Anders bin ich - Mara Laue - E-Book

Anders bin ich E-Book

Mara Laue

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Beschreibung

Anderssein hat viele Gesichter. Nicht nur zugereiste Ausländer sind „anders“, auch die „schwarzen Schafe“ in Familien sind es, Nonkonformisten, Querdenker, Künstler, Innovative, allzu krumme Bananen sowie all jene, die gegen den Strom schwimmen, sich kritisch mit dem Leben auseinandersetzen und gegen Ungerechtigkeiten aufstehen. Und ist nicht jeder Mensch auf seine Weise anders, einzigartig und außergewöhnlich? Einzigartige Betrachtungen in Geschichten, Gedichten und Bildern zum Thema Anderssein. Ein „etwas anderes“ Plädoyer für Toleranz.

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Seitenzahl: 98

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Mara Laue

Anders bin ich

Mara Laue

 

Anders bin ich

 

Storys und Gedichte, ein bisschen „anders“

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

 

 

Anders bin ich

Mara Laue

 

© 2018 vss-verlag, 60389 Frankfurt

Covergestaltung: Hermann Schladt

Lektorat: Hermann Schladt

 

 

www.vss-verlag.de

Anders

 

Von Kindheit an ich anders war.

War aller Eigenschaften bar,

die andre hatten und die ich

auch haben sollte reichiglich.

Ich war nicht brav, nicht fleißig, gut:

ein Wildfang voller Übermut,

war frech und laut, mehr Bub als Maid

und trug stets Hosen statt ’nem Kleid.

Ich spielte nicht, was andre spielten

(wovon die Eltern gar nichts hielten).

Ich tobte lieber durch den Wald

oder durch den Schnee so kalt;

oder lag im grünen Gras

mit ’nem Buch, das ich gern las.

Und wenn ich sah die Wolken zieh’n,

manch eine von ihr mir erschien

wie ein Tier, ’ne Hex’, ein Baum ...

Noch heute hab’ ich diesen Traum.

 

 

 

 

 

 

 

Krumme Dinger

„Eine Katastrophe!“ Torsten hielt Linus eine Banane hin, die für den Marktverkauf am Samstag eingetroffen war. „Die können wir doch nicht verkaufen!“

Linus betrachtete die Banane. Hellgelb leuchtete ihre Schale mit einem Hauch von leichtem Grün hier und da, was zeigte, dass sie genau die richtige Bissfestigkeit und Reife für Leute hatte, die ihre Bananen nicht allzu weich essen mochten. Kein einziger brauner Fleck war zu sehen. Und offensichtlich hatte auch keine exotische Spinne sie sich als Versteck ausgesucht, um als blinde Passagierin nach Deutschland zu reisen. Eine Katastrophe konnte er nicht erkennen.

„Wieso sollten wir die nicht verkaufen können?“

Torsten hielt sie ihm noch dichter hin. „Das fragst du doch wohl nicht im Ernst. Sieh sie dir an! Fällt dir nichts auf?“

Linus schüttelte den Kopf. „Außer dass sie krumm ist wie Bananen nun mal sind ...“

„Nein, eben nicht, wie Bananen nun mal sind“, unterbrach ihn Torsten. „Die hier ist krumm wie ein Hufeisen!“

Das stimmte. Die Banane war so krumm, dass sie ein nahezu perfektes Hufeisen bildete. Aber ein Kriterium zum Verkaufsausschluss sah Linus darin nicht. „Ja – und?“

„Und? So ein Ding kauft uns doch keiner ab! Die entspricht nicht der Norm. Da haben wir und erst recht die Kunden Schwierigkeiten, sie zu lagern.“

Linus schüttelte den Kopf. „Ich bitte dich! Eine einzige Banane ...“

„Es ist eben nicht, nur eine einzige Banane!“ Torsten legte sie auf den Tisch und raufte sich die Haare. „Die haben uns eine ganze Kiste voll von den Dingern geschickt! Die sind alle so krumm. Einige sogar noch schlimmer als die hier!“

Linus konnte sich nicht vorstellen, dass irgendeine Banane noch krummer sein konnte als ein Hufeisen; dann hätte sie schon fast eine Spirale sein müssen. Trotzdem sah er in der Form des „Affenkoteletts“ kein Problem hinsichtlich des Absatzes. „Es kommt doch auf den Geschmack an, nicht auf die Form“, versuchte er Torsten zu beruhigen. „Und die Bananen von dieser Plantage sind doch immer ganz hervorragend.“

„Na, das sag mal den Kunden!“, grollte Torsten. „Die wollen doch heutzutage alles uniform und gleichaussehend und am liebsten genormt. Überhaupt: Das Ding entspricht nicht der EU-Norm. Die schreibt vor, dass Bananen frei von Missbildungen und unnormalem Wuchs sein müssen. Und die da“, er deutete auf die Banane auf dem Tisch, „und den ganzen Rest in der Kiste kann man wohl unschwer als ‚unnormal gewachsen’ bezeichnen. Ich habe keine Ahnung, wie diese Charge überhaupt ins Land gelangt ist. Und dann ist sie ausgerechnet bei uns gelandet, wo wir doch sowieso Bananen nur als Ergänzung und nicht als Hauptverkauf haben. Ich sag dir, wir bleiben drauf sitzen! Und in der Kiste sind so viele, die können wir nicht alle allein aufessen.“ Er rang die Hände. „Das ist eine Katastrophe!“ Torsten jammerte noch eine Weile weiter.

