Alzheimer, Das Tagebuch - Hans Glanzmann - E-Book

Alzheimer, Das Tagebuch E-Book

Hans Glanzmann

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Beschreibung

Alzheimer, Das Tagebuch, Aus dem Leben einer Alzheimer-Kranken Das Tagebuch gibt einen tiefen Einblick in die Problematik im Zusammenleben mit der Alzheimer-Krankheit und den Anforderungen an einen Partner, an die Kinder, die Bekannten, die Nachbarn und an die Gesellschaft, in der die Betroffenen leben. Es zeigt die Schwierigkeit des Erkennens, vermischt mit dem nicht wahrnehmen wollen der schleichend kommenden Symptome. Langsam übersteigen die Anzeichen jedoch immer öfter alle Grenzen. Dann ist die Krankheit mit ihrer vollen Wucht da. Unkontrollierte, extreme Aggressionen und Tätlichkeiten der Kranken wechseln mit Liebe und Freude ab. Das Buch beschreibt das Leben des 80-jährigen Ehemannes mit seiner an Alzheimer erkrankten Ehefrau während ihrer letzten sieben Lebensjahre der 60jährigen Ehe. Der Ehepartner lebte total für seine Frau. Er findet die Pflege nicht nur ein Leiden sondern auch ein Ausdruck der Liebe das ihm ein Gefühl von Glück und Zufriedenheit gibt.

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Seitenzahl: 221

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Dank

Das Tagebuch aus dem Leben einer Alzheimer-Kranken

Die ersten Vorzeichen

Winter – Frühjahr 1988

1989

1990

1991

1992

1993

1994

1995

Die grosse Wende

Letzte Phase

Anhang 1

Anhang 2

Anhang 3

Alzheimer, das Tagebuch

Vorwort

Die Krankheit Alzheimer

Niemand versteht sie, nicht der Betroffene, nicht die Betroffene, nicht die Aussenstehenden, und die Nahestehenden nur langsam, weil sie langsam kommt, unbemerkt am Anfang. Sie ist da, doch man will sie nicht wahrhaben. Doch die Symptome werden stärker und sie häufen sich in immer regelmässigeren Abständen – und plötzlich kann man sie nicht mehr übersehen.

(TIME JUNI 2014)

Das Tagebuch

Das Tagebuch beschreibt das Leben des 80-jährigen Ehemannes mit seiner an Alzheimer erkrankten Ehefrau während ihrer letzten Lebensjahre. Es erlaubt einen tiefen Einblick in die Problematik im Zusammenleben mit der Krankheit und den Anforderungen an einen Partner, an die Kinder, die Bekannten, die Nachbarn und an die Gesellschaft, in der die Betroffenen leben.

Die Familie

Die Familie lebte mit den zwei Söhnen Walter und Hans, geboren 1934 und 1936, und mit der 1944 geborenen Tochter Verena von 1944 bis 1980 am Fridbach in Zug. Für uns Kinder war es ein Paradies. Der Vater war Privatgärtner bei der Familie Gyr, pflegte die Gartenanlage am See, kultivierte Gemüse und Blumen und betrieb einen grossen Obst- und Beerengarten. Wir Kinder besuchten die Schulen in damals noch schlafenden Zug. Die Familie war in der Stadt bald fest vernetzt. Einige Jahre nach der Pensionierung des Vaters zogen die Eltern 1980 nach Cham und 1988 weiter in das umgebaute Kindheitshaus der Mutter in Matten bei Interlaken. Der Mutter gefiel dieser Wechsel gar nicht. Sie fühlte sich in Matten, ihrem Geburtsort, den sie vor 55 Jahren verlassen hatte, total fremd. Erste Symptome der Alzheimer Krankheit bei der Mutter wurden von der Tochter Verena 1980 erstmals beschrieben, ohne diese aber einer Ursache zuschreiben zu können. Beim Umzug nach Matten 1988 verstärkten sich die Anzeichen deutlich.

Die Familie Glanzmann: Walter, Verena, Mutter Greti, Vater Otto, Hans; April 1988

Die Eltern

Die Mutter war für uns Kinder ein Vorbild. Immer lieb, fröhlich und hilfsbereit. Ich hörte in meinem ganzen Leben nie ein böses Wort zwischen meinen Eltern. Ihr Beispiel machte es uns leicht, fröhlich und unternehmungslustig zu sein. Mein Bruder und ich waren immer frei.

