Änderungsmotivation fördern - Katrin Hötzel - E-Book

Änderungsmotivation fördern E-Book

Katrin Hötzel

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Beschreibung

Die Förderung der Änderungsmotivation gehört störungsübergreifend zu einem der wichtigsten Behandlungsbausteine in der psychotherapeutischen Praxis. Die Bearbeitung der Ambivalenz und letztlich die Steigerung der Motivation, sich für die Genesung mit all ihren Konsequenzen zu entscheiden, ist eines der Hauptziele in der Behandlung – beispielsweise von Abhängigkeitserkrankungen und Essstörungen. Aber auch bei anderen Störungsbildern, wie z. B. Angststörungen oder subklinischen Schwierigkeiten, ist ein professioneller Umgang mit motivationalen Herausforderungen von großer Bedeutung. Dieses Buch stellt den aktuellen Wissensstand dar und beschreibt praxisnah Interventionen zur Förderung der Änderungsmotivation. Bei der Bearbeitung ambivalenter Themenbereiche empfehlen sich eine offene, therapeutische Haltung sowie bestimmte Strategien der Gesprächsführung, um Widerstand zu vermeiden. Dies gilt vor allem für ein solches Klientel, welches mit geringem bzw. keinem Problembewusstsein – möglicherweise fremdmotiviert – in die Behandlung kommt. Aber auch diejenigen Patientinnen und Patienten, die von sich aus den Weg in die Psychotherapie finden, können ambivalent gegenüber einiger Aspekte der Veränderung sein oder im Therapieverlauf werden, wenn ein gewisser Nutzen oder "Krankheitsgewinn" der bisherigen Erkrankung durch die Therapie bedroht wird. Auch diese Personen profitieren im therapeutischen Prozess von Interventionen, die zu einer besseren Einsicht bzw. Klärung der Ambivalenz führen und damit letztlich einer Entscheidungsfindung dienen. Der Band stellt störungsübergreifend Standard-Interventionen einschließlich der Gesprächsführung vor. Dabei werden zunächst relevante Aspekte zum Verständnis und zur Diagnostik von Änderungsmotivation beleuchtet. Der Hauptfokus liegt dann auf der therapeutischen Gesprächsführung sowie konkreten Interventionen zur Klärung und Steigerung der Änderungsmotivation.

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Katrin Hötzel

Ruth von Brachel

Änderungsmotivation fördern

Standards der Psychotherapie

Band 10

Änderungsmotivation fördern

Dr. Katrin Hötzel, Dr. Ruth von Brachel

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Tania Lincoln, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief, Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier

Begründer der Reihe:

Martin Hautzinger, Kurt Hahlweg, Jürgen Margraf, Winfried Rief

Dr. Katrin Hötzel, geb. 1980. 2000 – 2006 Studium der Psychologie in Bochum. 2006 – 2009 Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie). 2009 Approbation. Seitdem Psychologische Psychotherapeutin im Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit der Ruhr-Universität Bochum sowie Dozentin an unterschiedlichen Ausbildungsinstituten und Universitäten. 2014 Promotion. Seit 2014 Zusatzqualifikation zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen sowie staatlich anerkannte Supervisorin. Seit 2014 geschäftsführende Leitung der Psychotherapie-Ausbildung an der Ruhr-Universität Bochum.

Dr. Ruth von Brachel, geb. 1983. 2001 – 2006 Studium der Psychologie in Münster. 2007 – 2010 Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie). 2010 Approbation. Seitdem Psychologische Psychotherapeutin im Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit der Ruhr-Universität Bochum sowie Dozentin an unterschiedlichen Ausbildungsinstituten und Universitäten. 2014 Promotion. Seit 2014 Postdoc am Lehrstuhl für Klinische Psychologie sowie Klinische Kinder- und Jugendpsychologie der Ruhr-Universität Bochum. Seit 2018 staatlich anerkannte Supervisorin.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autor:innen bzw. den Herausgeber:innen große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autor:innen bzw. Herausgeber:innen und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: Sabine Rosenfeldt, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2022

© 2022 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2917-5; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2917-6)

ISBN 978-3-8017-2917-2

https://doi.org/10.1026/02917-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Theoretische Modelle und Erklärungsansätze

