AN DER OSTFRONT - Theo Rydmann - E-Book

AN DER OSTFRONT E-Book

Theo Rydmann

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Beschreibung

Im Alter von 75 hat Theo Rydmann (geb. 9.6.1925 in Bremen - gest. 11.12.2015 in Grünstadt/Rhein-Pfalz) seine Kriegserinnerungen niedergeschrieben. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der nach seiner Rekrutenzeit in München Anfang des Jahres 1944 an die Ostfront kam. Als Funker und Radiosonden-Mechaniker diente Theo Rydmann in der Beobachtungsabteilung 46 und beim Wetterpeilzug 529. Der Bericht schildert die Arbeitsweise der Beobachtungsabteilungen zur Gefechtsaufklärung bzw. Messung der Wetterdaten, die als "Barbara"-Meldungen an die Artillerieverbände übermittelt wurden. Infolge der russischen Großoffensive im Sommer 1944 erlitt die Heeresgruppe Mitte im Raum Witebsk eine katastrophale Niederlage. In erbitterten Rückzugskämpfen musste die deutsche Wehrmacht Schritt für Schritt den Russen weichen. Theo Rydmann erreichte als einziger seiner Einheit Warschau. In Groß Born wurde er dem neu aufgestellten Wetterpeilzug 529 zugeteilt. Nach der Einkesselung der deutschen 2. Armee im Raum Danzig wurde der WPZ auf die Halbinsel Hela verlegt. Auf einem der letzten Schiffe, die von Hela ablegten, gelangte seine Einheit nach Bornholm. Als am 9. Mai 1945 die Rote Armee auf der dänischen Insel landete, gelang es dem Autor, zusammen mit seinem Zugführer Leutnant Schurig, Hauptmann Begemann und Marineoffizier Weigel die waghalsige Flucht in einem Ruderboot über die Ostsee nach Schweden. Jahrelange russische Kriegsgefangenschaft blieb ihnen erspart.

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Seitenzahl: 177

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Vorwort

Wehrpass und Soldbuch

Tod meines Bruders Walter

Einberufungsbefehl – September 1943

Bremen im Bombenhagel

Die tückischen Stabbrandbomben

Abfahrt nach München

Rekrutenzeit in München

Aufräumarbeiten nach Bombenangriff

Erster Osteinsatz – März 1944

An der Ostfront

Stellungskämpfe um Witebsk

Feuertaufe

Versetzung zum Wetterzug

Wanzenrennen

Meteorologische Radiosonde

Verlegung nach Snitowo

Begehrte Fotoaufnahmen

Angriff der Russen im Mittelabschnitt

Rückzug

Flucht vor den Russen

Wir ergeben uns nicht!

Ankunft in Warschau

Sonderurlaub nach Bombenschaden

Fahrt in die Heimat

Bremen in Trümmern

Unsere ausgebombte Wohnung

Umzug nach Burgdamm

Neuaufstellung in Groß Born

Wetterpeilzug 529

Zweiter Osteinsatz – November 1944

Stimmung auf dem Nullpunkt

Festung Warschau

Russische Winteroffensive

Zwischenstopp in Bütow

Einsatz in Praust und Dirschau

Zuckerfabrik Praust

Einsatz in Zoppot

Flug nach Berlin

Waldemar setzt sich ab

Rückzug nach Hela

Überfahrt nach Hela

Einsatz auf Hela

Russische Angriffe auf Flüchtlingsschiffe

Abzug nach Bornholm

Die Russen kommen

Flucht in der Nacht

Die Entscheidung meines Lebens

Rudern in die Freiheit

Begegnung mit schwedischem Kriegsschiff

Ankunft in Schweden

Auf russischem Hochseeschlepper nach Dänemark

Marsch in die Heimat

Marsch durch Dänemark

Flucht aus britischem Internierungslager

Ankunft in Lübeck

Ankunft in Bremen

Epilog

Ein Blick zurück

Nachwort

Schlusswort

Text von meiner Mutter, Bremen 1945

Zum Gedenken an meinen Vater und meinen Bruder Walter

Mein Vater, Heinrich Rydmann, diente seit Oktober 1944 bei der Heimatflak in Bremen/Schwanewede. In der Endphase des Krieges wurde er noch an die Westfront versetzt und geriet dort in Gefangenschaft. Er erkrankte im amerikanischen Rheinwiesen-Kriegsgefangenenlager – ein sogenanntes Todeslager – an Ruhr und starb am 7. August 1945.

