Angsttage - Andrea Kane - E-Book

Angsttage E-Book

Andrea Kane

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Beschreibung

Du sollst für meine Morde büßen. Und dann werde ich dein Leben nehmen ...

Eigentlich hatte Sally Montgomery einen romantischen Wochenendtrip geplant. Doch die Reise verwandelt sich in einen Horrortrip: Ihr Begleiter wird brutal ermordet und sie entkommt dem Killer nur knapp. Plötzlich verdächtigt die Polizei sogar sie selbst des Mordes an ihrem Freund. Nur Sallys Ex-Mann und ihre Tochter können ihr dabei helfen, ihre Unschuld zu beweisen. Dabei geraten sie in einen Sumpf von kriminellen Geschäften und Familienfehden. Können Sie die Wahrheit aufdecken, bevor der Killer Sally findet?

Ein Psychothriller mit Peter "Monty" Montgomery. Band 2: "Ewig währt der Zorn".

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Seitenzahl: 565

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Vorbemerkung

Widmung

Danksagungen

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

Über dieses Buch

Du sollst für meine Morde büßen. Und dann werde ich dein Leben nehmen …

Eigentlich hatte Sally Montgomery einen romantischen Wochenendtrip geplant. Doch die Reise verwandelt sich in einen Horrortrip: Ihr Begleiter wird brutal ermordet und sie entkommt dem Killer nur knapp. Plötzlich verdächtigt die Polizei sogar sie selbst des Mordes an ihrem Freund. Nur Sallys Ex-Mann und ihre Tochter können ihr dabei helfen, ihre Unschuld zu beweisen. Dabei geraten sie in einen Sumpf von kriminellen Geschäften und Familienfehden. Können Sie die Wahrheit aufdecken, bevor der Killer Sally findet?

Über die Autorin

Andrea Kane ist eine erfolgreiche US-Autorin, die u. a. psychologische Thriller schreibt. Ihre Bücher wurden bereits in über 20 Sprachen übersetzt. Sie lebt mit ihrer Familie und einem Zwergspitz in New Jersey.

Im Internet ist sie unter www.andreakane.com zu finden.

Andrea Kane

ANGSTTAGE

Aus dem amerikanischen Englischvon Karin Meddekis

beTHRILLED

Digitale Erstausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2006 by Rainbow Connection Enterprises, Inc.

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Wrong place, wrong time«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2008/2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Rainer Schumacher und Jan Wielpütz

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven© pupsy | Krasovski Dmitri | Cosmin Manci

eBook-Erstellung: Olders DTP.company, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-5138-5

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Gewidmet der Gemeinschaft der Tierärzte – diesen großartigen Medizinern, die sich der Gesundheit und dem Wohlergehen der Tiere sowie dem Fortschritt der tierärztlichen Medizin verschrieben haben. Ihnen gelten mein großer Respekt und meine Dankbarkeit.

Besonders inspiriert haben mich:

Rascal – mit deinem liebenden Herzen, deinem lebhaften Naturell und deinem unerschrockenen Geist. Du bist ein Held im wahrsten Sinne des Wortes.

Danksagungen

Wie immer schulde ich vielen Menschen Dank, die mir und dem Entstehen von Angsttage ihre Zeit und ihr Wissen zur Verfügung gestellt haben. Ihre Anregungen waren für mich von unschätzbarem Wert.

Peggy Gordijn, meiner Führerin durch die Welt des professionellen Springreitens. Ich kann noch immer nicht fassen, über welch ein breites Wissen Sie verfügen, von der Zucht und dem Training bis hin zu Turnieren und olympischen Ereignissen. Meine Dankbarkeit ist grenzenlos!

Besonderer Dank gilt Adrie Gordijn, dem ich Details aus erster Hand über die Führung eines Warmblütergestüts, über die Namen und Abstammungen seiner herrlichen Pferde und über Gran-Corrado verdanke, den Allerletzten seiner siegreichen Linie.

Den Gründern und Mitarbeitern des tiermedizinischen Kernspintomographie- und Strahlentherapiezentrums in New Jersey, deren hochmoderne Technologie, dynamische Persönlichkeiten und sorgende Herzen Wunder möglich machen.

Dr. Paul Sedlacek, der viel zu bescheiden ist, um zu wissen, was für ein unglaublicher Arzt er ist, und seinem ganzen Team der Tierklinik in Morris Plains. Ich habe die Tierklinik »Creature Comforts & Clinic« nach Ihrem Vorbild entworfen. Dr. Joel Sedwells Name ist eine angemessene Würdigung für zwei große Veterinäre: Dr. Paul Sedlacek und Dr. Joseph Powell.

Detective Mike Oliver, der mir half, das turbulente Treiben des fünfundsiebzigsten Polizeireviers in Brooklyn zum Leben zu erwecken, indem er mich zu einer Streife durch den Osten von New York mitnahm und mir persönliche Erkenntnisse über einen Tag im Leben eines Detectives des New York Police Department ermöglichte, und dessen reger Geist und trockner Humor mir halfen, Monty zu kreieren.

Dr. Hillel Ben-Asher, der stets für mich die wichtigste Quelle für medizinische Informationen ist.

Andrea Cirillo, ganz einfach die Beste.

Carrie Feron, die entscheidend bei der Redaktion und Konzeption mitwirkte und mir half, die Atmosphäre von Dutchess County einzufangen.

Caroline Tolley: Willkommen zurück, CT. Sie haben nichts von Ihren Talenten eingebüßt.

Und zu guter Letzt gilt mein Dank wie immer in erster Linie meiner Familie. Ihr seid meine Festung, meine Stärke und meine Inspiration.

1. Kapitel

Der Himmel im Norden des Staates New York hatte jene triste graue Farbe angenommen, die erkennen ließ, dass der Winter eingekehrt war.

Sally Montgomerys alter Chevy Pick-up fuhr ratternd über den schmalen, schneebedeckten Feldweg, der von ihrem Haus zu einem großen Pferdegestüt eine Meile entfernt führte. Normalerweise wäre Sally gelaufen, sogar zu dieser unchristlichen Zeit, denn es war erst halb sieben. In dem Kindergarten, in dem sie arbeitete, hielten sie alle für verrückt. Eine zweiundfünfzigjährige Frau, die eine Strecke von zwei Meilen zu Fuß zurücklegte, und das auch noch vor Sonnenaufgang?

Aber Sally war körperlich in Bestform, und sie hielt sich mit Vorliebe draußen auf. Wenn Sally durch die Natur spazierte, fühlte sie sich lebendig und bekam einen klaren Kopf.

Doch an einem Tag wie diesem hatte selbst Sally keine Lust auf einen Spaziergang. Heute war es bitterkalt; der Januar schlug mit voller Kraft zu. Die Temperatur war unter die Null-Grad-Marke gefallen, und es wehte ein starker Wind. Die Sonne lugte nicht ein einziges Mal zwischen den Wolken hervor. Außerdem hatte es in der vergangenen Nacht wieder geschneit. Es waren zwar nur ein paar Zentimeter Neuschnee gefallen, aber es reichte, um den Feldweg, über den Sally normalerweise spazierte, unbegehbar zu machen.

Bei diesem Wetter machte es wirklich keinen Spaß, zu Fuß zu gehen, und es war auch nicht ganz ungefährlich.

Deshalb hatte Sally den Pick-up genommen.

Sie bog links ab und fuhr durch das Tor auf die Pierson-Farm. Kiefern säumten den Weg, und das Scheinwerferlicht fiel auf die Eiszapfen an den Bäumen und den glitzernden Neuschnee auf dem fünf Hektar großen Land. Es war ein herrlicher Anblick.

Auch das Haus und die Nebengebäude waren beeindruckend.

Haus war im Grunde genommen nicht wirklich treffend, dachte Sally, als sie an den schneebedeckten, umzäunten Pferdekoppeln vorbei auf die Gebäude zufuhr, die zum Millbrook-Anwesen gehörten. Zuerst kam das sechshundert Quadratmeter große, von Kiefern gesäumte Haus. Dann folgten die Nebengebäude, die Pferdeställe mit den zahlreichen Boxen, die Scheunen und die Sattelkammern, die beheizten Waschställe und außerdem der große Hallenparcours sowie zwei kleinere Reithallen. Es war ein herrliches Anwesen, das größte und sehr aufwendig konzipierte Warmblutgestüt in Dutchess County, mit einem beleuchteten Reitplatz, einem Führring, einem Außenparcours und einem Grundstück mit einem Teich und einer Gartenlaube, das einem Landschaftsmaler als Vorlage hätte dienen können.

Der Anblick verschlug Sally den Atem stets aufs Neue.

Doch das war nicht der Grund, warum sie so gern hierher kam.

Sie kam wegen der Pferde. Auch wenn Edward Pierson seine Millionen im Restaurantgewerbe gemacht hatte, gehörte seine Leidenschaft den Pferden. Jahrelang hatte er siegreiche Springpferde gesponsert. Jetzt, im Alter von fast achtzig Jahren, gehörten ihm einige der erfolgreichsten und exquisitesten Warmblüter im ganzen Land. Sie traten zu Springturnieren an, und er züchtete sogar selbst. Es waren außergewöhnliche Pferde, und Sally konnte die Preise kaum noch zählen, die sie gewonnen hatten. Charakter, Schönheit und Talente jedes einzelnen Pferdes waren einzigartig. Sally genoss die Zeit mit ihnen – und zwar mit allen und nicht nur mit den dreien, für deren Betreuung sie bezahlt wurde. Zwar brauchte sie das Geld, das sie hier jeden Morgen verdiente, wenn sie dieselben Arbeiten wie die Pferdepfleger der Piersons übernahm, doch sie hätte es tatsächlich auch unentgeltlich getan.

