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Aristoteles (384–322 v. Chr.) lehrte Alexander den Großen die Logik und durch seine philosophischen Werke jeden Philosophen seither, von Mark Aurel über Thomas von Aquin bis zu Mortimer J. Adler. Jetzt lehrt Adler – einst Vorstandsvorsitzender der renommierten Encyclopedia Britannica – die Welt die aristotelische Logik, indem er Aristoteles' Erkenntnisse in einer aktuellen, wunderbar verständlichen Weise präsentiert. Er bringt Aristoteles' Werk auf eine alltägliche, für jeden verständliche Ebene – »to go«, wie auf einen schnellen Kaffee mit Aristoteles. Indem er die Leser ermutigt, selbst philosophisch zu denken, bietet Adler uns einen einzigartigen Weg zu persönlichen Einsichten und zum Verständnis der grandiosen aristotelischen Philosophie, wie der Unterschied zwischen Wünschen und Bedürfnissen, der richtige Weg zum Glück und der richtige Plan für ein gutes Leben.
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Seitenzahl: 289
Veröffentlichungsjahr: 2024
ARISTOTELES TO GO
Der leichte Zugang zu komplexen Gedanken
»Adler beweist einmal mehr, dass Philosophie, wahre Philosophie, tatsächlich nützlich sein kann.« – CHICAGO TRIBUNE
ARISTOTELES TO GO
Der leichte Zugang zu komplexen Gedanken
FBV
Für Fragen und Anregungen:
Wichtiger Hinweis
Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.
1. Auflage 2024
© 2024 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Die englische Originalausgabe erschien 1997 bei Touchstone unter dem Titel Aristotle for Everybody. Difficult Thought made Easy © 1978 by Mortimer J. Adler. All rights reserved. Published by arrangement with the original publisher, Touchstone, a Division of Simon & Schuster, Inc.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.
Übersetzung: Kerstin Brömer
Redaktion: Silke Panten
Korrektorat: Anke Schenker
Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer
Umschlagabbildung: AdobeStock/Ali
Satz: Bernadett Linseisen (schere.style.papier), München
ISBN Print 978-3-95972-762-4
ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-483-6
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-484-3
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Vorwort
Einführung
Teil 1 DER MENSCH ALS PHILOSOPHISCHES TIER
1 Philosophische Spiele
2 Die tiefe Kluft
3 Die drei Dimensionen des Menschen
Teil 2 DER MENSCH ALS SCHÖPFER
4 Aristoteles’ Crusoe
5 Wandel und Beständigkeit
6 Die vier Ursachen
7 Sein und Nichtsein
8 Schöpferische Ideen und Know-how
Teil 3 DER MENSCH ALS MACHER
9 Über Ziele und Mittel nachdenken
10 Leben und gut leben
11 Gut, besser, am besten
12 Wie man nach Glückseligkeit strebt
13 Gute Gewohnheiten und glückliche Zufälle
14 Was andere zu Recht von uns erwarten dürfen
15 Was wir zu Recht von anderen und vom Staat erwarten dürfen
Teil 4 DER MENSCH ALS WISSENDER
16 Wie unser Verstand funktioniert
17 Kleine Worte der Logik
18 Die Wahrheit sagen und denken
19 Ohne begründeten Zweifel
Teil 5 SCHWIERIGE PHILOSOPHISCHE FRAGEN
20 Unendlichkeit
21 Ewigkeit
22 Die Immaterialität des Geistes
23 Gott
Nachwort Für diejenigen, die Aristoteles gelesen haben oder lesen möchten
Literaturhinweise
Als mir die Idee für dieses Buch kam, wollte ich es zuerst Aristoteles für Kinder - nennen. Aber dieser Titel hätte die Leserschaft, für die diese einfache, leicht zu lesende Darstellung von Aristoteles’ Philosophie (eben „Aristoteles to go“) bestimmt ist, nicht richtig getroffen. Meiner Meinung nach ist dieses Buch für alle Menschen geeignet - egal welchen Alters, von zwölf oder vierzehn Jahren an aufwärts. Daher habe ich den Titel gewählt, den Sie nun auf dem Buchcover sehen.
Mit »alle Menschen« meine ich alle außer Berufsphilosophen; oder anders ausgedrückt jeden mit normaler Erfahrung und Intelligenz, der über kein detailliertes und spezialisiertes akademisches Wissen auf diesem Gebiet verfügt. Ich habe jedoch ein Nachwort angefügt, das Philosophiestudenten, die auf dieses Buch stoßen, als Leitfaden dienen kann, welche von Aristoteles’ eigenen Werken zu den in diesem Buch behandelten Themen sich zu lesen lohnen.
Meine beiden Söhne Douglas und Philip sind dreizehn beziehungsweise elf Jahre alt und haben Teile dieses Manuskripts gelesen, als ich es letzten Sommer in Aspen geschrieben habe. Ich bin ihnen dankbar für ihre Begeisterung und ihre Vorschläge.
Mein Dank gilt auch Rosemary Barnes, die damals das gesamte Manuskript gelesen und kritisch kommentiert hat, sowie meinen Kollegen am Institute for Philosophical Research, von deren Rat ich profitieren durfte - John Van Doren, Otto Bird und Charles Van Doren. Zu einem späteren Zeitpunkt, kurz bevor das Manuskript in den Druck ging, hat meine Frau Caroline das gesamte Manuskript gelesen und Verbesserungsvorschläge gemacht, für die ich ihr sehr dankbar bin.
Wie immer bin ich meiner Redaktionssekretärin Marlys Allen für ihren unermüdlichen Einsatz in jeder Phase der Entstehung dieses Buches zu großem Dank verpflichtet.
