Am Ende der Welt gibt es Kaffee und Kuchen - Sebastian Niedlich - E-Book
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Am Ende der Welt gibt es Kaffee und Kuchen E-Book

Sebastian Niedlich

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Beschreibung

Drei eBook-Bestseller in einem Band: „Am Ende der Welt gibt es Kaffee und Kuchen“ von Sebastian Niedlich jetzt als eBook bei dotbooks. Mit Humor ist alles leichter – selbst dann, wenn man in einem Restaurant landet, in dem möglicherweise das Jüngste Gericht serviert wird. Oder man ausgerechnet mit dem leibhaftigen Tod befreundet ist. Oder man ein klitzekleines bisschen daran schuld sein könnte, dass die Erde von galaktischen Angreifern in die Luft gesprengt wird. Klingt verrückt? Ist es auch! Und wir haben bisher noch nicht einmal das bösartige Einhorn erwähnt oder Gottes Meinung über den Geisteszustand der Menschen … Endlich in einem eBook erhältlich – die gesammelten Stories aus „Der Tod, der Hase, die Unsinkbare und ich“, „Ein Gott, drei Könige und zwei Milliarden Verrückte“ und „Das Ende der Welt ist auch nicht mehr das, was es mal war“. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Am Ende der Welt gibt es Kaffee und Kuchen“, die neuen Spaß-Erzählungen und Nonsens-Gedichte von Comedy-Autor Sebastian Niedlich. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 403

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Über dieses Buch:

Mit Humor ist alles leichter – selbst dann, wenn man in einem Restaurant landet, in dem möglicherweise das Jüngste Gericht serviert wird. Oder man ausgerechnet mit dem leibhaftigen Tod befreundet ist. Oder man ein klitzekleines bisschen daran schuld sein könnte, dass die Erde von galaktischen Angreifern in die Luft gesprengt wird. Klingt verrückt? Ist es auch! Und wir haben bisher noch nicht einmal das bösartige Einhorn erwähnt oder Gottes Meinung über den Geisteszustand der Menschen …

Endlich in einem eBook erhältlich – die gesammelten Stories aus »Der Tod, der Hase, die Unsinkbare und ich«, »Ein Gott, drei Könige und zwei Milliarden Verrückte« und »Das Ende der Welt ist auch nicht mehr das, was es mal war«.

Über den Autor:

Sebastian Niedlich, 1975 in Berlin geboren, war zum Zeitpunkt seiner Geburt schriftstellerisch untätig und nahm diese Profession erst später im Leben auf, nachdem er sich vorher an Drehbüchern versucht hatte. Er lebt in Potsdam und bereut es bisher nicht.

Bei dotbooks veröffentlichte Sebastian Niedlich bereits die Romane »Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens«, »Der Tod ist schwer zu überleben«, »Und Gott sprach: Es werde Jonas« und »Dicker Teufel umständehalber in liebevolle Hände abzugeben«.

Die Website des Autors: www.sebastianniedlich.de

Der Autor im Internet: www.facebook.com/SebastianNiedlich.Autor

***

Sammelband-Originalausgabe April 2017

Copyright © der Sammelband Originalausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Copyright © Der Tod, der Hase, die Unsinkbare und ich 2014 dotbooks GmbH, München

Copyright © Ein Gott, drei Könige und zwei Milliarden Verrückte 2015 dotbooks GmbH, München

Copyright © Das Ende der Welt ist auch nicht mehr das, was es mal war 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Illustrationen von shuterstock/tomacco, shutterstock/Pushkin, shutterstock/suns07butterfly, shutterstock/Matthew Cole, shutterstock/Anna Bogatirewa

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-076-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Am Ende der Welt gibt es Kaffee und Kuchen« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

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blog.dotbooks.de/

Inhalt

DER TOD, DER HASE, DIE UNSINKBARE UND ICH

Der Tod und der Osterhase

Der Tod und die Unsinkbare

EIN GOTT, DREI KÖNIGE UND ZWEI MILLIARDEN VERRÜCKTE

Das finale und wirklich abschließende Wort Gottes zum Thema Weihnachten

Roadtrip nach Bethlehem

DAS ENDE DER WELT IST AUCH NICHT MEHR, WAS ES MAL WAR

Die Ballade vom traurigen Einhorn

Am Ende der Welt gibt es Kaffee & Kuchen

Das Ende von »Die Welt«

Am Ende der Welt ist Pfingstmontag

Liebeskummer

Lesetipps

DER TOD, DER HASE, DIE UNSINKBARE UND ICH

Der Tod und der Osterhase

Mein Freund Tod liebte es, mich ohne große Vorwarnung in die merkwürdigsten Ecken der Welt zu verschleppen. Und das meine ich nicht im übertragenen »Schickt meine Asche nach meinem Tod um die Welt«-Sinn, sondern ganz buchstäblich.

Als kleines Kind sah ich, wie meine Oma starb. Ich saß an ihrem Bett im Krankenhauszimmer, ohne zu wissen, was eigentlich passierte. Damals habe ich den Tod gesehen, als er den Schmetterling – oder sagen wir lieber die Seele – meiner Großmutter holte. Danach haben der Tod und ich uns angefreundet. Was übrigens nicht heißen soll, dass ich besonders begeistert über die Sache mit meiner Oma war. Wir haben uns angefreundet, obwohl er sie geholt hat. Seitdem haben wir uns schon fast überall auf der Welt mal sehen lassen, weil er sich und mich teleportieren kann.

Unsere Freundschaft ist gewissen Schwankungen unterlegen. Zum einen ist er natürlich immer sehr beschäftigt. Weltweit sterben pro Minute etwas über 100 Menschen. Das sind fast zwei pro Sekunde. Deswegen muss er sich buchstäblich zerteilen, um überall zu sein. Zum anderen hat er die Angewohnheit, in den unpassendsten Momenten zu erscheinen. Außerdem versucht er mich ständig davon zu überzeugen, dass ich nach meinem Tod seinen Job übernehmen soll, was natürlich gar nicht in Frage kommt.

Aber eigentlich will ich auch nicht so weit ausholen. Dies ist nur eine kleine Anekdote aus unserer gemeinsamen Zeit: Ich hatte mal wieder keine Ahnung, wo Tod mich hinschleppen würde. Als wir uns trafen, sagte er nur, dass wir unter Umständen jemandem begegnen würden, den ich interessant finden könnte. Und ich wollte lieber erst gar nicht darüber nachdenken, was das für eine Person sein könnte.

Als wir uns auf dem Linoleumboden materialisierten, war meine Reaktion, abgesehen von dem schon gewohnten Anflug von Übelkeit, recht banal.

»Ein Krankenhaus? Wow. Mal was ganz anderes!«

Tod grinste. »Immer dieser Sarkasmus.«

Ich hielt inne. Zwar war der Gang, der sich vor uns erstreckte, unverkennbar der eines Krankenhauses, aber die bunten Türen und Kinderzeichnungen an den Wänden verrieten mir, dass es sich nur um einen bestimmten Teil davon handeln konnte.

»Kinderkrebsstation?«

Tod nickte.

»Das verspricht ja ein lustiger Abend zu werden.«

»In der Tat ist der Anlass nicht schön. Aber was soll’s. Ob-La-Di, Ob-La-Da.«

Ich rollte mit den Augen. Tods Vorliebe für die Beatles äußerte sich des Öfteren darin, dass er ausgerechnet Ob-La-Di, Ob-La-Da zitierte, einen der weniger intelligenten Songs des Quartetts, wie ich fand. Immerhin hatte er sich für einen freundlicheren Song entschieden und nicht etwa für Maxwell’s Silver Hammer, der zwar fröhlich klang, aber von einem Mörder handelte, der seine Opfer mit einem Hammer umbrachte. Von der Handlung her hätte der sicher eher Tods Tätigkeit entsprochen.

