Als Frau allein mit dem Fahrrad um die Welt - Dorothee Fleck - E-Book

Als Frau allein mit dem Fahrrad um die Welt E-Book

Dorothee Fleck

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Beschreibung

An einem Wintertag schwingt sich Dorothee Fleck auf ihr Fahrrad und beginnt eine spektakuläre Weltreise. Die alleinreisende Frau radelt innerhalb von 127 Wochen durch 26 Länder und legt dabei stolze 61.140 Kilometer zurück. Dorothee Fleck folgt auf ihrer Reise zunächst der Donau bis an das Schwarze Meer, fährt dann über Russland, die Mongolei, China und Südostasien nach Australien. Weiter geht es nach Südamerika, durch die Atacamawüste – für Dorothee ein interessanter, wenn auch unwirtlicher Ort. Ein besonders großer Schwarm an Schutzengeln scheint über der Autorin zu kreisen. In der Mongolei wird sie von einem betrunkenen Reiter beinahe mit dem Lasso eingefangen, in Irkutsk entdeckt sie einen Wolf und in China landet sie sogar im Gefängnis. In der Metropole Bangkok kollidiert sie mit einer Geländelimousine und in Indonesien überlebt sie die chaotischen Verkehrsbedingungen auf der Insel Java. Nachts in Chile spürt sie die Erschütterungen eines Erdbebens in ihrem Zelt und in Ecuador wird ihr beinahe ein Fahrraddiebstahl zum Verhängnis. Auf dieser spektakulären Reise lernt sie gastfreundliche Menschen kennen, taucht in fremde Kulturen ein und radelt jeden Tag einem neuen Abenteuer entgegen.

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Seitenzahl: 524

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Dorothee Fleck

Als Frau allein mit dem Fahrrad um die Welt

Bildnachweis:Die Bilder des Textteils: Dorothee FleckCoverfoto: Dorothee FleckKarte: © Jens MattauschKartenicon: © Stepmap GmbH, Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2016 traveldiary Verlagwww.reiseliteratur-verlag.dewww.traveldiary.de

Der Inhalt wurde sorgfältig recherchiert, ist jedoch teilweise der Subjektivität unterworfen und bleibt ohne Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Bei Interesse an Zusatzinformationen, Lesungen o.ä. nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf.

traveldiary Verlag, Mady Host und Cornelia Reinhold GbR Brauereistraße 4, 39104 Magdeburg

Umschlagentwurf und Layout: Jürgen Bold, Jens FreylerHintergrundfoto: © Carola Vahldiek / FotoliaSatz: traveldiary Verlag, Mady Host und Cornelia Reinhold GbRDruck: „Standartu Spaustuve“ www.standart.lt, Tel. 37052167527

ISBN 978-3-942617-02-4eISBN 978-3-942617-09-3

Prolog

Warum nehmen Sie kein Taxi oder Bus? In China ist dies eine beliebte Antwort auf die Frage nach dem Weg. Eigentlich ja auch unverständlich, dass ich mir das mit dem Fahrrad antun muss. Damals wollte ich allerdings nur zu einem Hotel am nächsten Ort, auf jeden Fall gut mit dem Fahrrad machbar. In solchen Momenten sage ich lieber nie, wo ich losgefahren bin und wohin ich möchte. Meist sage ich den nächsten Ort, was für die meisten sowieso an der Grenze des Möglichen ist. Der Fahrradenthusiasmus hat bei mir sehr früh eingesetzt, obwohl, oder gerade weil es lange gedauert hat, bis ich mein erstes eigenes Rad bekam. Solange musste das Fahrrad meines Patenonkels herhalten − zu groß und mit Stange, aber das machte überhaupt nichts, denn ich steckte einfach ein Bein unter der Stange durch. Zu meinem achten Geburtstag bekam ich dann ein altes, blaues Rad von ihm, ganz ohne Gangschaltung und sehr einfach, aber MEIN eigenes. Endlich konnte ich wohin und wann ich wollte fahren. Zu meiner Konfirmation kaufte ich mir ein Peugeot-Fünfgang-Fahrrad. Es war mein ganzer Stolz. Jetzt waren mir kaum mehr Grenzen gesetzt und die Radreisen nahmen ihren Anfang. Zuerst ging es an den Bodensee, dann ins Elsass, nach Italien …, sie wurden immer länger und weiter. Unglaublich, was ich da so alles entdecken konnte und wie viele Leute ich traf. 2003/2004 nahm ich eine sechsmonatige Auszeit und fuhr in Australien und Neuseeland Rad. So war niemand mehr erstaunt, als ich 2007 beschlossen hatte, zu kündigen und mit dem Fahrrad um die Welt zu fahren. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich weg sein und was mich erwarten würde, ich wusste nur, es wird genial.

Inhalt

Prolog

Europa - Die erste Woche unterwegs

Surviving Belgrad

Im Land des zahnlosen Lächelns

Lost in Ukraina

Krim, ohne Sekt und Kaviar

Russland - Im Land der Kosaken

Entlang der Wolga

Doswidanje Europa

Blinis und Pelmenis

Von sibirischen Wäldern und ihren Inhalten

Die ersten 10.000 Kilometer

Abschied von Russland

Mongolei - Im Land des Dschingis Khan

In und um Ulan Bator

Naadam, Visum und endlich mehr Mongolei

Durch die Wüste Gobi nach China

China im olympischen Ausnahmezustand

„Why don’t you take a taxi?“

Genussradeln in Vietnam

Saigon und das Mekong Delta

Kambodscha - Schöne Strände im Ländle

Phnom Penh und andere interessante Erfahrungen

Nichts los im Süden von Laos

Fahrrad EldoRADo Nord-Laos

Thailand - Die große Überraschung: Der Norden

Kambodscha - Vom Dschungel umschlungen - Angkor Wat

Wind, Sand und Sonne: Der Süden Thailands

Multi-Kulti: Malaysia Nordwest

Kuala Lumpur

Südmalaysia: Palmölplantagen ohne Ende

Singapur

Malaysia - Zurück nach Melaka

Indonesien - Hello Mister: Durch den Dschungel Sumatras

Indonesien - Die verkehrschaotische Insel Java

Indonesien - Bali: Insel der Götter und somit auch der Tempel

Ferien auf Lombok

Zurück auf Bali

Von Kakadus und Wallabys: Der Norden Australiens

Die Kimberleys im Nordwesten: Australien vom Feinsten

Karijini-Nationalpark und viel Nichts drumherum

Ningaloo Riff und Coral Coast – von Exmouth nach Carnarvon

Von Carnarvon nach Perth

Durch die Büsche und Wälder Südwestaustraliens

Durch den Nullarbor

Auf dem Mawson Trail nach Adelaide

Durch Nationalparks Südaustraliens

Victoria Australia - Durch Nationalparks nach Warrnambool

Auf der „Great Ocean Road“ nach Melbourne

Melbourne

Von den Bergen bis ans Meer

Rad/t-los auf Tasmanien

Von Melbourne in die Snowy Mountains

New South Wales: Von den Schneebergen an die Goldküste

Australia Queensland - Goldcoast

Australia New South Wales - Die Ostküste Australiens

Chile - Die neue Herausforderung Südamerika

Durch die Atacama-Wüste und über die Anden nach Bolivien

Bolivien - Über den Salar de Uyuni in die gleichnamige Stadt

Über den Altiplano nach La Paz

In und um La Paz

Die Todesstraße und die letzten Tage von La Paz

Über den Titicacasee nach Peru

Peru - Nach Cusco

Prima Klima in Lima

Durch die Wüste Nordperus

In die Berge Ecuadors

Von Ecuador nach Kolumbien

Kolumbien - Wo der Kaffee wächst

Von den Anden in die Karibik

Karibik, Bogotá und das Ende

Nachwort

Karte

Über die Reisende … Dorothee Fleck

Europa - Die erste Woche unterwegs

Endlich eine leere Wohnung. Es ist noch früh. Die letzten Tage waren sehr intensiv. Nachdem ich gekündigt hatte, ging die Arbeit erst richtig los. Ich musste Mieter suchen, Versicherungen klären, einen Klaviertransport organisieren, Unterstellplätze für all meine Sachen organisieren und so weiter. Das hielt wenigstens von gefühlsschwangeren Abschiedsfesten ab. Wie sehnte ich mir den Moment herbei, in dem ich mich nur noch auf das Fahrrad setzen muss und losfahren kann. Jetzt ist er endlich gekommen.

Ich mag keine Abschiedsszenen. Am liebsten will ich ganz still und heimlich weg. Da ich früher schon einmal mit dem Fahrrad nach Wien gefahren bin, nehme ich jetzt den Zug. Das hat den Vorteil, die Tür geht zu und ich bin einfach weg, kein Zurück mehr, kaum Abschiedstränen. Im Zug kann ich mich endlich ausruhen. Ich bin äußerst gespannt, wann mir bewusst wird, dass ich jetzt ein paar Jahre weg sein werde. Ich habe eine unbändige Freude in mir, dass es nun endlich losgeht.

