Als wir unsterblich waren - Charlotte Roth - E-Book
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Als wir unsterblich waren E-Book

Charlotte Roth

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Beschreibung

Die große deutsche Familiensaga: Brillant recherchiert, spürbar authentisch und voller Leidenschaft. Die Geschichte der klugen und mutigen Paula, die in den zwanziger Jahren für Frauen- und Arbeiterrechte kämpft - und sich unsterblich in einen "Genossen" aus bester Familie verliebt. Viele Jahrzehnte später kommt ihre Enkelin dem Geheimnis ihrer Großmutter auf die Spur ...

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Charlotte Roth

Als wir unsterblich waren

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Die Geschichte der klugen und mutigen Paula, die in den zwanziger Jahren für Frauen- und Arbeiterrechte kämpft - und sich unsterblich in einen »genossen« aus bester Familie verliebt. Viele Jahrzehnte später kommt ihre Enkelin dem Geheimnis ihrer Großmutter auf die Spur …

Inhaltsübersicht

WidmungMottoAlexandra1. Kapitel2. Kapitel3. KapitelPaula4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. KapitelAlexandra13. Kapitel14. KapitelPaula15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. KapitelAlexandra26. Kapitel27. KapitelPaula28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. KapitelAlexandra36. Kapitel37. KapitelPaula38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. KapitelAlexandra43. KapitelPaula44. Kapitel45. Kapitel46. Kapitel47. Kapitel48. Kapitel49. Kapitel50. Kapitel51. Kapitel52. Kapitel53. KapitelAlexandra54. KapitelGlossarNachwortLeseprobe »Grandhotel OdessaDie Stadt im Himmel«
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Zuerst für Margarethe

(1900–1997)

Danke für alles

 

Für Carl, Daniela, Manfred, Katja, Cyril, Alexander, Ivica und Maren – für uns alle. Zur Erinnerung an den Sommer 1989.

 

Und für vier Berliner Kinder:

Lotti, Manni, Dieter und Dorle

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»Und weil der Mensch ein Mensch ist,

Drum braucht er was zu essen, bitte sehr.

Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt,

Das schafft kein Essen her.

Drum links, zwei, drei, drum links, zwei, drei,

Wo dein Platz, Genosse, ist.

Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront,

Weil du auch ein Arbeiter bist.«

Bertolt Brecht, »Einheitsfrontlied«, 1934

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Alexandra

Berlin-Karlshorst

November 1989

»Du, lass dich nicht erschrecken

in dieser Schreckenszeit.«

Wolf Biermann, »Ermutigung«

1

9. November

Wenn dein Haus über dir zusammenstürzt, hörst du es vorher in den Wänden knacken«, hatte Momi zu Alexandra gesagt, als sie etwa fünf Jahre alt gewesen war. »Das Knacken sollte Warnung genug sein, aber kein Mensch achtet darauf.«

Von den Kindern, die mit Alex in die Tagesstätte gegangen waren, hatte keines eine Großmutter gehabt, die ihm von einstürzenden Häusern erzählte. Die anderen Kinder wohnten auch nicht bei ihren Großmüttern, sondern hatten Eltern, die ihnen aus buntbebilderten Kinderbüchern Geschichten vom ersten Schultag und von Ferien an der Ostsee vorlasen. Alex und Momi fuhren nicht in die Ferien, und in der Nacht vor Alex’ erstem Schultag konnte Momi nicht schlafen, weil sie es in den Wänden knacken hörte.

»Ihnen sollte man nicht erlauben, ein Kind aufzuziehen«, hatte Frau Rimbach, die Nachbarin, geschimpft. »Mit Ihren Schauermärchen machen Sie dem armen Wurm ja Angst vor dem Leben. Eigentlich müsste man das melden, damit jemand die Kleine hier wegholt und ihr ein ordentliches Zuhause gibt.«

Angst vor dem Leben hatte Alex durchaus, auch Alpträume und manchmal Bilder im Kopf, die ihr einen tiefen Schrecken einjagten, ohne dass sie wusste, woher sie stammten. Aber sie war sicher, dass das alles nichts mit Momis einstürzenden Häusern zu tun hatte, sondern mit Frau Rimbachs Drohung, jemand könne kommen und sie wegholen – weg von Momi und dem einzigen Zuhause, das sie kannte. Andere Kinder hatten Mütter, Väter, Tanten und ganze Geburtstagspartys voller Cousins. Alex hatte nur Momi. Eine Großmutter, die ihr weder Ferienreisen noch Bilderbücher bot, die aber immer für sie da war und sie vor dem Knacken in den Wänden warnte, auf das kein Mensch achtete.

Hatte Alex vor jenem Abend auf das Knacken geachtet? Hatte sie sich je gefragt, wie stabil die Wände ihrer Welt waren, auf was für einem Fundament sie standen und was womöglich in den Fugen lauerte? Wenn sie später versuchte sich zu erinnern, fiel ihr nichts dergleichen ein. Alle anderen – ihre Freundin Meike, ihre Kommilitonen im Institut für Völkerkunde, die Journalisten, die im Fernsehen um die Wette schwatzten – behaupteten, die Zeichen hätten in der Luft gelegen, man habe gespürt, dass der große Knall bevorstand. Alex aber hatte nichts gespürt. Sie hatte an jenem Abend mit Momi am Küchentisch gesessen, in ihren Bratkartoffeln mit Mettwurst gestochert und an nichts Besonderes gedacht.

Dann war Meike gekommen. War in die enge Wohnung gefegt wie der Sturm, der vor den Fenstern tobte, hatte schnaubend nach Atem gerungen und die durchnässten blonden Locken geschüttelt wie in der Shampoowerbung im Westfernsehen. »Du glaubst nicht, was passiert ist!«, war sie ohne Begrüßung herausgeplatzt. »Wie kannst du da sitzen und dir schlaffe Kartoffeln in den Mund schaufeln, während in diesem Staat das Recht zum Teufel geht?«

Alex hatte nicht geschaufelt, sondern nur gestochert, und die Kartoffeln waren nicht schlaff. Sie gab sich immer Mühe, sie kross zu braten, weil sie eins von zwei Dingen waren, die Momi liebte – Bratkartoffeln und Bohnenkaffee, der für Leute ohne Westverwandte schier unerschwinglich war. Meike schimpfte weiter. Ihr Gesicht war gerötet und vom Regen nass. Momi ließ sich beim Essen nicht stören, und auch Alex blieb ruhig. Sie kannte Meike und ihre dramatischen Ausbrüche seit der Schulzeit. Vielleicht war ihre Freundschaft ja so haltbar, weil die eine besaß, was der anderen fehlte. Wo Meike lichterloh brannte, reagierte Alex kühl und scheinbar unbeteiligt. Gegen Meike war sie eine Langweilerin, doch es machte ihr nichts aus. Es war sicherer so, barg weniger Gefahr.

»Was ist denn überhaupt los?«, fragte sie, als Meike eine Pause einlegen musste, weil ihr die Luft ausging.

»Was los ist?« Meikes atemlose Stimme schraubte sich in die Höhe. »Verdammt, Alex, lass jetzt endlich diesen Fraß stehen und hör mir zu. Sie haben Hugo verhaftet. Wir müssen irgendwas tun.«

Alex zuckte zusammen. Dass Leute verhaftet wurden, behaupteten Reporter im Westfernsehen seit langem, aber soweit Alex wusste, entsprach davon nichts der Wahrheit. Außerdem – wie konnte so etwas in ihrem eigenen behüteten Leben geschehen? »Ich dachte, du bist mit Hugo zurückgekommen«, murmelte sie.

Hugo war Meikes Freund, ihr Traummann, wie sie Alex bei jeder Gelegenheit wissen ließ. Sie hatte ihn am Institut für Lehrerbildung kennengelernt, und alle paar Tage quetschte sie sich mit ihm und seinen Freunden in seinen Trabbi und fuhr auf Demonstrationen, um für eine Freiheit zu kämpfen, die Alex sich nicht vorstellen konnte. Vor drei Tagen war sie in Leipzig gewesen, auf der größten Massenkundgebung in der Geschichte des Landes. Hinterher hatte sie sich über die aufgeheizte Atmosphäre ereifert, doch von einer Verhaftung hatte sie kein Wort erwähnt.

»Was soll das heißen, ich bin mit Hugo zurückgekommen?«, herrschte sie Alex an. »Wir wollten uns heute Abend treffen, mit ein paar Leuten vom Neuen Forum. Es ging um Strategien für die nächsten Tage, aber Hugo ist nicht einmal aufgetaucht.«

Momi spießte die Gabel in ihre Kartoffeln, schob sich ein Stück in den Mund und drückte es in ihre Backentasche. »Und daraus schließen Sie, er ist verhaftet worden?«, fragte sie und hob die bleigrauen Brauen in die Stirn.

»Was soll ich denn sonst daraus schließen?«, fragte Meike.

Müde zuckte Momi mit den Schultern. »Warum werden Frauen eigentlich nie klüger, warum macht sich jede Generation denselben Unsinn vor? Ihr Hugo hat Sie versetzt. So einfach ist das.«

Meikes nasses Gesicht wurde bleich. Mitleid erfasste Alex. »So einer ist Hugo nicht«, warf sie ein, obwohl sie den Mann kaum kannte. »Politik ist sein Ein und Alles, und ohne triftigen Grund würde er kein Treffen mit dem Neuen Forum sausenlassen.« Sie brach ab. Meikes Blick verriet ihr, dass dies die falsche Erklärung gewesen war.