Ich folgte ihm in eine Art Besucherzimmer, dessen große Fenster mit Bildern verziert waren, die ganz offenbar aus Kinderhand stammten. Etwas, das entfernt an eine Giraffe oder einen gelb angemalten Xenomorph aus den Alien-Filmen erinnerte, knabberte an einem grünen Etwas, das wohl eine Pflanze darstellen sollte. In einigen kleinen Schränken an der Wand waren Spielzeuge ordentlich in Kisten gestapelt, und eine Couch, die ihre besten Tage hinter sich hatte, stand ihnen gegenüber.

»Wenn du willst, kannst du gerne hier warten, bis ich meine Aufgabe erledigt habe«, sagte Tod.

»Da frage ich mich nur, weshalb du mich überhaupt hergeschleppt hast.«

Tod zuckte mit den Schultern.

»Wenn es dir nichts ausmacht, ja, ich würde gerne hierbleiben. Ich muss nicht irgendeinem Kind dabei zusehen, wie es an Krebs zugrunde geht«, sagte ich.

Tod hob eine Augenbraue.

»Nein«, sagte ich, »so war es nun auch wieder nicht gemeint. Ich weiß nur nicht, ob ich es ertrage, die Kinder leiden zu sehen.«

»Martin, du musst mit dem Anblick des Sterbens deinen Frieden machen. Das ist unumgänglich«, sagte Tod mit sanftem Nachdruck.

Jetzt hob ich eine Augenbraue.

»Schon gut, ich werde damit nicht noch einmal anfangen«, beschwichtigte er gleich wieder.

»Irgendwie bezweifle ich das«, murmelte ich vor mich hin.

Tod verschwand in der Wand. Ich schlenderte durch den Raum und sah mich um. Neben der Couch standen ein paar Stühle aufgestapelt, es gab ein paar Plastikblumen auf dem Fensterbrett und neben den erwähnten Schränken noch Kisten mit Puppen, Spielzeugautos, Puzzles – und einen übergewichtigen Mann im Hasenkostüm, der plötzlich vor mir stand.

Erschrocken sprang ich ein Stück zurück.

»Wat zum Teufel is’n jetzt los?«, fragte der Mann, fast so erschrocken wie ich.

»Sie können mich sehen?«, fragte ich.

»Du kannst MICH sehen?!«, fragte er zurück.

Einen Moment lang starrten wir uns nur an. Ich war unsicher, wie ich reagieren sollte.

»Ja, jut, ick schätze, dit könnte jetzt stundenlang so weitergehen«, durchbrach der Mann etwas ungeduldig die Stille.

»Was … wer … was …?«, stammelte ich.

»Ja, nu komm ma wieder auf’n Teppich und hör uff zu stammeln. Wer biste, und wat machste hier?«

»Ich … mein Name ist Martin, und ich bin mit … also … äh …«

»So mit ganze Sätze hastet nich’, wa?«

»Ah, ich sehe, ihr habt euch bereits kennengelernt«, sagte Tod, der wieder durch die Wand gestiefelt kam und nun grinsend etwas abseits von uns stand.

»Ach du Scheiße, die Sensenkutte.«

»Kescherkutte, wenn überhaupt«, sagte Tod und zeigte auf den Stock mit dem Kescher am Ende.

»Wer ist dit dann?«, fragte der Mann im Hasenkostüm, wiederum auf mich zeigend.

»Das ist mein Nach…«, setzte Tod an, stockte aber, als er mein ernstes Gesicht sah. »Das ist ein Freund von mir. Martin ist sein Name«, korrigierte er sich.

Der Mann im Hasenkostüm nickte. »Bin ganz aus dem Häuschen. Ick bin übrigens Georg.«

»Hi«, presste ich mühsam heraus.

»Mit ganzen Sätzen hattert wirklich nich’, wa?«

Tod lächelte.

Plötzlich sprudelten die Worte nur so: »Wer bist du? Warum trägst du ein Hasenkostüm? Und was zum Teufel tust du hier?«

Der Mann griff in den geflochtenen Korb, den er auf der einen Seite trug, und holte eine Packung Zigaretten hervor, die er gekonnt aufschnippte, um dann mit dem Mund eine Kippe herauszuziehen.

»Wie ick schon sagte. Mein Name ist Georg. Ick bin der Osterhase.« Mit der einen Hand schüttelte er mir demonstrativ den Korb vor der Nase, mit der anderen steckte er sich die Kippe an und hustete.

»Was?«

»Ick. Bin. Der. Osterhase.« Er pustete Tod den Rauch ins Gesicht. »Dein Kumpel ist nich’ der Hellste, wa?«

»Der Osterhase ist ein übergewichtiger, unrasierter Typ im Hasenkostüm?!«, rief ich fassungslos.

Tod zuckte nur mit den Schultern. Der Osterhase nahm einen Zug von seiner Zigarette und schaute gelangweilt.

»Der Osterhase ist ein übergewichtiger, unrasierter Typ im Hasenkostüm, der raucht?!«, rief ich erneut.

»Keule, du musst mir dit mit dem Übergewicht nich’ immer unter die Nase reiben«, sagte der Osterhase. »Ick sag dir ja auch nich’, dass du aussiehst, als hätte dir einer ’ne Bratpfanne ins Gesicht gehauen.«

Ich schaute verwirrt zu Tod herüber, der allerdings nur dastand und interessiert »Keule« vor sich hinmurmelte.

»Was ist hier los?«, fragte ich ihn.

Tod schien aus seiner tranceähnlichen Faszination für das Wort »Keule« zu erwachen. »Hm?«, machte er. »Das Treffen mit Georg scheint dich mehr zu beeindrucken als unsere erste Begegnung damals«, sagte er und klang überrascht. Dann fügte er »… Keule« hinzu.

»Hör gleich auf damit!«

»Womit?«

»Keule zu sagen. Das macht kein normaler Mensch.«

Tod wollte Einspruch erheben, taxierte aber noch einmal den Osterhasen von oben bis unten und nickte dann.

»Als wir uns damals das erste Mal trafen, war ich ein Kind und hatte das ganze Konzept vom Tod noch nicht so richtig begriffen«, erklärte ich. »Ich bin einfach davon ausgegangen, dass der Osterhase nicht existiert und nur so eine Art Symbolfigur für irgendwas ist. Und dass er, wenn es ihn tatsächlich geben würde, wie ein Hase aussieht! Nicht wie … Georg hier.«

Der Osterhase kratzte sich hinter seinen langen Plüschohren. »Wat is’ denn dein Problem, seh ick aus wie ein Känguru, oder wat?«

»Nein, aber wir sind uns ja wohl einig, dass du lediglich ein Mann in einem Kostüm bist.«

»Ja, jut.«

»Der noch dazu auf einer Kinderkrankenstation raucht.«

»Immerhin weißt du jetzt, dass es ihn wirklich gibt«, sagte Tod, während der Osterhase besonders tief und rasselnd hustete.

»Aber heißt das jetzt, dass es alle diese komischen … wie heißt das gleich, antropomorphen Gestalten wirklich gibt?«, fragte ich.

»Wat?«, sagte der Osterhase.

»Na … den Weihnachtsmann zum Beispiel.«

»Is’n Sack. Hat auch einen …«

»Zahnfee?«

»Die hat ’ne Klatsche. Ernsthaft … die sammelt Zähne. Zähne! Wie bekloppt ist dit denn?«

Tod nickte ihm zustimmend zu. Der Osterhase hustete erneut.

»Monster unterm Bett?«, fragte ich zaghaft.

»Haste mal den Film Monster AG gesehen? Is’n Dokumentarfilm.«

Ich schaute Tod hilfesuchend an. Der Osterhase zog an seiner Zigarette, was ihn erneut husten ließ. Tatsächlich hatte er einen regelrechten Hustenanfall.

