Altern wird heilbar - Nina Ruge - E-Book
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Altern wird heilbar E-Book

Nina Ruge

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Beschreibung

Ist Altern unausweichliches Schicksal? Nein – lautet die Antwort der modernen Altersforschung. Denn der Körper ist tatsächlich das sprichwörtliche Wunderwerk. Dabei beginnt das Wunder in der Zelle, wie Moderatorin Nina Ruge und der renommierte Altersforscher Dr. Dominik Duscher in diesem neuen Standardwerk zum Thema schildern. Sie nehmen mit auf eine Entdeckungsreise zu den neuesten Erkenntnissen aus der Zellforschung und bringen dabei auch ihre persönlichen Einschätzungen und Erfahrungen mit ein. Die Autoren umreißen die Prozesse des Alterns und zeigen, wie es in Zukunft heilbar wird: etwa mit Medikamenten, stimulierender Ernährung, mit Hilfe von Fasten, Fremdblut oder Stammzellen. Im Fokus stehen die 3 elementaren Fähigkeiten der Zellen: die natürliche Zellerneuerung, die Entgiftung auf Zellebene und die Stabilisierung der Energieerzeugung. Wenn wir die Kernkompetenzen der Zellen verstehen, lassen sie sich – so Ruge und Dr. Duscher – gezielt stärken und das Alter an der Wurzel packen und heilen.

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Seitenzahl: 488

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Impressum

© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.

Projektleitung: Eva Dotterweich, Ariane Hug

Lektorat: Eva Dotterweich

Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München

eBook-Herstellung: Isabell Rid

ISBN 978-3-8338-7503-8

1. Auflage 2020

Bildnachweis

Illustrationen: Lisa Borgenheimer; Shutterstock; Science Photo Library

Fotos: Kay Blaschke

Syndication: www.seasons.agency

GuU 8-7503 06_2020_02

Die GU-Homepage finden Sie im Internet unter www.gu.de

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Wichtiger Hinweis

Die Informationen in diesem Buch stellen die Erfahrungen und die Meinung der Autoren dar. Sie wurden von ihnen nach bestem Wissen erstellt und mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für persönlichen kompetenten medizinischen Rat. Weder die Autoren noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

Ein Wort zuvor

Gestatten, wir sind die Autoren dieses Buches mit dem leicht provozierenden Titel »ALTERN WIRD HEILBAR«:

NINA RUGE, Jahrgang 1956. Durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau dieses Jahrgangs in Deutschland: etwa 69 Jahre.

Dr. Dr. med. DOMINIK DUSCHER, Jahrgang 1987. Durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes dieses Jahrgangs in Deutschland: etwa 72 Jahre.

Obwohl der eine von uns beiden, Dr. DUSCHER, ein Mann ist – und Männer ja bekanntlich in etwa sieben Jahre früher das Zeitliche segnen als Frauen – wird Dominik wahrscheinlich eine höhere Lebenserwartung haben als Nina. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Aber das Wissen um die Ursachen seines längeren Lebens ist hoch aktuell.

»Man baut halt ab.« »Das ist der Zahn der Zeit.« »Es geht nicht mehr so gut wie früher.« Volksmund tut Wahrheit kund? Zum Thema Alterung verkündet des Volkes Mund sicherlich das, was viele Menschen fühlen. Doch die Unerbittlichkeit des Verfallsprozesses nährt sich aus Unwissenheit. Körper und Geist nutzen sich im Laufe der Jahrzehnte ab wie Sommerreifen auf heißem Asphalt? Irgendwann ist das Profil runtergefahren, ist das Ding platt?

Wir können aufatmen. So brutal einfach läuft die Sache mit dem Altern nicht. Denn zum Glück ist der menschliche Körper ein Wunderwerk. Und dieses Wunderwerk zeigt keinen schlichten Abrieb wie der Autoreifen. Die aktuellen Erkenntnisse der physiologischen und genetischen Altersforschung legen komplexe Prozesse der altersbedingten Systemstörungen frei, und damit keimt Hoffnung auf.

Denn diese vielfältigen Abläufe betreffen nicht einzelne Organe, bedeuten nicht Kapitulation des Herz-Kreislauf-Systems oder bestimmter Areale des Gehirns. Nein. Das Altern beginnt im Detail, im Kleinen. Es beginnt in der Zelle – ja, »die Geburt des Todes« ist sogar noch viel kleiner dimensioniert: Sie wird auf molekularer Ebene definiert.

»Wie schrecklich!«, mögen Sie denken. Dann löst sich der Körper ja geradezu von seiner Substanz her, von ganz innen auf! Wir dürfen Sie beruhigen. Denn das Gegenteil ist der Fall. Wissen ist Macht. Und das Wissen über die zellulären Prozesse eröffnet uns die Chance auf Einflussnahme. Faktisch wurde das ja schon längst bewiesen! Dominik wird, statistisch gesehen, länger leben als Nina, weil Medizin und Erkenntnisse über gesunde Lebensweise Jahrgang für Jahrgang das Leben verlängern halfen. Dem ist so. Allerdings wissen wir erst heute, Anfang des 21. Jahrhunderts, ein wenig mehr über die genauen Mechanismen der Lebensverlängerung. Und exakt diese Spur eröffnet uns weitere ungeahnte Chancen. Jedem von uns. Egal, welcher Jahrgang.

Moment, sagen Sie jetzt vielleicht. Was ist denn mit den altersbedingten Krankheiten? Was ist mit Alzheimer, Altersdiabetes, Osteoporose, Arthrose, was ist mit Herzinfarkt und Schlaganfall? Wo liegen da die ungeahnten Chancen?

Müssen wir nicht, wenn wir ehrlich sind, das Alter als eine Krankheit betrachten?

Die modernen Forschungserkenntnisse lassen uns da zum Glück in eine neue Richtung denken. Wenn wir die molekularen, die zellulären Prozesse des Alterns kennen, dann können wir das Altern selbst als Ursache behandeln – und nicht die altersbedingte Krankheit als dessen Symptom.

Doch wie kann das gehen? Kann man das Altern therapieren? Und wenn ja, wie? Das Alter selbst zu behandeln würde ja bedeuten, auf Zellebene einzugreifen. Wie kommen wir denn an diese heran? Die Antwort lautet: Mit Medikamenten, mit Nahrungsergänzungsmitteln, mit stimulierender Ernährung und Lebensweise, mithilfe von Fasten, Fremdblut, Stammzellen … Wird Ihnen schwindelig?

Genau das wollen wir erreichen. Wir wollen, dass Ihnen schwindelig wird angesichts der Möglichkeiten, die die moderne Zellforschung eröffnet. Sie gibt uns sanfte (und auch nicht ganz so sanfte) Zell-Booster an die Hand, um die drei elementaren Kompetenzen unserer Zellen zu vitalisieren:

Die natürliche Zellerneuerung

Die Stabilisierung der Energieerzeugung in der Zelle

Die Entgiftungsprozesse auf Zellebene

Wenn wir diese drei elementaren Kompetenzen unserer Zellen verstehen, werden wir erkennen, wie wir sie gezielt stärken können. Diesem Verstehen und Fördern gilt dieses Buch. Deshalb ist es auch in drei große Teile gegliedert und ein jedes widmet sich einer dieser Zellkompetenzen.

Unsere Zusammenarbeit

Wir haben dieses Buch von Seite 1 bis Seite 352 gemeinsam geschrieben und diese Zusammenarbeit funktionierte so: Dominik hat den gesamten wissenschaftlichen Input geliefert, hat den Denkansatz, die Struktur entwickelt, hat seine eigenen Forschungsergebnisse eingebracht. Er hat die schier unendliche Fülle an Studien gesichtet und das seriöse Wesentliche, die Grundlagen für das Verständnis bis hin zu den brandaktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verfügung gestellt. Nina hat aus diesem hoch anspruchsvollen Konvolut etwas gemacht, das – so hoffen wir jedenfalls – die Faszination des Themas so spannend formuliert, dass jeder interessierte Nichtfachmann und jede neugierige Nichtfachfrau geradezu lustvoll eintauchen mag in die Welt der Stammzellennester, Zombiezellen und Miniaturkraftwerke ihrer Körper …, die jeden Tag um einen Tag älter und damit um einen Tag leistungsschwächer werden. Es geht in diesem Buch auch darum, was jeder Einzelne dagegen tun kann.

Wir haben diejenigen Passagen durch Kursivdruck kenntlich gemacht, die jeweils ganz eigene Erfahrungen, Erkenntnisse oder Einschätzungen von einem von uns beiden sind. Alles andere ist nicht dividierbares Gemeinschaftswerk.

Also dann! Wir wünschen Ihnen beim Lesen jede Menge Gänsehaut, Aha!-Effekte sowie Impulse fürs Verändern der Lebensweise – und am Ende eine gute Portion geballten Optimismus. Denn Altern wird heilbar!

Einleitung

Wissen ist Macht – auch Macht über den Tod? Dieser Frage möchten wir zunächst den roten Teppich ausrollen. Die Antwort können Sie im Anschluss nur selbst geben. Sie erhalten einen Überblick über die rund 300 Theorien des Alterns – und werden nachvollziehen können, wie sich die Erklärungstheorien unseres unerbittlichen Verfallsprozesses mit der exponentiellen Zunahme der wissenschaftlichen Erkenntnisse immer weiter differenzierten und beeindruckende tödliche Stringenz entwickelten – und Sie werden eine gewisse Erleichterung verspüren. Denn wir bringen Licht in den Theoriendschungel. Dr. DUSCHER hatte die kühne Idee, nach den biochemischen und mikrobiologischen Wurzeln zu suchen, die sämtlichen Prozessen des Alterns zugrunde liegen. Dieser Denkansatz ist kein Hexenwerk, denn die Forschung auf dem Gebiet der Zellbiologie explodiert derzeit geradezu. Doch die wesentlichen und neuesten Ergebnisse der Zellbiologie im Zusammenhang mit der Altersforschung zu betrachten und dabei drei wesentliche Zellkompetenzen für unser Leben und Überleben zu erkennen, die den Alterungsprozess nicht nur erklärbar machen, sondern es auch ermöglichen, dem Altern das Siechtum zu nehmen – das ist neu, und es ist verbunden mit dem Gefühl der Erleichterung.

