America on Fire - Elizabeth Hinton - E-Book
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America on Fire E-Book

Elizabeth Hinton

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Beschreibung

»Der unverzichtbare Bericht einer brillanten Historikerin.« Jill Lepore

Der Protest gegen strukturellen Rassismus gehört nicht erst seit der Black-Lives-Matter-Bewegung, seit den Toden von Breonna Taylor, George Floyd und vielen anderen zum alltäglichen Straßenbild in den USA. Er ist, wie die Historikerin Elizabeth Hinton in ihrem Buch nachweist, auch nicht als jeweils spontaner Ausbruch von verzweifelter Wut und Gewalt zu verstehen.

Mit erzählerischer Wucht und anhand erstmals erschlossener Quellen vollzieht »America on Fire« nach, wie die Rebellion Schwarzer Communitys seit den 1960er-Jahren nahezu ununterbrochen gegen ein System gewaltsamer Unterdrückung ankämpft.

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ZUMBUCH

Der Protest gegen strukturellen Rassismus gehört nicht erst seit der Black-Lives-Matter-Bewegung, seit den Toden von Breonna Taylor, George Floyd und vielen anderen zum alltäglichen Straßenbild in den USA. Er ist, wie die Historikerin Elizabeth Hinton in ihrem Buch nachweist, auch nicht als jeweils spontaner Ausbruch von verzweifelter Wut und Gewalt zu verstehen.

Mit erzählerischer Wucht und anhand erstmals erschlossener Quellen vollzieht »America on Fire« nach, wie die Rebellion Schwarzer Communitys seit den 1960er-Jahren nahezu ununterbrochen gegen ein System gewaltsamer Unterdrückung ankämpft.

ZURAUTORIN

Elizabeth Hinton, geboren 1983 in Ann Arbor, Michigan, ist Professorin für Geschichte und African American Studies an der Yale University. Sie erforscht Diskriminierung und Ungleichheit in den Vereinigten Staaten. Mit ihrem von Kritikern und Kollegen hochgelobten ersten Buch, »From the War on Poverty to the War on Crime«, etablierte sie sich 2016 als eine der maßgeblichen Stimmen, die institutionellen Rassismus mit neuen Ansätzen hinterfragen und erklären. Sie setzt sich für Reformen des US-Justiz- und Polizeiwesens sowie gegen die Todesstrafe ein. Hinton lebt mit ihrer Familie in New Haven, Connecticut.

ELIZABETHHINTON

AMERICA

ON

FIRE

Rassismus, Polizeigewalt und die

Schwarze Rebellion seit den 1960ern

Aus dem Englischen

von Heike Schlatterer und Werner Roller

Blessing

Originaltitel: AMERICA ON FIRE – The Untold History of

Police Violence and Black Rebellion Since the 1960s

Originalverlag: Liveright, W.W. Norton & Company, New York

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Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2021 by Elizabeth Hinton

Copyright © 2021 by Karl Blessing Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Bauer+Möhring, Berlin,

nach einem Entwurf von Steve Attardo

Umschlagfotos: Foto oben: Jack Garofalo/Paris Match

via Getty Images; Foto unten: Hearst;

Foto Rückseite: Robert Cohen/St. Louis Post Dispatch/Polaris/laif

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-27591-4V002

www.blessing-verlag.de

Der Schauplatz des Aufstands in Louisville, Kentucky, 27. Mai 1968. (AP/picture alliance)

Für James Matthews, Leon Mebane, Willie Grimes,

Charles Scott, Arthur McDuffie,

Timothy Thomas und ihre Familien.

Inhalt

Einleitung

Erster Teil

Ursprung

1

Der Kreislauf

2

Die Projects

3

Die Bürgerwehren

4

Die Heckenschützen

5

Der vergiftete Baum

6

Die Schulen

7

Die Kommissionen

Zweiter Teil

Vermächtnisse

8

Das System

9

Der Plan

10

Die Reformen

Schluss

Dank

Chronik Schwarzer Rebellionen

Anmerkungen

Einleitung

An einem kalten Montag Anfang Februar setzten sich Joseph McNeil, Franklin McCain, Ezell Blair jr. und David Richmond an eine nur für Weiße bestimmte Imbisstheke des Woolworth-Kaufhauses in Greensboro im US-Bundesstaat North Carolina. Ein Kellner weigerte sich, die jungen Männer zu bedienen, und empfahl ihnen, eine Mahlzeit zum Mitnehmen zu bestellen. Die vier Studenten der North Carolina A&T State University blieben vor der Theke sitzen. Der Geschäftsführer erschien und forderte sie zum Gehen auf. Sie rührten sich immer noch nicht. Ein Polizist traf ein und unternahm Einschüchterungsversuche, indem er seinen Schlagstock in die Handfläche klatschen ließ. Der Geschäftsführer wollte den Verstoß gegen die Jim-Crow-Gesetze zur Rassentrennung nicht dulden und schloss das Lokal für den Rest des Tages. Am Dienstag kamen zwei Dutzend Schwarze* Studenten. Über 50 Schwarze und drei weiße Studenten beteiligten sich am darauffolgenden Tag, am Mittwoch, dem 3. Februar 1960, an einem Sit-in.

Die Nachricht von der Protestaktion verbreitete sich, und schon bald hatte sich die Sit-in-Bewegung auf 55 Städte und 13 Bundesstaaten ausgedehnt. Im April beteiligten sich mehr als 50 000 Studenten an den Aktionen. Die Sit-in-Bewegung, ausschließlich von jungen Leuten erdacht und organisiert, führte letztlich zur Gründung des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC), das von Aktivisten wie John Lewis und Stokely Carmichael betrieben wurde. Der an der Fisk University eingeschriebene Lewis beteiligte sich an den Sit-ins in Nashville, Tennessee, und sollte später die Freedom Rides im Sommer 1961 dirigieren und beim Marsch auf Washington 1963 als Redner auftreten. Carmichael schloss sich der Sit-in-Bewegung im Highschool-Alter an und sollte später, bei einer SNCC-Kundgebung in Greenwood, Mississippi, die berühmte Forderung nach »Black Power« vortragen. Gemeinsam mit Zehntausenden anderen jungen Schwarzen Amerikanerinnen und Amerikanern signalisierten Lewis und Carmichael, dass ihre Generation bereit war, für Freiheit und Gleichberechtigung ihr Leben zu riskieren. Seit der Aktion in Greensboro verstärkten die Sit-ins die Schubkraft und den Zulauf der Bürgerrechtsbewegung.1

Die Studenten von Greensboro engagierten sich für einen gewaltlosen Protest, der vollständige Integration, das Wahlrecht, gleiche Bildungs- und Berufschancen, Schutz vor dem Terror der White-Supremacy-Anhänger, also der weißen Vorherrschaft, und ein Ende der Polizeigewalt forderte. Das waren die Hauptziele der Bürgerrechtsbewegung in einem umfassenderen Sinn. Gegen Ende des Jahrzehnts protestierten Schwarze Studenten der North Carolina A&T State University immer noch, aber jetzt zerstörten sie fremdes Eigentum und griffen Polizisten an, schossen auf Beamte und töteten sie bisweilen in Notwehr. Nachdem Schwarze Schüler der James B. Dudley High School in Greensboro im Mai 1969 bei einer Serie von Protesten gegen willkürliche Disziplinarmaßnahmen von der Polizei verhaftet, misshandelt und mit Tränengas beschossen worden waren, kamen A&T-Studenten den Teenagern zu Hilfe. Die Zusammenstöße zwischen der örtlichen Polizei und Schwarzen Schülern und College-Studenten veranlassten die Behörden dazu, die Nationalgarde auf den A&T-Campus zu holen, was eine Welle der Gewalt und Repressionen auslöste, die erst mit der Tötung von Willie Grimes endete, einem Studenten im zweiten Studienjahr.

Greensboro, eine entscheidende Zwischenstation auf dem Weg zum Bürgerrechtsgesetz (Civil Rights Act) von 1964 und dem Wahlrechtsgesetz (Voting Rights Act) von 1965, war Ende jenes Jahrzehnts ein Ort, an dem es immer wieder zu Gewaltakten kam. Und in dieser Hinsicht stand er keineswegs allein da. Die Vereinigten Staaten erlebten in den Jahren von 1964 bis 1972, aber ganz besonders in der Zeit von 1968 bis 1972, eine Phase der Gewalt in einem Ausmaß, wie es seit dem Bürgerkrieg nicht mehr vorgekommen war. Jedes größere Stadtzentrum des Landes brannte während dieser acht Jahre. Gewalt flammte nicht nur in archetypischen Ghettos – zu denen etwa Harlem und Watts zählten – und in Städten mit Schwarzer Bevölkerungsmehrheit wie Detroit und Washington auf, sondern auch in Greensboro in North Carolina oder in Gary, Indiana, und in Seattle im Bundesstaat Washington und in zahllosen weiteren Orten im ganzen Land – in jeder Stadt, gleich welcher Größe, in der Schwarze Bewohner unter segregierten und ungleichen Wohnverhältnissen litten. Im Norden und im Süden, im Osten und im Westen, im Rust Belt und im Sun Belt warfen Schwarze Menschen mit Steinen und Flaschen nach Polizisten, schossen mit Gewehren auf sie, zertrümmerten Fensterscheiben von Geschäften und Institutionen, warfen Brandbomben und plünderten Läden. Diese Ereignisse – wir bezeichnen sie üblicherweise als »Krawalle« oder »Ausschreitungen« (»riots«), links der Mitte stehende Menschen mitunter als »innere Unruhen« – verursachten Sachschäden im Wert von mehreren Hundert Millionen Dollar. Unmittelbare Auswirkungen hatten sie auf das Leben der Ladenbesitzer, deren Geschäfte zerstört wurden, auf das der Eltern, die ihre Teenager-Söhne durch Polizeikugeln verloren, und auf das der Feuerwehrleute und Polizisten, die verletzt oder getötet wurden. Aber seit jenen Tagen haben alle Amerikanerinnen und Amerikaner in einer Nation und nationalen Kultur gelebt, die teilweise durch die extreme Gewalt der 1960er- und frühen 1970er-Jahre geschaffen wurden.