»Hey, geht es dir gut?«, fragte ich.

Der Osterhase winkte ab und presste zwischen den Hustern hervor, dass er sich nur mal kurz hinsetzen müsse. Tod gesellte sich in aller Ruhe zu ihm und schaute ihn interessiert an.

In meinem Bauch machte sich das Gefühl breit, dass in Kürze etwas Unangenehmes folgen würde. Tatsächlich rang der Osterhase plötzlich nach Luft und lief rot an. Er gab noch ein Röcheln von sich, dann rutschte er auf den Boden und blieb liegen. Die Zigarette rollte ihm aus der Hand und kokelte ein Loch ins Linoleum.

Ich stürzte mich auf ihn und klatschte ihm eine Hand links und rechts ins Gesicht, mit der anderen drückte ich die Zigarette aus. »Hey, wach auf!«

»Martin«, sagte Tod ganz ruhig.

Ich begann, den Osterhasen auf den Rücken zu legen, und suchte nach einer Möglichkeit, das Kostüm von ihm herunterzukriegen, fand aber keinerlei Ansatzpunkt.

»Martin«, sagte Tod erneut, diesmal eindringlicher.

»Wir müssen ihm helfen!«, rief ich ihm entgegen.

»Martin, es ist vorbei«, sagte Tod.

Ich bemerkte den Schmetterling, der aus dem Mund des Osterhasen kroch und auf Tod zuflog.

»Aber … aber …«, stammelte ich.

Der Kescher leuchtete kurz auf, als Tod den Schmetterling hineinsetzte.

»Der Osterhase ist tot?«, fragte ich ungläubig.

»Offensichtlich«, entgegnete Tod.

»Na, dann frohes Fest«, schoss es aus mir heraus.

»Keine Sorge. Es wird schon einen neuen Osterhasen geben.«

»Wann? Jetzt gleich? Und wie?«

»Das entzieht sich meiner Kenntnis. Aber es gibt immer wieder neue.«

»Sterben die auch immer am Osterwochenende?«

»Nein, ich gebe zu, der Zeitpunkt seines Todes war diesmal besonders unglücklich.«

Mir fiel der Stummel der Zigarette in meiner Hand auf.

»Krebsstange«, sagte Tod.

Ich hörte gar nicht richtig hin. Auf dem nächsten Tisch stand ein kleines Schälchen, in dem ich die Zigarette ablegte. Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und versuchte, meine Fassung wiederzugewinnen. Mittlerweile hatte ich mit Tod schon einiges erlebt, aber das hier war doch etwas viel. Nicht nur war mein tiefer, kindlicher Glaube an den Osterhasen in seinen Grundfesten erschüttert worden, als ebenjener direkt vor mir in sehr unschöner Weise abgedankt hatte, auch hatte mein wesentlich abgeklärteres Erwachsenenweltbild einen deutlichen Knacks bekommen, durch den Fakt, dass es ihn tatsächlich gab. Oder gegeben hatte.

Tod sah mich sorgenvoll an, aber ich winkte ab. Erst jetzt nahm ich den geflochtenen Korb wahr, der an der Seite des Osterhasen lag. »Ob der hier gerade Eier für die Kinder hier verstecken wollte?«

»In Anbetracht der Tatsache, dass der Osterhase genau die eine Aufgabe hat, nämlich Ostereier zu verstecken, würde ich die Wahrscheinlichkeit dieser Intention mit nahezu 100 Prozent bezeichnen.«

»Hast du heute wieder deinen Klugscheißertag?«

»Stelle ich die dummen Fragen oder du?«

Ich rollte mit den Augen. »Was passiert denn jetzt mit dem Leichnam? Verschwindet er wie von Geisterhand? Taucht hier gleich ein neuer Osterhase auf und nimmt den alten hier mit? Oder finden die Kinder morgen einen toten Mann im Hasenkostüm, der noch merkwürdiger riecht, als er es zu Lebzeiten schon tat? Wie habe ich mir das vorzustellen?«

Tod zuckte mit den Schultern. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Vermutlich kommt zumindest irgendwann der neue Osterhase. Die Arbeit muss ja weitergehen.«

Wir schwiegen einen Moment.

»Ja, also, warten wir jetzt hier auf den Neuen?«, fragte ich.

Tod schaute sich um. »Ehrlich gesagt, hatte ich gar nicht weiter darüber nachgedacht.«

Ich nickte.

Wir schwiegen wieder.

»Ich hab noch nie verstanden, warum ausgerechnet ein Hase an dem Tag, an dem Jesus ans Kreuz genagelt wurde, bemalte Eier für Kinder versteckt«, sagte ich. »Erscheint dir das nicht auch irgendwie … unangemessen?«

»An Ostern soll Jesus wiederauferstanden sein. An Karfreitag haben sie ihn ans Kreuz genagelt.«

»Das ist doch wurst. Was hat ein Eier versteckender Hase damit zu tun?«

»Verstanden habe ich das auch nie. Es gibt diesen Brauch aber auch erst seit ein paar Jahrhunderten. Vielleicht gründet er sich auf der Lebenskraft der Hasen.«

»Lebenskraft?«

»Nun, was die Hasen kennzeichnet, ist schließlich ihr Fortpflanzungstrieb. Vielleicht ist der Hase die Versinnbildlichung des auferstandenen Jesus – das neue Leben, das der Hase in die Welt setzt, als Metapher für die Wiederauferstehung.«

»Bei manchen deiner Theorien könnte man denken, dass du mal in Philosophie promoviert hast.«

Tod grinste. »Dr. phil. Thanatos, angenehm.«

Ich schüttelte den Kopf. »Aber davon mal abgesehen, sind es nicht eher die Karnickel, die sich wie Sau vermehren? Es heißt doch auch ›wie die Karnickel‹ und nicht ›wie die Hasen‹. Müsste es dann nicht das Osterkarnickel sein? Und warum Eier?«, fügte ich hinzu. »Obwohl, wenn man analog zu den lebend geborenen Hasenkindern irgendwo Fleischstücke verstecken würde, hätte man vermutlich bald das Gesundheitsamt am Hals. Eier sind da praktischer, nehme ich an.«

»Die Fleischstücke könnten ja gebraten sein«, räumte Tod ein.

»Und angemalt. Aber ich persönlich würde auch keine angemalten, gebratenen Fleischstücke essen, die zwischen den Flusen unter dem Bett gelegen haben.«

»Ist das alles tatsächlich von Belang, solange es Kindern Freude macht?«, fragte Tod.

»Eingestaubte Fleischstücke sollen Kindern Freude machen? Und was wäre dann überhaupt mit Vegetariern?«

»Ich rede von den Eiern, du Narr!«

»Was ist denn das für eine Antwort? Das sind doch alles berechtigte Fragen, über die man anständig reden kann.«

Tod wurde ungeduldig. »Das mögen sie sein, allerdings nur unter euch Menschen. Ich bin der Tod. Ich bin im Thema Eier und Karnickel nicht wirklich bewandert.«

Wir schwiegen.

»Ich hab mir gerade Jesus mit großen Hasenohren vorgestellt«, platzte es aus mir heraus.

»Ich auch«, sagte Tod.

Wir kicherten.

»Also ich hätte ja eigentlich erwartet, dass bald der neue Osterhase erscheinen würde«, sagte ich.

»Vielleicht beginnt er seine Arbeit an anderer Stelle«, warf Tod ein.

Ich stand auf und griff nach dem Korb, der neben dem Osterhasen lag. Darin befanden sich ein Ei und eine Zigarettenschachtel.

»Alles, was ein Kind für eine gelungene Osterüberraschung braucht«, sagte Tod.

Ich nahm das bemalte Ei aus dem Korb und wog es in der Hand. »Scheint ein ganz normales bemaltes Ei zu sein.«

Tod hob verwundert die Augenbrauen und deutete auf den Korb. Neben den Zigaretten lag ein weiteres Ei.