Es ist der 16. Februar 2008, als ich den Schnee am Arlberg an mir vorbei ziehen lasse. In der ersten Nacht in Wien schlafe ich so gut wie seit Wochen nicht mehr. Den ganzen Ballast habe ich hinter mir gelassen. Es gibt Glücksmomente, die kann ich nicht beschreiben: Freude, Aufregung, Abenteuer, Neugier, Spannung, Leben pur in vollen Zügen. Ein älterer Herr geleitet mich ein Stück aus Wien heraus. Bald werden solche Unterhaltungen für sehr lange Zeit nicht mehr möglich sein, sehr bald werde ich die Landessprache nicht mehr verstehen. Der Donau entlang, geht es aus der grauen Stadt hinaus. An der slowakischen Grenze gibt es keine Kontrollen mehr. Nur an der Sprache merke ich schnell, dass ich mich nicht mehr in Österreich befinde. Vor Jahren habe ich einmal Russisch gelernt. Die kyrillische Schrift kann ich lesen und verhungern muss ich auch nicht, soweit reichen meine Sprachkenntnisse.

Für die ersten Nächte habe ich über Netzwerke im Internet, Couchsurfing und Warmshower, Einladungen bekommen. Dies ist eine sehr günstige Art des Reisens, aber das ist nur ein Aspekt. Unbezahlbar sind die familiären Einblicke in die fremden Kulturen. Und durch das gemeinsame Interesse am Reisen gibt es immer genügend Gesprächsstoff, egal in welcher Altersgruppe. Hier in Bratislava habe ich gleich meine erste Einladung für eine Übernachtung.

Mit Rückenwind geht es am nächsten Tag weiter an der Donau entlang in den Süden der Slowakei. Es ist total eben, ebener geht es eigentlich nicht mehr. Manchmal geht es den Damm rauf und runter, wenigstens ein bisschen Training für all die Berge, die mich noch erwarten. Auf den Radwegen kann ich gefahrlos üben, mit dreißig Kilogramm Gepäck zu fahren. Auch die Straßen sind noch so wenig befahren, dass dort keine Gefahr droht.

Nach 124 Kilometern komme ich genau 16 Uhr vor der Schule in Komarno an, wo mich Judy, meine Gastgeberin, erwartet. Schnell gehe ich, verschwitzt wie ich bin, samt Fahrrad und Gepäck, zunächst in das Lehrer- und dann in das Klassenzimmer. Dort darf ich zwölf Jugendlichen Rede und Antwort stehen. Es geht hauptsächlich um Fußball, Autos und Musik. Eine der Schülerinnen übersetzt mein Englisch oder Deutsch ins Ungarische. Ich bin hier zwar noch in der Slowakei, aber Komarno ist Zentrum der ungarischen Minderheit, deswegen gibt es hier auch ungarische Schulen. Die Unterrichtsstunde überstehe ich irgendwie und werde mit einem köstlichen Mahl von Judy belohnt.

„Und aus den Wiesen steiget, der weiße Nebel wunderbar“, klar, ich fahre an einem großen Fluss entlang. Später wird es sehr warm, die Füße tauen auf und auf neu angelegten Fahrradwegen geht es Richtung Budapest. Plötzlich ist etwas los in den ungarischen Dörfern: Teilweise ist es verboten, auf den Straßen Fahrrad zu fahren, aber eine brauchbare Alternative gibt es nicht. Es gibt zwar einen neu ausgebauten Fahrradweg der Donau entlang, aber dieser ist so neu, dass es noch keine Wegweiser gibt. In Budapest gibt es Schilder an den Fahrradwegen, die angeben, wohin sie führen. Lesen kann ich die Begriffe zwar, aber nichts damit anfangen.

In dieser Jahreszeit ist es alles grau in grau, es regnet immer wieder. Mein Hauptbegehr ist momentan ein Bad in den heißen Thermen, das Genialste, was ich mir nach den Strapazen der letzten Wochen gönnen kann. Ich genieße es, im warmen Wasser zu liegen und es mir einfach nur gut gehen zu lassen.

Dank eines anderen Radfahrers finde ich am nächsten Tag leicht aus der Stadt heraus. Die ersten Kilometer gehen am Flughafen vorbei durch ein Industriegebiet, also keine attraktive Gegend. An einem Nebenarm der Donau mit viel Schilf und Badestegen wird es dann aber richtig idyllisch. Auch die Sonne trägt ihren Teil bei und das viel zu stark für Februar. Ich bekomme sogar einen Sonnenbrand.

Richtig gut gelaunt fahre ich im Sonnenuntergang über die Brücke nach Dunaföldvar. Auch hier werde ich wieder von meinen Gastgebern, Familie Schmieder, herzlich empfangen. Die junge Mutter tischt sehr viel Essen auf. Nach einem Tag auf dem Fahrrad kann ich ganz schön was runterputzen. Zum typisch ungarischen Essen gibt es typisch ungarischen Wein, einen Tokaier. Auf dieser Tour mit solch netten Einladungen lerne ich nicht nur Land und Leute, sondern auch verschiedene Alkoholika kennen. Ich bekomme gute Tipps für meine nächste Etappe, die besten Wege und Unterkünfte werden gezeigt. Im Fernsehen sind die schrecklichen Bilder der Unruhen in Belgrad zu sehen. Bald dort zu sein, beunruhigt mich nicht sehr, denn inzwischen weiß ich, wie die Medien arbeiten.

Surviving Belgrad

Bei dieser Reise bekomme ich ganz nebenbei Nachhilfeunterricht in Sachen Europa. Ein dicker Stempel in meinem Pass beweist es: Kroatien gehört noch nicht zur EU. Beim Anblick des Grenzpostens mit Schlagbaum bekomme ich richtig nostalgische Gefühle.

Wunderbar geht es weiter über Felder. Nur, wo soll ich hier kroatisches Geld, Kunas, herbekommen? Eine schwierige Sache am Sonntag in der Pampa – oder auch nicht, da es ohnehin keine Möglichkeit gibt, das Geld auszugeben. Eine Frau in einem kleinen Laden ist so freundlich und wechselt mir mein ungarisches Geld in Schokolade und Bananen.

Auf dem Deich begegnet mir ein Motorradfahrer. Er staunt nicht schlecht und meint, ich sei verrückt, hier im Winter Rad zu fahren. Es sei doch viel zu kalt, und es würde doch regnen. In diesem Moment sind es zwanzig Grad und der blaue Himmel strahlt. Diese Temperatur ist perfekt zum Fahrradfahren: Die Zehen gefrieren nicht und die Schokolade kann nicht schmelzen.

Das schöne Wetter lockt eine Menge heimischer Fahrradfahrer heraus. Das Naturschutz- und Naherholungsgebiete, das größte naturbelassene Sumpfgebiet in Mitteleuropa, Kopački rit, bietet sich dazu auch an. Kaum zu glauben, dass hier vor nicht allzu langer Zeit Krieg herrschte. Ich radle bis Osijek, einer der größeren Städte Kroatiens. Auch hier ist einiges los, alte Häuser sind neu hergerichtet mit schicken Cafés und Bars und jeder erfreut sich an diesem wunderbaren Wetter. Trotz der Querelen zwischen Serbien und Deutschland aufgrund des Kosovo-Konflikts, gibt es keine Probleme an der Grenze nach Serbien. Ich bekomme wieder einen Stempel in den Pass.

Für meine restlichen kroatischen Konas bekomme ich einen ganzen Stapel Serbische Dinare. Wie soll ich da einen Überblick über meine Finanzen behalten?

An meinem ersten ernstzunehmenden Berg kann ich feststellen, dass ich in der ersten Woche doch schon ein wenig Kondition gewonnen habe. An der Donaupromenade bei Belgrad ist es wieder topfeben. Kaum zu glauben, wie viele Leute dort an einem Dienstagabend unterwegs sind. Mit den unzähligen Restaurants auf den Booten ist es eine sehr attraktive und romantische Stimmung. Bei Einbruch der Dämmerung komme ich in Belgrad an. Jovan, mein Gastgeber, kommt mir entgegen. Er wohnt in Neu-Belgrad. Dieser Teil ist erst in den letzten vierzig Jahren entstanden. Ein Hochhaus steht neben dem anderen. Dazwischen gibt es breite Straßen, Straßenbahnen und auch Fahrradwege. Bei schönstem Sonnenschein bummle ich durch Belgrad, keine Spur von irgendwelchen Unruhen. Auch ich als Deutsche habe keine Probleme.

Jovan und seine Freunde begleiten mich am nächsten Tag bis zu einem kleinen Fischerdorf. Danach geht es einfach nur noch geradeaus und mit halbem Tempo weiter.

Am nächsten Morgen wird die Fähre mich über die Donau bringen. Mit deutscher Pünktlichkeit stehe ich Punkt 8 Uhr am Steg der Fähre. Und nach serbischer Gelassenheit geht die Fähre doch erst 8:30 Uhr. Die Landschaft ist wieder wunderschön, mit sanften Hügeln und Felsen, nur liegt viel zu viel Abfall herum, hauptsächlich Plastikflaschen und Plastiktüten. Sehr müde komme ich am Abend in einem kleinen Dorf an. Ein Serbe bringt mich zu einer alten Frau. Das Haus ist sehr groß. Wie es aussieht, bewohnt sie im Winter nur das eine Zimmer im Erdgeschoss, das sie mit einem alten Holzofen sehr gut beheizen kann und das sie nun mit mir teilt. Sie schläft im Bett und ich auf dem Sofa. Obwohl wir keine gemeinsame Sprache sprechen, unterhalten wir uns sehr gut, vor allem mittels meines „Murmeli“, einem kleinen Stoffmurmeltier, das jodeln kann. Das gefällt ihr sehr gut.

Im frühmorgendlichen Sonnenschein komme ich am schönsten Teil der Donau, dem Eisernen Tor, vorbei.