Mein Bruder Walter wurde mit 17 Jahren zum Reichsarbeitsdienst und acht Monate später zur Wehrmacht einberufen. Er starb, nicht einmal 19 Jahre alt, am 30. April 1943 in einem Lazarett in Kiew an Diphtherie.

Vorwort

Meine Soldatenzeit liegt nun schon über ein halbes Jahrhundert zurück, vielleicht hätte ich früher mit dem Schreiben beginnen sollen; aber als die Erinnerungen noch frisch waren, war an eine Beschäftigung mit der Vergangenheit nicht zu denken. Ich war froh, den Krieg überlebt zu haben, und brauchte meine ganze Kraft, um mir, zusammen mit meiner späteren Ehefrau Elfriede, eine Zukunft aufzubauen. Den Nationalsozialismus und das Trauma des unmenschlichen Krieges sowie das Wissen, Verbrechern auf den Leim gegangen zu sein, wollte ich nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches so schnell wie möglich vergessen – wie viele Millionen andere Deutsche auch. Schweigen und Verdrängen prägten die Nachkriegsjahre.

Die Jahre vergingen und die damaligen Ereignisse ließen mich nicht los. Ich fasste den Entschluss, diesen Bericht niederzuschreiben, um endlich das damalige Erlebte aufzuarbeiten. Es ist eigenartig, ich habe die Zeit meines Soldatenlebens in meinen Gedanken mental noch einmal erlebt. Viele Begebenheiten und Orte sind mir bei dieser geistigen Rückschau und beim Schreiben wieder eingefallen.

Als ich mit achtzehn Jahren zur Wehrmacht eingezogen wurde, hatten mich zehn Jahre Nationalsozialismus und Indoktrination so geprägt, dass ich mit Begeisterung in den Krieg gezogen bin. »Führer, befiehl, wir folgen!« war die Parole. Wir sahen den Krieg als Notwendigkeit, um Deutschland gegen seine Feinde und den Bolschewismus zu verteidigen, kämpften wir doch für eine gute Sache.

Es dauerte nicht lange, und wir erlebten das Grauen des Krieges. Als ich bei meinem ersten Einsatz an die Ostfront kam, war der Krieg für Deutschland fast schon verloren. Im Sommer 1944 kam es zur militärischen Katastrophe und zum Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte. Meine Einheit wurde komplett aufgerieben, und ich war auf der Flucht vor den Russen und den Partisanen, die jeden erschossen, den sie aufgriffen. Auf abenteuerliche Weise erreichte ich nach sechs Wochen Warschau.

Mein zweiter Osteinsatz begann dort, wo der erste für mich aufgehört hatte. Unser neu aufgestellter Wetterpeilzug 529 wurde in Zichenau, nördlich von Warschau stationiert. Der russische Vormarsch kam vorerst an der Weichsel zum Stehen. Auch hier hielt die Front nicht lange, und das Fiasko des Rückzuges wiederholte sich im Januar 1945 ein zweites Mal.

Nur durch das umsichtige Handeln unseres Zugführers, Leutnant Walter Schurig, war es möglich, dass unser Wetterpeilzug immer rechtzeitig vor den vorrückenden Russen an einen anderen Standort abziehen konnte. Als alles aussichtslos war, und wir schon kurz davor standen von den Russen gefangengenommen zu werden, kam unser Zugführer auf die verwegene Idee, von Bornholm mit einem Ruderboot über die Ostsee nach Schweden zu rudern. Leutnant Walter Schurig, Hauptmann Hellmut Begemann, Marineoffizier Konrad Weigel und ich, wir wagten die riskante Flucht über das offene Meer. Jahrelange russische Kriegsgefangenschaft blieb uns erspart.

