tierarzt Clemens, der bei ihnen wohnt und seine Freundin, die Studentin Maria würden ein bisschen mit zupacken?“
„Ja, das tun sie auch. Aber das Gut ist groß, allein die Pflege der Pferde nimmt viel Zeit in Anspruch. Im Grunde genommen ist es Jasmin schon klar, dass sie beide überlastet sind und daher auch viele Streitigkeiten kommen.“
„Sie sind ja auch nicht mehr so jung. Da kann man nicht mehr so fit sein wie mit zwanzig. Hat eigentlich die Zwillingsschwester Senta endlich einen Partner gefunden?“
„Nein. Als ich vor einiger Zeit nach Sankt Augustine kam, war sie noch mit dem kriminellen Bürgermeister Hammer zusammen. Danach war sie öfter mal verliebt, einmal sah es fast so aus, als ginge sie eine Partnerschaft mit einer sympathischen Frau ein. Aber daraus wurde auch nichts, und jetzt arbeitet sie Tag und Nacht und lässt sich kaum noch blicken.“
„Das wär doch mal etwas für die Sommerferien der Schulkinder. Warum helfen die nicht mal dort mit. So etwas macht Kindern doch oft Spaß, besonders bei den ganzen Tieren.“
„Na, so viele Tiere sind es gar nicht mehr. Die Pferde, ein paar Hühner noch, glaube ich.
Aber deine Idee ist gar nicht so schlecht. Ich werde den Zwillingen mal diesen Vorschlag machen. Da sind wir wieder bei dem Thema Kinder. Wie war das jetzt mit deinem Film? Ihr habt euch doch sehr viel davon versprochen. Wie war denn die Premiere?“
„Das wird kein Renner, dieser Film, Abigail. Von ihm spricht man eher als Flop. Der mahnende Zeigefinger darin ist zu deutlich. Die Menschen lassen sich nicht so gerne ihre Schwächen zeigen. Eigentlich sollte diese Geschichte Zuschauer anrühren und sensibilisieren. Aber ich vermute, mehr als ein paar Filmtränchen kommen dabei nicht herum. Es gibt so ein paar Themen auf der Welt, da schauen die Leute lieber weg. Aber Kevin wollte unbedingt Regie führen. Er sagt, er braucht ab und zu mal einen guten Film zwischendurch. Danach ist er auch wieder bereit, für das Publikum ein bisschen heile Welt zu drehen.“
„Ich glaube, das ist eine Kunst, einen unterhaltsamen Film, eine gute Story zu schreiben, die trotzdem die Menschen irgendwie weiter bringt oder ihnen die Augen öffnet.“
„Jedenfalls bemüht sich Kevin immer, aus einem Film qualitativ noch etwas heraus zu holen, und wenn es manchmal auch nur durch gute Aufnahmen ist. Unsere gute Adelaide, die Schlossherrin hat mir erzählt, dass heute Abend ihre Schwägerin aus Italien angereist kommt. Sie war wohl auch mal ein Filmsternchen in jungen Jahren. Weißt du, warum sie aufgehört hat als Filmschauspielerin?“
Ich nahm einen Schluck Wasser. „Nein. Ich kenne sie auch noch nicht. Sie heißt Teresa, wie unsere liebe Freundin aus Catania, diese Künstlerin, dieser Name war wohl zu einer bestimmten Zeit in Italien einmal große Mode.“
Laura sah mich interessiert an. „Macht sie hier Urlaub? Oder ist das nur ein kurzer Besuch bei ihrem Bruder?“
„Adelaide murmelte etwas von Ehekrach. Und wenn eine etwas ältere italienische Ehefrau wegen eines Ehekrachs hierher kommt, dann hat das schon etwas zu bedeuten. Ada wollte nichts aus dem Nähkästchen plaudern, aber sie meinte, wir beide könnten ihre Schwägerin etwas ablenken, und bestenfalls sogar aufbauen.“
„Wenn sie Deutsch spricht, gern“, bot sich Laura an. „Ich bin neugierig, was sie von ihrer früheren Zeit als Filmstar erzählen kann. Vielleicht hat sie sogar in Rom in der Cinecittà gedreht.“