Wir gehorchten, sahen unsere Wünsche im Rahmen des möglichen erfüllt und hatten ein schönes Leben. Der Vater und die Mutter führten uns ohne viele Worte. Mit ihrer starken Ausstrahlung und dem dosierten Zugeständnis von Freiheit zeigten sie uns wie das Leben läuft. Ihr Vertrauen in uns und unser Vertrauen in unsere Eltern war schlicht lückenlos. Mein Bruder und ich gingen schon mit 9 Jahren auf tagelange Wanderungen in die Berge und machten im Lehrlingsalter wochenlange Hochgebirgstouren, oft ohne Kontakt mit zuhause bis zur Heimkehr. Die Mutter betreute uns Knaben liebevoll und bestimmt und führte den Haushalt mit den vorhandenen engen Mitteln mit einer natürlichen, offenen Art. Die Schwester kam acht Jahre nach mir zur Welt und war eine natürliche Bereicherung. Sie war für mich wie ein Gast, für den wir Knaben ein Teil der Betreuung übernahmen.

Die Kinder sind ausgeflogen

Wir als Erwachsene mit unseren eigenen Familien wohnten weit weg. Der berufliche Alltag in meinem Aufgabenbereich mit 300 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat mich ausgefüllt und ich habe die Eltern nur selten besucht.

Auch war der Vater bei meinen Besuchen eher kritisch und bemängelte meine allzu seltenen Besuche. Das entsprach der Wahrheit. Er erwartete bei der Betreuung der Mutter tatkräftigte Unterstützung ohne diese konkret zu nennen. Frei angebotene Unterstützung lehnte er eher ab. So wollte ich ihm beim seinem geplanten Umbau des 400-jährigen Hauses aktiv beistehen. Ich habe mit meinem Architekten die Liegenschaft analysiert und eine Lösung mit Kostenvoranschlag vorgelegt, welche er aber kompromisslos ablehnte. Später hat er sich dann beklagt, dass ich ihm beim Umbau nicht beigestanden sei. So war es immer schwierig, denn er wollte alles selber machen und die Probleme nach seinem Plan lösen.

So hatte er auch Mühe, bei der Pflege der Mutter fremde Hilfe anzunehmen. Dies wurde besonders manifest nachdem er mit ansehen musste, wie unsere Mutter im Spital mit Drogen ruhig gestellt wurde, damit der normale Klinikablauf sichergestellt werden konnte.

Mein Vater war auch extrem sparsam. Zum Beispiel machten wir im Knabenalter eine dreitägige Hochtour zum Wetterhorn. Obschon es herrliches Wetter war, bogen wir nach dem Dossensattel in das Urbachtal ab, anstatt wie als Ziel geplant auf den Gipfel hochzusteigen.

So wurde Zeit gespart und der taxpflichtige Aufenthalt in der Gaulihütte durch das Übernachten in einem verlassenen Stall im Tal ersetzt.

Die Krankheit erkennen

Ich habe anfänglich die komischen Veränderungen meiner Mutter während der weit auseinanderliegenden und oft kurzen Besuche gar nicht als krankhaft erkannt, oder nur als eine mit meinem Besuch zusammenhängende Verhaltensänderung wahrgenommen. Oder ich hatte sie einfach nicht wahrnehmen wollen. Meine Schwester Verena bemerkte erstmals 1980 beim Umzug von Zug nach Cham ein komisches Verhalten der Mutter, konnte es aber keiner Ursache anders als der Umzugsproblematik zuschreiben. Beim erneuten Umzug 1988 von Cham nach Matten bei Interlaken in das umgebaute Mutterhaus hatten sich die Symptome so verstärkt, dass das krankhafte Verhalten das Lebensbild der Mutter schon dominierte. Sie schien sich in der alten Umgebung überhaupt nicht mehr zurechtzufinden. Die Krankheit wurde schnell stärker und verschlechterte das Leben der Mutter zunehmend. Dieser Zustand machte eine normale Integration in die neue Umgebung unmöglich. Niemand will sich mit einer Alzheimerkranken neu befreunden. Und die über Jahrzehnte gelebten Freundschaften in Zug waren geographisch weit weg. Die Tochter Verena glaubt, dass der Wegzug aus der vertrauten Umgebung in Zug nach Cham, aber insbesondere in das entfernte Matten, die Krankheit extrem beschleunigt hat.

Die Krankheit nimmt sich die Mutter

Unsere Mutter wurde von der Alzheimer Krankheit langsam umgarnt. Von mir, dem jüngsten Sohn und dem in Dänemark lebenden Bruder beinahe unbemerkt. Von der jüngeren Schwester wurden die Symptome früher erkannt, ohne diese zuordnen zu können. So um 1990 wurde die Krankheit jedoch so manifest, dass meine Mutter einer dauernden Beaufsichtigung bedurfte. Mein Vater wusste nie, was sie nächstens für eine unerklärliche Aktion ausführen oder etwas irgendwohin verlegen würde, sodass es nicht mehr wiedergefunden werden konnte. Für Aussenstehende war dieses Verhalten aber noch nicht auf Anhieb erkennbar.