»Was zum …?«

Ich nahm das neue Ei heraus. Ein weiteres erschien an seiner Stelle.

»Ein magischer Eierkorb? Das ist praktisch fürs Frühstück, wenn man gerade keine gekochten Eier dahat.«

»Aber unpraktisch, wenn du Rührei essen willst«, entgegnete Tod.

»Meinst du, wir sollten die Eier verstecken?«

Tod dachte nach. »Ich weiß nicht, ob wir uns in fremde Belange einmischen sollten.«

»Im Zweifelsfall haben wir doch einfach nur geholfen. Und es sieht ja nicht so aus, als würde jeden Augenblick der nächste Osterhase auftauchen.« Die Leiche lag immer noch regungslos zwischen uns.

Tod schaute mich einen Augenblick an. »Du willst zu den Kindern reingehen, die an Krebs zugrunde gehen?«

Ich rollte mit den Augen.

»Das waren deine Worte, nicht meine«, sagte Tod.

»Jaja. Was ist jetzt? Kommst du?«

»Nach dir.«

Wir liefen den Gang hinunter und schlichen uns am Schwesternzimmer vorbei zu denen der Kinder. Zumindest schlich ich. Durch die Bekanntschaft mit Tod hatte ich zwar die Fähigkeit angenommen, nach Belieben unsichtbar zu werden, Geräusche oder sich öffnende und schließende Türen verursachte ich dennoch. Tod lief einfach durch die Wände – eine Eigenschaft, die offenbar ausschließlich ihm vorbehalten war.

Im ersten Zimmer lag ein Junge, den ich auf ungefähr sechs Jahre schätzte. Er war zwar an keinerlei Geräte angeschlossen, aber der haarlose Kopf verriet, warum er sich auf der Station befand und nicht im eigenen Bett daheim.

Es dauerte einen Moment, bis ich meinen Blick abwenden konnte.

»Worauf wartest du?«, fragte mich Tod.

»Ich habe überlegt, ob ich zulassen will, dass ich erfahre, wie er stirbt.«

Wie Tod konnte ich mittlerweile den Tod eines jeden Menschen vorhersehen. Ich hatte jedoch gelernt, diese Visionen zuzulassen oder zu unterdrücken. In diesem Moment haderte ich mit mir, obwohl ich innerlich hoffte, dass der Junge den Krebs besiegen würde.

»Wie alle Menschen wird auch er sterben«, sagte Tod.

»Ich hatte nicht angenommen, dass er unsterblich ist«, sagte ich schnippisch.

»Ich kann dir versichern, dass er noch ein halbwegs langes Leben vor sich hat.«

»Halbwegs?«

»Willst du es wirklich wissen?«

Ich winkte ab. Stattdessen schaute ich mich im Zimmer um. Der Raum gab nicht viel an Verstecken für Eier her. Es gab einen hohen Schrank, das Bett mit dem Jungen, eine Tür zur Toilette. Neben dem Bett stand ein kleiner, beweglicher Metallschrank mit einer Schublade und einem größeren Fach darunter. Ich stand mit den Eiern in der Hand da und überlegte. Ein paar Spielzeuge standen auf dem Fensterbrett.

»Okay, eins ins Schubfach. Eins unters Bett.« Ich stieg auf einen kleinen Absatz neben dem Bett und langte nach oben auf den Schrank. »Eins oben auf den Schrank.«

Tod hatte auch ein Ei in der Hand und versteckte es gerade hinter dem Vorhang auf dem Fensterbrett. »Sicher?«

»Was?«, fragte ich.

»Ich glaube, Teil des Vergnügens ist es, die Eier auch tatsächlich zu finden«, sagte er ernst. »Möglichst ohne von einer Leiter auf den Infusionsständer zu fallen.«

»Der hat doch gar keinen …«, hob ich an, aber Tod fiel mir ins Wort.

»Das Kind ist drei Köpfe kleiner als du. Wie soll es denn da oben herankommen?«

Ich stieg stöhnend vom Absatz herunter. »Gut, okay, das sehe ich ein.« Ich suchte nach leichter zu erreichenden Verstecken.

»Meinst du, dass wir vielleicht ein oder zwei Eier im Klo verstecken sollten?«

Tod schaute mich irritiert an. »Im Klo?«

»Na ja, so sind die Verstecke etwas besser verteilt.«

»Du regst dich über angestaubte Fleischstücke auf, aber willst die Eier im Klo verstecken? Kennst du irgendjemanden, der dort gerne nach Nahrungsmitteln suchen würde?«

»Ich meine ja nicht das Klo im eigentlichen Sinne, ich meine das Bad. Den Raum halt. Mit dem Klo.«

»Wir haben hier schon vier Eier versteckt. Wie viele soll das Kind denn noch essen?«, fragte mich Tod ruhig.

»Äh«, machte ich und starrte ihn an, als er auf mich zukam, ein neues Ei aus dem Korb griff und dann durch die Wand ins Nachbarzimmer verschwand. Ich öffnete die Tür und schlich ein Zimmer weiter, wo ich Tod schon neben dem Bett eines Kindes stehen sah, welches wirklich an Infusionen hing. Ein ruhiges, aber deutliches Schnarchen war zu hören.

»Das Kind?«, fragte ich entsetzt.

»Die Mutter«, sagte Tod und zeigte auf das andere Bett.

»Die sägt ja wie ein kanadischer Waldarbeiter.«

»Ich stelle dein Wissen um kanadische Waldarbeiter in Frage«, sagte Tod.

Mir fiel die Dekoration des Raumes auf. Bunte Ballons in Herz- und Tierformen hingen an der Decke, und ein paar Glückwunschkarten standen auf dem Beistelltisch.

»Oh, da hat wohl jemand Geburtstag gehabt«, sagte ich.

»Ja, ihren letzten«, entgegnete Tod.

Es war wie ein Schlag in die Eingeweide. Das Mädchen, von dem mehrere Schläuche in irgendwelche Apparaturen um das Bett herum gingen, hatte noch nicht einmal das Schulalter erreicht.

»Das ist nicht gerecht«, sagte ich.

»Was ist schon gerecht?«

Ich hatte schon früher Diskussionen mit Tod darüber geführt, warum kleine Kinder sterben mussten. Ich war stets der Meinung, dass niemand sterben sollte, der noch gar nicht die Gelegenheit hatte, richtig zu leben. Tod hingegen sah das Ganze etwas pragmatischer. Jeder hatte seine Zeit. Nicht mehr und nicht weniger.

»Es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie du das aushältst«, sagte ich.

»Ich habe keine Wahl.«

Er legte ein Ei unter das Kopfkissen des Kindes und nahm sich ein neues aus dem Korb.

»Meinst du, wir sollten der Mutter auch etwas dalassen?«, fragte er.

»Ich überlege viel eher, dem Kind noch ein paar Ohrenstöpsel hinzulegen.«

»So laut ist sie nun auch wieder nicht.«

»Könntest du etwa hier drin schlafen?«

»Ich schlafe nicht.«

»Du schläfst nicht?«

Tod sah mich an, als wäre ich schwer von Begriff. Vermutlich war ich das auch.

»Wer würde denn meine Aufgaben übernehmen, während ich schlafe?«, fragte Tod.

»Aber du musst dich doch mal irgendwann ausruhen?«

»Das ist nicht notwendig. Ein Vorteil davon, der Tod zu sein, ist, keinerlei Schlafbedürfnis zu verspüren. Klingt das nicht reizvoll?«

»Lass es. Außerdem ist Schlaf doch eine tolle Sache.«

»Im Gegenteil, es ist ungenutzte Zeit. Ohne Schlaf ist man viel effektiver. Du könntest zum Beispiel deine Fernsehserien am Stück schauen.«

»Vielleicht käme ich dann mal bei Six Feet Under hinterher«, überlegte ich laut.