Momi verzog die Lippen zu einem bedauernden Lächeln. »Eine andere Frau ist immer ein triftiger Grund«, murmelte sie. Ehe Meike zu Widerspruch ansetzen konnte, schüttelte sie den Kopf und schob ihren Teller beiseite. »Ihr beide macht, was ihr wollt. Von mir aus zieht los und sucht diesen Hugo. Wie groß die Versuchung ist, weiß ich, obwohl man sich hinterher fühlt wie ausgespuckt. Als hätte eine Frau keinen Wert mehr, wenn sie einem Mann nicht genügt.« Alex sah die faltigen Lider der alten Frau sich senken, wie sie es jetzt häufig taten, wenn ihre Gedanken in die Ferne wanderten, in ein Land, in das Alex ihr nicht folgen konnte.

»Hier geht es nicht um banale Liebesgeschichten«, protestierte Meike. »Es geht um die Lage in unserem Land, und die betrifft uns alle, egal, ob wir neunzehn oder neunzig sind.«

»Ich bin dreiundneunzig«, entgegnete Momi. »Glauben Sie mir, wenn Sie dreiundneunzig sind, betrifft Sie gar nichts mehr. Da wird alles banal. Selbst die Liebe.«

Der Novemberwind ließ die Fensterscheibe klappern. Flüchtig war Alex zumute, als würden Kälte und Schwärze von draußen in die trüb erleuchtete Küche dringen. Momi stand auf. Dass sie bald ein Jahrhundert in sich hatte, sah man ihrem zähen, aufrechten Körper auf einmal an. »Geh mit ihr, wenn du willst, Süppchen«, sagte sie zu Alex. »Ich räume ab, dann setze ich mich vor den Fernseher.« Früher hatte Momi nie ferngesehen, aber in letzter Zeit fiel ihr das Lesen schwer. »Wenn man sich in keine Geschichte von anderen Leuten mehr flüchten kann, wird die Stille im Kopf so laut«, hatte sie gesagt und Alex gebeten, ihr den Fernseher einzuschalten. Seither schlief sie abends auf dem Sofa ein, während Bilder von fremdem Leben über den Bildschirm tanzten.

Alex sprang auf, nahm ihr die Teller weg und trug sie zur Spüle. »Wolltest du zum Thälmann-Saal zurück?«, fragte sie Meike. Plötzlich widerstrebte es ihr, Momi allein zu lassen und hinaus in die scheußliche Nacht zu ziehen, verloren, ohne Ziel und Plan.

Meike ließ die Schultern hängen, als hätte sie der Mut verlassen. »Erst mal den Fernseher anschalten ist keine schlechte Idee«, murmelte sie. »Kann ja sein, dass die was bringen.«

Dass das Fernsehen etwas über die Verhaftung irgendeines Lehramtsstudenten brachte, hielt Alex für ausgeschlossen, doch über den Aufschub war sie froh. Eilig setzte sie den Kessel für Momis Hagebuttentee auf, dann folgte sie den beiden in den kleinen, vollgestellten Raum, den Momi Stube nannte. Die paar Gegenstände, die es neben dem alten Mobiliar dort gab, nannte sie »Gerümpel, das von meinem Leben übrig ist«. Über dem Sofa, wo bei anderen alten Leuten ein Ölschinken prangte, hing bei Momi ein verbeultes Blechschild. Alex’ Freunde fanden die Aufschrift amüsant, während Alex nie darauf geachtet hatte, weil sie das Schild von klein auf kannte.

Der Fernseher lief schon. Er war ebenfalls alt, ein Erbstück von Frau Rimbach, dessen Schwarzweißbild an den Rändern flimmerte. Bis in den letzten Muskel gespannt, saß Meike auf der Sesselkante. Hoffte sie tatsächlich, aus der Sendung etwas über Hugos Verbleib zu erfahren? Soweit Alex, die den Tee aufgoss, es mitbekam, ging es um einen Beschluss des Ministerrats, der derzeit alle naselang irgendwelche Beschlüsse fasste. Günter Schabowski, einer der altbekannten Männer aus dem Politbüro, stellte sich einer Pressekonferenz und beantwortete mehr schlecht als recht Fragen, mit denen Journalisten ihn bombardierten.

»Das ist live«, stellte Meike verblüfft fest. »Die bringen das echt live und ohne Zensur.«

Alex schob Momi ihre Tasse hin und warf dabei einen Blick auf den Fernseher. Die Konferenz war offenbar beendet, die Journalisten begannen in den Bänken hin und her zu rutschen und Papiere in Aktentaschen zu stopfen. Da erhob sich ein Mann in einer hinteren Bank. Kein Deutscher, konstatierte Alex automatisch, romanischer Herkunft, Italiener vermutlich, vielleicht sogar aus jenem Pompeji, aus dem ein langes, bleiches Stück Gips auf der verwohnten Anrichte lag. Alex studierte Völkerkunde, weil eine seltsame Sehnsucht nach fremden Ländern in ihr brodelte, obgleich sie wusste, dass sie in keins von ihnen je einen Fuß setzen würde. »Noch eine Frage«, bat der italienische Journalist mit schwerem Akzent. »Glauben Sie nicht, dass es war ein Fehler – diese Reisegesetz, den Sie haben vorgestellt vor wenigen Tagen?« Reisegesetz – das war eins der Schlagworte, mit dem Leute wie Meike und Hugo auf die Straße zogen. Sie verlangten die Freiheit, um den Erdball zu reisen, Pompeji und London zu sehen und in Westberlin Bananen zu kaufen. Und wenn es so käme?, durchfuhr es Alex. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Sie besaß kein Talent, sich selbst zu belügen, und wusste, dass sie insgeheim froh war über die engen Grenzen ihrer Welt. Ohne jene Grenzen hätte sie den Mut aufbringen müssen, ihre Traumreisen in die Tat umzusetzen, und bei dem Gedanken überlief sie eine Gänsehaut.

»Schalten Sie um!«, schrie Meike und schreckte Alex aus ihren Gedanken. »Da ist was passiert, ein ganz großes Ding – schalten Sie in den Westen, ins Erste, das kriegen Sie doch rein?«

Momi reagierte nicht. Reglos starrte sie auf den Schirm, auf dem das Bild gewechselt hatte. Statt der Pressekonferenz war jetzt der Nachrichtensprecher zu sehen, der belanglose Neuigkeiten vom Blatt las. Ehe Meike noch einmal losschrie, trat Alex vor das Gerät und streckte die Hand nach dem Drehknopf. Sekundenlang zögerte sie. Hatte sie in diesem Augenblick das Knacken in den Wänden gehört, das den Einsturz nicht nur ihres Hauses, sondern ihrer Welt ankündigte? Der Empfang war katastrophal, das Bild ein Flimmern, und die Stimme des Sprechers knirschte verzerrt. Den Schriftzug, der sich vom Anzug des Mannes abhob, konnte Alex dennoch einwandfrei lesen, auch wenn sein Sinn sich ihr entzog. »Die Mauer ist offen«, stand dort, und beim zweiten Lesen blieben die Worte dieselben: »Die Mauer ist offen.«

Meike sprang vom Sessel. In der Bewegung erstarrt, einen Arm nach vorn und einen nach hinten gestreckt, erinnerte sie Alex an die Menschen von Pompeji, die sie aus Momis vergilbtem Bildband kannte – zweitausend Jahre alte Tote, die von der Katastrophe überrollt und unter mörderischen Wogen begraben worden waren.

»Wir müssen dahin«, sagte Meike wie in Trance. »Die lassen uns rüber. Wir müssen dahin.«

Der Sender zeigte jetzt Aufnahmen von der Pressekonferenz, die sie gerade verfolgt hatten. Günter Schabowski las stockend eine Zeile von einem zerknitterten Zettel ab: »Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Gründen beantragt werden. Ausreisen können über alle Grenzübergänge der DDR zur BRD beziehungsweise Berlin-West erfolgen.«

»Und wann tritt das in Kraft?«, fragte einer der Journalisten.

»In Kraft?«, wiederholte Schabowski, als verstünde er die Sprache nicht. »Also nach meiner Kenntnis gilt das … sofort … also unverzüglich.«

»Wir müssen dahin!«, schrie Meike. Sie nestelte an den Knöpfen ihrer Jacke und schlang ihr Batiktuch um Hals und Mund. Unter den Journalisten entstand ein Tumult. In Trauben ballten sie sich um Schabowski und ließen sich wieder und wieder bestätigen, dass das, was auf dem Zettel stand, der Wahrheit entsprach.

Der neuen Wahrheit. Die alte gab es nicht mehr.

»Gilt das auch für Berlin-West?«, rief ein Mann mit hochgeschlagenem Mantelkragen.

»Für Berlin-West?« Schabowski schien sich zu ducken, nach einem Spalt im Boden zu suchen, in den er hätte abtauchen können. »Ja, ja, ich denke, für Berlin-West gilt das auch.«

»Wir müssen dahin«, wiederholte Meike. »Los, zieh dich an. Von hier draußen sind wir doch ewig unterwegs.«

»Wohin denn?«, fragte Alex und kam sich vor wie ein Kind.

»Na, wohin wohl?« Im hohen Bogen wies Meike auf den Fernsehschirm. »In den Westen«, jubelte sie.