Doch ab 1995 wurde eine Betreuung während des ganzen Tages erforderlich, welche Aufwand und Zuneigung wie bei der Kleinkindpflege bei weitem überstieg. Die grosse Herausforderung lag in den extremen Gemütsschwankungen, dem starken, oft sturen Willen und den nicht voraussehbaren Wutausbrüchen und bösen, kräftigen Tätlichkeiten gegenüber dem betreuenden Vater. Diese wurden dann wieder von friedlichem und liebendem Verhalten abgelöst. Beim oft widerspenstigen Verhalten der Mutter, bei Stürzen oder bei der hygienischen Betretung war unser über 80jähriger Vater im Grunde bei weitem überfordert. Er fand aber den Willen, die Begeisterung, das Einfühlungsvermögen, die Ausdauer und die Kraft, der Mutter Tag und Nacht ununterbrochen über Jahre beizustehen. Er akzeptierte die schwierigen Stunden und genoss und liebte die Momente des friedlichen Verhaltens. Mit physiologischem Geschick motivierte er die Mutter und überbrückte Angriffe und Wutausbrüche, die bei gesunden Menschen schon längst zu einer Verurteilung wegen Tätlichkeiten geführt hätten. Und immer wieder fand er den Weg die Mutter zu einer lieben, anschmiegsamen Partnerin zu führen. Mit täglichen, ausgedehnten Wanderungen hielten sich die Beiden körperlich fit, bis dann in einer nächsten Phase der Vater die Wanderungen mit der Mutter im Rollstuhl fortführen musste.

Alleine

Die Aussenstehenden helfen nicht. Sie akzeptieren das Auftreten einer Alzheimerkranken Frau in ihrer Umgebung nur schwer oder gar nicht. Da gehen die Menschen der Sache aus dem Weg. Sie bewundern den Betreuer, doch sie wollen nicht Teil der Schicksalsgemeinschaft sein. Die Kranke und ihr Betreuer gehören nicht zur Gesellschaft. Der Vater war, je schwerer die Krankheit der Mutter wurde, mehr und mehr alleine.

Er konnte die Mutter nicht an Veranstaltungen mitnehmen. Wenn fremde Hilfe vielleicht auch möglich gewesen wäre, so getraute sich der Vater nicht, die Mutter anderen zur Betreuung anzuvertrauen. Das Verlegen der Mutter in ein Pflegeheim war für den Vater daher auch nie eine Option.

Die Engel unter den Menschen

Doch es gab auch Nachbarn die ihm in bewundernswerter Art beistanden. Eine ehemalige Operations-Krankenschwester, Frau Esther Brunner, war immer wieder für ihn da, wenn er nicht mehr weiter wusste oder wenn er aktive Hilfe brauchte. Sie kam. Er konnte sie auch zu Unzeiten anrufen und um ihren Rat oder auch um ihre Hilfe bitten. Ich nenne Sie den „Engel unter den Menschen“. Sie tat unendlich mehr für die Mutter und den Vater als wir Kinder zusammen in dieser Zeit getan haben.

Dann war da noch sein Freund Marcel Jaunin, ein ehemaliger Weinhandels-Chauffeur der immer wieder beim Vater vorbei schaute, ihm mit seinem positiven Denken und Handeln beistand und ihm Zuversicht gab. Er fuhr auch mit seinem Auto die Mutter auf kleinen Ausflügen. Da sie beim Ein- und Aussteigen oft beinahe unlösbare Probleme bereitete, war es seine Ruhe und sein grosses Einfühlungsvermögen, was vieles zum aufbauenden Erlebnis machte. Immer und immer wieder schaute er im Haus vorbei und war dem Vater ein wirklicher Kollege, ein geselliger Gesprächspartner und wohl die zuverlässigste männliche Stütze.

Auch seine Tochter Margrit Smigoc-Jaunin brachte bei ihren regelmässigen Besuchen mit ihrem fröhlichen und unkomplizierten Wesen und Taten strahlendes Licht in die Stube. Die engste Schulfreundin der Mutter, Berti von Allmen und auch Kati Widmer waren immer wieder umsorgend und ein Beispiel der währenden Freundschaft.

