Ewig bist du mein - Andrea Kane - E-Book

Ewig bist du mein E-Book

Andrea Kane

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Beschreibung

Andrea Kanes neuer packender Thriller: Profilerin Casey Woods soll dem FBI helfen, eine mysteriöse Entführung aufzudecken …

Kann Profilerin Casey Woods dem FBI helfen, eine mysteriöse Entführung aufzudecken? Fieberhaft versucht Casey die kleine Tochter der Richterin Hope Willis zu finden. Schnell wird klar: Dies ist kein Routinefall! Bereits Hopes Zwillingsschwester wurde entführt, als sie noch ein Kind war. Die Liste der Verdächtigen ist lang, doch alle Spuren führen ins Leere. Bis ein Mord geschieht - und Casey auf ein dunkles Familiengeheimnis stößt …

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Seitenzahl: 536

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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

Die Handlung und Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

Andrea Kane

Ewig bist du mein

Roman

Aus dem Amerikanischen von

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Girl Who Disappeared Twice

Copyright © 2011 by Rainbow

Connections Enterprises, Inc.

erschienen bei: MIRA Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Bettina Steinhage

Titelabbildung: Corbis GmbH, Düsseldorf / pecher und soiron, Köln

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprise S.A., Schweiz / Amanda Stevenson

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN(PDF) 978-3-86278-137-9

ISBN(epub) 978-3-86278-136-2

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Für Freddy, den heldenhaften FBI-Spürhund,

der bei einem Einsatz sein Leben verloren hat.

Danke, dass Du dazu beigetragen hast,

unser Land zu schützen.

Ich hoffe, dass mein Bloodhound Hero

ein würdiger Tribut an Dich ist –

und an all die anderen FBI-Spürhunde,

die genauso mutig sind, wie Du gewesen bist.

DANKSAGUNG

Zu tiefstem Dank bin ich all jenen fantastischen Experten verpflichtet, die mir so großzügig ihre Zeit geopfert und dabei geholfen haben, Ewig bist du mein so authentisch wie möglich niederzuschreiben. Die Liste ist lang und die Reihenfolge willkürlich. Ich danke jedem von Euch und Ihnen aus ganzem Herzen.

Angela Bell, PR-Fachfrau von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit beim FBI (Angela, Sie sind die Ausnahme von der Regel: Sie kommen stets an erster Stelle, weil Sie die kompetenteste Ansprechpartnerin sind, die ich mir nur wünschen kann!)

Arthur Cummings II, ehemaliger stellvertretender Direktor der Abteilung für Innere Sicherheit beim FBI

Senior Special Agent James McNamara, Verhaltenspsychologe in der Abteilung II (Verbrechen an Erwachsenen) beim FBI

Special Agent Konrad Motyka, FBI New York

Special Agent James Margolin, FBI-Büro für Öffentlichkeitsarbeit (New York)

Senior Special Agent Michael Harkins, Abteilungsleiter Gewaltverbrechen/Bandenkriminalität, FBI-Büro New York

Senior Special Agent Michael Ferrandino, Leiter des FBI-Büros auf Long Island

Senior Special Agent Leonard Johns, ehemaliger Verhaltenspsychologe in der Abteilung III (Verbrechen an Kindern) beim FBI

Senior Special Agent Thomas Lintner, Leiter der Abteilung für Spurensicherung beim FBI

Senior Special Agent Rex Stockham, Programm-Manager der methodischen Weiterentwicklung bei der Hundestaffel des FBI

Senior Special Agent Edward McCabe, Leiter des FBI-Büros in White Plains

Special Agent Tonya DeSa, Koordinatorin des nationalen FBI-Ausbildungszentrums in Newark, Leiterin des nationalen Zentrums für die Analyse von Gewaltverbrechen und stellvertretende Ausbildungsleiterin

Special Agent Laura Robinson, Abteilungsleiterin der Spurensicherung im FBI-Büro in Newark

Special Agent Maria Johnson, Koordinatorin des Zentrums für die Analyse von Gewaltverbrechen im FBI-Büro in Newark

Special Agent Richard DeFilippo (pensioniert), Sondereinheit für Gewaltverbrechen im FBI-Büro in New York

Robert d’Angelo, Polizeichef von North Castle, New York

Special Agent Richard Mika, FBI (pensioniert)

Special Agent Ann Todd, Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit beim FBI

Detective Mike Oliver, New York Police Department (pensioniert)

Jennifer Michelson, Sondereinheit für Such- und Rettungshunde, New Jersey

Hillel Ben-Asher, M.D.

Außerdem danke ich meinem Lektor Adam Wilson sowie Andrea Cirillo und Christine Hogrebe für ihre Tätigkeit als außergewöhnliche Agentinnen und Ratgeberinnen.

Zwar an letzter Stelle genannt, aber für mich immer am wichtigsten: meine Familie, die von Anfang an dabei gewesen ist … und noch viel mehr für mich getan hat. Ich liebe und schätze Euch mehr, als Ihr Euch jemals vorstellen könnt.

PROLOG

Westchester County, New York

Der Sommer vor zweiunddreißig Jahren

Als die sechsjährige Felicity Akerman an jenem Abend zu Bett ging, ahnte sie nicht, dass ihr Leben sich für immer ändern würde.

Sie kuschelte sich unter das dünne Baumwolllaken und legte den Kopf auf das Kissen. Wegen der Hitze hatte sie ihr langes blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trug ihr kurzärmeliges Lieblingsnachthemd – das mit den orangefarbenen Fußbällen. In dieser Nacht musste sie es unbedingt anziehen. Es war sozusagen die Krönung eines wundervollen Tages. Wie eine Eins plus im Diktat. Der erste Preis. Der Hauptgewinn.