»Das können wir doch nicht machen«, murmelte Alex. Sie fühlte sich, als wären ihre Sohlen mit dem Teppich verwachsen. Um keinen Preis wollte sie aus diesem engen, überheizten Zimmer fort.

»Und ob wir das können!« Meike stemmte die Hände in die Hüften. »Was ist mit dir los, Alex? Ich weiß, du bist ein Stubenhocker sondergleichen, aber nicht einmal du darfst die wahnsinnigste Nacht deiner eigenen Geschichte versäumen.«

»Quark«, erfolgte wie aus der Pistole geschossen die Antwort von Momi. Sie hatte sich aufgerichtet und sah nicht Meike, sondern Alex ins Gesicht. Dem Blick aus ihren Nebelaugen ließ sich nicht ausweichen. »Es macht überhaupt nichts, wenn du wer weiß wie viele Nächte deiner eigenen Geschichte versäumst«, fauchte sie leise und gefährlich. »Der Geschichte ist das egal. Die lässt sich von dir sowieso nicht aufhalten, und wenn du dich mit all deinen Kräften dagegenstemmst.«

»Das, was heute Nacht passiert, will aber keiner aufhalten!«, rief Meike. Von der Verzweiflung, mit der sie vorhin hereingeplatzt war, war nichts mehr zu spüren. »Darauf haben wir gewartet, dafür haben wir unser Leben lang gekämpft …«

»Unser Leben lang«, fiel ihr Momi spöttisch ins Wort. »Ich kann nur für Sie hoffen, dass Sie sich mit dem Unfug, für den Sie da kämpfen, nicht ein Leben lang abschleppen müssen. Und überhaupt, wollten Sie nicht Ihren Hugo suchen?«

»Die müssen Hugo ja jetzt freilassen«, antwortete Meike verunsichert. »So wie bisher können die doch nicht mehr weitermachen – sonst laufen ihnen nämlich die Leute weg.«

»Tun Sie, was Ihnen passt«, sagte Momi. »Aber hören Sie auf, Alex unter Druck zu setzen. Du musst selbst entscheiden, Süppchen. Wenn da draußen eine Lawine losbricht, kannst du genauso gut im Warmen sitzen bleiben und warten, bis sie dich überrollt. Wozu ihr entgegenlaufen?«

»Sie sperren Alex ein, wissen Sie das?« Meikes Stimme kippte auf der Spitze. »Sie machen ein verschrecktes Häschen aus ihr, das sich ans Leben nicht traut. Und warum? Weil Sie Angst haben, Alex könnte einfach losziehen, Leute kennenlernen und Sie allein in dieser Rumpelkammer sitzen lassen!«

»Wer sich ans Leben traut, hat keine Ahnung davon«, konterte Momi. Dann wandte sie sich an Alex: »Meinetwegen musst du nicht hierbleiben, Süppchen. Mir macht es nichts aus, in meiner Rumpelkammer zu sitzen. Es ist mir lieber, als wenn ich hinaus in diese Nacht müsste. Du tu, was du für richtig hältst.«

»Macht es dir wirklich nichts aus?«, fragte Alex hastig. »Ich glaube, dann gehe ich mit Meike.« Sie wollte nichts weniger als das. Sie wollte in der Geborgenheit der Wohnung bleiben, sich in ihr Bett verkriechen und von dem, was draußen geschah, nichts hören. Es machte ihr Angst, auch wenn sie keine Ahnung hatte, warum. Es war jene unbestimmte Angst, die sie von klein auf begleitete, das Gefühl, dem Leben außerhalb der engen vier Wände nicht gewachsen zu sein.

Dass sie sich dennoch mitschleifen ließ, lag an Meike. Alex wusste, die Freundin würde nicht nachgeben, sondern fortfahren, Momi zu attackieren, und Momi würde jeden Hieb mit einem noch schärferen parieren. Der Streit würde eskalieren, und am Ende würde Meike verlangen, dass Alex Partei ergriff. Dass sie sich rechtfertigte, für ihre Liebe zu Momi, für ihr stilles, ereignisloses Leben, das Alex nie in Frage stellen wollte. Lieber nahm sie die Kälte der Novembernacht in Kauf.

»Ich bin nicht spät zurück«, warf sie Momi hin, wagte aber nicht, die Großmutter noch einmal anzusehen, ehe sie sich in den Flur stahl und vom Garderobenhaken ihre Jacke angelte.

»Hut ab, Mädchen«, zischte Meike ihr mit triumphalem Grinsen zu. Im Treppenhaus brannte nur eine Birne, und es roch nach Bohnerwachs und längst verkochtem Eintopf. Selbst das ist besser als die Nacht da draußen, dachte Alex. Sie begann zu schaudern, noch ehe Meike die schwere Pforte aufgezogen hatte und ein Windstoß Regen in den Hausflur trieb.

Es war der 9. November 1989, einer jener Tage, von denen es später hieß, sie seien in die Geschichte eingegangen. Für die ganze Welt wurde es der Tag, an dem die Berliner Mauer fiel, und danach war nichts mehr wie vorher. Für Alex blieb es der Tag, an dem sie Oliver traf, doch auch für sie war danach nichts mehr wie vorher, kein Stein auf dem anderen und keine Wand mehr intakt.

 

Wie befürchtet, wusste Meike nicht, wo sie hinwollte. »Vielleicht sollten wir doch noch einmal zum Thälmann-Saal und nach Hugo sehen«, schlug Alex vor. Die kleine Wohnstraße lag menschenleer. Ihre Laternen stammten aus der Zeit vor dem Krieg und warfen spärliche Lichtkegel auf die glitzernden Fäden des Regens.

Meike schüttelte den Kopf, dann senkte sie den Blick und gab Alex zu verstehen, dass sie das Thema Hugo besser nicht mehr ansprach. Stattdessen richtete sie sich jäh auf und wies nach der Straßenecke. »Da vorn sind Leute! Ich wette, die haben dasselbe vor wie wir.« Von der Hauptstraße drangen Stimmen herüber, laut und ausgelassen, als zöge die Schar auf ein Fest. »Los, komm mit«, befahl Meike, packte Alex am Ärmel und zerrte sie hinter sich her.

Hinter der Kreuzung hatte sich eine Traube von Menschen gebildet, die johlend in Richtung S-Bahnhof zog. Ohne sich um den Verkehr zu kümmern, marschierten sie die Fahrbahn entlang. »He, ihr!«, brüllte Meike und schwenkte die Arme. »Wohin geht’s?«

»Grenzübergang Bornholmer Straße!«, ertönte übermütig die Antwort. Meike fackelte nicht länger, sondern drängte sich mit Alex in den Pulk. Umringt von hupenden Autos, strebten sie dem Bahnhof entgegen.

Die Waggons der S-Bahn waren bis zum Platzen vollgestopft. Alex wurde zwischen zwei Männer gequetscht, die sich über ihren Kopf hinweg unterhielten. So dicht, wie die Leute standen, hätte nicht einmal ein Toter umfallen können. Als ihr übel wurde, schloss sie die Augen, doch es half nichts. Hinter ihrer Stirn ballten sich aus Fetzen die Bilder, die sie von klein auf kannte und nicht einordnen konnte – Menschen, die eine Straße entlangjagten, ein Schuss und dann ein Mann, der getroffen stürzte. Mehrere, die nachfolgten, fielen auf ihn nieder, andere trampelten über die am Boden Liegenden hinweg. Alex’ Herz raste, und in den Schläfen hämmerte das Blut. Irgendwann musste ihr etwas geschehen sein, das diese Panik auslöste, aber Momi hatte ihr nie etwas erzählt. Als sie umstiegen, wurde nichts besser. Im nächsten Zug drängten sich die Menschen noch dichter, und an jeder Station kamen neue hinzu.

An den Grenzübergängen, die hinüber in den Westteil der Stadt führten, war Alex nie gewesen. Selbst für Leute, die Verwandte drüben hatten, war es so gut wie unmöglich, ein Visum zu erhalten, und Momi und Alex hatten keinen Menschen dort. »Die Mauer hat Familien zerrissen«, lautete einer der Sprüche, die Meike gern von sich gab, aber Alex’ Familie bestand aus Momi und ihr, aus niemandem sonst. »Wir leben unser Leben hier«, pflegte Momi zu sagen. »Was hinter der Mauer ist, geht uns nichts an.«

Jetzt aber hatte der Zug sie an der Mauer ausgespuckt, vor dem Grenzübergang, auf den sie inmitten einer Menschenhorde zutrieb. Eine Autoschlange reihte sich vor einem der Gebäude, während sich vor dem zweiten Leute drängten, die wie Meike und Alex zu Fuß gekommen waren. Der Lärm war unbeschreiblich. Gelächter, Rufe, Sprechchöre und Schimpfworte, alles mischte sich zu einem dunklen Grollen, das den Grenzpolizisten vor dem Schlagbaum galt. »Macht das Tor auf! Los, lasst uns raus!« Kaum angekommen, stimmte Meike ein: »Lasst uns raus! Lasst uns raus!«

Die Polizisten kontrollierten einzelne Pässe, steckten die Köpfe zusammen und bliesen Atemwolken in die Dunkelheit. Dann zogen sie sich in die verglaste Kabine zurück, kamen kurz darauf wieder und waren sichtlich so ratlos wie zuvor. Ansagen durch Megaphone gingen im Gegröle unter, ein Wagen der Volkspolizei wurde zum Bremsen gezwungen und zurückgedrängt. Die Menschenströme rissen nicht ab, immer enger und bedrohlicher erhob sich die Mauer aus Leibern. Sie verspürte ein Würgen in der Kehle, doch zum Erbrechen war nirgendwo Platz.

