Ashes - Ruhelose Seelen - Ilsa J. Bick - E-Book

Ashes - Ruhelose Seelen E-Book

Ilsa J. Bick

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Beschreibung

Sie haben sich in Bestien verwandelt - was, wenn auch dir das bevorsteht?

Eine unfassbare Katastrophe hat unsere Welt für immer verändert. Wer dabei nicht dem Tod zum Opfer gefallen ist, kämpft nun Tag für Tag ums Überleben. Die größte Bedrohung geht von den Veränderten aus - jenen gefürchteten Jugendlichen, die sich aus bisher unerfindlichen Gründen seit der Katastrophe in blutrünstige Kannibalen verwandeln.

Auch die siebzehnjährige Alex fürchtet diese Bestien und würde keine Sekunde zögern, sie zu töten. Doch als einer dieser Jungen ihr das Leben rettet, nagen Zweifel an ihr. Ist es möglich, dass seine Seele trotz der Verwandlung in ihm weiterlebt? Und dann spürt Alex selbst etwas in sich wachsen: Eine unaufhaltsame Macht scheint von ihr Besitz zu ergreifen ...

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Seitenzahl: 536

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Inhalt

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Zitat

Fresh up your ASHES

Prolog

Teil I

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

Teil II

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

Teil III

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

54

Teil IV

55

56

57

58

59

60

61

62

63

64

65

Über dieses Buch

Eine unfassbare Katastrophe hat unsere Welt für immer verändert. Wer dabei nicht dem Tod zum Opfer gefallen ist, kämpft nun Tag für Tag ums Überleben. Die größte Bedrohung geht von den Veränderten aus - jenen gefürchteten Jugendlichen, die sich aus bisher unerfindlichen Gründen seit der Katastrophe in blutrünstige Kannibalen verwandeln.

Auch die siebzehnjährige Alex fürchtet diese Bestien und würde keine Sekunde zögern, sie zu töten. Doch als einer dieser Jungen ihr das Leben rettet, nagen Zweifel an ihr. Ist es möglich, dass seine Seele trotz der Verwandlung in ihm weiterlebt? Und dann spürt Alex selbst etwas in sich wachsen: Eine unaufhaltsame Macht scheint von ihr Besitz zu ergreifen …

Über die Autorin

© Frank Strukel

Ilsa J. Bick ist Kinder- und Jugendpsychiaterin und ehemalige Air-Force-Majorin, widmet sich mittlerweile aber ganz ihrem Autorinnendasein. Am liebsten schreibt sie Jugendbücher und Kurzgeschichten, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde.

Ilsa J. Bick

ASHES

Ruhelose Seelen

Aus dem Englischen von Robert A. Weiß,

Gerlinde Schermer-Rauwolf und Naemi Schuhmacher

(Kollektiv Druck-Reif)

beBEYOND

Digitale Ausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Vollständige digitale Ausgabe der 2013 bei LYX INK.digital erschienene Ausgabe.

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Original English language edition first published in 2013 under the title Monsters by Carolrhoda Books, a division of Lerner Publishing Group, Inc., 241 First Avenue North, Minneapolis, MN 55401

Copyright © 2013 by Ilsa Bick

All rights reserved

Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Textredaktion: Diana Steinbrede

Covergestaltung: Anke Koopmann/Guter Punkt, München, unter Verwendung eines Designs von Hanna Hörl Designbüro, München, und eines Motivs von © Peter Karasev

eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7325-4779-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für die Überlebenden

Ich trage ein Tier, einen Engel

und einen Wahnsinnigen in mir.

– Dylan Thomas

Du hast ASHES – Brennendes Herz und ASHES – Tödliche Schatten vor einiger Zeit gelesen und brauchst jetzt …

… eine kurze Auffrischung, ein Who is Who und einen Rückblick, was alles passiert ist? Wenn du deinem Gedächtnis WIRKLICH auf die Sprünge helfen willst, dann lies hier weiter.

Wenn du die ersten beiden Bände von ASHESnicht gelesen hast – schade. Aber keine Angst, es ist noch nicht zu spät.