Genau wie das Spiel an diesem Tag. Der Arzt war sich nicht sicher gewesen, ob sie überhaupt daran teilnehmen sollte – genau wie ihre Mom und ihr Dad. Aber sie hatte so lange gebettelt, bis sie nachgaben. Vor lauter Freude hatte ihr das Herz wie wild in der Brust geklopft. Niemand konnte sich vorstellen, wie sehr sie darunter gelitten hatte, den ganzen Sommer über mit ihrem gebrochenen Arm auf der Ersatzbank verbringen zu müssen. Endlich war es vorbei. Kein Gips mehr. Keine Schmerzen. Kein Grund, noch länger zu warten.

Was sie an diesem Tag auf dem Fußballplatz in Pine Lake denn auch eindrucksvoll bewiesen hatte. Drei von den vier Toren ihres Teams gingen auf ihr Konto.

Mit einem seligen Lächeln auf den Lippen drehte sie sich auf die Seite. Aus alter Gewohnheit legte sie den Arm, der sieben lange, schreckliche Wochen eingegipst war, vorsichtig neben sich. Ihr Lächeln wurde noch breiter, als ihr klar wurde, dass es gar nicht mehr nötig war. Sie wackelte mit den Fingern und beugte den Ellbogen. Frei. Endlich war sie frei. Und endlich wieder Mannschaftsführerin.

Die Schlafzimmervorhänge bauschten sich in einer Sommerbrise. Ihre Mom hatte das Fenster halb offen gelassen, ehe sie und Dad ausgegangen waren. Die warme Luft erfüllte den ganzen Raum mit Blumenduft und wirkte beruhigend wie ein Wiegenlied.

Felicity schloss die Augen. Eine Falte ihres Lieblingsnachthemds hielt sie mit den Fingern ganz fest. Neben ihr murmelte ihre Schwester etwas im Schlaf, während sie sich auf den Rücken rollte. Sie schlief nicht gern allein, wenn ihre Eltern nicht zu Hause waren. Eigentlich hätte Felicity ihr Zimmer lieber für sich gehabt – das gleiche Gesicht, die gleiche Frisur und denselben Geburtstag mit ihrer Schwester teilen zu müssen, war mehr als genug. Doch in dieser Nacht war sie so glücklich, dass es ihr nichts ausmachte. Dabei waren sie gar nicht allein. Unten im Wohnzimmer saß Deidre und sang schauerlich falsch die Songs auf ihrem Kassettenrekorder mit. Ihre Stimme war so schrecklich, dass die beiden Mädchen unentwegt kichern mussten – aber das verrieten sie ihr lieber nicht. Deidre war ihr Babysitter und sehr streng. Die Achtzehnjährige würde bald aufs College gehen. Sie war also praktisch schon erwachsen. Und Mom und Dad hatten ihnen beigebracht, sich Erwachsenen gegenüber stets respektvoll zu verhalten.

Doch selbst Deidres entsetzlicher Gesang konnte Felicity nicht vom Schlafen abhalten. Die ungewohnte körperliche Anstrengung nach wochenlangem, erzwungenem Nichtstun hatte sie total erschöpft.

Deshalb merkte sie auch nicht, wie das Fenster weiter aufgestoßen wurde. Sah nicht den schattenhaften Umriss der Person, die ins Zimmer kletterte und zielsicher auf das Bett zusteuerte, in dem ihre Schwester schlief. Ebenso wenig bekam sie mit, wie der Eindringling ihr ein feuchtes Taschentuch aufs Gesicht drückte. Aber sie hörte das leise Wimmern.

Benommen rieb Felicity sich die Augen und drehte sich auf die andere Seite. Im Halbschlaf nahm sie eine menschliche Gestalt wahr, die ein schwarzes Kapuzensweatshirt trug. Der Fremde beugte sich über das andere Bett. Kurz darauf verstummte das leise Jammern ihrer Schwester, und sie rührte sich nicht mehr.

Felicity wurde stocksteif, und sie riss die Augen weit auf. Plötzlich war sie hellwach. Wer war da in ihr Haus eingedrungen?

Doch ihr blieb keine Zeit, es herauszufinden. Der Einbrecher richtete sich auf, und eine behandschuhte Hand legte sich über Felicitys Mund. Sie wand und wehrte sich mit aller Kraft. Der Ärmel des Sweatshirts streifte ihre Stirn. Er war klamm und roch ganz seltsam. Wie Medizin, die nach Orangen schmeckte.

Die Hand verschwand, und ein nasses Taschentuch, das nach derselben Orangenarznei roch, wurde ihr auf Mund und Nase gedrückt. Der Gestank war widerlich. Felicity wollte schreien, aber sie brachte keinen Ton heraus. Und befreien konnte sie sich auch nicht.

Das Zimmer begann sich zu drehen. Felicity erhaschte einen Blick auf ihre Schwester. Plötzlich hatte sie das Gefühl, sie doppelt zu sehen. Dazu klang wie aus weiter Ferne Deidres Gesang an ihr Ohr.

Das eklig riechende Taschentuch siegte.

Und um sie herum wurde alles pechschwarz.

1. KAPITEL

Manhattan, New York Die Gegenwart

In der Bar roch es nach abgestandenem Bier und Schweiß.

Ein wenig abseits von der quirligen Menge rutschte Casey Woods unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und rollte ihr Glas zwischen den Handflächen. Sie hatte bei der Kellnerin irgendetwas aus dem Zapfhahn bestellt; die Biersorte war ihr egal. Während sie einen Schluck trank, beobachtete sie ebenso aufmerksam wie sehnsüchtig die Gruppe Studenten, die sich in der Kneipe im East Village getroffen hatten.

Eigentlich gehörte sie auch dazu. Oder versuchte es wenigstens. Sie wäre gern eine von ihnen gewesen – eine schüchterne und naive Außenseiterin, die darauf brannte, in den inneren Zirkel aufgenommen zu werden. Was sie bis jetzt allerdings noch nicht geschafft hatte.