Das Pflegeheim

Die Einweisung der Mutter in ein Pflegeheim lehnte der Vater ab. Er hatte erlebt, wie sie während eines Spitalaufenthalts mit Drogen beruhigt und mit klaren, harten Aktionen in den industriellen Ablauf der Klinik eingefügt wurde. Dieser Umgang hatte ihn so schockiert, dass er es nicht für menschlich verantwortbar hielt, die Mutter in solch einen Apparat abzugeben!

Auch die voraussichtlichen Kosten dürften für ihn eine zusätzliche Hemmung gewesen sein.

Er lebte immer sparsam. Vater war besonders in den jungen Jahren der Familie extrem geprägt worden, mit wenig Geld zu überleben. Zum Heizen holten wir das Holz selbst im Wald; das Gemüse pflanzten wir im Garten an. Diesem ausgeprägten Kostendenken blieb er treu.

Das eigene Leben der Kinder

Nach dem Ausfliegen von zu Hause und meiner Heirat hat sich meine Bindung zu meinen Eltern verflacht. Während meiner 8 Jahre in den USA hatten wir nebst einem längeren Besuch von ihnen bei uns in den USA, nur regelmässige Brief- und Fotokontakte. Nach der Rückkehr in die Heimat und die berufliche Übernahme von Führungsfunktionen, kümmerte ich mich wenig um das Privatleben der Eltern. Mein älterer Bruder lebte schon seit seinen 20er Jahren in Dänemark. Er war sehr hilfreich und er erkannte Bedürfnisse schnell. Doch die Trennung durch die über tausend Kilometer weite Entfernung erschwerte einen engen Kontakt.

Alzheimer Kommunikation

Es schien dass die Mutter auch in den letzten Jahren der Krankheit alles aufnahm, was um sie herum geschah, was gesagt und getan wurde. Sie war oft sichtbar empfänglich für liebe Worte und Handlungen, aber auch bereit, plötzlich brutal und gewaltsam zu handeln. Doch sie konnte nicht mehr kontrolliert reagieren, nicht mehr kontrolliert handeln, sich nicht mehr entsprechend situativ ausdrücken.

Die Ehe

Unser Vater hat die Mutter während der langsam zunehmenden Krankheit anders, aber wohl mehr geliebt als zuvor. Er konnte alles immer genau wahrnehmen. Hier gab es keine Schuldzuweisungen - nur Geduld und Verständnis. Es war eine andere Liebe als bei jungen Menschen. Es war eine Verbundenheit, eine Hingabe, bei der all sein Denken und Handeln ausschliesslich auf das Wohl seiner Frau, seiner Geliebten ausgerichtet war. Wo das Berühren und die erotische Nähe in jenen Momenten, in denen die Partnerin, die Geliebte dies wünschte, auch während der Krankheit gelebt werden konnten. Vater war ein Mensch der mit seinem Tun und seinem Sein alles überstrahlte. Ein Mensch der seine Liebe und Zuneigung zur Mutter auch nach 60 Jahren Ehe wohl anders, aber noch tiefer als in den ersten Jahren gelebt hat.

Dank

Otto Glanzmann hat sein Tagebuch über das Leben mit seiner an Alzheimer erkrankten Gemahlin in seinen stillen und emotionalen Stunden geschrieben und beinahe geheimnisvoll abgelegt. Doch es war Elisabeth Brunner-Gyr, die vom handgeschriebenen Tagebuch wusste, dieses ausfindig machte und die nicht immer leicht zu lesenden Aufzeichnungen zurück ins Licht brachte. Sie kannte, als Tochter von Karl Heinrich Gyr, den Familien-Privatgärtner und seine Gattin seit über fünfzig Jahren. Frau Brunner-Gyr hatte die Vision, die Geschichte des Glanzmann-Paares als einen wesentlichen Beitrag der Alzheimer Forschung zur Verfügung zu stellen. In Flavia Nodari fand sie eine interessierte und begabte Redakteurin, die das Werk zu einem verständlichen Buch zusammenführte. Ein grosser Dank geht an diese Menschen, die dieses Werk möglich machten.

Hans Glanzmann, Februar 2015

Das Tagebuch aus dem Leben einer Alzheimer-Kranken

Die ersten Vorzeichen

Noch ist mir das Wort und das Wesen“ Alzheimer“ unbekannt. Somit wurden diese Vorzeichen im nachstehenden Beschrieb ja auch nicht als solche erkannt.