Mortimer J. Adler
Chicago, 28. Dezember 1977
EINFÜHRUNG
Warum Aristoteles?
Warum „to go“, für jedermann, für alle Menschen?
Und warum ist ein Werk über „Aristoteles to go“ eine Einführung in den gesunden Menschenverstand?
Ich kann diese drei Fragen besser beantworten, wenn ich zunächst eine andere beantworte. Warum Philosophie? Warum sollte jeder Mensch lernen, philosophisch zu denken - die Art von forschenden Fragen zu stellen, wie Kinder und Philosophen sie stellen und wie Philosophen sie hin und wieder beantworten?
Ich bin seit Langem der Meinung, dass sich jeder mit Philosophie beschäftigen sollte - aber nicht, um dadurch mehr über die Welt, die Gesellschaft, in der man lebt, und sich selbst zu erfahren. Zu diesem Zweck sollte man sich eher den Natur- und Sozialwissenschaften und der Geschichte zuwenden. Die Philosophie ist in anderer Hinsicht nützlich - sie hilft uns, Dinge zu verstehen, die wir bereits kennen - sie besser zu verstehen, als wir sie aktuell verstehen. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass wir alle lernen sollten, philosophisch zu denken.
Dafür gibt es keinen besseren Lehrmeister als Aristoteles. Meiner Ansicht nach sollte man mit ihm beginnen. Der einzige andere Lehrmeister, der dafür infrage käme, ist Platon, aber nach meinem Dafürhalten ist er der zweitbeste. Platon hat fast alle Fragen aufgeworfen, mit denen sich jeder auseinandersetzen sollte; Aristoteles hat sie ebenfalls aufgeworfen und uns darüber hinaus klarere Antworten darauf geliefert. Platon hat Aristoteles gelehrt, wie man philosophisch denkt, aber Aristoteles hat die Lektion so gut gelernt, dass er für uns der bessere Lehrmeister ist.
Da wir lernen wollen, so zu denken wie Aristoteles, sind dessen Ansichten wichtiger als die Frage, wer er war oder wann und wie er lebte. Die Jahrhunderte und die Veränderungen, die ihn von uns trennen, mögen uns seine Lebensumstände und die Gesellschaft, in der er lebte, fremd erscheinen lassen; doch wie ich zu erklären versuchen werde, sind uns deshalb weder der Stil noch der Inhalt seines Denkens fremd.
Aristoteles wurde 384 v. Chr. in der makedonischen Stadt Stagira an der Nordküste des Ägäischen Meeres geboren. Sein Vater war Arzt am Hofe des Königs von Makedonien. Der Enkel dieses Königs war Alexander der Große, dessen Lehrer und auch Freund Aristoteles später wurde.
Im Alter von achtzehn Jahren ließ sich Aristoteles in Athen nieder und schrieb sich an Platons Akademie ein, um Philosophie zu studieren. Es dauerte nicht lange, bis Platon Aristoteles als lästigen Schüler empfand, der seine Lehren infrage stellte und ihm offen widersprach. Als Platon starb und Alexander die Herrschaft über Griechenland übernahm, eröffnete Aristoteles seine eigene Schule, das Lyzeum. Das war im Jahr 335 v. Chr.
Das Lyzeum verfügte über eine schöne Bibliothek, eine umfangreiche Kartensammlung und einen Zoo, in dem Aristoteles Exemplare aus der Tierwelt sammelte. Es heißt, dass ihm einige davon von Alexander dem Großen aus den von ihm eroberten Landstrichen geschickt wurden. Nach dem Tod von Alexander dem Großen im Jahr 323 v. Chr. zog Aristoteles sich aus Athen zurück auf eine der ägäischen Inseln. Er starb dort ein Jahr später im Alter von 63 Jahren.
Aristoteles lebte in einer Gesellschaft, in der die Bürger Zeit für Freizeitaktivitäten hatten, weil sie über Sklaven verfügten, die sich um ihre Ländereien kümmerten und niedere Arbeiten verrichteten. Es war auch eine Gesellschaft, in der Frauen eine untergeordnete Stellung zukam. Als Platon die Institutionen eines idealen Staates entwarf, schlug er vor, dass alle politischen Ämter, mit Ausnahme der militärischen Führung, Frauen offenstehen sollten, da er Männer und Frauen als im Wesentlichen ebenbürtig ansah. Aristoteles hingegen akzeptierte die zu seiner Zeit übliche Auffassung von der Unterlegenheit der Frau.
Ich werde in einem späteren Kapitel näher auf Aristoteles’ Ansichten zu Sklaverei und Frauen eingehen. An dieser Stelle möchte ich jedoch gleich anmerken, dass meine Verwendung des generischen Maskulinums für Menschen aller Geschlechter und nicht nur für den männlichen Teil der Bevölkerung keinesfalls ein Hinweis darauf ist, dass ich Aristoteles’ Ansicht über Frauen teile. Im Gegenteil, in diesem Punkt bin ich Platoniker.
Es mag Menschen geben, die es als Nachteil empfinden, dass Aristoteles in der Antike lebte und wirkte. Sie mögen der Ansicht sein, dass es deutlich besser wäre, einen Lehrmeister aus unserer heutigen Zeit zu wählen - jemanden, der mit der Welt, in der wir leben, vertraut ist; jemanden, dem die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft über diese Welt geläufig sind. Ich sehe das anders.
Auch wenn Aristoteles vor 2500 Jahren in Griechenland lebte, so war er doch mit den Grundzügen unserer jetzigen Welt hinreichend vertraut, um über sie so sprechen zu können, als ob er heute leben würde. Aristoteles könnte uns nicht besser darin unterweisen, philosophisch zu denken, wenn er alles wüsste, was die moderne Wissenschaft hervorgebracht hat.