»Zurück zu meiner Ausgangsfrage – wollen wir die Mutter des Kindes nun bedenken oder nicht?«

»Schaden tut es nicht, oder?«

Tod zuckte mit den Schultern, schob ein Ei unter das Kopfkissen der Mutter und wartete darauf, dass ich noch ein paar Eier im Zimmer versteckte.

Die ganze Prozedur wiederholte sich bei den anderen Räumen der Station. Tod versteckte unbewegt die Eier, während mir jeder Anblick eines kranken Kindes erneut einen Stich versetzte.

Wir waren vom Ende des Ganges mittlerweile wieder so weit nach vorne gelangt, dass noch ein Zimmer vor dem Aufenthaltsraum blieb, in dem wir ursprünglich angekommen waren. Als ich nach der Türklinke griff, winkte Tod ab.

»Dort brauchen wir nicht mehr hineinzugehen.«

Ich hielt inne und erinnerte mich. Als wir ankamen, hatte Tod etwas zu erledigen gehabt. »Oh, das hatte ich vergessen.«

»Haben wir dann alles?«, fragte Tod.

»Sieht fast so aus. Obwohl es mir lieber gewesen wäre, wenn wir auch das letzte Zimmer hätten bedienen können.«

Tod hob bedauernd die Hände.

»Ist das nicht ein schönes Gefühl, den Kindern eine Freude zu machen?«, fragte ich.

»Durchaus«, erwiderte Tod. Er schaute auf die Tür, durch die wir nicht gegangen waren, und fügte leise hinzu: »Eine willkommene Abwechslung zu meinen sonstigen Pflichten.«

»Ich frage mich, was der neue Osterhase macht, wenn er nachher vorbeikommt und schon alles fertig ist?«

»Ist dir denn noch gar nicht der Gedanke gekommen, dass möglicherweise derjenige, welcher als Erstes den Korb des Osterhasen aufnimmt, auch dessen Nachfolge antritt?«

»Was?«

»Nun, vielleicht bist du jetzt der neue Osterhase, weil du den Korb genommen hast. Schließlich hast du auch gleich alle Kinder beschenkt. Und, ich mag mich täuschen, aber sind nicht deine Ohren schon deutlich größer?«

»WAS?!« Meine Hände flogen hoch und fühlten nach meinen Ohren.

Tod lachte aus tiefster Kehle.

»Idiot«, sagte ich, grinste aber selbst.

Tods Gesichtszüge entgleisten.

»Hey, schon gut, war nicht böse gemeint«, sagte ich, aber Tod starrte an mir vorbei.

»Was?«, fragte ich und drehte mich um.

Und da sah ich ihn. Den schwarzen Mann. Den schwarzen, über zwei Meter großen Mann. Den über zwei Meter großen, schwarzen Mann mit Schulterblättern wie ein Öltanker. Im Hasenkostüm.

»Was zum …?«

Der Mann fing plötzlich an zu reden wie ein Wasserfall, allerdings in einer Sprache, die zwar entfernt nach Englisch klang, aber so, als würde er wahllos Wörter weglassen oder ersetzen. Tod starrte ihn eine Weile an. Sein Gesicht entspannte sich, von Zeit zu Zeit sagte er »Aha« und »Hm«. Schließlich wandte er sich mir schmunzelnd wieder zu.

»Du hast noch mal Glück gehabt. Darf ich vorstellen: der neue Osterhase.«

»So viel habe ich mir auch zusammenreimen können. Das Hasenkostüm war ein Hinweis.«

»Er heißt Bob Marley und kommt irgendwo aus Jamaika, wenn ich das richtig verstanden habe.«

»Bob Marley. Aus Jamaika.«

»Ja?«, fragte Tod.

»Sieht der Typ für dich aus, als hätte er Rastalocken und würde gleich Three Little Birds singen?«

Der Mann im Osterhasenkostüm grinste breit, wippte mit dem Kopf und sagte etwas, das wie »Don’ worry ’bout a ting« klang.

»Ich glaube, ich kann im Moment nicht richtig folgen«, gab Tod unumwunden zu.

»Bob Marley ist ein bekannter Reggae-Sänger aus Jamaika. DER Reggae-Sänger schlechthin. Der ist schon seit … was weiß ich … den Achtzigern tot.«

»Und du meinst, dass er nicht Bob Marley sein kann?«

»Mal abgesehen davon, dass er nicht annähernd wie er aussieht, fände ich es irgendwie bedenklich, wenn Leute, die seit zwanzig Jahren oder mehr tot sind, plötzlich reanimiert und zum Osterhasen gemacht werden.«

Tod wandte sich dem neuen Osterhasen zu und sprach ihn im selben sonderbaren Dialekt an. Sie wechselten ein paar Worte, bis Tod sich zu mir umdrehte.

»Er ist nicht der Bob Marley. Tatsächlich ist Bob Marley sein Vorname, den ihm seine Mutter aus Respekt vor, nun, Bob Marley gegeben hat.«

»Ach was«, sagte ich und ergänzte fragend: »Du sprichst Jamaikanisch?«

»So etwas wie Jamaikanisch gibt es streng genommen nicht. Unser neuer Freund hier spricht Patois.«

»Wie auch immer. Du verstehst ihn?«

»Ich bin der Tod, ich verstehe jede Sprache der Welt. Auch wenn dieser junge Mann mir hier mit seinem starken Dialekt doch etwas Mühe bereitet.«

Bob Marley im Hasenkostüm lächelte uns derweil freundlich an.

»Das ist heute schon der zweite Osterhase, der nicht so ist, wie ich ihn mir vorgestellt hätte«, sagte ich.

Aus Bob Marley sprudelte ein Schwall Wörter, von denen ich lediglich »Spliff« und »Ganja« schon einmal gehört hatte. Tods Stirn legte sich in Falten.

»Was? Was ist?«, fragte ich.

»Er hat uns gerade gefragt, ob wir mit ihm einen Joint rauchen wollen.«

»Es gibt so manche Klischees, gegen die schwer anzukämpfen ist, nehme ich an«, sagte ich und grinste.

Tod hatte immer noch eine gekräuselte Stirn.

»Was ist los? Keine Lust auf etwas medizinisches Marihuana?«, fragte ich Tod.

»Vorhin warst du noch der, der sich über das Rauchen im Krankenhaus erbost hat«, sagte Tod schnippisch.

»Vorhin war der Osterhase auch noch weniger cool.«

Bob Marley lächelte uns immer noch erwartungsvoll an. Ich lächelte zurück, schüttelte aber den Kopf. Tod übersetzte unsere Ablehnung in die merkwürdige Sprache und wechselte ein paar weitere Worte mit ihm.

»Bob hätte gerne den Korb, weil er sonst nicht arbeiten kann.«

»Oh!«, sagte ich und reichte dem Riesenhasen den Korb. Er sagte etwas, das wie eine üble Drohung klang, seinem breiten Grinsen nach zu urteilen aber eine Art Danksagung sein musste.

»Er sagt danke«, erklärte Tod.

»Aha«, machte ich.

Der neue Osterhase nahm die Packung Zigaretten aus dem Korb und warf sie unbedacht hinter sich. Dann sagte er etwas, was wie »Mi deh leff, likkle more«, klang, winkte unbeholfen mit der Hand und lief gemächlich den Gang hinunter, um unvermittelt zu verschwinden.

»Der hat deine Verschwindenummer abgezogen«, sagte ich.

Tod zuckte mit den Schultern.

»Ich glaube, für eine Nacht habe ich genug erlebt.«

Tod nickte.