Winter – Frühjahr 1988

Unser Hausumbau in Matten war im vollen Gange. Somit reisten wir am Anfang alle 14 Tage, später alle 8 Tage nach Matten. Nach und nach stellte Mami jeweils merkwürdige Fragen. So, wie kommen wir eigentlich nach dem Matten, bis Brünig weiss ich es noch, aber nachher habe ich keine Ahnung. Also erklärte ich es: vom Brünig fahren wir nach Meiringen und dann Brienz und Interlaken. Langsam verwischten sich auch die Begriffe v. Hausbau. Warum wird da alles herausgerissen. Als wir eines Tages vor dem grossen Loch standen, vom Keller bis zum Dach, da war es schockiert. Etwas geriet aus den Fugen, wie man so sagt. Für mich kam die Zeit der Zweifel. Ich fing an zu grübeln. Es war keine Freude an einem Neubau fest zu stellen. Gewisse Ahnungen die ich schon immer hatte, bekamen Gestalt. Hat Mami Angst, in das Dorf seiner Jugend zurück zu kehren? Würden da Erlebnisse wieder hervor geholt? Teilweise waren sie mir bekannt, aber sicher lange nicht alle. Ich für mich war voll mit dem Bau beschäftigt, da ich ja alles mit den Handwerkern plante. Mami zeigte wenig Interesse. Es wurde über alles orientiert oder befragt. Seine Antworten waren diplomatisch: Das kann ich ja nicht wissen, mache es so wie Du es für gut hältst. Es machte einfach mit, aber nicht mehr.

3. Juni 1988

Der Zügelwagen der Firma Bucher-Bitsch Zug wurde bereitgestellt und wurde am Abend beladen. Mami wurde immer nur noch Zuschauer. Es ging ihm zu schnell, um noch mit zu bekommen, was da vor sich ging.

4. Juni

Der Rest, was wir noch gebraucht haben, wird verladen. Dann einsteigen. Abschied nehmen. Es war auch für mich schwer. Für unser Leben gab es einen gewaltigen Riss. 45 Jahre Zug verschwanden in der Vergangenheit. Und hier ist es bei Mami passiert. Der Bruch ist perfekt. Seine späteren Aussagen: Ich weiss noch, dass ich in ein Auto gestiegen bin, aber dann ist alles wie ausgelöscht. Scheinbar hat es die ganze Fahrt nicht mit bekommen. Es hat keine Ahnung mehr wann es gefahren ist. Das Einräumen hat es teilnahmslos mitgemacht. Ich glaubte, dass es sich nach und nach an die neue Umgebung gewöhnte und die Freude an unserem Haus wuchs laufend. Wenn Besuch kam, zeigte es mit Stolz die Wohnung.

In meinem Tagebuch fehlen Berichte, die sich auf den Zustand von Mami beziehen. Somit ist anzunehmen, dass unser Leben sich wieder in die normale Bahn eingespurt hat. Wir machen kleine und grosse Wanderungen.

Mittwoch 2. Aug.

Fahrt nach Zug – Liebfrauenhof. Haluxe und Zehen operieren bei Dr. N. Ich nehme bei Schallers Kost + Logis.

Donnerstag 3. Aug.

Mami wird operiert. Nun treten Schwierigkeiten auf. Es wird in die Intensiv verlegt. Wutanfälle. Es kommt ein Gitter ans Bett.

Samstag 5. Aug.

Mein Tagebuch: Mami hat wieder Depressionen. Der psychische Zustand von Mami bleibt beunruhigend. Man schreibt es der Narkose zu.

16. Aug.

Heimfahrt nach Matten.

Am 18. Aug. Eintrag:

Mami kann sich nicht freuen daheim. Die Gedanken gehen wirr durcheinander. Die Anzeichen von Alzheimer werden immer deutlicher, werden aber von niemandem wahrgenommen.

23. Aug.

Mami zur Kontrolle zu Dr. W. Dieser Mann gefällt uns gut.

28. Aug.

Michael und Uschi Endress aus Hamburg kommen. In dieser Zeit ist Mami eigentlich gut zwäg. Anfälle fehlen.

Die Eintragungen über schlechten Zustand nehmen zu.

4. Sept.

Mamis Zustand ist bedenklich.

15. Sept.

Erste Konsultation bei Frau Dr. P, Psychiatrie. Hier sei vorweggenommen, eine Frau der es nur ums Geld geht, der Mensch ist Nebensache. Da ich meine der Zustand käme vom Ortswechsel, hoffte ich durch Behandlung etwas zu erreichen. Alles vergebens. Körperlich war Mami in der ganzen Zeit sehr beieinander. Der Fuss war wieder intakt. Wanderungen am Harder, Blicki - Ringgenberg gingen mit Freude u. anstandslos. Im Tagebuch ist immer wieder von Depressionen zu lesen. Doch sind viele erfreuliche Wanderungen vermerkt. Da es ein milder Winter ist, ist ja Wandern ein Vergnügen.