Hier also der einführende Überblick über den Dschungel der Alterungstheorien und die kühle Erkenntnis des Ursprungs der Alterung auf der Ebene unserer Zellen. Denn diese lautet, dass die drei Zellkompetenzen Erneuerung, Energieerzeugung und Entgiftung mit der Zeit versagen.

Altern – eines der grossen Geheimnisse bis heute

»Das Leben ist eine vorübergehende Verschleierung tödlicher Wahrheiten.«

RAINER KOHLMAYER

An meinem 60sten Geburtstag wurde mir (Nina) die Sache mit der Verschleierung zum ersten Mal so richtig bewusst. So richtig, weil überraschend, ja fast beleidigend – und auf jeden Fall desillusionierend. Ein paar Wochen vorher kamen die üblichen freundlichen Journalisten-Anfragen: Kleine Interviews zu meinem »runden Geburtstag«. Und da ging es schon los.

Merkwürdig. Zehn Jahre zuvor wurde die Zahl noch einigermaßen locker ausgesprochen: kleine Interviews zu meinem »50sten«. Immer mal versteckte Avancen zum Thema »körperlicher und geistiger Verfall«. Ob denn die 50 so etwas wie eine »Schallmauer« sei in meinem Fernsehberuf, da komme es ja so arg auf die Optik an …

Ich nahm das nicht ernst. Schließlich sind wir Babyboomer so fit wie keine Generation vor uns. Für mich war stets klar: Das biologische Alter macht uns mindestens ein Jahrzehnt jünger …

Doch zum »60sten« war das völlig anders. Die – deutlich jüngeren – Journalist/innen vermieden die Zahl 60 so konsequent, dass mir mulmig wurde. Was ist denn an der 60 dran, dass Herr oder Frau Gesprächspartner sie noch nicht mal auszusprechen wagte? Ich merkte wohl: Irgendwie geschah das durchaus zu meinem Schutz. Das war nett gemeint. Als gäbe es eine unausgesprochene, »verschleierte« Übereinkunft, den mit der Zahl 60 verbundenen, nun wirklich unübersehbaren Verfall bloß nicht zu adressieren.

Bei der dritten in dieser Weise verschwurbelten Anfrage ging ich in die Offensive: »Sprechen Sie die Zahl ruhig aus! 60 – das ist doch keine Krankheit!« Freundliches Lachen war die Reaktion. Die Verschleierung nahm damit aber durchaus kein Ende.

60 Jahre alt zu werden – das hat in den Köpfen und Gefühlen von Jüngeren offenbar so stark den Beigeschmack von Degeneration, dass Menschen, die diese Altersgrenze überschreiten, halbbewusst und unumkehrbar, in den Verdacht des Überschreitens der Haltbarkeitsgrenze gelangen.

Entrüstung hilft hier nicht viel weiter. Vielmehr die Frage: Was ist denn dran an der »tödlichen Wahrheit« ab 60, einer Grenze, die sicherlich willkürlich gesetzt ist? Wann beginnt der Alterungsprozess? Was läuft da ab in unserem Körper? Wie weit sind die unerbittlichen Kaskaden des Verfalls schon entschlüsselt? Und was heißt denn eigentlich »natürlicher Tod«? Gibt es den überhaupt? Müssen wir nicht vielmehr – nüchtern betrachtet – das Altern als Krankheit betrachten, als die tödlichste Krankheit auf unserem Planeten? Und wenn Altern eine Krankheit ist, ist es dann nicht auch möglich, Heilmittel dagegen zu entwickeln? Darum geht es in diesem Buch.

Das Wichtigste zuerst

Wir wissen, dass wir noch sehr, sehr wenig wissen. Altern ist ein so hochkomplexer, multipler Prozess auf allen Ebenen unseres Organismus – also der Organe, Gewebe und Zellen –, der bis heute in keiner Weise als wissenschaftlich entschlüsselt gelten kann. Weshalb also genau die Lebensdauer von Zellen, Geweben, Organen begrenzt ist: Niemand kann das exakt definieren. Es gibt allerdings über 300 verschiedene Theorien dazu und keine ist für sich allein in der Lage, uns verlässlich die Hintergründe des unerbittlichen Sterbenmüssens aller Kreatur zu erklären.

Doch noch nicht mal darüber ist man sich einig: Darf denn in den Totenschein von Seiten des Arztes auch tatsächlich »Alter« als Todesursache eingetragen werden? In sehr vielen Ländern lassen die ärztlichen Richtlinien »Alter« alleine begrifflich als Todesursache nicht mehr zu.

Also muss immer eine Krankheit zum Tode führen – an »Alter« kann man nicht sterben? Aber man stirbt doch an Krankheiten, für die fortgeschrittenes Alter der größte Risikofaktor ist? So sehen es heute Forschung und Wissenschaft.

Zweierlei Alterungsprozesse

Wir unterliegen demnach zwei verschiedenen Formen von Alterung. Zum einen dem »primären Altern«. Das sind alle Prozesse der Degeneration und des Funktionsverlustes, die unseren Körper alt machen, degenerieren lassen – und diese Prozesse laufen in unseren Körperzellen ab, unerbittlich. In manchen Zelltypen schneller, in manchen langsamer – aber sie sind es, die verhindern, dass wir ewig leben. Mit diesen Prozessen und den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen dazu beschäftigen wir uns im Folgenden sehr viel genauer. Und wir wollen wissen: Können diese Funktionsverluste beeinflusst werden? Können wir zumindest Aufschub gewinnen? Und wenn ja, wie?

Bislang ging da gar nichts. In der Geschichte der Menschheit bestimmen die Prozesse des primären Alterns unsere maximale Lebensdauer, und die liegt – wie wir schon in der Bibel lasen – unverrückbar bis heute bei etwa 120 Jahren.

Der älteste Mensch, dessen Lebensdauer wissenschaftlich dokumentiert ist, war eine Französin. JEANNE CALMENT war ihr Name. Sie starb mit 122 Jahren und 164 Tagen – sie lebte vom 21. Februar 1875 bis zum 4. August 1997.

Wird also ein Mensch nicht von Krankheiten heimgesucht, auch nicht im hohen Alter, können ihn die Zellen seines Körpers bisher maximal rund 120 Jahre lang lebendig halten. Das kommt nur sehr, sehr selten vor – und schon sind wir beim »sekundären Altern«. Das sind all die Faktoren, die uns deutlich früher sterben lassen als im biblischen Alter von 120 Jahren: Vor allem suchen uns Krankheiten heim und wir bringen uns partiell selber um, aufgrund unseres ungesunden Lebensstils. Bewegungsmangel, schlechte Ernährung, Fettleibigkeit, Sucht – die Liste der möglichen Selbststörungen ist lang und variantenreich. Glücklicherweise sind aber heute so viele Menschen an ihrer Selbsterhaltung und damit an gesunder Lebensführung interessiert und die Medizin hat dermaßen große Fortschritte gemacht und steht für die breite Bevölkerung zur Verfügung, dass wir uns zumindest in der westlichen Zivilisation Schrittchen für Schrittchen der maximalen Lebensdauer annähern können. 120 Jahre! Das wäre doch was!

Halten wir also fest: Der schleichende Funktionsverlust der Zellen unseres Körpers lädt sozusagen Krankheiten dazu ein, sich in uns breitzumachen und uns irgendwann umzubringen. Ist Alter also keine Krankheit, sondern ermöglicht das Alter vielmehr der Krankheit, sich in uns breitzumachen?

Immerhin: In der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ringt man gerade intensiv und hitzig um genau diese Frage: Sollen wir Alter als Krankheit definieren? Oder öffnen Alterungsprozesse Tür und Tor für Krankheiten aller Art, allen voran für die sogenannten »Alterskrankheiten« wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Diabetes mellitus, Arthrose und Demenz? Diese Unterscheidung ist Milliarden wert, genauer gesagt, sie könnte weltweit die Krankenkassen zwingen, finanzielle Schleusen zu öffnen für Gesundheitsdienstleistungen im Alter. Der Hintergrund: Die WHO erstellt die wesentliche Richtlinie mit dem klingenden Namen »Internationale statistische Klassifikation von Krankheiten und damit zusammenhängenden Gesundheitsproblemen« – kurz ICD. Derzeit wird an der elften Fassung gearbeitet. Aufgelistet sind – Achtung! – alle bisher bekannten Krankheiten des Menschen. Und was als Krankheit gilt, muss auch behandelt werden. Und was behandelt wird, kostet Geld und muss von den Kostenträgern mehr oder weniger erstattet werden. Jede bislang bekannte Krankheit erhält von der ICD einen Code. Jetzt geht es also darum, ob »Alter« einen Code bekommen soll.