Linus versuchte vergeblich ihn zu beruhigen. Irgendwann reichte es ihm. „Mensch, jetzt halt aber mal die Luft an! Wir bieten die Bananen am Samstag an, dann sehen wir ja, ob sie gekauft werden oder nicht.“

Torsten deutete auf den Tisch. „Du willst Bananen wie diese ...“ Er verstummte, denn die Banane war weg. „Wo ist sie hin?“ Er blickte unter den Tisch, ob sie vielleicht heruntergefallen war.

„Keine Ahnung“, sagte Linus. „Aber sie kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben.“

Und da selbst hufeisenkrumme Bananen auch keine Beine besaßen, mit denen sie weggelaufen sein konnten, musste jemand von den beiden Männern unbemerkt ins Zimmer gekommen sein und sie entführt haben. Für diesen Diebstahl gab es nur eine Kandidatin: ihre Schwester Lena.

„Lena?“

Keine Antwort. Torsten und Linus gingen in die Küche und wurden fündig. Mitten auf dem Tisch lag, was von der Banane noch übrig war: ihre leere Schale, wie ein Kunstwerk auf einem Teller drapiert. Davor lag ein Zettel: „Während ihr beide euch über die Verkaufsfähigkeit der Banane gestritten habt, habe ich sie einfach gegessen. Eure Opportunistin Lena. PS: Sie war sehr lecker und sie zu essen war gerade wegen ihrer Form das reinste Vergnügen.“

Typisch Lena.

Linus blickte Torsten an. „Wir haben eine ganze Kiste von den krummen Dingern?“, vergewisserte er sich.

Torsten nickte. „Hundert Kilo. Ich glaube aber nicht, dass Lena die alle essen will.“

„Muss sie auch nicht. Ich habe eine Idee. Lass mich nur machen.“

 

*

 

Der Samstag kam und Linus begann schon mit dem Verkauf am Marktstand, während Torsten noch eine Fuhre Brot holte. Als er zum Stand zurückkam, war die Kiste mit den Bananen leer. Ratzekahl.

„Wo sind die Bananen?“, fragte er misstrauisch.

Linus lächelte zufrieden. „Alle weg.“

„Wie – in nur einer Stunde bist du sie alle losgeworden?“ Torsten kam ein schrecklicher Verdacht: „Du hast sie doch nicht etwa verschenkt?“

„Wo denkst du hin!“ Linus schüttelte empört den Kopf. „Ich habe sie alle verkauft. Und ja, in nur einer Stunde.“ Er holte ein Pappschild unter der Kiste hervor und hielt es Torsten hin.

„Hufeisenbananen“, stand in großen Buchstaben darauf. „Die neueste Züchtung aus Afrika. Kalorienarm, bekömmlich und sehr lecker. Nur heute im Angebot für 5,- € das Kilo.“

„Und für den Preis haben die Leute diese krummen Dinger gekauft?“ Torsten konnte es nicht fassen.

Linus nickte. „Ohne mit der Wimper zu zucken. Tja, man muss die Dinger eben nur richtig etikettieren, um sie den Leuten schmackhaft zu machen. Und ich habe schon mehrere Anfragen bekommen, ob wir nächsten Samstag wieder welche haben. Also sollten wir noch mal so eine Charge bekommen, brauchen wir uns wirklich keine Sorgen zu machen, ob wir sie loswerden. Nein, ganz und gar keine Sorgen.“

 

 

 

 

Schwarz, Weiß und nichts dazwischen

 

Abseits. Das ist der Name des Ortes, an dem Claudia wohnt. Sie kennt aber auch noch andere interessante Gegenden. Sie heißen Jenseits, Dazwischen und Nirgendwo. Eine unsichtbare Mauer trennt Claudia permanent von anderen Menschen. Und die Welt macht ihr Angst.

Nein, nicht die Welt – die Menschen. Sie spüren, dass sie anders ist, und dieses Andere fürchten sie, hassen es, lehnen es ab, verachten es und grenzen sie deshalb aus. Dabei versucht sie, genau so zu sein wie sie, lacht, scherzt, smalltalkt mit ihnen und tut, was alle anderen tun. Für eine Weile funktioniert das. Aber natürlich merken die Leute irgendwann, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Sie merken es immer.