»Übrigens, falls es irgendwie geht, bitte nimm mich nie wieder auf eine Exkursion mit, bei der irgendeine Form von übernatürlichem Wesen den Geist aufgibt. Besonders nicht der Weihnachtsmann.«

»Würdest du den nicht kennenlernen wollen?«

»Nach der heutigen Erfahrung würde es mich nicht wundern, wenn es sich bei ihm um einen zwergwüchsigen Chinesen handelt, der eine unheilbare Krankheit hat und Opium raucht. Ich hätte keine Lust zu sehen, wie er stirbt. Das würde irgendwie den Weihnachtsgedanken zerstören.«

»Du fürchtest ja nur, dass du Last Christmas nicht mehr hören kannst, ohne dabei zu heulen.«

»Ich heule höchstens, wenn ich den Song noch einmal hören muss. Was soll der überhaupt? Der handelt doch nicht mal von Weihnachten. Er handelt von zwei Leuten, die sich zu Weihnachten getrennt haben. Rein theoretisch hätten die sich auch zu Pfingsten trennen können.«

»Last Pfingsten?«, fragte Tod.

Mich schauderte es. »Und du willst alle Sprachen der Welt kennen?«

»Last Pentecost hat irgendwie nicht die gleiche Harmonie wie Last Christmas.«

»Auf jeden Fall ist eine Trennung doch nicht unbedingt das, was man gerne mit Weihnachten assoziieren möchte. Ich vermute, George Michael hätte damals auch davon singen können, wie er letzte Weihnachten seinen Blinddarm entfernt bekommen hat, und Leute würden es heute in der Adventszeit trällern.«

»Ich für meinen Teil freue mich auf Weihnachten«, sagte Tod verträumt.

Ich seufzte.

»Frohe Ostern«, sagte Tod.

»Frohe Ostern«, sagte ich.

Der Tod und die Unsinkbare

Frühling 2006. Es war nicht die beste Zeit in meinem Leben und erst recht nicht das beste Wetter, um sich mit meinem Freund, dem Tod, zu einer Dampferfahrt zu verabreden. Es nieselte leicht, und irgendwie bereute ich schon, ihm zugesagt zu haben. Allerdings hatte ich es ihm dank seiner unnachahmlichen Art auch nicht abschlagen können, zumal er mich in letzter Zeit des Öfteren über meine privaten Probleme hinweggetröstet hatte.

Von der Brücke sah ich auf das flache Schiff hinunter, welches am Ufer festgemacht hatte. Einer der vielen Dampfer, die in Berlin die Havel, Spree und Kanäle befuhren. Ein paar Angestellte der Reederei stahlen sich an Land, um dort schnell mal eben eine Zigarette zu rauchen. Währenddessen rechnete der Kassierer ein paar ältere Damen mit hochtoupierten weißen Haaren ab, die sich aus Angst um ihre Frisur gleich im Bauch des Schiffes verschanzten. Am liebsten hätte ich mich sofort zu ihnen ins Innere des Schiffes gesellt, aber ich wusste, dass die Konversation mit meinem unsichtbaren Freund Tod mich in Gesellschaft wie einen Idioten hätte aussehen lassen, der mit sich selbst spricht.

»Dein Gemüt scheint dem Wetter angemessen«, begrüßte mich Tod, der plötzlich neben mir auf der Brücke stand. Ihm selbst schien es bestens zu gehen, seine Mundwinkel zeigten deutlich nach oben.

»Es regnet«, sagte ich.

»Das ist fein beobachtet.«

»Willst du bei dem Wetter wirklich eine Dampferfahrt machen? Ich meine … wirklich?«

Sein Grinsen erstarb. »Mit dieser Laune sicherlich nicht.«

»Wir können überallhin. Ins Warme. Die Malediven. Sansibar. Costa Rica. Was weiß ich. Und du willst eine Dampferfahrt in Berlin machen?«

»Ich wollte mir mal in Ruhe das Regierungsviertel anschauen.«

»Kannst du das nicht bei einem deiner Jobs einschieben?«

»Entgegen landläufiger Meinung sterben nicht so viele Politiker während ihrer Tätigkeit.«

»Was in der Tat sehr bedauernswert ist.«

Tod seufzte.

»Ist dir diese Dampferfahrt wirklich so wichtig?«, fragte ich, bekam aber keine Antwort.

Tod starrte in die Ferne.

»Also gut. Wenn du dich nun schon so darauf gefreut hast, sitzen wir eben im Regen an Deck von diesem Ding da unten«, ergänzte ich.

»Nein, du hast ja recht. Ist schon in Ordnung.«

Ich konnte allerdings deutlich erkennen, dass das nicht der Fall war. Irgendwas schien Tod zu beschäftigen.

»Was ist los? Stimmt irgendwas nicht?«

»Es ist … nichts. Nicht wirklich. Ich muss nur manchmal an sie … ich werde nur immer so sentimental an diesem Tag.«

»An diesem Tag? Was ist denn heute? Dein Todestag oder so was? Hast du ein Jubiläum? Hätte ich Kuchen mitbringen sollen?«

»Heute ist der 15. April, nicht wahr?«, fragte Tod.

Ich schaute auf meine Uhr. Tatsächlich war ich selbst nicht sicher. »Äh, ja. Wobei ich annehme, dass du es ganz genau weißt, wenn du schon so sentimental bist.«

»Hast du Lust, in New York etwas Seeluft zu schnuppern?«

Ich zögerte. »Als wir das letzte Mal in New York waren, hatten wir beide einen ziemlich beschissenen Tag.«

Tod grübelte. »Du meinst …«

»Ja, meine ich«, sagte ich.

Tod begann wieder zu grinsen. »Und wenn ich dir nun verspreche, dass dort, wo wir hingehen, niemand stirbt, könntest du dich dann mit der Idee arrangieren?«

»Zur Abwechslung wäre das mal nett.«

Tod fragte nicht weiter nach. Ich blickte kurz nach unten zum Dampfer, als die Umgebung anfing zu zerfließen. Der Dampfer verwischte, wie zerlaufende Farbe auf einer glatten Oberfläche, und auch die Brücke bog sich ineinander, um dann eine Pfütze am Boden der Realität zu werden. Kurz danach war mein Blick von Schwärze erfüllt. Nicht die Schwärze, die bedeutet, dass man sich in einer stockfinsteren Höhle befindet. Ich starrte schlichtweg auf eine große, schwarze Wand aus Metall.

Die leichte Übelkeit, die normalerweise mit dem Sprung einherging, ließ mich diesmal völlig kalt. Ich legte nur meinen Kopf in den Nacken und schaute nach oben, um irgendwo ein Ende dieser schwarzen Wand zu finden.

»Was zum Teufel …«, stammelte ich schließlich.

»Darf ich vorstellen: die Queen Mary 2«, sagte Tod.

Ich musste aufpassen, nicht hintenüberzufallen, so sehr verbog ich mich, um ein Ende zu sehen.

»Das ist mal ein verdammt großes Schiff«, sagte ich.

»Das größte. Obwohl … jetzt vermutlich nicht mehr«, ergänzte Tod und beugte sich selbst so, dass er alles erfassen konnte.

»Ist mir eigentlich völlig egal, ob es das größte Schiff ist oder nicht. Es ist auf jeden Fall beeindruckend. Verdammt, da passt ja glatt ein Jumbo-Jet rein.«

»Das Dorf, in dem ich damals lebte – als ich noch lebte –, hätte hier vermutlich mehrere Male reingepasst«, sagte Tod und wurde nachdenklich.

»Geht es darum?«

»Was?«, fragte Tod.

»Na, du meintest doch, dass heute irgendwas passiert wäre, was dich so sentimental werden lässt. Hat es mit deinem Dorf zu tun?«

Tod lächelte. »Nein, nein. Es hat vielmehr etwas mit einer … es hat etwas damit zu tun«, sagte er und breitete seine Arme aus.

»Mit der Queen Mary 2?«

»Mit einem wirklich großen Schiff.«

Ein Stück von uns entfernt begannen plötzlich Leute zu jubeln.