Eine fantastische Fahrt mit Felswänden zu beiden Seiten, und manchmal hat die Donau hier nur einen recht schmalen Durchgang. Weniger schön sind die vielen Tunnel. Einige von ihnen sind nur wenige Meter lang, aber bei mehr als zweihundert Metern ohne Innenbeleuchtung wird es mir schon anders zumute, besonders, wenn der Belag noch zusätzlich schlecht ist. Seit ich in einen langen, dunklen Tunnel gestürzt bin, habe ich eine richtige Tunnelphobie. Nachdem ich die letzten Durchfahrten hinter mir habe, kommen die ersten Wolken dieser Reise auf.

Blick auf das Eiserne Tor

Wassertransport an der Donau

Mit Rückenwind geht es in den nächsten Ort, wo ich gleich ein Hotel finde, bevor es anfängt zu regnen.

Wieder bei Sonnenschein, aber mit kräftigem Sturm geht es weiter. Ich komme kaum vorwärts. Wenn der Wind von der Seite weht, habe ich das Gefühl, er bläst die Luft, die ich eigentlich zum Atmen brauche, einfach weg. Doch dann ändert sich die Richtung der Straße und ich habe hauptsächlich Rückenwind.

Im Land des zahnlosen Lächelns

Nur kurz bin ich wieder in der EU, in Bulgarien. Eineinhalb Stunden muss ich auf die nächste Fähre zur rumänischen Seite der Donau warten. Was mich vor ein paar Wochen sehr genervt hätte, ist mir jetzt egal. Zeit spielt keine große Rolle mehr. Ich genieße es, einfach zu sitzen, zu beobachten und ein paar Fotos zu machen. Nach den „zweischriftigen“ Ländern Serbien und Bulgarien ist in Rumänien nun alles wieder „einschriftig“: Nur noch lateinische, keine kyrillische Buchstaben mehr. Und dennoch verstehe ich es nicht.

Hier ist es viel flacher als südlich der Donau. Mit der Unterstützung von Rükkenwind und Sonnenschein habe ich einen fantastischen Tag. Die Landschaft ist wunderschön mit kleinen Flüssen und Seen. Die Menschen sind ausgesprochen freundlich. Es gibt tatsächlich „das Land des zahnlosen Lächelns“.

Mitten in einem Dorf frage ich per Zeichensprache nach einer Übernachtungsmöglichkeit, worauf ich zum Lebensmittelladen geführt werde. Dort bekomme ich ein ganzes Stockwerk für mich. Der Besitzer zeigt mir Fotos von fünf Radfahrern, die im letzten Jahr hier gestrandet sind. Dass ich allein bin und das als Frau, erregt immer wieder großes Erstaunen.

Gestern dreißig Grad und Westwind, heute 7 Grad und Ostwind − sehr unangenehm. Es ist einer jener Tage, an denen ich nur denke, Augen zu und durch. Ich komme bis Ruse auf der bulgarischen Seite. Plötzlich bin ich wieder von großen Autos umgeben. Bei Srebarna gibt es ein Biosphärenreservat mit unzähligen Vogelarten. Darum gibt es hier auch einen Hauch von Tourismus, sprich ein Hotel und ein Bed & Breakfast, beide leider geschlossen, da im Winter kaum Vögel zu sehen sind. Ein altes Männlein nimmt mich mit nach Hause, wo mich die Baba, seine Frau, herzlichst empfängt. Beide sind circa achtzig Jahre alt. Sie reden endlos auf mich ein. Ich verstehe kein bulgarisch, auch wenn sie noch so laut sprechen. Ich schlafe mit Baba in einem Zimmer, das erfüllt ist von Mottenkugel-Duft. Im Flur stapelt sich die Schafwolle.

Mal wieder bei wunderbarem Sonnenschein und fast windstill geht es weiter. Kurz gesagt, ein richtig schöner Morgen zum Radfahren. Bevor es wieder nach Rumänien geht, gebe ich einem Bettler, der gerade Mülltonnen durchstöbert meine letzten Münzen. Es gibt noch immer Grenzkontrollen. Die Zöllner sprechen oft Deutsch. Nach der Grenze merke ich am Kopfsteinpflaster sehr schnell, dass ich wieder in Rumänien bin. Die Schafe, welche sonst die Straße nutzen, stört dies wenig.

Als ich am Abend in einem Dorf nach einem Schlafplatz frage, läuft ein junger Mann los und holt die ebenfalls junge Lehrerin des Dorfes. Wahrscheinlich ist sie die Einzige, die hier Englisch spricht. Sie wohnt mit ihrer Schwester, der Mutter und zwei Töchtern zusammen. Es wird extra ein Huhn mit Reis zubereitet. Wir unterhalten uns lange über die Situation in Rumänien. Die Arbeitslosenquote ist sehr hoch. Ihr Mann ist in Italien zum Arbeiten, wie die meisten Männer hier. Wenn man bleibt, kommt man nie aus dem Elend heraus. Man sagt, es herrscht noch großes Misstrauen gegenüber Fremden, doch davon habe ich bisher nichts gemerkt. Und vielleicht traut sich die Mutter eines Tages, ihren Mann in Italien zu besuchen. Wenn ich allein mit dem Fahrrad um die Welt fahren kann, sollte sie doch auch allein nach Italien fliegen können.

Da Samstag ist, fahre ich bis Hersova, dem einzigen Ort weit und breit mit einer Übernachtungsmöglichkeit. Am Wochenende zelte ich nicht gern und möchte auch nicht nach privaten Unterkünften fragen. Gleich nach meiner Ankunft komme ich unter die Fittiche einer Schar Jungs auf Fahrrädern. Bei ihnen sind schon ein paar Spuren von Englischkenntnissen vorhanden. Ich sage nur „Hotel“ und schon geht es los durch die ganze Stadt. Bald weiß jeder, dass ich eine Fahrradfahrerin aus Deutschland bin, denn sie rufen es jedem zu. Nachdem ich ihnen Schokobonbons geschenkt habe, muss ich erzieherische Maßnahmen ergreifen. Dass sie einfach das Papier auf den Boden werfen, kann ich unter keinen Umständen durchgehen lassen.

In Barilla bin ich mit einer Lehrerin verabredet. Das Wetter ist wieder einmal genial. Geteerte Straßen jedoch gehören langsam der Vergangenheit an. Jedes Schlagloch wird einfach mit Kies aufgefüllt − bis alles nur noch Kies ist. Die Schafe meckern jedenfalls nicht darüber.

Ich komme an Flüssen und Seen vorbei und habe hier zum ersten Mal Begegnungen mit Fliegen. Das ist vorteilhafter im Winter, denn ich möchte nicht wissen, wie viele von dieser Spezies hier im Sommer unterwegs sind. Manuela, die Lehrerin, möchte mich ihren Schülern vorstellen. Das heißt für mich, um 6:30 Uhr aufzustehen, um 7 Uhr loszulaufen und um 8 Uhr vor der Klasse zu stehen. Nach 25 Jahren komme ich wieder in den Genuss eines Physik-Unterrichts. Davon werden zwanzig Minuten für mich reserviert. Sie sind sehr an Deutschland interessiert, überhaupt wie es ist, dort als Programmierer und Informatiker zu arbeiten. Neben Berlin und Fußball ist auch das Oktoberfest von großem Interesse. Die Fragen an mich sind hauptsächlich, ob ich keine Angst habe, ob ich eine Familie habe, was die dazu sagen würde … und was ich über Dracula wüsste. Leider nicht viel. Ich weiß nur, dass Transsylvanien tatsächlich existiert und ein Teil von Rumänien ist. Mit Deutsch haben sie ihre Hemmungen, aber ihr Englisch ist sehr gut. Von ihrem Verhalten kann ein deutscher Lehrer nur träumen. Es herrscht noch Ruhe und Disziplin. Alle sitzen auf ihren Plätzen und wenn die Lehrerin hereinkommt, erheben sich alle. Das ändert sich langsam. Im Kommunismus war alles viel strenger. Zum Abschluss singt mir die ganze Klasse englische Lieder vor. Das ist schon sehr rührend. Total hingerissen bin ich jedoch von zwei Jungs, die zweistimmig rumänische Volkslieder vortragen.

Lost in Ukraina

Braila liegt kurz vor der Grenze zu Moldawien. Zwar muss ich nur circa 2,5 Kilometer durch das Land fahren, aber es dauert dafür umso länger. Vier Grenzposten sind zu bewältigen, bevor ich in die Ukraine komme. Hier sprechen sie Russisch, eine Sprache, von der ich wenigstens die Grundlagen gelernt habe. Der erste Eindruck von der Ukraine ist nicht sehr gut. Die Straßen sind aus Betonplatten, die wie Schweizer Käse von Schlaglöchern durchbohrt sind. Um diese Jahreszeit kann ich von der Natur nicht viel Farbe erwarten, sonst ist es auch nicht sehr bunt. Nach der ersten kleinen Stadt Reni werden die Straßen plötzlich wesentlich besser. Die Ukraine wird eine große Überraschung. Sie ist viel westlicher orientiert und fortschrittlicher, als ich erwartet hätte.

Die erste größere Stadt ist Izmail. Sie ist sehr sauber und hat alles, sogar ein Internetcafé, und trotzdem hat es so etwas wie einen ukrainischen Charme bewahrt. Die Sauberkeit der Ukraine fällt richtig auf. Es gibt keine Plastiktüten, die immer und überall in Bäumen und Sträuchern hängen. Mit den bunten, kleinen Häuschen sind die Dörfer sehr pittoresk und die Städte mit hohen Plattenbauten sehr hässlich. Leider gibt es kaum Wegweiser. „Links“, „rechts“ und „geradeaus“ sind die ersten Worte, die ich auf Russisch lerne, noch vor „Hunger“ und „Durst“.