Die Nachbeben jener Ära haben zeitweise die Form von Massengewalt angenommen, zu deren Zeugen alle Bewohner des Landes geworden sind: in Miami 1980, in Los Angeles 1992, in Cincinnati 2001 und in den letzten Jahren in Ferguson, in Baltimore und in Minneapolis. Die anhaltende Wirkung der Gewalt der 1960er- und 1970er-Jahre bekamen Schwarze Menschen in den amerikanischen Städten häufiger und schärfer zu spüren. Sie sahen sich mit einer neuen Polizeipraxis konfrontiert, die unter dem Banner eines »Krieges gegen das Verbrechen« (»War on Crime«) firmierte. Dazu zählten routinemäßige Personenkontrollen (»stop and frisk«), die die Würde der Menschen verletzten, die Auflösung von Gemeindeversammlungen, die Präsenz von bewaffneten und uniformierten Polizisten in den Gängen von unzureichend ausgestatteten öffentlichen Schulen und weitere Maßnahmen dieser Art. Solche Strategien erleichterten zwar die Unterdrückung von massenhaft ausgeübter Gewalt als regelmäßig auftretendem Phänomen, machten aber ironischerweise weitere »Krawalle« unausweichlich. Und diese Strategien werden bis zum heutigen Tag weiterverfolgt.

Masseninhaftierung ist eine der Folgen des drakonischen Polizeiethos, das sich in Reaktion auf die Massengewalt herausbildete. Eine weitere Konsequenz zeigt sich in einem Sprachgebrauch und in einer Ausdrucksweise, hinter denen sich eine tiefer verwurzelte Wirklichkeit verbirgt. Ein zentrales Argument dieses Buches ist, dass der Ausdruck »Krawall« eine falsche Bezeichnung darstellt. Politsprech, mediale Berichterstattung und ein großer Teil der wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema trugen dazu bei, dass sich die amerikanische Bevölkerung daran gewöhnt hat, diese Momente der Massengewalt – von Harlem 1964 bis zu Minneapolis 2020 – im günstigsten Fall als irregeleitet und schlimmstenfalls als sinnlos oder irrational wahrzunehmen. In beiden Fällen werden Ereignisse dieser Art oft als bar jeder politischen Motivation und als inhaltsleer gesehen. Verständnisvolle Liberale haben vielleicht damals angenommen, dass der Zorn und die Unzufriedenheit, die hinter der Gewalt steckten, berechtigt seien, und sie tun das heute noch. Doch sie kamen auch oft zu dem Schluss, dass die Ausschreitungen ein pathologischer Impuls seien und in spontanen, nicht beherrschbaren Emotionen wurzelten. Unter diesem Gesichtspunkt waren die »Krawalle« letztlich kontraproduktiv: Die Gewalt schrecke nur Verbündete ab und verstärke die gegen die Schwarze Bevölkerung gerichtete Stimmung. Befürworter von »Law and Order«, also Recht und Ordnung, aus dem gesamten politischen Spektrum sind im Gegensatz dazu der Ansicht, dass »Krawalle« ausschließlich als von Massenkriminalität bestimmte Ereignisse zu bewerten seien.

Präsident Lyndon B. Johnson machte sich bei seiner Reaktion auf die ersten »Krawalle« in den Städten in den 1960er-Jahren die letztere Sichtweise zu eigen. »Die Krawalle sind – ebenso wie andere Probleme mit Kriminalität und Jugenddelinquenz in unseren Städten – eng miteinander verbunden«, erklärte Johnson anlässlich der Veröffentlichung eines FBI-Berichts über die Welle der Gewalt in acht Städten im Sommer des Jahres 1964. »Jeder Krawall begann mit einem einzelnen Vorfall und wurde durch Rabauken und Gewohnheitsverbrecher verschlimmert«, fügte er hinzu. Drei Jahre später und inmitten einer Phase beispielloser Gewalt in Detroit, die letztlich zu mehr als 40 Toten, 1000 Verletzten, mindestens 7200 Verhaftungen und zur Zerstörung Hunderter von Gebäuden führte, sagte Johnson 1967 in einer landesweit übertragenen Fernsehansprache: »Es gibt kein amerikanisches Recht auf die Plünderung von Geschäften oder das Niederbrennen von Gebäuden oder auf Gewehrschüsse von Hausdächern herunter. Das sind Verbrechen.«2

Die 1960er-Jahre produzierten ein Bild von »Krawallen« als grundsätzlich von Schwarzen ausgehenden Vorfällen. Doch historisch gesehen sind die meisten Fälle von Massenkriminalität von weißen Bürgerwehren verübt worden, die sich gegen jede Art von Integration wandten und sich zu wütenden Mobs zusammenrotteten, um das »Recht« in die eigenen Hände zu nehmen, oft mit Unterstützung der örtlichen Polizei. Die Jim-Crow-Ära wurde von Krawallen geprägt. Ein nicht weniger als 5000 Personen zählender Lynchmob, viele davon von außerhalb angereist, fiel im August 1908 über die Schwarzen Bewohner von Springfield, Illinois, her, zerstörte wahllos Geschäfte von Schwarzen, vertrieb Schwarze Familien aus ihren Häusern und ermordete zwei Schwarze Männer. Mobs ließen 1917 in East St. Louis bei einem der blutigsten Krawalle des 20. Jahrhunderts Schwarzen Fabrikarbeitern, die für die Kriegsproduktion eingestellt worden waren, und ihren Familien nur noch die Wahl, bei lebendigem Leib verbrannt oder erschossen zu werden.3 Die massenhaft von White-Supremacy-Verfechtern ausgeübte Gewalt eskalierte, als viele Schwarze Migranten während des Ersten Weltkriegs und in den Nachkriegsjahren auf der Suche nach besseren Lebenschancen, nach Sicherheit vor dem weißen Mob und dem Terror der Rassentrennung in den Südstaaten flohen – um ihm dann im Norden, im Mittleren Westen und im Westen des Landes erneut zu begegnen. Die von weißen Bürgerwehren ausgehende Gewalt reglementierte das Leben der Schwarzen Bevölkerung und deren Zugang zu Arbeitsplätzen und Freizeitmöglichkeiten, zum Wahlrecht und zum gesamten politischen Leben.

Im Verlauf des »Red Summer« von 1919 machten Schwarze Amerikaner – unter ihnen viele Veteranen des Ersten Weltkriegs – von ihrem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch. Weiße und Schwarze Stadtbewohner bekämpften und töteten einander auf den Straßen von Chicago und Washington. Andernorts kam es zu erneuten Massakern an der Schwarzen Bevölkerung. In der ländlichen Community von Phillips County in Arkansas, in der sich Schwarze Kleinbauern gewerkschaftlich zu organisieren versuchten, ermordeten weiße »Notstandsaufgebote« (»emergency posses«) mindestens 200 Schwarze Mitbürgerinnen und Mitbürger. Zu weiteren rund 200 Morden sollte es zwei Jahre später bei einem Massaker in Tulsa kommen, verübt von etwa 2000 weißen Männern, von denen einige mit dem Auftrag abgeordnet wurden, diverse Gräueltaten gegen die Gemeinde Black Greenwood zu begehen, und das mit voller Rückendeckung der County-Verwaltung. In großen Städten des Landes kam es während des Zweiten Weltkriegs erneut zu »Rassenkrawallen«. Der schlimmste davon ereignete sich 1943 in Detroit, wo Truppen der Bundesregierung die Straßenschlachten in der Stadt unter Kontrolle bringen sollten.4

Erst als die Ausschreitungen in den Städten des Landes nicht mehr von Weißen auszugehen schienen und als von Schwarzen ausgeübte kollektive Gewalt gegen ausbeuterische und unterdrückerische Institutionen sichtbar wurde, setzte die Wahrnehmung von »Krawallen« als ausschließlich kriminellen und völlig sinnlosen Handlungen ein. »Law and Order« entwickelte sich zur vorherrschenden Reaktionsweise des weißen Establishments. Während die Polizei nach und nach die Funktionen übernahm, die zuvor der weiße Mob ausfüllte, wurde der Handlungsrahmen für die Gewalt in den Städten geschaffen.

Aus der Sicht von Präsident Johnson und anderen waren Ausschreitungen und Verbrechen zwei Symptome ein und derselben Krankheit in den Schwarzen Communitys – und beide konnten nur mit mehr Polizei behandelt werden. »Diese Krawalle waren in jedem einzelnen Fall ein Symptom einer Krankheit im Zentrum unserer Städte«, stellte die McCone-Kommission in ihrem im Dezember 1965 veröffentlichten Bericht über den Aufstand in Watts fest, der sich im August jenes Jahres in Los Angeles entwickelt hatte. Edmond G. »Pat« Brown, der Gouverneur von Kalifornien, hatte die Kommission acht Tage nach dem Abklingen der Gewalt berufen, mit der Untersuchung des »Krawalls« beauftragt und den ehemaligen CIA-Direktor John A. McCone zu ihrem Vorsitzenden ernannt. Wie schon Daniel Patrick Moynihan in seinem Bericht The Negro Family: The Case for National Action vom März 1965 geschlussfolgert hatte, benannte die Kommission Schwarze Familien als Ursache der »Krankheit« – Familien, die »in Auflösung begriffen« seien und eine »Spirale des Scheiterns« für ihre Kinder in Gang setzen würden, die sie zu einem Leben in Kriminalität und Abhängigkeit von der Sozialfürsorge verurteile. »Im Herzen der Städte, wo sie [Negroes]** sich zusammenballen, haben Recht und Ordnung nur wenig Macht; die Lebensbedingungen sind oft randständig; Untätigkeit führt zu Verzweiflung, und schließlich sorgt massenhaft ausgeübte Gewalt für einen Augenblick der Entlastung von den Missständen.«5 Es sei das Gesindel im Ghetto, das die Gewalt schüre, lautete die Theorie: die Kriminellen, die jungen Leute, die ungelernten Berufslosen und die Arbeitslosen. Sie seien Brandstifter und Plünderer auf der Suche nach dem kurzen Nervenkitzel, mit dem sie aus ihrem öden Alltag ausbrechen könnten. Diagnosen dieser Art konzentrierten sich auf die persönliche und die Gruppen-Pathologie – einen Bezugsrahmen, den Regierungsbehörden nur selten für die Untersuchung des weißen Terrorismus nutzten – und rechtfertigten die Entscheidung der Legislative, die Polizei zur Bewältigung des Aufruhrs einzusetzen.