Beiläufig spielte sie mit einer Strähne ihres langen roten Haars, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Es ließ sie jünger aussehen. Alle paar Minuten schaute sie mit flackerndem Blick zu dem Objekt ihrer Begierde hinüber. Der Mann war Anfang dreißig und saß auf dem letzten Barhocker in der Reihe. Jedes Mal, wenn sie in seine Richtung sah, starrte er zurück.

Langsam kroch die Zeit voran. Casey konzentrierte sich auf die attraktivsten Typen, denen sie unmissverständlich, wenn auch sehr diskret, schöne Augen zu machen versuchte. Ihre Stimmung wechselte zwischen hoffnungsvoll, zögerlich und frustriert. Jeder Mann, den sie ins Auge fasste, verließ irgendwann die Kneipe – entweder mit ein paar Freunden oder einem Mädchen, das er angesprochen hatte.

Kurz nach halb vier Uhr morgens machte der Barkeeper Anstalten, das Lokal zu schließen. Es leerte sich allmählich, und als die letzten Nachzügler aufbrachen, schienen Caseys Hoffnungen für die Nacht offenbar endgültig zu schwinden. Resigniert schloss sie die Augen.

Während sie sich langsam erhob, griff sie in ihre Umhängetasche, um ein wenig Geld herauszufischen. Wie beabsichtigt glitt sie ihr von der Schulter, und der gesamte Inhalt verstreute sich über den Boden. Knallrot vor Verlegenheit hockte sie sich hin, um ihre Habseligkeiten in den Beutel zurückzustopfen – ihre Brieftasche, ihr Makeup und den gefälschten Studentenausweis.

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie ein Mann am anderen Ende der Bar vom Hocker rutschte, ein paar Scheine auf die Theke warf und mit den letzten Gästen verschwand.

Inzwischen war es vier Uhr morgens. Polizeistunde.

Trotz der ärgerlichen Blicke des Barkeepers ließ Casey sich viel Zeit, um ihre Sachen aufzusammeln und sorgfältig einzupacken. Aus ihrer Börse holte sie ein paar Dollarnoten, die sie auf den Tresen warf. Dann schlenderte sie zum Ausgang.

Hinter ihr schloss der Barmann die Tür ab.

Casey holte tief Luft und achtete darauf, genau denselben Weg einzuschlagen, den sie schon die ganze Woche über genommen hatte. Schließlich bestimmte sie die Spielregeln. Heute war sie jedoch länger in der Kneipe geblieben. Die Straßen waren noch verlassener als sonst. Der Zeitpunkt war günstig.

Mit hochgezogenen Schultern passierte sie die Gasse in der Nähe des Tompkins Square Parks, ohne nach rechts oder links zu schauen.

Sie hörte Fishers Schritte nur Sekunden, bevor er sie packte. Mit dem einen Arm umschlang er ihre Taille, mit der anderen Hand drückte er ihr ein Messer an die Kehle. Zu fest. Zu schnell. Keine hämischen Bemerkungen. So hatte sie das eigentlich nicht geplant. Aber nun war sie in seiner Gewalt.

„Wehr dich nicht. Schrei nicht. Wage nicht mal zu atmen. Oder ich schlitz dir die Kehle auf.“

Casey fügte sich in ihr Schicksal. Das Zittern musste sie ebenso wenig vortäuschen wie die Angst, die sie stocksteif werden ließ. Krampfhaft versuchte sie, ganz ruhig zu bleiben und nicht zu vergessen, warum sie das tat. Widerstandslos ließ sie sich von Fisher in die Gasse zerren. Der durchgeknallte Mistkerl warf sie auf den schmutzigen Zementboden und kniete sich auf sie, ein triumphierendes Glitzern in den Augen. Während er ihr das Messer mit der einen Hand immer noch an die Kehle drückte, benutzte er die andere dazu, an ihrer Jeans zu zerren.

Der Knopf sprang auf. Aber der Reißverschluss gab nicht nach.

Dafür hatte Marc Deveraux gesorgt.

Wie ein Raubtier tauchte er aus dem Schatten auf und stürzte sich mit der ganzen Wucht seines mächtigen Körpers auf den verhinderten Vergewaltiger. Er riss Fishers Hand fort, die das Messer an Caseys Kehle drückte, und schlug auf seinen Oberam ein, bis Fishers Knochen ein knackendes Geräusch von sich gaben und das Messer klirrend zu Boden fiel.

Fisher heulte auf vor Schmerz.

„Das ist erst der Anfang“, drohte Marc. Er riss den Mann hoch und drückte ihn unsanft gegen die Wand. „Geht’s dir gut?“, rief er Casey zu, die sich mühsam aufrappelte.

„Jedenfalls besser als gerade eben noch“, stieß sie hervor.

„Okay.“ Er wandte sich wieder an Fisher. „Rede!“, befahler, während er ein Knie in seine Weichteile rammte und ihm den Ellbogen gegen die Kehle presste.

„Die Kleine hat mich angemacht“, keuchte Fisher. Schweißperlen traten auf seine Stirn. „Sie …“ Die Luft blieb ihm weg, als Marc den Druck seines Knies verstärkte, und er jaulte auf.

„Falsche Antwort. Was hattest du mit der Frau vor … und was hast du mit all den anderen gemacht?“ Er kam näher, bis sein Gesicht das des anderen Mannes fast berührte. „Soll ich dir mal zeigen, wozu ich fähig bin? Aber das willst du gar nicht wissen. Im Vergleich zu mir bist du nämlich ein Weichei.“ Er setzte den Ellbogen tiefer an, sodass Fisher kaum noch atmen konnte. „Jetzt erzähl mir von den Frauen – von allen. Lass nichts aus. Ich höre dir aufmerksam zu.“

Es dauerte länger als erwartet, bis Fisher gestand. Er redete erst, als das ehemalige Mitglied der Navy Seals, der USmilitärischen Elitetruppe, ihm den Daumen ins Schlüsselbein bohrte und Schmerzen verursachte, die noch anhielten, nachdem er längst von seinem Gegner abgelassen hatte. Wenn er es noch mal tun müsse, drohte Marc, würde es zehnmal qualvoller werden, falls er ihm nicht vorher schon das Genick gebrochen hätte. Bei den kaltschnäuzigen Erzählungen des Mörders kam Casey die Galle hoch. Gott sei Dank würde er sehr lange in einer Zelle schmoren. Hoffentlich werfen sie den Schlüssel weg, wünschte Casey sich im Stillen.