Das dürfte auch deshalb noch für einige Diskussionen sorgen, weil ja auch »Krankheit« kein glasklar definierter Seinszustand ist, sondern ziemlich dehnbar. So definiert das Sozialversicherungsrecht »Krankheit« als eine Störung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens und somit als eine Abweichung von der Norm »Gesundheit« (vgl. § 120 Abs. 1 Ziffer 1 ASVG, wonach Krankheit »ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand ist, der die Krankenbehandlung notwendig macht«). Tja, was ist nun »regelwidrig«?

Vor 1949 fand man zum Beispiel psychische Störungen zwar merkwürdig, aber nicht regelwidrig! Wer unter Depressionen litt, unter Schizophrenie, Autismus oder Angststörungen, hatte sich das irgendwie selbst zuzuschreiben. Als klassisch krank galt man damals damit nicht. Und auch nicht als behandlungsbedürftig. Erst 1949 wurden psychische Erkrankungen in die ICD der Weltgesundheitsorganisation aufgenommen.

Und es kommt noch verrückter: Bis 1974, man mag es nicht glauben, galt Homosexualität in der hochseriösen ICD als psychische Störung und behandlungsbedürftig. Alzheimer und Osteoporose dagegen wurden nicht als Krankheiten eingestuft, sondern als »normales Altern« und damit als unvermeidlich sowie unbehandelbar. Gegen Alzheimer ist bis heute noch kein Kraut gewachsen, aber als klar identifizierbare Krankheiten gelten natürlich beide. Die moderne Diagnostik macht’s möglich, den Schwund an Knochendichte bei Osteoporose wie auch die Plaques-Bildung im Gehirn mitsamt Abbauprozessen von ganzen Gehirnarealen bei Alzheimer nachzuweisen. Beide Erkrankungen sind in der aktuellen ICD-Statistik aufgeführt.

Die WHO-Klassifizierung der Krankheiten ist ein ungeheuer komplexes statistisches Monster – und von enormer Bedeutung. Denn erst, wenn in diesem international anerkannten Regelwerk eine Störung als Krankheit deklariert wird, kann die wissenschaftliche Forschung zur Diagnose und Therapie in großem Maßstab beginnen. Als beispielsweise der Autismus aufgenommen wurde, stieg erst dann die Arzneimittelindustrie in die pharmakologische Forschung ein, erst dann wurde eine klassische Diagnostik entwickelt, erst dann konnte den Betroffenen zumindest ansatzweise geholfen werden.

Kaum auszudenken, was losgetreten würde, wenn man Altern als Krankheit definierte! Die moderne Altersforschung würde geradezu explodieren, es würden Arzneimittel gegen die Krankheit Alter in noch wesentlich größerem Umfang entwickelt, klinisch bewertet und zugelassen, als das heute der Fall ist. Besonders die kalifornische Start-up-Szene zeigt uns ja jetzt schon, welche Power der Zukunftsmarkt »Altersprävention und -therapie« entwickeln wird. Käme noch eine massive politisch und öffentlich finanzierte Pflicht zur »Altersbehandlung« hinzu, würde das einen gigantischen Schub für die Lebenserwartung von Millionen bedeuten.

Aber doch bitte nicht um jeden Preis! Medikamentöse oder maschinell unterstützte Lebensverlängerung nur dann, wenn wir wirklich etwas davon haben, oder? Wenn wir das längere Leben nicht mit längerem Leiden bezahlen? Deshalb wird hier der Faktor Lebensqualität ins Zentrum rücken. Auch ins Zentrum dessen, was Krankenversicherungen bezahlen werden und was nicht, unabhängig davon, ob Alter nun als Krankheit eingestuft werden wird oder nicht. Wer sich gerne mit Formelwerken beschäftigt, dem seien die Kosten-Nutzen-Analysen nach QALYs (kurz für: qualitätskorrigiertes Lebensjahr) empfohlen. Dieses Bewertungssystem haben Gesundheitsökonomen zur Kosten-Nutzwert-Analyse von Therapien im Alter entwickelt. Es gibt Aufschluss über die aktuelle Lebensqualität im Vergleich zu völliger Gesundheit.

Da steckt natürlich jede Menge Sprengstoff drin. Wie viel bzw. wie wenig Lebensqualität muss gegeben sein, um bestimmte Therapien anzusetzen bzw. abzubrechen? In diesem ethisch-/ökonomischen Abwägungsdilemma befinden wir uns ja bereits heute. Würde Alter als Krankheit klassifiziert, erhielte das natürlich eine ganz neue Brisanz. Aber schön langsam! Die gewichtige US-Gesundheitsbehörde Food-and-Drug-Administration (FDA) sieht die ganze Angelegenheit sowieso viel strikter als die WHO. Für sie ist und bleibt Altern ein normaler physiologischer Vorgang und ist demnach nicht als Krankheit zu bewerten, basta. Und die FDA bestimmt in den USA, wo es langgeht.

Spätestens jetzt müssen wir natürlich fragen: Wie schätzt denn der Durchschnittsbürger das Phänomen Altern ein? In Finnland wurden kürzlich 3000 Laien, 1500 Ärzte, 1500 Krankenschwestern und 200 Abgeordnete des Parlaments gefragt: »Welcher Zustand des Seins ist als Krankheit zu bewerten – und welcher nicht?« Natürlich wurden sämtliche Krebsarten als Krankheit angesehen – dagegen das Altern selbst und auch seine Begleiterscheinungen durchweg nicht, also weder der altersbedingte Muskelverlust (Sarkopenie) noch andere Symptome wie Falten oder Haarausfall. Auch Ärzte sahen hier keinerlei Hinweise auf eine Krankheit.

Vielleicht kann man es so formulieren: Der mit den Jahren schleichende Funktionsverlust von Zellen und Geweben führt zu etlichen Symptomen, die wir als »normales Altern« empfinden. Von Organ zu Organ beginnt dieser Prozess der Einschränkung übrigens in sehr unterschiedlichen Lebensphasen. So erschlafft das Unterhautfettgewebe, weil die nötigen Strukturproteine nur ungenügend »nachgeliefert« werden. Dieser Prozess beginnt schon mit Mitte 20, wird als Falten und »hängende Gesichtspartien« aber erst ab etwa 50 so richtig erkennbar. Das hormonelle System produziert weniger Hormone – die Degeneration der weiblichen Geschlechtsorgane beginnt bereits mit Ende 20 und führt über abnehmende Fertilität unerbittlich zur kompletten Unfruchtbarkeit. Oder nehmen wir die Lunge: Sowohl Lungenbläschen als auch die sie umgarnenden Kapillaren werden weniger, die Elastizität des Gewebes nimmt ab – es kommt zu Atemnot und deutlich geringerer Belastbarkeit. Hier spielen Umweltfaktoren und Lebensstil eine Riesenrolle: Ein 50-Jähriger, der sein Leben lang rauchte, kann die Atemnot eines 75-jährigen Nichtrauchers aufweisen. Wie gesagt, all diese Symptome des Alterns werden bisher gemeinhin als »natürlich« und »nicht krank« empfunden. Wie relativ eine solche Einschätzung sein kann, zeigt sich zum Beispiel an Fettleibigkeit. Auch diese sahen die meisten Teilnehmer der Umfrage nicht als Krankheit an, genauso wenig wie Transsexualität, obwohl beides offiziell als Krankheit eingestuft wird, auch im ICD. Dicke Menschen sieht man überall – so vielleicht die halbbewusste Einschätzung, es muss also »normal« und damit nicht krankhaft sein. Was unverrückbar feststeht: Altern ist eindeutig für jeden von uns zunächst der Prozess der primären Alterung, also ein schleichender, kaum merklicher Funktionsverlust von Zellen, Geweben und Organen, bis wir schließlich so geschwächt sind, dass unser Seinszustand in eine altersbedingte Krankheit kippt, ins sekundäre Altern.

Allmählicher Übergang von Funktionsverlust durch Alterung zu altersbedingten Krankheiten

Vorausgesetzt, man findet heraus, welche komplexen Prozesse das primäre Altern, also den schleichenden Funktionsverlust der Zellen, bedingen, dann könnte es doch möglich werden, die Degeneration, wenn schon nicht aufzuhalten, so aber doch zumindest zu verlangsamen. Auf diese Weise können uns altersbedingte Krankheiten erst in deutlich höherem Alter heimsuchen. Und das möglichst weit in Richtung der vorläufigen Schallmauer von 120 Jahre.

Will heißen: Je mehr wir über die zellulären Prozesse des Alterns wissen, desto größer wird die Chance, die »Healthy Life Expectancy« (HALE) auszudehnen, also die Zeitspanne unseres Lebens, die wir bei guter Gesundheit verbringen dürfen.

Mit diesem zentralen Aspekt des Alterungsprozesses, der zellulären Alterung, werden wir uns in den weiteren Kapiteln intensiv beschäftigen. Licht ins Dunkel dieser komplexen Kaskade habe ich (Dominik) gebracht, indem ich die drei Zellkompetenzen definierte, die sich im Zuge des Alterns verändern und zu Funktionsverlusten führen. Natürlich zeige ich auch, welche Möglichkeiten sich abzeichnen, diese Degeneration aufzuhalten.

Von der Sinnhaftigkeit der »Alterskrankheit«

Vorneweg müssen wir in diesem Kapitel allerdings noch eines abschließend diskutieren: Würde es denn nun Sinn machen, Altern als Krankheit zu definieren? Und wenn ja – ab welchem Grad der Degeneration gilt man dann als »alterskrank«?