Diese Sichtweisen sind kein Konstrukt der Vergangenheit; sie sind in unserer Gesellschaft nach wie vor stark präsent. Aber die Diagnose war damals schon falsch, und sie ist es auch heute noch. Die sogenannten Krawalle in den Städten seit den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart sind nur angemessen zu verstehen, wenn man sie als Rebellion deutet. Diese Ereignisse standen nicht für eine Welle der Kriminalität, sondern für einen dauerhaften Aufruhr. Die Gewalt war eine Reaktion auf Augenblicke des spürbaren Rassismus – in Johnsons Sprachgebrauch »einzelne Vorfälle« –, die fast immer auf eine Begegnung mit der Polizei zurückgingen. Doch die Zehntausende von Schwarzen Amerikanern, die sich an dieser kollektiv ausgeübten Gewalt beteiligten, rebellierten nicht nur gegen die Brutalität der Polizei. Sie wehrten sich gegen ein umfassenderes System, das auf fest verankerten ungleichen Lebensbedingungen und seit Generationen anhaltender Gewalt gegen Schwarze beruhte. Johnson und viele andere Vertreter des Staates verwarfen – in der Überzeugung, dass der Aufruhr ein Angriff auf bestehende amerikanische Institutionen sei und nicht etwa ein dringender Appell, an ebendiesen beteiligt zu werden – die Möglichkeit, dass die »Rabauken«, die da »randalierten«, die meisten, wenn nicht sogar alle Kritikpunkte teilten, die von den Collegestudenten zu Beginn der Sit-in-Bewegung in Greensboro vorgebracht wurden.

Einige Wissenschaftler, die die Reaktionen der Schwarzen Communitys auf die Programme zur Verbrechensbekämpfung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts untersuchten, brachten unlängst vor, dass Schwarze Amerikaner mehr Polizisten auf den Straßen, in den Schulen und im Wohnumfeld gefordert hatten. Aber die Geschichte der Schwarzen Rebellion fügt der Erzählung der »Schwarzen schweigenden Mehrheit« noch eine weitere, dynamische Ebene und eine ganze Reihe von Akteuren hinzu.6 Einige Segmente der Schwarzen Mittelschicht, führende Politiker und Kirchenvertreter mögen sich dem lautstarken Ruf nach »Law and Order« angeschlossen haben, doch andere Schwarze – viele tauchen in den Archiven der traditionellen Bürgerrechtsorganisationen gar nicht auf, und viele waren zum Wählen noch zu jung – stemmten sich kollektiv gegen die behördliche Verbrechensbekämpfung, die ihre Communitys ins Visier nahm. Die gewaltsame Wende, die der Protest der Schwarzen nahm, wurde oft von Schwarzen Pfarrern angeführt und über Schwarze Kirchengemeinden aufrechterhalten, die historisch gesehen für den Erfolg der Freiheitsbewegung von entscheidender Bedeutung waren. Viele führende Vertreter der Schwarzen nutzten in der Zeit nach der Bürgerrechtsbewegung sowohl die drohende wie auch die tatsächlich ausgeübte kollektive Gewalt, um strukturelle Veränderungen zu fordern und sich für die gemeinschaftliche Selbstverwaltung von Ressourcen in Schwarzen Communitys einzusetzen.

Während die Black Panther Party, die Black Liberation Army, der Weather Underground und andere revolutionäre Gruppen sich die Zerstörung des Kapitalismus und den Sturz der Regierung als Ziel gesetzt hatten, strebte der in den Communitys verwurzelte Schwarze Widerstand nach Wiedergutmachung vonseiten der Behörden. Diese sollte in Form von Arbeitsplätzen, Wohnungen, Schulbildung und Durchsetzung des Rechtsstaats erfolgen, außerdem wurde eine Neuordnung des Status quo angestrebt, in der Schwarze an ihren Wohnorten und in ihrem eigenen Land nicht mehr als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse behandelt werden sollten. Jene sehr bekannten radikalen Organisationen werden oft als einzige Quelle politischer Gewalt während dieses Zeitraums betrachtet, und diese Annahme hat den Blick dafür verstellt, dass die umfassenderen, anhaltenden und in den Communitys verwurzelten Aufstände eine zwar ähnliche, aber letztlich andere, eigene Art von politischer Gewalt darstellten. Die Rebellion führte dem Land vor Augen, dass die Bürgerrechtsreformen Mitte der 1960er-Jahre, die Programme zur Chancengleichheit und Selbsthilfe im Rahmen des »Krieges gegen die Armut« (»War on Poverty«) oder beharrlicher gewaltloser Protest nicht dazu geeignet waren, das Problem der Ungleichheit zwischen den Ethnien mit seinen zahllosen Erscheinungsformen und Konsequenzen zu lösen. Etwas anderes war vonnöten.

Johnson selbst räumte in ebenjener Rede im Juli 1967 über den Aufstand in Detroit ein, dass »die einzige langfristig wirksame Lösung für das, was geschehen ist, darin liegt, auf allen Ebenen gegen die Bedingungen anzukämpfen, die Verzweiflung und Gewalt erzeugen«.7 Die Wortwahl des Präsidenten deutete darauf hin, dass er soziale Programme als Mittel für ein solches Vorgehen bevorzugte, aber in der Praxis setzte er zunehmend auf die Polizeiarbeit als kurzfristige Antwort auf die Rebellion. Konservative Kräfte hatten während der gesamten Nachkriegszeit eine harte Reaktion der Polizei auf Schwarze Proteste befürwortet. Doch in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre unterstützten auch viele Liberale Johnsons ähnlich geartete Haltung – parallel zur Verabschiedung von Bürgerrechtsgesetzen und neuen Programmen für Berufsausbildung, Förderunterricht und ehrenamtliche und staatliche Gemeinwesenarbeit (Community Action) –, während die Aufstände intensiver verliefen und häufiger wurden. Johnson und andere Liberale, fixiert auf die »Krawalle«, fragten sich niemals ernsthaft, ob der ein Jahr nach dem »Krieg gegen die Armut« begonnene »Krieg gegen das Verbrechen« die Gewalt nicht vielleicht noch verschlimmert hatte. Stattdessen hielten sie die Ausweitung des Polizeiapparats – Überwachung und militarisierte Polizei in nichtweißen Gemeinden sowie die zunehmende Professionalisierung von Polizisten durch Ausbildung und Technik – für die beste Strategie zur Regelung von »Rassenbeziehungen«. Eine kurzfristige Lösung wurde zur langfristigen Realität.

Die Entscheidung, auf die Rebellionen mit mehr Polizei zu reagieren, war keine ausgemachte Sache. Sargent Shriver, der erste Direktor des Office of Economic Opportunity, schrieb im Frühjahr 1968 in einem Memo an Präsident Johnson: »Ich kann die Krawalle trotz aller Destruktivität nur als schrecklichen Aufruf verstehen. Die Negroes wollen den gleichberechtigten Zugang zu den Früchten der bürgerschaftlichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – die Chance, sich ihr Schicksal zu verdienen und es selbst zu bestimmen.« Shrivers Feststellung und die daraus abgeleiteten Hilfsmittel wurden einem landesweiten Publikum durch Johnsons eigenes Beratungsgremium bekannt gemacht, die National Advisory Commission on Civil Disorders, allgemein als Kerner-Kommission bekannt. Die Kommission schlug eine bis dahin nicht verfolgte Alternative zur Eskalation der Polizeiarbeit und der allgemein ausschließlich an Strafverfolgung orientierten Politik vor. In ihrem am 29. Februar 1968 veröffentlichten Abschlussbericht (der sich in einer günstigen Taschenbuchausgabe zum Bestseller entwickelte) warnte die Kommission die Politiker in Washington und die ganze Nation, dass ohne massive Investitionen in arme Schwarze Communitys die sich dort entwickelnden Aufstände und »weiße Vergeltung« die Ungleichheit zwischen den ethnischen Gruppen als dauerhaftes Merkmal fest im amerikanischen Alltagsleben verankern würden.8

Die Bundespolitiker in Washington beherzigten die Warnungen von Politikern wie Shriver und den Mitgliedern der Kerner-Kommission nicht. Sie hörten auch den Bewohnern der aufständischen Communitys nicht ernsthaft zu, die Politikern, Reportern und Wissenschaftlern erläuterten, wie Aufstände in Zukunft verhindert werden könnten. Die Reaktion beruhte weder auf einem Versehen, noch war sie ein blinder Fleck – man wusste um die Alternativen. Aber immer wieder aufs Neue entschied man sich für eine Politik, die bestenfalls aussichtslos und schlimmstenfalls hochgradig schädlich war.

Der Höhepunkt der Gewalt schien vom Sommer 1967 bis zu den insgesamt 137 Vorfällen anzudauern, die auf die Ermordung von Martin Luther King im April 1968 folgten. Im öffentlichen Gedächtnis spielen diese Vorfälle nach 1968 dann auch keine Rolle mehr, obwohl es noch jahrelang regelmäßig zu Aufständen kam. Zwischen Mai 1968 und Dezember 1972 erlebten rund 960 segregierte Schwarze Communitys quer durch die Vereinigten Staaten nicht weniger als 1951 einzelne Aufstände – die weitaus meisten davon entwickelten sich in mittelgroßen und kleineren Städten, die Journalisten damals und Wissenschaftler seitdem nur allzu oft übersahen. Die meisten Gewaltausbrüche, an denen Schwarze Bürgerinnen und Bürger beteiligt waren, entzündeten sich als Reaktion auf polizeiliche Eingriffe ins ganz gewöhnliche Alltagsleben. Im Lauf von vier Jahren wurden fast 40 000 Menschen festgenommen, mehr als 10 000 wurden verletzt, und mindestens 220 Personen wurden getötet. Diese Zahlen berücksichtigen noch nicht die Hunderte von Gefängnisaufständen in jener Zeit einschließlich der Proteste, die auf die Tötung der revolutionären Ikone George Jackson durch Gefängniswärter im Zuchthaus San Quentin im August 1971 und auf den Aufstand im Attica State Prison folgten, der nur wenige Wochen später landesweites Aufsehen erregte.9