„Ich verschwinde, Marc“, informierte sie ihren Lebensretter. „Wenn ich noch länger bleibe, wird mir schlecht.“

„Geh“, drängte er sie leise. „Ich erledige das hier und bring ihn dann aufs Revier. Die Polizei wird die Leichen finden. Soll er ruhig behaupten, das Geständnis sei erzwungen worden. Das Wort eines Schwerverbrechers steht gegen das unsere. Was er mir gleich erzählt, wird ihm den Hals brechen. Geh ruhig nach Hause. Ich erledige das alleine.“

Das Haus war ein dreistöckiger Sandsteinbau in Tribeca, in dem sie sowohl ihre Wohnung als auch ihr Büro hatte. Die ideale Lösung. Nur eine Hypothek, die zu zahlen war. Ein einziger Platz für ihr gesamtes Hab und Gut. Keine langen Wege zur Arbeit. Geradezu perfekt.

Zugegeben, ihr Schlafzimmer im dritten Stock sah sie nur selten, und ihr Bett benutzte sie auch so gut wie nie. Sie lebte praktisch in ihrem Büro. Tag für Tag. Sie hatte es sich so ausgesucht. Aber sie bereute es nicht.

Rasch ließ sie ihren Blick durch die Eingangshalle schweifen, ehe sie sich nach links wandte und die L-förmige Treppe in den ersten Stock hinaufstieg. Direkt gegenüber vom Treppenabsatz hatte sie Fenstertüren einbauen lassen. Durch sie gelangte man auf einen Balkon, der den Blick auf einen sehr gepflegten eingezäunten Hinterhof gewährte. Farbenprächtige Blumenbeete. Dicht wachsende, kurz geschnittene Sträucher. Und zu beiden Seiten jeweils zwei zierliche Weidenbäume. Eine ebenso schöne wie beruhigende Aussicht.

Casey trat für einen Moment ins Freie und schloss rasch die Türen hinter sich. Sie hoffte, dass die kühle Luft sie erfrischen würde. Seufzend stellte sie fest, dass die Sonne bereits hoch über dem Horizont stand und schnell in den Himmel stieg. Die Zeiger ihrer Armbanduhr standen auf halb zehn. Es hatte länger gedauert als erwartet, bis Marcs unkonventionelle Verhörmethoden Erfolg zeigten und Fisher ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte.

Noch immer spürte Casey die schmierigen Hände des Bastards auf ihrem Körper. Obwohl sie diesen Überfall geradezu provoziert hatte, hatte ihr dieser Kerl dennoch einen gewaltigen Schrecken eingejagt.

Im Nachhinein schauderte sie immer noch, wenn sie daran dachte, dass sie es tatsächlich geschafft hatten, Fisher und seine Aussagen zu den anderen Opfern zu bekommen. Widerwärtig. Doch Typen wie er, die gewissenlos die schockierendsten Verbrechen begingen und sich der abgrundtiefen Verachtung ihrer Mitmenschen sicher sein konnten, waren der Grund für sie gewesen, Forensic Instincts ins Leben zu rufen, ihr eigenes kleines Unternehmen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdiente. Ihre Firma hatte sie als Kapitalgesellschaft ohne persönliche Haftung angemeldet.

Über den Balkon schlenderte sie zu den anderen Fenstertüren, die in das Gebäude zurückführten. Sie hielt ihre Zugangskarte vor das Lesegerät und tippte den Sicherheitscode in das Zahlenfeld. Die Türen öffneten sich und schlossen sofort hinter ihr, nachdem sie eingetreten war. Keine Zeit zum Ausruhen – jedenfalls noch nicht. Ihre Kollegen würden gleich zu einer Abschlussbesprechung des Einsatzes zusammenkommen.

Forensic Instincts war zunächst nichts als ein schöner Traum gewesen. Doch jetzt war er Realität geworden.

Die Gründung lag zwar schon vier Jahre zurück, aber im Grunde steckte die Firma immer noch in den Kinderschuhen. Damals hatte Casey mit der Suche nach einem schlagkräftigen und kompetenten Team begonnen, dessen Chefin sie sein konnte. Dank ihrer langjährigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit psychologisch geschulten Fallanalytikern, ihrer Menschenkenntnis und der Zeit, in der sie sowohl im staatlichen Gesetzesvollzug als auch für private Ermittlungsdienste gearbeitet hatte, war es ihr nicht schwergefallen, selbst eine fähige Profilerin zu werden. Sie besaß einen Master vom John Jay College für Strafjustiz und einen Bachelor-Abschluss in Psychologie von der University of Columbia. Wichtiger jedoch war, dass sie ein Gefühl dafür hatte, wie Menschen tickten.

Die beiden Kollegen ihres Teams waren ziemlich beeindruckend. Aber genau deshalb hatte sie sie ja auch ausgewählt, auf Herz und Nieren geprüft und schließlich angestellt. Die beiden hätten unterschiedlicher nicht sein können. Beide brachten ganz spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten in das Team von Forensic Instincts ein. Folglich war es kaum erstaunlich, dass die Liste von aussichtslos erscheinenden Kriminalfällen, die sie erfolgreich aufgeklärt hatten, immer länger wurde.