In seinem Bemühen, die Natur, die Gesellschaft und die Menschen zu verstehen, begann Aristoteles an dem Punkt, an dem jeder beginnen sollte - mit dem, was er aufgrund seiner gewöhnlichen, alltäglichen Erfahrung bereits wusste. Als Ausgangspunkt hat er sich auf Auffassungen gestützt, die uns allen gemeinsam sind - nicht weil sie uns in der Schule beigebracht wurden, sondern weil sie zum gewöhnlichen Bestand des menschlichen Denkens über alles und jedes gehören.
Wir bezeichnen diese Auffassungen manchmal als unseren gesunden Menschenverstand. Sie sind ein Ergebnis der üblichen Erfahrungen, die wir im Laufe unseres alltäglichen Lebens machen - Erfahrungen, die wir machen, ohne Nachforschungen anstellen zu müssen; Erfahrungen, die wir alle machen, schon allein dadurch, dass wir wach sind und Dinge bewusst wahrnehmen. Darüber hinaus können wir diese gewöhnlichen gemeinsamen Auffassungen in allgemein verständlichen Worten ausdrücken, die wir in der Alltagssprache verwenden.
Verzeihung, dass ich mehrfach wiederhole, dass diese Dinge »gewöhnlich«, allen Menschen »gemeinsam« und »allgemein« zutreffend sind. Das lässt sich nicht vermeiden. Ich muss diesen Sachverhalt betonen, weil er für meine Argumentation besonders wichtig ist. Nicht alles ist allen Menschen gemeinsam. Es gibt vieles, das wir nur uns selbst zuschreiben, aber es gibt auch anderes, von dem uns klar ist, dass nicht ausschließlich wir allein darüber verfügen. Solche Dinge teilen wir mit anderen, beispielsweise den Inhalt eines Buches, das auch unsere Freunde gelesen haben, oder den eines Films, den sich viele Menschen angesehen haben, oder ein Haus, in dem mehrere Familienmitglieder gemeinsam wohnen.
Was Menschen miteinander teilen, ist ihnen gemeinsam. Es gibt vieles, das verschiedenen Gruppen von Menschen gemeinsam ist. Weniger Dinge sind allen Menschen gemeinsam, nur weil sie allesamt Menschen sind. Diese letztgenannte, allumfassende Bedeutung des Wortes »gemeinsam« meine ich, wenn ich von den allen Menschen gemeinsamen Erfahrungen und gemeinsamen Auffassungen spreche, die den gesunden Menschenverstand ausmachen.
Unsere gemeinsamen Vorstellungen drücken wir durch Wörter wie »Sache«, »Körper«, »Geist«, »Veränderung«, »Ursache«, »Teil«, »Ganzes«, »einer«, »viele« und so weiter aus. Die meisten von uns verwenden diese Wörter und Begriffe schon seit langer Zeit - seit wir ganz jung waren. Wir benutzen sie, um über Erfahrungen zu sprechen, die wir alle gemacht haben - dass sich etwas bewegt oder ruht, dass Pflanzen wachsen, dass Tiere geboren werden und sterben, dass jemand sich hinsetzt und aufsteht; wir nutzen sie, um von Schmerz und Leid zu sprechen, vom Einschlafen, Träumen und Aufwachen, um mitzuteilen, dass wir unseren Körper mit Nahrung versorgen und trainieren und dass wir zu einem Entschluss gekommen sind.
Ich könnte diese Liste unserer gemeinsamen Erfahrungen fortführen, genauso wie ich die Liste der gebräuchlichen Wörter, die wir alle benutzen, und der Vorstellungen, die wir gemeinsam haben, fortführen könnte. Aber auch ohne diese Ergänzungen sollte klar sein, dass die Begriffe, Erfahrungen und Vorstellungen, die ich erwähnt habe, gewöhnlich und uns allen gemeinsam sind - sie gehören nicht ausschließlich Ihnen oder mir oder irgendjemand anderem.
Im Gegensatz dazu handelt es sich bei dem, was Wissenschaftler in ihren Labors oder Forscher auf ihren Expeditionen entdecken, um ganz besondere Erfahrungen. Zwar mögen auch wir durch Berichte Kenntnis davon erlangen, aber in der Regel erleben wir sie nicht selbst.
In den Jahrhunderten seit Aristoteles’ Lebenszeit hat der Mensch viel gelernt, vor allem durch die Entdeckungen der modernen Wissenschaft. Die angewandte Wissenschaft hat großen Einfluss auf unsere Welt und unsere Lebensweise genommen, die sich stark von Aristoteles’ Welt und seiner Lebensweise unterscheiden. Weder besaß er ein Auto noch die Möglichkeit zu telefonieren, er sah nie, was man durch ein Mikroskop oder ein Teleskop sehen kann, er konnte nicht die Mondoberfläche in riesiger Vergrößerung betrachten oder den Beschreibungen von Menschen lauschen, die darauf herumspaziert waren. Aber Aristoteles machte zu seiner Zeit die gleichen gewöhnlichen Erfahrungen wie wir in unserer Zeit. Seine Art, über sie nachzudenken, ermöglichte es ihm, sie besser zu verstehen, als es den meisten von uns gelingt.
Das - und nur das - ist der Grund dafür, dass er uns so gut dabei helfen kann, solche gewöhnlichen Erfahrungen besser zu verstehen, und dass er uns so gut dabei helfen kann, uns selbst und unser Leben sowie die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben, zu verstehen, auch wenn unsere Lebensweise, unsere Welt und unsere Gesellschaft sich von seinen unterscheiden.