Bernhard, der junge Gärtner näherte sich uns. „Nutzt diese schöne Stunde noch etwas aus!“ riet er uns. „Es gibt heute Abend bestimmt noch ein Gewitter.“
Laura rollte die Augen und zeigte ihren sinnlichen Schmollmund. „Aber danach sieht es gar nicht aus. Bist du dir so sicher? Du fühlst das irgendwie oder hast du in deiner Wetter-App nachgeschaut?“
„Ich sehe das an den hohen Kumulus-Wolken, die dort hinten heraufziehen“, erklärte er ihr. „Aber wenn ich ganz ehrlich bin, kenne ich auch den Wetterbericht für heute Abend. Wenn ihr morgen Lust habt, dann zeige ich euch die neuesten Rosen-Züchtungen.“
Die schöne Schauspielerin horchte auf. „Eigentlich war ich gar nicht so lange weg von Sankt Augustine und dem Schloss. Und trotzdem scheint es mir, als hätte eine neue Ära begonnen. Ihr züchtet jetzt hier wohl alle wie die Weltmeister, seit dieser Mord hier im Zirkuswagen passiert ist.“
Bernhard lächelte. „Da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen, liebe Laura. Seit diese Victoria rund um Sankt Augustine herum Felder kaufen und dort besondere Duftpflanzen für Parfüms wachsen lassen wollte, seitdem haben alle Bewohner des Schlosses plötzlich Interesse daran gezeigt, in den Gewächshäusern etwas anzufangen.“
„Aber den Vogel abgeschossen hatte natürlich dieser Max Kant, der angebliche Restaurator mit der Pflanze Engelwurz“, fügte ich hinzu. „Das ist wirklich ein Kraut, das man vielseitig benutzen kann, in der Nahrungsmittelindustrie, in der Homöopathie, beim Herstellen von Likör, als Süßigkeit, aber auch als Droge. Seitdem züchtet jeder Bewohner des Schlosses, irgendetwas, das sich in der Erde entfalten kann.“
„Und du züchtest Rosen, Bernhard?“ erkundigte sich Laura interessiert.
„Im Auftrag von Rossini. Ich selber betreue die ganzen Pflanzen hier im Schloss, züchte aber keine für mich selbst. Ehrlich gesagt bin ich dann auch froh, wenn ich mich abends ein bisschen mit meiner Klarinette beschäftigen kann. Und ich will schließlich auch noch etwas gemeinsame Zeit mit Carla verbringen. Trotzdem habe ich auch immer meine besondere Freude an den herrlichen Blüten, und Carla hat Gefallen daran gefunden, sich als Hobby-Parfumeurin zu betätigen.“
„Das ist ja hochinteressant, dabei möchte ich ihr einmal zusehen“, fand Laura. Wie macht sie das denn mit den Blüten?“
„Sie destilliert die Aromen. Natürlich gibt es noch viele andere Methoden. Aber in dem kleinen Kellerraum, den ihr Rossini zur Verfügung gestellt hat, kann sie natürlich nicht alle Arten von Aromengewinnung ausprobieren. Sie will damit ja auch kein Geld verdienen, es ist nur ihr Hobby, seit Victoria hier diese Idee im Schloss verbreitet hat.“
„Ich finde es auch sehr interessant“, fügte ich hinzu. „Ich war ganz hingerissen, als ich in Frankreich rund um die Stadt Grasse herum die ganzen Blütenfelder sah. Die Zentifolien fand ich besonders zauberhaft. Vielleicht gründet Carla dann doch später einmal eine eigene Firma und Sankt Augustine wird hier zur berühmten Parfüm-Metropole“, scherzte ich.
Bernhard zeigte auf den langen Weg, der zum Delphinbrunnen führte. „Ah, wir bekommen Besuch. Man hat uns Teresa, Moros kleine Schwester angekündigt. Aber das da, was da kommt, kann sie unmöglich sein. So jung ist sie bestimmt nicht mehr. Das ist doch noch ein Kind, das da neben unserer lieben Schlossherrin einherspaziert.“
Wir blickten in die angezeigte Richtung und entdeckten Adelaide mit einer schlanken, jugendlichen Person, deren dunkles Haar bis auf die Schultern herabhing.