Das Trio war einmalig und agierte vor allem sehr unkonventionell. Was so viel bedeutete, als dass sie einerseits hochwillkommen waren – und andererseits als aufdringliche Nervensägen galten.

Vor allem jedoch wuchs ihre Reputation bei den Strafverfolgungsbehörden und, wichtiger noch, bei ihren Klienten, von denen immer mehr um ihre Hilfe baten. Diejenigen, die sie engagierten, sahen in ihnen oft die letzte Hoffnung.

Sie hielten sich nur an wenige Regeln, dafür aber konsequent. Unbedingte Loyalität sowohl der Firma als auch einander gegenüber; hundertprozentiger Einsatz bei der Arbeit; Ehrlichkeit um jeden Preis – aber nur, wenn es sie gegenseitig betraf; absolute Diskretion – was bedeutete, jedes Aufsehen strikt zu vermeiden. Als unkonventionelle Ermittler, die sich erlauben konnten, die Grenzen der Gesetze sehr viel weiter zu stecken, als die reglementierte Bürokratie es erlaubte, war es besser für sie, unauffällig zu bleiben. Jedes Mitglied dieses außergewöhnlichen Trios war von der Effizienz seiner jeweiligen Arbeitsweise vollkommen überzeugt.

Drei Egos trafen hier aufeinander, von denen keines dem anderen etwas schenkte. Es gab häufig Diskussionen, hitzige Wortgefechte, bei denen die Argumente hin und her flogen, und bisweilen auch eine ausgeprägte Starrköpfigkeit aller Beteiligten. Im Fall von Fisher hatte Casey darauf bestanden, dem Täter auf die Spur zu kommen, indem sie sein Verhalten beim Umgang mit jungen Frauen observierte und die Ergebnisse ihrer Beobachtungen anhand ihrer Erfahrungen und ihres Bauchgefühls auswertete. Marc hatte dafür plädiert, Statistiken und Ermittlungsergebnisse zurate zu ziehen, um auf diese Weise ein wasserdichtes Täterprofil zu erhalten, ehe sie zuschlugen. Ryan wiederum verfolgte hartnäckig eine andere Methode. Er zog es vor, sich in Fisher und seine Gedankenwelt hineinzuversetzen, um auf diese Weise hinter die Motive seiner perversen Taten zu kommen: ein Jäger, der seine ganz eigene Strategie hatte, um seine Beute zu erlegen. Der Achtundzwanzigjährige war eine beeindruckende Kombination aus technischem Genie und strategischem Tüftler. Mithilfe eines ausgeklügelten Computerprogramms, das er mit einer Unmenge von Informationen fütterte, analysierte er das menschliche Verhalten, um sich die Ergebnisse anschließend für die Praxis nutzbar zu machen.

Jedes Teammitglied glaubte mithin unerschütterlich an seine Methoden. Und glücklicherweise war das Endergebnis stets größer als die Summe der einzelnen Teile.

Ja, sie waren eine fantastische Mannschaft, eigensinnig, unerbittlich, dickköpfig – aber auf ihrem Gebiet die beste. Genau das hatte Casey angestrebt. Und während sie das Tätigkeitsfeld beständig erweiterte, sorgte sie dafür, dass der Ruf von Forensic Instincts immer besser wurde. Ihr Großvater wäre stolz auf sie gewesen. Sie hatte das Vermögen, das er ihr vermacht hatte, klug und umsichtig investiert.

Mit einem flüchtigen Lächeln schaute sie sich um. Durch die zweite Balkontür war sie in den Besprechungsraum im ersten Stock gelangt. Es war das größte Zimmer im ganzen Haus – und das am aufwendigsten ausgestattete.

Bei ihrem Eintreten schalteten sich die Videoschirme ein, die eine gesamte Wand bis zur Decke einnahmen. Auf jedem Schirm wurde eine lange grüne Linie sichtbar, die von links nach rechts zuckte. Dann ertönte eine besänftigende Stimme, die aus einem nicht lokalisierbaren Teil des Raumes kam: „Willkommen zu Hause, Casey.“ Die grüne Linie schlug bei jeder Silbe aus. Die Stimme fuhr fort: „Warnung. Erhöhte Herzfrequenz.“

Casey erschrak. Sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, von Yoda begrüßt zu werden, dem künstlichen Intelligenzsystem und der jüngsten Erfindung von Ryan McKay, dem Technikfreak bei Forensic Instincts. Irgendwie erkannte das verfluchte Ding stets, wer sich im Zimmer aufhielt. Es wusste sogar, wenn irgendetwas nicht in Ordnung war. Wie jetzt. Egal, wie oft Ryan versucht hatte, ihr die Funktionsweise von Yoda zu erklären – Casey erschienes immer noch wie Hexerei.

Das Besprechungszimmer strahlte ehrwürdige Gediegenheit aus. Glänzender Parkettboden. Ein dicker Orientteppich. Ein ausladender Mahagonitisch und ein passendes Sideboard. Und das Wichtigste: eine technische Ausstattung, die, sowohl was Design als auch Funktion anging, ihrer Zeit um Lichtjahre voraus war. Das Herzstück der Anlage war den Blicken verborgen; zu sehen waren nur die Videoschirme, die eine Längswand des Raumes einnahmen und es Ryan ermöglichten, eine Unmenge an Informationen entweder in einem einzigen großen Bild oder in mehreren kleineren Teilen zu erfassen. Vervollständigt wurde die aufwendige Einrichtung von einer Anlage für Videokonferenzen, einem ausgeklügelten Telefonsystem und einem Computerarbeitsplatz für jedes Teammitglied.