Am Anfang von Aristoteles’ Denkprozess standen die allen Menschen gemeinsamen gewöhnlichen Erkenntnisse, die unseren gesunden Menschenverstand ausmachen, aber dabei beließ er es nicht. Er ging weit darüber hinaus. Er ergänzte Einsichten und Erkenntnisse, die alles andere als gewöhnlich sind. Sein Verständnis reicht tiefer als das unsere und übertrifft unseres bei Weitem. Er verfügte über einen ungewöhnlichen gesunden Menschenverstand, der sich doch normalerweise dadurch auszeichnet, gewöhnlich zu sein.
Darin besteht seine große Leistung, die uns allen zugutekommt. Ich werde in diesem Buch versuchen, seine ungewöhnlichen Erkenntnisse leichter verständlich zu machen. Wenn sie leichter zu verstehen sind, werden sie vielleicht sogar weniger ungewöhnlich.
1 PHILOSOPHISCHE SPIELE
Viele Menschen haben schon zwei Spiele gespielt, ohne dass ihnen bewusst war, dass sie sich dadurch philosophisch betätigten. Das eine Spiel heißt »Tier, Pflanze, Mineral«, das andere »Zwanzig Fragen«.
Beide Spiele bestehen darin, Fragen zu stellen. Aber nicht das macht sie zu philosophischen Spielen, sondern das, was hinter den Fragen steht - eine Reihe von Kategorien, ein Schema der Klassifizierung. Dinge zu klassifizieren, sie in diese oder jene Kategorie einzuordnen, ist uns vertraut. Jeder macht das irgendwann einmal - Ladenbesitzer, wenn sie eine Bestandsaufnahme ihrer Waren in den Regalen machen; Bibliothekare, wenn sie Bücher katalogisieren; Sekretärinnen, wenn sie Briefe oder Dokumente abheften. Wenn es sich bei den zu klassifizierenden Objekten jedoch um die Inhalte unserer physischen Welt oder des noch größeren Universums, das unter anderem unsere physische Welt enthält, handelt, dann kommt die Philosophie ins Spiel.
Die beiden Spiele - »Tier, Pflanze, Mineral« und »Zwanzig Fragen« - werden manchmal so gespielt, als würde es sich um dasselbe Spiel handeln. Das ist der Fall, wenn die erste der zwanzig Fragen »Tier, Pflanze oder Mineral?« lautet, um herauszufinden, ob der Gegenstand, an den jemand denkt, in eine dieser drei großen Kategorien oder Klassen von physikalischen Wesen beziehungsweise Gegenständen fällt. Aber nur manches von dem, an das wir denken können, ist etwas Physisches. Wenn es sich beispielsweise um eine geometrische Figur wie einen Kreis oder um eine Zahl wie die Quadratwurzel aus minus eins handeln würde oder wenn es um einen der griechischen Götter wie Zeus, Apollo oder Athene ginge, dann gäbe es keine bestätigende Antwort auf die Frage, ob das Objekt tierisch, pflanzlich oder mineralisch sei - zumindest sollte das nicht der Fall sein.
Das Spiel der zwanzig Fragen zielt darauf ab herauszufinden, an welches von allen möglichen Objekten jemand anderes gerade denkt. Es beschränkt sich nicht auf Gegenstände von physischer Natur. Von den beiden genannten Spielen verwickelt es uns am ehesten in philosophische Gedanken, ohne dass wir uns dessen bewusst wären. Damit wir uns dessen bewusst werden, brauchen wir die Hilfe von Aristoteles.
Die Klassifizierung von Objekten gehört mit zu den Fähigkeiten, in denen Aristoteles sich besonders auszeichnete. Eine andere war seine Fähigkeit, Fragen zu stellen. Philosophisches Denken hat damit begonnen, Fragen zu stellen - Fragen, die auf der Grundlage unserer gewöhnlichen, alltäglichen Erfahrung und mit einer gewissen Reflexion über diese Erfahrung, die zu einer Schärfung und Verfeinerung unseres gesunden Menschenverstands führt, beantwortet werden können.
Tier, Pflanze und Mineral ist eine grobe Dreiteilung all der Dinge, die wir in der physischen Welt vorfinden. Aber wir fassen den Begriff »Mineral« sehr weit, wenn wir ihn für jegliche leblose Materie nutzen, um sie von lebenden Organismen abzugrenzen - Stöcke und Steine von Rosenbüschen oder Mäusen. Nicht alles, was leblos ist, ist ein Mineral wie beispielsweise Gold oder Silber, das wir aus der Erde schürfen. Bei einigen dieser Dinge handelt es sich um Gesteinsformationen, die an der Erdoberfläche oder im Erdinneren zu finden sind, einige sind andere Formen von Materie in flüssigem oder gasförmigem Zustand.
In der Kategorie der leblosen beziehungsweise seelenlosen Objekte, die lose unter dem Begriff »Mineral« erfasst sind, würde Aristoteles uns zwischen elementaren und zusammengesetzten Körpern unterscheiden lassen. Ein elementarer Körper ist nach Aristoteles einer, der aus einer einzigen Art von Materie besteht - zum Beispiel Gold, Kupfer oder Zink. Im Gegensatz dazu besteht ein zusammengesetzter Körper aus zwei oder mehr verschiedenen Arten von Materie - zum Beispiel Messing, das eine Legierung aus Kupfer und Zink ist. Wichtiger ist für Aristoteles jedoch die Unterscheidung zwischen Lebendigem und Leblosem.