Eine Zeitlang wärmte die Nähe der Menschen, dann kehrte die Kälte zurück und kroch ihr unter die Kleider. Ihre Hände froren steif, und auf ihre Schultern senkte sich bleischwer die Müdigkeit. Ab und an wurde ein Auto durch die Sperre gewunken, doch die Scharen, die zu Fuß gekommen waren, harrten bewegungslos aus. Alex schlug die Arme um den Leib, vergrub das Gesicht im Kragen und trat von einem Fuß auf den anderen. Irgendwann half nichts mehr. Sie würde Meike sagen, dass sie nicht länger warten konnte. Vor dem endlosen Heimweg graute ihr.

Alex war klein. Sie musste sich auf die Zehenspitzen recken, um Meike zu erspähen. Die Freundin hatte sich ein Stück weit vorgekämpft und redete wild gestikulierend mit zwei Männern. Aus Leibeskräften rief Alex ihren Namen. Fremde, die in der Nähe standen, lachten und schlossen sich an. »Meike, Meike!«, drang es vielstimmig durch die unwirkliche Nacht.

Endlich bemerkte Meike, dass die Rufe ihr galten. Sie schwang herum, doch ehe Alex ein Wort herausbekam, ging ein Ruck durch die Menge und schleuderte sie nach vorn. Im selben Augenblick brach ein Jubel los, wie Alex ihn im Leben nicht gehört hatte. Stehen zu bleiben oder gar zu fliehen war unmöglich. Sie wurde weitergeschoben, mitgerissen, musste laufen, wenn sie nicht stürzen wollte.

Leiber trieben gegen sie, drückten sie in Richtung Kontrollgebäude. Erst als sie es beinahe erreicht hatten, glaubte Alex zu begreifen, was vor sich ging – die Grenze war offen. Die Polizisten hatten dem Druck nicht länger standgehalten und den Schlagbaum hochgezogen.

Ich habe meinen Personalausweis nicht dabei, fiel ihr ein, obwohl das keine Rolle spielte. Die Polizisten würden alle zurückschicken, ob sie Pässe bei sich hatten oder nicht. Dort drüben, hinter dem geöffneten Schlagbaum, lag das verbotene Land. Der Menschenstrom würde gegen eine unsichtbare Mauer prallen und zurückgeworfen werden, in die nächtlichen Straßen, in überfüllte S-Bahn-Wagen und endlich in die Wohnungen und Betten. Noch während sie den Gedanken zu Ende dachte, wurde sie unter dem Schlagbaum hindurch auf die andere Seite gespült. Die Polizisten hielten sich am Rand, und kein Mensch fragte sie nach ihrem Pass.

Auf der Brücke hinter der Grenze wartete eine weitere Menschenmenge mit Blumen und Transparenten. Alex’ Gesicht wurde zwischen ihnen eingeklemmt. Lärm brauste ihr in den Ohren, sie rang nach Atem, und beim Versuch, den Kopf hochzureißen, schwanden ihr die Sinne. Längst hatte sie Meike aus den Augen verloren, und die Versammelten waren zu sehr mit dem Strudel der Ereignisse beschäftigt, um auf eine Frau zu achten, die der Lage nicht gewachsen war. Ihre Knie gaben nach. Alle Kraft wich aus den Muskeln der Beine wie Luft aus zerstochenen Reifen. »Willkommen in Westberlin«, dröhnte eine Männerstimme verzerrt aus einem Lautsprecher. Dann gab es kein Halten mehr. Alex würde auf das regennasse Pflaster stürzen, und die Nachfolgenden würden über sie hinwegtrampeln wie in den alptraumhaften Bildern.

Ehe ihr Körper auf den Boden prallte, fingen zwei Hände sie auf. Kraftvoll wurde sie in die Höhe gehoben. Ihr Retter schlang stützend die Arme um sie und bahnte ihnen rückwärts einen Weg durch den Menschenpulk. Erst als er stehen blieb und sie noch immer festhielt, bemerkte sie, dass sie die Augen zugekniffen hatte. Sie schlug sie auf. Regen glitzerte im Licht von Scheinwerfern, und über den Himmel zogen dichtgeballte Wolken. Sie standen am Rand, am Brückengeländer, und ließen die endlosen Ströme vorübertreiben. Der Mann war groß. Alex reichte ihm nicht einmal bis zum Hals. Er hatte schwarzes Haar, das ihm durchnässt in die Stirn fiel, und er lächelte nicht, sondern sah sie nur an. Bitte sag nicht willkommen im Westen, flehte Alex stumm.

»Ich bin Oliver«, sagte er.

2

Wer behauptet, an die Liebe auf den ersten Blick nicht zu glauben, hat nie gewartet und war nie bereit.

In der Mitte der Brücke fielen Fremde einander in die Arme. Alex stand in den Armen eines Fremden und fühlte sich nicht fremd. Ihr war noch immer übel, sie war durchnässt und zitterte vor Kälte. Dennoch wollte sie stehen bleiben. Alles war besser, als die Brücke zu verlassen und den Mann, der Oliver hieß, aus den Augen zu verlieren. Unaufhörlich schoben sich Menschen an ihnen vorbei. Die Nacht roch nach feuchten Kleidern und Autoabgasen.

Eine kleine Ewigkeit lang sprachen sie beide kein Wort. Dann sagte Oliver: »Ich sollte dich fragen, ob du in Ordnung bist, oder? Und ob ich dich irgendwo hinbringen kann.«

Alex schüttelte den Kopf.

Seine Brauen hoben sich schräg in die Stirn, formten ein Dach und stellten eine Frage.

»Ja, ich bin in Ordnung«, murmelte Alex hastig. »Ich komme nur mit großen Menschenmengen nicht gut klar.«

»Kommt irgendwer damit klar?«

Alex lächelte und wies mit einer Kopfbewegung hinter sich. »Wie es aussieht, jeder außer mir.«

»Mein Glück.« Er lächelte auch. Mit den Augen mehr als mit dem Mund. Alex ertappte sich dabei, dass sie ihn anstarrte, jede Regung seiner Züge verfolgte. Es hätte ihr peinlich sein sollen, und dennoch wollte sie nicht mehr damit aufhören.

Er tat dasselbe. Hörte nicht auf, sie anzusehen. »Dir ist kalt«, sagte er und legte eine Fingerspitze auf ihre zitternde Oberlippe.

Alex nickte. Vorsichtig, um seinen Finger nicht von ihrer Lippe zu verlieren, und am liebsten hätte sie ihn mit den Zähnen festgehalten.

»Willst du gehen?« In seiner Stimme schwang dieselbe Furcht, die auch sie verspürte. »Zurück?«

»Nein«, hörte sie sich sagen. Ihre Zähne klapperten, aber es gab viel Schlimmeres.

»Ich wohne nicht weit von hier.« Er wies die Brücke hinunter. »Im Wedding. Wenn wir es schaffen, uns durch diese Haufen zu schlagen, sind wir in ein paar Minuten da.«

Er fragte sie nicht, warum sie zum Grenzübergang gekommen war, und sie fragte ihn auch nicht. Die Nacht war verrückt, sie stand außerhalb jeder Normalität, und das war ihr Glück, denn kein Mensch verlangte in dieser Nacht von einem anderen Vernunft. Oliver legte den Arm um sie, damit sie sich im Getümmel nicht verloren, und sie legte den Arm um ihn. Es war nicht das erste Mal, natürlich nicht. Sie hatte in der Schule Freunde gehabt, auch eine Geschichte mit einem Kommilitonen, schon um nicht aufzufallen, nicht immer anders zu sein. Das Risiko, sich zu verlieben, war sie jedoch nie eingegangen. Das Leben erschien ihr auch ohne solche Verwicklungen furchteinflößend genug. Jetzt ging sie mit Oliver wie ein Tier auf vier Beinen, spürte die Form seiner Hüfte durch den Mantelstoff und dachte: Das hat mir gefehlt. Das, das, das.

Sie mussten lange gehen, ehe der Lärm der Feiernden verklang. Die Straße, in die sie einbogen, lag zwischen schwarzen Häuserfronten, und die Laternen, die kümmerliches Licht verteilten, wirkten so alt wie die in Karlshorst. Oliver schloss ein Tor auf und führte sie über zwei stockdunkle Höfe in ein Hinterhaus. Die Treppe war so eng, dass sie sich aneinanderpressten, die Stufen ausgetreten, die Malerei an den Wänden blass. Olivers Wohnung lag im vierten Stock, und beim ersten Schritt durch die Tür war Alex begeistert davon.

»Hier unterm Dach wird es nie richtig kalt«, sagte Oliver, und in der Tat schlug ihnen Wärme entgegen. Die Wohnung besaß ein einziges Zimmer mit hohen weißgetünchten Wänden. War bei Alex alles eng und vollgestopft, so war Olivers Zimmer riesig und nahezu leer. Ein Brett auf zwei Böcken diente als Schreibtisch, eine Matratze als Bett. Daneben gab es nur noch einen Schrank, Regale voller Bücher und eine mannshohe Phönixpalme.