Theo Rydmann, November 2000

Wehrpass und Soldbuch

Text von Gerlinde Rydmann, München 2023

Auf den folgenden Seiten befinden sich Abbildungen aus dem Wehrpass und dem Soldbuch meines Vaters. Nach der Einberufung zum Wehrdienst wurde der Wehrpass bei der Einheit abgegeben und verblieb dort während des aktiven Dienstes. Der Soldat erhielt dafür das Soldbuch, als eigentlichen Personalausweis. Es enthielt Personalangaben, Truppenteil, Versetzungen, Beurlaubungen, Angaben über die Verwendbarkeit, Ausrüstung (Waffen, Bekleidung), Impfungen usw. Der Wehrpass verblieb normalerweise in der Schreibstube der Kompanie/Batterie.

Im Nachlass meines Vaters wurden beide Dokumente gefunden. Als sich seine Einheit vor dem Rückzug am Beginn der sowjetischen Großoffensive am 22. Juni aufteilte, muss ihm sein Wehrpass ausgehändigt worden sein. Denn Leutnant Uhlich und einige Kameraden aus seiner Einheit (Schreibstube und Verpflegungstrupp) waren schon in Richtung Minsk abgezogen, sie wurden aber von den Russen überrannt und vernichtet. Die Seite drei mit den Angaben zur Person fehlt, wahrscheinlich ist die Seite in der Schreibstube verblieben.

Die Daten in der Rubrik „Mitgemachte Gefechte“ (03.05.194413.07.1944 Stellungskämpfe im Bereich der Heeresgruppe Nordukraine), auf dem mit Schreibmaschine geschriebenen Einklebeblatt, passen nicht zu den geschilderten Ereignissen meines Vaters, denn nach seinen Aufzeichnungen wurde Mitte Juni die Beobachtungs-Abteilung 46 aus dem Bereich der Heeresgruppe Nordukraine zur Heeresgruppe Mitte verlegt, wenig später begann die russische Großoffensive.

Erst nach einer sechswöchigen Flucht durch Weißrussland kam mein Vater in Warschau an. Auf einer Schreibstube wurden im Nachhinein die Einträge im Wehrpass vervollständigt und eingeklebt, dabei könnten Fehler passiert sein.

Dank der freundlichen Unterstützung von Uwe Kleinert, dem Autor der »Organisationsgeschichte der deutschen Heeresartillerie im II. Weltkrieg« konnte ermittelt werden, dass die Beobachtungs-Abteilung 46 im Mai/Juni 1944 vom südlichen Flügel der 2. Armee in den Bereich der Heeresgruppe Mitte zur 3. Panzer-Armee verlegt wurde. In der Folge der sowjetischen Großoffensive am 22. Juni 1944 wurden mehrere Divisionen im Kessel von Witebsk eingeschlossen und vernichtet.

Erster Osteinsatz

02.09.43 – 07.01.44

1. Beob.Ers. u. Ausb.Abt. 7, München

08.01.44 – 23.03.44

4. Beob.Ers. u. Ausb.Abt. 7, München

24.03.44 – 06.04.44

Stellungskämpfe südöstlich Witebsk, 4. Marsch-Bataillon Beob. 4

07.04.44 - 02.05.44

Verlegung in den Raum Kowel zur

Beobachtungs-Abteilung (teilbeweglich) 46

03.05.44 – Mitte Juni

Stellungskämpfe im Bereich der Heeresgruppe Nord-Ukraine/ 2. Armee/ Peilstelle in Snitowo

Mitte Juni – 22.06.44

Verlegung in den Bereich der Heeresgruppe Mitte, 3. Pz-Armee (22.06.44 russische Sommeroffensive)