Was unterscheidet alle lebenden Organismen von den trägen leblosen Körpern, seien es nun elementare oder zusammengesetzte Körper? Aus unserer alltäglichen Erfahrung mit lebenden Organismen wissen wir, dass sie alle bestimmte gemeinsame Merkmale haben. Sie nehmen Nahrung auf, sie wachsen, sie pflanzen sich fort.
Und was unterscheidet innerhalb der Kategorie der lebenden Organismen die Pflanzen von den Tieren? Auch hier wissen wir aus unserer alltäglichen Erfahrung, dass Tiere bestimmte gemeinsame Merkmale haben, die den Pflanzen fehlen. Sie sind nicht wie Pflanzen in der Erde verwurzelt, sondern können mithilfe eigener Fortbewegungsmittel ihren Standort wechseln. Sie beziehen ihre Nahrung nicht wie Pflanzen aus der Luft und aus dem Boden. Darüber hinaus besitzen die meisten Tiere Sinnesorgane.
Es gibt jedoch keine feste Grenzlinie, die leblose Gegenstände von lebenden Organismen trennt, sodass wir uns manchmal fragen, zu welcher dieser Kategorien etwas gehört. Das gilt auch für die Trennung zwischen Pflanzen und Tieren. So scheinen einige Pflanzen auf Reize zu reagieren, obwohl sie keine Sinnesorgane wie Augen und Ohren besitzen. Einige Tiere, etwa Steckmuscheln, scheinen nicht in der Lage zu sein, sich fortzubewegen; wie Pflanzen scheinen sie fest an einem Ort verwurzelt zu sein.
Aristoteles war sich bewusst, dass seine Einteilung aller physischen Dinge in die drei großen Klassen »leblose Gegenstände«, »Pflanzen« und »Tiere« Grenzfälle nicht ausschloss - Dinge, die in einer bestimmten Hinsicht auf die eine Seite der Grenzlinie und in einer anderen Hinsicht auf die andere Seite zu gehören scheinen. Er erkannte, dass der Übergang von leblosen Dingen zu Lebewesen und von pflanzlichem zu tierischem Leben allmählich erfolgt und nicht immer eindeutig ist.
Dennoch hielt Aristoteles an seiner Auffassung fest, dass die Unterschiede zwischen lebendigen und leblosen Körpern sowie zwischen Pflanzen und Tieren diese in ganz unterschiedliche Arten von Dingen unterteilen. Er begründete diese Ansicht wie folgt.
Würden wir nicht zunächst den klaren Unterschied zwischen einem Stein und einer Maus erkennen und verstehen, würden wir uns nie fragen, ob etwas, das schwierig zu klassifizieren ist, ein Lebewesen oder etwas Lebloses ist. Ebenso würden wir uns nie fragen, ob es sich bei einem bestimmten lebenden Organismus um eine Pflanze oder ein Tier handelt, wenn wir den klaren Unterschied zwischen einem Rosenstock und einem Pferd nicht erkennen würden.
So wie Tiere eine besondere Art von Lebewesen sind, weil sie über Fähigkeiten verfügen, über die Pflanzen nicht verfügen, so ist der Mensch aus einem ähnlichen Grund eine besondere Art von Tier. Er verfügt über Fähigkeiten, über die kein anderes Tier verfügt, wie zum Beispiel allgemeine Fragen zu stellen und mithilfe von Beobachtung und Nachdenken Antworten zu suchen. Deshalb bezeichnete Aristoteles den Menschen als vernunftbegabtes Tier - als fragendes und denkendes Tier, das zu philosophischen Überlegungen fähig ist.
Manche Tiere scheinen die Grenze zwischen nichtmenschlichen Wesen und Menschen zu überschreiten. Schweinswale und Schimpansen, so hat man kürzlich herausgefunden, sind intelligent genug, um einfache Formen der Kommunikation anzuwenden. Aber wie es aussieht, stellen sie weder sich selbst noch einander Fragen über die Natur der Dinge und versuchen auch nicht, auf irgendeine Weise entsprechende Antworten zu entdecken. Wir können solche Tiere als nahezu menschlich bezeichnen, aber wir sehen sie nicht als dem Menschengeschlecht zugehörig an.
Jeder einzelnen Art von Dingen, so glaubte Aristoteles, wohnt eine Natur inne, die sie von allen anderen Dingen unterscheidet. Was eine Klasse von Dingen von allen anderen unterscheidet, definiert die Natur, die jedes einzelne Ding besitzt, das dieser Klasse angehört. Wenn wir zum Beispiel von der menschlichen Natur sprechen, meinen wir damit schlicht und ergreifend, dass alle Menschen bestimmte Eigenschaften haben und dass diese Eigenschaften sie von anderen Tieren, von Pflanzen und von leblosen Gegenständen unterscheiden.
Aristoteles’ Klassifikationsschema ordnete die fünf Hauptklassen der physischen Dinge in aufsteigender Reihenfolge an. Die elementaren und zusammengesetzten Körper stehen am unteren Ende der Skala. Jede der höheren Klassen ist deshalb höher angesiedelt, weil sie die Eigenschaften der darunterliegenden Klasse besitzt und darüber hinaus bestimmte Unterscheidungsmerkmale aufweist, die die darunterliegende Klasse nicht hat.
Auf der Skala der natürlichen Dinge ist das Lebendige eine höhere Existenzform als das Leblose, Seelenlose; Tiere sind eine höhere Lebensform als Pflanzen; und das menschliche Leben ist die höchste Lebensform, die es auf der Erde gibt.