Die Räder gruben sich knirschend in den Schnee, als sie zum Stall hochfuhr und anhielt. Es war noch sehr früh. Frederick würde erst in einer halben Stunde kommen. Das kam ihr sehr gelegen. Sally würde die Zeit nutzen, um nach Sunrise zu schauen und zu überprüfen, was ihr Bein machte. Vorgestern hatte die Stute es kaum belastet. Sally hoffte, dass sie sich inzwischen auf dem Weg der Besserung befand.

Sie stieg aus und stiefelte auf das Holztor zu.

Mein Gott, war es heute kalt. Sally öffnete das Tor mit dem Ellbogen und rieb sich die Hände; sie waren eiskalt, obwohl sie Handschuhe trug. Sie hörte das leise Wiehern und Stampfen der Pferde in ihren Boxen.

Das Wichtigste zuerst: Sunrise.

Sally lief zur Box der Stute, die ihr den Hals zur Begrüßung entgegenstreckte. Sunrise war ein anmutiges kastanienbraunes Pferd mit wunderschönen weißen Flecken und dunklen, ausdrucksstarken Augen. Von Natur aus warmherzig und liebevoll, reagierte das Tier auf Sallys Zärtlichkeiten, indem es mit dem Schweif schlug und sie mit den Nüstern anstupste, doch Sally bemerkte, dass ihre Haltung noch immer etwas steif war. Mit gerunzelter Stirn schaute sie auf Sunrise’ rechtes Bein. Ja, es bereitete der Stute noch immer Probleme.

Sally hatte sich soeben auf die Erde gehockt, als vom anderen Ende des Stalls Stimmen an ihr Ohr drangen. Männerstimmen.

»… nicht nur große Scheiße, das ist kriminell! Eine Bombe, die uns alle in die Luft jagen kann!« Das war Frederick, Edward Piersons ältester Sohn, mit dem Sally morgens ausritt. Offenbar war er hier. Und seine Stimme klang wütend. »Zum Teufel mit der Loyalität. Er ist raus!«

»Das ist meine Sache und nicht deine.« Sally kannte auch den Mann, der Frederick in eiskaltem Ton antwortete. Es war das Familienoberhaupt persönlich. Nach neunundsiebzig turbulenten Jahren und einer soeben überstandenen Herzattacke war Edward Pierson noch immer eine ebenso beeindruckende Persönlichkeit wie in der Blüte seiner Jahre. »Halt dich da raus, Frederick. Ich kümmere mich darum.«

»Und wie? Indem du die richtigen Leute bezahlst, um es ungeschehen zu machen? Das wird nicht funktionieren. Diesmal nicht. Mein Gott, Vater, du kannst doch nicht immer den Kopf in den Sand stecken. Er stellt eine große Gefahr für uns dar, und eines Tages wird die Bombe platzen. Und dann werden unser Unternehmen und unser aller Leben zerstört.«

»Sei nicht so melodramatisch. Ich weiß, was ich tue.«

»Na, großartig. Dann weih mich ein. In deine Pläne mit ihm und diesem Forscher, in den du unser Geld pumpst. Erkläre mir alles. Ich habe das Recht, es zu erfahren. Ich bin der Direktor von Pierson & Company.«

»Und ich bin der Präsident«, entgegnete Edward, »und zwar bis zu dem Tag, an dem ich sterbe. Das heißt, du musst meinen Anordnungen Folge leisten. Und nicht andersherum.«

»Wie konnte ich das vergessen? Du erinnerst mich ja jeden Tag daran. Jetzt möchte ich dich aber gerne daran erinnern, dass ich mir dreißig Jahre lang den Arsch aufgerissen habe, damit wir heute da stehen, wo wir sind.«

»Ja, aber ich habe mir meinen Arsch aufgerissen, um dieses Unternehmen vor dreißig Jahren zu gründen. Da hast du noch Baseballkarten gesammelt.«

»Und jetzt ernte ich Rekordgewinne. Das kann ich aber nicht mehr, wenn meine ganzen Anstrengungen zunichte gemacht werden. Offenbar hast du andere Vorstellungen. Welche?«

»Du weißt alles, was du wissen musst.«

Frederick atmete tief ein. »Mit anderen Worten heißt das, ich soll mich nicht einmischen, und der Scheißkerl bleibt bei Pierson.«

»Richtig.«

»Nein, das ist nicht richtig. Darüber haben wir noch nicht das letzte Wort gesprochen«, erwiderte Frederick in einem Ton, als würde er gleich platzen. »Wir sollten das Gespräch jetzt beenden. Sally wird jede Minute hier sein. Wir reiten zusammen aus. Anschließend gehe ich ins Büro. Um halb elf habe ich eine Besprechung. Wir werden später noch einmal darüber reden.«

Das hörte Sally gar nicht gern.

Sie hatte rasch bemerkt, dass dieses Gespräch nicht für ihre Ohren bestimmt war. Sie versuchte, aus Sunrise’ Box zu huschen und sich davonzustehlen.

Doch das klappte nicht.

Frederick lief an der Box vorbei, während er vor sich hin murmelte, dass er ihm heute »die Leviten lesen würde«, und rannte Sally beinahe über den Haufen, als sie Sunrise’ Box verließ.

»Sally.« Er umklammerte ihre Arme, damit sie das Gleichgewicht nicht verlor, und runzelte seine leicht ergrauten Augenbrauen. Seine Gesichtsmuskeln zuckten, und seine Wangen waren gerötet – deutliche Spuren des Streits, der soeben zwischen ihm und seinem Vater entfacht war. Doch seine Miene wurde sofort ein wenig freundlicher, als er sich Sally zuwandte und sie ein wenig argwöhnisch musterte. »Ich wusste gar nicht, dass du schon da bist. Ist alles in Ordnung?«

»Ich bin gerade angekommen. Ja, bei mir ist alles in Ordnung«, beteuerte Sally, obwohl sie ein wenig verlegen war. Sie hatte nicht nur gehört, dass Vater und Sohn sich heftig gestritten hatten, und dadurch erfahren, dass bei Pierson & Company etwas im Argen lag; obendrein war sie auch noch dabei ertappt worden, als sei das ihre Absicht gewesen.

Mein Gott, sie musste aufhören, ständig wie die Frau eines Polizisten zu denken. Dies war keine Folge von Law & Order. Es war eine peinliche Situation. Frederick hatte sie erwartet. Zweimal pro Woche ritten sie morgens gemeinsam aus. Unglücklicherweise war sie ausgerechnet heute früher hier aufgetaucht. Na und? Sie hatte zwar den Streit mitbekommen, aber welcher Mitarbeiter der Piersons seine Befugnisse überschritt – und dies auch noch mit Edwards Einverständnis tat – ging sie nichts an.

Es war höchste Zeit, die angespannte Situation aufzulockern. Vielleicht sollte sie die ganze Sache nicht so verkniffen sehen.

Kurz entschlossen zog Sally die Kapuze ihres Parkas vom Kopf, damit sie sich ungehindert in die Augen sehen konnten. »Entschuldige, dass ich hier so reingeplatzt bin«, sagte sie mit ehrlichem Bedauern. »Ich war ein paar Minuten früher hier, weil ich mit dem Pick-up gefahren bin. Heute war es selbst mir zu kalt, um zu laufen. Tut mir leid, dass ich dich bei deiner Besprechung gestört habe.«

»Bei meiner Besprechung«, wiederholte Frederick spöttisch. »Eine interessante Umschreibung.«

»Eine taktvolle Umschreibung«, erwiderte Sally; sie gab gar nicht erst vor, den Streit missverstanden zu haben. »Ehrlich gesagt streite ich mich auch mit meinen Eltern. Sie meinen es sicher gut, aber wir sind nicht immer einer Meinung. Doch wenn es darauf ankommt, ist die Familie für dich da. Vergiss das nicht. Und geh mal joggen. Das wirkt Wunder, um Wut zu vertreiben.«

»Joggen ist nicht meine Sache.«

»Dachte ich mir.« In diesem Augenblick wurde Sally bewusst, dass sie Frederick außer beim Reiten noch nie in anderer Kleidung als in konservativen Anzügen und einem Kaschmirmantel gesehen hatte. »Racquetball?«, fragte sie in der Hoffnung, doch noch einen Treffer zu landen.

Frederick, der sich zusehends entspannte, kicherte nun. »Nein. Die Arbeit. Ein paar Stunden hinter meinem Schreibtisch, und ich vergesse, dass ich mich je aufgeregt habe.«

Sally verzog das Gesicht und steckte eine Strähne ihres hellbraunen Haars hinters Ohr. »Wenn du es sagst.«

»Du klingst skeptisch.«

»Das sollte ich aber nicht sein. Wenn man bedenkt, wie erfolgreich du bist, dann muss dir deine Arbeit Spaß machen.«

»Auch wenn ich nicht viel Zeit habe, die Natur zu genießen.«

Sally zuckte mit den Schultern. »Jeder ist anders. Ich liebe die Natur. Du liebst die Geschäfte. Die Welt braucht beides.«

»Immer verständnisvoll, immer ladylike«, sagte Frederick mehr zu sich als zu ihr. Er war ein kräftiger Mann mit zerfurchten Gesichtszügen und ergrautem Haar. Man konnte ihn nicht unbedingt als hübsch bezeichnen, aber er hatte Charisma. Eine sehr gute Partie – reich, mächtig, ziemlich attraktiv und ungebunden. Frederick war achtundfünfzig Jahre alt und seit zwei Jahren Witwer. Obwohl er mehrmals mit einer sehr gut aussehenden blonden Anwältin fotografiert worden war, die für die Piersons arbeitete, hatte er sein Interesse an Sally nie verheimlicht.