2.1 Was ist Motivation?

2.2 Motivationsprobleme im therapeutischen Prozess

2.3 Psychologische Theorien und Modelle, die Motivationsprobleme beschreiben

2.3.1 Das Transtheoretische Modell der Veränderung

2.3.2 Selbstwirksamkeitserwartung

2.3.3 Selbstbestimmungstheorie

2.3.4 Positive Psychologie

3 Diagnostik und Indikation

3.1 Fortlaufende Motivationsdiagnostik

3.2 Motivationale Diagnostik in der ersten Therapiephase

3.3 Messinstrumente

3.3.1 Störungsübergreifende Messinstrumente

3.3.1.1 Erfassung von Zielen

3.3.1.2 Erfassung der Motivationsphase und „Decisional Balance“

3.3.1.2.1 Motivation (transdiagnostisch)

3.3.1.2.2 Störungsspezifische Instrumente zur Erfassung der Veränderungsmotivation

3.3.1.3 Selbstwirksamkeit

4 Gesprächsführung und Interventionen

4.1 Gesprächsführung bei motivationalen Schwierigkeiten

4.1.1 Aktives Zuhören

4.1.2 Offene Fragen

4.1.3 Aktives Zuhören, offene Fragen und geschlossene Fragen im Verhältnis

4.1.4 Umgang mit und Förderung von „Change Talk“

4.1.5 Förderung der Selbstwirksamkeitserwartung

4.1.6 Umgang mit Widerstand

4.1.6.1 Reflektierendes Zuhören

4.1.6.2 Sich entschuldigen

4.1.6.3 Wiederherstellen der Freiheit

4.1.6.4 Als Therapeut die Verantwortung übernehmen

4.1.6.5 Reframing

4.1.6.6 Zustimmen auf einer höheren Ebene

4.1.6.7 Den „Ball zuspielen“, damit der Patient aktiv wird

4.1.6.8 Sich als Therapeut mit auf die Contra-Veränderungs-Seite stellen

4.1.6.9 Advocatus Diaboli

4.1.6.10 Ein Thema ruhen lassen

4.1.7 Um Erlaubnis bitten

4.1.8 Geleitetes Entdecken

4.1.9 Transparenz

4.1.10 Zusammenfassungen

4.1.11 Soziale Verstärkung und Lob vs. Würdigung

4.1.12 Der Umweg über andere Perspektiven als Einstiegshilfe ins Thema

4.1.12.1 „Verbünden“ gegen Dritte

4.1.12.2 Zirkuläres Fragen

4.1.12.3 Beeinflussung der Beziehung zu einer wichtigen Bezugsperson

4.1.12.4 Anteile des Patienten „sprechen lassen“

4.1.13 Zuordnung der Gesprächsführungstechniken zu den Phasen der Veränderung

4.2 Konkrete Interventionen zur Steigerung der Änderungsmotivation

4.2.1 Phasenübergreifende Interventionen

4.2.1.1 Förderung der Selbstwirksamkeitserwartung

4.2.1.2 Die Arbeit mit Zielen und Werten

4.2.1.2.1 Ziele

4.2.1.2.1.1 Therapieziele

4.2.1.2.1.2 Therapieziele formulieren

4.2.1.2.1.3 Die „Goal Attainment Scale“

4.2.1.2.1.4 Entwicklung positiver Zielperspektiven (EPOS)

4.2.1.2.1.5 Die „Zieltreppe“

4.2.1.2.1.6 Matrix zur Aufdeckung von Zielkonflikten

4.2.1.2.2 Werte

4.2.1.2.2.1 Metaphern zur Bedeutung von Werten

4.2.1.2.2.2 Beurteilung „guter“ Werte

4.2.1.2.2.3 Offene Exploration von Werten

4.2.1.2.2.4 Exploration von Werten mit Wertekartensätzen

4.2.1.2.2.5 Imaginative und kreative Verfahren zur Exploration von Werten

4.2.1.2.2.6 Diskrepanzen entwickeln

4.2.1.2.2.7 Wertebezogenes Handeln

4.2.2 Phasenspezifische Interventionen

4.2.2.1 Das eingeschränkte Problembewusstsein („Precontemplation“)

4.2.2.1.1 Die Arbeit mit Zielen und Werten im eingeschränkten Problembewusstsein

4.2.2.1.2 Die Vermittlung von Informationen

4.2.2.1.3 Rückmeldung zu individuellen Daten geben

4.2.2.1.4 Die Vermittlung von Störungsmodellen zur Erläuterung von Zusammenhängen

4.2.2.1.5 Skalierungsfragen

4.2.2.2 Die Nachdenklichkeit („Contemplation“)

4.2.2.2.1 Die Arbeit mit Zielen und Werten in der Nachdenklichkeit

4.2.2.2.2 Die Vermittlung der Phasen der Veränderung

4.2.2.2.3 Pro-Contra-Listen

4.2.2.2.4 Briefe schreiben

4.2.2.2.5 Stuhltechniken

4.2.2.2.6 Real-Wunsch-Vergleiche

4.2.2.2.7 Aufklärung über Handlungskonsequenzen

4.2.2.2.8 Extrementwicklungen erfragen

4.2.2.2.9 Metaphern zur Forcierung einer Entscheidung

4.2.2.2.10 Abwandlung der Lebenslinie

4.2.2.2.11 Eine Auszeit nehmen und die Entscheidung reifen lassen

4.2.2.3 Die Vorbereitung („Preparation“)

4.2.2.3.1 Die Arbeit mit Zielen und Werten in der Vorbereitung

4.2.2.3.2 Metapher zur Einleitung der Vorbereitung

4.2.2.3.3 Der Satz vom Guten Grund

4.2.2.3.4 Einen Änderungsplan erstellen

4.2.2.4 Die Handlung („Action“)

4.2.2.5 Die Aufrechterhaltung („Maintenance“)

5 Evidenzlage und wissenschaftliche Beurteilung

5.1 Motivational Interviewing

5.2 Akzeptanz- und Commitmenttherapie

5.3 Stuhltechniken

5.4 Existenzielle Therapie

5.5 Zielfokussiertes Vorgehen

6 Fallbeispiele

6.1 Fallbeispiel Herr M.: Gesprächsführung mit einem fremdmotivierten Patienten

6.2 Fallbeispiel Frau S.: Intrinsische Motive für mehr Sinnhaftigkeit erforschen

6.3 Fallbeispiel Frau M.: Ambivalenzen auflösen

7 Weiterführende Literatur

8 Literatur

9 Kompetenzziele und Lernkontrollfragen

10 Anhang

Arbeitsblatt: Die Phasen der Veränderung

Arbeitsblatt: Contemplation-Leiter

Arbeitsblatt: Mein Lebenskompass

Arbeitsblatt: Meine Pros und Contras

Arbeitsblatt: Mein Selbstwerthaus

Arbeitsblatt: Mein „Satz vom Guten Grund“

Gesprächsführungstechniken – Übersicht

Pros and Cons of Eating Disorders Scale (P-CED) – Deutsche Übersetzung

Auswertung P-CED

|1|1 Einführung

Es bleibt einem jeden immer noch so viel Kraft, das auszuführen, wovon er überzeugt ist.