»Was ist da los?«, fragte ich.

»Das Schiff legt bald ab. Vielleicht sollten wir uns lieber an Bord begeben.«

»Lass uns doch besser von einer hohen Position zuschauen, wie es aus dem Hafen fährt. Vom Kai aus oder der anderen Uferseite. Das ist bestimmt ein toller Anblick.«

Erneut zerfloss meine Umgebung. Als sich die Umwelt wieder verfestigt hatte, standen Tod und ich auf einem Gebäude, fern von den Blicken der Menschen, die dem ablegenden Schiff zujubelten. Die Aussicht war atemberaubend. Die Türme Manhattans erhoben sich in der Ferne, und das große schwarz-weiße Schiff stach in See. Es war ein absolut phantastischer Anblick, auch wenn in der Skyline eine schmerzhafte Lücke klaffte.

»Die nennen ihre Schiffe nicht umsonst nach Königinnen«, sagte ich. »Majestätisch ist gar kein Ausdruck.«

»In der Tat. Dennoch … das ist nichts gegen den Anblick von ihr.«

Ich wunderte mich. »Ihr?«

»Die Titanic.«

»Du hast die Titanic gesehen?«, fragte ich. »Ach«, schob ich nach, »was frage ich eigentlich? Selbstverständlich hast du das. Du warst mittendrin.«

»Allerdings«, sagte Tod. »Das war eine der, sagen wir, prägnanteren Begebenheiten in meinem, nun, Dasein.«

»Gab es viele davon?«

»Wovon?«

»Prägnante Begebenheiten.«

Tod nickte versonnen. »Einige. Etliche gar, wenn man so will. Große Unglücke haben es so an sich, dass man sich an sie erinnert. Trotzdem sind es nicht unbedingt die schlimmsten Vorfälle, die mir am besten im Gedächtnis geblieben sind.«

»Was meinst du damit?«

»Nun«, sagte Tod, »das Titanic-Unglück ist sicherlich eines der bekanntesten in der Schifffahrtsgeschichte. Aber es ist weit davon entfernt, das größte Schrecknis gewesen zu sein. Es war vielmehr der Symbolcharakter, der das Ganze so bemerkenswert und erinnerungswürdig gemacht hat.«

»Und Kate Winslets nackte Brüste«, ergänzte ich.

Tod rollte mit den Augen. »Jedenfalls muss ich jedes Jahr zu dieser Zeit an sie … daran denken.« Er räusperte sich. »So, wollen wir noch irgendwo anders hin?«

»Hey, hey, hey«, sagte ich. »Du wolltest gerade von der Titanic erzählen. Nun brich nicht mitten in der Geschichte ab.«

»Ich habe dir lediglich erklären wollen, warum ich an diesem Tag immer sentimental bin. Außerdem hieltest du es für angemessen, den Tod so vieler Menschen auf die sekundären Geschlechtsmerkmale einer Schauspielerin zu reduzieren.«

»Du meine Güte, ich wollte doch nur einen Witz machen. Warum machst du dir denn gleich ins Hemd? Oder in die Kutte. Ich würde wirklich gerne wissen, was du zu erzählen hast. Falls du es erzählen willst.«

Tod sah mich prüfend an. »Können wir die Witze bezüglich eines gewissen Films auf ein Minimum beschränken?«

Ich salutierte. »Jawohl, Sir!«

Tod seufzte, setzte sich dann auf eine der Kanten des Daches und ließ die Beine herunterbaumeln. Er deutete mir mit der Hand, dass ich mich neben ihn setzen sollte. Ich folgte seiner Aufforderung, obwohl mir die Tatsache, dass sich unter uns mehrere Stockwerke bis zum Gehweg erstreckten, ein mulmiges Gefühl in der Magengegend verursachte.

Die Queen Mary 2 hatte mittlerweile Fahrt aufgenommen und war gerade dabei, den Hafen von New York City zu verlassen. Noch hatten wir sie aber gut im Blick.

»Die Titanic war nicht ganz so groß wie die Queen Mary 2«, sagte Tod. »Auch wenn viele immer noch denken, dass sie das größte Schiff aller Zeiten war. Es gibt mittlerweile einige Kreuzfahrtschiffe, die größer sind. Aber ihnen allen fehlt, was die Titanic so einzigartig gemacht hat. Nenne es Flair. Nenne es das gewisse Je ne sais quoi. Die Titanic hatte einfach Ausstrahlung.«

»Ich wäre dir übrigens sehr verbunden, wenn du die französischen Floskeln auf ein Minimum beschränken könntest«, sagte ich.

Tod ignorierte mich.

»Wie ich bereits sagte, die Titanic hatte eine gewisse Ausstrahlung. Von Anfang an. Es mag an ihrer Größe gelegen haben, aber gewiss nur zum Teil. Das da vorn«, sagte er und zeigte auf die Queen Mary 2, »ist auch ein großes Schiff, aber es versetzt die Menschen nicht annähernd in die Aufregung, die die Titanic damals auslöste. Vielleicht waren es auch die markanten vier Schornsteine, die kein anderes Schiff so hatte. Abgesehen von den Schwesterschiffen natürlich.«

»Die Titanic hatte Schwesterschiffe?«, fragte ich.

»Ja, die Olympic und die Britannic. Auf beiden war … Beide Schiffe hatten auch nicht viel Glück.«

»Irgendwie wirkst du heute etwas neben der Spur.«

»Ich sagte doch, ich bin etwas sentimental.«

»Bin mir noch nicht sicher, ob es nur das ist.«

Tod regte sich nicht.

»Inwiefern hatten die Olympic und Britannic auch nicht viel Glück?«

»Nun, die Olympic …«, setzte Tod an, unterbrach sich aber gleich selbst. »Weißt du was? Lass mich einfach in Ruhe erzählen.«

»Ist ja gut, ist ja gut«, sagte ich und schaute Tod mit übertrieben gespanntem Gesicht an.

»Wo fange ich an?«, fragte Tod rhetorisch.

»Beim Untergang?«

»Man beginnt eine Geschichte nicht mittendrin! Nein, ich hatte schon viel früher mit der Titanic zu tun. Und der Olympic.«

Wieder hing er einen Moment lang seinen Gedanken nach.

»Oder den Leuten darauf«, ergänzte er plötzlich. »Wie auch immer. Die Olympic war das erste der Schiffe, die in den Docks von Harland und Wolff in Belfast gebaut wurden.«

Ich stutzte. »Belfast? In Irland?«

»Dein Geografielehrer aus der dritten Klasse kann stolz auf dich sein.«

»Aber die Titanic war doch ein englisches Schiff, oder etwa nicht?«

»Dennoch wurde sie nicht in England gebaut. Ihre Gesellschaft, die White Star Line, hatte schon ihre anderen Schiffe in Belfast bauen lassen. Harland und Wolff war eine gut laufende Werft und die Auftragsbücher immer gefüllt. Was in diesem Zusammenhang auch für meine galt.«

»Du schaffst es immer wieder, den Tod von Menschen zu beschönigen.«

»Schlimmer muss man es ja nicht machen, oder?«

Ich nickte und deutete an, dass er weitermachen soll.

»Der Bau von Schiffen war eine dreckige, harte und vor allem gefährliche Arbeit. Immer wieder starben Menschen. Es war nichts Ungewöhnliches. Die Titanic forderte ihr erstes Opfer fast zwei Jahre vor dem eigentlichen Unglück. Ein 15-jähriger Bursche, der den Arbeitern mit den Hämmern die heißen Nieten zuwarf, rutschte auf der Sprosse einer Leiter aus und stürzte zu Tode.«

»Ein 15-Jähriger?«

»Es gab damals so wenige Bedenken gegen Arbeit von Kindern wie Sicherheitsbestimmungen.«

»Scheint so. Und was für ein bescheuerter Tod.«

Tod zuckte mit den Schultern. »Etwa zwei Monate nach dem 15-Jährigen folgte ein 19-jähriger Junge, der von der Helling fiel.«

»Der was?«, fragte ich.