1989

9. Febr. 1989

Wir wechseln zu Dr. K, Nervenarzt. Er will nichts wissen von Folgen einer Ortsveränderung, das Ganze schiebt er dem Alter zu. Auch von Alzheimer kein Wort.

9. März

Konsultation bei Dr. K. Er operiert mit Beruhigungsmitteln, Depressionen bleiben. Der Frühling verläuft in gleichmässigem Rhythmus. Wandern sehr gut, daheim schlechter. Depressionen wechseln mit Wutanfällen. Dr. K greift mit Medizin ein, die aber bald gewechselt werden muss.

Vom 13. – 17. Mai

Ferien bei Schneiders Wengliswil. Mami verhält sich gut, bis eine böse Störung. Es wird tätlich! Vreni ist schwer beeindruckt. Aber es normalisiert sich wieder.

Mai – Juni.

Es folgen schöne Wanderungen. Eine nach Habkern wurde von einem schweren Anfall getrübt. Mami weigerte sich auf einmal weiter zu gehen u. will zurück. Es entwickelte sich eine wüste Schlägerei, denn ein Zurück gab es nicht mehr. Fluchtartig über den Abhang hinunter. Ich musste schwer durchgreifen. Vor dem Dorf Habkern beruhigte es sich wieder u. die Heimfahrt ging ohne Widerstand. Wanderungen ins Lauterbrunnental waren ein grosses Ereignis, ebenso Schynige und Stockhorn. Wer glaubt, dass Mami von dieser schweren Krankheit gekennzeichnet ist?

2.-8. Juli

Ferien in Martell-Tal – Südtirol. Unglaublich wie sich Mami hielt. Aber aufpassen, ja nicht etwa irgendetwas verabreden, sonst läuft sie einfach weg. Immer betreuen. Sie macht schwierige Partien mit. Ein Besuch im Katharinahof war auch für Mami ein grosses Erlebnis, z.B. Herta wieder zu sehen. Diese Ferien die wir doch genossen haben sind in Erinnerung geblieben.

3. Aug.

Beim Notar Bettler den erweiterten Erbvertrag unterzeichnen. Noch war Mami so beieinander, dass es als voll zurechnungsfähig erklärt wurde. Wir hatten Glück gehabt. Ich konnte es noch wagen in Gesellschaft zu gehen, so Brienzerrothorn mit den Hauseigentümern und die 78. Jahrfeier von Mami im Hotel Viktoria.

Am 28. – 31. Aug. bei Schallers in Cham. Mami konnte noch jassen und war im Umgang mit Leuten noch ganz gut.

Sept. – Okt.

Die allgemeine Verfassung wird immer kritischer. Aufpassen wegen davon laufen. Eine ständige Überwachung wird nötig.

15. Okt.

Eintrag: Davon gelaufen v. 13.30 – 18.00h. Portemonnaie verloren, zum Glück bei der Brauerei wieder gefunden von Knabe Hotel Waldhaus.

16. Okt.

Wieder davon gelaufen, hatte Handtasche bei sich, diese ist seit diesem Tag nicht mehr gefunden worden, trotz Identitätskarte und 1/2Tax-Abo. wurde sie ihm abgenommen. Anfälle häufen sich.

29. Okt.

Mami hat schweren Wutanfall. Entwickelte unheimliche Kraft. Am 28. Hatte uns Dr. K guten Mut gemacht!

5. Nov.

Wieder Ausbruch. Ich verfolgte sie im hintendrein, unheimlich schnelle Gangart. Kreuz und quer durchs Dorf, dann Rugen-Rundweg.

28. Nov.

Scheinbar ein schwarzer Tag. Nachmittags u. abends schwere Anfälle, verweigert Essen. Dank dem milden (Wetter) konnten wir noch schöne Wanderungen machen. Aber Depressionen – Anfälle häufen sich. Valium muss eingesetzt werden.

1990

1. Jan. 1990

Für mich ist der 24-Stunden-Tag zur Regel geworden. Es greift mich an.

19. Jan.

Velounfall – Fussgelenk gebrochen – Spital - gipsen.

20. Jan.

Wir dislozieren zu Hans nach Nottwil. Für mich eine grosse Erleichterung, endlich ausruhen zu können. Es war eine schöne Zeit, da wir 2 waren um Mami zu betreuen. Von Erika liess es sich meist gut anziehen.

Febr. – März.