Noch weniger in Erinnerung geblieben als diese zweite Welle der Aufstände von Schwarzen sind die Amerikaner mexikanischer Herkunft und die Puerto Ricaner, die in ihrem Kampf für Gleichberechtigung, für die Verbesserung ungleicher Lebensbedingungen und gegen einen wachsenden Apparat zur Verbrechensbekämpfung ebenfalls auf Gewalt zurückgriffen. Dieses Buch konzentriert sich zwar in erster Linie auf die politische Gewalt in segregierten Schwarzen Communitys, aber nach Kings Ermordung kam es auch zu mindestens 200 Aufständen, die von Amerikanern lateinamerikanischer Herkunft ausgingen. Die Mehrzahl davon entwickelte sich in puerto-ricanischen Gemeinden im Nordosten des Landes (21 waren es allein in New Jersey), die oft auf eine Art und Weise als Schwarz wahrgenommen und behandelt wurden, wie dies zum Beispiel Amerikanern mexikanischer Herkunft nicht widerfuhr.10

Dieses weitgehend in Vergessenheit geratene Feuer – die geworfenen Steine, die gelegten Brände, die zertrümmerten Fensterscheiben –, das mehr als 1000 Schwarze, mexikanisch-amerikanische und puerto-ricanische Communitys erschütterte, wurde nach dem Inkrafttreten von Johnsons Omnibus Crime Control and Safe Streets Act zur Verbrechensbekämpfung im Juni 1968 entfacht. Johnson hatte im März 1965 zum »War on Crime« aufgerufen – eine Woche, nachdem er dem Kongress das Wahlrechtsgesetz zur Abstimmung zugeleitet hatte. Der »Krieg« bestand aus einer bis dahin beispiellosen Investition in die örtliche Polizeiarbeit. Während die Vereinigten Staaten in Vietnam Krieg führten, schufen politische Entscheidungsträger ein System, das Waffen und Ausrüstung aus Militärbeständen an Polizeibehörden in den Kommunen verteilte, die dort bei der Niederwerfung des politischen Radikalismus und der Schwarzen Aufstände eingesetzt werden sollten.

Die Stadtverwaltungen machten sich die erstmals verfügbaren Ressourcen, die sie der Bundesregierung verdankten, in vollem Umfang zunutze. Vom Beginn des »War on Crime« im Jahr 1965 bis zum Inkrafttreten des Safe Streets Act 1968 förderte die Bundesregierung 359 Einzelprogramme zur Modernisierung von Polizeibehörden mit einer Gesamtsumme von 20,6 Millionen Dollar. Ausbildung in der Aufstandsbekämpfung, militärische Waffen wie die Sturmgewehre des Typs AR15 und M4, Stahlhelme, Schlagstöcke, Masken, gepanzerte Fahrzeuge, Funkgeräte, Tränengas – diese und weitere Techniken, Waffen und Ausrüstungsgegenstände gelangten überall in den Vereinigten Staaten in die Städte, auch in die kleineren. Die Bundesregierung finanzierte außerdem noch eine Handvoll kostengünstiger Initiativen für die Zusammenarbeit von Polizei und Communitys. Die Polizeibehörde von Los Angeles, die sich immer noch von den Unruhen in Watts 1965 erholte, erhielt zwei Jahre später die zweithöchsten Zuwendungen überhaupt und als Zugabe noch einen Hubschrauber.11 Die Polizei sollte als Johnsons »vorderste Verteidigungslinie« darauf vorbereitet sein, dem Feind im eigenen Land entgegenzutreten.

Schwarze Communitys waren schon seit Langem gezielten Überwachungsmaßnahmen unterworfen gewesen, es gab häufige Zusammenstöße mit der Polizei, Massenverhaftungen, rechtswidrige Durchsuchungen und offene Brutalität. Doch nach dem Inkrafttreten des Safe Streets Acts, das offiziell den »War on Crime« einläutete, sollten es die Bewohner segregierter, armer Wohnviertel in Großstädten wie New York, mittelgroßen Städten wie Phoenix und Kleinstädten wie Waterloo, Iowa, mit Polizeipatrouillen zu tun bekommen, die über ein veritables Waffenarsenal verfügten. Das Gesetz von 1968, mit dem weitere 400 Millionen Dollar (nach heutiger Kaufkraft: rund drei Milliarden Dollar) für die Verbrechensbekämpfung bereitgestellt wurden, ermöglichte es den Stadtverwaltungen, diejenigen Viertel, die dem Aufruhr zugeneigt schienen, mit Polizisten zu überschwemmen. Die Bundespolitik bewilligte bis zum Jahr 1970 rund 40 Millionen Dollar (nach heutigem Kurs: 300 Millionen Dollar) für militärische Ausrüstung, die den örtlichen Polizeibehörden zur Verfügung gestellt wurde.12

Die Bilder von Nationalgardisten im Einsatz in Los Angeles 1965, in Detroit und Newark 1967 und in Washington 1968 ließen diese Aufstände ganz besonders spektakulär erscheinen. Doch die Verabschiedung des Safe Streets Act ermöglichte es den Polizeibehörden, gegen Unruhen ganz nach eigenem Ermessen vorzugehen. Es war jetzt nicht mehr nötig, die Nationalgarde zu Hilfe zu rufen, wenn ein paar Hundert Jugendliche die Polizei mit Steinen und Flaschen bewarfen und die Scheiben von Streifenwagen einschlugen.

Dieses neue Selbstvertrauen erklärt auch, warum die späteren Momente des Aufruhrs in den Jahren von 1968 bis 1972 übersehen worden sind: Sie blieben oft örtlich begrenzt und waren nur von lokalem Interesse. Herkömmliche Darstellungen dieser Zeit konzentrieren sich hauptsächlich auf landesweite Entwicklungen und wichtige städtische Ballungsräume, vor allem auf die Metropolen an der Ostküste. Doch blickt man auf die weniger bekannten Städte, in denen es häufiger zu Aufständen kam, im Landesinneren, in den kleineren, im Niedergang befindlichen Industriestädten und im urbanen Süden, versteht man die gesellschaftlichen Beziehungen in Amerika und die Konturen von Rassismus und Ungleichheit besser.13

Die kritische Zeit des Aufruhrs Ende der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre ist nicht deshalb wichtig, weil sie vergessen worden ist. Sie ist wichtig, weil sie, obwohl dem Vergessen anheimgefallen, Freiheitskämpfe, staatliche Unterdrückung und Gewalt in von Schwarzen bewohnten Stadtgebieten Amerikas bis in unsere heutige Zeit hinein definiert hat.

Die Aufstände gegen Ende der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre wurden im Großen und Ganzen von jungen Leuten angeführt, die im Highschool-Alter, mitunter sogar erst zehn oder zwölf Jahre alt waren. Die vier Studenten der North Carolina A&T, mit deren Aktion die Sit-ins in Greensboro begannen, waren in diesem Sinn ihre Vorgänger. Doch den aufständischen jungen Leuten in den späten 1960er-Jahren galten ihre Vorgänger als gescheitert. Sie blickten auf den Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung zurück, und sie betrachteten zugleich ihre aktuellen Lebensbedingungen, sahen die Polizei, die sie von der anderen Seite des Parks aus beobachtete, und sie rebellierten.

Die Langlebigkeit der Schwarzen Rebellion Ende der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre bis in die Gegenwart hinein zwingt uns, die Errungenschaften der Sit-ins und der Bürgerrechtsbewegung insgesamt zu überdenken. Die sogenannte Second Reconstruction, die die Verwirklichung der nicht eingelösten Versprechen des Bürgerkriegs und seiner Folgen anstrebte, sollte die Öffnung der amerikanischen Gesellschaft herbeiführen und die Erweiterung der vollständigen Bürgerrechte auf all diejenigen bringen, denen sie so lange verweigert worden waren. Sie sicherte den Schwarzen Amerikanern das Recht darauf, eine Schuldbildung zu erhalten, in jedem Laden einzukaufen, in jedem Restaurant zu essen und zu wählen. Sie machte den offenkundigen, eklatanten Rassismus im öffentlichen Diskurs inakzeptabel und ermöglichte die Entstehung einer Schwarzen Mittelschicht. Aber die Errungenschaften dieser Bewegung sicherten die Grundbedürfnisse der meisten Schwarzen Amerikanerinnen und Amerikaner nicht vollständig und gerieten rasch in Konflikt mit dem »War on Crime« und dessen neuen Programmen sozialer Kontrolle. Reverend Charles Koen, ein prominenter Aktivist, der in Cairo, Illinois, die Politik der bewaffneten Selbstverteidigung und der kommunalen Selbstverwaltung predigte, drückte es so aus: »Das Wahlrecht konnte man nicht essen oder zu Kleidung und Wohnraum verarbeiten.«14 Koen und viele andere Schwarze reagierten darauf nicht mit noch mehr Gewaltlosigkeit, sondern mit Gewalt.

Koen und die heranwachsende Generation, die die Aufstände in segregierten städtischen Communitys anführte, hatten noch als Kinder miterlebt, wie sich die Bürgerrechtsbewegung entwickelte, und standen jetzt, in der Ära von Black Power, an der Schwelle zum Erwachsenenalter. Besonders die Black Panthers lieferten ein neues Drehbuch für den Widerstand.15 »Pig«, der beleidigende Ausdruck, den die Black Panthers für Polizisten benutzten, wurde bei Aufständen wie auch im Alltagsleben häufig gebrüllt oder gemurmelt. Die Schwarze Populärkultur hatte Trotz gegenüber der Polizei lange Zeit als heldenhaft empfunden. Martin Luther King und andere Helden der Bürgerrechtsbewegung machten diesen Trotz zu einer legitimen Verhaltensweise, aber die Black Panthers und andere militante Gruppen unterstützten eine gewalttätige Feindseligkeit gegenüber der Polizei zumindest unter jungen Schwarzen Amerikanern und anderen nichtweißen Bevölkerungsgruppen.

Es mag mitunter schwerfallen, sich die Kinder und Jugendlichen, die Steine auf Polizisten warfen oder Geschäfte plünderten, als politisch handelnde Personen vorzustellen, und diese Voreingenommenheit hat die Geschichtsschreibung zu dieser Ära beeinflusst. Selbst Wissenschaftler und Aktivisten, die sich auf den Widerstand gegen systematischen Rassismus konzentrieren, zögerten, als es darum ging, das politische Wesen der Schwarzen Rebellion ernst zu nehmen. Das liegt zum Teil daran, dass die Aufständischen ihre Absichten selten in Manifeste oder dramatische Reden fassten. Aber kollektives Handeln sollte als politisch verstanden werden, sobald es einen direkten Einfluss auf die Interessen der Regierung hat.16 Neben gewaltlosem Aktivismus –jener altehrwürdigen Tradition, die bis zu Gandhi und anderen Persönlichkeiten zurückreicht – gab der gewaltsame Aufstand den nichtweißen Bevölkerungsgruppen ein Mittel an die Hand, mit dem sie angesichts von Ausbeutung, politischem Ausschluss und Kriminalisierung ihre kollektive Solidarität bekunden konnten. Beide Traditionen bieten heute noch den Bewegungen für Gleichberechtigung zwischen den Ethnien eine Grundlage. Doch die gewalttätigen Bedingungen, die die Lebenswelt der Schwarzen geprägt haben, machten gewaltsame Reaktionen und die Politik, die hinter ihnen stand, unvermeidlich.