(Johann Wolfgang von Goethe)

Spricht man mit Therapeuten1 über besonders demoralisierende und schwierige Therapien, so nennen sie häufig solche Therapien mit „unmotivierten“ Patienten, die sich nicht auf den therapeutischen Prozess einlassen wollen, mit denen sich die Therapie im Kreis dreht und die keine Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen scheinen. Neben der Demoralisierung von sowohl Patienten als auch Therapeuten kommt auch hinzu, dass der Erfolg der Therapie in solchen Fällen oftmals geringer ausfällt.

Hinsichtlich der Therapieplanung scheint es unumstritten, dass das Vorliegen von (Änderungs-) Motivation seitens des Patienten eine Grundvoraussetzung für die Anwendung diverser therapeutischer Interventionen ist. Als Beispiel dafür sei auf das 7-Phasen-Modell der Selbstmanagement-Therapie von Kanfer et al. (2012) verwiesen, bei welchem der Aufbau von Änderungsmotivation (Phase 2) im Prozess klar vor der Durchführung spezieller Methoden (Phase 5) benannt wird. Motivation ist also notwendig, um mit der „eigentlichen“ Therapie zu beginnen.

Beim Blick in kognitiv-verhaltenstherapeutische Manuale fällt allerdings auf, dass sich dieser Grundvoraussetzung methodisch eher wenig gewidmet wird: In vielen Fällen wird vom Vorliegen einer Änderungsmotivation beim Patienten ausgegangen und diese wird nicht weiter oder in größerem Umfang thematisiert. Bei Störungsbildern, denen regelhaft motivationale Schwierigkeiten zugesprochen werden (insbesondere Suchterkrankungen, Essstörungen, somatische Belastungsstörungen und Persönlichkeitsstörungen), finden sich meist auf den ersten Seiten einige „Klassiker“ und Hinweise zur anfänglichen Steigerung der Änderungsmotivation. Bei anderen Störungsbildern, welche grundsätzlich weniger und tendenziell eher kurzfristig mit motivationalen Schwierigkeiten zu kämpfen haben (z. B. Angststörungen: ggf. vor der Exposition), bleibt das Thema teilweise ganz aus.

Hinsichtlich der Herausforderungen, die Patienten mit motivationalen Schwierigkeiten für Therapeuten darstellen können, wird der geringe Anteil an Strategien zum Umgang damit dem Problem nicht immer gerecht.

|2|Therapie- vs. Änderungsmotivation

Änderungsmotivation und Therapiemotivation beinhalten nicht dasselbe (Michalak et al., 2007). Therapiemotivation meint den Wunsch oder das Bestreben, eine Therapie bzw. einen Therapeuten aufzusuchen. Änderungsmotivation zielt dagegen auf den Wunsch bzw. das Streben nach einer tatsächlichen Veränderung ab. Den Gegenpol zur Änderungsmotivation stellt die „Störungsmotivation“ – also der Wunsch nach Beibehaltung der Symptomatik – dar, woraus letztlich die Ambivalenz bezüglich der Veränderung resultiert. Das Fazit dieser Begriffsdifferenzierung lautet, dass Patienten, die eine Therapie aufsuchen, sich eventuell noch nicht für eine wirkliche Veränderung entschieden haben. In diesem Buch verstehen wir unter „Motivation“ vorranging „Änderungsmotivation“, wobei die vorgeschlagenen Methoden auch für „Therapiemotivation“ herangezogen werden können.

Unser Ziel für das vorliegende Buch ist es daher, dieser Diskrepanz entgegenzuwirken und eine strukturierte Methodensammlung zum Umgang mit motivationalen Problemen anzubieten. Bei der Suche nach Interventionen stößt man vorranging auf das Motivational Interviewing (MI; Miller & Rollnick, 2015), welches einen sehr wertvollen Ansatz für die innere Haltung und die grundsätzliche Gesprächsführung darstellt. Der Gesprächsführung – mit Schwerpunkt auf dem MI, aber auch darüber hinausgehend – widmen wir uns als einem zentralen Kern des Buches. Als weiteren Schwerpunkt möchten wir eine Übersicht über Interventionen geben, mit denen man in konkreten therapeutischen Übungen die Motivation von Patienten verbessern kann.

Der „rote Faden“ bildet dabei das transtheoretische Modell der Verhaltensänderung (TTM; Prochaska & DiClemente, 1984) und die darin definierten Stufen bzw. Phasen der Veränderung („stages of change“). Auf Basis dieser Phasen versuchen wir, für einen großen Teil der Interventionen eine Empfehlung zu geben, in welcher motivationalen Phase welche Techniken anzuwenden sind.