Seit ein paar Monaten verbrachte er mehr Zeit auf dem Gestüt und ritt morgens mit Sally aus. Mittlerweile genoss sie seine Gesellschaft und ging allmählich auch auf seine Annäherungsversuche ein. Es war so verdammt lange her. Irgendwann musste sie die Vergangenheit loslassen.

»Hast du am nächsten Wochenende schon was vor?«, fragte Frederick, als würde er ihre Gedanken erraten.

»Nichts Besonderes. Warum?«

Frederick schürzte die Lippen und schaute sie nachdenklich an. »Einer meiner Hauptlieferanten hat eine Berghütte in den Adirondacks in Lake Luzerne. Ich werde das Wochenende dort verbringen. Ich muss mal auf andere Gedanken kommen und würde mich freuen, wenn du mich begleitest.«

Okay, wenn er Wochenende sagte, dann meinte er das ganze Wochenende, doch dazu fehlte ihr der Mut. Und dann auch noch Lake Luzerne. Das rief Erinnerungen wach.

»Danke, aber ich möchte lieber nicht.«

»Mich oder das Wochenende?«

»Das Wochenende.« Sally holte tief Luft. »Schau, Frederick, ich bin gerne mit dir zusammen. Aber wenn du mich zu etwas einladen möchtest, wäre es mir lieber, wenn wir mit einem unkomplizierten Restaurantbesuch beginnen würden. Ein gemeinsames Wochenende ist mir zu lang.«

Frederick schien die Antwort zu amüsieren. »Du bist so verdammt ehrlich. Dann will ich es dir noch einmal genau erklären. Mein Lieferant hat eine Skihütte mit zwei Schlafzimmern in Lake Luzerne. Ich würde mich freuen, wenn mich eine hübsche und intelligente Freundin begleitet, die sich ebenso gern in der Natur aufhält, wie ich mich in Sitzungssälen. Vielleicht kann sie mir ja zeigen, wie man sich richtig entspannt, und wir lernen einander gleichzeitig besser kennen. Wie gut wir uns kennen lernen, das liegt ganz bei ihr«, fügte er nachdrücklich hinzu.

Diese Erklärung stimmte Sally versöhnlicher, und sie dachte über weitere Hindernisse nach. »Dann könnten wir am Freitag aber erst nach drei Uhr losfahren.«

»Klar. Um drei Uhr hast du Feierabend. Dann schickt ihr die Kinder nach Hause.«

Sally hob überrascht die Augenbrauen. »Du weißt ja gut Bescheid. Ich bin beeindruckt.«

»Gut. Dann begleite mich.«

Sally gefiel es, dass Frederick versuchte, sie zu überreden. Ihre haselnussbraunen Augen funkelten vergnügt. »Nicht so schnell. Was ist mit den Pferden, um die ich mich kümmere? Wer springt für mich ein?«

»Hier bei uns gibt es genug qualifizierte Pferdepfleger und Trainer. Ich glaube; das bekommen die schon hin. Außerdem kommt mein Neffe Blake am Wochenende hierher. Er wird dafür sorgen, dass die Pferde fast ebenso viel fachkundige Fürsorge und liebende Zuwendung bekommen wie von dir. Ich werde sogar jemanden bitten, sich um deine Tiere bei dir drüben zu kümmern und sie zu füttern. Sonst noch etwas?«

»Ja. Scamp.«

»Scamp?«

»Mein Belgischer Griffon. Mein Hund«, erklärte Sally Frederick, als dieser sie verständnislos anschaute. »Er kann nicht allein bleiben. Und er ist Fremden gegenüber ein wenig schwierig. Für ihn muss ich mir etwas anderes einfallen lassen.«

»Diese Ausrede lasse ich nicht gelten.« Mit einem gequälten Grinsen wies Frederick ihren letzten Einwand zurück. »Ich weiß doch, dass deine Tochter Devon Tierärztin ist. Und ich weiß auch, dass die Praxis, in der sie arbeitet, eine Kombination aus einer hervorragenden Klinik und einem Club Mediterrane für Haustiere ist.«

»Sie gehört noch nicht fest dazu«, korrigierte Sally ihn, wobei ihre Augen vor Stolz funkelten. »Erst ab ersten Januar. Sie ist die Juniorpartnerin, die jüngste Ärztin in der Klinik.« Als Sally ihren überheblichen Ton bemerkte, verstummte sie verlegen. »Tut mir leid. Mein mütterlicher Stolz ist mit mir durchgegangen.«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Das ist eine gute Nachricht. Und eine großartige Leistung. Ich habe nicht vergessen, dass du damals, als meine Familie diese Farm von den Wilsons gekauft hat, gebeten hast, deinen Nebenjob behalten zu dürfen, um dir nebenbei ein wenig Geld zu verdienen. Wenn ich mich recht entsinne, haben du und dein Ex das College und die Tiermedizinische Fakultät Cornell bezahlt. Deine Anstrengungen haben sich offenbar ausgezahlt. Du hast eine bemerkenswerte Tochter. Sie hat aber auch eine bemerkenswerte Mutter.«

Sally nahm das Kompliment lächelnd zur Kenntnis. »Ich fühle mich geschmeichelt.«

»So sehr, dass du mich am Wochenende begleiten wirst? Für dich ändere ich sogar meine Pläne. Ursprünglich wollte ich schon am Donnerstag fahren; doch ich warte gerne einen Tag, um deine Gesellschaft zu genießen.«

»Das brauchst du gar nicht. Mir fällt gerade ein, dass der Kindergarten an diesem Freitag geschlossen ist. Die Heizungsanlage wird repariert.«

»Das ist ein Wink des Schicksals«, meinte Frederick erfreut. »Dann ist ja alles klar. Wir fahren am Donnerstag sofort los, sobald du Feierabend hast.«

Sally gab ihren Widerstand allmählich auf. »Zwei Schlafräume?«, stellte sie noch einmal klar.

»Mit einem Badezimmer dazwischen. Und mit einer herrlichen Aussicht und wunderschönen Wanderwegen. Ich sag dir was: Ich werde sogar mal versuchen, Schlittschuh zu laufen. Aber beim Skilanglauf hört es bei mir auf. So mutig bin ich nicht.«

»Okay, aber du weißt nicht, was du verpasst.« Plötzlich war Sally richtig begeistert, und sie beschloss, die Einladung anzunehmen. Ein Wochenende in den Bergen. Eine Gelegenheit, alte Erinnerungen durch neue zu ersetzen. Sie musste es versuchen. »Das ist genau, was ich brauche. Um vier Uhr habe ich meine Sachen gepackt, und dann können wir los.«

»Abgemacht.«

2. Kapitel

Devon Montgomery zog ihren Kittel aus, hing ihn auf und rieb sich den Nacken. Sie war total erschöpft. Ein Zwölf-Stunden-Tag mit zwei Notoperationen und einem dringenden Hausbesuch lag hinter ihr: eine einen Monat alte schwarz-weiß gescheckte Katze namens Marble mit einer Infektion des Harntraktes.

Heute hatte in der Tierklinik »Creature Comforts & Clinic« eine so große Aufregung geherrscht, dass die Feier zu Ehren von Devons Aufstieg zur Juniorpartnerin ganz in Vergessenheit geraten war. Als sich alle an die kleine Stärkung erinnerten, die die Büroangestellten im Konferenzraum bereitgestellt hatten, war die Eistorte geschmolzen, und der heiße Kaffee hatte sich in lauwarme Brühe verwandelt.

Es spielte keine Rolle. Anstatt zu feiern, hatte Devon einem Irish Setter das Leben gerettet, einen Nymphensittich behandelt, sodass er wieder fliegen konnte, und Marbles Infektion diagnostiziert und Medikamente verschrieben, um die kleine Katze wieder in die Arme der kleinen Amy Greens zu legen, der dankbaren fünfjährigen Besitzerin.

Das war besser als jede Feier.

Inzwischen war wieder Ruhe eingekehrt. Der hohe Adrenalinspiegel, der Devon geholfen hatte, den Tag zu überstehen, sank wieder auf ein normales Niveau. Jetzt machte sich ihre Müdigkeit bemerkbar, und ihre privaten Sorgen traten in den Vordergrund.

In Gedanken versunken lief Devon zu jenem Trakt der Klinik, in dem die Tierpension untergebracht war. Sie wollte nach Scamp sehen, den ihre Mutter heute Morgen hier abgegeben hatte. Er war gesund und munter und tollte im Hundespielzimmer mit einer Tierpflegerin herum, um überschüssige Energie loszuwerden. Das war keine Überraschung, denn Scamp hatte Sandy Adams, die diensthabende Tierpflegerin, die mit ihm spielte, ins Herz geschlossen. Und der Hund amüsierte sich köstlich.

Doch Devon sorgte sich nicht um den Hund, sondern um die Besitzerin.

Verdammt, Mom, was ist los mit dir?, fragte sie sich im Stillen, während sie durch die Gänge der Tierklinik wanderte. Warum stürzt du dich in dieses Wochenendabenteuer? Und wenn du dich so sehr darauf gefreut hast, warum hast du dich dann so sonderbar verhalten?