Dieses Buch konzentriert sich auf die Menschen, die sich selbst an gewalttätigen politischen Aufständen beteiligten, und nimmt deren Groll ernst. Der erste Teil dreht sich um die – von 1968 bis 1972 dauernde – kritische Zeit der Aufstände. Er will den größtenteils vergessenen Widerstand gegen die Eskalation der Polizeimacht während der Anfangsjahre des »War on Crime« beleuchten und die Entwicklung des Schwarzen Protests in der Phase unmittelbar nach der Bürgerrechtsbewegung hervorheben. Die Kapitel dieses ersten Teils, angesiedelt in kleineren Städten, die im Kampf um Gleichberechtigung zwischen den Ethnien oft übersehen werden, untersuchen vorherrschende Muster der Polizeigewalt und der Aufstände von Schwarzen, die Politik der weißen Vorherrschaft und der Schwarzen Selbstverteidigung und die Wohnbezirke und öffentlichen Schulen, in und an denen es besonders häufig zu Aufständen kam. Dieser Teil stützt sich sehr stark auf die Unterlagen des Lemberg Center for the Study of Violence, das unmittelbar nach der Ermordung von Präsident John F. Kennedy gegründet wurde. Das Center sammelte Berichte von Lokalblättern, führte Interviews mit Bewohnern der Stadtviertel, in denen es zu Unruhen kam, und analysierte verschiedene Datenbestände aus den Jahren 1967 bis 1973. Diese Dokumente – zuvor für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und heute nur für eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern freigegeben – bilden eine der Hauptquellen des Buches. Der erste Teil schließt mit einer Darstellung der gescheiterten Versuche von Politikern und Behördenvertretern, die Ursachen der Gewaltausbrüche, zu denen es im ganzen Land kam, zu erklären und sie anzugehen.

Der zweite Teil spürt dem Erbe dieser kritischen Jahre in jenen Momenten von massenhaft ausgeübter politischer Gewalt nach, die wir in den letzten 40 Jahren vor dem Fernseher verfolgen konnten: in Miami 1980, in Los Angeles 1992 und in Cincinnati 2001. Jeder dieser Aufstände wurde durch einen Fall von Polizeigewalt ausgelöst. Und jeder zeitigte Rufe nach mehr »Law and Order«. In jedem Fall trat eine stark militarisierte Polizei Bewohnern gegenüber, die sich gegen ein System umfassender Unterdrückung wehrten. Betrachtet man diese Gewaltausbrüche im Kontext früherer Aufstände, erscheinen sie in einem anderen Licht, nämlich als Beispiele für historische Trends, die gegen Ende der 1960er-Jahre einsetzten. Auch die Unterschiede zwischen dieser späteren Ära und der Zeit Ende der Sechziger- und zu Beginn der Siebzigerjahre sind lehrreich. Da wäre etwa das wahrhaft beispiellose Ausmaß der jüngsten Gewaltausbrüche, besonders in Miami und Los Angeles. Der größte Unterschied besteht jedoch darin, dass sich diese späteren Aufstände als Reaktion auf außergewöhnliche Fälle von Polizeigewalt entwickelten, und das heißt: auf Tötungsdelikte der Polizei. Es gibt keine Aufstände gegen alltägliche Vorgehensweisen der Polizei mehr, was als Zeichen dafür gelten kann, dass der Status quo mittlerweile akzeptiert wird, wenn auch nur mit Verbitterung. Zumindest in diesem Sinn haben die nationalen und örtlichen Behörden den »Krieg gegen Kriminalität« gewonnen.

Die Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Epochen sind sogar noch aufschlussreicher. Die Geschichte der Schwarzen Aufstände zeigt über die Regionen und die Jahrzehnte hinweg eine grundlegende Gegebenheit auf: Die Polizeigewalt ruft die Gewalt durch die Community hervor. Diese Tatsache entging Politikern ebenso wie vielen beratenden Wissenschaftlern damals, und sie ignorieren sie auch heute noch. Die Behörden haben Steuermilliarden in den »War on Crime«, den »War on Drugs« und in das Strafvollzugssystem gepumpt. Die politische Führung ging damit jedoch nicht die grundlegenden Ursachen an, sondern kriminalisierte ganze Communitys noch zusätzlich und sorgte dafür, dass sich die Rebellion fortsetzte.

Die Schwarze Rebellion hat ganz bestimmt eine Zukunft; sie hat außerdem eine lange Geschichte. Ein gewaltsamer Aufstand der Schwarzen war eine unter der weißen Bevölkerung jahrhundertelang weit verbreitete Furcht. Sklavenbesitzer wurden von der Angst umgetrieben, ihr menschliches Eigentum könnte flüchten oder Gruppen versklavter Afrikaner könnten blutige Rache an ihren weißen Herren nehmen. Sklavenpatrouillen, Amerikas erstes System organisierter, von Zivilisten ausgeübter polizeilicher Gewalt, hatten den Auftrag, potenzielle Aufstände durch Überfälle auf Sklavenunterkünfte, die Auflösung von Versammlungen und Patrouillengänge auf Plantagen und in Städten und Dörfern zu unterdrücken.17 Hier entstand die der amerikanischen Polizeiarbeit zugrunde liegende Logik: die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung durch die Überwachung und soziale Kontrolle von Menschen nichtweißer Hautfarbe.

Versklavte Afrikanerinnen und Afrikaner hatten nach dem Geist und Wortlaut der Unabhängigkeitserklärung ein Recht auf Widerstand gegen die Kräfte, die sie in Ketten hielten. Thomas Jefferson, ihr Hauptautor, zeigte sich einsichtig: »Ich zittere in der Tat um mein Land, wenn ich daran denke, dass Gott gerecht ist, dass seine Gerechtigkeit nicht ewig schlummern kann.« Jefferson stellte in seinen 1781 veröffentlichten Betrachtungen über den Staat Virginia außerdem fest, dass »eine Umkehrung der Situation in den Bereich des Möglichen gehört«, bei der »der Geist des Herren allmählich verschwindet, der des Sklaven sich aus dem Staub erhebt«. Er hoffte »unter dem Schutze des Himmels« auf eine »völlige Emanzipation, die auf geordnete Weise mit Zustimmung der Herren durchgeführt werden wird und nicht durch deren Vernichtung«.18

Der Aufstand der Schwarzen war eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, eine Bedrohung, die fortbestehen würde, solange staatliche Gewalt für die Aufrechterhaltung der Hierarchie zwischen den Ethnien eingesetzt wurde. Lyndon Johnson lieferte rund 180 Jahre später eine Paraphrase von Jeffersons Worten, als er die »Krawalle«, die auf die Ermordung von Martin Luther King folgten, so kommentierte: »Was haben Sie erwartet? Ich weiß nicht, warum wir so überrascht sind. Wenn man einem Menschen den Fuß in den Nacken setzt, ihn dreihundert Jahre lang am Boden hält und dann aufstehen lässt, was wird er wohl tun? Er wird Hackfleisch aus Ihnen machen.«19 Die Hierarchie der Ethnien, Ungleichheit und Gewalt zählen zu den ältesten US-amerikanischen Geschichten. Jetzt folgt der neuste Akt einer Saga, die bis zu den Anfängen dieses Landes zurückreicht.

*   Entsprechend der Wortwahl und Schreibweise der Autorin steht in dieser Ausgabe Schwarz analog zu Black, wenn nicht aus historischen Quellen zitiert wird, mit großem Anfangsbuchstaben, womit Menschen jenseits der Bezeichnung einer Hautfarbe als von einem spezifischen Rassismus Betroffene beschrieben werden sollen.

**   Bis Mitte der 1960er-Jahre galt Negro/Negroes als in der Mehrheitsgesellschaft übliche Bezeichung für Schwarze US-Amerikaner, die auch von den so Bezeichneten selbst gegenüber anderen Begriffen wie »Farbige« favorisiert wurde (siehe z.B. S. 179). Ab etwa 1966 verlor sie – auch unter dem Eindruck des von Stokely Carmichael vorgetragenen Konzepts der »Black Power« – an Akzeptanz. In dieser Ausgabe wird sie, um dem historischen Kontext Rechung zu tragen, beibehalten.

Erster Teil

Ursprung

1

Der Kreislauf

Junge Männer werfen am Nachmittag des 7. Juli 1970, dem dritten Tag des Aufstands in Asbury Park, New Jersey, Steine auf die Polizei, während diese vorrückt, um die Menge zu zerstreuen. (Bettmann Archive/Getty Images)

Die Bewohner von Carver Ranches hatten keine Bürgersteige, keine Hydranten und auch keine Kanalisation. Doch sie hatten Polizisten, die auf den Straßen ihres Wohnviertels patrouillierten. Schwarze Amerikaner aus Miami und Schwarze Migranten von den Bahamas hatten die Gemeinde Ende der 1940er-Jahre auf einer Fläche von rund 120 Hektar in Broward County, Florida, gegründet und sie nach dem gefeierten Wissenschaftler George Washington Carver benannt. Teenager der ersten Generation von Carver-Ranches-Bewohnern standen an einem Samstagabend im August 1969 gegen Mitternacht noch auf der Straße, als ein Deputy Sheriff der Polizei von Broward County vorbeifuhr. Einer der Jugendlichen warf einen Stein auf den Streifenwagen. Dieser kleine Akt der Auflehnung provozierte eine unverhältnismäßige und gewalttätige Gegenreaktion. Der Deputy hielt an, stieg aus, stellte den Steinewerfer, packte ihn am Hemd und bugsierte ihn auf den Rücksitz seines Streifenwagens. Die Freunde des Jungen wollten nicht zulassen, dass er wegen eines ebenso spontanen wie geringfügigen Vergehens von der County-Polizei mitgenommen wurde. Sie öffneten die Wagentür und zogen ihn heraus, doch der Deputy beförderte ihn wieder zurück. Nach mehrmaliger Wiederholung dieses Vorgangs setzten sich die Jugendlichen durch, und der Steinewerfer verschwand in der rasch anwachsenden Menschenmenge, die dieses Schauspiel beobachtete. Der Deputy Sheriff forderte angesichts der Überzahl Verstärkung an. Als diese aus drei benachbarten Polizeiwachen anrückte, gab irgendjemand fünf Schüsse auf die Polizisten ab. Niemand wurde getroffen. Der Sheriff bezeichnete den Vorfall später als »Vorstufe eines Krawalls« (»near riot«).20