Alle lebenden Organismen nehmen ebenso wie alle leblosen Körper Raum ein und haben ein Gewicht, aber darüber hinaus nehmen sie, wie bereits erwähnt, Nahrung zu sich, wachsen und pflanzen sich fort. Da Tiere lebende Organismen sind, verfügen sie wie die Pflanzen auch über diese lebensnotwendigen Funktionen, aber sie verfügen darüber hinaus über bestimmte Funktionen beziehungsweise Fähigkeiten, über die Pflanzen nicht verfügen. An der Spitze der Skala stehen die Menschen, die über alle lebensnotwendigen Funktionen der anderen Tiere verfügen und darüber hinaus die Fähigkeit besitzen, durch das Stellen und Beantworten von Fragen nach Wissen zu streben und philosophisch zu denken.
Natürlich könnte man behaupten, dass viele der höher entwickelten Tierarten denken, ja sogar, dass Computer denken. Es stimmt auch nicht, dass nur der Mensch intelligent wäre. Intelligenz ist in unterschiedlichem Ausmaß in der gesamten Tierwelt zu finden, genauso wie sie in unterschiedlichem Ausmaß bei den Mitgliedern des Menschengeschlechts zu finden ist. Aber die besondere Denkweise, die dazu führt, philosophische Fragen zu stellen und zu beantworten, unterscheidet den Menschen von anderen Tieren. Kein anderes Tier spielt philosophische Spiele.
Bei den physischen Dingen, die Aristoteles in fünf große Klassen unterteilt, bezeichnet der Begriff »Körper« die alles umfassende Klasse. Es gibt keine übergeordnete Klasse, von der Körper eine Unterklasse wären. Alles in der physischen Welt ist ein Körper der einen oder anderen Art.
Ist es möglich, ins andere Extrem zu gehen und eine Unterklasse von Körpern zu finden, die sich nicht weiter in kleinere Unterklassen unterteilen lässt? Ist die menschliche Spezies eine solche Unterklasse der Tiere?
Vor diese Frage gestellt, denken die meisten von uns wahrscheinlich sofort an verschiedene Äußerlichkeiten, nach denen sich Menschen unterscheiden ließen - nach Hautfarbe, Gesichtsmerkmalen, Kopfform und so weiter. Warum also unterteilen solche Charakteristika die Menschen nicht in verschiedene Arten oder Unterklassen?
In diesem Zusammenhang traf Aristoteles eine wichtige Unterscheidung. Nicht alle Merkmale einer Sache, sagte er, definieren ihre Natur oder ihr Wesen. Wie wir bereits gesehen haben, war Aristoteles der Ansicht, dass der Mensch als vernunftbegabtes - oder philosophisches - Tier definiert werden sollte. Die Fähigkeit, Fragen nach dem Was, dem Warum und dem Wozu der Dinge zu stellen, macht einen Menschen zum Menschen, nicht die Hautfarbe, die Stupsnase, das glatte Haar oder die Kopfform.
Wir können die Menschen natürlich in eine unendliche Vielzahl von Unterklassen einteilen - groß oder klein, dick oder dünn, weiß oder schwarz, stark oder schwach und so weiter. Aber obwohl solche Unterschiede dazu dienen können, eine Untergruppe von Menschen von einer anderen zu differenzieren, können sie laut Aristoteles keine dieser Untergruppen aus dem Menschengeschlecht ausschließen. Und was noch wichtiger ist: Die Mitglieder einer Untergruppe sind weder mehr noch weniger menschlich als die Mitglieder einer anderen.
Anders ausgedrückt sind die Unterschiede zwischen einer Unterkategorie von Menschen und einer anderen nur oberflächlich beziehungsweise geringfügig verglichen mit den grundlegenden beziehungsweise bedeutsamen Unterschieden, die den Menschen von anderen Tieren unterscheiden. Aristoteles bezeichnete die oberflächlichen beziehungsweise geringfügigen Unterschiede als nebensächlich; die grundlegenden beziehungsweise bedeutsamen Unterschiede betrachtete er als wesentlich.
Menschen und nichtvernunftbegabte Tiere unterscheiden sich wesentlich voneinander; große Menschen und kleine, dicke Menschen und dünne unterscheiden sich dahingegen in nebensächlichen Belangen voneinander. Und nur in solchen nebensächlichen Belangen unterscheidet sich ein Mensch vom anderen. Alle Menschen sind Lebewesen der gleichen Art, aber der eine hat vielleicht mehr und der andere weniger von dieser oder jener menschlichen Eigenschaft. Solche individuellen Unterschiede sind längst nicht so bedeutsam wie das, was alle Männer und Frauen verbindet - das Menschsein, das ihnen gemeinsam ist und in dem alle Menschen gleich sind.
2 DIE TIEFE KLUFT
Mit Aristoteles’ Unterteilung alles Physischen in leblose Gegenstände und lebende Organismen und seiner Unterteilung der lebenden Organismen in Pflanzen, Tiere und Menschen ist sein Klassifikationsschema - beziehungsweise seine Liste an Kategorien - nicht erschöpft. Man denke nur an Wellingtons Pferd in der Schlacht von Waterloo oder an Julius Cäsar, wie er den Rubikon überquert. Man denke nur an Shakespeares Hamlet, das Ungeheuer von Loch Ness oder den Engel Gabriel. Man denke nur an den Duft blühender Rosen, die Farbe einer reifen Tomate, Newtons Gravitationstheorie oder Gott.
Nichts davon ist etwas Physisches, das im Hier und Jetzt als Tier, Pflanze oder Mineral existiert. Wellingtons Pferd und Julius Cäsar existierten in der Vergangenheit, aber nun existieren sie nicht mehr. Shakespeares Hamlet ist eine fiktive Figur, keine reale Person. Die Existenz des Ungeheuers von Loch Ness ist höchst zweifelhaft. Was den Duft blühender Rosen, den Engel Gabriel, Newtons Gravitationstheorie und Gott betrifft, so fällt nichts von alledem unter eine der Rubriken, die Körper umfassen, die entweder in der physischen Welt existieren oder darin existiert haben.