Doch VORSICHT, Spoilergefahr! Ehrlich, wenn du Band 1 und Band 2 von ASHES nicht gelesen hast, solltest du jetzt lieber noch nicht weiter lesen. Sonst bringst du dich nicht nur um eine vielleicht tolle Leseerfahrung (denn eine Zusammenfassung wird den Romanen nicht wirklich gerecht), sondern es fehlen dir auch eine Menge wichtigerInformationen, die wir hier nun nicht alle mitliefern können.

Natürlich musst du das selbst entscheiden.

Also los geht’s …

Was bisher geschah:

Der Blitz: An einem perfekten Samstag im Oktober setzen E-Bomben eine Welle elektromagnetischer Impulse frei. Niemand weiß, woher sie kommen. Eigentlich ist es auch unwichtig. Wichtig sind nur die Auswirkungen.

Im Bruchteil von Sekunden stirbt der Großteil der erwachsenen Weltbevölkerung, Strom- und Kommunikationswege werden zerstört und hochentwickelte Elektroniksysteme lahmgelegt (Der schicke neue iPad? Ist ein Haufen Schrott). Entlang der Ost- und Westküste kommt es zu Explosionen über Atommülldeponien. Atomstaub wird in die Atmosphäre gespuckt und färbt den Mond grün und die Sonnenaufgänge blutrot. Andere Einrichtungen sind in kritischem Zustand, weil die Generatoren nicht anspringen. Und es ist niemand mehr da, um den Schaden zu beheben. Im Nu kollabiert die Zivilisation zu einem höllischen Schwarzen Loch.

Die Überlebenden – sehr junge und sehr alte Menschen – müssen sich an neue Feinde gewöhnen. Dazu zählen neben den anderen Überlebenden, die sich in Rollkommandos und diktatorisch regierten Gesellschaften organisieren (wie das sehr kleine und abgelegene Dorf Rule), auch veränderte Jugendliche, denen man nicht im Dunklen begegnen möchte. Hunde reagieren gegenüber den Jugendlichen so sensibel wie Kanarienvögel in einer Mine: Sie erkennen sie sofort und können die Menschen warnen. Man vermutet auch, dass Hunde wissen, wer sich gerade verändert oder sich wahrscheinlich noch verändern wird.

Einige wenige Menschen haben sich auf andere Weise verändert und Supersinne entwickelt, die ein paar von ihnen zu ihrem Vorteil auszunutzen wissen. Wieder andere blieben verschont: Jugendliche und junge Erwachsene, die eigentlich tot sein sollten. Niemand weiß, warum sie überlebt haben und ohne hochentwickelte Computer, Labore oder Wissenschaftler gibt es auch keine Möglichkeiten, es herauszufinden. Kinder werden plötzlich sehr wertvoll, und man beobachtet misstrauisch die wenigen Verschonten, weil keiner weiß, ob sie sich nicht doch noch verändern.

Andere, sehr viel ältere Individuen, die an fortgeschrittenem Alzheimer oder anderen Demenzkrankheiten leiden, werden plötzlich erweckt und kehren zu ihrer früheren Funktion zurück.

Who is Who:

Alex Adair lebt mit ihrer Tante in Illinois, seit ihre Eltern (ihre Mutter war Notfallärztin, ihr Vater Polizist) vor drei Jahren bei einem Hubschrauberabsturzums Leben kamen. Aber was noch schlimmer ist: Alex trägt ein Monster im Kopf, einen inoperablen Hirntumor, der ihr den Geruchssinn und viele ihrer Erinnerungen geraubt hat, vor allem an ihre Eltern. Nach zwei Jahren fehlgeschlagener Chemotherapien, Bestrahlungen und neuartiger Behandlungen hat sich Alex entschlossen, ihr Leben endlich selbst in die Hand zu nehmen. Am Anfang des Romans ist sie unterwegs auf einer, nennen wir es, Rucksacktour ohne Rückfahrkarte durch das Naturschutzgebiet Waucamaw in der Upper Peninsula in Michigan. Sie möchte den letzten Wunsch ihrer Eltern erfüllen und ihre Asche vom Mirror Point aus in den Lake Superior streuen. Rein zufällig hat sie auch die Glock ihres Vaters dabei – falls sie sich dazu entschließen sollte, nicht mehr zurückzukehren. Nach dem Blitz kehrt auf einmal ihr Geruchssinn zurück: Ein Supersinn, mit dem sie auch intuitiv Gefühle erspüren und bei einer Gelegenheit sogar kurz die Gedanken eines Wolfs lesen kann.  Und das ist ziemlich abgefahren … Aber noch wichtiger ist, dass sie, wie die Hunde, den Verwesungsgestank der veränderten Jugendlichen erkennt. Und auf einmal ist jeder Hund ihr neuer bester Freund …