Konsequent weitergedacht, müsste man einen gewissermaßen »idealen« Gesundheitszustand als Messlatte anlegen, um einen Beginn der Alterskrankheit definieren zu können – das Lebensalter nämlich, in dem der »Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und in Abwesenheit von Krankheiten« (WHO-Definition von »Gesundheit«) am häufigsten anzutreffen ist. Der gesundheitliche Peak, die optimale gesundheitliche Fitness haben wir (oder vielmehr, hatten wir), halten Sie sich fest, im Alter von 25 Jahren. Wenn wir nun viele, viele Biomarker (also Zellfunktionen, Genexpressionsmuster, Enzyme, Hormone etc.) für diesen Idealzustand zusammentragen würden, gewissermaßen ein Biomarker-Set der optimalen Gesundheit, dann könnte man eine ganz individuelle Schwelle festlegen, ab welcher man die Abweichung von diesem Top-Zustand als »Krankheit« bezeichnen sollte. Mithilfe von biometrischen Chips, die unter die Haut gepflanzt werden, wäre das in absehbarer Zeit ein Leichtes.

Was heißt das für die Altersforschung, für die Altersprophylaxe und für die Alterstherapie? Das könnte bedeuten, dass bereits dann, wenn noch keine sekundäre Alterung eingesetzt hätte, also noch keine altersbedingten Krankheiten aufgetreten sind, eine Krankheit diagnostiziert und ihr auch gegengesteuert werden könnte. Also noch bevor die primären Alterungsprozesse den Gesamt-Gesundheitszustand eines Menschen gefährlich haben abstürzen lassen. Das wiederum würde bedeuten, dass eine medizinische Behandlung schon viel früher einsetzen sollte und müsste, als es bislang der Fall ist. Die Forschung wäre noch sehr viel stärker angehalten, ein systematisches Verständnis der Alterungsprozesse zu ermöglichen. Die Gesundheitsindustrie würde in ganz neuen Dimensionen den Kampf für eine gesunde und produktive Langlebigkeit angehen, die Technologien für eine medizinische Behandlung des Alterns würden förmlich explodieren. Und, was besonders wichtig ist: Die Bevölkerung müsste verstehen lernen, dass das Altern kein Prozess sein muss, dem man hilflos ausgeliefert ist. Vielmehr würde ein neues Bewusstsein dafür entstehen, dass wir der »Krankheit Altern«, ob primär oder sekundär, aktiv entgegentreten können.

Was für eine Perspektive! Was braucht es dazu, um sie Wirklichkeit werden zu lassen? Zunächst natürlich mehr und mehr Kenntnisse über den systematischen Alterungsprozess. Bevor wir also die brandneuen Erkenntnisse über die drei Zellkompetenzen und ihre elementare Rolle beim primären Alterungsprozess entwickeln, braucht es einen kleinen – zugegeben rudimentären – Überblick über die wichtigsten der über 300 Theorien dazu. Keine Sorge, es wird unterhaltsam!

Eine tödliche Krankheit?

»Alter ist eine der tödlichsten Krankheiten auf unserem Planeten.«

DAVID SINCLAIR

Diese nicht wirklich gemütliche Feststellung stammt von einem Professor an der Harvard Medical School, der also der Meinung ist, dass Alter eine Krankheit sei. Folglich müsste diese Krankheit – je mehr wir über die Mechanismen der Alterungsprozesse wissen – auch zunehmend heilbar bzw. zu lindern sei.

Dies lässt hoffen, dass irgendwann viele der gruseligen Begleiterscheinungen des Alterns etwas weniger gruselig sein mögen. Doch die nackten Tatsachen zum körperlichen Verfall bleiben bis dahin leider so fies, wie sie sind: Wir finden leider, leider fürchterlich viele Prozesse der Selbstzerstörung in unserem Körper. Entsprechend viele wissenschaftliche Theorien, Hypothesen und Teilerklärungen kursieren also zu dem unerbittlichen Degenerationsprozess, dem wir, dem unser Körper ausgesetzt ist. Und das Zusammenspiel der vernichtenden Kaskaden – wenn es auch bis heute noch so gar nicht im Detail geklärt ist – zwingt jeden von uns früher oder später in den Totentanz. Das einzig Sichere im Leben ist und bleibt nun mal der Tod.

Deshalb müssen Sie jetzt beim Weiterlesen ganz stark sein. Wir führen Ihnen die wichtigsten Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Theorien des Alterns vor – und Sie werden am Ende des Kapitels unendlich froh sein: Darüber, dass Sie leben dürfen. Hier und jetzt. Noch.

Von den Evolutionstheorien

Fangen wir mit den Theorien an, die fast etwas Versöhnliches haben, weil sie unsere Sterblichkeit in den ganz, ganz großen Zusammenhang der Weltentwicklung stellt.

Begonnen hat die Evolution ja freundlicherweise mit der Unsterblichkeit. Die schlichteren Einzeller wie das Pantoffeltierchen haben zumindest die theoretische Chance, Milliarden Jahre zu erleben. Auch Bakterien, Hefen, Amöben, Polypen gehören zu diesen Privilegierten. Sie bezahlen natürlich dafür. Denn sie kennen weder Sex noch geschlechtliche Fortpflanzung. Sie vermehren sich sterbenslangweilig durch schlichte Zellteilung. Da ihr genetisches Material damit brav immer weiter und weiter gegeben wird, wenn es nicht tödlich mutiert oder der Einzeller vom Feind gefressen wird – leben diese Organismen also gewissermaßen ewig. Wir Menschen sind zu 90 Prozent immer noch genauso unterwegs. Rund 90 Prozent der Gesamtheit unserer Körperbestandteile werden binnen sieben Lebensjahren komplett ersetzt. Wir leisten uns also regelmäßige, aufwendige Totalüberholungen. Wie ein Oldtimer, der endlos auf den Straßen herumrollen kann, wenn regelmäßig und penibel alle Teile, die kaputtgehen können, ausgetauscht werden.

Wir verfügen sogar über großartige Reparaturmechanismen unserer Steuerungseinheiten, unseres Genmaterials nämlich. Im Durchschnitt werden jeden Tag rund 55.000 Einzelstrangbrüche der DNA, 12.000 Bausteinverluste der Erbsubstanz und sogar zehn Doppelstrangbrüche repariert. Eine geniale Leistung, geradezu auf Unsterblichkeit hin getrimmt! Wieso wir dann trotz dieses enormen Aufwandes der Natur für unseren körperlichen Erhalt allerspätestens nach 120 Jahren abtreten müssen, das versucht die Evolutionstheorie zu erklären. Und wir denken insgeheim: Der Tod, was für eine Verschwendung, oder? Erst einmal: Geschlechtliche Fortpflanzung ermöglicht einen immer wieder neuen Mix an Genen und auch deren spontane Mutationen. Damit erzeugt die Evolution über Jahrtausende hinweg ein Riesenangebot an immer wieder neu programmierten Lebewesen – und diejenigen aus der Vielheit, die sich den wandelnden Umweltbedingungen am besten anpassen können, die überleben. Die anderen sterben früher oder später. Flexible Wandlung der Arten ist also nur möglich, wenn der Motor dafür die geschlechtliche Fortpflanzung und der Treibstoff spontane Mutationen im Genmaterial sind. Alte Systeme müssen irgendwann ausgemustert werden. Das bedeutet im kühlen Klartext der Evolution: Der Tod überholter Systeme macht absolut Sinn. Also auch unserer.

Evolutionstheorie – die Erste

Doch auch schon CHARLES DARWIN rätselte, wieso es dann einen komplexen, multifaktoriellen Alterungsprozess geben müsse, zum Teil über Jahrzehnte hinweg. Der hochkomplexe Vorgang des Alterns – welchen biologischen Sinn sollte der haben? Außerdem gibt es Arten, die altern nur minimal: Ein Schwamm, den Forscher in der Antarktis entdeckt haben, lebt seit 10.000 Jahren. Der Felsenbarsch wird 250 Jahre alt – ohne gebrechlich zu werden. Der afrikanische Nacktmull übertrifft in seiner Lebenserwartung sämtliche seiner Verwandten – nämlich Nagetiere wie Hamster und Mäuse – um das bis zu Dreizehnfache (während andere kleine Nager nur rund zwei Jahre leben, bringt er es auf bis zu 26 Jahre). Was hat sich die Evolution denn bitteschön dabei gedacht?

Offenbar gar nicht so viel. Wer einmal auf Safari in Afrika war, hat sicher das brutale System von Fressen und Gefressenwerden blutig in Erinnerung. Ich (Nina) werde nie vergessen, wie sich in Botswana ein Leopard an eine Familie von niedlichen Warzenschweinen heranpirschte. Den weiteren Verlauf des Gemetzels habe ich dann nicht mehr anschauen wollen. Wer nicht morgens um halb fünf auf Tour gehen will, um dann stundenlang in der Savanne auf eine Wildtierbegegnung zu warten (oft auch vergeblich), der kann sich das Prinzip des Fressens und Gefressenwerdens in schauerlichen TV- oder Streaming-Dokumentationen zu Gemüte führen. Ich Zartbesaitete halte das multiple Töten jedoch nicht aus.

Außerhalb der weitgehend geschützten Lebensräume des Menschen schafft es kaum eine Art, überhaupt in die Nähe der genetisch programmierten maximalen Lebensspanne zu gelangen. So gut wie alle sterben weit vorher den Katastrophentod. Das hört sich fürchterlich an, ist aber in der freien Wildbahn völlig normal. Fressfeinde, Unfälle, Krankheiten. Meist kommt der Nachwuchs noch nicht mal ins fortpflanzungsfähige Alter. Wieso dann spezielle Mechanismen der Alterung entwickeln? Das braucht es doch gar nicht. Deshalb lässt die Natur – genauer gesagt, die Evolution – einfach zu, dass die Reparaturmechanismen der Gene nur auf eine bestimmte Zahl von Reparaturvorgängen ausgelegt sind. Mit den Jahren häufen sich dann die schädlichen Mutationen an, weil die Reparatursysteme nicht nachkommen. In der Wildbahn wird ein so beeinträchtigtes Tier – dessen Nieren vielleicht nicht mehr richtig wollen – dann sowieso vom Feind vernichtet. Diese stichhaltige Abbaustrategie in Eigenregie trägt den attraktiven Namen »Mutations-Akkumulations-Theorie«.