23.06.44 - 26.07.44

Rückzug durch Weißrussland

27.07.44 – 05.09.44

Aufenthalt in Warschau

Zweiter Osteinsatz

18.09.44 – 27.11.44

Auffrischung Truppenübungslager Groß Born

30.11.44 – 15.01.45

Stellungskämpfe im Raum nördlich von Warschau, Zichenau

16.01.45 – 27.03.45

Rückzugsgefechte Ziel Bütow, anschl. Einsatz im Raum Danzig-Zoppot-Gotenhaven

28.03.45 – 06.05.45

Rückzug nach Hela und Einsatz

07.05.45

Rückzug nach Bornholm

09.05.45

Russische Gefangenschaft

10.05.45

Flucht zur Marinewetterstation Hasle

Flucht mit einem Ruderboot über die Ostsee nach Schweden Marsch durch Dänemark Britische Gefangenschaft und Flucht Marsch über Lübeck nach Bremen

09.06.45

Ankunft in Bremen

Wehrpass von Theo Rydmann

Seiten aus dem Wehrpass. Seiten 3 und 4 fehlen.

Dienststellenzugehörigkeit.

Fähigkeiten: Radiosonden- und Peilsendertechnik, Funker, Nachrichtenübertragung.

Mitgemachte Gefechte bzw. Einsätze.

Soldbuch von Theo Rydmann

Soldbuch: Besonderheit – die akkurat nachgezeichnete Seite 1.

Soldbuch: Bescheinigungen von Leutnant Uhlich und Leutnant Schurig.

Das Soldbuch diente als Nachweis für die Ausrüstung und ausgegebene Waffen.

Im Soldbuch wurde der Urlaub vermerkt.

Tod meines Bruders Walter

Das Deutsche Reich befand sich seit dem 1. September 1939 im Krieg gegen Polen und bald auch gegen die Westalliierten. Am 22. Juni 1941 überfielen deutsche Truppen die Sowjetunion. Uns jungen Rekruten wurde gesagt, wir müssen in den Krieg ziehen, um den Bolschewismus zu bezwingen und um neuen Lebensraum im Osten zu schaffen. Opfer mussten gebracht werden. Das erste Opfer in unserer Familie war mein Bruder Walter.

Im Mai 1943 erhielten meine Eltern die traurige Nachricht, dass mein Bruder Walter in einem Lazarett in Kiew gestorben war. Meine Eltern waren tief erschüttert und ich war traurig, meinen Bruder verloren zu haben. Walter wurde am 21. Mai 1924 geboren und war ein Jahr älter als ich. In seiner Kindheit wurde Walter von einem Auto angefahren, von dem Unfall hatte er sich nie richtig erholt. Er war oft krank und musste sogar ein Schuljahr wiederholen.

Im März 1942 wurde Walter nach seiner Schriftsetzerlehre (1939– 1942) zum Reichsarbeitsdienst (RAD) einberufen. Schon während seiner Dienstpflicht in der Heimat erkrankte Walter an Diphtherie. Er kam zur Behandlung und Ausheilung für mehrere Monate in ein Krankenhaus nach Bremen, wir haben ihn dort oft besucht. Kaum genesen, musste er seinen Arbeitsdienst wieder aufnehmen. Sein Arbeitsdienst wurde bis zum 29. Oktober 1942 verlängert.

Mein Bruder hatte großes Pech gehabt, sein kompletter Jahrgang (1924) wurde nach der RAD-Dienstpflicht sofort in ein Feldausbildungsregiment des Heeres übernommen. Die Rekruten hatten die Aufgabe, unmittelbar hinter der Front beim Bau militärischer Anlagen und beim Wege- oder Brückenbau harte Schanzarbeit zu leisten. Am 13. November 1942 kam Walter nach Njeshin in Südrussland zum Feld-Ausbildungs-Regiment 617, dort erfolgte die Rekrutenausbildung im besetzten sowjetischen Gebiet. Woran er letztendlich gestorben ist, ließ sich nicht mehr ermitteln, wahrscheinlich erlitt er nach schweren Arbeitseinsätzen einen Rückfall seiner nicht vollständig ausgeheilten Krankheit. Er kam nach Kiew in ein Kriegslazarett, dort starb er vier Wochen vor seinem 19. Geburtstag am 30. April 1943.