Aufstände entwickelten sich Ende der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre meist, wenn Polizeibeamte sich – oft gewaltsam – in ganz gewöhnliche Alltagsaktivitäten einmischten, wenn eine Gruppe von Kindern oder Jugendlichen tat, was man in diesem Alter eben tut. Aufstände brachen aus, wenn Polizisten offenbar ohne jeden Grund präsent waren oder wenn die Polizei in Angelegenheiten eingriff, die intern geregelt werden konnten – wie Streitigkeiten unter Freunden oder Familienmitgliedern. Aufstände begannen, wenn die Polizei gesetzliche Bestimmungen durchsetzte, die in weißen Wohngebieten so gut wie nie Anwendung fanden, etwa Vorschriften zu Versammlungen von einer bestimmten Größe oder zum Verhalten einer »verdächtigen Person«. Zu Gewaltausbrüchen kam es auch, wenn Polizisten es versäumten, Anwohnern das übliche Entgegenkommen zu erweisen, das Weißen wie selbstverständlich zuteilwurde – wenn sie etwa weißen Teenagern gestatteten, in einem Park Alkohol zu trinken, aber US-amerikanische Teenager mexikanischer Herkunft für dasselbe Verhalten verhafteten. »Wenn sie uns einfach nur in Ruhe ließen, würde es auch keinen Ärger geben«, sagte ein Schwarzer Teenager-Junge, der sich während eines Aufstands in Decatur, Illinois, im August 1969 als Steinewerfer betätigt hatte. Seine Lösung war eine unmittelbare Reaktion auf das Offensichtliche. Ein Aufstand war jederzeit möglich, wenn das Alltagsleben polizeilich überwacht wurde, und oft genügte schon der bloße Anblick von Polizisten – die einen potenziell verhaften, schlagen oder sogar töten konnten –, um eine gewalttätige Reaktion auszulösen. Zahllose Beispiele für scheinbar willkürliche oder unnötig aggressive Interventionen vonseiten der Polizei führten in ihrer Häufung zu Frustrationen und lösten vorbeugende gewalttätige Reaktionen aus.

Das war »der Kreislauf«: das wiederkehrende Muster von übereifriger Polizeiarbeit und Aufstand, von Polizeigewalt und Einwohnergewalt, ein prägender Faktor des städtischen Lebens in segregierten und armen Wohnvierteln von Schwarzen und von US-Amerikanern mexikanischer und puerto-ricanischer Herkunft Ende der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre. Der Kreislauf entwickelte sich in Städten im ganzen Land, oft auch in kleineren Bezirken, die in den herkömmlichen Darstellungen zu dieser Epoche gar nicht erst auftauchen. Aber genau diesen mutmaßlich zweitrangigen Städten prägte sich der »War on Crime« am dauerhaftesten auf, und er legte die Grundsteine für den Gefängnisstaat. Jeder Aufstand hatte zwar seine eigenen Ursachen und auch seine eigenen Akteure, aber das eigentlich Bemerkenswerte sind die Gemeinsamkeiten.

Die außergewöhnlichen Momente kollektiver Gewalt, zu denen es zwischen der Verabschiedung des Bürgerrechtsgesetzes im Jahr 1964 und der Ermordung von Martin Luther King im Jahr 1968 kam, wurden sämtlich von Polizisten ausgelöst, die Schwarze Menschen verhafteten. Der Aufstand in Harlem von 1964 war der Vorläufer, eine sechs Abende andauernde Revolte, die ausbrach, nachdem ein New Yorker Polizist einen 15 Jahre alten Schwarzen Jungen getötet hatte. Zwei Wochen nach der Verabschiedung des bahnbrechenden Bürgerrechtsgesetzes sorgte Harlem für den Beginn des »langen heißen Sommers« von Lyndon B. Johnsons Präsidentschaft. Watts 1965 und Newark 1967 jedoch flammten jeweils als Reaktion auf die Verhaftung eines Schwarzen Autofahrers auf. Eine Polizeirazzia gegen eine illegale Kneipe in Detroit in jenem Jahr gipfelte dann in einem Gewaltausbruch, den Johnson als den »schlimmsten in unserer Geschichte« bezeichnete. Nach der Ermordung Kings am 4. April explodierte die Gewalt dann im Frühling 1968 in mehr als 100 weiteren Städten. Das kollektive Leid, der Zorn und die Ernüchterung, die auf Kings Tod folgten, markierten einen Wendepunkt für den Mainstream der Bürgerrechtsbewegung und seine Betonung der Gewaltlosigkeit – einer Strategie, der es nicht gelungen war, ihren präsentesten Befürworter vor den gewalttätigen Kräften des Rassismus zu schützen, und die, jedenfalls nach Ansicht vieler Menschen, nicht dazu taugte, den Schwarzen Amerikanern wahre Freiheit zu verschaffen. Eldridge Cleaver, eine der führenden Persönlichkeiten der Black Panthers, schrieb kurz nach dem Mordanschlag in seinem Artikel »Requiem for Nonviolence«, Kings Ermordung sei »eine endgültige Zurückweisung jeder Hoffnung auf Versöhnung vonseiten des weißen Amerika, jeder Hoffnung auf Veränderung durch friedliche und gewaltlose Mittel«. Für Cleaver war der einzige Weg für Schwarze Amerikaner, »die Dinge zu bekommen, auf die sie ein Anrecht haben und die sie verdienen, Feuer mit Feuer zu begegnen«.21

Die King-Aufstände stellten auch für die Polizeiarbeit einen Wendepunkt dar. An Kings Todestag mobilisierte Johnson Truppen der Bundesregierung in der Hauptstadt des Landes und kurz darauf in Chicago, Baltimore und Kansas City. »Ich weiß nicht, wie wir diese Sache regeln«, räumte Johnson etwa zwei Wochen nach dem Beginn der Unruhen in einem Telefonat mit dem Chicagoer Bürgermeister Richard Daley ein. »Aber eines weiß ich: Wir müssen sie mit voller Kraft und aller Härte anpacken.« Johnson war der Ansicht, dass der aggressive Einsatz – von insgesamt mehr als 20 000 Soldaten – dafür gesorgt hatte, dass das Land nach der größten Welle gewalttätiger innerer Unruhen seit dem Bürgerkrieg »in einigermaßen gutem Zustand« war.22 Bis zum Aufstand von Los Angeles 1992 sollte dies das letzte Mal sein, dass Truppen der Bundesregierung aufgeboten wurden, um Aufstände von Schwarzen zu unterdrücken. Die Pause war nicht von Besorgnis wegen der Bürgerrechte von Amerikanerinnen und Amerikanern motiviert, sondern das Ergebnis einer Professionalisierung der Polizei, eines Prozesses, der unter Johnson einsetzte, dessen Regierung Ausbildungsprogramme zur Aufstandsbekämpfung einrichtete und örtliche Polizeikräfte mit militärischen Waffen ausrüstete.

Das polizeiliche Vorgehen gegen Alltagsdelikte hatte bereits früher in den 1960er-Jahren Aufstände ausgelöst: das Auseinandertreiben einer Menschenmenge in Omaha im Juli 1966; die Verhaftung eines Schwarzen Schnapshändlers in einem Park in Kansas City 1967 und die zwangsweise Beendigung von Auseinandersetzungen zwischen Schwarzen Teenagern in Minneapolis und Sacramento im gleichen Jahr. Aber nach Kings Ermordung wurden Polizisten zu Infanteristen mit einem umfassenderen Auftrag – dem »Krieg gegen Kriminalität« –, und dafür standen größere Ressourcen und mehr Männer zur Verfügung als jemals zuvor. Die Mittelzuweisungen für lokale Polizeikräfte aus dem Bundeshaushalt stiegen von null im Jahr 1964 auf zehn Millionen Dollar 1965, 20,6 Millionen waren es 1966, 63 Millionen 1968, 100 Millionen 1969, und 1970 war man bei 300 Millionen Dollar angelangt – eine Zunahme um 2900 Prozent innerhalb von fünf Jahren.23 Johnsons Omnibus Crime Control and Safe Streets Act von 1968 befeuerte die Einrichtung und landesweite Verteilung eines Arsenals zur Aufstandsbekämpfung, und die Verwaltungen und Polizeikräfte kleinerer Städte – diejenigen, die nicht zu den anfänglichen Nutznießern zählten, den großen Ballungsräumen mit einem hohen Schwarzen Bevölkerungsanteil wie etwa Washington, Detroit und Los Angeles – fühlten sich ermutigt. Der Safe Streets Act, der Schlussstein von Johnsons Great Society, brach mit den bisherigen 200 Jahren amerikanischer Geschichte und wies der Bundesregierung eine direkte Beteiligung beim Polizeivollzugsdienst und bei der Strafgerichtsbarkeit auf bundesstaatlicher und örtlicher Ebene zu. Es war die Expansion der Polizeitätigkeit als Reaktion auf die Gewaltausbrüche der 1960er-Jahre, die die Abwärtsspirale bis in kleinere Orte wie Carver Ranches und Decatur hinein in Gang setzte.

Präsident Johnsons neue nationale Strategie beruhte auf der Prämisse, Aufstände zu verhindern, bevor sie offen ausbrachen, und potenzielle Randalierer oder Kriminelle vorab zu identifizieren und festzunehmen. »Mehr Polizeistreifen können ein effektives, sichtbares Abschreckungsmittel gegen das Verbrechen darstellen«, lautete die Annahme von Vertretern des Washingtoner Justizministeriums. »Mehr Polizeistreifen führen außerdem zu mehr und schnelleren Festnahmen, was Straftäter ausschaltet, Fluchtmöglichkeiten verringert und so der Abschreckung dient.«24 Die »mit voller Kraft und aller Härte« bewirkte Verhinderung von Aufständen wurde immer mehr zur vorherrschenden Strategie für die Bekämpfung von Unruhen, obwohl mit dieser Methode immer wieder aufs Neue das angestrebte Ziel verfehlt wurde.