Langsam geht es auf Odessa zu. Ich habe immer noch die Worte meines alten Erdkundelehrers in den Ohren: „wichtigster Schwarzmeerhafen“. Die Herausforderung hier ist nicht nur der Wind, sondern auch der Verkehr. Trotzdem lohnt es sich, denn Odessa erweist sich als eine der schönsten Städte seit Wien.

In einem kleinen Ort frage ich am Abend wieder nach einem Übernachtungsplatz. Hier wird das total ignoriert. Ist es in den anderen Ländern auch nicht so sauber, die Gastfreundschaft ist aber erheblich größer. Da es zum Zelten einfach zu nass und zu kalt ist, fahre ich bis zur nächsten Stadt durch. Es ist schon dunkel, als ich dort ankomme. Gleich am Ortseingang gibt es ein Hotel, das mir eine nette Ukrainerin zeigt. Ja, es gibt auch sehr nette Ukrainer.

Entweder ich fahre auf Fernstraßen, habe Wegweiser und weiß, wohin ich fahre: Dann ist der Verkehr das Abenteuer. Biege ich von der Fernstraße ab, dann ist kaum Verkehr, dafür gibt es aber auch keinerlei Wegweiser. Nachdem ich am Tag zuvor lange genug das Abenteuer mit dem Verkehr hatte, gehe ich nun das Wagnis mit der Wildnis ein. In Kherson habe ich meine erste private Einladung in der Ukraine. Lussie wohnt mit ihrer Tochter und Enkelin in einer winzigen Wohnung im 6. Stock. Bei ihr fühle ich mich das erste Mal in diesem Land willkommen. Die Enkelin ist auch sehr aufgeschlossen, aber ihre Tochter kommt überhaupt nicht aus ihrem Zimmer. Lussie ist auch schon viel gereist, aber nur in den osteuropäischen Staaten, in Ungarn, Estland, Lettland und Russland. Für den Westen brauchen sie viel zu viele Papiere, es ist so gut wie unmöglich. Jetzt kann ich mir vorstellen, dass ich für so manchen ein Dorn im Auge bin, ich, die Deutsche, die fast überall frei herumradeln kann.

Krim, ohne Sekt und Kaviar

Die Halbinsel Krim ist ein autonomes Gebiet mit einer Art Grenze, Kontrollen gibt es allerdings nur für Lastwagen. Der Besitzer des Cafés gleich hinter der „Grenze“ sieht mich kommen und sagt gleich zu seiner Bedienung, er würde sämtliche Kosten übernehmen. Sehe ich da einen Hoffnungsschimmer am Horizont? Sind die Leute hier auf der Halbinsel glücklicher und somit vielleicht netter?

Mit der Bestellung hapert es mal wieder. Suppe möchte ich nicht zum Frühstück. Butterbrot, was im Russischen genauso heißt, haben sie nicht. Doch auf einmal kommt aus der hintersten Ecke meines Russisch-Unterrichts die Erinnerung an Blini-Pfannkuchen. Treffer! Und die sind samt zwei Tassen Kaffee auch bald im Magen versenkt. So geht es gleich viel besser weiter.

Die Ukrainer sind von oben bis unten dreigestreift. Mütze, Jacke, Hose und Schuhe sind mit den drei Streifen versehen. Bei den Frauen beschränkt es sich auf oben. Die Hosen sind hautenge Stiefeljeans, die Schuhe Stiefel mit Pfennigabsätzen. Bauch und Nieren liegen frei, dazu ein roter oder schwarzer Blouson und natürlich die Haare blond gefärbt. Fast jedes Auto hat getönte Scheiben. Ich sehe nicht, ob jemand oder wenn, wer darin sitzt, als hätten sie etwas zu verbergen. Der erste Eindruck von Simferopol, der Hauptstadt der Krim, ist sehr positiv. Die Innenstadt hat sich sehr herausgeputzt. Die Kinder und Jugendlichen fahren sehr gute Fahrräder. Außerdem bekomme ich endlich Postkarten und sogar Landkarten. Vadim, mein Gastgeber, der mich in der Innenstadt abholt, meint, dass sich der Prunk leider nur auf die Innenstadt beschränkt. Die Situation außerhalb ist sehr dürftig. Auf dem Weg zu seiner Wohnung wird es mir bestätigt: Wege, die man kaum Straßen nennen kann. Er ist der Erste, der mein Fahrrad vollbepackt tragen kann. Kein Wunder, denn er ist Gewichtheber.

Nicht weit von Simferopol liegt Bakhchisaray. In diesem Flusstal, wo sich schon seit dem Mittelsteinzeitalter Menschen ansiedelten, ist heute − neben der Höhlenstadt Tschufut-Kale − der Khan-Palast die Hauptattraktion. Ohne Gepäck mache ich einen Tagesausflug dorthin. Am Morgen ist es nur neblig, dann fängt es an zu regnen und später schneit es sogar. Natürlich habe ich meine Regenhose und die Gamaschen in Simferopol gelassen. Mir ist nicht mehr sehr nach Sehenswürdigkeiten. Nur den Khan-Palast schaue ich mir an. Ich würde gerne mehr darüber erfahren. Leider sind die meisten Beschreibungen nur auf Russisch oder Ukrainisch. Im Internet erfahre ich, er ist im 16. Jahrhundert von den Khans, die sich damals von Sibirien bis auf die Krim ausgebreitet hatten, errichtet worden. Es ist äußerst ungewöhnlich, in Europa einen Haremspalast zu sehen. Das Kloster und die alte Felsenstadt erspare ich mir, denn meine Füße sind eingefroren.

Der größte Spaß beginnt dann aber in Simferopol, wo die Straßen so extrem schlecht und Abwasserkanäle kaum vorhanden sind. Wenn es nicht gerade bergab geht, hat das Wasser keine Chance zu entweichen, das heißt alles ist überschwemmt. Wegen der tiefen Schlaglöcher kann eine harmlos aussehende Pfütze sehr tief sein und jedes vorbeifahrende Auto verleiht eine kräftige Dusche. Dank meines GPS finde ich leicht wieder zurück. Dann stehe ich in einem Hof mit lauter gleichen Hochhäusern. Ich habe keine Ahnung mehr, in welche Haustür ich muss, ich weiß nur noch, dass es der zweite Stock ist. Beim dritten Anlauf bin ich dann erfolgreich.

Es ist doch gleich ein ganz anderes Gefühl, wenn die Sonne beim Aufstehen scheint. Das Frühstück ist sehr reichhaltig. Es ist besser, sich gleich an die Gewohnheiten des Landes anzupassen. Jetzt esse auch ich Tortellini am frühen Morgen und danach geht es mit vollem Bauch los. Der erste Teil nach Bakhchysarai sieht bei Sonnenschein ganz anders aus. Danach geht es in die Berge, in die unübersehbar der Frühling Einzug gehalten hat. All die Sträucher stehen in voller Blütenpracht. Sehr schnell bin ich in Sevastopol. Als der Kommunismus ging, hat sich der Kapitalismus breit gemacht: teure Autos, McDonald’s, Kinder mit den neuesten BMX-Rädern. Vielleicht bringen sie es irgendwann auch fertig, Wegweiser aufzustellen und sich auf Straßennamen zu einigen. Die wahren Berge auf der Krim sind nur im Süden, zwischen Sevastopol und Feodosia. Auch wenn meine Tageskilometer weit unter hundert Kilometern bleiben, bin ich immer weit über tausend Höhenmeter. Eigentlich sollte ich nicht von Bergen reden, sondern von Steilküsten, die ich rauf und runter fahre. Es ist sehr felsig. Liwadija ist einfach ein Muss. Nicht nur da dieser Palast zur Zarenzeit schon berühmt war, sondern es ist auch jener schicksalsträchtige Ort, an dem die Konferenz von Jalta im Februar 1945 mit Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Joseph Stalin stattgefunden hat. Damals wurde über die Zukunft Deutschlands entschieden. Nach Aluschta geht die Straße nach Simferopol ab. Auf der Straße im Süden nach Feodosia ist kaum mehr Verkehr. Sie ist wesentlich kleiner und steiler. Diese Gegend ist noch recht verschlafen, alle zwanzig Kilometer komme ich in ein Dorf, in dem es aber nichts gibt. Es wird alles noch für den Sommer hergerichtet. Etwa alle sechzig Kilometer passiere ich eine Kleinstadt.

Langsam wird mein Kopf frei von all den Alltagssorgen. Ganz aus dem hintersten Eckchens meines Gehirns kommen Erinnerungen auf, die dort seit Jahren verschüttet waren, neue Ideen und Gedanken haben Raum sich auszubreiten.