Letzter Brief meines Bruders Walter

Der Brief von Walter, datiert vom 10. April 1943, ist die letzte Erinnerung an meinen Bruder. Seinen Wunsch, Bücher zu bekommen, konnte ich leider nicht mehr erfüllen.

Grab von Walter Rydmann: Nach der sowjetischen Rückeroberung Kiews im Dezember 1943 wurde der Soldatenfriedhof von den Sowjets eingeebnet.

Soldatenfriedhof in Kiew 1943

Eingang zum Heldenfriedhof mit Aufbewahrungshalle.

Mit Blumen bepflanzte Treppe, die vom Friedhof zum Dnjepr hinunterführte.

Ausblick vom Heldenfriedhof auf den Dnjepr.

Anm: Die Fotos wurden von einem unbekannten Soldaten aufgenommen und der Mutter von Theo Rydmann zugesandt.

Einberufungsbefehl – September 1943

Als ich eines Tages, im Sommer 1943, von der Arbeit nach Hause kam, lag der Einberufungsbefehl zur Wehrmacht auf dem Tisch. Ich sollte am 2. September zur Beobachtungs-Ersatz- und Ausbildungsabteilung 7 der schweren Artillerie nach München. Zu jener Zeit war ich Praktikant bei der Weser-Flugzeugbau GmbH (kurz: Weserflug), in der Abteilung FELEI-VV im Bremer Ortsteil Burg-Gramke. Die Flugzeugfirma war im Zweiten Weltkrieg eine von den viertgrößten Flugzeugherstellern des Deutschen Reiches und baute in Lizenz Junkers-Flugzeuge, unter anderem auch den Sturzkampfbomber Ju 87 (kurz: »Stuka«).

Ingenieur Emmerich war dort Abteilungsleiter und Ausbilder für die Lehrlinge und Praktikanten. Die Abteilung hatte die Aufgabe, Verbesserungsvorschläge von Mitarbeitern zu sichten und auszuwerten. Zum Teil machten die Mitarbeiter von ihren Ideen Kurzbeschreibungen und fertigten davon provisorische Skizzen an. Wir hatten die Aufgabe, diese Vorschläge auszuarbeiten und detaillierte Zeichnungen anzufertigen. Meistens waren es einfache Verbesserungsvorschläge, aber es waren auch Vorschläge dabei, die dann entsprechend prämiert und weitergeleitet wurden. Dann wurden Modelle von unserer Modellbau-Abteilung angefertigt.

Ich musste häufig in die verschiedenen Abteilungen zur Besprechung, um weitere Einzelheiten zu erfahren, dadurch lernte ich das ganze Werk kennen. Es war eine interessante Aufgabe, und es machte mir großen Spaß. Ich war gerne in den Hallen für die Montage der Flugzeuge und in den Abteilungen für die Teileherstellung, die hauptsächlich Aluminium verarbeiteten.

Im Sommer 1943 wurde ich mit einigen Praktikanten für 14 Tage nach Peenemünde zur »Heeresversuchsanstalt« ausgeliehen. In einem großen Zeichensaal fertigten wir Konstruktionszeichnungen an. Auf das Versuchsgelände durften wir natürlich nicht, alles war streng geheim. Aber es war ein offenes Geheimnis, dass hier Raketen entwickelt wurden, die Abschüsse waren kilometerweit zu beobachten. Wir wurden verpflichtet Stillschweigen zu bewahren, ein Zuwiderhandeln wäre Landesverrat gewesen, darauf stand die Todesstrafe. Wie ich später erfahren habe, wurden hier Fernraketen entwickelt, die sogenannten V-Waffen. Kurz nachdem wir Peenemünde verlassen hatten, wurde die Anlage im August 1943 von den Alliierten bombardiert.