Das alles wurde von Yoda kontrolliert, der mit stoischer Gelassenheit auf ihre Anfragen reagierte. Hinter dem beindruckenden Yoda-Interface verbargen sich eine Reihe von Servern, die im gesicherten Bürotrakt im unteren Teil des Hauses standen. Wie ein stolzer Papa hatte Ryan den speziell angefertigten Servern Namen gegeben: Lumen, Aequitas und Intueri, die lateinischen Begriffe für Licht, Gerechtigkeit und Erkennen. Die Namen waren so sehr zu einem Teil von Forensic Instincts geworden, dass sie sogar im Firmenlogo auftauchten.

Nach wie vor war Casey schwer beeindruckt von der Raffinesse, der Leistung dieser Rechner und den Möglichkeiten ihrer Anwendung. Insgeheim musste sie sich eingestehen, dass sie kaum Ahnung hatte, wie sie funktionierten. Im Gegensatz zu Ryan. Hauptsache, er wusste Bescheid.

Casey durchquerte das Zimmer und blieb kurz auf dem Teppich stehen, ehe sie einen Stuhl hervorzog und sich an den langen ovalen Konferenztisch setzte.

Sie lehnte sich zurück und befahl: „Zeig mir bitte die neuesten Fernsehnachrichten, Yoda.“

„Möchten Sie Nachrichten weltweit, national oder lokal?“, erkundigte Yoda sich freundlich.

„Lokal.“

„CBS, NBC, Fox, ABC oder alle?“, fragte Yoda.

„Alle.“

Umgehend führte Yoda den Befehl aus und zeigte alle vier Kanäle, von denen jeder ein Viertel der Wandfläche einnahm.

Casey drehte ihren Stuhl, sodass sie die Schirme im Blick hatte. Während sie die Bilder betrachtete, streifte sie das Stirnband ab, das sie in der Nacht getragen hatte, schüttelte ihre lange rote Mähne und fuhr sich mit den Fingern durch die zerzausten Strähnen. Als Glen Fisher auf dem Schirm mit den Fox-Nachrichten erschien, befahl sie: „Yoda, Fox-Nachrichten, ganzer Bildschirm.“

Sofort nahm Glen Fisher die gesamte Wand ein. Vor Nervosität schwitzend, wandte er rasch den Kopf ab, als die Kameras näher kamen, während er aus der schmalen Straße geführt und zum Streifenwagen gebracht wurde.

Für die Medien war er ein gefundenes Fressen. Die Fernsehmoderatorin wirkte total aufgedreht – einerseits vollkommen aus dem Häuschen, über das Ereignis berichten zu können, andererseits schockiert, dass so etwas überhaupt geschehen konnte. Casey erkannte es an ihrer Mimik, hörte es in ihrer Stimme, bemerkte es an ihrer Körpersprache. Diese Frau stand unter Volldampf, wenn auch widerstreitende Gründe in ihr kämpften. Das Kinn nach vorn gereckt, der Rücken gestrafft, vor Wichtigkeit glänzende Augen. Doch alle paar Sekunden flackerte ihr Blick unruhig hin und her. Vermutlich dachte sie bereits an den nächsten Schritt auf ihrer Karriereleiter. Hinzu kam ein gewisses Schuldbewusstsein, das nicht zu verkennen war. Sie war eine Frau. Es passte ihr ganz und gar nicht, aus den Verbrechen an anderen Frauen Kapital für sich persönlich zu schlagen.

Sie redete viel zu schnell, während sie von Fishers abscheulichen Verbrechen berichtete und die widerwärtigen Details bewusst übertrieb – etwa die Tatsache, dass er trotz einer wohlbehüteten Kindheit und einer unauffälligen Lebensweise schwere Persönlichkeitsstörungen aufwies. Er hatte einen anständigen Job in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und eine Frau, die ihn anbetete und offenbar nicht wusste, was für ein Monster sie geheiratet hatte. Und ein hübsches Apartment in Manhattan mit Nachbarn, die keine Ahnung hatten von der Gefahr und der Verderbtheit ganz in ihrer Nähe. Schlimmer noch: Er hatte es irgendwie geschafft, die New Yorker Polizei monatelang an der Nase herumzuführen und so unscheinbar zu bleiben, dass er nicht einmal als blinkender Punkt auf ihrem Radarschirm auftauchte – ganz zu schweigen von konkreten Verdachtsmomenten gegen ihn. Erstaunlich, dass es der ungewöhnlichen Initiative einer jungen, florierenden und privat geführten Firma bedurfte, Glen Fisher einzukreisen und Dinge in Bewegung zu setzen, damit es zu diesem Tag der Vergeltung kommen konnte.

Verärgert über die melodramatische Präsentation und die Spitzen gegen die Polizei, stieß Casey einen lauten Fluch aus und ballte die Hände zu Fäusten, sodass ihre Fingernägel sich in die Handflächen bohrten. Sie nahm die ganze Angelegenheit viel zu persönlich, was sehr ungewöhnlich für sie war. Aber es gab Gründe für ihre mangelnde Objektivität. Fishers Verbrechen weckten Erinnerungen, die ihr Übelkeit verursachten.

„Wie die sprichwörtliche Fliege im Spinnennetz“, unterbrach eine männliche Stimme ihre Gedanken. „Du warst der ideale Köder.“

Casey warf einen Blick über ihre Schulter. Marc Deveraux, ihr zuverlässiger Unterstützer und Kollege, schlenderte ins Zimmer. Mit einem raschen Blick auf den Bildschirm hatte er die Situation erfasst. Seine Miene blieb ausdruckslos. Nur in seinen Augen lag eine kühle Befriedigung. Marc verhielt sich in jeder Situation durch und durch professionell.