Da es immer weniger Unterkünfte gibt, habe ich ein neues Sprüchlein. Ich fragte jetzt nicht mehr „wo gibt es ein Hotel?“, sondern „wo kann ich mein Zelt aufstellen?“. Ein Uniformierter zeigt mir ein nettes Plätzchen und eine Frau bietet mir den Platz neben ihrem Bauwagen an. Überglücklich bin ich, endlich zu zelten. Zum Einstand meines Zeltens regnet es die ganze Nacht. Da es nur circa fünfzig Kilometer nach Feodosia, meinem heutigen Ziel, sind, habe ich es überhaupt nicht eilig. In meinem warmen Schlafsack warte ich, bis es aufhört zu regnen. Erst nachdem ich losgefahren bin, fängt es wieder an, dann kommt alles, was das Wetter so zu bieten hat: Regen, Schnee, Hagel, Sturm, auch „Rückensturm“ (das ist, wie wenn man den Berg hinaufgeschoben wird) und ab und an sogar ein wenig Sonnenschein. Total durchgefroren und nass komme ich in Feodosia an. Im Internet Café, wo es schön warm ist, schicke Liuda, meiner Gastgeberin, eine SMS und fange an, meine E-Mails zu lesen und zu beantworten. Weit komme ich jedoch nicht, denn sie kommt schon reingeschneit: eine auffällig fröhliche und lebendige Person, ein bisschen älter als ich. Gleich von Anfang an gefällt sie mir sehr gut. Sie wohnt in einem kleinen Häuschen mit einem bunten Garten. Zurzeit ist noch Lisa, eine für Peace Corps arbeitende US Amerikanerin, dort. Es ist ein sehr nettes Domizil, um ein paar ruhige Tage zu genießen.

Feodosia ist eine sehr alte Stadt. Schon im sechsten Jahrhundert vor Christus wurde sie von griechischen Kolonialisten aus Miles gegründet. Danach hat sie viel Geschichte erlebt, zum Beispiel die Tataren und Mongolen. Wir machen einen Spontanbesuch beim Friseur, einer Freundin von Liuda. Sie hat keine Skrupel mir einen ultrakurzen Sowjethaarschnitt zu verpassen − so kurze Haare hatte ich seit meiner Geburt nicht mehr.

Am Abend gehen wir in einem alten Russischen Sportklub in die Frauensauna. Ich werde mit Eichenzweigen ausgepeitscht, und zur Abkühlung springen wir ins Schwarze Meer. Das soll sehr gesund sein und viel Energie bringen. Mit Lisa mache ich eine kleine Radtour nach Koktebel, einem Badeort mit schönem Sandstrand. Ende März ist er total verwaist. Im Zuge seiner Antialkoholkampagne hat Gorbatschow hier alle Weinberge zerstören lassen. Unter Jelzin wurden sie in den letzten fünfzehn Jahren wieder aufgebaut. Mittlerweile ist es wieder eine berühmte Gegend, auch für Cognac. Ein alter Freund von Liuda kommt überraschend zu Besuch und hat Schweinefett und sonstige nahrhafte ukrainische Leckereien mitgebracht, dazu noch eine Flasche selbst gemachten Wein. Ich komme auch endlich einmal in den Genuss eines Krimsektes. Nachdem wir so vertraut miteinander wurden, fällt der Abschied richtig schwer.

Auf der Fahrt nach Kerch, wo die Fähre nach Russland abgeht, habe ich das Gefühl, etwas will mich nicht gehen lassen – dazu so ein starker Gegenwind und immer nur Regen. Die nächste Fähre geht erst am darauffolgenden Morgen. Nun bin ich richtig gespannt, ob alles mit der Einreise nach Russland klappt.

Russland - Im Land der Kosaken

Es ist der 1. April, kein Scherz. Ab heute gilt mein Visum für Russland. Es sollte keine Probleme geben, ein bisschen Herzklopfen habe ich aber trotzdem. Drei Monate darf ich im Land bleiben. Bis zur mongolischen Grenze sind es circa neuntausend Kilometer, das heißt drei Monate lang muss ich jeden Tag einhundert Kilometer fahren. Nun kann der Spaß beginnen. Nachdem ich den Röntgenblicken der Zollbeamtin standgehalten habe − Fragen stellt sie keine, wissend, dass ich sie ohnehin nicht verstehe −, bekomme ich den Einreisestempel. Und das war es schon: keine Fingerabdrücke, keine Gepäckdurchsuchung, einfach durch. Auch die Polizeikontrolle will nichts von mir, sondern grüßt mich freundlich mit „Welcome in Russia“. Hier stehe ich zuerst einmal vor dem Nichts und ich weiß, das wird sich die nächsten neuntausend Kilometer nicht ändern. Die Bevölkerungsdichte des Landes liegt bei 8,3 Personen pro Quadratkilometer, in Deutschland sind es 230 Personen. Es ist ein wunderbares Gefühl, jetzt diese endlose Weite Russlands vor mir zu haben. Ich kann grenzenlos darauf zufahren.

Das erste Dorf mit Geldautomat lässt noch ein paar Kilometer auf sich warten. Dann wird aber gleich eine Ration Kekse gekauft. Ich bin hocherfreut, zu sehen, wie geduldig die Verkäuferin mit mir ist, als ich nicht sofort weiß, was zweihundert Gramm auf Russisch heißt. An einer Tankstelle finde ich eine Straßenkarte. Auch wenn ich immer nur diese eine Straße entlangfahren muss, fühle ich mich einfach besser, wenn ich nachschauen kann, wo ich bin und wie viele Kilometer noch zu fahren sind. Olga, eine Freundin von Liuda aus Feodosia, kommt mir mit dem Auto entgegen, so bleiben mir die letzten zwanzig Kilometer in Wind und Regen erspart. Das ist das erste Mal seit meiner Abreise, dass ich wieder in einem Auto sitze. Die Geschwindigkeit von 120 km/h bin ich nicht mehr gewohnt. Hier leben hauptsächlich Kosaken, und zwar Kuban Kosaken, benannt nach der Gegend und dem Fluss Kuban. Die Gegend ist landwirtschaftlich sehr bedeutend. Hier ist die nördlichste Stelle, an der Reis angebaut wird und bei Sodschi gibt es sogar Anbau von Tee. Dieser Tee soll jedoch nicht so gut sein, aber Hauptsache, die Russen sind autark. Olga, die mich mit ihrer Tochter in Krasnodar bewirtet, wohnt am Stadtrand in einem sehr schönen Haus. Sie arbeitet für eine Schweizer Chemiefirma. Olgas Kollege Nikolay war früher russischer Radrennfahrer. Er lässt es sich nicht nehmen, nach meinem Fahrrad zu schauen. Nun hat mein Fahrrad frisch gefettete Pedale. Auf die Idee, dass damit etwas nicht in Ordnung sein könnte, wäre ich nicht gekommen. Katharina die Große hat den Kosaken erlaubt, sich hier niederzulassen. Im Gegenzug haben sie ihr geholfen, die Türken in die Flucht zu schlagen und den Zugang zum Schwarzen Meer zu sichern. Es gibt eine große Statue von ihr, der russische Feldherren zu Füßen liegen, zum Beispiel ihr Liebhaber Potemkin. Sehr nett, eine deutsche Frau in dieser Position zu sehen.

Am nächsten Morgen holt mich Nikolay ab, allerdings mit dem Auto. Es ist ihm eine Freude, mich bis vor die Tore der Stadt zu fahren. Bei diesem Nebel und Verkehr ist es mir ganz recht. Der Arme muss sich danach in die lange Schlange zurück in die Stadt einreihen.

Die Tage sind sehr trostlos, es regnet. Ich habe keine Lust, Pause zu machen. Es gibt nichts, außer Feldern, Straßen und Regen. Erst als am Wegesrand Teigtaschen gefüllt mit Fleisch oder Gemüse verkauft werden, halte ich gern an.

Suerta, die Schwester von Liuda, erwartet mich in Rostov am Don. Was für ein Unterschied zwischen ihrer Wohnung und dem Haus von Olga! Sie wohnt mit ihren beiden Kindern in einer Wohnung in einem Block. Sie hat drei von fünf Zimmern untervermietet. In einem lebt eine ganze Familie, was in Russland offenbar gar nicht so unüblich ist. Küche, Klo und Dusche werden zusammen benutzt. Während meines Besuchs teilt auch sie ein Zimmer mit ihren beiden Kindern. Ich habe den Luxus, allein in einem Zimmer schlafen zu können. Trotz dieser Enge bitten sie mich dringend, unbedingt zwei Nächte zu bleiben. Die Häuser haben eine richtige Zentralheizung, das heißt die Temperatur der Heizkörper wird zentral gesteuert. Alle haben die gleiche, meist hohe Temperatur. Wenn es zu warm wird, schalten sie die Klimaanlage an oder öffnen das Fenster − nicht gerade umweltfreundlich. Artur, der Junge, der mit seiner Familie in einem der Zimmer wohnt, spricht ganz passabel Englisch. Er muss übersetzen, ich bemühe mich ständig mein Russisch zu verbessern, allerdings mit mäßigem Erfolg.

Am Nachmittag mache ich mit den zwei Jungs Volver und Artur einen Bummel in Rostov. Es ist eine alte, herrschaftliche Stadt mit vielen alten, aber neu hergerichteten Häuser. Attraktionen sind die Promenade am Fluss Don und natürlich der Vergnügungspark Gorki. Die Karussells sind sehr veraltet. Meinem Magen jedenfalls reicht es. Artur kauft mir eine russische Flagge für mein Fahrrad. Zusammen mit der Deutschen weht sie von da an von meinem Gepäckträger.