„Sie sieht aus wie ein junges Mädchen“, meinte Laura. „Bestimmt ist sie ein Feriengast. Für eine Studentin sieht sie mir noch etwas jung aus.“
Als uns die Schlossherrin mit ihrer Begleiterin erreicht hatte, legte sie den Arm um die Fremde. „So, ihr Lieben! Hier bringe ich euch Robin, sie ist ein Feriengast und kommt aus Amerika. Ihre Eltern haben für sie einen Urlaub im Schloss gebucht. Sie wird Carla in der Küche helfen und Bernhard im Garten. Außerdem wird Moro ihr ein paar Tricks beim Fotografieren zeigen und nicht zuletzt interessiert sie sich für das alte Turmzimmer, dass gerade restauriert wird.“
Das Mädchen nickte uns zu. „Und wer seid ihr? Wisst ihr etwas über dieses Schloss? So, wie es zum Beispiel hier im Mittelalter war?“
Laura sah die Kleine belustigt an. „Über das späte Mittelalter, ja. Ich bin über die Geschichte des Schlosses informiert, seitdem es der erste Graf von Thaisenau von einer kleinen Ritterburg zum Schloss umwandelte. Ich schätze, das war so ungefähr zu der Zeit von August dem Starken aus Dresden. Dieses Gebäude wurde nämlich dem Moritzburger Schloss nachempfunden. Das war auf jeden Fall nicht zur Zeit der Raubritter. Und die Grafen waren von französischem Adel, soweit bin ich informiert. Ich bin ja selbst eine halbe Französin, da habe ich mich dann schon einmal über die ganzen Verbindungen informiert.“
Robin blickte sie enttäuscht an. „Ach dann weißt du gar nichts über dieses Schloss zu der Zeit, als es noch eine Burg war. Wie schade!“ Sie blickte mich forschend an. „Und wie sieht es mit dir aus?“
„Ich bin Abigail. Der Nachname Mühlberg muss dich nicht interessieren, geschweige denn stören. Eigentlich bin ich Journalistin, aber seit ich mich in Sankt Augustine aufhalte und hier im Schloss wohne, besteht meine Arbeit hauptsächlich aus Recherchen in Kriminalfällen. Der Kommissar Niklas Meyers ist ein guter Freund von mir und kann ab und zu meine Hilfe gut gebrauchen. Aber über das Schloss in früheren Zeiten weiß ich auch noch nichts.“
Robin spannte die Wangenmuskeln. „Aber ich. Ich war nämlich schon einmal hier gewesen.“
Alle Augen richteten sich auf das Mädchen. „Du warst schon einmal hier?“ erkundigte sich Adelaide erstaunt.
„Ich habe hier schon einmal gelebt. Vor mehreren 100 Jahren“, antwortete sie ernst.
Laura sah sie verwundert an. „Wie meinst du das? Wie sollen wir das verstehen?“
„Eine Seele wird immer wieder geboren. Und ich bin hierhin zurückgekommen, um die alten schlimme Geschichten aufzudecken und etwas wieder gut zu machen.“
Bernhard runzelte die Stirn. „Hier im Schloss gibt es aber keine Gespenster und keine Geister“, behauptete er. „Daher vermute ich auch keinen Ritter Blaubart hier.“
„Das würde ich nicht so einfach sagen“, wandte die Schlossherrin ein. Was so alles in den alten Burgen geschah, ist mit Sicherheit nicht alles astrein gewesen.“
Robin nickte eifrig. „Und hier ist mehrmals etwas ganz Schlimmes geschehen. Das weiß ich ganz genau.“
„Und deswegen bist du hierhergekommen?“ erkundigte sich Laura. „Woher weißt du denn diese Dinge? Hast du davon geträumt oder in Amerika etwas darüber gelesen?“
„Beides natürlich. Ich höre auch immer auf meine Intuitionen. Wir sind schließlich alle auf der Welt, um uns zu entwickeln. Unsere Evolutionsgeschichte bedeutet schließlich nicht nur, dass wir lernen sollen, auf zwei Beinen zu gehen. Unsere Seelen, unser Geist soll immer wieder aus den Fehlern unserer Vorfahren lernen, damit wir uns zu besseren Menschen entwickeln. Aber bisher tun sich die Bewohner der Erde damit sehr schwer.“
„Wie kommst du denn auf diese Idee?“ wollte Bernhard wissen.