Irgendetwas stimmte nicht.

Devon runzelte die Stirn und steuerte auf ihr Büro zu. Der laute Hall ihrer Schritte auf den Keramikfliesen begleitete sie, als sie durch die nun leeren Behandlungszimmer lief. Es war kaum zu glauben, dass es dieselben Räume waren, in denen noch vor ein paar Stunden hektisches Treiben geherrscht hatte und die von dem lauten Bellen und Miauen der Patienten erfüllt gewesen waren. Um einundzwanzig Uhr war hier jedoch Ruhe eingekehrt. Allerdings nicht im gesamten Komplex. In dem Trakt mit der modernen Tierklinik waren die Tierpfleger noch aktiv. Sie schauten nach den Patienten und verabreichten ihnen Medikamente. An die Klinik grenzten die Tierpension und das ausgedehnte Trainingsgelände. Erfahrene Helfer versorgten die Tiere und bereiteten sie auf die Nacht vor, während andere Mitarbeiter auf leitende Angestellte warteten, die ihre Hunde erst am späten Abend abholten, die den Tag in der Hunde-Tagesbetreuung verbracht hatten. Im Trainingszentrum hingegen herrschte Stille, da die Hundeschule erst morgen wieder ihre Pforten öffnete.

Devon erfüllte es mit Stolz, hier zu arbeiten. Stolz, dass diese Tierklinik von der New York Times als eines der vielversprechendsten neuen Unternehmen in Westchester County bezeichnet worden war. Noch stolzer machte sie die Formulierung, dass die Tierklinik »sehr beeindruckend ist und die medizinische Pflege, die Hundeschule und die Tierpension sich am höchsten Standard orientieren«.

Besonders stolz war sie jedoch darauf, dass sie mit achtundzwanzig Jahren die jüngste Juniorpartnerin in der Klinik war, einer Klinik, die nur die Besten der Besten einstellte.

Devon erreichte ihr neues Eckbüro und schaute kurz auf das goldene Schild, auf dem DEVON MONTGOMERY – TIERÄRZTIN stand, um sich daran zu erinnern, dass dieses begehrte Büro wirklich ihr gehörte. Dann ging sie hinein und setzte sich hinter den Kirschholzschreibtisch. Sie nahm die Spange aus ihrem langen, hellbraunen Haar, sodass es auf ihre Schultern fiel. Ungeduldig strich sie sich mit den Fingern durchs Haar, lehnte sich zurück und massierte ihre Schläfen. Sie war wirklich gestresst.

Devon schaute auf die Uhr. In L.A. war es jetzt Zeit fürs Abendessen.

Das hatte natürlich gar nichts zu bedeuten. Er konnte überall in der Welt sein.

Devon nahm den Hörer ab, wählte eine Handynummer und wartete, während das Freizeichen ertönte.

»Hallo, Dev.« Ihr zweiunddreißigjähriger Bruder Lane hob nach dem dritten Klingeln ab. Er hörte sich erschöpft an, schien aber nicht überrascht zu sein. »Ich bin zu Hause. Hier im sicheren, alten L.A. Falls du also anrufst, um dich zu erkundigen, wie es mir geht, brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Was ist los? Du hast Nachtdienst, und es ist ruhig?«

»Hallo, Lane«, erwiderte Devon. »Die Anzeige auf dem Display nimmt einem klingelnden Telefon die ganze Spannung.«

»Das ist die moderne Technik.«

Devon lächelte und spürte wie immer Erleichterung in sich aufsteigen, als sie die Stimme ihres Bruders hörte. Er war Fotojournalist und unglaublich erfolgreich in seinem Job. Da er oft zu gefährlichen Zielen auf der ganzen Welt reiste, machte Devon sich stets schreckliche Sorgen. Doch ihr Bruder neigte ebenso wie ihr Vater dazu, ein gefährliches Leben zu führen. Gefahren verschafften beiden gleichermaßen Nervenkitzel.

Ihre Mutter war das genaue Gegenteil.

Devons Charakter war irgendwo dazwischen angesiedelt.

»Dev?«

»Ich bin noch dran. Und um deine Frage zu beantworten: Nein, ich habe heute keinen Nachtdienst. Ich bin aber noch in der Klinik. Und du bist außer Atem. Warum? Habe ich dich bei irgendwas gestört?«

Lane kicherte über diese Bemerkung. Wer weiß, woran sie gedacht hatte. »Nein. Wenn du mich gestört hättest, hätte ich dich auf die Mailbox sprechen lassen. Ich bin erschöpft. Ein langer Tag und ein langer Flug. Ich war in Hawaii und habe den Kilauea Vulkan fotografiert. Der Pu’u ’O’o-Karter ist unglaublich beeindruckend. Auf jeden Fall bin ich erst vor ein paar Stunden nach Hause gekommen und muss mich entspannen.« Er verstummte kurz. »Du hast doch bestimmt nicht angerufen, um dir von mir etwas über Vulkane erzählen zu lassen. Was ist los?«

Devon wunderte sich nicht, dass Lane sofort bemerkt hatte, dass sie etwas bedrückte. Sie kannten sich beide sehr gut. Als er vor fünf Jahren nach Los Angeles gezogen war, war sie zu Tode betrübt gewesen. Sally vermisste ihn wahnsinnig, und das tat der Rest der Familie auch. Sie ließen keine Gelegenheit aus, um ihn darauf hinzuweisen und ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Der arme Lane. Er hatte keine Chance. Er würde so schnell wieder in den Osten ziehen, dass er gar nicht wissen würde, wie ihm geschah.

Ja, die Montgomerys hielten fest zusammen.

Und das war auch der Grund, warum diese Sache Devon verrückt machte.

»Scamp ist hier«, erklärte Sally ihrem Bruder. »Mom hat ihn bis Montag in der Hundepension abgegeben. Sie ist für ein verlängertes Wochenende weggefahren.«

»Gut. Sie braucht ein bisschen Abwechslung. Wo liegt das Problem?«

»Sie ist nicht allein weggefahren.«

»Und wo liegt das Problem?«

»Muss ich noch deutlicher werden? Mom ist mit einem Mann weggefahren.«

Lane seufzte. »Das hab ich mir fast gedacht, Dev. Es geht also wieder um Mom und Dad und die Versöhnung, auf die du noch immer hoffst, obwohl es niemals geschehen wird. Es ist fünfzehn Jahre her, Schwesterherz. Wirst du dich denn nie damit abfinden?«

»Das kann ich nicht. Sie lieben sich noch immer.«

»Das ist kein Argument. Sie haben sich nicht scheiden lassen, weil sie sich nicht lieben, sondern weil sie nicht als Ehepaar zusammenleben können. Daran hat sich nichts geändert.«

Devon reckte dickköpfig das Kinn vor. »Dad trifft sich nie mit anderen Frauen.«

»Das braucht er auch nicht. Er ist mit seinem Job verheiratet. Was Frauen betrifft, so bekommt er sicherlich das, was er braucht, wenn er mit seinen alten Freunden vom Polizeirevier seine Wochenendtouren macht.«

»Lane!«, widersprach Devon, der dieser Gedanke und die damit verbundenen Vorstellungen nicht gefielen.

»Komm schon, Dev«, erwiderte ihr Bruder ungeduldig. »Unser Vater hat doch nicht all die Jahre wie ein Mönch gelebt.«

»So genau wollte ich das gar nicht wissen.«

»Ich sage es so, wie es ist. Dad ist vierundfünfzig Jahre alt. Er ist gesund und topfit und zudem Privatdetektiv und ehemaliger Detective der New Yorker Polizei, was beides auf einige Frauen sehr anziehend wirkt. Und unsere Mutter war, als sie die Scheidung eingereicht hat, nach den Aussagen all meiner siebzehnjährigen hormongesteuerten Freunde jung und ein heißes Model. Sie sieht noch immer klasse aus. Glaubst du wirklich, sie hat all die Jahre wie eine Nonne gelebt?«

»Nein«, antwortete Devon. »Natürlich nicht. Aber ihr hat noch nie jemand gut genug gefallen, dass sie ein Wochenende mit ihm verbracht hätte. Und es ist nicht nur das. Sie war irgendwie komisch, als sie Scamp bei mir abgegeben hat. Viel zu überschwänglich. Zu ausgelassen. Das ist nicht Moms Art. Ich hatte das Gefühl, sie wolle mir vorgaukeln, wie sehr sie sich freut.«

»Wahrscheinlich hatte sie Angst, du würdest ihr ein Loch in den Bauch fragen.«

»Oder sie hat versucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie das Richtige tut.«

»Vielleicht war sie nervös. Du hast selbst gesagt, dass sie so etwas normalerweise nicht macht. Außerdem wusste sie, dass sie dich sehen würde, wenn sie Scamp in der Tierpension abgibt, und dir genau sagen müsste, wann sie wegfährt und wohin. Es wird ihr unangenehm gewesen sein. Ich hoffe, du warst nicht indiskret.« Kurz hielt er inne. »Wer ist eigentlich dieser Mann?«

Obwohl Devon sich große Sorgen machte, verzog sie spöttisch den Mund. »Hast du nicht gerade gesagt, du hoffst, ich wäre nicht indiskret gewesen?«

»Okay, ich mache mir auch Sorgen«, gab Lane zu. »Wer ist es?«

»Frederick Pierson. Von Pierson & Company. Offenbar haben sie sich auf dem Gestüt angefreundet.«

Lane knurrte. »Ich hoffe, der ist keine Nummer zu groß für Mom. Sie ist nicht gerade der Jetset-Typ.«