Sie wird ergänzt durch die sogenannte »antagonistische Pleiotropie« (1957 von GEORGE C. WILLIAMS entwickelt). Darunter versteht man einen Mechanismus der Selbstzerstörung, der eine gewisse Tragik aufweist: Nehmen wir das Beispiel des menschlichen Testosterons oder Östrogens. Mutationen, die zu einer höheren Produktion dieser Hormone führen, machen ja erst einmal richtig etwas her: Potentere Männer, kurvigere Frauen, um es platt zu formulieren. Im Evolutionsjargon gesprochen bringt das »Fortpflanzungsvorteile«. Tragischerweise können erhöhte Hormonspiegel im Alter allerdings höchst schädlich sein. Prostatakrebs oder Brustkrebs können die Folge sein. Pleiotrope Gene sind also Gene, die in der Fortpflanzungsphase Vorteile bieten, nach dieser Phase sich aber äußerst ungut auswirken können. Da es in der Evolution aber nur auf gelungene Fortpflanzung ankommt und nicht auf gesundes Altern, sind pleiotrope Gene (nicht nur beim Menschen) evolutionär gesehen förderlich – und tödlich. So werden sie im Erbgut locker mitgeführt. Oder mit anderen Worten: Was junge Lebewesen sich optimal fortpflanzen lässt, kostet sie viele Jahre später vielleicht das Leben.

Evolutionstheorie – die Zweite

Also: Die klassische Evolutionstheorie des Alterns kann vieles erklären, aber eine Frage bleibt offen: Weshalb gibt es so viele Arten, einschließlich die menschliche, bei denen sich die Natur den Luxus leistet, sie auch dann noch gesund weiterleben zu lassen, wenn sie schon längst unfruchtbar geworden sind?

Ein amerikanischer Forscher wartet hier mit der »Großmutter-Theorie« auf und zeigt, dass die Fixierung auf die Fortpflanzungsphase allein eindeutig zu kurz greift. Viele Lebewesen investieren nämlich nicht nur in die Geburt ihrer Kinder, sondern auch in deren Aufzucht. Und genau hier kommen nach RONALD D. LEE von der University of California, Berkeley, die älteren Generationen zurück ins evolutionäre Spiel: Je intensiver die Senioren an der Aufzucht von Jungtieren beteiligt sind, desto eher wird deren Lebensspanne über das reine Fortpflanzungsalter hinausreichen.

Und das muss nicht einmal die eigenen Kinder betreffen. Von den bekanntesten Delfinen, den Großen Tümmlern, weiß man etwa, dass die Großmütter ihre Enkel nicht nur beaufsichtigen und beschützen, sondern sogar säugen. Und aktuelle anthropologische Studien weisen zum Beispiel darauf hin, dass in bestimmten afrikanischen Pygmäen-Gesellschaften durchschnittlich elf – vor allem ältere – Personen den Eltern bei der Kindererziehung zur Hand gehen.

So weit, so knapp die Evolutionstheorien des Alterns. Sie lassen uns sozusagen aus der Perspektive der Jahrtausende das Prinzip des Werdens und Vergehens nachvollziehen und sind nach wie vor relevant. Oder um mit HERMANN HESSEs Urmutter Gaia zu sprechen: »Ihr spielender Finger schreibt in die flüchtige Luft unsere Namen.« Das Prinzip verstehen wir ja. Nur das Prinzip des Werdens und Vergehens bringt die unfassbare Vielfalt der Natur hervor – und bringt sie weiter. Das lehrt uns Demut, hilft uns aber noch nicht, die Details des Selbstzerstörungsprogramms zu begreifen, das »Altern« heißt.

Von den Schadenstheorien

Fragt man allerdings nicht nach den evolutionären (mit der Frage »Wozu?«), sondern nach den genetischen und physiologischen Ursachen des Alterns (mit der Frage »Wie?«), dann lauten die Antworten freilich ganz anders. Hier möchten die sogenannten »Schadenstheorien« Abhilfe schaffen. Sie erklären den Alterungsprozess gewissermaßen als sich selbst aufbauende Müllhalde: Mit den Jahren sammeln sich mehr und mehr schädliche Stoffwechselprodukte in unseren Zellen, Geweben und Organen an – und nicht nur das. Zugleich wimmelt es in uns nur so von Abnutzungs- und Zerstörungsprozessen. Wir sagten ja eingangs: Sie müssen stark sein beim Lesen dieses Kapitels …

»Abnutzung« und »Verschleiß« als Ursache des Alterns anzunehmen, ist natürlich naheliegend und hat MAX RUBNER schon 1908 zu einer wegweisenden Überlegung geführt: Je schneller der Puls, je höher also der Stoffwechsel eines Organismus läuft, desto kürzer die Lebenserwartung. Heißt: Wer »an zwei Enden gleichzeitig brennt«, stirbt früher. Dazu kam die Beobachtung, dass Taufliegen deutlich länger lebten, wenn die Umgebungstemperatur gesenkt wurde und damit der Stoffwechsel langsamer lief. Ähnliches war zu beobachten, wenn Organismen auf strenge Diät gesetzt wurden. Der Stoffwechsel fährt runter – die Lebensspanne steigt.

Die Lebensrhythmus-Theorie

Aus diesen Erkenntnissen entwickelte der US-Altersforscher RAYMON PEARL die »Rate-of-Living-Theorie«. Die »Lebensrhythmus-Theorie des Alterns« sah also den Organismus sozusagen als ein Behältnis voller Zellbestandteile etc. an – und je schneller der Stoffwechsel liefe, desto schneller würden diese Zellbestandteile beschädigt oder zerstört. Er ging sogar so weit zu behaupten, dass ein Individuum nur eine streng limitierte Zahl von Herzschlägen zur Verfügung hätte. Seien diese »verbraucht«, wäre Schluss. So naiv das zunächst klingen mag, es scheint etwas dran zu sein. Je schneller der Stoffwechsel, desto schneller der Alterungsprozess. Die bekannte »Maus-Elefanten-Kurve« von MAX KLEIBER (1932) veranschaulicht das wunderbar: Große, schwere Organismen leben länger. Ein Elefant lässt die Maus weit hinter sich. Aber: So angesagt die »Lebensrhythmus-Theorie des Alterns« über viele Jahre hinweg war, so wenig war sie in der Lage zu erklären, weshalb eigentlich Sportler oft deutlich länger leben als Couchpotatoes, obwohl sie ja eine deutlich höhere Stoffwechselrate haben. Wieso sterben große Hunderassen viel früher als kleine? Fragen über Fragen. Diese Alterstheorie muss nicht falsch sein, sie greift aber offensichtlich deutlich zu kurz.

Die Theorie der freien Radikale

Das war die Chance der »Theorie der freien Radikale«, die bis heute en vogue und für die Hersteller von Antioxidantien sehr einträglich ist. Und doch ist die Wirksamkeit der Präparate auf den Alterungsprozess bis heute nicht nachgewiesen.

Ich (Dominik) habe die aktuelle Forschungslage zu diesem Thema sondiert und komme zu einem überraschenden Schluss. Die aggressiven freien Radikale führen – so die Theorie – zu Zellschäden und einem beschleunigten Alterungsprozess. Mit ihrer Freisetzung schädigen die Radikale für die Funktion der Zelle wichtige Moleküle, wie die DNA, die RNA und eine Vielzahl von Proteinen und Lipiden. Die Gabe von Antioxidantien führt bei einigen Spezies zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Überlebenszeit, wenn diese Substanzen schon sehr frühzeitig verabreicht werden. Die maximale Lebensdauer konnte dagegen nicht erhöht werden. Die jüngere Forschung lässt immer mehr Zweifel an der Freien-Radikale-Theorie entstehen. Zusätzlich zu MICHAEL RISTOW, der Stress durch freie Radikale bis zu einem gewissen Maß im Sinne eines »Impfungseffekts« als positiv bewertet (siehe weiter unten), gibt es sogar Forscher, die freie Radikale als gänzlich ungefährlich einstufen. Eine prominente Stimme dazu kommt von einer Gruppe Wissenschaftler um ANTHONY SEGAL vom University College London. Im führenden Wissenschaftsjournal »Nature« berichteten sie, dass die so übel beleumundeten freien Radikalen lediglich Nebenprodukte einer recht komplexen Reaktionskette seien. Die britischen Forscher konnten eindeutig zeigen, dass freie Radikale auf keinen Fall jene giftigen Partikel sind, für die sie gehalten wurden, und betonen, dass die grundlegende Theorie zur Toxizität der Sauerstoffradikale fehlerhaft sei. Viele Patienten verwenden möglicherweise teure antioxidative Medikamente, die auf völlig falschen Theorien basieren. Aus diesen Erkenntnissen kann abgeleitet werden, dass alle Theorien, die sich auf die Entstehung von Krankheiten durch freie Radikale beziehen, sowie der therapeutische Wert von Antioxidantien zumindest neu bewertet werden müssen. Zu diesen Gegenthesen aus der Wissenschaft stellte das Landwirtschaftsministerium der USA 2012 fest, dass es keinen Beweis für die Theorie der freien Radikale gebe, sodass die Theorie in ihrer Grundform als überholt betrachtet werden könne. Was jedoch sehr wohl für unsere Zellgesundheit von Relevanz ist, ist die Mitochondrienfunktion. Sie ist unerlässlich für die Energieproduktion unserer Zellen und viel mehr Quelle des alles antreibenden Moleküls ATP als freie Radikale (dazu später mehr).