„Das hat mir mein verstorbener Großvater beigebracht. Er sagte, als erstes soll man lernen, keinen Fehler zweimal zu machen. Aber das große Ziel sei es, die Fehler unserer Vorfahren wieder gutzumachen.“
„Und da gehst du so weit in die Geschichte zurück?“ wunderte sich Laura. „Wir haben auch in unserer jüngsten Geschichte recht unrühmliche Vergangenheiten. Da könnte man zuerst einmal anfangen.“
„Jeder hat seine eigene Bestimmung und seine eigene Aufgabe“, behauptete sie. „Ich habe gehört, dass hier schon ein Museum im Schloss gegründet wurde. Da sollen sich doch die vergessenen Werke der verfolgten Schriftsteller befinden. Ich glaube, ihr redet von der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg.“
Bernhard nickte. „Ja, und ich weiß auch nicht, wie man da alles wieder gutmachen könnte.
Aber im Prinzip hast du schon Recht, man sollte es immer wieder versuchen.“
„Seht ihr! Wenn man genau hingehört, dann findet man schon seine Aufgabe. Ich brauche also unbedingt einen Schlüssel zu den alten Turmzimmern, damit ich dort in Ruhe nachforschen kann. Habt ihr da vielleicht noch alte geschichtliche Unterlagen?“
Adelaide überlegte. „Wir müssen in der alten Bibliothek nachschauen. Auf Anhieb fällt mir da nichts ein. Aber wie hast du dir das denn vorgestellt. Wie willst du das denn anstellen, etwas wiedergutmachen.“
„Das ist doch ganz einfach. Wenn einem damals etwas gestohlen wurde, dann muss man jetzt einem Menschen etwas schenken. Und wenn ein Mensch ermordet wurde, da muss man jetzt einem anderen das Leben retten. Für jede einzelne Tat soll man zusätzlich auch noch sieben Rosen pflanzen.
Das ist nämlich eine heilige Zahl, die ganz wichtig dabei ist.“
Ich sah sie verwundert an. „Aber wie willst du denn einen Menschen finden, dem du das Leben schenken kannst. Dann müsstest du ja ein Kind bekommen oder Rettungssanitäter sein.“
„Das, was du sagst, klingt sehr naiv“, fand Robin. „Übrigens, falls es euch interessiert, ich bin fünfzehn Jahre alt und komme aus Süd Carolina. Und der Name Robin kommt euch sicherlich auch komisch vor für ein Mädchen. Das war die Idee meines Großvaters. Er kennt die Geschichte von Robin Hood und wollte damit ein Zeichen setzen.“
Bernhard wandte sich an das Mädchen. „Jetzt hast mich neugierig gemacht. Wie geht das denn in der Praxis vor sich. Du gehst in die alten Turmzimmer und meditierst? Oder wartest du dort auf Geister, rufst du die alten Raubritter oder die Verstorbenen herbei?“
Robin schüttelte den Kopf und sah Bernhard an, als habe er den Verstand verloren. „Ach Unsinn! Hier geht es nicht um irgendwelche Zauberei oder um Fantasie. Ich sehe natürlich zuerst einmal in den Unterlagen nach. In den alten Urkunden, in den Geschichtsbüchern und an allen Plätzen, wo man Überlieferungen finden kann. Da hole ich erst einmal meine grundsätzlichen Informationen her. Danach gibt es Rituale.“
„Und was weißt du bis jetzt über das Schloss von Sankt Augustine?“ erkundigte sich Laura. „Zuerst habe ich das Schloss überhaupt nicht gefunden. Ich las nur von eurem berühmten Rosenturm, an dem sich damals das verliebte Paar, der Ritter Ottokar und das Ritterfräulein Melusine nach einer unglücklichen Liebesgeschichte wiedergefunden haben. Es gab dort sogar ein Bild von dem kleinen Rosenstrauch, der heute noch an dem Turm blüht. Es erinnerte mich stark an die Buschwindröschen neben Goethes Pavillon. Irgendwie wiederholen sich viele Geschichten im Leben. Blumen gehören irgendwie zu Liebesgeschichten dazu. Dann fand ich ein bisschen über eure alte Stadtmauer, das historische Rathaus, den alten Glockenturm und den Gasthof „Zur Traube“. Ein einziger Reiseführer, den ich nur antiquarisch erwerben konnte, erwähnte die Burg des Ritters Hildubrand und eine besondere Geschichte mit dem heiligen Augustinus, nachdem dieser Ort auch benannt wurde.“