»Nein, ist sie nicht.« Devon fühlte wieder die Sorge um ihre Mutter. »Da ist übrigens noch etwas … das Ziel dieser Wochenendreise. Er ist mit ihr nach Lake Luzerne gefahren.«

»Du machst Scherze«, erwiderte Lane verblüfft. »Hat sie gesagt, warum?«

»Ich habe sie gefragt. Sie hat die Sache total heruntergespielt und gesagt, es sei reiner Zufall. Ein Kollege von Frederick Pierson hat wohl eine Berghütte dort.«

»Es ist mir egal, ob er ein luxuriöses Blockhaus besitzt. Frederick Pierson kann es sich leisten, sich überall auf der Welt eine Berghütte fürs Wochenende zu mieten. Aber Lake Luzerne? Mom hat es immer vermieden, auch nur über den Ort zu sprechen. Ich habe gedacht, sie würde ihn meiden wie die Pest für ihr erstes … erstes … was auch immer dieses Wochenende ist.«

Devon seufzte. »Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie absichtlich dorthin fährt. Um sich selbst etwas zu beweisen. Sie wird versuchen wollen, Dad zu vergessen. Es wird ihr aber nicht gelingen.«

»Du hast es Dad doch nicht gesagt, oder?«

»Nein, aber ich war in Versuchung.«

»Tu es nicht. Wenn Mom möchte, dass er es erfährt, wird sie es ihm selbst sagen.«

»Ich mache mir Sorgen um sie, Lane.«

»Sie ist eine erwachsene Frau. Wir sind ihre Kinder und nicht ihre Eltern.«

»Ich weiß«, räumte Devon leise ein. »Aber glücklich macht mich das nicht. Ich habe ein komisches Gefühl.«

Sally hatte ähnliche Gedanken.

Auf der Fahrt war die malerische und schmerzlich vertraute Landschaft an ihnen vorbeigezogen. An diesem Wintertag herrschte ein Wetter wie im Bilderbuch – angefangen von dem strahlenden Sonnenschein am Spätnachmittag bis hin zu dem fantastischen Sonnenuntergang. Die rustikale Berghütte war mit einem großen Steinkamin, bequemen Sofas, einer modernen Küche, einem Bad und zwei kleinen, gemütlichen Schlafzimmern ausgestattet. Sie hatten sich nett unterhalten. Die getrennten Schlafzimmer waren nicht infrage gestellt worden – auf jeden Fall nicht in dieser ersten Nacht.

Doch die Erinnerungen waren fast unerträglich.

Als Sally im Bett lag, fragte sie sich, ob Frederick wohl bemerkt hatte, wie aufgewühlt sie war. Er war im Laufe des Abends immer stiller und nachdenklicher geworden. Nach dem Essen hatten sie noch kurz etwas getrunken, und dann hatte er sie flüchtig auf den Mund geküsst und sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen.

Vielleicht war es ein Fehler gewesen. Vielleicht war es für Lake Luzerne noch zu früh. Vielleicht würde es immer zu früh sein.

Sally drehte sich auf die Seite und wünschte sich, das Leben wäre nicht so kompliziert und die Antworten wären so klar, wie sie damals als jüngere, naivere Frau geglaubt hatte … als sie noch davon überzeugt gewesen war, die Liebe könne alle Probleme bezwingen.

Das konnte sie jedoch nicht.

Nachdem Sally sich ein paar Stunden hin und her gewälzt und ein paar Stunden unruhig geschlafen hatte, stieg sie aus dem Bett. Sie war es gewohnt, beim ersten Hahnenschrei aufzustehen, und der heutige Tag bildete da keine Ausnahme.

Die Eiszapfen, die vor dem Fenster hingen, sagten ihr, dass sie sich durch die relative Wärme in der beheizten Holzhütte nicht täuschen lassen durfte. Draußen war es bitterkalt. Doch darauf hatte sie sich eingestellt. Sally zog Thermounterwäsche an, einen Mikrofaserpullover, eine Skihose und wasserdichte Wanderstiefel. Dann ging sie in die Küche, kochte sich Kaffee und ging mit einer Tasse auf die geschützte Veranda hinaus.

Ringsherum herrschte Stille. Sally atmete die kalte Luft ein und dachte nach.

Erinnerungen wurden wach.

Sie schaute auf die schneebedeckten Berge und sah Bilder zahlreicher Winterurlaube vor Augen, die sie vor vielen, vielen Jahren in Lake Luzerne verbracht hatte. Lane und sein Skifahren, seine Fortschritte von den ersten unsicheren Versuchen auf dem Anfängerhügel, bis ihn dann der Hafer stach und er die spiegelglatte Skipiste hinunterraste. Devon und ihr Schlittschuhlaufen, wie sie kreuz und quer über den Teich sauste und versuchte, ein paar Hunden aus der Nachbarschaft beizubringen, es ihr gleichzutun, und wie sie ihnen half, die Ballen ihrer Pfoten als Kufen einzusetzen. Und die kleine Meredith, die mit ihrem Vater die Hügel hinunterrodelte und die ganze Zeit wimmerte und dann ihren ersten Schneemann baute – auch mit Hilfe ihres Daddys.

Pete Montgomery war der Mittelpunkt im Leben der Kinder.

Und auch in Sallys.

Wer auch immer den Begriff der gegenseitigen Anziehung geprägt hatte, er musste sie beide vor Augen gehabt haben: ein naturverbundenes, häusliches Mädchen, das in behüteten Verhältnissen aufwuchs, und ein cooler, verwegener Cop aus Brooklyn, der so stark mit seinem Beruf verbunden war, dass man nicht wusste, wo der Cop endete und der Mann begann.

Sie hatten sich in einer Imbissbude in Queens kennen gelernt. Sally war gerade aus der Abendschule gekommen, und Pete hatte Feierabend gehabt und war auf dem Weg vom fünfundsiebzigsten Polizeirevier nach Hause gewesen. Sie waren beide hier eingekehrt, um eine Tasse Kaffee zu trinken. An der Theke lernten sie sich kennen. Zwei Stunden später saßen sie in einer Nische und plauderten noch immer miteinander. Es war teils Faszination, teils sexuelle Anziehung. Der Rest war ein Geheimnis. Aber was auch immer es sein mochte, auf jeden Fall waren die Gefühle so stark, dass sie vier Monate später heirateten und drei wundervolle Kinder zeugten, die sie beide vergötterten.

Und Sally liebte Pete über alles – so sehr sogar, dass sie ihre Ausbildung unterbrach und ihren Beruf als Kindergärtnerin an den Nagel hing, als Lane geboren wurde. Sie liebte ihn genug, um ihren Traum von einem großen, aus Stein gemauerten Cottage auf dem Lande zu begraben, einem Stall voller Pferde, damit sie ihren Kindern das Reiten beibringen konnte, und einem Riesengrundstück, auf dem sie ausreiten konnten, und stattdessen in eine Doppelhaushälfte in Queens zu ziehen, weil Petes entsetzliche Dienstzeiten sie dazu zwangen.

Sie liebte ihn genug, um alte Träume durch neue zu ersetzen.

All diese Dinge waren kein Problem.

Aber wie lange hätte sie es noch ausgehalten, nächtelang durch ihr winziges Schlafzimmer in Little Neck zu laufen und zu beten, dass Pete unversehrt nach Hause kam? Wie lange hätte sie es ausgehalten, tagelang am Wohnzimmerfenster zu sitzen und sich zu fragen, welchen Gefahren er ausgesetzt war, als er in der Mordkommission oder im Drogendezernat gearbeitet hatte? Wie lange hätte sie es ausgehalten, sich ständig die Nachrichten anzusehen, in denen von einem Cop berichtet wurde, der in den Straßen von Brooklyn erschossen worden war, und stets vor Sorge zu sterben, weil sie sicher war, dass es sich um ihn handeln musste?

Es ging soweit, dass ihr Herz zu klopfen begann und sie sich regelrecht zusammenreißen musste, sobald die Türglocke oder das Telefon klingelte, weil sie befürchtete, es könne der Anruf sein, der ihr sagte, dass Pete für immer von ihr gegangen war.

Gott stehe ihr bei, aber sie war nicht dazu geschaffen, die Frau eines Polizisten zu sein. Und die Kinder, mein Gott, die Kinder. Wie wirkte sich der Lebensstil auf die Kinder aus? Lane benahm sich schon ebenso beängstigend wie sein Vater: Er war ein Draufgänger, für den Gefahren ein Lebenselixier waren und den nichts aus der Fassung brachte. Devon betete den Boden unter Petes Füßen an und hing mit weit aufgerissenen Augen an seinen Lippen, wenn er ihr Geschichten über seinen Tag erzählte – Geschichten, die Sally schaudern ließen. Meredith war ganz die Mutter. Sie sehnte sich nach einem richtigen Haus, einem Pony zum Reiten und einer Schule mit Bäumen und einer Wiese, auf der man spielen konnte, statt eines asphaltierten, umzäunten Spielplatzes.

Dann begannen die Streitereien. Für die Kinder war es unerträglich. Sie liebten ihre Mutter und ihren Vater gleichermaßen. Als sie sahen, was sich zwischen ihren Eltern abspielte, entstanden Spannungen im Haus.

Es war alles zu viel.

Schließlich hielt Sally es nicht mehr aus. Sie reichte die Scheidung ein.

Aber zu welchem Preis?