Claudia nimmt die Welt nun einmal anders wahr als sie. Ihre Seele ist farbenblind und lässt sie nur Schwarz oder Weiß erkennen. Was dazwischen ist, kann sie nur erahnen, erraten und sich in der Fantasie zusammenspinnen. Manchmal erspinnt sie sich dabei zufällig die Realität. Gelingt ihr das nicht, ist sie ertappt und steht sofort wieder im Abseits, ist die, die so komisch ist, die, über die man hinter ihrem Rücken tuschelt oder lacht und mit der man so wenig wie möglich zu tun haben will; am liebsten gar nichts. Aber das ist sie gewohnt; schließlich lehnt ihre eigene Familie sie ab, seit sie auf der Welt ist, weil der Klapperstorch das eigentlich bestellte Kind mit Claudia vertauscht und nur ein Mädchen geliefert hat statt des Jungen, der später mal Vaters Autowerkstatt übernehmen sollte. „Nur“ ein Mädchen zu sein und dafür verachtet zu werden – das tut weh. Dazu alles andere ...

Jeder Mensch hat eine Grenze dessen, was er ertragen kann, und als Claudia an ihre Grenze stößt, stürzt sie ab ins Nichts. Zu viele Schicksalsschläge beuteln sie innerhalb weniger Monate, die ihre Seele nicht mehr verkraften kann. Sie fällt in ein eiskaltes, finsteres Loch, wo sie ganz allein ist mit dem Schmerz und der Angst. Mit beiden Beinen fest in der Mitte von Nirgendwo, ohne Orientierung, ist das Licht so unerreichbar weit entfernt, dass es kaum zu erkennen ist. Sie sollte verzweifelt sein, aber dazu reicht ihre Kraft nicht mehr. Die ist ebenso verschwunden wie ihr Ich. Ja, sie weiß nicht einmal mehr, wer sie ist. Sie schaut in den Spiegel und sieht dort eine Fremde.

 

Wer bin ich?,

frage ich mein Spiegelbild

mit dem fremden Gesicht.

Die Antwort ist Schweigen.

Und aus dem Spiegel heraus

fällt eine Maske

und zerschellt am Boden.

 

Ihr Arzt weist sie in eine psychiatrische Klinik ein, in jenes Jenseits, in dem Menschen wie sie verborgen werden vor den Augen der Welt. Jetzt ist sie eine von den „Verrückten“, die man im „Irrenhaus“ einsperrt. Aber ist nicht die ganze Welt verrückt? Nein, sie selbst ist es. Sie ist VER-rückt – nicht an dem Platz, an dem sie sein sollte. Sein will.

Die Familie wendet sich vollständig von ihr ab. Die Freunde verschwinden im Nebel des Vergessens auf Nimmerwiedersehen.

Sie bekommt keinen Besuch, keine Anrufe, keine Briefe. Für „ihre“ Menschen existiert sie offenbar nicht mehr. Sie haben recht. Sie ist ein Zombie, denn ihre Seele fühlt sich an wie tot, und ihr Körper lebt im Dazwischen, an jenem grausamen Ort jenseits des Lebens und des Todes. Doch der Eispanzer, in dem sie gefangen ist, betäubt gnädig den Schmerz. Narben an ihren Armen zeugen davon, wie gut die Vereisung wirkte, denn sie hat die Schnitte nicht gespürt. Nur das fließende Blut zeigte, dass sie noch am Leben sein muss, denn Tote bluten nicht.

Endlich erfährt sie die Diagnose: Borderline-Krankheit. KRANK-heit. Sie verspürt ungeheure Erleichterung. Sie ist nicht wahnsinnig, nicht irre. Was ihr Leben zur Hölle gemacht hat, solange sie sich zurückerinnern kann, was sie ins Abseits drängte und ihre Welt nur Schwarz und Weiß mit nichts dazwischen erscheinen ließ, ist eine Krankheit.

Aber Krankheiten kann man heilen!

Sie stürzt sich in die Heilungsarbeit. Sie will gesund werden um (fast) jeden Preis! Doch Heilen tut weh, unglaublich weh, und zunächst wird es schlimmer, bevor es besser werden kann. Sie tastet sich Stück für Stück an die Ursachen heran und entdeckt Furchtbares. Schmerz, Trauer, Wut, Angst und Verzweiflung überrollen sie in mächtigen Wellen, die sie verschlingen, sie zerreißen, verstreuen und in den Boden stampfen. Sie löst sich auf, bis nur noch Bruchstücke von ihr übrig sind. Sie ist Viele, und keines dieser Vielen ist sie.

Wie eine Ruferin in der Wüste irrt sie umher auf der Suche nach sich selbst. Sie leidet Hunger und Durst, fällt erschöpft zu Boden, kämpft sich wieder hoch und geht weiter. Immer weiter. Wie oft sie auch fällt, sie steht wieder auf, denn sie hat ein Ziel: Heilung. Nichts in der Welt wird sie davon abbringen. Nur der Tod. Aber ihre Zeit, die „Schwarze Dame“ zu umarmen, ist noch nicht gekommen.

Schließlich fügen sich am Ende des Weges ihre verstreuten Einzelteile wie ein Puzzle zusammen, und sie begegnet endlich sich selbst. Findet SICH und stellt fest: Sie mag die Frau, die ihr jetzt aus dem Spiegel entgegenblickt, der ihr nun die Antwort nicht mehr schuldig bleibt oder sie mit Masken verhöhnt.