»Helling. Die abfallende Fläche, von der das Schiff später zu Wasser gelassen wird.«

»Was zum Teufel ist denn Helling für ein Wort?«

»Über den Ursprung maritimer Begrifflichkeiten kann ich dir leider keine Auskunft geben, ich bin kein Linguist«, sagte Tod.

»Du bist doch derjenige von uns, der fließend alle Sprachen der Welt spricht.«

Tod schien fast die Geduld mit mir zu verlieren, jedenfalls sah er mich mit Augen an, die mir zu sagen schienen, dass ich ihm besser nicht auf die Nerven gehen sollte.

»Der dritte Tote war ein Bohrarbeiter, der unter einem umfallenden Baumstamm, der als Stütze fungieren sollte, zerquetscht wurde. Während der gesamten Bauzeit waren meine Dienste vor Ort acht Mal erforderlich.«

»Ich kann nicht glauben, dass diese Tode einfach so hingenommen wurden«, erklärte ich kopfschüttelnd.

»Es gab eine Zeit, da habe ich durchschnittlich 16 Leute beim Bau eines Schiffes geholt.«

»Das ist doch Wahnsinn!«

»Es wäre deiner Empörung wohl nicht dienlich, wenn ich erwähnte, dass die meisten Arbeiter dort weniger als zwei Pfund die Woche verdienten«, ergänzte Tod.

Ich sah ihn ungläubig an.

»Leute sind zu vielem bereit, wenn ihre Umstände nichts anderes zulassen. Im Zweifelsfall gebietet ihnen der Hunger ihrer Familie, dass sie alle Vorsicht fahrenlassen. Was würdest du denn für deinen Sohn tun, wenn er nichts zu essen hätte?«

Zugegebenermaßen musste ich darüber nicht lange nachdenken. Selbstverständlich alles, was in meiner Macht stünde. Tod schien das zu ahnen und lächelte mich wissend an.

»Die Olympic war das erste Schiff, welches fertiggestellt und zu Wasser gelassen wurde. Der ganze Stolz der Reederei, weswegen sie nur die attraktivsten Stewardessen auswählten, um dort Dienst zu tun.«

»War das eine offizielle Verlautbarung oder dein eigener subjektiver Eindruck?«

»Ich, äh …«, stammelte Tod.

»Alles klar«, sagte ich.

Tod schaute mich etwas verwirrt an, fuhr dann aber fort: »Im Juni 1911 wurde die Olympic in Dienst gestellt, als erstes Schiff einer Klasse, die nach ihr Olympic-Klasse genannt wurde.«

»Die Titanic gehörte also auch zur Olympic-Klasse?«

»Korrekt.«

»Man könnte meinen, dass die mit der Benamung irgendwas kompensieren mussten und deshalb auch die Schiffe so groß bauten, wenn du verstehst, was ich meine.«

Tod schaute mich lediglich bemitleidend an. »Ernsthaft, Martin?«, sagte er mit leicht tadelnder Stimme.

Ich deutete mit den Fingern an, dass ich meine Lippen versiegelte.

Tod setzte seine Erzählung fort. »Bis zum ersten Unglück, welches die Flotte der Olympic-Klasse heimsuchen sollte – und derer gab es viele, wie man heute weiß –, dauerte es jedoch nur wenige Monate. Das Schiff war einfach so groß, dass durch die enorme Masse ein Sog entstand, der andere Schiffe förmlich in die Olympic zog. Das Kriegsschiff Hawke wurde von diesem Sog erfasst, als die Olympic den Kreuzer überholen wollte. Mit dem Bug voran rammte die Hawke die Seite des Passagierschiffs und riss ein Loch in deren Hülle.«

»Also mit aufgerissenen Hüllen hatten es die beiden Boote wohl. Ist denn die Olympic auch gesunken?«

»Nein, sie hat es geschafft. Der Schaden durch die Hawke war zwar beträchtlich, aber sie ging nicht unter. Allerdings verzögerten sich durch die Reparatur die Bauarbeiten an der Titanic. Man könnte meinen, dass dies einer der ersten Gründe für ihren Untergang war.«

»Was meinst du damit?«

»Nun, hätten die Bauarbeiten nicht länger gedauert, wäre die Titanic vielleicht an diesem Abend nicht an dieser Stelle im Atlantik gewesen. Sie hätte nicht den Eisberg gerammt und wäre nicht gesunken.«

Ich nickte. »Wie viele Leute kamen bei dem Unglück der Olympic ums Leben?«

»Das ist das Faszinierende. Nicht einer.«

»Nicht einer?«

»Die Olympic hatte einen beträchtlichen Schaden, und der Bug der Hawke war praktisch nicht mehr vorhanden, aber sie schafften es beide aus eigener Kraft zurück in den Hafen.«

»Ich verstehe nicht ganz. Wenn da keiner gestorben ist, warum warst du dann da?«

Tods Augen weiteten sich. »Ich … äh …«

»Und versuche dich jetzt nicht damit rauszureden, dass immer irgendwo einer stirbt. Damals starb keiner, wie du gerade sagtest, und hier im Moment auch nicht.«

»Woher willst du das …«

Ich unterbrach ihn. »Red nicht um den heißen Brei herum. Raus damit!«

»Vielleicht war ich einfach von den Schiffen fasziniert«, sagte Tod in der Hoffnung, ich würde nicht weiter nachhaken. Aber ich hatte bereits eine Ahnung.

»Wenn ich mal raten dürfte«, setzte ich an, »hatte es vielleicht etwas mit den attraktiven Stewardessen zu tun, die an Bord der Olympic waren?«

Tod schwieg.

»Und wenn ich noch weiter raten darf, würde ich davon ausgehen, dass es sich um eine ganz bestimmte Stewardess handelte.«

Ich verschränkte die Arme und sah ihn herausfordernd an. Tod schien einen Augenblick zu überlegen.

»Wie kommst du zu diesem Schluss?«, fragte er endlich.

»Du bist schon den ganzen Tag so merkwürdig. Und einige deiner Kommentare deuteten das schon an. Wer war sie?«

Tod seufzte. »Ihr Name war Violet.«

»Hab ich’s doch gewusst. Seit wann warst du in sie verliebt?«

»Verliebt?« Tod lachte. »Nein.«

»Nun sei doch einfach mal ehrlich. Wenn du extra da gewesen bist, wo sie zu dem Zeitpunkt war, warst du schon ein wenig in sie verliebt, oder?«

»Na gut, vielleicht ein bisschen«, gab Tod zu. »Aber ich würde es vielmehr als Schwärmerei bezeichnen.«

»Es ist völlig egal, wie du das bezeichnest. Du warst verliebt. Ich finde das toll! Hätte ich dir auf deine alten Tage gar nicht zugetraut!«

»Auch ich habe menschliche Empfindungen.«

»Darüber kann man sich streiten«, meinte ich. »Aber die Tatsache, dass du verliebt gewesen bist, macht dich wirklich etwas menschlicher.«

Tod schnaubte beleidigt.

»Nun erzähl schon«, hakte ich nach. »Wer war sie? Was hat sie gemacht? Wie sah sie aus?«

»Sie … sie war schön«, sagte Tod. Und redete nicht weiter.

»Ja, schön und gut, aber wenn du nicht wie einer dieser billigen Schmökerschreiber rüberkommen willst, dann solltest du sie vielleicht noch etwas näher beschreiben. Auch charakterlich.«

Tod seufzte. »Sie hatte strahlend blaue Augen und dickes, kastanienbraunes Haar, welches sie entweder um den Kopf gebunden oder hochgesteckt trug. So wie es zu der Zeit eben in Mode war.«

»Weiter.«