Naja! Bislang waren auch wir überzeugt: Frischer Salat, Gemüse in rauen Mengen und dazu antioxidative Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin E und C – all das hält jung. Denn die Theorie scheint so unglaublich schlüssig. Und was ihren zerstörerischen Effekt für unsere Jugend und Gesundheit angeht, dürfte sie bis heute eine der anerkanntesten in der Altersforschung sein. Die Theorie der »freie Radikale« stammt von DENHAM HARMAN, Professor am Nebraska Medical Center in Omaha. Er war Chemiker und Mediziner, deshalb hatte er eine besondere Spürnase für molekulare Prozesse in unserem Körper. Seine Überlegung lautete: Wenn Lebewesen mit niedrigerer Stoffwechselrate länger leben, könnte das an der geringeren Menge von Sauerstoff liegen, die sie jeden Tag pro Kilogramm Körpergewicht einatmen? Was wäre, wenn es der Sauerstoff wäre – oder genauer gesagt, seine aggressiven Nebenprodukte bei der Verstoffwechselung dieses Moleküls, die den Körper altern lassen? Das würde bedeuten, dass Tiere mit schneller Atmung und hohem Stoffwechsel viel mehr davon bilden und deshalb früher sterben. So entdeckte er die freien Radikale, und seine Veröffentlichung dazu im Jahr 1956 machte Furore. Mehrmals wurde er für den Nobelpreis vorgeschlagen, erhielt ihn aber nie.

Sauerstoff – Lebenselixier und zugleich heimlicher Mörder?

Freie Radikale entstehen in unserem Körper, wenn unsere Mitochondrien (die Zellkraftwerke, dazu hören wir später noch viel mehr) Energie unter Sauerstoffverbrauch produzieren. Der Vorgang wird »Atmungskette« genannt. Der Sauerstoff, den wir über die Lunge aufnehmen, wird dabei »radikalisiert« – zu einem sogenannten Hydroxylradikal zum Beispiel. Dieses wird enorm aggressiv allein durch die Tatsache, dass einem seiner Elektronenpaare ein Elektron verloren geht. Das Molekül mit dem verbliebenen, nun »ungepaarte« Elektron geht nun sofort auf Raubzug. Es sucht sich nämlich andere Moleküle, denen es ein Elektron entreißen kann – um erneut sein Elektronenpaar wieder zu vervollständigen. Dabei kann es Proteine, Fette und sogar unsere DNA zerstören. Das ist zum einen ein ganz normaler Prozess, weil er permanent abläuft, zum anderen ist er ganz und gar nicht angenehm – und wird, wenn viele freie Radikale in den Zellen unterwegs sind, »oxidativer Stress« genannt.

Es wäre schwer nachvollziehbar, wenn unser Körper keine Abwehrmechanismen gegen diese Bataillone von Miniatur-Zerstörern entwickelt hätte. Schließlich sind diese ja wohl seit Hunderttausenden von Jahren in sämtlichen tierischen und menschlichen Zellen unterwegs. Dem ist wohl auch so, und da ist der Haken in HARMANs Theorie. Denn heute weiß man: Der Anstieg von freien Radikalen in der Zelle führt zu einer oxidativen Stressreaktion, die Schutzmechanismen in der Zelle aktiviert. MICHAEL RISTOW, Professor für Energiestoffwechsel an der ETH in Zürich, fand heraus, dass unser Körper offenbar Abwehrkräfte gegen oxidativen Stress entwickelt, wenn er mit freien Radikalen konfrontiert wird. Er hat diese Abwehrreaktion »Mitohormesis« getauft. Und noch mehr: Wer nun hochdosiert Antioxidantien zu sich nimmt, erreicht das Gegenteil – er blockiert diese körpereigene Abwehr. Zur Verdeutlichung: Beim Training von Sportlern beispielsweise entstehen – aufgrund der erhöhten Sauerstoffaufnahme – sehr viel mehr freie Radikale als im Ruhezustand. Wenn diese Sportler hochdosiert Antioxidantien einnahmen, wurden die freien Radikale blockiert – und die gesundheitsfördernde Wirkung des Trainings gleich mit. Woran das liegt? Nun, bereits seit PARACELSUS wissen wir, dass geringe Mengen einer prinzipiell schädlichen Substanz gesundheitsfördernd sein können. Diese Form der »Impfung« mit freien Radikalen scheint für unseren Organismus höchst positiv zu sein. Aber ebenfalls von PARACELSUS haben wir gelernt: »Dosis facit venenum.« (»Die Dosis macht das Gift.«) Also: Unser Körper braucht offenbar eine aktive Auseinandersetzung mit freien Radikalen, um die natürlichen Schutzmechanismen zu aktivieren. Starker oxidativer Stress allerdings ist nachgewiesenermaßen schädlich. Das gilt zum Beispiel für Raucher, die mit jedem Zug an der Zigarette gigantische Mengen an freien Radikalen inhalieren, aber auch für Menschen, die in stark verschmutzter Luft leben müssen. Und schlechte Nachrichten auch für Sonnenanbeter: UV-Licht lässt freie Radikale sprudeln.

Wie ist nun der Alterungsprozess hier einzuordnen? Es sieht leider ganz danach aus, als ob bei jungen Zellen freie Radikale und die entsprechenden Schutzmechanismen in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen. Diese hübsche Balance scheint sich im Laufe des Lebens zu verschieben – zugunsten der Mörder, der freien Radikale. Das System unserer selbst gebildeten Antioxidantien scheint schwächer zu werden. Oxidierte, aggressive Substanzen häufen sich in den Zellen an. Bei der Parkinson-Erkrankung zum Beispiel gehen bestimmte Nervenzellen im Gehirn zugrunde. Und genau dort wurde ein stark erniedrigter Oxidationsschutz festgestellt.

Freie Radikale sind also offenbar entscheidenend für den schleichenden Selbstzerstörungsprozess unserer Zellen. Sie zerstören DNA, oxidieren Proteine und die körpereigenen Schutzmechanismen lassen mit dem Alter nach. Auch gelingt es immer weniger, die von freien Radikalen schachmatt gesetzten, oxidierten Proteine abzubauen und aus den Zellen »in den Müll« zu schleusen. So stehen Radikale unter Generalverdacht, ja unter Anklage: Sie sollen erheblich an der Entstehung von altersbedingten Krankheiten wie Krebs, Arteriosklerose und Diabetes mellitus beteiligt und auch Mittäter bei Parkinson und Alzheimer sein. Also: Obwohl die antioxidative Schutzwirkung von Salat und Gemüse, von Vitamin C und E, sowie von Q10 bis heute nicht eindeutig nachgewiesen ist, scheint es immer noch sinnvoll zu sein, darin geradezu zu baden.

Wie gesagt: Sie müssen stark sein. Nun geht es weiter mit dem, was unser Körper an Selbstzerstörungsmethoden auf Lager hat.

Die Telomertheorie

Eine weitere wissenschaftlich akzeptierte Theorie im Mosaik der Degenerationsprozesse ist die »Telomertheorie«.

Telomere erinnern an Hartkapseln, die die Enden unserer Schnürsenkel schützen. Die schützenden Enden nehmen im Alter ab.

Telomere sind die Schutzkapseln am Ende der in der arbeitenden Zelle ordentlich zusammengefalteten und aufgerollten Chromosomen. Sie sorgen dafür, dass die 46 Chromosomen in jeder unserer Zellen weder untereinander verkleben noch verhaken – und, dass die Zellteilungen, bei denen sich sämtliche Chromosomen auswickeln und verdoppeln, schön geordnet ablaufen.

Was die beiden Nobelpreisträger BARBARA McCLINTOCK und HERMANN JOSEPH MULLER über diese Schutzkapseln herausfanden, war eine Sensation: Mit jeder Zellteilung verkürzen sie sich an den Chromosomenenden ganz leicht. Und das Bestürzende dabei ist: Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Kürze der Telomere und dem Alter. Je kürzer die Telomere, desto weiter fortgeschritten ist der Alterungsprozess.

Und wenn die Kapselenden eine bestimmte Kürze erreicht haben, dann hört die Zelle auf, sich zu teilen. Aus, basta. Dann beginnt im besten Falle die Selbstzerstörung der Zelle: Dieser programmierte Zelltod wird als »Apoptose« bezeichnet. Schlimmer wird es, wenn die Zelle plötzlich anders tickt als vorgesehen – oder gar Amok läuft. Dann kann im schlimmsten Fall sogar Krebs drohen, dann degenerieren ganze Gewebe.

ALTER

TELOMERLÄNGE (Anzahl Basenpaare)

Neugeborenes

10.000

35-Jährige

7500

65-Jährige

4800

Zellteilungen – nur begrenzt möglich

Mit diesen bahnbrechenden Enthüllungen zu der Funktion der Telomere konnten die Forscher eine frühere, ebenso bedeutsame Erkenntnis von LEONARD HAYFLICK begründen. Der hatte nämlich schon 1965 mit der verbreiteten Auffassung aufgeräumt, dass sich unsere Zellen ewig weiter und weiter teilen würden. Wie bei den Einzellern halt. Nix da! Zumindest der allergrößte Teil unserer Körperzellen hat nur eine bestimmte Zahl von Teilungen im Köcher … bis sie sich zunächst nur noch ganz langsam, später aber gar nicht mehr teilen und schließlich den programmierten Zelltod einleiten. Nur Krebszellen ticken anders, leider. Sie können sich unendlich teilen. Unsere Stammzellen teilen sich ungleich länger als Körperzellen, aber auch sie altern. Die schleichende Impotenz der Zellen hängt also mit sich verkürzenden Telomeren zusammen.