Ellie Cranford: Mürrisch, unkameradschaftlich, ein bisschen verjammert – Alex könnte dem Kind ständig eine Tracht Prügel verpassen. Was soll man dazu sagen? Ellie ist acht Jahre alt. Ihr Vater war Berufssoldat und ist im Irak gefallen. Die Mutter ist vor Jahren weggelaufen. Ellie lebt jetzt bei ihrem Großvater Jack, der eine Engelsgeduld hat und auch sonst sehr nachsichtig mit ihr ist. Ellie hasst Camping; Grund genug, genervt zu sein. Nachdem sie am Anfang von Alex und später von Tom gerettet wurde, wird Ellie von fiesen alten Leuten geraubt, die sie als willkommene Bereicherung ihres Speiseplans sehen.

Mina ist Ellies Schäferhund und der frühere Diensthund ihres Vaters. Auch Mina hat eine Engelsgeduld, kann aber auch kräftig zubeißen. Die fiesen alten Leute nehmen auch sie gefangen.

Tom Eden ist ein junger Soldat und Sprengstoffspezialist auf Heimaturlaub von Afghanistan und ein kompetenter Bursche, der in vielerlei Hinsicht zu Alex passt. Nachdem sie eine wilde Hundemeute vertrieben hat, rettet Tom Alex und Ellie, indem er seinen Kumpel Jim erschießt, der sich verwandelt hat. Toms ruhige, zuverlässige Art zieht Alex sofort an, aber er hat auch seine Geheimnisse. Rätselhaft ist überhaupt, warum er im Waucamaw ist. Sie verlassen das (relativ) sichere Naturschutzgebiet und treffen im Nu auf wilde Hunde, versteckte Sprengsätze und Jugendliche, die Menschen mit Happy Meals verwechseln. Tom wird angeschossen, als er die fiesen alten Leute davon abhalten will, Ellie zu rauben.

Chris Prentiss stammt eigentlich aus einer anderen Stadt, ist der Enkelsohn von Reverend Yeager und faktisch der stellvertretende Kommandeur von Rule. Chris ist düster, zurückhaltendund grüblerisch und hat eine unheimliche Begabung darin, Verschonte zu finden – vor allem im Norden rund um Oren und der nahegelegenen Amish-Gemeinde. Er verliebt sich Hals über Kopf in Alex, die anfangs von Rule fliehen will, seine Gefühle aber schließlich erwidert.

Peter Ernst: Kommandeur von Rule, der jedoch seine Marschorder vom Rat der Fünf erhält, Vertretern der Gründerfamilien, die das Dorf regieren. Mit seinen vierundzwanzig Jahren ist Peter der älteste Verschonte und hat ein wachsames Auge auf Chris. Peter hat etwas laufen mit Sarah, der Mitbewohnerin von Alex.

Sarah, Tori und Lena: Die drei Mitbewohnerinnen von Alex sind Flüchtlinge, die in Rule Unterschlupf gefunden haben. Sarah gibt gerne den Ton an. Die gutmütige Tori verliebt sich abwechselnd in Greg (ein Verschonter und Mitglied von Chris’ Truppe) und Chris; davon abgesehen backt sie einen sehr leckeren Apple Crisp. An Lena ist ein Junge verlorengegangen – sie ist wortkarg und respektlos und stammt ursprünglich aus dem Amish-Gebiet in der Nähe von Oren. Einmal hatte sie Peter manipuliert und versucht zu fliehen, wurde dann aber in der Zone gefangengenommen. Die Zone ist ein Niemandsland, das die Verbannten (die Rule hinauswarf, weil sie Regeln gebrochen haben) durchqueren müssen, um den Einflussbereich von Rule zu verlassen.