Oliver zog die Vorhänge zu und schaltete über dem Bett eine Lampe an. Aus der Küche holte er eine Flasche roten Wein und zwei Gläser. Von den Leuten, die Alex kannte, hatte niemand Wein zu Hause. Einmal hatte sie Momi gefragt, ob sie welchen kaufen sollte, aber Momi hatte den Kopf geschüttelt. »Manchmal hilft Wein beim Vergessen«, hatte sie gesagt. »Aber was man in meinem Alter nicht allein vergisst, Süppchen, kriegt auch der Wein nicht weg.«

Alex wollte den Wein trinken, damit er ihr half zu vergessen, dass ihre Großmutter sie Süppchen nannte und vor Sorge verrückt werden würde, wenn sie heute Nacht nicht nach Hause kam. Ich bin dreiundzwanzig, beschwor sie sich. Keine Frau in meinem Alter ruft ihre Großmutter an, wenn sie bei ihrem Freund schläft. Bei ihrem Freund – der Gedanke klang nicht einmal sonderbar.

Oliver trug einen riesenhaften Mantel aus Wolle, der Alex ausnehmend gut gefiel. Er zog ihn aus und nahm ihr die triefende Jacke ab. Als er bemerkte, wie nass ihr Sweatshirt war, sagte er: »Zieh das auch aus. Mach dir keine Sorgen.«

Sie machte sich keine, sah ihm zu, wie er sein Hemd aufknöpfte, und streifte das Sweatshirt über den Kopf. Er setzte sich neben sie und legte eine Decke um sie beide. Seine Haut rieb gegen ihre, und der Wein schmeckte herb und warm. Komisch, dachte Alex, wir sitzen hier und schweigen, aber es ist uns nicht peinlich. Vielleicht lag es an der Nacht, daran, dass die Wände ihrer Welt zerbrochen waren und keine Regel mehr galt. Vielleicht lag es an ihnen beiden, vielleicht war gar nichts peinlich mit Oliver.

Irgendwann fingen sie an zu sprechen und zwischen Schlucken vom Wein einander Fragen zu stellen. Oliver hatte auf einer Party von der Öffnung der Grenzen gehört und war mit Freunden zum Übergang gelaufen, hatte diese aber im Gewühl verloren. Er studierte Geschichte, schrieb an seiner Magisterarbeit über die Gründung der Weimarer Republik, vor der es Alex graute, und fuhr Taxi, um die Wohnung zu bezahlen. »Warum wohnst du nicht bei deinen Eltern?«, fragte Alex. Ihre Kommilitonen wohnten, wenn sie keinen Platz im Wohnheim hatten, alle bei den Eltern.

Oliver zuckte mit den Schultern. »Mit meinem Vater verstehe ich mich nicht besonders. Ich wollte so schnell wie möglich raus. Und du? Wohnst du bei deinen Eltern?«

Alex schüttelte den Kopf. Oliver sah sie noch eine Zeitlang an, dann begriff er, dass sie nichts mehr dazu sagen wollte.

Sie waren müde und überwach zugleich. Irgendwann begannen sie wieder zu frieren. »Gehen wir ins Bett?«, fragte Oliver und legte eine Hand an ihr Gesicht. Seine Augen waren braun, voller Wärme und Leben. »Ich möchte gern mit dir schlafen. Aber es muss nicht heute Nacht sein.«

Erleichtert ließ sie sich gegen ihn fallen. Sie hatte dasselbe gedacht: Ich möchte alles mit dir. Aber heute Nacht bin ich für noch mehr Neues zu erschöpft. Sie schälten sich aus dem Rest der Kleider, krochen unter das Federbett und schlangen Arme und Beine umeinander. Alex war sicher, nicht schlafen zu können, aber sie schlief tief und wohlig und erwachte erst, als der trübe Novembermorgen durch den Spalt zwischen den Vorhängen kroch.

Oliver, mit nichts als dem Hemd vom Vortag bekleidet, lief zwischen Küche und Zimmer hin und her und deckte das Schreibtisch-Brett als Frühstückstisch. Dass sie wach war, schien er im Rücken zu spüren, denn er drehte sich um und lächelte sie an. »Es ist nicht zu Ende, oder? Das mit dir und mir?«

»Nein«, hörte Alex sich sagen.

Olivers Lächeln wurde breiter. »Ich glaube, ich muss dich etwas fragen.«

Sie bekam Angst und wusste nicht, wovor.

»Sagst du mir, wie du heißt?«

Erlöst entfuhr ihr ein Lachen. »Alex«, sagte sie und fügte, weil er es genau wissen sollte, hinzu: »Alexandra Liebermann.«

3

Er hieß Oliver Schramm. In seinem Kühlschrank, der vor Altersschwäche brummte, bewahrte er spanischen Ziegenkäse und belgische Fleischtomaten auf, und seinen Kaffee bereitete er mit einer Prise Kardamom in einer italienischen Metallkanne zu. Er ließ beim Frühstücken gern die Sonne in sein Fenster, und den Blick auf die vertrockneten Sträucher, die Mülltonnen und die Klopfstange fand er nicht trostlos. »Es steckt so viel Geschichte darin«, sagte er. »Das hier war das Herz des Roten Weddings, eine Hochburg der Arbeiterbewegung – diese Häuser wurden als Mietskasernen vor hundert Jahren gebaut.«

Über Alex’ Rücken lief ein Schauder. Schon in der Schule hatte sie Geschichte nur gemocht, wenn sie sich mit längst versunkenen Epochen befasste oder mit Ländern am anderen Ende der Welt.

Oliver hielt inne. »Ich möchte das alles wissen«, sagte er.

»Was?«

»Alles, was dich betrifft. Warum du bei manchen Worten zusammenzuckst. Warum du allein durch Nächte streifst und mir nicht sagst, mit wem du lebst. Aber du musst es mir nicht jetzt erzählen. Von mir aus hast du Jahre dazu Zeit.«

Alex sah zu Boden, auf die gebeizten Dielen. »Ich lebe bei meiner Großmutter«, sagte sie. »Ich nenne sie Momi, weil ich als Kind eine Mutti und eine Omi haben wollte, und sie nennt mich Süppchen, weil ich die Suppe bin, die andere ihr eingebrockt haben. Sie ist sicher krank vor Sorge, weil ich noch nie über Nacht weg war.« Trotzig blickte sie wieder auf. Jetzt sag mir, dass du dir ein derart unreifes Ding samt seniler Greisin nicht ans Bein binden willst, forderte sie ihn im Stillen auf. Sag: Herrgott, Mädchen, so kannst du doch nicht leben. Rede mit mir, wie Meike und die anderen es tun.

»Ruf sie an«, sagte Oliver.

»Wen?«

»Deine Großmutter. Ruf sie an und sag ihr, du bleibst ein paar Tage bei mir. Ich kann dich noch nicht gehen lassen, Alex. Ich muss erst sicher sein, dass du wiederkommst.«

»Wir haben kein Telefon«, entgegnete sie, beugte sich vor und küsste ihn auf den Mund. »Ich gehe trotzdem noch nicht. Du hast recht, erst muss ich sicher sein, dass ich wiederkommen kann.«

Sie schalteten den Fernseher ein, und Oliver ging, um Zeitungen zu kaufen. Die Mauer blieb offen. Berliner reisten von einem Teil der Stadt in den anderen, aber das machte Alex und Oliver nicht sicher genug. Sie mussten noch tagelang beieinanderbleiben, um zu begreifen, dass das, was sie erlebten, wirklich war.

 

Am Anfang war es völlig verrückt gewesen, der Wahnsinn einer Nacht, die die Welt veränderte. Mit der Zeit aber schien es geradezu normal: Sie waren Alex und Oliver, zwei Studenten, die sich verliebt hatten und zusammenbleiben wollten. So wie Meike mit ihrem Hugo. So wie alle Welt.

»Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört«, hatte irgendein westlicher Würdenträger gesagt. »Glaubst du, er meint uns?«, fragte Oliver, und Alex nickte. Sie wuchsen zusammen, und es war leicht, weil sie zusammengehörten.

Drei Tage lang blieben sie verborgen in ihrem Kokon und hatten genug daran zu tun, einander kennenzulernen. Oliver borgte ihr T-Shirts von sich und ein Paar Jeans von einer Sandra – »die gibt’s hier schon lange nicht mehr, nur ihre Hose ist noch da«. Die Jeans war Alexandra zu groß. »Du bist so eine starke Frau«, sagte Oliver, »in so einer kleinen Verpackung.« Um ein Haar hätte Alex ihm gesagt, dass in dem, was er kleine Verpackung nannte, eine unsäglich schwache Frau steckte, doch dann ließ sie es. Für ihn war sie anders – eine Alex, die sie noch nicht kannte.

Nur zum Einkaufen ging er nach unten, »zum Türken an der Ecke«, und er kochte für sie. Das Gemüse, das er auf der Arbeitsfläche ausbreitete, leuchtete wie bemalt, und von manchen Sorten kannte sie nicht einmal den Namen. Da, wo sie herkam, gab es keinen Türken an der Ecke. Die Gerichte, die er ihr servierte, dufteten fremd und hatten Namen, die umwerfend klangen – Spaghetti Puttanesca, Moussaka, Chili con Carne. Am vierten Tag sagte sie, sie wolle auch einmal für ihn kochen, ob er ihr von seinem Türken ein paar Dinge mitbringen könne. Geld brauchte sie nicht. Er hatte erklärt, das bisschen, was sie esse, könne er sich spielend leisten. In der Zeitung wurden Besucher aus dem Osten aufgefordert, sich auf einer der Banken hundert Westmark zur Begrüßung abzuholen, doch das wollte Alex nicht. Sie war keine Besucherin aus dem Osten. Mochten die anderen hundert Westmark bekommen. Sie hatte Oliver.