Und nun beleuchte ich (Dominik) die gängige Auffassung, der Stein der Weisen – also die Alterungsursache – sei mit der Theorie der sich verkürzenden Telomere gefunden. Denn ob sie tatsächlich der Treiber für unseren Alterungsprozess sind, ist weiterhin Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Es muss immerhin auch festgestellt werden, dass in normalen Körperzellen die Telomerverkürzung von geringer Bedeutung ist, weil sich die ausdifferenzierten Körperzellen weniger teilen. Für den Ersatz alter Körperzellen sind hauptsächlich unsere Stammzellen verantwortlich, die wiederum eine Telomerase, also die selbständige Telomerverlängerung, zur Verfügung haben. Die Telomerase ist ein Enzym im Zellkern, das dafür sorgt, dass verkürzte Telomere in ihrer vollen Länge wiederhergestellt werden.Außerdem zeigte sich kürzlich, dass nicht die bloße Länge, sondern sehr wohl die Telomerstruktur entscheidend ist für die »Telomergesundheit«. Ein Team von Wissenschaftlern aus Sydney unter der Leitung von Dr. TONY CESARE (Head of the Genome Integrity Unit, Children Medical Research Institute) hat 2018 entdeckt, dass die Schleifenbildung der Telomere der entscheidende Faktor ist, der das Ende der Chromosomen schützt. Im nächsten Schritt muss nun geklärt werden, ob die Gesundheit des Menschen mit seiner Telomergesundheit wirklich zusammenhängt. Aktuelle Forschungsergebnisse wie das aus Sydney legen nahe, dass es um mehr geht, als um die Messung der Telomerlänge. Es ist immer noch nicht restlos geklärt, ob die Telomerverkürzung die Ursache oder nur ein Symptom des Alterns ist.

Spannend bleibt allerdings, dass die Länge der Telomere bei der Geburt offenbar sehr unterschiedlich sein kann. Die einen haben also genetisch ein längeres Zellleben programmiert, die anderen ein kürzeres. Aber auch Umweltfaktoren, Lebensstil und vor allem Stress haben direkte Auswirkungen auf die Länge oder eben die Kürze der Telomere. So untersuchte ELIZABETH BLACKBURN von der University of California die Telomerlängen von zwei Gruppen von Müttern. Die eine Gruppe zog gesunde Kinder auf, die andere Gruppe musste sich ihren chronisch kranken Kindern widmen. Eindeutig wies die Gruppe der dauergestressten Mütter kranker Kinder viel kürzere Telomere auf als die der weniger belasteten Mütter – obwohl sie gleich alt waren. Auf dieser Erkenntnis bauten die Wissenschaftlerinnen des BLACKBURN-Teams eine Theorie der Hoffnung auf, die sich mittlerweile vielfach nachweisen ließ: Die Telomerlänge lässt sich durchaus beeinflussen – von uns selbst nämlich! Der Lebensstil macht’s möglich.

Kurz vor Weihnachten 1984 hielt sie – gemeinsam mit ihrer Kollegin CAROL GREIDER – endlich den Nachweis der Telomerase in Händen. Eine Weltsensation! Das war 2009 den Nobelpreis wert. Denn das Team um ELIZABETH BLACKBURN legte nicht nur den physischen Einfluss auf die Telomerlänge offen, sondern entdeckte auch das »Jungbrunnenenzym« Telomerase. Ausgerechnet die unscheinbaren Einzeller mit Namen »Tetrahymena« (oder auch Wimpertierchen genannt) waren die willfährigen Gefährten dieser Entdeckung. Wie alle Einzeller teilen und teilen und teilen sie sich – unendlich. Wenn sie nicht gefressen werden oder an anderen Schrecklichkeiten zugrunde gehen. Das haben wir ja bereits gelernt.

Die Besonderheit der Wimpertierchen-DNA: Deren Telomere verkürzen sich nicht – was sie dem Enzym Telomerase zu verdanken haben. Dieses sorgt unermüdlich dafür, dass bei Teilungen verlorengegangene Basen hübsch ordentlich ersetzt und die Kapsellänge konstant gehalten wird. Von dieser Telomerase haben Wimpertierchen (im Verhältnis natürlich) viel mehr als wir. Ersetzt man bei ihnen die Telomerase durch eine inaktivierte Variante, verkürzen die Telomere sich bei jeder Zellteilung, bis die Zellen irgendwann ihre Teilungen einfach einstellen … und zugrunde gehen.

So konnte auch nachgewiesen werden, dass Menschen mit einer genetisch bedingten höheren Telomerase-Produktion deutlich weniger altersbedingte Krankheiten erleiden wie Alzheimer oder Herzinfarkt – aber sehr viel krebsanfälliger sind. Das ist die Schattenseite des Jungbrunnenenzyms: Es ist der »Sprit«, der die aggressive Teilung der Krebszellen befeuert. Was allerdings die Pharmaindustrie und Biotech-Start-ups nicht davon abhält, an Telomerase-Medikamenten zu forschen, um die Telomerlänge zu stabilisieren und damit den Alterungsprozess zu verlangsamen. Das bedeutet natürlich auch: Da muss und wird noch sehr viel Forschung laufen – gegen die Krebsgefahr! Denn umgekehrt könnte man die Telomeraseaktivität in Krebsgeschwüren hemmen, was das Tumorwachstum blockieren würde.

Eine Frage drängt sich jetzt natürlich auf: Was passiert denn mit unseren Organen und Geweben – wenn immer mehr Zellen den programmierten Zelltod sterben? Dann ist es doch eigentlich ein Wunder, dass wir bis zu 120 Jahre alt werden können!?

Mit der Antwort auf diese Frage machen wir später ein ganz großes Fass auf – das der Stammzellen. Die sitzen sozusagen in Erste-Hilfe-Nischen überall im Körper herum: Im Dünndarm, im Knochenmark, in den Gefäßwänden, in der Leber und in den Haarfollikeln, also überall dort, wo Zellen schnell und zuverlässig neu gebildet werden müssen. Die Fähigkeit dieser adulten Stammzellen (also derjenigen Stammzellen, die anders als die embryonalen Stammzellen noch nach der Geburt vorhanden sind), abgestorbene Zellen neu zu bilden, lädt natürlich zu großartigen Fantasien ein, Alterungsprozesse zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Dazu ab > mehr.

So, zurück zu den über 300 Theorien zu der Frage, woran es denn nun liegen mag, dass wir alle sterblich sind – innerhalb der Spanne von allerhöchstens 120 Jahren. Mögen Sie wirklich noch mehr dazu erfahren? Über das »Entzündungsaltern« zum Beispiel, für das die verkürzten Telomere genauso verantwortlich gemacht werden wie ein mit den Jahren überreagierendes Immunsystem? Über die damit verbundene »Immunalterung« vielleicht, die besagt, dass die im Laufe der Jahre erworbene Immunabwehr langsam, aber sicher abnimmt?

Oder wie wäre es mit der »Hormontheorie« des Alterns? Die Hormonproduktion lässt nach, die Rezeptoren für diese Hormone an den Zielorganen funktionieren nicht mehr richtig, die Organe schrumpfen (besonders schöne Vorstellung, oder?) – und das Wachstumshormon sagt leise Servus …

Na, und dann ist natürlich alles rund um das Thema Genregulation und Altern zu diskutieren. Liegt im Anstieg der Mutationshäufigkeit vielleicht der wichtigste Schlüssel für das Verständnis des Hormonschwunds, der Immunproteine und der Telomeraseaktivität?

Schließlich noch die Epigenetik! Das Helmholtz Zentrum München beispielsweise fand heraus, dass junge Zellen der Lunge sehr synchron arbeiten – ältere Zellen sind da weniger diszipliniert, manche sind sehr aktiv, andere trödeln und schränken die Lungenfunktion ein. Das scheint nicht an Veränderungen innerhalb der DNA zu liegen, also etwa Mutationen als Auslöser zu haben. Der Grund dafür ist in sogenannten epigenetischen Ursachen zu finden: Steuerungsfaktoren um die DNA herum entwickeln im Laufe der Zeit offenbar ein gewisses Eigenleben …

Möchten Sie auch hier noch ein bisschen tiefer gehen? Wir meinen: Es reicht erst einmal. Zweierlei dürfte Ihnen im Laufe dieses Kapitels sicherlich nicht entgangen sein. Zum einen: Die Natur hat viele, viele todsichere Mechanismen kreiert, die uns garantiert zu sterblichen Wesen machen. Zweitens: Wie die vielen verschiedenen Kaskaden des Verfalls ineinandergreifen, sich verstärken, blockieren, dem einen vielleicht noch ein paar schöne Jahre verschaffen, dem anderen aber einen frühen Tod bescheren, ist noch überhaupt nicht geklärt. Klar ist nur: Die Sache mit dem Altern ist enorm komplex – und damit enorm spannend. Je mehr wir die einzelnen Zusammenhänge des Verfalls verstehen, umso mehr wächst die Sehnsucht danach, dann doch eine Art roten Faden zu spinnen, an dem wir uns mehr und mehr orientieren können, um zu verstehen: Was ist hier Henne und was ist Ei in diesem unerbittlichen Prozess des Verfalls? Wenn wir davon mehr verstehen, dann eröffnet sich auch die eine oder andere Chance, für jeden von uns ein wenig verlängernd am Rad der Zeit zu drehen. Und genau an diesem roten Faden wollen wir im Folgenden spinnen.