Die Eintragungen zeigen ein Ansteigen der Störungen. Vergesslichkeit nimmt zu, auch verweigert es zeitweise das Laufen. Die Überwachung muss perfekt sein. Die Eintragungen zeigen vermehrte Störungen, mit Widerstand, davon laufen u. extreme Gemütsschwankungen.

Sonntag 1. April

Fahrt nach Waldegg u. Wanderung nach Habkern. Bald zeigt sich Widerstand. Sie will dort laufen wo sie will. Plötzlich kehrt sie um, will wieder zurück, nach kleinerem Disput kommt sie wieder. Aber ausserhalb vom Wald ist der Widerstand perfekt. Ständig reisst sie aus. Bei den ersten Häusern ist sie nicht mehr zu halten. Rennt davon den Berg ab. Bis ins Dorf habe ich Mühe, sie auf dem Weg zu halten. Beim Bus wird sie wieder ruhiger.

6. April

Geburtstag, aber Mami realisiert nichts, auch das gute Essen passt ihr nicht. Die weiteren Eintragungen zeigen keine grossen Veränderungen. Etwa müde, passiv.

24. April

Mami spinnt, das heisst es ist wirr, was noch 2 Tage anhält. Die Tage bis Ende April zeigen gute Konstitution zum Wandern. Sonntag Wanderung Stechelberg – Lauterbrunnen und Harder und Fahrt zu Frieda mit Wanderung nach Lauwil, sehr gut in Stimmung.

1.Mai

Mami ist mir fortgelaufen, wurde von Frau Lerch gegen Wilderswil gesehen, ging sie holen, war total verstört. Ich muss erhöhte Wachsamkeit einschalten.

13. Mai

Dia anschauen, noch kommt Mami mit, es hat auch gewisse Erinnerungen.

12. Juni

Fahrt mit Erna und Maja ins Urbachtal. Bin erstaunt wie es auflebt und alles, resp. vieles geniesst.

17. Juni

Fahrt auf die Schynige Platte bei herrlicher Flora. Mami ist nur teilweise bei der Sache, habe zeitweise Mühe es zum Weitergehen zu bewegen. Ich habe Angst vor Flucht.

25. Juni

Fahrt mit Marcel nach Wengliswil via Murten – Avanches – Dillingen. Mami nimmt die Fahrt gut auf. In Murten beim Mittagessen Mühe dass sie bleibt, aber es geht. Auch eine Fahrt auf den Gurnigel mit Ernst geniesst sie.

Vermerk vom Autor

Die nachfolgenden 5 Blätter sind rekonstruiert. Die Originale wurden von Mami am 2. Juli zerrissen und ich habe sie nach Möglichkeit wieder lesbar gemacht.

27. Juni

Tag der Heimfahrt von Wengliswil. Schon am Vormittag Anfall, aggressiv und tätlich. Störungen auf der Heimfahrt. Daheim noch schlimmer.

27. Juni

Tag der Heimfahrt von Wengliswil. Schon am Vormittag Anfall, aggressiv und tätlich. Mir macht die Heimfahrt Angst. Störungen auf der Heimfahrt. Daheim angekommen noch schlimmer. Dieser Zustand hält noch Tage an bis es am 3. Juni 90 zu einem beängstigenden Anfall kommt. Wirr, ruft um Hilfe, sieht Geister, läuft am 4. Juli wieder davon. Die Vorwürfe an mich mehren sich, sie ist aggressiv.

5. Juli

Sie macht mich völlig fertig!

14. Juli

Ankunft von Walter und Jytte. Was in Mami vorgeht ist schwierig zu sagen. Am 15. fahren wir zusammen zu Aeschlimann. Autofahren behagt Mami.

17. Juli

Die Jungen wollen eine Thunerseefahrt machen. Mami weigert sich, also daheim bleiben.

19. Juli

Mit Walter Fahrt an den Oeschinensee. Verwunderlich wie sich Mami gut hält, sogar den Abstieg ins Dorf. Am Abend müde aber doch verträglich. Fahrt nach Ballenberg. Treffen mit Vreneli und Urs. Mamis Zustand befriedigend, muss aber gut betreut werden.

24. Juli

Ein schwarzer Tag nach einer schlechten Nacht. Eine Fahrt zu Frieda nach Liestal müssen wir unterlassen. Am Abend Anfall mit Tätlichkeiten. Total verwirrt.

29. Juli

Mamis Anfall am Sonntagmorgen: Tel. mit Hans Michel, hätte gerne wenn sie zu uns kämen. Absagen. Wir gehen in den Garten und schon ist es geschehen. Schenkelhalsbruch Notfallarzt – Ambulanz – Spital. Am Nachmittag operieren. Unruhige Nacht.