Herr Emmerich war ein erfahrener Ingenieur und hatte mich in sein Herz geschlossen, er war Witwer und lebte allein in einer kleinen Wohnung. Ich war an vielen Abenden bei ihm zum Schachspielen. Er hatte ein enormes technisches Fachwissen, und ich habe sehr viel von ihm gelernt. Mein Ausbilder hatte es möglich gemacht, dass ich an einem Fortbildungskreis teilnehmen konnte, der einmal in der Woche samstags stattfand. Der Lehrplan beinhaltete Werkstoffkunde, Mechanik und Motorenbau speziell für den Flugzeugbau. Außerdem ging ich jeden Sonntag ins Reinhold-Muchow-Haus in den Unterricht für Physik und Mathematik. Das Praktikum war Voraussetzung zum Studium an der Ingenieurschule für Flugzeugtechnik. Herr Emmerich wollte dafür sorgen, dass ich nach meinem Praktikum die Ingenieurschule besuchen könnte.

Als der Einberufungsbefehl kam, hatte Herr Emmerich noch vergeblich versucht, mich von der Dienstpflicht befreien zu lassen. Bereits zwei Mal hatte er mich vom Reichsarbeitsdienst bewahrt, jetzt konnte er nichts mehr gegen meine Einberufung unternehmen. Mit zunehmender Verschlechterung der Kriegslage wurden alle Firmen »durchgekämmt«, um auch die letzten jungen Männer als Nachersatz für die kämpfende Truppe bereitzustellen, da gab es keine Ausnahmen mehr. Wir befanden uns mittlerweile im fünften Kriegsjahr.

Um unser kärgliches Gehalt etwas aufzubessern, hatten einige Kollegen und ich neben unserer regulären Arbeitszeit Lohnarbeiten für die Wettbewerbsfirma Focke-Wulf, die das Jagdflugzeug FW 190 baute, angenommen. Meine Aufgabe war, Vorrichtungen für Bohr-, Fräs- und Schweißvorrichtungen zu konstruieren. Obwohl es wegen Geheimnisverrats eigentlich nicht erlaubt war, wurde es aber stillschweigend geduldet, da kaum noch Arbeitskräfte in der Konstruktion vorhanden waren. Um die Aufträge zu schaffen, meistens mit engen Terminen, habe ich in unserer Wohnung oft die Nacht durcharbeiten müssen, sehr zum Ärger meiner Mutter, denn fast jede Nacht gab es Fliegeralarm.

Bremen im Bombenhagel

Der erste Luftangriff auf Bremen durch die britische Royal Air Force geschah völlig unerwartet in einer Nacht im Mai 1940. Danach herrschte permanente Alarmbereitschaft. Mindestens zwei Mal in der Nacht heulten die Sirenen. Oft zogen die Bomber in großer Höhe an der Hansestadt vorbei, aber mit der Zeit erfolgten massive Bombenangriffe auf die Industrie- und Hafenanlagen. Bei Einflügen aus Großbritannien war die Stadt eines der am schnellsten zu erreichenden und wichtigsten Angriffsziele in Deutschland.

Mutter war immer gleich im Keller. Der Kellerraum des Hauses war mit starken Holzstämmen abgestützt worden und diente den Bewohnern als Luftschutzraum. Besseren Schutz boten aber die Hochoder Tiefbunker in der Gegend. Wir wohnten im zweiten Stockwerk. Wenn dann die Flak zu schießen begann, kam Mutti herauf und jammerte besorgt, ich solle doch in den Keller herunterkommen.