Laura staunte. „Darüber weiß ich überhaupt nichts. Ich dachte, das sei hier eine Partnerstadt des französischen gleichnamigen Ortes. Hier war der heilige Sankt Augustin? Ich dachte das wäre ein umstrittener römischer Bischof gewesen, der sehr viel vom Fegefeuer gesprochen hat, und der eine große Sexual- und Körperfeindlichkeit in seinen Lehren verkündete. Der hat im 4. Jahrhundert nach Christus gelebt. Meinst du etwa den?“
Robin lachte. „Nein, den meine ich ganz bestimmt nicht. Dieser Sankt Augustin soll ein Mönch gewesen sein, der hier den Burgherrn damals öfters besucht hat. Man sagte ihm eine Liebesgeschichte mit der Tochter des Burgherrn nach, und deswegen wurde er getötet. Aber das Burgfräulein schwor, dass sie und den Mönch nichts Verbotenes verband, und so wurde der Mönch im Nachhinein so eine Art Heiliger für die Bevölkerung hier. Er ist nicht vom Papst heilig gesprochen worden, der hat wohl gar nichts davon erfahren.“
„Was für eine schaurige Geschichte! Wenn mein Mann Kevin davon erfährt, will er sicherlich gleich einen Film darüber drehen. Ist das dieser Mord, den du sühnen willst, Robin?“
Sie atmete tief. „Wenn es nur das allein gewesen wäre. Aber danach setzte sich die Familiengeschichte fort. Es gab von da an keine glückliche Liebe mehr. Das Burgfräulein verliebte sich, aber ihr Liebster musste in den Krieg und kehrte nicht zurück. So heiratete sie später einen ungeliebten Mann, und auch ihre Kinder und Enkel wurden nicht glücklich. Die ganze Geschichte begann schon zum Beginn des 16. Jahrhundert und endete erst zu der Zeit, als die Grafen von Thaisenau hier aus der Burg ein Schloss erbauten.“
„Aber damit war doch dann jetzt hier der Frieden hergestellt“, fand Adelaide. „Dann ist doch jetzt alles gut.“
Robin schüttelte den Kopf. „Ich muss genau herausfinden, was in den 4 Jahrhunderten noch Schlimmes geschah. Und für all diese Menschen, denen Unrecht begegnete, werde ich Rosen pflanzen.“
„Muss es denn eine bestimmte Sorte sein?“ erkundigte ich mich. „Sollten es Rosen in einer bestimmten Farbe sein? Kannst du das selbst bestimmen, oder hat dir da auch dein Großvater etwas vorgegeben?“
„Es sollen herrlich leuchtende, meist farbige Rosen sein“, erklärte Robin. „Die Sorte ist nicht festgelegt. Ich darf sie wählen. Kannst du mir etwas vorschlagen?“
„Dazu passt vielleicht meine Lieblingsrose. Sie heißt Elbflorenz, und hat eine Farbe, die man kaum beschreiben kann, ein bisschen wie eine Aprikose, aber zarter, und ein bisschen Rot ist auch dabei. Rossini züchtet sie seit einiger Zeit und hat sie besonders an den Brunnen angepflanzt. Da gibt es den wunderschönen Venusbrunnen, den Delphinbrunnen, aber auch den zu Ehren von und Kurti und Mona, deren traurige Liebesgeschichte auch das ganze Dorf hier erschüttert hatte.“
Robin sah mich erstaunt an. „Welches Dorf meinst du?“
„Ach, das sagt man hier so. Augustine hat ja eigentlich gar keine großen oder modernen Gebäude. Es gibt viele historische und kleine Häuschen, aber nicht mal ein Krankenhaus, und schon gar keine Hochschule. Das einzig neue Gebäude ist das große Gemeindezentrum. Das sind die vielen Hallen mit Gemeinschaftsräumen, einem Café und sogar einem Theater. Es passt sich allerdings vom Baustil gut an den Rand des Städtchens an. Immerhin sind wir froh, dass Sankt Augustine außer der Polizeistation ein eigenes kleines Kommissariat hat.“
„Das war bisher auch notwendig“, erklärte Adelaide. „Und wenn du noch andere Sehenswürdigkeiten betrachten willst, dann schlage ich dir den Gutshof außerhalb des Ortes, den künstlerisch wertvollen Märchenpark und das historische Blumenviertel an der Vinigrette vor.“
Robin hielt sich die Hände an den Kopf. „Hört auf! Hört auf! Ich bin nur 4 Wochen hier und kein ganzes Jahr. Wie soll ich da alles schaffen? Ich muss ja erst einmal meine Aufgabe im Schloss erfüllen. Das bin ich meinem Großvater schuldig.“
„Und warum muss es gerade Sankt Augustine sein?“ bohrte Laura noch einmal.