Die Gesamtheit der Objekte, an die ein Mensch denken kann, ist deutlich größer als die physische Welt - also die Welt der Körper, die entweder aktuell existieren oder in der Vergangenheit existiert haben. Es umfasst die Welt der Körper, aber auch vieles mehr. Was Körper von allem anderen trennt, ist nicht bloß eine simple Grenzlinie, sondern eine tiefe Kluft.
Was bleibt noch, wenn wir alles Physische auf einer Seite dieser Kluft platzieren? Was gehört zu der anderen Hälfte des allumfassenden Universums von Objekten, an die wir denken können? Ich werde nicht versuchen, alle möglichen Arten von Objekten aufzuzählen, die keine Körper sind, aber hier sind zumindest einige:
mathematische Objekte wie Dreiecke und Quadratwurzelnimaginäre oder fiktive Figuren wie Shakespeares Hamlet oder Mark Twains Huckleberry Finnkörperlose Wesen aller Art, einschließlich Geister und EngelGötter beziehungsweise der eine Gott, wenn göttliche Wesen als körperlos betrachtet werdenmythologische Wesen wie Zentauren und Meerjungfrauender Intellekt, der in der Lage ist, sich solche Fragen auszudenkenIdeen und Theorien, mit denen der Verstand sich beschäftigtIch bin mir durchaus bewusst, dass diese Aufzählung möglicher Objekte, an die ein Mensch denken kann, viele Fragen aufwirft. Existieren solche Objekte in irgendeiner Weise? Wenn ja, wie unterscheidet sich ihre Existenz von der Existenz von Körpern? Was bedeutet es, sie als Möglichkeiten zu bezeichnen? Gibt es Objekte des Denkens, die unmöglich sind? Wenn der Verstand kein Körper ist, in welchem Verhältnis steht er dann zu Körpern?
Ich werde versuchen, einige dieser Fragen - mithilfe von Aristoteles - in späteren Kapiteln dieses Buches zu beantworten. Einige sind schwierige philosophische Fragen, die ich mir bis zum Schluss aufhebe. Im Moment dient das Aufwerfen dieser Fragen dem Zweck, die Aufmerksamkeit auf das größere Universum zu lenken, von dem die physische Welt nur ein Teil ist, auch wenn die Welt der Körper vielleicht die einzige ist, die tatsächlich existiert.
In Bezug auf diese Welt kommt eine weitere Unterscheidung von Aristoteles zum Tragen. Mit ihr können wir die Frage nach dem Geruch blühender Rosen oder der Farbe einer reifen Tomate beantworten. Rosen und Tomaten sind Körper, sie sind Pflanzen, aber für ihren Geruch und ihre Farbe gilt das nicht. In Bezug auf die physische Welt hat Aristoteles eine Grenzlinie gezogen, die ihre Bestandteile in zwei große Arten unterteilt. Auf der einen Seite der Grenzlinie ordnete er die Körper ein, auf der anderen Seite ihre Eigenschaften oder Attribute, etwa ihren Geruch oder ihre Farbe.
In unserer Alltagssprache treffen wir üblicherweise dieselbe Unterscheidung. Wir sprechen nicht von der Größe und dem Gewicht eines Steines, als handele es sich dabei um einen Körper. Ich würde Sie nicht bitten, mir die Größe oder das Gewicht des Steines zu reichen, denn ich weiß, dass Sie mir den Stein reichen müssen, damit ich dessen Größe oder Gewicht spüren kann.
Wir können an die Größe oder das Gewicht des Steines denken, ohne an den Stein selbst zu denken, aber wir können nicht die Größe oder das Gewicht des Steines verändern, ohne den Stein zu verändern. Wenn der Stein in einem Haufen von Steinen liegt, können wir ihn vom Haufen nehmen und die anderen Steine darin belassen, aber wir können nicht die Größe oder das Gewicht des Steines von diesem Haufen wegnehmen und gleichzeitig den Stein darin belassen.
Die Existenz von Eigenschaften oder Attributen, die zu einem Körper gehören - so wie die Größe oder das Gewicht des Steines zu ihm gehört -, hängt nach Aristoteles von diesem Körper ab (wie das Gewicht des Steines vom Stein abhängt), aber es existiert nicht von sich aus (wie etwa ein Stein existiert).
Etwas Physisches, ein Körper, kann zu einer Sammlung von Körpern gehören, aus der er entfernt werden kann - so wie ein Stein aus einem Steinhaufen genommen werden kann. Aber jeder der Steine in dem Haufen existiert per se, auch wenn er in einer Sammlung von Steinen existiert. Das gilt jedoch nicht für die Größe oder das Gewicht des Steines. Größe und Gewicht existieren nicht von sich aus. Sie sind immer die Größen und Gewichte von physischen Dingen, und sie hören auf zu existieren, wenn die Körper, in denen sie existieren, von denen sie also abhängen, nicht länger existieren.
Eine andere Möglichkeit, diesen grundlegenden Unterschied zwischen etwas Physischem und seinen Eigenschaften zu begreifen, besteht darin, sich anzusehen, wie Körper sich verändern. Einen Stein mit einer rauen Oberfläche kann man polieren und glätten. Einen Stein, der eine fast runde Form besitzt, kann man perfekt rund machen. Während wir die Eigenschaften eines Steins verändern, haben wir es doch immer noch mit ein und demselben Stein zu tun. Es handelt sich nicht um einen anderen Stein, sondern um denselben, nur veränderten Stein.