Entlang der Wolga

Die Tage werden spürbar länger, bis 8 Uhr abends ist es sehr hell. Und es ist nun auch warm genug, um öfter mein Zelt aufzuschlagen. Nur die Russen sind da meist anderer Meinung und wollen mich lieber zu sich einladen. Nach einem harten Tag auf dem Fahrrad mit Bergen, Wind und Verkehr komme ich sehr müde in eine kleine Stadt. Der erste Anblick ist nicht gerade einladend. Alte, zerfallene Häuser − das Elend schreit aus jeder Ecke. In einem „Produkti“ erstehe ich ein paar Lebensmittel, die ich teilweise gleich vor der Tür verzehre. Die Verkäuferin bittet mich wieder herein und lädt mich zum Tee ein. Ich frage sie, wo ich am besten hier in der Stadt mein Zelt aufstellen könnte. Lena meint, es sei zu kalt und ich solle doch bei ihr übernachten. Dann kommt die Englisch- und Deutschlehrerin der Stadt. Sie will unbedingt, dass ich am nächsten Tag in die Schule komme. Deutsche sind hier eher selten. Da ich solche Aktionen in Schulen auch als eine Möglichkeit sehe, mich für die Gastfreundschaft zu bedanken, sage ich für den nächsten Morgen zu, so dass ich danach gleich weiterfahren kann. Dann kommt Nastja, die dreizehnjährige Tochter der anderen Verkäuferin. Sie spricht gleich lebhaft Englisch mit mir und will mich sofort mit zu sich nehmen. Da Lena bis 22 Uhr arbeitet, gehe ich mit Nastja, vollbepackt mit lauter leckeren Sachen. Zuhause warten der Vater und Schwester Olga. Sie wohnen in einem netten Häuschen mit Garten. Es gibt nicht nur Armut in dieser Stadt. Der Vater wirft gleich die Sauna an und die Schwester kocht. Nastja zeigt mir all ihre Fotoalben. Reisen ist für Russen kein Problem, wenn sie Geld haben. Die Sauna ist ein Genuss und eine Wohltat für meine Muskeln. Natürlich kommen wieder die Eichenblattzweige zum Einsatz.

Nach einem reichhaltigen russischen Essen mit viel Fleisch und Kohlenhydraten, mit russischem Wodka und Bier, falle ich wie tot ins Bett und schlafe prima.

Nachdem die Eisenerzminen geschlossen wurden, gibt es hier kaum noch Arbeit. Die Bevölkerungszahl hat sich in den letzten Jahren auf die Hälfte, auf siebentausend Einwohner, reduziert. Die meisten wanderten nach Moskau, St. Petersburg oder Sotschi ab. In dieser Gegend sehe ich entweder grenzenlose Felder oder diese riesigen Maulwurfshügel der Minen. Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es zunächst in die Schule. Die Lehrerinnen sind sehr aufgeregt, eine richtige Deutsche hier zu haben. Die Schüler sitzen nur schüchtern in ihren Bänken und trauen sich kaum, etwas zu sagen. Mittlerweile bekomme auch ich eine Routine, erzähle etwas über mich und frage die Schüler nach ihren Hobbys und ob sie auch einmal reisen möchten und so weiter … Danach darf ich viele Autogramme in Bücher und Hefte schreiben.

Am späten Vormittag eskortiert mich die ganze Familie aus der Stadt. Die Sauna war wie ein Jungbrunnen. Ich bin richtig erholt. Durch das gute und reichhaltige Essen habe ich wieder genug Energie.

Außer fast grenzenlosen Feldern gibt es hier nicht viel. Der Gegenwind ist zermürbend. In der Nacht zelte ich direkt am Fluss Don. Ein paar Fischer sind noch da, die nichts dagegen haben. Von einem bekomme ich nachts Besuch. Das schüchtert mich ein wenig ein, ich bleibe schön in meinem Zelt. Er klingt nicht aggressiv und macht keine Anstalten ins Zelt zu kommen. Und wenn, dann sind Trillerpfeife und Tränengas bereit. Ich sage immer wieder „Ruski ne snaju“ („ich spreche kein Russisch“) und ignoriere den Rest. Irgendwann zieht er wieder von dannen. Es dauert ein Weilchen, bis ich wieder einschlafe.

Bei strahlendem Sonnenschein komme ich nach Wolgograd, ehemals Stalingrad, zwei Tage vor dem hundertsten Geburtstag meines Vaters, würde er noch leben. Auch er war in Russland und hat im Krieg vor Stalingrad ein Bein verloren. Da kommen natürlich ganz andere Gefühle auf. Jetzt ist es eine wunderschöne Stadt mit einer tollen Promenade an der Wolga. Vom Krieg ist kaum mehr eine Spur, nur Denkmäler natürlich und eine riesige Frau mit einem langen Schwert, die auf dem Mamajew-Hügel über der Stadt schwebt. Vor der Stadt gibt es noch einige Gräben, die nicht nach Wasser-, sondern eher nach Schützengräben aussehen. Meine Gastgeberin Anna wohnt mit ihren Eltern in einem kleinen Häuschen am Stadtrand. Beide sind eigentlich Pensionäre, aber da der Vater an der Uni und auch sie im Staatsdienst beschäftigt war, bekommen sie gerade einmal einhundert Euro Pension im Monat, das heißt sie müssen beide weiterhin arbeiten. Der Vater ist eher ruhig, aber die Mutter kann derart über Russland schimpfen, dass einem ganz anders wird. Ihre Eltern waren sehr wohlhabend, wurden aber unter Stalin 1942 umgebracht. Da war sie gerade einmal vier Jahre alt. Von Russland bekommt sie keine Entschädigung, deswegen hasse sie Russland, aber nicht Deutschland, da die Deutschen Entschädigungen zahlen.

Entlang der Wolga geht eine kleine Straße Richtung Norden. Es ist mal wieder ein fantastischer Fahrradtag. Am Abend möchte ich mir in Primarsk ein Platz zum Zelten suchen. Vor dem Krankenhaus wird es mir erlaubt. Sofort bin ich von Frauen und Kindern umzingelt, die mich überreden, im Krankenhaus zu übernachten. Das kleine Mädchen Matina nimmt sich meiner an, um mir Russisch beizubringen, und mit einer Engelsgeduld achtet sie darauf, dass ich alles richtig ausspreche. Plötzlich stehen zwei finster dreinschauende Männer in der Tür, ein älterer und ein jüngerer. Der Ältere versucht mich auszufragen, da er aber weder Englisch noch Deutsch spricht und mein Russisch auch nur noch rudimentär vorhanden ist, wird es nicht sehr ergiebig. Das einzige englische Wort, das der Ältere offenbar kennt, ist „spy“ – „Spion?“, fragt er mich und ich lache: „Na velocipede?“ – „Mit dem Fahrrad?“ Der Jüngere will mit sehr bösem Blick meinen Pass und Visum sehen. Ohje, das kann ja heiter werden, denke ich. Nach einigem Hin und Her muss ich alles schnell zusammenpacken und mitkommen. Meine Taschen werden ins Auto verladen, mein Fahrrad passt nicht mehr hinein. Mit Handzeichen meine ich, ich könne ja hinterher fahren. Also fahren sie los und ich strample hinterher. Natürlich bekam ich viel zu wenig mit, was eigentlich los ist, oder wohin die Fahrt geht. Allerdings bin ich sehr erstaunt, als die Fahrt nicht im Polizeirevier, sondern beim Haus des Älteren endet. Hier erfahre ich dann endlich, dass er der Bürgermeister der Stadt ist. Seine Frau kocht mir Fleisch mit Kartoffelbrei, Soße und Bohnen. Mit ihr und ihrer Tochter amüsieren wir uns mit Hilfe eines Lexikons sehr gut. So erfahre ich auch, dass der jüngere Mann der Schwiegersohn des Bürgermeisters und zugleich der Polizist im Ort ist. Ich merke ihm an, dass ihm die Situation nicht ganz geheuer ist. Mit skeptischem Blick sitzt er da, sagt aber nichts.

Am nächsten Tag fahre ich nach einem reichhaltigen Frühstück wieder los. Trotz der netten Frauen, bin ich doch froh, wieder in Freiheit und aus dem Blickfeld des Polizisten zu kommen.

Es ist typisches Aprilwetter: Einmal ist es so warm, dass ich einen Sonnenbrand bekomme und tags darauf schneit es. Als wäre das Wetter nicht schon schlimm genug, habe ich nun auch noch meinen ersten Platten. Ich ziehe nur einen neuen Schlauch auf, flicken kann ich später in Saratov.

Hier habe ich mal wieder eine Gastgeberin. Larissa arbeitet in einem Reisebüro. Ihr Chef bietet mir gleich einen „Arbeitsplatz“ an, sprich einen Schreibtisch mit Computer, wo ich das längst Überfällige, nämlich E-Mails und Blog zu schreiben, endlich erledigen kann.

Doswidanje Europa

Als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster schaue, regnet es in Strömen. Da es ja immer noch schlimmer kommen kann, fängt es an zu schneien. Trotzdem, mein Entschluss steht fest, ich werde weiterfahren. Im Büro, wo der größte Teil meines Gepäcks und mein Fahrrad verwahrt sind, merke ich, dass das Wetter noch nicht das Ende des Unheils war, denn mein Fahrrad hat wieder einen Platten. Es nützt alles nichts, von alleine geht der Platten nicht weg, also muss ich flicken. Es ist schon 11 Uhr, als ich mir überlege, ob ich nun noch losfahren oder doch noch eine Nacht bleiben soll. Und wieder entscheide ich mich für das Weiterfahren. Im strömenden Regen geht es los, aber durch die Freude, wieder auf dem Fahrrad zu sitzen, bin ich richtig gut gelaunt. Von Saratov geht es auf der einst längsten Brücke Europas (2.803,7 Meter) über die Wolga nach Engels. Der Wind kann direkt darüber brausen − äußerst unangenehm. Nach Engels kommt Marcks, wobei Marcks kleiner als Engels ist.

Nass und dreckig komme ich in einen Motel für Fernfahrer an. Irgendwie gehöre ich ja auch zu den Fernfahrern, obwohl ich außer der Bedienung die einzige Frau bin.