Außerdem war er Caseys erfahrenster Mitarbeiter. Er war beim FBI gewesen, hatte in der Verhaltensanalyseeinheit gearbeitet und bei den Navy Seals gedient. Seine Abstammung war bemerkenswert: asiatische Großeltern mütterlicherseits und ein weit zurückreichender französischer Stammbaum seitens des Vaters. Deshalb beherrschte er drei weitere Sprachen fließend: Mandarin, Französisch und Spanisch. Mit einem derart schillernden Hintergrund war er vom FBI umgehend eingestellt worden und hatte im Alter von neununddreißig Jahren schon eine Menge Erfolge vorzuweisen. Er war ein attraktiver, grüblerischer Typ und Single – was er auch zu bleiben gedachte. Ein besserer Mann für diese Art von Tätigkeit war kaum zu finden.

„Dafür musste ich aber auch stundenlange Verschönerungsarbeiten über mich ergehen lassen“, entgegnete Casey. „Das kannst du dir nicht vorstellen.“

„Verschönerungsarbeiten?“, fragte Marc trocken. „Ich hätte eher auf Schauspielunterricht getippt. Du als graue Maus ohne soziale Kontakte – das ist schon ein bisschen weit hergeholt.“

„Sehr komisch, Klugscheißer. Aber ich bin schon lange nicht mehr achtzehn. Ich brauchte tatsächlich eine Kosmetikerin, um die Uhr zurückzudrehen.“

„Unsinn.“ Marc hatte noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. „Um überzeugend zu wirken, musstest du dir doch nur ein bisschen Jungmädchenschminke aufs Gesicht spachteln und dein Haar mit einem Gummiring zum Pferdeschwanz binden. Alles andere an dir war restlos überzeugend, das kannst du mir glauben. Frag doch nur die geilen Studenten, die dich den ganzen Abend angestarrt haben. Ich hab sie beobachtet. Ich weiß, wie so was läuft. Hättest du nicht die verängstigte Jungfrau gespielt, dann hätten sie Schlange gestanden, um dich abzuschleppen.“

„Klingt ja so, als hättest du in der ersten Reihe gesessen.“

„Hab ich auch.“

Verblüfft schüttelte Casey den Kopf. „Ich habe dich überhaupt nicht gesehen.“

„Genau darum geht’s doch, oder? Ich bin gut darin, mich unsichtbar zu machen. Und dafür zu sorgen, dass niemand für mich unsichtbar ist. Inklusive geiler Studenten, die …“

„Okay, das reicht“, unterbrach Casey ihn, um das Thema abzuschließen. Sie verspürte keine Lust, sich auf den Arm nehmen zu lassen. Stattdessen wollte sie Marc lieber das Lob geben, das er verdiente. „Reden wir lieber von dir. Wie du die Sache durchgezogen hast – das war perfekt. Dein Auftritt war Angst einflößend. Genau zur richtigen Zeit. Selbst ich bin fast ausgeflippt, als du mit diesem mordlüsternen Blick in die Gasse gestürmt bist. Und ich muss zugeben, dass es mir richtig Spaß gemacht hat, Fisher dabei zuzusehen, wie er durchgedreht ist und sich vor Angst in die Hose gepinkelt hat. Besser hättest du es nicht anstellen können – den Irren zu fassen und ein komplettes Geständnis zu bekommen. Hut ab!“

Marc zog den Stuhl neben Casey hervor, ließ sich auf den Sitz fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Tut mir leid, dass es für dich so unangenehm war, ehe ich alles aus dem Kerl herausquetschen konnte.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Darum haben uns die Cops schließlich ‚stillschweigend‘ gebeten.“

„Ja, aber sie hatten auch nicht Fishers Messer an der Kehle und seine Hände auf ihrer Jeans.“

„Vergessen wir’s, okay?“

Marc musterte sie aus den Augenwinkeln. Dann wandte er sich dem Bildschirm zu und lauschte den Einzelheiten, die ihm alle schon aus erster Hand bekannt waren. Drei rothaarige Studentinnen, alle als vermisst gemeldet, waren vergewaltigt und ermordet worden. Drei schmuddelige Kneipen, jede nur einen halben Häuserblock von einer düsteren Gasse entfernt. Mädchen, die dort ihre Abende verbrachten und auf gleichaltrige Bekanntschaften hofften, aber immer allein nach Hause gingen.

Dank Fishers Geständnis konnten weitere unbekannte Opfer identifiziert und ihre Leichen geborgen werden. Sie alle waren noch halbe Kinder gewesen und hatten erst seit Kurzem in Manhattan gewohnt – entweder als Besucherinnen oder als Austauschstudentinnen. Mädchen, deren Leben Fisher erkundet und dabei herausgefunden hatte, dass sie weder Freunde noch Familien hatten, die sie vermissen würden. Sie alle ähnelten den bereits bekannten Opfern.

Marc atmete tief aus. Er war froh, dass der Fall gelöst war. Hoffentlich würde Fisher in seiner Zelle vermodern. Jetzt wurde es Zeit, etwas Neues in Angriff zu nehmen.

Etwas Neues in Angriff nehmen hieß für Marc, ein paar Stunden zu schlafen, ehe das Team den nächsten Auftrag bekam. Bis dahin wollte er eine Weile entspannen. Was bei Marc bedeutete, den Adrenalinspiegel auf den Level zu bringen, auf dem er sich zu seiner Zeit als Navy Seal bewegt hatte. Deshalb betrieb er Extremsportarten, die andere Leute als Wahnsinn betrachteten. Seine derzeitige Lieblingsbeschäftigung war Base-Jumping, bei dem man mit einem Fallschirm von Hochhäusern, Sendemasten, Brücken und Felsen sprang. Aus diesen gefährlichen Höhen stürzte Marc sich nicht nur wegen des Nervenkitzels in die Tiefe, sondern auch, um sich zu vergewissern, dass er den riskanten freien Fall beherrschte. Erst in letzter Sekunde pflegte er seinen Fallschirm zu öffnen und zu Boden zu schweben.