In unserer Nachbarschaft, auf dem Dach der Schule Talstraße, hatte man eine große Plattform gebaut, und darauf war eine 2-cm-Vierlings-Flak installiert worden. Von unserem Wohnzimmerfenster hatte ich einen unmittelbaren Blick auf den Gefechtsstand mit der Flugabwehrkanone. Um den Geschütz-Batterien in der Nacht das Zielen zu erleichtern, setzte man riesengroße Flak-Scheinwerfer ein. Wenn die Bomber vom Lichtkegel der Scheinwerfer erfasst wurden, schoss die Flak mit Leuchtspurmunition auf die Flugzeuge und die Geschosse zeichneten ein schaurig-grandioses Bild in den nächtlichen Himmel. Trotz der ohrenbetäubenden Ballerei wurde meines Wissens kaum ein feindlicher Bomber vom Himmel heruntergeholt; Volltreffer kamen nur selten vor. Ich hatte den Eindruck, dass die Schießerei der Flakabwehr als Alibi gelten sollte, um die Bevölkerung zu beruhigen, die zusehen musste, wie feindliche Bombenangriffe ihre Städte verwüsteten. Eine richtige Gegenwehr hätte wohl anders ausgesehen.

Die tückischen Stabbrandbomben

Eines Tages waren die Angriffe in unserer Gegend besonders schlimm. Einmal hörte ich ein infernalisches Zischen, und ich sah aus dem Fenster, dass einige Brandbomben in den Hof eingeschlagen waren. Auch auf dem Dachboden hörte ich es mächtig krachen. Ich lief schnell die Treppe hinauf, um nachzusehen, was passiert war. Zwei Stabbrandbomben waren durch das Dach ins Gebälk eingeschlagen. Eine davon hatte bereits gezündet. Herr Zurkowski, unser Untermieter, kam ebenfalls die Treppe heraufgekeucht, und wir beide warfen die bereits brennende Bombe mit einer Schaufel durch ein Dachfenster in den Hof. Die zweite Brandbombe hatte nicht gezündet, sie war etwas schräg aufgeschlagen und der Schlagbolzen hatte den Zünder nicht berührt, sie konnte nicht mehr abbrennen.

War eine Stabbrandbombe gezündet, traten erst im oberen Teil aus sechs seitlichen Bohrungen lange Stichflammen mit extremer Temperatur aus, nach einer Weile brannte der Thermitschaft nach unten ab, und alles brennbare Material in der Nähe ging in Flammen auf. Man konnte die Bombe, solange die Zündflamme noch austrat, am unteren Schaft, natürlich nur mit Handschuhen, anfassen und ins Freie werfen. Oft steckte die Brandbombe aber im Gebälk fest, dann konnte der Dachstuhl und damit das ganze Haus abbrennen. Um die Flammen zu löschen, standen auf dem Dachboden, der nach behördlicher Anordnung entrümpelt worden war, mit Sand gefüllte Eimer und eine »Feuerpatsche« bereit. War eine nicht gezündete Stabbrandbombe unversehrt, konnte sie, wenn der seitliche Sicherungsstift wieder hineingedrückt wurde, keinen Schaden mehr anrichten.

Ich hatte ein paar Tage später diese unversehrte Brandbombe zu unserem HJ-Kameradschaftsabend mitgenommen, und wir haben sie dann unter Aufsicht zerlegt. Einer der Hitler-Jungen hatte seinen Vater mitgebracht, der Sprengmeister war und sich mit den Brandbomben auskannte. Mutter habe ich nichts davon erzählt, sie hätte sonst sicherlich geschimpft.

Ansicht einer Stabbrandbombe: Diese Skizze habe ich aus dem Gedächtnis gezeichnet.

Diese Brandbomben richteten, wenn man sie rechtzeitig entdeckte und auslöschte, keinen Schaden an, im Gegensatz zu den verheerenden Phosphorbomben, die kaum zu löschen waren. Später haben sich die Engländer noch etwas Heimtückischeres einfallen lassen. Um ein frühzeitiges Löschen der Stabbrandbombe zu verhindern, bauten sie eine kleine Sprengladung mit starker Splitterwirkung ein.