30. Juli

Ich bin den ganzen Tag bei Mami. Essen eingeben. Sie phantasiert. Das gleiche am 31. Juli. Der Zustand wird für die anderen Patienten unerträglich. Sie wird in ein Einzelzimmer verlegt.

1. Aug.

Ich bin wieder bei ihr. Sie erkennt mich. Essen geben. Am Abend gehässig, ich verabschiede mich.

Die Tage im Spital verlaufen in einem gewissen Rhythmus. Wenn sie allein ist, spielt sie mit der Bettwäsche, abziehen, verknüpfen. Klagt über Schmerzen.

8. Aug.

Erneut operiert. Um 3 Uhr gehe ich zu ihr. Ist unruhig, löst Verband, ich bin ständig auf Draht. Am Abend Anfall.

12. Aug.

Es geht Mami laufend besser. Rollstuhlfahrt am Abend - erstmals laufen.

15. Aug.

Mamis Geburtstag Besuch von Vreneli und Lydia. Am Abend Hans und Erika. Nachtessen Iseltwald. Mami’s Zustand moralisch und körperlich gut. Die kommenden Tage wickeln sich in gleichem Rahmen ab. Laufen an den Stöcken, Rollstuhlfahren. Jeden Tag 5-6 Stunden bei ihr, Essen überwachen, ins Bett legen, auch WC. Ich bin voll bei meiner Aufgabe. Besuche mit auswärts essen gefallen Mami besonders.

26. Aug.

Michels auf Besuch. Wir nehmen Mami heim. Es ist sofort daheim, will alles anschauen. Eine Freude wie es auflebt.

Gegen Ende Monat mehren sich die Krisen, auch bei den Ausfahrten mit dem Rollstuhl. Geht man ein Kaffee trinken, muss plötzlich mit Widerstand gerechnet werden. Auch wird es immer schwächer.

11. Sept.

Eintrag: Vormittag gut, Nachmittag verwirrt, nur nicht mit ihr reden! So geht es weiter. Die Krisen sind eine schwierige Zeit – man ist auch oft machtlos.

23. Sept.

Erika und Frau Margrith Eggenschwiler auf Besuch. Sie holen Mami heim. Sehr gut aufgelegt auch zum Laufen. Erkundet das ganze Haus.

25. Sept.

Mami geht ohne Stöcke und ist sehr gut aufgelegt. Für mich eine grosse Überraschung.

30. Sept.

Marcel holt Mami heim am Nachmittag Ausflug nach Brienz. Kleiner Zwischenfall im Restaurant – sonst ist es sehr glücklich.

1. Okt.

Scheinbar hat der gestrige Tag seine Spuren hinterlassen. Mami ist lieb und hatte einen guten Tag. Die Tage bis am 9. Okt. waren relativ ausgeglichen. Im Allgemeinen lieb. Die Schwestern nehmen die kleinen Scharmützel mit Ruhe hin.

9. 10.

Verlegung zum Sohn Hans und Erika nach Nottwil mit Marcel. Die Tage bis am 17. Okt. waren im Ganzen ausgeglichen. Ich konnte mich ganz Mami widmen. Nachts 2-3 Mal aufstehen. Meistens schon am Vormittag laufen - nachmittags gute 3 Std. – gegen Ende können wir sogar die Stöcke ganz weglassen.

Mit Erika hatte es ein gutes Verhältnis, jedenfalls war die Woche ein grosser Erfolg in körperlicher und psychischer Hinsicht.

19. Okt.

Die Krankheit zeigt sich von der totalen Seite. Schon in der Nacht unruhig, den ganzen Tag mehr oder weniger aggressiv. Mein Eintrag: Der Tag wird zu einem richtigen Horror!

21. Okt.

Wir machen den Rugen-Rundweg. Ich bin überrascht, wie sich meine Therapie auswirkt. Ich bin richtig stolz.

22. Okt.

Besprechung mit Herr Kocher, Fürsorger Spital. Zusicherung dass für Mami zu gegebener Zeit im Spital ein Pflegeplatz zur Verfügung sei.

25. Okt.

In der Nacht viel wach, Tags richtig abwesend, fantasiert regelrecht, eigensinnig u. aggressiv. Diese Zustände mehren sich. Plötzlich konnte es verweigern weiter zu gehen.

28. Okt.

Eintrag: Schwerer Wutanfall, ganzer Tag aktiv, am Abend müde.

29. Okt.

Wir gehen nochmals an den Mittagstisch, aber das letzte Mal. Das Essen wurde zu einer Vorstellung. Die moralische Belastung wurde für mich zu gross.

31. Okt.