Sally trank einen großen Schluck Kaffee und zuckte unwillkürlich zusammen, als sie sich den Mund verbrannte. Sie hatte genug Erinnerungen heraufbeschworen. Höchste Zeit, ihre emotionale Energie in eine andere Richtung zu lenken.

Sally kehrte in die Hütte zurück, in der es noch immer schaurig still war. Es war aber auch erst kurz vor sieben. Die Sonne ging soeben auf. Für Frederick war das wohl kaum die richtige Uhrzeit, um aufzustehen, und dann auch noch an seinem freien Wochenende. Sally beschloss, ihn schlafen zu lassen, einen kurzen Spaziergang zu machen und gegen acht Uhr zurückzukehren. Er würde gar nicht merken, dass sie weg war.

Sally zog ihren mit Gänsedaunen gefütterten Parka an, streifte die dicken Handschuhe über und ging los.

Fredericks schwarzer Mercedes stand in der zugefrorenen Einfahrt: eine 500er SL Luxuslimousine. Diesen Wagen fuhren bei Pierson & Company alle Vorstandsmitglieder. Ziemlich protzig, aber genau die Art von Statussymbol, die Edward Pierson alles bedeutete.

Jedem das Seine, dachte Sally. In ihren Augen war die wunderschöne Landschaft, die sich hinter dem Wagen erstreckte, weit wertvoller als der Mercedes. Hier zeigte die Natur sich von ihrer besten Seite.

Sally ließ ihren Blick schweifen, während sie die saubere Bergluft tief einatmete und die Stille der Morgendämmerung genoss. Sie überlegte, ob sie den Dude Ranch Trail nehmen und nach Lake George wandern sollte, doch das würde zu lange dauern. Daher beschloss sie, stattdessen ins Dorf Lake Luzerne zu laufen. Sie würde an den Rockwell Falls verweilen, diesem atemberaubenden Naturschauspiel, wo die Wasserfälle in den Hudson stürzten, und danach durch ein paar Dorfstraßen bummeln und zur Hütte zurückkehren.

Schnellen Schrittes stapfte sie durch den Pulverschnee.

Eine halbe Stunde später drosselte ein Wagen das Tempo auf der Straße des Ortes, die zur Hütte führte, und hielt an einer versteckten Stelle an, die im Schutze dürrer Büsche und vereister Äste lag. Das Dröhnen des Motors verstummte. Der Fahrer stieg aus, schaute auf den ansteigenden Zufahrtsweg und erblickte die hübsche, kleine Holzhütte auf dem Gipfel des Berges.

Jetzt würde es eine unangenehme Überraschung geben.

Es war kurz nach acht, als Sally zur Hütte zurückkehrte. Sie fühlte sich wie neu geboren. Das Blut pulsierte in ihren Adern, und ihr Gesicht glühte. Der schnelle Marsch hatte Endorphine freigesetzt und ihr neue Energie und Optimismus verliehen. Neue Chancen boten sich ihr, die Gelegenheit zu einem Neuanfang.

Vor der Haustür blieb sie stehen, schüttelte den Schnee von den Stiefeln und fragte sich lächelnd, was Frederick wohl sagen würde, wenn sie ihn weckte, nachdem sie ein üppiges Frühstück zubereitet hatte.

Sie riss die Tür auf, trat ein … und erstarrte.

Der schmiedeeiserne Garderobenständer lag umgekippt im Wohnzimmer und bildete eine Barriere zwischen dem Wohnzimmer und der Diele. Überall lagen Jacken und Mäntel herum.

Dahinter lag Frederick ausgestreckt auf dem Rücken; aus seiner Stirn rann Blut.

Er regte sich nicht.

»O mein Gott!« Sally sprang über das Chaos hinweg, kniete sich neben Frederick auf den Boden und ergriff sein Handgelenk, um seinen Puls zu fühlen. »Frederick! Bist du …?«

Die letzten Worte blieben ihr im Hals stecken.

Sie hörte ein Rascheln hinter sich. Ehe Sally reagieren konnte, erhielt sie einen harten Schlag auf den Hinterkopf.

Stechende Schmerzen schossen durch ihren Schädel, und dann brach sie zusammen.

Mit einem Hustenanfall erlangte sie das Bewusstsein zurück. Sally musste würgen; ihr ganzer Körper war verkrampft, und ihre Augen brannten fürchterlich.

Sally sprang hoch und kämpfte gegen den Brechreiz an, als ihr erneut stechende Schmerzen durch den Schädel schossen. Sie strich mit den Fingern über die dicke Beule auf ihrem Kopf und begriff im selben Augenblick, was ringsum sie herum geschah.

Die Hütte brannte.

Die Flammen, die bereits die Decke erreicht hatten, krochen durch den Raum und verschlangen in wahnsinniger Geschwindigkeit die ganze Hütte.

Frederick!

Sally kroch zu ihm, schrie seinen Namen und schüttelte ihn, so fest sie konnte. Keine Antwort. Sie presste ihre Finger auf sein Handgelenk und dann auf seinen Nacken, um seinen Puls zu fühlen. Nichts. Hektisch schlug sie seinen Bademantel zur Seite und legte ihr Ohr auf sein Herz. Nicht das geringste Flattern. Und das Blut. Aus der großen Kopfwunde rann noch immer Blut, das eine große Lache ringsum sie herum bildete. Sally sah, dass seine ganze Stirn eingeschlagen war. Und seine Augen waren aufgerissen und blind.

Mein Gott, er war tot!

Ein Holzbalken stürzte krachend zu Boden, und Funken stoben um Sally herum.

Als sie sich mühsam erhob, überkam sie ein starkes Schwindelgefühl; sie war einer Ohnmacht nahe. Die ganze Hütte war von dickem Rauch erfüllt, sodass Sally kaum Luft bekam und die Sicht auf die Tür versperrt war. Wenn sie die Hütte nicht schnellstens verlassen würde, wäre es zu spät.

Sally drehte sich um, umklammerte Fredericks Beine und versuchte verzweifelt, den Leichnam hinauszuziehen. Er rührte sich nicht von der Stelle. Die Unmenschlichkeit, ihn in der Hütte zurückzulassen, wo er zu Asche verbrennen würde, verursachte ihr Gewissensbisse und erregte ihre Übelkeit. Doch sie musste praktisch denken. Er war tot. Sie musste ihr eigenes Leben retten.

Sally presste den Kragen des Parkas auf ihren Mund, setzte die Kapuze auf und taumelte zum Ausgang. Mit den Fäusten, auf denen zum Glück noch die dicken Handschuhe steckten, schob sie die Tür auf.

Kalte Luft schlug ihr entgegen, als sie ins Freie wankte und im Schnee auf die Knie fiel. Ihr Kopf pochte fürchterlich, doch sie wagte es nicht, ihrem Schwächeanfall nachzugeben, obwohl sie nichts lieber getan hätte. Sie würde sterben. Entweder würde sie erfrieren oder in den Flammen ums Leben kommen. Außerdem wusste sie nicht, wo das Schwein steckte, das das getan hatte. Vielleicht kam es noch einmal zurück, um zu überprüfen, ob sein Mordanschlag auf sie geglückt war.

Sally musste so schnell wie möglich weg von hier.

Sie zwang sich aufzustehen und entfernte sich unsicheren Schrittes von der Hütte.

3. Kapitel

Devon hatte werktags selten einen freien Vormittag. Wenn es dann doch einmal der Fall war, genoss sie dieses Ereignis wie ein Kind, das schneefrei hatte. Sie schlief lange, nahm ausgedehnte Bäder, ging mitunter sogar Bummeln oder verabredete sich mit einer Freundin zum Essen und zum Quatschen.

Aber heute nicht.

Heute konnte sie sich kaum entspannen, um ihren Kaffee zu trinken und Zeitung zu lesen.

Als sie um halb acht aufwachte, erinnerte sie sich vage daran, einen Albtraum gehabt zu haben. Sie stellte sich schnell unter die Dusche, zog sich bequeme Sachen an und lief die Treppe hinunter, um ihre verschiedenen Haustiere zu füttern, zu verhätscheln und auszuführen. Anschließend ging sie in die Küche, trank schnell eine Tasse Kaffee und aß eine Schale Müsli. Nach diesem kurzen Frühstück machte sie sich daran, ihr zweistöckiges Stadthaus von oben bis unten zu putzen.

Devon hatte das neu gebaute Haus im letzten Frühjahr gekauft. Es war mit den beiden Schlafzimmern, den zwei Bädern und den zahlreichen Annehmlichkeiten genau so, wie sie es sich erträumt hatte. Auf dem Grundstück gab es auch eine große Wiese, auf der Terror, ihr lebhafter Mischlingsterrier, herumtollen konnte. Das Haus lag zentral in Westchester, und Devon war mit dem Wagen in fünfzehn Minuten in der Klinik. Dadurch sparte sie Zeit, falls sie zu einem Notfall gerufen wurde.

Devon legte viel Wert auf Sauberkeit, doch dank ihrer drei hyperaktiven Haustiere herrschte meist große Unordnung in ihrem Haus. Terror hatte Socken zerkaut und Connie die Quietschmaus gejagt und zerfetzt. Runners Fresskörner waren überall verstreut.

»Du bist ein Schwein«, sagte Devon zu Runner, der sie beobachtete, als sie seinen Käfig säuberte. »Auch wenn du ein Frettchen bist, bist du ein Mann.«

Das Frettchen wandte sich wieder seinem Frühstück zu. Es war keineswegs beleidigt.