Die nationale Strategie war tonangebend für die Vorgehensweise auch an den Orten, die keine Geldmittel der Bundesregierung erhielten. Die Polizeiarbeit in den Schwarzen Communitys im ganzen Land wurde aggressiver und auffälliger. Die Polizei behauptete oft, auf einen Hinweis reagiert zu haben, was die Zeitungen später in erster Linie berichteten, um das Vorgehen der Polizisten und ihre Präsenz in der Community zu rechtfertigen. Der Steinewerfer von Decatur schätzte das anders ein: »Die Polizei kommt nur hierher, um Ärger zu machen.«25 Was zählte, war, dass die Polizei plötzlich da war. Und nach der Einschätzung des Steinewerfers und seiner Freunde und ähnlich gesinnter Jugendlicher in anderen Städten war die Wahrscheinlichkeit, dass sie Schaden anrichtete, größer als die, dass sie Schutz bot. Die Menschen, die es häufig mit der Polizei zu tun bekamen, weigerten sich, deren Anweisungen zu befolgen, warfen Steine und sprangen Polizisten auf den Rücken, um Festnahmen zu verhindern.

Einzelne Polizisten oder eine kleine Polizeieinheit standen auf verlorenem Posten, und die Beamten sahen sich zum Rückzug gezwungen, um auf Verstärkung zu warten. Die erschien dann in Gestalt von Polizisten in voller Schutzausrüstung, es kamen auch Beamte aus Nachbarstädten hinzu, State Troopers (bundesstaatliche Polizei) oder Nationalgardisten, die vom Gouverneur des Bundesstaates angefordert werden konnten, je nach Größe des Innenministeriums und Ausmaß des Aufstandes. Wenn Polizisten sich aus dem Einsatzbereich zurückzogen (und sei es nur vorübergehend), taten es ihnen manche aufrührerische Bewohner gleich, andere nahmen Ladengeschäfte und sonstige Gebäude in Angriff, schlugen bei Attacken, die einige Polizeichefs als »Überfälle« (»hit and runs«) bezeichneten, Schaufensterscheiben ein und stahlen Nahrung, Kleidung, Reifen und Stereoanlagen aus den Geschäften. Die an solchen Gewaltausbrüchen Beteiligten übertrafen die Polizisten zahlenmäßig und überlisteten sie auch oft, entwischten immer wieder, zogen sich in ihre Wohnungen zurück oder flüchteten über vertraute Gassen, Zäune und Müllcontainer. Die Polizei setzte noch mehr Männer ein. Der Aufstand ging weiter. Die Eskalation sollte oft noch einen oder zwei weitere Tage anhalten, bis die Rebellion von allein erlosch oder genug Beteiligte verhaftet worden waren, um dieselbe Wirkung zu erzielen.

Die unmittelbare Ursache für die Unruhen erschloss sich vielen Behördenvertretern nicht unbedingt mühelos. »Keine Erklärung« fand man für die Schüsse auf Polizisten, die in Carver Ranches Wochen nach dem ersten Steinewerfervorfall in Florida begannen. »Wir wissen nicht, warum das anfing«, sagte der Bürgermeister von Fort Wayne, Indiana, nach einem Aufstand. Die Polizei in Columbus, Ohio, zeigte sich »unsicher« hinsichtlich der Frage nach den Ursachen für die Revolte in der Stadt. Der Bürgermeister von Jersey City sprach von »sinnlosen, willkürlichen Gewaltakten ohne Ziel oder Bedeutung«. Die Behörden in York, Pennsylvania, wussten für einen vier Tage anhaltenden Aufstand keinen anderen Grund als: »Sie haben nichts anderes zu tun.«26 Die Vertreter von Staat und Behörden konnten der Gewalt keine Ursache oder Bedeutung beimessen. Schwarze und andere Nichtweiße, die sich an den Aufständen unmittelbar nach Kings Ermordung beteiligten, sahen sich selbst grundlos von der Polizei angegangen. Sie rebellierten, wenn die Polizei ohne offensichtlichen Grund und wie aus dem Nichts auftauchte.

Menschen, die sich, wie berichtet wurde, gegenseitig bekämpften, ließen ihre Streitigkeiten häufig ruhen, um gegen einen gemeinsamen Widersacher vorzugehen – gegen die Polizei, die ihnen in die Quere kam. Ein Dutzend Schwarzer Teenager löste im August 1968, unmittelbar vor Schuljahresbeginn, im McCulloch Recreation Center in Fort Wayne, wo Kinder und Jugendliche aus dem segregierten Südostteil der Stadt oft zusammenkamen, einen Aufstand aus. Ein Beamter des Parks Department verschaffte sich gegen 23 Uhr Zugang zu einer abendlichen Versammlung (»Es wurde eine Auseinandersetzung gemeldet«) und forderte die Gruppe auf, sich zu zerstreuen und nach Hause zu gehen. Die Jugendlichen ignorierten ihn. Sie bückten sich, lasen Steine und Schutt vom Rasen vor dem Center auf und verwendeten alles, was sie in die Finger bekamen, als Wurfgeschosse. In Indianapolis löste im Juni 1969 der Versuch zweier Polizeibeamter, eine Auseinandersetzung in den Lockefield Gardens Apartments in einem der von Schwarzen bewohnten Wohnviertel der Stadt aufzulösen, einen Aufstand aus, der zwei Tage lang andauerte. Eine Gruppe von 20 Personen griff die beiden Polizisten an und verletzte beide leicht. Einer der Beamten verlor dabei seine Waffe, seinen Schlagstock und seine Dienstmarke. Die aufrührerische Menschenmenge wuchs nach diesem ersten Zwischenfall stetig an und bewarf vorbeifahrende Autos mit Steinen. In Akron, Ohio, trafen Mitte August 1970 zwei Polizisten am Schauplatz einer Rauferei zwischen zwei Teenager-Mädchen in der Nähe eines Imbisses ein. Sie wurden von Augenzeugen des Vorfalls mit Steinen empfangen, die dann mehrere Stunden lang geworfen wurden; ein Polizist wurde getroffen.27

Wenn Polizisten anrückten, um Prügeleien zu beenden, wurden sie von den Bewohnern am Ort nicht als Friedensstifter und Beschützer wahrgenommen. Durch die Umsetzung der landesweit verfolgten Strategie zur Bekämpfung von Aufruhr nach dem Safe Streets Act von 1968 kam es sehr viel häufiger zu Kontakten zwischen Polizisten und Schwarzen Bewohnern, denn nach diesem Gesetz war die örtliche Polizei dazu angehalten, den Kontakt zu Bewohnern ausgewählter Wohngebiete zu suchen und potenzielle Straftäter oder Randalierer vorab ausfindig zu machen, bevor diese sich an Gewaltakten beteiligen konnten. Die Beamten in Fort Wayne, Indianapolis und Akron hatten bei ihrem Eingreifen vielleicht die allerbesten Absichten und hofften, weiteren Schaden abwenden zu können, indem sie sich als Vermittler betätigten. Doch die Bewohner der betroffenen Stadtviertel interessierten sich kaum für ihre Absichten. Die Geschichte und schlechte Erfahrungen hatten sie gelehrt, dass die Polizei im Allgemeinen feindselig gestimmt war und eher Schaden anrichtete – Schläge für die Bewohner (wenn nicht Schlimmeres) oder Verhaftungen und den Abtransport der Festgenommenen ins Gefängnis –, als für Frieden und Schutz zu sorgen.

Gegen Ende der 1960er-Jahre, als der »War on Crime« in vollem Gang war, wurde die Festnahme von (auch nur potenziellen) Straftätern oder (auch nur potenziellen) Randalierern zum Ziel – zum Maßstab des »Erfolgs« – der Verbrechensbekämpfung in den ausgewiesenen Wohngebieten. Erhielt die Polizei nicht gerade – wie in Fort Wayne geschehen – einen Hinweis zu einer nachbarschaftlichen Auseinandersetzung, boten Parks, in denen junge Nichtweiße zusammenkamen, eine ideale Bühne für Polizeistreifen und mögliche Festnahmen. Die Polizei in York, Pennsylvania, begann Mitte April 1968 nach einer Welle von Aufständen in anderen Städten mit der Durchsetzung einer Sperrstunde für den Stadtpark Penn Common – in Ermangelung anderer Vorwände für das Kontrollieren, Befragen und die Festnahme von Schwarzen Jugendlichen. Für diese Gruppe war der Park ein beliebter Treffpunkt, doch die Polizei wollte sie ab 22 Uhr oder noch früher dort nicht mehr sehen. Die Polizei jagte, drangsalierte und schlug junge Leute, die sich der Anordnung widersetzten. Ein Schwarzer Jugendlicher beschrieb, wie er mit seiner Freundin Anfang Juli 1968 im Park saß, als plötzlich ein Polizist auftauchte und dem jungen Pärchen mit seiner Taschenlampe ins Gesicht leuchtete. »Machen Sie das Licht aus, wir stören hier doch niemanden«, sagte der junge Mann. Der Polizist stieg aus dem Streifenwagen, mit dem Gummiknüppel in der Hand, und befahl dem Pärchen, den Park zu verlassen. Er stieß dem jungen Mann den Knüppel in den Rücken und schubste ihn damit vor sich her, während er die beiden aus dem Park eskortierte. Dieser gewalttätige Auftritt eines Polizisten löste seinerseits Gewalt aus. »Soll ich das ewig hinnehmen? Was würden Sie tun?«, fragte der Teenager einen Reporter. »Gestern Abend habe ich eine Flasche nach einem Polizisten geworfen.«28

Die Polizei von York setzte am 11. Juli, wenige Tage nach dem Vorgehen ihres Kollegen gegen das Teenager-Pärchen, die Sperrstunde durch und rückte um 21.15 Uhr aus, um etwa 50 Schwarze Kinder und Jugendliche aus Penn Common zu vertreiben. Diesmal weigerten sich die Jugendlichen, den Park zu verlassen. »Warum muss die Polizei eine Gruppe von Schwarzen auseinandertreiben?«, fragte einer von ihnen. »Was spricht gegen eine Zusammenkunft im Park?« Als die Polizei zwei Personen festnahm, flogen Steine und Flaschen. Zwölf Beamte jagten daraufhin mehrere junge Leute. Ein weiterer Polizist missachtete die Dienstvorschriften und gab mit seiner Pistole einen Warnschuss in die Luft ab, um die Verfolgten einzuschüchtern – und diese Vorgehensweise löste eine fünftägige Schlacht zwischen der Polizei und Schwarzen Bürgern der Stadt aus, die mehrheitlich noch im Teenager- und Twen-Alter waren. Ein Reporter fragte einen männlichen Teilnehmer an diesem Aufstand: »Warum bewerfen junge Schwarze Yorker die Polizisten mit Steinen und Flaschen?« Worauf der Befragte antwortete: »Warum ziehen Polizisten den Leuten Schlagstöcke über die Schädel?«29 Der Kreislauf schien deutlich genug erkennbar zu sein, zumindest für diesen jungen Mann.