Was noch vorweg angemerkt sei: Die Formulierung „Förderung der Änderungsmotivation“ legt nahe, dass eine solche bei eigentlich jedem Patienten erreicht werden könne. In den meisten Fällen würden wir diese Position auch unterstreichen, da zumeist primär eine gewisse Ambivalenz bezüglich des jeweiligen Problems vorliegt bzw. herausgearbeitet werden kann (es also gute Gründe gegen und für eine Veränderung gibt) und auf Basis dieser Ambivalenz Techniken eingesetzt werden können, um die Änderungsmotivation zu steigern.

Es gibt jedoch auch Grenzen: Wo tatsächlich letztlich keinerlei Ambivalenz gegeben ist, da ist unserer Ansicht nach auch kein Ansatzpunkt für eine Steigerung der Änderungsmotivation zu finden. So sollte sich auch der engagierteste oder motivierteste Therapeut deutlich machen, dass eine Steigerung der Änderungsmotivation beim Patienten nicht herbeibeschworen oder „eingepflanzt“ werden kann, wenn nach gründlicher Exploration nichts an Argumen|3|ten für eine Veränderung augenscheinlich wird. An dieser Stelle ist einer der Leitsätze der systemischen Therapie hilfreich: Es gibt immer einen idealen Zeitpunkt für eine Veränderung und manchmal ist es einfach notwendig, auf diesen Zeitpunkt zu warten.

Auch wenn eine gewisse Ambivalenz gegeben ist oder sich herausarbeiten lässt, sind die Möglichkeiten zur Initiierung der Veränderung meist weiterhin begrenzt. Der Umgang mit der Ambivalenz und insbesondere die zugestandene Zeit bis zur Überwindung derselben (mit dem Resultat „Handlung“ für die Veränderung) wird unserer Erfahrung nach sehr unterschiedlich im Kreis der Psychotherapeuten gehandhabt.

Unserer Ansicht nach kann die Zeit, die Patienten für das Durchlaufen des gesamten Prozesses oder für das sich Durchringen zu einer Entscheidung brauchen, nicht völlig übersprungen werden. Wir sind jedoch der Meinung, dass sie durch geeignete therapeutische Interventionen verkürzt bzw. der Prozess beschleunigt werden kann. Die meisten Menschen setzen sich ansonsten vermutlich nicht freiwillig (z. B. eine Stunde die Woche) mit der unangenehmen Tatsache auseinander, dass beispielsweise gewisse persönliche Werte oder Ziele nicht mit dem aktuellen Verhalten vereinbar sind. Ohne die therapeutische Begleitung in dem Zusammenhang würden sie möglicherweise erst durch bestimmte Entwicklungen im Laufe ihres Lebens auf gewisse Diskrepanzen stoßen, was jedoch mit einem viel längeren zeitlichen Prozess und teilweise auch schmerzlicheren Erfahrungen einhergehen würde. Eine vorzeitige bzw. intensivierte Auseinandersetzung mit dem Problem und – damit im besten Fall verbunden – eine Beschleunigung der Entscheidung für eine Veränderung kann durch den Therapeuten positiv beeinflusst werden. Dafür dienen die in diesem Buch vorgestellten Inhalte.

1

Zugunsten einer besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text in der Regel das generische Maskulinum. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen alle Geschlechter (m/w/d). Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung. Wenn möglich, wurde eine geschlechtsneutrale Formulierung gewählt.

|4|2 Theoretische Modelle und Erklärungsansätze

2.1 Was ist Motivation?

Manche Psychologen gehen soweit, Motivation bzw. Zielverfolgung nicht als das Wichtigste im Leben von Menschen zu bezeichnen, sondern als das Einzige. Und nicht nur Menschen, sondern alle Lebewesen sind damit beschäftigt, Ziele wie Nahrungsaufnahme, Fortpflanzung oder Schmerzvermeidung zu verfolgen. Motivation ist damit eines der bedeutendsten Konstrukte der Psychologie und verwandter Wissenschaften. Sie erklärt menschliches Verhalten (z. B. Warum hat Tom Lisa sein Pausenbrot abgegeben? Warum hat Frau K. im Laden gestohlen, obwohl sie genug Geld besitzt? Warum trennt Herr R. sich nicht von seiner Partnerin, obwohl er seit längerem eine neue Frau trifft?).

Motivation macht menschliches Verhalten vorhersagbar (z. B. Wird Frau S. regelmäßig zum Yoga gehen? Wird Herr M. aufhören, sein Geld für Sportwetten auszugeben? Wird Frau T. auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen, um zur Arbeit zu fahren?). Die Motivation kann darüber Aufschlüsse geben, wieviel Energie, wieviel Aufwand (und ggf. wieviel Leid) jemand für die Verfolgung bestimmter Ziele auf sich nimmt.

Die gleiche Verhaltensweise (z. B. Joggen), die Menschen aus unterschiedlichen Gründen (bzw. mit unterschiedlichen Zielen) durchführen (z. B. Gesundheit erhalten vs. ästhetisch geformte Beine haben), kann nur wegen der individuellen Motivation Unterschiede in den Konsequenzen (Zufriedenheit) vorhersagen. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Psychologen und Psychotherapeuten sich also nicht vorschnell mit einer Annahme, wie beispielsweise „Der Patient will sich ändern.” zufriedengeben sollten (natürlich auch nicht mit dem gegenteiligen „Er will sich nicht ändern.”), sondern sich Zeit nehmen sollten, die Gründe für eine Entscheidung zur Veränderung auf Seiten des Patienten zu verstehen.