Er tippte auf einen Posten auf ihrer Liste und schüttelte den Kopf. »Mettwurst. Die hat kein Türke, da muss ich zum Leo. Erzählst du mir, was das wird, was du kochst?«

»Nichts Besonderes«, erwiderte Alex und schämte sich. »Bratkartoffeln mit Mettwurst. Wenn du’s nicht magst, lassen wir’s.«

Er lachte und hob die Hände. »Soll ich ehrlich sein? Ich will dir beim Kochen zuschauen. Was dabei herauskommt, ist mir eher egal.«

Erleichtert ließ sie sich küssen. »Du isst das sonst nie?«

»Alleine nicht«, antwortete er. »Bei meinen Eltern gibt’s das öfter, und meine Oma schnauzt dann meine Mutter an: ›Tust du wohl ordentlich Mettwurst dran? Wir sind doch nicht bei armen Leuten.‹ Bei gelber Erbsensuppe genauso. Sie muss zwei Paar Knacker drin haben, oder es ist ein Armeleuteessen.«

Alex lachte. Momi war das Gegenteil. »Die halbe Wurst genügt doch, Süppchen. An mein altes Gerüst musst du kein Vermögen mehr verfüttern.« – »Du hast auch noch eine Oma?«, fragte sie.

»Und ob.« Oliver grinste. »Einen Besen mit Haaren auf den Zähnen. Sie ist neunundachtzig, aber noch immer der einzige Mensch, vor dem mein Vater sich fürchtet.«

Sie lachten beide. »Meine ist dreiundneunzig.« Dann schrak sie zusammen. Momi wusste auch weiterhin nicht, wo sie sich befand. Fragend sah Oliver sie an, und unter seinem Blick straffte Alex die Schultern. »Ich rufe meine Freundin an«, erklärte sie entschlossen. »Sie hat mich schon öfter wegen ihres Freundes um einen Gefallen gebeten. Ich werde sie bitten, Momi Bescheid zu sagen.«

»Gute Idee.« Er legte den Arm um sie.

»Und zum Einkaufen komme ich mit – zum Leo, wer immer das ist«, meinte sie.

Es war gut so. Es war an der Zeit, und sie war bereit. Der Leo war kein Mensch, sondern ein Verkehrsknotenpunkt namens Leopoldplatz, wo sich ein riesiges Kaufhaus ans andere reihte und in der Mitte ganz unbeteiligt eine alte Kirche stand. Vielleicht war dieser Tag am Leopoldplatz der schönste von allen. Während sie mit Oliver inmitten des Trubels stand, hatte sie plötzlich diesen seltsamen Gedanken: Womöglich erzähle ich davon noch in fünfzig Jahren – Damals am Leopoldplatz …

Momi erzählte nie von etwas, das mit damals anfing, aber das war auf einmal nicht mehr wichtig. Sie war nicht Momi, war auch kein Teil von ihr. Sie war Alex, die in Oliver verliebt war und im Menschengewühl auf dem Leopoldplatz einfach sie selbst sein durfte. Immer hatte sie dieses Gefühl der Unsicherheit begleitet, wenn sie mit irgendwem irgendwo hinging: Was wird von mir erwartet, was mache ich falsch, wenn ich den Mund auftue, was mache ich falsch, wenn ich schweige? Sie war dieses Gefühl so gewohnt, dass sie es im Grunde vorzog, allein zu sein.

Eine Sekunde lang überkam sie das Gefühl auch jetzt. Die Etagen der Kaufhäuser waren voll von Ostberlinern, die sich mit Ausrufen der Begeisterung auf Verkaufstische stürzten, und von Westberlinern, die Kameras zückten und wie Weihnachtsmänner strahlten. Eine Sekunde lang dachte Alex: Oliver wird enttäuscht sein, weil ich nicht hingerissen kreische, weil ich so wenig Freude zeige. Er wird enttäuscht sein, weil ich so wenig dankbar bin. Dann aber blickte sie zur Seite und sah Olivers Gesicht. Er schaute ihr zu, und sein Blick versicherte ihr, dass es ihm gut mit ihr ging, dass sie in Ordnung war, so, wie sie war.

Auf einmal sprach auch nichts mehr dagegen, über den gewaltigen Überfluss, den ein Mensch unmöglich brauchen konnte, zu staunen, sich an der Vielfalt ein wenig zu berauschen und da und dort irgendeinen Unsinn zu kaufen. Sie begann Oliver von ihrem Studium zu erzählen und von den Reisen, die sie sich als Kind erträumt hatte, und wunderte sich über sich selbst. Zwischendurch wandten sie sich immer wieder einander zu und fielen sich in die Arme, so als hätten sie gerade erst entdeckt, dass sie einander besaßen, und wären unendlich dankbar dafür.

Im obersten Stock des Kaufhauses aßen sie ein köstliches Gebäck namens Quiche Lorraine, weil sie daheim keine Zeit mehr haben würden, Bratkartoffeln mit Mettwurst zu kochen, tranken jeder ein hohes Glas Cidre dazu und blickten über das quirlige Treiben der Stadt. »Du magst den Leo«, stellte Oliver mit einer Art von Besitzerstolz fest.

Heftig nickte Alex.

»Kannst du dir vorstellen, dass das einmal ein brandneu angelegter Schmuckplatz war, mit dem Kaiser Wilhelm die schmuddeligen Teile seiner Hauptstadt aufpeppen wollte? Dort drüben, die Nazarethkirche stammt aus der Zeit.«

Er zeigte ihr das hohe, dunkle Gebäude, dann wies er auf die Fahrbahn, die sich zwischen Häuserriesen dehnte. »Die Arbeiter haben sich ihren Wedding trotzdem nicht nehmen lassen. Bis heute nicht. Das da ist übrigens die Müllerstraße, und dort hinten steht die Zentrale der SPD, Sozialdemokratische Partei Deutschlands.«

»Vielen Dank.« Alex grinste schief. »Ich bin zwar aus dem Osten, aber nicht von hinter dem Mond.«

»Sorry.« Er grinste mit. »Ich bin da Mitglied, weißt du.«

Alex drehte ihr Glas in den Händen. »Ich fürchte, ich habe von Politik keine Ahnung.«

»Ich auch nicht viel«, erwiderte er. »Ich glaube, ich bin da nur eingetreten, weil mein Vater sich darüber aufregt. Und hier im Wedding wohne ich, weil meine Oma sich darüber aufregt. Armeleutegegend, da wohnt man doch nicht. Aber mir gefällt es hier.«

Alex gefiel es auch. Sie stellte das Glas ab und sandte ihm ein Lachen. »Wir beide mit unseren Omas.«

Eine Weile schwiegen sie, während draußen die Straßenlaternen angingen und die Autos die Scheinwerfer einschalteten. »Ich hab dir schon so viel gesagt«, bemerkte Oliver dann, »aber das Wichtigste noch nicht. Du bist schön.«

Alex war einen Meter sechsundfünfzig klein, eher dünn als schlank, hatte grünliche Augen und braunes Haar, das sie von jeher praktisch und kurzgeschnitten trug. Von Kleidung verlangte sie, dass sie warm war und nicht auffiel, und hatte nie bedauert, keine West-Jeans zu besitzen, weil sie den Unterschied sowieso nicht bemerkte. Was Oliver da zu ihr sagte, kam so unerwartet, dass sie nach Luft schnappen musste. Dann blickte sie auf. Seine Brauen, die noch schwärzer schienen als sein Haar, bildeten wieder das Dach. Seine Lippen waren gerade, seine Wangen schmal. Dort, wo sein ausgeleierter Pullover verrutscht war, sah sie ein Stück von seinem Schlüsselbein. »Du auch«, sagte sie.

»Wollen wir gehen?«

»Ja.«

Der Rest der Quiche Lorraine blieb stehen.

In dieser Nacht schlief Alex zum ersten Mal mit einem Mann. Dass sie um etliche Jahre zu alt dafür war, machte ihr nichts aus. Es war schön, es war am Morgen noch spürbar, so als wären ihre Körper noch nicht getrennt. Meike hatte gesagt, beim ersten Mal sei es für niemanden schön, aber vielleicht war das anders, wenn man älter war, oder es war anders, weil sie Alex und Oliver waren. Wenn ich ein Kind bekomme, nenne ich es Leo, dachte Alex, als sie mit feuchten Schenkeln ins Bad ging. Leo vom Leopoldplatz.

Nach dem Frühstück rief sie bei Meike an. Meikes Mutter nahm den Hörer ab und kreischte »Alexandra!«, kaum dass sie ihre Stimme erkannte. »Mein Gott, Kind, wir haben uns solche Sorgen gemacht. Meike hat deiner Großmutter gesagt, sie soll zur Polizei gehen, aber das alte Frauchen hockt bis ins Mark verängstigt in dieser scheußlichen Wohnung und ist zu nichts in der Lage. Und uns hilft man ja nicht weiter. Weil wir mit dir nicht verwandt sind.«

»Es tut mir leid«, sagte Alex knapp. »Kann ich Meike sprechen?«

Die Mutter gab noch ein paar entrüstete Laute von sich, dann rief sie Meike an den Apparat. Die war schlimmer als ihre Mutter. Geballte Wut gellte aus dem Hörer, aber sie erreichte Alex nicht. Durch die geöffnete Tür sah sie Oliver zu, der die Küche aufräumte, und wartete, bis Meike fertig war. »Kannst du bitte zu Momi fahren und ihr sagen, dass es mir gutgeht?«, fragte sie dann.