Wie der Hochnebel, so senkt sich meine Laune. Zum Frühstück bekomme ich nur trockene Pfannkuchen, weil ich die Bedienung nicht verstehe. Die Sonne habe ich seit Tagen nicht mehr gesehen. Aufgrund des Nebels sehe ich nichts mehr. Das ist ganz gut so, denn ich nähere mich Balakowo, einer Stadt mit viel chemischer Industrie und einem Kernkraftwerk. Dort werde ich im Zentrum von Sergej, einem Radfahrer, angesprochen. Er ruft gleich seine Eltern an, die mich sofort einladen. Er ist zu einem Viertel Deutscher, sein Vater ist ein Nachfahre jener Deutschen, die von Katharina der Großen nach Russland geholt worden sind. Der Vater ist mit 58 Jahren schon pensioniert. Früher hat er im Kernkraftwerk gearbeitet, wo Sergej jetzt auch sein Geld verdient. Der Vater spricht nicht gern Deutsch. Er ist auch der erste und bisher einzige der meint, Deutsche wären hier nicht gerne gesehen und für Russen wären Deutsche und Faschisten immer noch das Gleiche. Nach einem „pfannenkuchenreichen“ Frühstück lässt es Sergej sich nicht nehmen, mich noch ein Stück zu begleiten.

Als ich in einer anderen Kleinstadt gerade in einem Motel einchecke, kommt ein Junge mit seinem Fahrrad angefahren. Auf Deutsch fragt er mich, ob ich aus Deutschland käme. Zuerst bin ich nicht sehr erstaunt, mir wurde gesagt, dass hier noch ein paar Deutsche leben. Als ich aber seine verkrüppelten Hände sehe, denke ich an Tschernobyl oder Contergan. Die wahre Geschichte erfahre ich, als ich für Komit, ein paar deutsche Briefe schreibe. Im Alter von sechs Jahren lebte er mit seiner Familie in Usbekistan. Aus Versehen fasste er an einen Transformator und zerstörte sich dadurch beide Hände. Drei Jahre lebte er in einem Friedensdorf in Duisburg, wo Ärzte versuchten, zu retten, was noch zu retten war. Seit einem Jahr lebt er mit seiner Familie in Russland, wo niemand Deutsch spricht, geschweige denn Deutsch schreiben kann. Er musste also lange warten, bis jemand wie ich, endlich vorbeikam und dies nun für ihn schreibe.

Vor Samara wird die Zeit wieder umgestellt, das passiert so etwa alle tausend Kilometer um eine Stunde.

In der größeren Stadt kann ich meine Vorräte und Lebensmittel, Geld und Ersatzteile auffrischen. Manchmal bin ich selbst erstaunt, wie gut ich zurechtkomme, ohne die Sprache richtig zu können. In Samara gibt es direkt an der Wolga einen Strand, wo sogar ein paar Sonnenhungrige in den dürftigen Strahlen liegen. Von meinem jungen Gastgeber werde ich in der Stadt abgeholt und zu seiner Mutter gebracht. Wir verstehen uns gleich prima. Sie ist Musiklehrerin und leitet verschiedene Chöre.

Am nächsten Tag bekomme ich ein reichhaltiges Frühstück mit Hühnerfleisch, Getreide, Jogurt, gutem Kaffee und dazu noch Vesperbrote, halbe Laibe mit Wurst und Käse, zum Mitnehmen. Die Sonnenbadenden hatten gut daran getan, den vorherigen Tag zu nutzen, denn nun ist es wieder sehr kalt.

Langsam nähere ich mich dem Ural. Die Straßen werden wesentlich schlechter und sind nur noch einspurig. Am Straßenrand gibt es immer mehr Schneefelder. Ab Mittag wird es dunkel und stürmisch. Wieder einmal schwanke ich neben den LKWs sehr gefährlich hin und her. Die Schneefelder und die kleinen Seen, vom vielen Regen erschaffen, laden nicht gerade zum Zelten ein. Ich beziehe lieber eine der günstigen Fernfahrerunterkünfte. Ein Blick aus dem Fenster reicht. Es windet sehr, ausgerechnet aus Nordosten, wohin ich möchte. Der Wind ist eisig, wird aber zum Glück ab und zu durch die Hügel abgehalten. Wenigstens liegen ein paar Cafés auf meiner Route. Dort kann ich Pausen machen und meine Trostpflästerchen, also Kekse und Schokolade, erstehen. Es ist schon 17 Uhr und noch immer ist keine Unterkunft in Sicht. Ich flüchte wieder in eine Tankstelle mit Café und frage nach dem nächsten Hotel. Ein Gast möchte wissen, wo ich denn hin wolle. Er sieht gar nicht nach Fernfahrer aus, keine Adidas-Hosen, keine Badeschlappen und keinen Bierbauch, sondern jung, sehr mager und mit schöner Jeans und T-Shirt bekleidet. Bei der Antwort hole ich weit aus und meine: „Ufa“, obwohl das ja erst mein Ziel in ein paar Tagen ist. Er kann mich bis dahin mitnehmen, meint Irwan, der Gast. Das ist natürlich ein Angebot! Da ich wegen des Drei-Monatsvisums sowieso nicht alles in Russland mit dem Fahrrad durchfahren kann, nehme ich dankend an.

„Langsam wird es bergig, ich nähere mich dem Ural.“

Nachdem er Betonmuffen für Generatoren von einem anderen Fahrer bekommen hat, fahren wir im schönsten Abendlicht los. So kann ich die Landschaft viel besser genießen, als mit gesenktem Kopf gegen den Wind zu strampeln und dabei auf alle LKWs und Schlaglöcher aufzupassen.

Es ist 2 Uhr morgens, als wir bei seiner Mutter ankommen. Trotzdem macht sie für uns Tee und stellt auch Essen bereit. Unglaublich, diese Gastfreundschaft.

Die Nacht ist sehr kurz, Irwan geht früh arbeiten, und ich mache mich auch wieder Richtung Stadtmitte auf. Ufa ist die Hauptstadt von Baschkortostan. Langsam sehen die Leute anders aus. Die Augen der Baschkiren sehen asiatisch aus. Kleider und Bräuche erinnern an die der Mongolen. Sie mussten einige Jahrhunderte, nachdem Dschingis Khan das Volk eroberte, unter mongolischer Herrschaft leben.

Hinter Ufa fängt der Ural an. Es wird wesentlich bergiger mit viel Wald. Wo kein Schnee mehr ist, plätschert er im flüssigen Zustand noch immer herum. Für mich ist kein Platz zum Zelten, denn ich stehe nicht so auf Wasserbetten. Allerdings werden auch die Abschnitte zwischen den Motels, von Ortschaften kann ich hier nicht mehr reden, größer. Wenigstens über die Dunkelheit brauche ich mir jetzt keine Gedanken mehr zu machen, denn es bleibt inzwischen länger hell, als ich fahren möchte. Um 21.30 Uhr kann ich immer noch ohne Licht im Zelt lesen. Ein Busfahrer aus Kasachstan hält aus Mitleid an und möchte mich mitnehmen. Gerade tobt ein Schneesturm. Bis Čeljabinsk könnte ich mitfahren und viel Zeit gewinnen. Ich bringe es aber nicht über das Herz einzusteigen. Das würde ich mein Leben lang bereuen, wenn ich nicht über den Ural fahre, trotz Schneetreiben. Das Wetter ist sowieso sehr wechselhaft und bald scheint wieder die Sonne. Das würde ich mir nie verzeihen, wenn ich jetzt im Bus sitzen würde.

An einer Tankstelle frage ich, wie weit es bis zum nächsten Hotel ist. Ich verstehe dreizehn Kilometer. Das schaffe ich noch gut, denke ich und fahre los. Nach fünfzehn Kilometern kommt mir der Gedanke, er hätte ja auch dreißig Kilometer gesagt haben können. Vielleicht sollte ich wenigstens endlich die Zahlen lernen. Kurz vor Miass fahre ich über die europäisch-asiatische Grenze. Ich freue mich riesig, wieder etwas erreicht zu haben.

Miass ist eine große Industriestadt mit Bergbau und Fahrzeugindustrie. Ich fahre nicht weiter nach Čeljabinsk, sondern gleich nach Norden auf kleinen Straßen Richtung Ekaterinburg. Dass ich dort entlang durch das Gebiet einer der größten Kernkraftkatastrophen komme, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Der Anfang ist noch wunderschön mit erstaunlich viele Datscha-Siedlungen in Nadelwäldern, doch dann zeigt sich der Ural von einer ganz anderen Seite. Auf einer Strecke von zehn Kilometern ist alles tot. Kein Baum, nur die abgestorbene Stümpfe ragen noch aus der Erde, in den Bächen rostrotes Wasser, die Erde schwefelgelb mit türkisfarbenem Überzug. Und wieder einmal denke ich, es ist nicht überall gesund, Rad zu fahren. Ich will nicht einmal anhalten, um zu fotografieren. Ich befürchte, festgenommen zu werden. Die Zuständigen möchten sicher nicht, dass diese Verschmutzung für die Öffentlichkeit sichtbar wird. In Karabasch wird Kupfer abgebaut, und der saure Regen hat alle Wälder im Süden und Osten zerstört. Es ist schlicht und ergreifend grauenhaft.