Definition: Veränderungsmotivation

Veränderungsmotivation beschreibt die Bereitschaft eines Menschen, Bemühungen in funktionale Zielverfolgung zu investieren. Sie bezieht sich auf das „Warum“ (Grund) bzw. „Wozu“ (Zweck) einer Handlung. Funktionale Zielverfolgung meint dabei, dass durch das gewählte Verhalten kurz- und langfristig Ziele realisiert werden, die im Einklang mit den Grundbedürfnissen und Werten des Individuums stehen (Cox & Klinger, 2004). Diese Zielverfolgung wird meist auch unter ggf. schwierigen Bedingungen über eine gewisse Zeit aufrechterhalten.

|5|Therapie besteht in der Förderung von Veränderungs- sowie Entwicklungsprozessen und beinhaltet auch den Erhalt oder Ausbau vorhandener positiver Aspekte. Ist der Patient motiviert, diese Veränderungs- und Entwicklungsprozesse zu durchlaufen und im Sinne der oben genannte Definition bereit, auch unter schwierigen Bedingungen über eine gewisse Zeit Bemühungen in funktionale Zielverfolgung zu investieren, so ist ein positives Therapieergebnis wahrscheinlich. Dies belegt die Forschungslage sehr eindrücklich (z. B. Krebs et al., 2018). Umgekehrt ist die Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen therapeutischen Prozess reduziert, wenn sich Schwierigkeiten bezüglich der Änderungsmotivation auf Patientenseite ergeben.

Begreift man alles menschliche Verhalten als motiviertes Verhalten, so kann man psychische Schwierigkeiten als dysfunktionale Zielverfolgung verstehen. Dabei können sowohl die Ziele dysfunktional sein (z. B. 40 kg bei 1,70 m wiegen wollen; absolute Sicherheit haben, dass den eigenen Kindern niemals etwas Schlimmes passiert; den Beruf anstreben, den die Eltern gewählt haben) oder es wird ein dysfunktionaler Weg zur Zielerreichung gewählt (z. B. Grübeln als Weg zur Lösung von Beziehungskonflikten; Klagen, um Nähe herzustellen; alle Zeit in Arbeit zur Selbstwerterhöhung investieren). Auch die Abwesenheit und das Nicht-Kennen von funktionalen Zielen kann in Problemen wie depressiven Störungen resultieren (z. B. „Ich weiß nicht, was ich mit meinem Leben anfangen und welches Ziel ich in Angriff nehmen soll.“). Bei diesen Beispielen beziehen sich die Probleme auf die Wege zur Zielerreichung bzw. die Ziele selbst.

2.2 Motivationsprobleme im therapeutischen Prozess

Motivation ist ein sehr umfassendes psychologisches Konstrukt, das mit vielen anderen Phänomenen zusammenhängt. Es gibt eine Fülle an historischen und modernen Modellen zur Erklärung von Motivation. Wir beziehen uns in dem vorliegenden Buch auf solche Modelle, für die es

ausreichende empirische Evidenz gibt und aus denen

Interventionen ableitbar sind, die im Rahmen kognitiv-verhaltenstherapeutischer Behandlungen eingesetzt werden können.

Motivationsprobleme können nach der oben genannten Definition als Probleme bei der Zielverfolgung verstanden werden. Psychologische Theorien zur Erklärung von Motivation konzentrieren sich in dem Zusammenhang auf unterschiedliche Schwerpunkte. Manche beschreiben beispielsweise die Entstehung individueller Motivation vor dem Hintergrund von Lernerfahrungen, andere Modelle beschäftigen sich mit der Integration von Zielen und Werten in die Persönlichkeit und wieder andere Modelle beschreiben Motivation als sequenziell voranschreitenden Prozess, ohne viele Aussagen über die Ursachen oder die Entstehung zu treffen. Aus unserer therapeutischen Arbeit sind uns insbesondere |6|folgende (vereinfachte!) Situationen bekannt, die wir durch ausgewählte Modelle erklären möchten und für die sich Interventionen in diesem Buch finden lassen:

Konflikt zwischen funktionalem und dysfunktionalem Ziel. Motivationsprobleme können aus einer Ambivalenz zwischen funktionaler und dysfunktionaler Zielverfolgung entstehen. Dabei bezieht sich die Bezeichnung (dys)funktional sowohl auf die Ziele als auch auf den Weg dahin. Beispielhaft seien die folgenden Äußerungen genannt, die Patienten tätigen oder die implizit erschließbar sind: „Eigentlich möchte ich ein zuverlässiger Familienvater sein und morgens pünktlich auf der Arbeit erscheinen. Aber es tut einfach so gut, nach dem Stress abends noch ein paar Bier zu trinken“ oder „Mein Arzt sagt, ich müsste für meine Körpergröße mehr wiegen. Dabei kenne ich viele, die viel dünner sind als ich“.