»Jetzt habe ich aber genug mit dir geschimpft«, sagte Devon zu ihm. Sie drehte sich zu Terror um, der die Socke, die sie gerade aufgehoben hatte, zurückerobern wollte und verbissen daran zog. »Das gilt auch für dich. Wenn man bedenkt, dass ich dich jeden Tag mit in die Tierklinik nehme und du den Mitarbeitern in der Tagesbetreuung die letzten Nerven raubst, hast du noch viel Energie übrig für die begrenzte Zeit, die wir gemeinsam hier verbringen, um das ganze Haus in einen Wäschekorb zu verwandeln.«

Connie, Devons graugetigerte Katze rieb sich an ihrem Bein, miaute verlegen und versuchte, sie zu beschwichtigen.

»Und du, Connie, bist hingegen eindeutig ein Weibchen«, erklärte Devon ihr, hob die letzte Plastikmaus auf und kraulte ihrer Katze die Ohren. »Clever und diplomatisch.«

Connie miaute wieder, und diesmal schien sie sehr mit sich zufrieden zu sein.

»Kein Grund, in Begeisterung zu geraten«, murmelte Devon, die jetzt weiter sauber machte. »Ich habe gesagt, du bist clever, nicht ordentlich. Und die Kratzspuren auf meinem Küchenschrank tragen deinen Namen. Darüber müssen wir noch sprechen.«

Connie lief um die Ecke und verschwand.

»Wie schon gesagt, clever.« Devon beseitigte die letzten Spuren der Unordnung, die ihre Haustiere verursacht hatten. Dann putzte sie das Haus, bis alles glänzte.

Es half alles nichts.

Obwohl sie emsig putzte, schaffte sie es durch die mechanische Bewegung ihrer Hände nicht, ihre wirren Gedanken zu besänftigen. Devon musste immerzu an ihre Mutter denken, und das ungute Gefühl, dass etwas nicht stimmte, ließ sich einfach nicht vertreiben.

Als das Telefon kurz vor Mittag klingelte, freute Devon sich über die Unterbrechung und setzte sich auf die Couch. Vermutlich war es Meredith, die an der State University New York/Albany studierte. Zweifellos hatte sie gerade erst die Augen aufgeschlagen und konnte es kaum erwarten, Devon über den neuesten Klatsch an der Universität zu informieren.

Ein Gespräch mit ihrer kleinen Schwester würde sie sicherlich auf andere Gedanken bringen.

Devon nahm das Telefon in die Hand. »Hallo?«

»Devon Montgomery?«, fragte eine sachliche Stimme.

Devon spürte Angst in sich aufsteigen. »Ja?«

»Hier ist Sergeant Bill Jakes. Ich rufe aus dem Büro des Sheriffs in Warren County an.«

Warren County? Dort lag Lake Luzerne.

Ihre Angst verstärkte sich.

»Geht es um meine Mutter?«, fragte Devon.

»Sally Montgomery. Ja, es tut mir leid. In der Hütte, in der Ihre Mutter sich aufhielt, ist heute Morgen gegen acht Uhr ein Feuer ausgebrochen. Unglücklicherweise liegt die Hütte sehr abgelegen. Es dauerte eine Weile, bis jemand auf der anderen Seite des Sees den Rauch gesehen und die Feuerwehr verständigt hat. Die Luft war so kalt und trocken, dass sich das Feuer rasend schnell ausgebreitet hat. Die Hütte war beinahe vollständig niedergebrannt, als die Feuerwehr eingetroffen ist. Sogar die Bäume neben der Hütte standen in Flammen. Es dauerte Stunden, bis die Feuerwehr das Feuer unter Kontrolle gebracht hatte.« Der Sergeant räusperte sich. »Wir durchsuchen noch immer die Trümmer, aber wir haben schon die sterblichen Überreste eines Menschen gefunden.«

Nein!, schrie es in Devons Kopf, doch sie zwang sich, ihren nüchternen, analytischen Verstand einzuschalten. »Haben Sie irgendeinen Beweis dafür, dass es die sterblichen Überreste meiner Mutter sein könnten?«

»Nein, Ma’am.« Wieder eine kurze Pause. »Wie ich schon sagte, haben die Flammen fast alles verzehrt. Sagen wir so … Es wird eine Überprüfung der Zahnprofile notwendig sein, um das, was noch übrig ist, identifizieren zu können.«

»Mit anderen Worten wurden die Personen, die sich in der Hütte aufhielten, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt«, hörte Devon sich sagen. »Daher wissen wir nicht, um wen es sich bei dem Opfer oder den Opfern handelt. Es ist also möglich, dass meine Mutter gar nicht in der Hütte war.«

»Möglich, aber unwahrscheinlich.« Der Sergeant verstummte. Es war ihm sichtlich unangenehm, zu viele Details preiszugeben. Als Polizist einer kleinen Dorfgemeinde hatte er es selten mit gewaltsamen Todesfällen zu tun.

Aber jetzt musste er sich damit beschäftigen.

»Fahren Sie fort, Sergeant«, forderte Devon ihn auf. »Ich möchte alles wissen. Wir sprechen über meine Mutter.«

»Das weiß ich sehr wohl.« Er amtete laut aus. »Wie ich schon sagte, liegt die Hütte weitab vom Schuss. Polizisten haben das ganze Gebiet sowohl mit Streifenwagen als auch zu Fuß durchkämmt. Wir haben sogar Hubschrauber eingesetzt. Keine Spur von Ihrer Mutter. Wir haben Fußspuren gefunden, die ins Dorf Lake Luzerne führen. Diesen Spuren sind wir gefolgt. Wir haben mit allen Geschäftsinhabern und ihren Angestellten gesprochen. Der Bäcker und der Besitzer des Stehcafés erinnerten sich an Ihre Mutter. Sie war gegen halb acht im Dorf. Der Bäcker hat ausgesagt, dass sie in seinem Geschäft war und erwähnt habe, sie sei auf dem Weg zur Hütte zurück. Fußspuren beweisen das.«

»Im Dorf gab es doch sicher noch andere Fußspuren.«

»Ja, Ma’am, aber keine, die zur Hütte führten. Nur ihre.«

»Was ist mit dem Wagen? Vielleicht ist sie …«

»Der Mercedes, mit dem sie zur Hütte gefahren ist, stand noch in der Einfahrt. Es gab keine frischen Reifenspuren. Der Wagen ist nicht mehr benutzt worden. Wir haben das amtliche Kennzeichen überprüft. Der Wagen gehört Pierson & Company, was keine Überraschung war. Wir haben bereits mit dem Besitzer der Hütte gesprochen. Es handelt sich um einen Geschäftsfreund von Frederick Pierson. Er hat bestätigt, dass er Mr Pierson und einer Freundin von ihm die Hütte fürs Wochenende zur Verfügung gestellt hat. Es besteht also kaum Zweifel daran, dass er und Ihre Mutter dort waren. Ich habe die Piersons soeben in Kenntnis gesetzt. Von ihnen habe ich auch erfahren, wie ich Sie erreichen kann.«

Devon hatte keine Lust, über die Piersons zu sprechen. Sie wollte über ihre Mutter reden. »Wissen Sie, wie das Feuer ausgebrochen ist?«

»Nein, das wissen wir nicht. Es könnte eine Kerze oder eine Zigarette gewesen sein. Vielleicht sogar ein Funke vom Kamin. Wir haben gründliche Untersuchungen eingeleitet, um die Brandursache zu ermitteln.«

»Sie sind also nicht davon überzeugt, dass es ein Unfall war.«

»Wir haben keinen Grund zu der Annahme, es könnte eine andere Ursache vorliegen.« Er verstummte kurz. »Sie etwa?«

Devon knirschte mit den Zähnen. »Ich kenne Mr Pierson nicht, und daher kann ich auch nichts dazu sagen. Aber was meine Mutter betrifft, weiß ich, dass sie keine Feinde hatte.«

»Dennoch fragen Sie sich, ob es sich um Brandstiftung handeln könnte.«

»Ich bin die Tochter eines Detectives, Sergeant. Ich stelle mir Fragen.«

»Okay. Ich werde versuchen, sie zu beantworten. Wie ich schon sagte, ist die Brandursache noch ungeklärt. Die Ermittler des Branddezernats haben mit der Untersuchung begonnen. Die Spurensicherung ist auf dem Weg zum Unfallort. Sollten verdächtige Spuren gefunden werden, nimmt der Sheriff die Ermittlungen auf. Da Menschen ums Leben gekommen sind, wird die Polizei vermutlich auch in die Ermittlungen einbezogen. Falls es notwendig sein sollte, werden ausgebildete Spürhunde nach Brandbeschleunigern suchen. Das Unterste wird zuoberst gekehrt. Ich hoffe, das beruhigt Sie.«

»Mich kann nichts beruhigen, es sei denn, ich erfahre, dass meine Mutter nicht in der Hütte war.«

»Es tut mir leid, Ms Montgomery … Verzeihung, Dr. Montgomery«, korrigierte er sich. »Ich hoffe es sehr. Aber es sieht nicht gut aus. Ich rate Ihnen, Ihre Familie zu verständigen.«

»Das habe ich vor.« Devon war nicht bereit, das, was sie soeben erfahren hatte, zu akzeptieren. »Sergeant Jakes …« Devon nahm einen Stift und einen Block vom Tisch. »Geben Sie mir bitte Ihre Telefonnummer.«

»Natürlich.« Er nannte die Telefonnummer des Büros und seine Handynummer. Devon schrieb beide Nummern auf.