Ungeduldig rutschte er jetzt auf seinem Stuhl hin und her. Er wollte endlich nach Hause. „Wo ist Ryan?“, fragte er. „Unten in seiner Höhle?“

„Nein. Hier oben. Direkt hinter dir. Bereit für die abschließende Besprechung, damit wir für heute Schluss machen können.“ Unbemerkt von Marc hatte Ryan McKay das Zimmer betreten. Er war das komplette Gegenteil eines Computerfreaks. Er war nicht nur ein technisches Genie, sondern auch ein Sportfanatiker, der jeden Morgen zwei Stunden intensiv trainierte. Zu seinem körperlichen Fitnessprogramm gehörten Mountainbiking ebenso wie Extrem-Marathonläufe – am liebsten im Death Valley oder in der marokkanischen Wüste. Dank Marc hatte er vor Kurzem seine Fallschirmspringerprüfung bestanden und sich von ihm für weitere halsbrecherische Sportarten begeistern lassen.

Ryan besaß nicht nur einen muskulösen Brustkorb; er war außerdem von imposanter Statur und sah aus wie ein „schwarzer Ire“ – so nannten die „echten“ Iren ihre Landsleute, die statt der sprichwörtlichen roten Haare und Sommersprossen dunkle Haare und einen braunen Teint hatten, der die Frauen dahinschmelzen ließ. Dummerweise ließen ihn diejenigen, die sich ihm begeistert an den Hals warfen, ziemlich kalt und gingen ihm erheblich auf die Nerven. Jene Frauen, die ihn interessierten und mit denen er sich verabredete – wenn er denn einmal die Zeit dafür fand, was selten genug vorkam –, waren selbstbewusst, unabhängig und gaben sich unbeeindruckt von seinen körperlichen Vorzügen und Fähigkeiten.

„Erstaunlich“, begrüßte Casey ihn. „Du überlässt deine kostbaren Roboter tatsächlich sich selbst, um uns deinen Abschlussbericht vorzutragen?“

„Diesmal keine Roboter. Ich habe unser neues verschlüsseltes Funksystem getestet. So weit, so gut.“ Ryan hatte sich bereits vor den Sensorbildschirm gestellt. Seine Präsentation würde jede Einzelheit ihrer Ermittlungen kritisch beleuchten und Details berücksichtigen, die bei künftigen Aufträgen eine Rolle spielen konnten – eine Bilanz, die er nach jedem abgeschlossenen Fall zog.

Jetzt ließ er sich auf einen Stuhl fallen und warf Casey einen prüfenden Blick zu.

Ebenso wie Marc wusste er Bescheid über die Vergangenheit seiner Chefin. Und ebenso wie seinem Kollegen war ihm klar, dass Casey dieser Fall, auch wenn sie es niemals zugeben würde, sehr zugesetzt hatte.

Im Zimmer war es ganz still geworden. Schließlich begann Ryan mit seiner Zusammenfassung. Dabei wählte er die Worte mit Bedacht, um seine Chefin nicht zu sehr aufzuwühlen.

Casey schreckte aus einem unruhigen Schlummer voll brutaler und grausamer Albträume hoch. Das Klingeln ihres Handys ließ sie zusammenzucken. Ihr Blick fiel auf den Wecker. Halb fünf nachmittags. Eine ganz normale Zeit, jemanden anzurufen – wenn der Angerufene nicht gerade mehr als fünfzig Stunden auf den Beinen gewesen war. Warum bloß hatte sie das Telefon nicht ausgeschaltet, ehe sie ins Bett gekrochen war?

Aber da sie es nun mal vergessen hatte, konnte sie den Anruf auch genauso gut entgegennehmen.

Mit einer bösen Vorahnung tastete sie auf dem Nachttisch nach ihrem Handy.

Das Letzte, das Casey Woods im Moment gebrauchen konnte, war ein weiterer Fall, der ihr genauso an die Nieren ging.

Unglücklicherweise war es exakt das, was sie erwartete.

2. KAPITEL

White Plains, New York Der erste Tag

Familienrichterin Hope Willis hatte den letzten Fall auf ihrer Prozessliste abgeschlossen, verkündete ihren Urteilsspruch und beendete die Verhandlung. Sofort eilte sie in ihr Büro, schlüpfte aus der Robe, sammelte ihre Akten ein, wechselte ein paar Worte mit ihrer Sekretärin und verließ das Gerichtsgebäude in Windeseile. Wie immer hatte sie nur wenige Minuten gebraucht, um von der Richterinnen- in die Mutterrolle zu wechseln.

Glücklich, früher als erwartet nach Hause zu kommen, durchquerte sie die Garage. Sie würde die gewonnene Zeit mit Krissy verbringen – sich nach ihrem Tag im Vorschulkindergarten erkundigen, ihr bei den Hausaufgaben helfen und die Gelegenheit nutzen, ausgelassen mit ihr herumzualbern.

Leider hatte sie dafür in den vergangenen Monaten viel zu wenig Zeit gehabt. Seit der Versetzung von Sophia Wolfe, der zweiten Familienrichterin am Gericht von White Plains, war Hopes Arbeitspensum enorm gestiegen. Deshalb musste sie immer mehr Überstunden machen. Das hatte sie nicht zuletzt Claudia zu verdanken, ihrer ehemaligen Sekretärin, die launisch und unberechenbar geworden war, nachdem sie mit ihrem Verlobten Schluss gemacht hatte. Nicht nur, dass sie ihre Stimmungen an Hope ausließ – sie vernachlässigte auch noch ihre Arbeit und verschlampte Prozesslisten, sodass Hope die meisten Stunden des Tages mit Schadensbegrenzung beschäftigt war. Da sie allerdings so lange zusammengearbeitet hatten, war Hope zunächst nachsichtig mit ihr gewesen, aber schließlich hatte sie Claudia entlassen müssen. Die neue Sekretärin einzuarbeiten, war ziemlich anstrengend und sehr zeitaufwendig. Kein Wunder, dass Hope unter diesen Umständen kaum Zeit für andere Dinge blieb.

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