Konflikt zwischen neutralen/funktionalen Zielen. Motivationsprobleme können aus einer Ambivalenz zwischen zwei oder mehr prinzipiell funktionalen Zielen entstehen, die sich gegenseitig behindern bzw. nicht gleichzeitig verfolgt werden können. Ein Beispiel hierfür wäre: „Ich habe die einmalige Chance, die Erfahrung machen zu dürfen, im Ausland zu leben. Und gleichzeitig habe ich Angst, dass die sehr innige Beziehung zu meinem Partner daran zerbricht.“

Geringe Selbstwirksamkeit: Patienten können ebenfalls Motivationsprobleme aufweisen, wenn ihnen funktionale Ziele zwar kognitiv repräsentiert sind, jedoch zu wenig Selbstwirksamkeit besteht bzw. die Wahrscheinlichkeit, diese Ziele erreichen zu können, als zu gering eingeschätzt wird, um sie zu verfolgen. Auch hierfür ein Beispiel: „Ich würde ja gerne mit dem Kiffen aufhören! Aber ich kann abends ohne einen Joint einfach nicht einschlafen.“

Ausbleibende Zufriedenheit. In diesem Fall entstehen Motivationsprobleme, wenn die gewählte Zielverfolgung langfristig nicht im Sinne des „Erntens“ von Erfolg (hinsichtlich positiver Zielerreichung mit Verstärkerwert) gelingt. Dies kann z. B. dadurch begründet sein, dass die Ziele unrealistisch, zu stark extrinsisch und zu wenig intrinsisch sind oder der gewählte Weg nicht zum Ziel führt. Wenn die gewählte Zielverfolgung nicht zur Befriedigung der individuellen Grundbedürfnisse führt, folgt oftmals Demoralisierung, ein Gefühl der Erschöpfung, Entfremdung bzw. der Sinnleere. Ein beispielhaftes Szenario wäre: „Mein Jura-Studium habe ich eigentlich nur begonnen, weil man damit später Aussichten auf ein gutes Gehalt hat. Jetzt langweilen mich die Vorlesungen jede Woche mehr und ich schiebe die Prüfungen vor mir her.“

Keine/Wenig bewusste Ziel- und Wertvorstellungen. Motivationsprobleme können ebenfalls die Folge von zu wenigen (bewussten) Zielen oder Werten sein, die Menschen verfolgen. Auch hier entsteht häufig ein Gefühl der Entfremdung, Leere oder auch Depressivität. Eine Äußerung wäre z. B.: „Alle meine alten Schulfreunde haben einen Plan, was sie jetzt nach dem Abi machen wollen. Ich weiß irgendwie gar nicht, was mich interessiert und was ich letztlich aus meinem Leben machen will.“

|7|2.3 Psychologische Theorien und Modelle, die Motivationsprobleme beschreiben

2.3.1 Das Transtheoretische Modell der Veränderung

In der klinisch-psychologischen Literatur werden Motivationsprobleme und insbesondere Ambivalenzen häufig anhand von Stufenmodellen erklärt, die zwar empirisch nur teilweise belegt werden konnten, aber für Therapeuten und Patienten eine wertvolle heuristische Erklärung und Grundlage sowohl für Diagnostik als auch Interventionsauswahl bieten können.

Den wohl bekanntesten Vertreter der Stufenmodelle stellt das TTM dar (z. B. Prochaska & DiClemente, 1984). Dieses Modell wurde ursprünglich für den Suchtbereich konzipiert und aus Ergebnissen von Befragungen ehemaliger Raucher, die das Rauchen erfolgreich aufgegeben hatten, abgeleitet. Das TTM bietet eine generelle Erklärung für Verhaltensänderungen – klinisch relevante und alltägliche – an, indem es die Motivation von Menschen in aufeinanderfolgende Phasen einteilt, die nacheinander durchlaufen werden. Dafür werden von den Autoren des TTM sechs bzw. ursprünglich fünf verschiedene, aufeinander folgende Stufen („Stages“) oder Phasen der Bereitschaft zur Veränderung definiert, welche durch unterschiedliches Involviertsein in den therapeutischen Prozess gekennzeichnet sind (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Die Phasen der Veränderung (angelehnt an Prochaska & DiClemente, 1984)

|8|Das „eingeschränkte Problembewusstsein“ („Precontemplation“) als erste Stufe beschreibt einen Zustand, in welchem die Person sich des Problems nicht bewusst ist oder nicht gewillt ist, etwas zu verändern. In der darauffolgenden Phase der „Nachdenklichkeit“ („Contemplation“) denkt die Person ernsthaft über eine Veränderung nach, steigt aber noch nicht aktiv in den tatsächlichen Änderungsprozess ein. In der dritten Phase, der Phase der „Vorbereitung“ („Preparation“), entscheidet sie sich für eine Veränderung und leitet die für den Veränderungsbeginn notwendigen Maßnahmen ein, während in der vierten Phase, der „Handlungsphase“ („Action“), aktiv an der Verhaltensmodifizierung gearbeitet wird. In der Phase der „Aufrechterhaltung“ („Maintenance“) werden erzielte Erfolge stabilisiert und es wird einem Rückfall bzw. einer Rückkehr in frühere Phasen vorgebeugt, während in der letzten Phase, der des „Abschlusses“ („Termination“), das ursprüngliche Problemverhalten als nicht mehr existent betrachtet wird. Typischerweise ergeben sich während des Voranschreitens durch die Phasen der Veränderung häufig Rückfalle von späteren in frühere Phasen, bevor eine stabile „Aufrechterhaltung“ oder – wie nur in manchen Weiterentwicklungen des Modells enthalten – ein endgültiger „Abschluss“ erreicht wird.

Ursprünglich wurde von der „Aufrechterhaltung“ als letzter Phase ausgegangen, in welcher sich Menschen letztlich dauerhaft erfolgreich stabilisieren können (z. B. „trockene Alkoholiker“).