»Bin ich dein Trottel?«, schrie Meike. »Habe ich nichts Besseres zu tun? Woran ist eigentlich dein letzter Sklave gestorben?«

»An einem Herzanfall«, antwortete Alex. »Er hat sich zu sehr aufgeregt.« Hatte wirklich sie das gesagt? Für gewöhnlich war es Momi, die solche Antworten gab. Ihr selbst fielen zwar oft welche ein, aber sie hätte sie nie im Leben ausgesprochen.

»Also gut, die dämliche Meike, die ja sonst nichts zu tun hat, fährt raus nach Karlshorst und beruhigt die durchgedrehte Oma. Aber was soll ich ihr überhaupt sagen? Ich weiß doch selbst nichts. Meine Freundin Alexandra hält es ja nicht für nötig, mir irgendwas zu erzählen, weder, wo sie abgeblieben ist, noch, was sie da treibt oder wann sie gedenkt, nach Hause zu kommen.«

»Ich habe jemanden kennengelernt«, erklärte Alex. »Oliver. Sag Momi, ich komme so bald wie möglich zurück und bringe Oliver mit.« All das hatte sie innerhalb eines Atemzugs beschlossen. Sie mussten in ihr Leben zurückkehren, an die Uni, zu den Menschen, die sich um sie sorgten. Aber nicht mehr allein. Wer zu Alex gehörte, zu dem gehörte künftig auch Oliver.

»Oliver«, wiederholte Meike in beißendem Ton. »Hört, hört. Und darf man fragen, wer dieser illustre Herr Oliver ist?«

»Du wirst ihn kennenlernen. Bald.«

»Wie überaus gnädig. Und wer sagt dir, dass ich ihn kennenlernen will?«

Dir hat ja auch keiner gesagt, dass ich Hugo kennenlernen will, durchfuhr es Alex. Und den Hugo davor und davor und davor. »Du musst nicht«, entgegnete sie. »Gibst du bitte Momi Bescheid?«

»Kannst du mir einen Grund nennen, warum ich das tun sollte?«

»Weil du meine Freundin bist«, erwiderte Alex. »Weil du mich um solche Dinge gebeten hast und weil ich jetzt dich bitte. Weil du immer gesagt hast, dass Freunde so etwas füreinander tun.«

Meike gab keine Antwort. Alex glaubte zu hören, wie sie mit den Zähnen knirschte. »Ist es wenigstens schön?«, fragte sie dann.

»Es ist das Schönste«, antwortete Alex.

»Ein Westler, ja?«

Alex nickte, obwohl Meike sie nicht sehen konnte.

»So viel Schwein müsste unsereins haben. Aber das eine sag ich dir, Alex: Wenn deine Momi einen Herzknacks bekommt und stirbt, dann weiß ich, wer schuld daran ist.«

Alex stockte. Ausgerechnet Meike sagte das zu ihr, Meike, die ihr vorgeworfen hatte, sie weigere sich, an Momis Tod zu denken, sie tue so, als müsste eine Dreiundneunzigjährige ewig leben.

»He, jetzt krieg dich wieder ein«, sagte Meike. »Die alte Hexe macht sich Sorgen um dich, aber ansonsten ist die kiebig wie eh und je. Zu meiner Mutter hat sie gesagt, sie soll die Jauche vor ihrer Tür wegschaufeln, bevor sie bei anderen Staubkörner zählt.«

Alex atmete auf. Das klang durch und durch nach Momi. »Sie ist wirklich in Ordnung?«

»Klar doch. Die überlebt uns alle.« Meike seufzte. »Also schön, ich spiele den Postboten für dich und lasse mich von der rasenden Rentnerin zur Sau machen. Und was habe ich davon?«

»Nichts«, sagte Alex. Oliver kam mit zwei Tassen eines dampfenden, schaumigen Getränks und küsste sie auf den Kopf.

»Das habe ich befürchtet.«

»Wie geht es Hugo?«, fragte Alex.

Meike schnaubte und ließ die Frage ohne Antwort.

Also hatte Momi recht, Hugo hat eine andere, und Meike war allein. Der Gedanke jagte ihr einen Schmerz bis in die Kehle. Sie umfasste Olivers Gelenk und hielt ihn fest. »Es tut mir leid«, sagte sie zu Meike. »Danke, dass du mir hilfst. Ich hab dich lieb.«

»Bist du krank?«, fragte Meike. »Ich möchte wirklich gern wissen, was dieser Westler-Typ mit dir gemacht hat.«

Vielleicht hatte sie es tatsächlich noch nie zu irgendwem gesagt. Ich hab dich lieb. Sie erinnerte sich auch nicht daran, dass irgendwer es zu ihr gesagt hatte. »Ich liebe dich«, sagte sie zu Oliver, legte den Hörer auf und ließ ihn los. Dich und Meike und Momi. Meine Welt. Mein Leben.

Oliver stellte die Tassen ab und begegnete ihrem Blick.

»Du musst wieder an die Uni, nicht wahr?«, fragte Alex. »Dein Taxi fahren. Und dich bei deinen Leuten melden.«

Hilflos kaute er auf seiner Unterlippe. »Ich sollte mich darum kümmern, ja. Aber du bist wichtiger. Klingt es albern, wenn ich sage, dass mir noch nie etwas so wichtig war?«

Es klang albern, weil jeder es sagte. Wahr blieb es trotzdem. »Mir war auch nie etwas so wichtig. Aber alles andere verschwindet ja nicht. Ich würde deine Leute gern kennenlernen.«

»Ehrlich?« Ein Lächeln überzog sein Gesicht. »Und wenn sie grässlich sind, liebst du mich dann trotzdem noch? Mein Vater, fürchte ich, ist ziemlich grässlich.«

Alex lachte und fiel ihm um den Hals.

»Und mein Cappuccino auch«, gestand er. »Ehrlich gesagt, mache ich den zum ersten Mal.«

Alex probierte und hätte am liebsten in die Tasse gespuckt. »Der ist widerlich. Meine Großmutter sagt: Die Bitterkeit des Lebens ist nichts gegen guten Kaffee. Wie kann Kaffee süß sein?«

Oliver lachte, nahm beide Tassen und leerte ihren Inhalt in den Topf der Phönixpalme. »Die Großmutter will ich kennenlernen«, sagte er. »Und ihren Kaffee trinken.«

»Bei uns zu Hause gibt’s kaum je Bohnen.«

»Macht nichts.« Er küsste ihre Stirn. »Wir kaufen welche am Leopoldplatz.«

 

Für den nächsten Sonntag meldete Oliver sie zum Besuch bei seiner Familie an. »Am Nachmittag. Dann stopft dich meine Mutter zwar mit Kuchen voll, aber wir haben den Abend für uns und können uns erholen.«

Mit wechselnden Verkehrsmitteln fuhren sie endlos durch die Stadt. Olivers Familie wohnte in einem entlegenen Bezirk namens Buckow, in einer Straße, die sich totenstill zwischen Blöcke von Hochhäusern quetschte. An der Haustür hing ein Strohkranz mit Plastikfrüchten. Kaum hatte Oliver am Gartentor geklingelt, wurde die Tür aufgerissen, und eine Frau mit unglaublich blonden Locken und einem teigigen Gesicht erschien. »Da seid ihr ja endlich«, bekundete sie vorwurfsvoll. »Wir dachten, ihr hättet uns vergessen.« Ohne Oliver zu begrüßen, streckte sie Alex die Hand hin. »Na, dann mal herein in die gute Stube. Du musst Monika sein.«

»Alexandra«, verbesserten Alex und Oliver gleichzeitig.

»Und wenn schon«, erwiderte die Blonde. »Diese ganzen neumodischen Namen kann ich mir nicht merken.«

»Ich freue mich, Olivers Mutter kennenzulernen«, sagte Alex.

Die blonde Frau kreischte auf. »Himmel, hilf! Seine Mutter sitzt drinnen und sieht zu, wie die Eierschecke eintrocknet. Ich bin nur die Tante. Gudrun Schramm.«

Alex war froh darüber. Dass die üppige Blondgefärbte überhaupt mit Oliver verwandt war, erschien verwunderlich genug.

Nicht anders als Momis Wohnung, war das Haus in winzige Räume aufgeteilt. Das Wohnzimmer, das Tante Gudrun wie Momi Stube nannte, war mit dem Kaffeetisch, der wuchtigen Anrichte und einem gigantischen Fernseher bis zum Bersten gefüllt. Um den Tisch saßen Olivers Vater, seine Mutter und Großmutter. Der Vater stand auf, vollführte eine Verbeugung und reichte Alex die Hand. »Schramm«, sagte er. »Sehr erfreut.« Er hatte graues, an den Kopf pomadisiertes Haar und wirkte schwammig um Taille und Hüften. Ein Zug um die Augen aber verriet Ähnlichkeit mit Oliver.

»Ich bin Alex«, sagte sie.