Nach Karabasch ist alles wieder, als ob nichts gewesen wäre: Große Wälder und Erholungslager an wunderschönen Seen. So richtig genießen kann ich den Anblick aber jetzt nicht mehr, da die kerntechnische Anlage Majak ganz in der Nähe liegt. Nur sieht man die Verstrahlung nicht so, wie die Verschmutzung durch die Kupfermine, obwohl sie noch wesentlich gefährlicher ist. 1948 wurde die Anlage in Betrieb genommen. Seit 1953 gibt es immer wieder Störfälle mit Verletzten. 1957 war der Kyschtym Unfall, der dritte in der Geschichte nach Fukushima und Tschernobyl. Und kaum jemand weiß was davon, alles wird schön vertuscht. Sicherlich hätte ich eine andere Strecke gewählt, wenn mir das bewusst gewesen wäre. Die letzten hundert Kilometer bis Ekaterinburg sind auf einer zweispurigen Autobahn mit viel Verkehr zu absolvieren.

Kirche Nikolaus II. in Ganina Jama, bei Ekaterinburg

Der 1. Mai ist für mich endlich ein Relax-Tag. Meine Gastfamilie muss nicht arbeiten und fährt mit mir und dem Auto all die Zaren-Gedenkstätten ab. Zuerst sind wir in Ganina Jamain, ein Ort im Wald, wo die Zarenfamilie tot aufgefunden wurde. Heute befindet sich dort neben der Gedenkstätte ein orthodoxes Kloster des Heiligen Märtyrers. Alle Gebäude werden nach der alten Methode nur aus Holz und ohne Nägel gebaut. Vor allem die Hauptkirche für Nikolaus II. ist sehr beeindruckend. (Leider wird sie am 14. September 2010 bei einem Brand stark beschädigt.)

An der Stelle, wo die Zarenfamilie ermordet wurde, steht heute die „Kirche des Blutes“. Sie soll die teuersten Ikonen Russlands beherbergen. Es strahlt jedenfalls alles vor Gold. Dazwischen halten wir an einem riesigen Shoppingcenter. So etwas kenne ich eigentlich nur aus den USA und hätte es hier nie vermutet, aber die Russen lieben das „Shoppen“. Wenn man Shopping mit kyrillischen Buchstaben schreibt, sieht es so aus: , „ich“ ist einfach „“. „I Shopping“ ist dann „“, und das ist auch überall zu lesen. Auch McDonald‘s und KFC sind vertreten. Sonderbar an den russischen Familien ist, dass sie meiner Ansicht nach keinen Familiensinn haben. Für mich ist beispielsweise ein gemeinsames Essen sehr wichtig. Ich bin es so gewohnt. Ganz extrem fällt es mir bei einem relativ jungen Paar mit einem kleinen Mädchen von circa fünf Jahren auf. Der Mann steht in der Küche und kocht, die Frau sitzt im Schlafzimmer vor dem Computer und arbeitet, das Mädchen ist im Spielzimmer und spielt und ich sitze im Wohnzimmer und schreibe Tagebuch. Als das Essen fertig ist, setzen sie sich nicht an den Tisch, sondern jeder bekommt, da wo er ist, einen Teller hingestellt. Nach all den Jahren Kommunismus, in denen der Staat die Kinder erzogen hat, kennen sie es nicht anders. Die Familien trafen sich höchstens am Abend.

Blinis und Pelmenis

Nach dem sehr angenehmen, ruhigen Tag wird es mal wieder dramatisch! Der Wind veranlasst mich beinahe wieder umzudrehen, dann wird er von Bäumen abgehalten. So ein Wald ist schon etwas Fantastisches. Auf einmal beginnt es zu schneien. Auf den Niederschlag folgt bald mal wieder ein wunderbarer Radlertag, eine wahre Freude. Wenn mir der Wind nicht so positiv gesinnt wäre, würde ich die Krise bekommen. Unendlich lange, ebene, gerade Strecken, durch endlos lange Wälder oder endlos große Felder. Wenn ich meine, die Bäume am Horizont sind vielleicht drei Kilometer entfernt, sind es in Wirklichkeit zehn Kilometer. Bei Gegenwind ist es Horror, bei solch guten Straßen und Bedingungen ein Vergnügen.

Schon am frühen Nachmittag komme ich nach 124 Kilometern in Tjumen an, einer der ältesten Städte Sibiriens, ja richtig, Sibiriens! Das fängt nach dem Ural an. Endlich wieder etwas anderes als nur Wälder und Felder. Kaum in der Stadt angekommen, entdeckt mich ein Motorradfahrer vom Club „Totenkopf Tjumen“, der mir nicht mehr von der Seite weicht, ich kann machen, was ich will. Als ich nach einem orthodoxen Gottesdienst in der Snamenski Kathedrale wieder herauskomme, steht er noch da, die Einbahnstraße in falscher Richtung hält ihn auch nicht davon ab. Leider kann ich nicht einfach anhalten und fragen, was er eigentlich möchte. Am Anfang mache ich ihm noch klar, dass ich kein Russisch kann, gebe aber bald auf. Sicher tue ich ihm Unrecht, vielleicht ist er ja ganz nett.

Die Nacht verbringe ich in einer Studenten-WG. Die Wohnung ist voll junger Leute, die größtenteils sehr gut Englisch sprechen. Es sind noch andere Gäste da, etwa ein Tanzlehrer. Ich schlafe in meinem Schlafsack auf dem Boden in einem Zimmer. Dank meiner Ohrenstöpsel kann ich sogar schlafen, obwohl neben mir in der Küche noch um Mitternacht gekocht wird. Nach dem langen Tag bin ich leider zu nichts mehr zu gebrauchen.

Die Straße nach Omsk ist erstaunlich leicht zu finden, einfach die Hauptstraße runter, nach links abbiegen und dann immer geradeaus. (sprich „priama priama“ – „gerade, gerade“) ist das, was ich die nächsten tausend Kilometer höre und befolge. Es geht Westwind und es läuft sehr gut. Immer wenn ich mich umdrehe, spüre ich deutlich den Rückenwind. Außerdem ist es, Sibirien hin oder her, das erst Mal so richtig warm. Wegen der Nässe möchte ich aber trotzdem nicht zelten. Schließlich komme ich in einer Garage mit Traktoren unter. Es ist allerdings sehr kalt, sodass ich kaum schlafe, mir am nächsten Morgen der Hals schmerzt und es mir gar nicht gut geht. Ich trete auf dem Rad einfach so vor mich hin. Die Lust auf Zelten ist mir vergangen. Ich möchte nur irgendwo warm und gemütlich schlafen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die 157 Kilometer bis Ischim durchzufahren. Und dies nach dem letzten Tag und der kalten Nacht. Wieder ein Grund, fast in Selbstmitleid zu verfallen, aber wie schon bemerkt: Wenn es schon schlimm ist, kommt es meist noch schlimmer.

In der Stadt finde ich das Hotel relativ problemlos, nur der Preis versetzt mich in einen Schock, denn er ist jenseits meines Budgets. Als ich mich umdrehen und gehen will − voller Selbstmitleid sehe ich mich irgendwo trotz Halsweh und Erkältung zelten −, fällt der Frau ein, dass es doch noch ein Zimmer gibt, für circa fünfzehn Euro. Vielleicht hat sie auch nur Mitleid mit mir, ich muss einen entsprechenden Eindruck machen und meine Stimme ist nur noch rudimentär vorhanden. Jetzt will ich nur noch ins Bett und schlafen!

Nach einem langen und guten Schlaf bin ich wieder richtig fit und guter Dinge. Nur mein Hals will noch nicht so recht. Meine Stimme hat sich komplett verabschiedet. Was soll’s, ich spreche ohnehin kein Russisch.

Ischim ist auch ein Erbe von Katharina der Großen. Sie veranlasste, dass das Dorf ab 1782 zur Stadt ausgebaut wurde. Diese Frau kam auch weit herum. Ischim war ein guter Handelsposten am gleichnamigen Fluss. Heute ist es eine Bahnstation der Transsibirischen Eisenbahn. Die Stadt ist wie ein Museum, es gibt viele schöne alte Häuser, die mit Informationstafeln versehen sind.

Zwei „Deutsche“ treffe ich am heutigen Tag: Den ersten als ich aus Ischim fahre und an einer Ampel den Weg erfrage. Er steigt sofort aus und versucht, es mir auf Deutsch zu erklären. Schließlich fährt er vor mir her, bis es nur noch geradeaus auf die Trasse ging. Der zweite Deutsche fragt mich während des Fahrens aus dem Fenster, ob ich Deutsche wäre und ob ich nach Omsk fahren würde. Er hat ein deutsches Kennzeichen. Ansonsten passiert nicht viel. Dann kann ich endlich wieder zelten und zwar in einem Birkenwäldchen. Eine erste Lektion, die ich dabei lerne: Das nächste Mal unbedingt weiter weg von der Straße zelten. Die Birken halten nicht viel vom Lärm der Straße ab. Zweite Lektion: Birken sind auch kein guter Sichtschutz. Das letztere ergibt sich mit der Dunkelheit und ich hoffe, dass der Lärm später auch nachlässt. Auf dem super weichen Waldboden schläft es sich trotz Regens und Verkehrs wunderbar.

Zurück auf der Straße, muss ich mein Rad zunächst vom gröbsten Schlamm befreien, dann geht es aber genauso weiter wie es am Tag zuvor aufgehört hat: − geradeaus. Auf den nächsten hundert Kilometern kommen innerhalb von vier Kilometern fünf Cafés, sonst ist aber absolut nichts. Da ist es schon mal aufregend, wenn ein Vogel aufschreckt. Ganz spannend wird es, wenn auf einmal ein Reiter auftaucht.