Das TTM beinhaltet überdies theoretische Annahmen darüber, wie Entscheidungen getroffen werden. Dies hängt nach den Autoren u. a. von dem Verhältnis der wahrgenommenen Vorteile (Pros) und Nachteile (Contras) der jeweiligen Veränderung ab. Das Treffen von Entscheidungen in Abhängigkeit von den Pro- und Contra-Argumenten eines Verhaltens bzw. einer Verhaltensänderung wird auch als „Decisional Balance“ bzw. Entscheidungswaage bezeichnet. Abgesehen davon werden auch aus „Erwartungs-mal-Wert“-Theorien stammende Ansätze mit in den Prozess der Entscheidung einbezogen.

Trotz bestehender Kritikpunkte wird das Modell häufig in Forschung und Praxis eingesetzt. So konnte die Gültigkeit der in ihm formulierten Phasen der Veränderung in vielen empirischen Studien belegt und die Anwendung bei der Behandlung zahlreicher Problemverhaltensweisen bestätigt werden (Krebs et al., 2018).

Zusätzlich bietet das TTM einen theoretischen Rahmen für die Konzeption diverser Messinstrumente zur Erfassung der Veränderungsmotivation, die Therapeuten und Patienten relativ klare Handlungsimplikationen liefern. Diese werden in Kapitel 3 vorgestellt.

Wir empfehlen den heuristischen Einsatz dieses Modells, um im Sinne der „Matching-Hypothese“ (z. B. Jones-Smith, 2016) die therapeutische Intervention auf die jeweilige Phase der Veränderung abzustimmen (Prochaska et al., 2002). Dies ist unserer Erfahrung nach auch dann möglich, wenn sich ein Patient bezüglich verschiedener Problembereiche in unterschiedlichen Phasen befindet.

|9|Was tun, wenn sich der Patient für verschiedene Teilbereiche seines Problems in unterschiedlichen Phasen der Veränderung befindet?

Ein empirisch belegter Kritikpunkt am TTM ist, dass sich Patienten bezüglich unterschiedlicher Teilbereiche ihres Problems gleichzeitig in unterschiedlichen Phasen der Veränderung befinden können. Dies wurde u. a. für Menschen mit Essstörungen diskutiert, da häufig die Motivation, den als aversiv erlebten Kontrollverlust in Form von Ess-Brechanfällen zu überwinden, höher ist als die Motivation, das Schlankheitsstreben sowie das restriktive Essverhalten aufzugeben (Hötzel et al., 2013).

Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, individuell mit den hier vorgeschlagenen Methoden auf die Motivation der jeweiligen Symptombereiche einzugehen. Die hohe Motivation für einen Bereich kann z. B. positiv zurückgemeldet werden und gleichzeitig kann respektvoll darauf eingegangen werden, dass sich der Patient in anderen Bereichen noch nicht zu einer Änderung entschlossen hat (vgl. dazu auch Kapitel 4.2.2.1.3). Darauf aufbauend kann die in manchen Bereichen hohe Motivation für erste konkrete Verhaltensänderungen genutzt und beispielweise die Anzahl der Ess-Brechanfälle durch Stimulus-Kontrolltechniken reduziert werden. Parallel dazu kann die Ambivalenz in anderen Bereichen bearbeitet und durch Psychoedukation ein Verständnis dafür geschaffen werden, dass die verschiedenen Bereiche zusammenhängen und z. B. die Essanfälle aufgrund von Nahrungsmittelrestriktion nur dann nachlassen werden, wenn regelmäßiger und mehr gegessen wird.

In der klinischen Literatur finden sich sehr viele Studien, die das TTM gleichzeitig mit dem MI nennen, obwohl letzteres völlig unabhängig davon entwickelt wurde. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass insbesondere in den ersten zwei bis drei Phasen des TTM ein Hauptaugenmerk auf der Steigerung der Änderungsmotivation liegt. Daher ist in diesen Phasen auch eine darauf ausgerichtete Gesprächsführung im Allgemeinen und somit auch das MI im Speziellen von besonderer Bedeutung.

2.3.2 Selbstwirksamkeitserwartung

Menschen werden nur dann (funktionale) Ziele verfolgen und psychische sowie physische Kosten und Mühen auf sich nehmen, wenn sie daran glauben, dass sie diese Ziele auch erreichen können. D. h., auch wenn eine Person nicht oder wenig ambivalent bezüglich der Valenz von Zielen ist und gerne ein funktionales Ziel erreichen bzw. „gesundes“ Verhalten ausüben möchte, können Motivationsprobleme entstehen, wenn sie sich die Zielerreichung einfach nicht zutraut. Die subjektive Einschätzung, ob man bestimmte Verhaltensweisen ausüben bzw. Ziele erreichen kann, wird als Funktion der Selbstwirksamkeitserwartung verstanden (vgl. auch Kasten „Erwartungs-mal-Wert-Modelle“ auf S. 59 ). Sie |10|wurde in ihrer Bedeutung für die Kognition und Motivation von Albert Bandura konzeptualisiert und empirisch untersucht (Bandura, 1977).

Die Selbstwirksamkeit („Self-efficacy“) beschreibt den Glauben daran, eine gewünschte Handlung aufgrund eigener Kompetenzen erfolgreich ausführen zu können. Dabei betont Bandura, dass es sinnvoll ist, nicht nur die globale Selbstwirksamkeitserwartung einer Person zu betrachten (also Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten), sondern auch die für eine bestimmte Handlung spezifische Selbstwirksamkeitserwartung (vgl. Kapitel 3.3.1.3).