Junge Schwarze Teenager vergnügten sich in Decatur, Illinois, auf einem Straßenstück, das seit 1964 für diesen Zweck genutzt worden war, mit Drag-Rennen. Wenn solche Rennen im Sommer abgehalten wurden, versammelten sie sich im nahe gelegenen Mueller Park. Weiße Teenager trugen ihre Rennen unbehelligt auf einem Boulevard im nördlichen Teil der Stadt aus, aber die Polizei kam regelmäßig in den Park im Süden der Stadt, um die Schwarzen Teenager des Ortes zu überwachen. Im Anschluss an eine Demonstration vor einem Kaufhaus, bei der am Donnerstag, dem 7. August 1969, die Einstellung Schwarzer Arbeitskräfte gefordert worden war, beschloss die Polizei, die Schwarzen Teenager zu verhaften, die sich an jenem Abend an Rennen beteiligten. Die Polizisten seien wegen der Demonstration »wütend« gewesen, meinte einer der Jugendlichen, »also kamen sie hierher«. Die jungen Leute bewarfen die Polizisten mit Steinen, als diese auftauchten. Die Beamten setzten Tränengas ein, um sie auseinanderzutreiben, und verhafteten neun Personen. Die Teenager beschwerten sich, dass bei den Festnahmen exzessive Gewalt ausgeübt worden sei, und bereiteten sich auf eine weitere Konfrontation vor. Sie wussten, dass so etwas bevorstand. Am darauffolgenden Abend umstellten etwa 200 Menschen einen Polizisten, als der in ihrer Straße auftauchte. Sie umzingelten sein Fahrzeug mit vier Autos. Jemand warf einen Molotowcocktail auf den festsitzenden Streifenwagen, aber der Brandsatz zündete nicht. Weitere Polizisten trafen ein und feuerten Tränengas-Granaten auf die Menge ab.30

Im Roosevelt Park in Albuquerque, New Mexico, löste im Juni 1971 die Verhaftung von 15 mexikanisch-amerikanischen Teenagern wegen gesetzeswidrigen Alkoholkonsums einen 30 Stunden andauernden Gewaltausbruch aus, einen Aufstand, der erst durch den Einsatz der Nationalgarde beendet wurde. Etwa 500 junge Leute hatten sich in dem Park versammelt, als die Polizei eintraf. Nach der Darstellung von Richard Moore, dem »Justizminister« der Black Berets, einer militanten mexikanisch-amerikanischen Gruppe, begann die Polizei, »starken Druck auszuüben, und einige der Jungs hatten genug«. Die Black Berets führten die Demonstranten in einem Protestmarsch vom Roosevelt Park zum Polizeipräsidium, um dort über die Freilassung der 15 jungen Leute zu verhandeln, wobei einige der Beteiligten unterwegs Steine warfen und Schaufenster zertrümmerten. Die Aktivisten erreichten die Freilassung der Verdächtigen »gegen Kautionsversprechen«, doch als sie gemeinsam das Polizeigebäude verließen, war der Aufstand bereits in vollem Gang. Im Verlauf von nur knapp einem Tag verursachten die Aufrührer Sachschäden im Wert von drei bis fünf Millionen Dollar, und 650 Personen wurden festgenommen.31

Die Aufrührer reagierten nicht nur, wenn die Polizei ohne ersichtlichen Grund auftrat, sondern wehrten sich auch, wenn die Ordnungshüter ihre elementarste gesetzliche Vollmacht ausübten und Verhaftungen vornahmen. Bürger von Baltimore forderten die Staatsmacht mit Entschlossenheit heraus und störten Polizisten Ende Juni 1968 bei drei verschiedenen Anlässen inmitten von Verhaftungen – zwei Monate nach dem einwöchigen Aufruhr, der auf die Ermordung Martin Luther Kings gefolgt war. Als ein Polizist am 19. Juni im Zentrum des von Schwarzen bewohnten Stadtteils Upton einen jungen Mann zu verhaften versuchte, kratzte ihn eine Frau am linken Arm und entriss ihm seine Uhr. Der Polizist besprühte die Frau und andere Umstehende mit Reizgas, und die Menschen, die sich am Schauplatz des Vorfalls versammelt hatten, gingen weg. Keine Woche danach packte ein 15-jähriger Junge den Arm eines Polizisten während einer Festnahme wegen ordnungswidrigen Verhaltens und verhalf dem Verdächtigen so zur Flucht. Der Polizist schlug den Jungen und nahm stattdessen ihn in Gewahrsam.32

Am darauffolgenden Abend beschimpften zwei Dutzend Teenager die Polizisten Paul Karaskavicz und Norman Stamp, als sie gegen 23.30 Uhr im Stadtteil Reservoir Hill drei Personen festzunehmen versuchten, die des Einbruchdiebstahls beschuldigt wurden. Ein 13-jähriges Mädchen sprang auf Stamps Rücken und zwang ihn, zwei der Verdächtigen loszulassen. Die Männer entkamen, und Stamp packte das Mädchen, das ihn trat, kratzte und biss. Es gelang ihm schließlich, der Angreiferin Handschellen anzulegen, aber plötzlich attackierte ihn deren 14-jähriger Bruder von hinten. Nach einem Handgemenge wurde auch der Bruder festgenommen. Ein weiterer 14-jähriger Junge half mit, den dritten Einbruchsverdächtigen freizubekommen, indem er Karaskavicz angriff. Die Verdächtigen, alle drei junge Männer, entwischten; die Kinder, die ihnen zu Hilfe gekommen waren, wanderten ins Gefängnis.33 Diese jungen Leute sahen die Verhaftungen als Ungerechtigkeit an und waren bereit, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen und dabei ihre eigene Freiheit einzubüßen.

Der unorganisierte Feldzug zur Verhinderung von Festnahmen führte zwar nicht direkt zu einem größeren Aufruhr, aber in anderen Städten konnte bereits eine einzige Festnahme massive kollektive Gewalt auslösen, die von Hunderten von Menschen ausging. Im Stadtzentrum von Jersey City praktizierten im August 1970 etwa 500 Schwarze und puerto-ricanische Einwohner das, was die Polizei als »offenen Krieg gegen Weiße« bezeichnete, nachdem zwei Streifenpolizisten ein Fahrzeug wegen eines geringfügigen Verkehrsdelikts angehalten hatten. Wochen später löste eine sechsstündige Drogenrazzia, bei der 25 Personen festgenommen wurden, im nahe gelegenen Hoboken einen zweitägigen Aufstand aus. Der prominente 21-jährige örtliche Aktivist Luis Lopez erschien bei der Polizei, um gegen die Massenverhaftung zu protestieren, und wurde anschließend wegen »Behinderung der Polizeiarbeit« und »obszöner Ausdrucksweise« selbst festgenommen. Lopez war der Polizeibehörde von Hoboken aufgrund seiner politischen Tätigkeit bereits bekannt. Er war in jenem Monat zuvor bereits in Newark festgenommen worden, weil er eine Puerto Rican Day Parade mithilfe der Young Lords Party gestört hatte, einer Organisation, die sich auf die Grundsätze der Selbstbestimmung und des Community Empowerment für puerto-ricanische Gruppen und andere unterdrückte Völker berief. Und er war für die Besetzung (Lopez selbst bezeichnete sie als »Befreiung«) von zwei Mietshäusern in Hoboken verurteilt worden, die er und seine Anhänger unternommen hatten. Viele Menschen in der Gemeinde lehnten diese Art von Rechtspflege ab und wollten Lopez wieder in Freiheit sehen. Gegen 19.30 Uhr umlagerten 300 bis 400 »aufgebrachte Puerto Ricaner« – so beschrieb sie der Hudson Dispatch – das Rathaus und forderten Lopez’ Freilassung. Etwa 30 Personen setzten sich auf die Kreuzung von Washington Street und First Street und blockierten den Verkehr. Die Menge bewarf die Polizei mit Steinen und Flaschen und zertrümmerte Fenster in diesem Teil der Stadt.34

Lopez protestierte auch weiterhin gegen die Verhaftung von puerto-ricanischen Einwohnern in Hoboken, was ein Jahr später zu einem weiteren Aufstand führte. Alles begann mit einer zornigen Konfrontation zwischen Luis und Jaime Santana, zwei 26 und 22 Jahre alten Brüdern, und einem Ladenbesitzer, der, so stellten es die Brüder dar, ihr Fernsehgerät unter Vorspiegelung falscher Tatsachen durch Pfändung wieder in Besitz genommen hatte. Nachdem die Santana-Brüder unter dem Vorwurf eines Angriffs mit einer gefährlichen Waffe festgenommen worden waren, führte Lopez eine kleine Gruppe von Aktivisten zum Polizeipräsidium und verlangte dort die Freilassung der Gefangenen und die Suspendierung der beiden Polizisten, die bei der Festnahme, so lautete der Vorwurf, brutale Gewalt angewendet hätten. Kaum waren Lopez und seine Gruppe wieder abgezogen, erhielt die Polizei nach eigener Darstellung Anrufe, in denen berichtet wurde, dass unbekannte Personen Autofahrer und Passanten vor dem Rathaus bedrängten. Als die örtliche Polizei dort eintraf, wurde sie aus einer Gruppe von etwa 300 Personen heraus mit Blechbüchsen, Flaschen und Ziegelsteinen beworfen.35 Der Aufstand hatte begonnen. Bewohner von Jersey City und vielen anderen Städten im ganzen Land machten nach der Verabschiedung des Safe Street Acts deutlich, dass sie kampfbereit waren, wenn ihren Gemeinden der Krieg erklärt wurde.