»Und die Adresse?«

»Das Sheriff-Büro liegt auf der Route Nine in Lake George, aber …«

»Ich werde Sie in Kenntnis setzen, falls ich mich entschließen sollte, nach Lake Luzerne zu fahren.«

»Dr. Montgomery, ich empfehle Ihnen wärmstens zu bleiben, wo Sie sind«, widersprach der Sergeant. »Sie können hier nichts ausrichten. Noch nicht. Wir rufen Sie sofort an, sobald die Untersuchungen am Unfallort abgeschlossen sind und wir wissen, was genau passiert ist.«

Das war ziemlich deutlich. Devon erwiderte nichts darauf. Sie gab ihm nur ihre Handynummer und ihre Durchwahl in der Tierklinik. »Bitte halten Sie mich über alles auf dem Laufenden«, bat sie den Sergeant. »Ich bleibe mit Ihnen in Kontakt.«

Mit zitternder Hand stellte Devon das Telefon wieder auf die Ladestation.

Sie lehnte sich zurück und strich sich mit den Fingern durchs Haar. Lane … Sie musste sofort Lane anrufen, damit er sich ins nächste Flugzeug nach New York setzte. Und Meredith. Die Nachricht würde sie vollkommen aus der Bahn werfen. Meredith war schrecklich sensibel und hing wahnsinnig an ihrer Mutter. Außerdem war sie in Albany, und diese Stadt lag auf halber Strecke nach Lake Luzerne. Es würde fast unmöglich sein, sie davon abzuhalten, dorthin zu fahren, um ihre Mutter zu suchen.

Devon schossen tausend Gedanken durch den Kopf, während sie darüber nachdachte, was sie tun musste.

Doch als sie das Telefon wieder in die Hand nahm, wählte sie weder Lanes noch Merediths Telefonnummer.

Peter Montgomery oder »Monty«, wie er genannt wurde, seitdem er die Polizeiakademie besucht hatte, nahm seine Brille ab und lehnte sich in seinem alten Toyota Corolla zurück. Er war in übler Stimmung. Seit vier Tagen beschattete er nun diese reiche Schlampe aus Scarsdale, die ihren millionenschweren Ehemann betrog. Es war ein lächerlich einfacher Fall, denn diese Frau hatte häufiger Sex, als er zu Mittag aß, und sie bemühte sich noch nicht einmal, es zu verheimlichen. Die Bilder, die er geschossen hatte, belasteten sie schwer. Sie waren für seinen Kunden die Garantie, keine Unterhaltszahlungen leisten zu müssen.

Doch irgendetwas beunruhigte Monty. Er hatte das Gefühl, als führten diese Frau und ihr Freund mit den dicken Bizepsen noch etwas anderes im Schilde, als nur den reichen Ehemann vor dem Scheidungsgericht auszunehmen und dann nach Rio abzuhauen. Und wenn Monty ein Gefühl hatte, ging er dem auch nach, denn in neun von zehn Fällen hatte er recht. Daher würde er seinem Auftraggeber diese pornografischen Fotos nicht aushändigen, ehe er nicht wusste, was hier wirklich gespielt wurde.

Monty schlug die Akte auf und überprüfte die scheinbar unwichtigen Notizen zu dem Fall.

Sein Handy klingelte. Er schaute auf das Display und entspannte sich, als er das Gespräch entgegennahm. »Hallo, mein Schatz. Was ist los? Du hast ein paar Stunden frei und drehst schon am Rad?«

»Wo bist du, Monty?«, fragte Devon.

Er runzelte die Stirn, als er ihre ernste Stimme hörte. »Vor einem Motel in White Plains. Nicht weit von deinem Nest entfernt. Warum?«

»Du musst sofort zu mir kommen. Bitte.«

»Okay.« Monty stellte das Handy in die Freisprechanlage und startete den Motor. Dann fuhr er vom Parkplatz herunter und fädelte in den Verkehr ein. »Devon, sag mir, was los ist.«

»Ich …« Sie räusperte sich und rang offenbar um Fassung. »Lass uns nicht am Telefon darüber sprechen, okay?«

»Nein, nicht okay. Du scheinst vollkommen fertig zu sein. Bist du verletzt? Hast du Schwierigkeiten?«

»Es geht nicht um mich. Es ist …« Jetzt verlor Devon fast die Nerven. »Es geht um Mom. Sie ist … Ich habe gerade einen Anruf bekommen …« Devon atmete tief ein. Von der starken, gelassenen Frau, die niemals ihre Verletzbarkeit zeigte, war nichts mehr zu spüren. An ihre Stelle trat das kleine Mädchen, dessen Tränen er getrocknet hatte.

»Deine Mutter? Was ist mit deiner Mutter?«, fragte er.

»Ich bin nicht sicher … Es könnte sein …« Ihr Kummer schnürte ihm die Kehle zu. »Bitte, Daddy, beeil dich.«

Monty zuckte zusammen. Wie lange war es her, dass Devon ihn Daddy genannt hatte? Und Sally … was in Gottes Namen war ihr zugestoßen?

»In zehn Minuten bin ich da.«

Monty fuhr auf den Highway, wechselte auf die linke Spur und drückte aufs Gas.

Devon riss die Haustür auf, als sie hörte, dass Montys Wagen mit quietschenden Reifen in der Einfahrt hielt. Keine Minute später war er ausgestiegen und lief aufs Haus zu. Als er eintrat, musterte er seine Tochter mit dunklen Augen.

»Was ist mit Sally?«, fragte er.

Devon schluckte, schloss die Haustür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Sie erzählte Monty alles, was sie über Sallys Wochenendreise nach Lake Luzerne bis hin zu dem Anruf von Sergeant Jakes wusste. Äußerlich schien sie gefasst zu sein, doch das konnte sie ebenso gut vortäuschen wir ihr Vater.

Monty verschränkte die Arme vor der Brust und runzelte konzentriert die Stirn und hörte seiner Tochter aufmerksam zu. Schließlich lief er auf und ab, während ihm sein dunkler Mantel um die Beine schlackerte, und dachte angestrengt nach.

Plötzlich blieb er stehen. »Sterbliche Überreste eines Menschen. Das sagt nicht viel aus.«

»Es sagt uns, dass jemand bei dem Brand ums Leben kam.«

»Ja, aber wie viele Personen? Eine? Zwei? Und wer hat den Brand gelegt? Das war bestimmt kein Unfall. Nicht, wenn Sally da war. Wenn sie in einer fremden Umgebung ist, achtet sie auf alle Geräusche und Gerüche. Sie hätte lange, bevor eine Flucht unmöglich geworden wäre, bemerkt, dass die Hütte brennt, und schnellstens das Weite gesucht. Daran hätte sie nichts gehindert … es sei denn, jemand hätte sie außer Gefecht gesetzt.«

Devon war übel. »Du meinst, derjenige, der das Feuer gelegt hat, könnte sie in die Hütte eingesperrt haben?«

»Wenn sie in der Hütte war, als der Täter den Brand gelegt hat, wird er es sicher versucht haben. Aber Sally ist eine Kämpfernatur und hat einen unglaublich starken Lebenswillen. Sie hat drei Kinder und würde alles tun, damit sie ihre Mutter nicht verlieren. Irgendwie hätte sie sich gewaltsam einen Weg aus der Hütte gebahnt, selbst wenn sie gezwungen gewesen wäre, ein Fenster zu zerschmettern oder jemandem mit einem Knüppel auf den Kopf zu schlagen.« Montys Miene verdunkelte sich. »Mich beunruhigt allerdings der Gedanke, dass sie niemals einen Menschen in der Hütte zurücklassen würde, sodass dieser verbrennen würde. Wenn dieser Pierson bei ihr war, hätte sie ihn aus der Hütte herausgezogen. Warum hat sie das nicht getan?«

»Vielleicht hat sie es ja getan. Vielleicht sind die sterblichen Überreste, die die Polizei gefunden hat, die des Brandstifters.«

»Nein.« Monty schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Es war Piersons Wagen; also hatte er auch die Schlüssel. Vermutlich trug er sie nicht bei sich, sonst hätte Sally sie gefunden. Wenn er und Sally die Hütte beide lebend verlassen hätten, wären sie in den Wagen gesprungen und schleunigst abgehauen.«

»Stimmt. Glaubst du, Mom wurde gekidnappt?«

»Warum? Wegen ihres gebrauchten Pick-ups und ihrer riesigen Unterhaltszahlungen? Pierson ist derjenige, von dem Kidnapper träumen, nicht Sally.«

»Das heißt, dass Mom entkommen sein muss. Es sei denn …« Devon räusperte sich und zwang sich zu einer Bemerkung, die sie nur ungern äußerte. »Monty, du verschwendest gar keinen Gedanken an Sergeant Jakes’ Theorie. Wir wollen beide glauben, dass er sich irrt. Und wenn wir uns etwas vormachen?«

»Nein, tun wir nicht.«

»Du bist sicher, dass Mom lebt?«

»Ganz sicher«, antwortete Monty, ohne zu zögern. »Wenn sie nicht mehr leben würde, wüsste ich es.«

Devon seufzte. Ihr Vater war ein knallharter Realist, der sich immer strikt an die Fakten hielt, ohne sich von seinen Gefühlen beeinflussen zu lassen. Sie konnte dem natürlich entgegenhalten, dass er in diesem Fall von seinem Grundsatz abwich und unvernünftig reagierte, weil er gefühlsmäßig involviert war. Komischerweise glaubte sie das aber nicht. Es gab eine Bindung zwischen ihren Eltern, die so real war wie jeder Beweis.