„Das spürte ich sofort, als ich die Geschichte des ermordeten Mönches las. Und ich habe mehrere Nächte davon geträumt. Als ich vorhin das Schloss sah, kam es mir sofort vertraut vor. Es war wie ein Déjà-vu und hat mich sehr berührt. Und mein Großvater stammt auch von hier.“
„Aber jetzt gehen wir erst einmal in die Schlossküche!“ Die Schlossherrin legte erneut den Arm um die Schultern des Mädchens. „Du musst dich genau wie die anderen stärken vor deiner Arbeit. Gleich kommt auch meine Schwägerin, auf die ich mich sehr freue. Teresa Montessori aus der Gegend von Vicenza. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen und mein Mann Moro auch nicht.“
Wir standen auf, räumten unser Geschirr auf ein Tablett und folgten ihr in die große antike Schlossküche, in der das Kupfergeschirr an den Wänden blinkte. Dort hatten Carla und Adelaide ein schmackhaftes Buffet zubereitet.
***
Pünktlich zum Abendimbiss erschien Teresa und wurde von allen Anwesenden herzlich begrüßt. Wir setzen uns alle um den großen Tisch und warteten auf Moros Tischrede. Er begrüßte uns alle herzlich und hieß seine Schwester Willkommen.
„Ich wünsche mir, dass du dich hier im Schloss wohlfühlst, liebe Teresa! Und ich muss es nicht extra sagen, dass du hier kein Gast bist, sondern momentan hier dein Zuhause hast. Wir alle werden dafür sorgen, dass es dir hier gut gefällt. Bleib, solange du möchtest, und lass es dir gut gehen! Und jetzt bleibt mir nur noch zu sagen, ich wünsche euch allen einen angenehmen Abend, und zunächst einmal eine schmackhafte Mahlzeit. Das Buffet ist eröffnet!“
Teresa hatte sich neben mich gesetzt, und ich stellte ihr die Frage, die sie im Leben wohl schon hunderte Male gehört hatte: „Sind Sie in irgendeiner Weise verwandt mit der Maria Montessori, die die Kindergärten und Schulen gegründet hat?“
Sie sah mich nachsichtig lächelnd an. „Sagen wir doch Du zueinander, wie alle hier im Schloss. Auch wenn ich ein bisschen älter bin, so bin ich doch genauso modern wie ihr hier. Nein mit dieser klugen Frau bin ich nicht verwandt, leider. Montessori ist nämlich nur mein Künstlername, den ich jetzt wieder angenommen habe. Der Name meines Mannes ist Rosso. Und du bist sicher die Abigail, von dir hat mir mein Bruder schon viel erzählt. Er schätzt dich sehr, auch als Freundin seiner geliebten Frau Adelaide. Die gute Ada! Wie lange kennen wir uns schon!“
Ich lächelte. „Ich kenne Ada zwar noch nicht so viele Jahre, aber doch schon ganz gut, weil wir oft fast täglich zusammen sind. Und du kennst sie schon, als sie dein Bruder kennenlernte und erst 17 Jahre alt war?“
„Nein, ich habe sie auch erst etwas später kennen gelernt. Das war erst 35 Jahre nach ihrem Kennenlernen, als sie sich wieder trafen. Aber seitdem sie nun zusammen sind, ist aus Moro ein ganz anderer Mensch geworden. Er ist nicht mehr so unzufrieden und ruhelos. Als er ein junger Mann war, kannte ihn jeder als Casanova, als Frauenheld. In den jungen Jahren sah er ja auch wirklich begehrenswert aus. Er war ein richtiger Frauentyp und hat auch nichts anbrennen lassen. Ich hätte niemals angenommen, dass sich ein Mensch so ändern kann. Aber es gibt auch Menschen, die sich nicht ändern können.“