Das wurde einigen Hitlerjungen zum Verhängnis, die aus Spaß und Übermut nicht gezündete Brandbomben mit der Unterseite auf den Boden schlugen, um sie zünden zu lassen. Die brennenden Stäbe konnten dann wie Fackeln umhergetragen werden. Als die Brandbomben beim Aufschlagen dann plötzlich explodierten, hat es böse Verletzungen gegeben. Danach wurden die Brandbomben mit äußerster Vorsicht behandelt. Von diesen Vorkommnissen habe ich aber erst erfahren, als ich bereits im Osten war.

Aber das Schlimmste stand den Bremern noch bevor. Mit den sogenannten Wohnblockknackern, das waren tonnenschwere Luftminen mit großer Sprengkraft, die durch ihre enorme Detonationswelle in einem weiten Umfeld Dächer abdeckte und Mauern einstürzen ließ. Die Gebäude sollten so »geknackt« werden, um sie dann mit den in großen Mengen abgeworfenen Brandbomben in Flammen zu setzen. Ganze Stadtviertel wurden dadurch in ein brennendes Inferno verwandelt.

Abfahrt nach München

Dann kam der Tag der Abfahrt nach München. Mehrere Kollegen, auch Herr Emmerich und natürlich meine Mutter waren zum Abschied gekommen. Eine große Anzahl von jungen Männern hatte sich am 2. September 1943 auf der Bürgerweide in Bremen eingefunden. Alle mit dem obligatorischen Pappkarton – wer hatte damals schon einen Koffer. Wir wurden einzeln aufgerufen und in Gruppen eingeteilt, dann marschierten wir zum Hauptbahnhof. Ein Sonderzug stand schon für uns bereit. Es herrschte eine gewisse Begeisterung; und die riss auch mich mit, obwohl ich es bedauerte, dass meine Ausbildung jetzt ein Ende gefunden hatte.

Jetzt sollten wir Soldaten werden, kämpften wir doch für eine gute Sache – »für den Führer, Volk und Vaterland!«. Wir waren dank unserer vormilitärischen Ausbildung in der HJ schon auf den Wehrdienst vorbereitet worden und konnten es kaum erwarten in den Krieg zu ziehen, wir dachten, wir hätten ein großes Abenteuer vor uns. Wir waren bereit, für den Endsieg zu kämpfen. Keiner von uns ahnte, was auf uns zukommen sollte, was wussten wir denn schon vom Krieg, dem Elend und seinem maßlosen Grauen.

Die Niederlage der 6. Armee in Stalingrad Anfang Februar 1943 wurde uns sogar als Sieg verkauft. Wir glaubten den Nachrichten im Rundfunk und an die NS-Propaganda, da hieß es, dass deutsche Soldaten gegen eine gewaltige Übermacht des Feindes »bis zum letzten Mann und zur letzten Patrone« gekämpft hatten. Sie hatten ihre Pflicht bis zum Äußersten getan und sind im »Heldenkampf« gefallen. Sie hatten sich nicht umsonst geopfert, »Sie starben, damit Deutschland lebe!«

„Der Soldat im Felde ist nicht in der angenehmen Lage eines Politikers, der jederzeit aussteigen kann, wenn die Dinge schief gehen oder wenn der Regierungskurs ihm nicht gefällt. Er hat zu kämpfen, wo und wie es ihm befohlen wird“. Erich von Manstein, »Verlorene Siege«, 1955

Rekrutenzeit in München

Vereidigung »auf Führer, Volk und Vaterland«, 3. September 1943, München.

In München fing natürlich der Ernst an. Wir wurden von unseren zukünftigen Ausbildern am Münchner Hauptbahnhof in Empfang genommen. Es herrschte jetzt ein militärischer rauer Ton. In einem langen Zug ging es in Dreierreihen die Dachauer Straße und die Schwere-Reiter-Straße entlang, bis wir die Prinz-Leopold-Kaserne erreichten. Dort angekommen, wurden wir auf dem großen Kasernenhof in einzelne Gruppen aufgeteilt.