Wenn er nicht derselbe Stein bliebe, nur weil er sich auf die ein oder andere Weise verändert, könnte man nicht sagen, dass er sich von rau zu glatt oder von größer zu kleiner verändert habe. Wenn wir das verstehen, verstehen wir auch Aristoteles’ Begründung für seine Aussage, dass etwas Physisches immer das bleibt, was es ist (dieser ganz bestimmte Stein), während es sich gleichzeitig auf die ein oder andere Weise verändern kann (in Größe oder Gewicht, Form, Farbe oder Beschaffenheit).
Die Eigenschaften von Körpern sind im Gegensatz zu den Körpern selbst niemals einem Wandel unterworfen. Rauheit wird nie zu Glätte, Grün wird nie zu Rot. Es ist der raue Stein, der glatt wird; die grüne Tomate, die rot wird, wenn sie reift. Physische Dinge sind, kurz gesagt, veränderbar. Die Eigenschaften von physischen Dingen sind nicht veränderbar; mit ihnen lässt sich jedoch bezeichnen, in welcher Hinsicht sich physische Dinge verändern.
Aristoteles hat versucht, eine vollständige Liste der Eigenschaften physischer Dinge aufzustellen. Die Vollständigkeit darf bezweifelt werden, aber die Eigenschaften, die er nennt, sind uns allen aus allgemeiner Erfahrung heraus bekannt, insbesondere diejenigen, die zu den wichtigsten Aspekten zählen, in denen Dinge sich verändern:
die Quantität beziehungsweise die Masse, wenn sie an Gewicht oder Größe zu- oder abnehmendie Qualität beziehungsweise die Beschaffenheit, wenn sie sich in Form, Farbe oder Textur verändernder Ort oder die Stelle, wenn sie sich von A nach B bewegenDarüber hinaus besitzt Physisches weitere Eigenschaften, wie die Beziehungen, in denen es zu anderen Dingen steht; die Handlungen, die es ausführt; die Ergebnisse von Handlungen, die an ihm vollzogen werden; den Zeitpunkt seines Entstehens; die Dauer seiner Existenz und den Zeitpunkt seines Vergehens.
Von allen Eigenschaften, die etwas Physisches besitzt, sind die wichtigsten diejenigen, die es während seiner gesamten Existenz innehat und in denen es sich nicht verändert, so lange es existiert. Diese dauerhaften Eigenschaften machen es zu der Art von Sache, die es ist. Zum Beispiel besitzt Salz die dauerhafte Eigenschaft, dass es sich in Wasser auflöst; bestimmte Metalle besitzen die dauerhafte Eigenschaft, dass sie Elektrizität leiten; Säugetiere besitzen die dauerhafte Eigenschaft, dass sie lebende Nachkommen gebären und ihre Jungen säugen.
Solche Eigenschaften machen etwas nicht nur zu der speziellen Art Ding, die es ist, sie unterscheiden auch eine Art von Ding von einer anderen. Die Fähigkeit, Fragen zu stellen, wie wir sie hier gestellt haben, ist eine dauerhafte Eigenschaft vernunftbegabter Tiere, etwas, das uns von anderen Säugetieren unterscheidet. Selbstverständlich sind auch vernunftbegabte Tiere Körper. Sie sind etwas Physisches, aber eben nicht nur etwas Physisches.
Diese Tatsache spiegelt sich in unserem Gebrauch des Wortes »Person« wider. Wir bezeichnen Menschen als Personen. Spinnen, Schlangen, Haie oder Vögel bezeichnen wir dagegen nicht als Personen. Manchmal mögen wir unsere Hauskatze oder unseren Hund so behandeln, als wären sie menschlich - oder beinahe menschlich. Objekte, die wir als bloße Dinge betrachten, behandeln wir nicht so.
Bis hierher wurde das Wort »Ding« zur Bezeichnung physischer Dinge - also Körper - verwendet. Jetzt habe ich das Wort »Ding« als Gegensatz zum Wort »Person« verwendet. Es ist ein problematisches Wort. Seine Bedeutung ist manchmal so weit gefasst, dass man damit jedes mögliche Objekt des Denkens bezeichnen kann - nicht nur existierende physische Dinge, sondern auch deren Eigenschaften, darüber hinaus Objekte, die nicht existieren, Objekte, die vielleicht nie existiert haben, und sogar Objekte, die unmöglich existieren können. Manchmal ist mit dem Wort »Ding« im engeren Sinne nur ein Körper gemeint, der aktuell in der physischen Welt existiert, oder ein Körper, der in der Vergangenheit existiert hat, oder ein Körper, der in der Zukunft existieren könnte.
Es ist oft unvermeidlich, ein und dasselbe Wort in verschiedenen Bedeutungen zu verwenden. Bei den wichtigsten Wörtern, die wir verwenden, insbesondere bei Wörtern, die wir in der Alltagssprache benutzen, ist es fast unmöglich, das zu umgehen. Aristoteles hat häufig auf die verschiedenen Bedeutungen hingewiesen, in denen er ein und dasselbe Wort verwenden musste. Wenn wir wie er über unsere Erfahrungen nachdenken, müssen wir auch auf die verschiedenen Bedeutungen der Wörter achten, die wir verwenden.
Der Mensch ist in einem Sinne dieses Wortes ein physisches »Ding« (etwas Physisches) und in einem anderen nicht, wenn wir ihn als Person und nicht als Ding (ein lebloser Gegenstand) bezeichnen. Als physische Dinge, als Körper, besitzen Menschen die drei Dimensionen, mit denen wir alle vertraut sind. Als Personen besitzen sie ebenfalls drei Dimensionen, die jedoch ganz andere sind.
3 DIE DREI DIMENSIONEN DES MENSCHEN