„Sprichst du von jemandem im Speziellen, Teresa? Ich kenne viele Menschen, die sich geändert haben, und zwar in die verschiedensten Richtungen.“
„Ach ja? Wenn du es genau wissen willst, ich spreche von meinem Mann. Es wird ja in den nächsten Tagen doch einmal Gesprächsthema werden, denn ich bin aus meinem Heim fort und habe Carlo verlassen.“
„Und deine Entscheidung ist schon gefallen, oder nimmst du dir gerade eine Auszeit, um dir alles noch einmal zu überlegen?“
„Kennst du die Biografie von Picasso? Kennst du das Buch, das seine Frau Françoise über die Ehe mit ihm verfasst hat?“
„Leider nicht. Hat das etwas mit deinem Ehemann zu tun?“ fragte ich verwundert.
„Dieser Maler muss ein großer Egozentriker gewesen sein. Er soll ein richtiger Eroberer gewesen sein, wenn es um Frauen ging. Der hat sich sofort heiß in sie verliebt, und sie waren eine kurze Zeit lang seine Muse, dann aber sind sie ihm schnell langweilig geworden, und er suchte sich neue Opfer aus. Soweit kennt man das ja von vielen Männern. Aber das Schlimme bei seiner Art war, dass er alle Frauen weiter als Trophäen besitzen wollte. Dabei muss er sie auch sehr manipuliert haben, ja einige sogar verändert und zerstört haben. Soviel ich weiß, hat sich seine letzte Frau auch das Leben genommen. Dieser Françoise ist es allerdings gelungen, sich von ihm zu lösen. Sie hatte von Picasso zwei Kinder, hat aber dann nachher den Maler aus der Fassung gebracht, weil sie es „wagte“, auch noch von einem anderen Mann ein Kind zu bekommen. Es gibt ja diesen komischen Spruch, der sagt, dass es Männer gibt, die Frauen verschleißen. So soll Picasso nach den Erzählungen dieser Françoise gewesen sein.“
„Oh, das wusste ich gar nicht. Da ist dein Bruder aber ganz anders. Er hat zwar auch etwas Großartiges an sich und mag früher ein Macho gewesen sein, aber im Gegensatz zu Picasso hat er ein ganz großes und warmes Herz. Er strahlt so viel Liebe und Sonne aus, dass man sich einfach in seiner Nähe wohlfühlt, egal ob man jetzt nur Freund oder Bewunderer ist.“
Sie lachte. „Ja, mein Bruder ist ein großer verwöhnter Junge. Aber Carlo hat sich in den Jahren immer mehr in eine Art Picasso verwandelt.“
„Du meinst, er hat andere Frauen neben dir?“
„Liebste Abigail, du kennst die Männer der älteren Generationen nicht, jedenfalls nicht wie sie bei uns in der Region sind. Da haben viele Männer mal was nebenbei. Das war ja eine lange Zeit sogar normal. Aber wichtig ist, dass man die eigene Frau trotzdem wertschätzt und respektiert. Und das vermisse ich an Carlo im Augenblick. Nein, nicht, dass du jetzt denkst, er wäre unhöflich oder böse zu mir. Er gehört zu denen, die Frauen auf eine subtile Art und Weise klein machen können.“
„Das hört sich gar nicht gut an. Dann ist es wirklich gut, dass du zuerst einmal hierhergekommen bist.“