Gibt es nun doch noch etwas zu sagen, am Ende dieses, sagen wir, existentiellen Kapitels? Wie wäre es mit der Weisheit von einem, der im zweiten Jahrhundert nach Christus lebte und es immerhin bis zum römischen Kaiser und auf ein Alter von 58 Jahren brachte? »Verachte nicht den Tod, sondern befreunde dich mit ihm, da auch er eines von den Dingen ist, die die Natur will.« (MARC AUREL)

Die drei Zellkompetenzen

»Willst du dich am Ganzen erquicken, so musst du das Ganze im Kleinsten erblicken.«

J. W. v. GOETHE

Die einzige Begleiterin, die uns garantiert nie von der Seite weicht, ist unsere Sterblichkeit. Diese Gewissheit dürfte Ihnen das vorangehende Kapitel nochmals unerbittlicher nähergebracht haben als Ihnen vielleicht lieb ist.

Doch da waren auch andere Botschaften und die lassen uns durchaus staunen. Allem voran steht die schier unglaubliche Regenerations- und Erneuerungsfähigkeit unseres Körpers. Sagenhafte 50 Millionen Zellen bildet jeder von uns neu – und zwar pro Sekunde. Weil 50 Millionen Zellen verloren gehen im Sekundentakt. »Ja, dann wird doch jeden Tag ein großer Teil meines Körpers ersetzt«, denken wir uns – und schauen nicht nur auf Haut, Haare, Nägel. Das stimmt nicht ganz. 50 Millionen Zellen sekündlich neu – das sind nur winzig kleine Reparaturen. Denn unser Körper hat so unfassbar viel mehr Zellen in Gebrauch, dass uns schwindlig wird: 100 Billionen nämlich, also bitte: 100.000.000.000.000!

Würden die Zellen unseres Körpers – jede ist etwa ein 40stel Millimeter groß – aneinandergelegt, reichte diese mikrofeine Zellkette 60-mal um die Erde herum. Denn sie wäre zweieinhalb Millionen Kilometer lang. Das relativiert die Sache mit den 50 Millionen ausgetauschter Zellen pro Sekunde deutlich – aber es ist dennoch eine geniale Sache. Sie beleuchtet die enorme Regenerationsfähigkeit unseres Körpers. Ein Wunder! Und dieses Wunder hat zur Folge, dass der Körper, den wir mit uns herumtragen, viel jünger ist als unser Bewusstsein. Über eine längere Zeitspanne betrachtet, wird unser Körpermaterial alle sieben Jahre komplett ersetzt. Na ja, nicht alles. Aber immerhin rund 90 Prozent. Welch eine Leistung!

Manche Zellen tun uns allerdings den Gefallen des wartungsmäßigen Austauschs leider nie. Nervenzellen gehören dazu. Jedenfalls fast alle, denn eine sehr geringe Neuronen-Neubildung findet routinemäßig statt. Die Sehzellen der Netzhaut können gar nicht ausgetauscht werden – deshalb ist ihre Degeneration mit irreversiblen Sehstörungen verbunden. Magenzellen leben knapp zwei Tage, Dünndarmzellen noch kürzer, nämlich nur 1,4 Tage. Im Dickdarm sind die Zellen immerhin zehn Tage lang aktiv. Da all diese Zellen des Verdauungstraktes relativ häufig mit giftigen Stoffen in Berührung kommen, wird hier lieber ständig ausgewechselt. Anders in den Knochen: Dort können es sich die Zellen 25 bis 30 Jahre gemütlich machen.

Übrigens: Wer sich jetzt kritisch an die Telomere erinnert und an die begrenzte Zahl der möglichen Teilungen, bis eine Zelle in Altersstarre versinkt und ausgemustert wird – dem sei gesagt: Für fast alle dieser schnellen Erneuerungsprozesse stehen Stammzellen parat. Ohne sie wäre eine Produktion von 50 Millionen Zellen pro Sekunde niemals möglich. Und jetzt kommt die Frage der Fragen! Sie ahnen es: Wenn wir denn über dieses geradezu geniale Reparatur- und Erneuerungssystem verfügen, wieso, verflixt nochmal, versagt es denn dann so kläglich mit den Jahren? Könnte es vielleicht eine Erklärung geben, die viel tiefer liegt als alles, was die Alterstheorien bislang zutage gefördert haben? Die schier unübersehbare, komplexe Fülle an Alterungsprozessen und -theorien – kann man denen weiter auf den Grund gehen und nach generalisierbaren, übergreifenden Degenerationsprozessen suchen, die das Altern und seine vielen ungünstigen Ausfallserscheinungen begründen?

Gibt es also eine Art Grundmechanismus des Alterns? Und wenn dem so sein sollte, dann wollen wir natürlich wissen: Könnte man, wenn man genau an dieser Stelle eingreift, den Alterungsprozess zumindest verlangsamen? Oder – kühn gedacht – sogar umkehren? Wäre dann so etwas wie »gesundes Altern« möglich? Die Regenerationsmedizin arbeitet daran. Es ist eine junge Richtung von Forschung und Therapie, die Krankheiten und Verletzungen an der Wurzel heilen will. Funktionsgestörte Zellen, fehlprogrammierte Gewebe und »kranke« Organe will sie regenerieren, indem sie körpereigene Reparaturmechanismen stimuliert und reaktiviert. Oder sie versorgt den Körper mit biologisch gezüchtetem Ersatz wie zum Beispiel mit Knorpelmaterial, Knochen oder Haut. Die Stammzellenforschung spielt hierbei eine große Rolle.

Die Zellen – und so kommen wir zu unserem Eingangszitat, das einen wunderbaren literarisch-philosophischen Perspektivenwechsel anregt. Goethes »… so musst du das Ganze im Kleinsten erblicken« soll uns im Folgenden leiten, wenn wir den »Kern vom Kern« des Alterns verstehen und dann auch zu steuern lernen wollen.

Neben der anspruchsvollen und erfüllenden klinischen Tätigkeit als Mediziner verbringe ich (Dominik) einen großen Teil meiner Zeit mit Forschung. Der Hauptgrund für meine Faszination lautet: Ein medizinischer Erfolg wirkt sich direkt auf den betreffenden Patienten aus. Ein Forschungserfolg aber hat Einfluss auf die Weltbevölkerung und nicht nur auf die 5000 bis 10.000 persönlichen Patienten, die ein plastischer Chirurg normalerweise im Laufe seines Berufslebens operieren kann. Sogar kleine, oftmals auf den ersten Blick unscheinbare Fortschritte in der Wissenschaft können die medizinische Praxis nachhaltig verändern und somit das Leben von Patienten weltweit beeinflussen. Ohne Forschung sind wir Ärzte nur Küchenjungen, die immer wieder die Rezepte der alten Meister nachkochen. Immer wieder die gleichen Gerichte – das war von Anfang an für mich zu wenig. Mein Wunsch, neue Erkenntnisse zu gewinnen, ist der Grund, warum die scheinbar endlosen Möglichkeiten des jungen Feldes der regenerativen Medizin einen besonderen Reiz für mich darstellen. Die Gewebe- und Organregeneration ist ein aufstrebendes Gebiet und birgt enormes Zukunftspotenzial. Bahnbrechende Erfolge wie die Entdeckung der Fähigkeiten embryonaler Stammzellen oder die Züchtung ganzer Köperteile im Labor (der eine oder andere erinnert sich an die Maus mit dem menschlichen Ohr auf dem Rücken) weckten mein Interesse. Ich wollte unbedingt an dieser Forschungsbewegung teilnehmen. Mein Grundsatz lautet seit jeher: Neues stets von den Besten lernen. Und so verbrachte ich zwei Jahre im Mekka für Regenerative Medizin, dem »Hagey Laboratory for Regenerative Medicine« und am »Institute for Stem Cell Biology and Regenerative Medicine« der Stanford University (Palo Alto, Kalifornien), um an der Verbesserung der Gewebsregeneration im Alter zu forschen.

Aus der alltäglichen klinischen Erfahrung wusste ich, dass ältere Patienten nach Operationen oftmals besonders komplikationsgeplagt sind und dass viele chronische Krankheiten als altersbedingt gelten. Im Alter ist die Regenerationsfähigkeit aller Gewebe drastisch herabgesetzt. Doch was steckt hinter diesem Phänomen? Warum heilen Wunden bei alten Patienten schlechter und warum werden wir mit dem Alter dement, erkranken an Alzheimer, bekommen häufiger Herzinfarkte und erholen uns davon schlechter?

Im Zuge meiner Forschung musste ich leider erkennen, dass die Zellen alter Patienten in ihrer Funktion stark eingeschränkt sind. Meine Ergebnisse zeigten eindrucksvoll, dass alte Stammzellen ihre regenerativen Eigenschaften verlieren, dass Reparatursignalwege in alten Zellen zum Erliegen kommen und dass der Abbau von Schadstoffen in der Zelle an Effektivität verliert. All diese Erkenntnisse führten zu Publikationen in wissenschaftlichen Journalen höchsten Ranges. Doch was bedeuteten sie für mich und meine Patienten? Was bedeuteten sie für uns alle? Die eine oder andere Form der »Zellschwäche« ist der Grund für viele Probleme und Krankheiten des Alters. Aber wie hängt das alles zusammen? Diese Fragen ließen mir keine Ruhe.