Olivers Mutter sprang auf und begann wortlos einen gelben Kuchen in Stücke zu schneiden und auf zu kleine Teller zu verteilen. Sie war eine unscheinbare Frau mit Bauchspeck und Dauerwelle, die sich vor den anderen zu fürchten schien. Die Großmutter saß in ihrer Ecke und musterte Alex, als müsste sie sie kaufen. Im Vergleich zu der kerzengeraden Momi wirkte sie in ihrem cremeweißen Ensemble krumm und verkümmert. Zum Ausgleich war ihr silbrig blondiertes Haar zu einem wahren Kunstwerk aufgebauscht.

Als Alex’ Name genannt wurde, fragte sie dreimal nach wie eine Schwerhörige. »Alexandra interessiert mich nicht. Der Nachname, wie war der? Biedermann?«

»Liebermann.«

»Ja, richtig«, sagte sie, fragte aber gleich darauf noch einmal: »Liebermann? Wirklich Liebermann?«

Alex war unendlich dankbar, als Oliver ihr den Arm um die Schultern legte und sie zum Tisch führte. Noch dankbarer war sie, als er nach zwei Stunden aufstand. »Vielen Dank, länger halten wir euch nicht auf. Ihr wollt ja morgen sicherlich früh raus.«

Draußen, im Regen, umarmten sie sich und lachten Tränen vor Erleichterung.

»Ich habe dir doch gesagt, sie sind grässlich. Gib’s zu, du findest, sie sind heillose Spießer, und jetzt überlegst du, wie du den Sohn der Spießersippe loswirst, oder?«

Sie verschränkte die Hände in seinem Nacken. »So schlimm sind sie doch gar nicht.«

»Du lügst.«

Er hatte recht. Sie hatte die ganze Zeit gedacht, wie schlimm es gewesen sein musste, in diesem Haus aufzuwachsen. Auf einmal war sie stolz auf Momi, die dort, wo bei Olivers Eltern der Ölschinken prangte, ein verbeultes Blechschild hängen hatte.

»Mein Vater ist der schlimmste Mensch, den ich kenne. Wenn du’s genau wissen willst – er ist im Grunde seines Herzens ein Faschist.«

Das Wort erschreckte Alex. Wenn Momi jemanden einen Faschisten nannte, hieß das, dass er für sie kein Mensch mehr war. Olivers Vater hatte ihr unentwegt Fragen über den Fall der Mauer gestellt: Ob sie nicht heilfroh sei, dem kommunistischen Gefängnis entkommen zu sein, wie ihr das Leben in Freiheit gefalle und ob die vielen Ausländer sie schockierten. »Von denen sind Sie drüben ja verschont geblieben. Das verdammte Gesockse weiß schon, dass es bei uns mehr zu holen gibt.«

»Halt besser den Mund, Sigmund«, war die Großmutter ihm dazwischengefahren. »Es muss ja nicht jeder merken, dass du lieber redest als denkst.« Ihr Gesicht glich einer Trockenpflaume, aber ihr Sohn gehorchte ihr aufs Wort.

»Bist du mir böse, wenn ich keine Lust habe, über meine Familie zu reden?«

»Überhaupt nicht!«, rief Alex.

»Und ich darf immer noch deine Momi kennenlernen?«

»Du darfst nicht, du musst.«

»Wundervoll.« Er schlang den Arm um sie und lief mit ihr durch den Regen. »Komm, mein Schatz, wir fahren in unseren verkommenen Wedding. Ich lade dich zum Essen ein.«

Sie lehnte im Laufen den Kopf gegen ihn. »Am Leopoldplatz?«

»Und ob! Bei dem verdammten Gesockse.«

 

Am nächsten Morgen schrieb sie Momi eine Postkarte: »Es tut mir leid, dass Du in Sorge warst, aber weißt Du noch, wie Du zu mir gesagt hast, als Du jung warst, hättest Du Dich von niemandem aufhalten lassen? So war es jetzt für mich. Wenn Du Oliver erst kennst, wirst Du es verstehen. Wir kommen am Freitagabend nach Karlshorst, und übers Wochenende bleibt Oliver bei uns. Er ist gespannt auf Dich, und ich vermisse Dich. Alex.«

In der Woche ging Oliver wieder zur Uni und fuhr Taxi, um die Haushaltskasse aufzufüllen. Alex vertrieb sich die Zeit mit seinen Büchern oder ging in der Gegend spazieren und kaufte Geschenke für Momi. Ein Pfund Bohnenkaffee. Ein Tuch in Nebeltönen, das zu Momis Augen passte. Noch immer drängten sich Ostberliner in allen Geschäften. Eine Frau in der Kassenschlange schimpfte, sie könne ihren Kindern keine Adventskalender kaufen, denn »die Ostler« hätten alles weggekauft. »Irgendwann muss Schluss sein«, sagte sie zu Alex. »Wir können denen doch nicht alles in den Rachen schmeißen, so viel haben wir schließlich selber nicht.«

»Die Party ist zu Ende«, sagte auch Oliver, als er nach Hause kam. »Allmählich fangen sie an sich zu fragen, was denn nun werden soll aus Deutschland-West und Deutschland-Ost.«

Er sagte es, als ginge es sie beide nichts an. Was aus ihnen werden sollte, was aus ihnen längst geworden war, wussten sie – ein Ganzes. Eines, das sich nicht mehr trennen würde.

Der Freitag kam, und mit Olivers Übernachtungsgepäck überquerten sie zum ersten Mal die Grenze, die es nicht mehr gab. Auf der Mauer tanzten junge Männer, die Sektflaschen schwangen. Vor drei Wochen hatte die Öffnung ihrer Welt Alex in panische Angst versetzt. Jetzt freute sie sich auf Momi und darauf, Oliver und Momi zusammen zu erleben.

Karlshorst wirkte still und dunkel wie ein verlassenes Dorf. »Gebaut wurde es als Villenkolonie«, erklärte sie Oliver. »Irgendwann vor dem Krieg. Aber jetzt sind die meisten Häuser in Wohnungen geteilt.«

»Mir gefällt’s«, sagte Oliver. »Es steckt voller Geschichte, so wie mein Wedding.«

Alex hatte dasselbe gedacht und einen Schauder über ihrem Rücken gespürt. Dann sah sie das Licht, das aus Momis Fenster auf die Straße fiel. »Da oben ist es.«

Oliver nahm ihre Hand. »Ich freu mich.«

Alex wollte sich auch freuen, doch auf der Treppe glaubte sie ein Knacken in den Wänden zu hören, als stünde dem Haus der Einsturz bevor. Ehe sie ihren Schlüssel ins Schloss schieben konnte, wurde die Tür schon aufgezogen. Trübes Licht fiel ins Treppenhaus, und nach der ondulierten Wolke von Olivers Großmutter fand sie Momis eisgraues Kurzhaar regelrecht schön.

»Hallo, Mömchen«, begann sie und streckte die Arme aus, aber in der Bewegung erstarrte sie. Dasselbe geschah mit Momis Gesicht. Es gefror. Grotesk standen sie alle still und brachten kein Wort heraus, bis Momi »nein« flüsterte. »Nein, nein, nein.«

Im selben Moment begriff Alex, was die Veränderung ausgelöst hatte: Momi hatte Oliver gesehen. Sie sah noch immer nichts als ihn. Etwas Eisiges legte sich Alex um den Nacken.

»Guten Abend«, ertönte Olivers Stimme so unbefangen, wie sie es von ihm kannte. »Ich bin Oliver, und ich habe so viel von Ihnen gehört, dass ich Sie unbedingt kennenlernen wollte.«

»Nein«, flüsterte Momi, der alle Farbe aus dem Gesicht wich. »Nein, nein, nein.«

»Momi«, probierte Alex und legte ihr die Hand auf den Arm, aber es war, als ob man eine Statue berühren würde, ein Ding, das nicht lebte.

»Dürfen wir reinkommen?«, fragte Oliver. Momi wich nicht von der Stelle. Ihre Augen waren so weit aufgerissen, dass man die purpurn geröteten Ränder sah. Vielleicht ist sie einfach wütend, weil ich ihr nicht Bescheid gesagt habe, versuchte Alex sich zu beruhigen, doch sie scheiterte. Wenn Momi wütend war, wurde sie sarkastisch oder unnahbar, aber sie stand nicht schreckstarr in der Wohnungstür und wisperte vor Angst. Wut passte zu Momi, Angst nicht, genauso wenig wie Tränen.

Es war Oliver, der eine Entscheidung traf. Sachte schob er sich an Alex vorbei und zog sie hinter sich in die Wohnung. Momi blieb nichts übrig, als zurückzuweichen. »Ich kann verstehen, dass Sie nicht begeistert sind«, sagte er. »Aber wollen wir uns nicht erst einmal in Augenschein nehmen? Vielleicht bin ich ja nicht ganz so grässlich, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat.«

Mit jedem Schritt, den er voranging, wich Momi weiter durch den Flur zurück. Dabei ließ ihr Blick aus schreckensweiten Augen Oliver nicht los. »Gehen wir ins Wohnzimmer«, murmelte Alex.

Vor der geöffneten Tür blieb Momi stehen. Mehrmals schüttelte sie den Kopf und öffnete den Mund, als würde sie nach Luft schnappen. »Wie … wie heißt er?«, flüsterte sie.

»Oliver«, antwortete Alex. »Das habe ich dir doch geschrieben.«

»Oliver Schramm«, ergänzte Oliver freundlich.