Verschiedene Studien haben sehr konsistent die Bedeutung der Selbstwirksamkeitserwartung für eine spätere Verhaltensänderung (z. B. Sheeran et al., 2016) gezeigt. Aufgrund der daraus resultierenden engen Beziehung von Selbstwirksamkeitserwartung und Motivation für Verhaltensänderungen wird dieser Variable auch in verschiedenen Motivationstheorien und therapeutischen Ansätzen zur Steigerung der Änderungsmotivation Rechnung getragen. So wird beispielsweise im TTM im Rahmen der „Decisional Balance“ davon ausgegangen, dass ambivalente Personen nicht nur die Valenz der Konsequenzen für oder gegen ein problematisches Verhalten oder eine Verhaltensänderung abwägen, sondern auch die jeweilige subjektive Wahrscheinlichkeit, mit der diese positiven oder negativen Konsequenzen eintreffen. Letzteres hängt stark mit der Selbstwirksamkeitserwartung zusammen. Vertreter der Selbstbestimmungstheorie gehen sogar einen Schritt weiter, indem sie das Kompetenzerleben von Menschen als ein Grundbedürfnis definieren und Handlungen, die dieses Erleben fördern, als direkt verstärkend beschreiben.

Eine Steigerung der Selbstwirksamkeit in Bezug auf die gewünschte Verhaltensänderung wird einerseits kontinuierlich durch die Gesprächsführung und das gezielte Explorieren von subjektiv erlebten Stärken bzw. Zuversicht begünstigt (vgl. Kapitel 4.1). Andererseits wird eine Förderung der Selbstwirksamkeitserwartung mithilfe ressourcenorientierter Interventionen realisiert (vgl. Kapitel 4.2), welche sich wiederum häufig mit der Gesprächsführung überschneiden.

2.3.3 Selbstbestimmungstheorie

Zur Erklärung von Motivationsschwierigkeiten aufgrund von (problematischen) Zielen und Zielverfolgung können viele Theorien der Selbstregulation wie z. B. die „Selbstbestimmungstheorie“ („Self-Determination Theory“; SDT; Ryan & Deci, 2017) herangezogen werden. In diesem sehr umfangreichen Modell der Selbstregulation wird die Motivation zur Durchführung zielgerichteter Handlungen nicht nur in der Quantität (wie viel oder wenig motiviert ist eine Person), sondern besonders auch qualitativ bewertet. Die Autoren definieren funktionales, zielgerichtetes Verhalten als eines, das die psychologischen Grundbedürfnisse (vgl. Kasten „Psychologische Grundbedürfnisse“ auf S. 13) nach Kompetenz, Bindung/Zugehörigkeit und Autonomie befriedigt. Dies kann durch die Ziele selbst oder durch das Verhalten, welches zur Zielverfolgung gewählt wird, gesche|11|hen. Dabei müssen nicht alle Tätigkeiten direkt auf die Befriedigung dieser Bedürfnisse ausgelegt sein, sondern dies kann auch beiläufig passieren (z. B. indem man mit anderen Menschen zusammenarbeitet, um ein Ziel zu erreichen und so beiläufig auch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit befriedigt). Insbesondere die Autonomie wird als entscheidend für die Art der Motivation angesehen, welche von kompletter Freiwilligkeit und dem Aufgehen in einer Tätigkeit (intrinsische Motivation) bis hin zum Reagieren auf äußeren Druck, Strafe oder Belohnung (extrinsische Motivation) variiert.

Weitere Abstufungen auf dem Kontinuum von intrinsischer bis extrinsischer Motivation sind integrierte, identifizierte und introjizierte Motivation (vgl. Tabelle 1). Integrierte Motivation, die besonders in Neuformulierungen des Modells als ebenfalls autonom begriffen wird, beschreibt das Hinarbeiten auf Ziele, die absolut freiwillig und ich-synton in dem Sinne sind, als dass die Person die Ziele als zentral für ihr eigenes Selbst wahrnimmt. Identifizierte Motivation beschreibt Tätigkeiten, die nicht um ihrer selbst willen ausgeführt werden und bei denen die Ziele nicht unbedingt als zentral für das Selbstkonzept, wohl aber als persönlich wichtig und bedeutend angesehen werden. Introjizierte Motivation beschreibt Tätigkeiten, die ausgeführt werden, um andere Personen oder Vorstellungen von dem, was diese erwarten, zu befriedigen. Es wird also nicht direkt von außen über Strafen oder Anreize kontrolliert, aber wegen der verinnerlichten Erwartungen oder vermeintlichen Reaktionen anderer Menschen ausgeführt (z. B. um Schamgefühle zu verhindern).

Tabelle 1: Kontinuum von intrinsischer bis extrinsischer Motivation (angelehnt an Schiefele, 2009)

Extrinsische Motivation

Intrinsische Motivation

Extrinsische Regulation

Introjizierte Regulation

Identifizierte Regulation

Integrierte Regulation

Intrinsische Regulation

Handeln aufgrund von Belohnung und Bestrafung

Handeln, um den Erwartungen anderer gerecht zu werden

Handeln aufgrund von Zielen, die zwar wichtig, aber nicht zentral für das Selbstkonzept sind

Handeln aufgrund von Zielen, die zentral für das Selbstkonzept sind

Handeln, weil die Tätigkeit an sich belohnend ist

Fremdbestimmt

Selbstbestimmt