Reverend Yeager stammt aus einer der fünf Gründerfamilienvon Rule und wurde durch eine profitable Minengesellschaft steinreich. Yeager ist Vorsitzender im Rat derFünf (die anderen Mitglieder sind Ernst, Stiemke, Prigge und Born). Vor dem Blitz dämmerte er in der Alzheimerabteilung im Hospiz von Rule dahin. Nach dem Blitz wurde Yeager erweckt. Wie Alex besitzt er einen Supersinn und kann Gefühle und Aufrichtigkeit durch einfache Berührung erkennen.

Jess ist hart im Nehmen, wirft gerne mit Bibelversen um sich und hat genaue Vorstellungen davon, wer in Rule regieren sollte. Sie will, dass sich Chris gegen seinen Großvater behauptet, Chris schaltet aber aus guten Gründen auf stur. Jess macht kein Geheimnis daraus, dass sie gerne hätte, wenn sich Chris und Alex, nun ja, etwas näher kämen.

Matt Kincaid:verlottert, pragmatisch, blitzgescheit und der einzige Arzt in Rule. Auch er ist erwacht, besitzt aber keinen Supersinn. Kincaid weiß als Einziger von Alex’ Hirntumor und ihrem Super-Geruchssinn. Von ihm stammt die Vermutung, dass das Monster in ihrem Hirn entweder tot ist, inaktiv, oder sich in etwas ganz anderes verwandelt.

Jed und Grace sind ein älteres Ehepaar aus Wisconsin, die Tom retten und gesund pflegen. Jed, ein Kriegsveteran, ist seit seinem Kriegseinsatz auf einem Auge blind, erlangt jedoch nach dem Blitz seine volle Sehkraft zurück. Mehr noch – er entwickelt auf dem Gebiet einen Supersinn. Seine Frau Grace war vor dem Blitz an Alzheimer erkrankt, erwacht nach dem Blitz und erinnert sich wieder an ihre Zeit als Krankenschwester. So kann sie Tom retten. Tom verlässt die beiden schweren Herzens, um nach Alex zu suchen. Die beiden werden von einem Nachbarn und seinen Kumpanen ermordet, weil sie einen Verschonten versteckt hatten.

Wolf ist der Spitzname, den Alex dem Anführer einer Horde von Veränderten gibt, in deren Fänge sie gerät. Er ist Chris wie aus dem Gesicht geschnitten und es stellt sich später auch heraus, dass er sein Zwillingsbruder ist, von dessen Existenz Chris jedoch nichts ahnt. Wolf scheint sich zu Alex hingezogen zu fühlen und beschützt sie vor dem Rest seiner Horde, die Alex nur zu gern auf ihrem Speiseplan sehen würde.

Weller ist ein Mitglied aus Peters Truppe. In Wirklichkeit arbeitet er jedoch für Finn (wird gleich noch vorgestellt). Anscheinend hat er noch eine Rechnung mit Peter offen – und zwar aus der Vergangenheit. Es bleibt bisher ein dunkles Geheimnis. Später gehört er auch zu Mellie und ihrer Kinderarmee, die Rule angreifen will (wird später noch erklärt).

Elias Finn – Vietnamveteran und Anführer einer geheimen, schon lange bestehenden Miliz. Einige seiner Männer haben Peters Truppe aus Rule in einen Hinterhalt gelockt und Peter dabei gefangen genommen. In dem Lager der Miliz macht Peter eine schreckliche Entdeckung: Finn scheint zu erforschen, inwieweit sich die Veränderten abrichten und dressieren lassen – ganz besonders, wie lernfähig sie sind. Peter wird zu seinem Versuchskaninchen.

Davey ist ein Veränderter, den Finn abrichtet und trainiert.

Mellie ist eine ältere Dame, die eine Kinderarmee gegen Rule aufstellt.

Luke und Cindi gehören zu Mellies Gruppe. Mit seinen vierzehn Jahren ist Luke der Älteste und baut eine enge Bindung zu Tom auf, als der sich während seiner Suche nach Alex Mellies Gruppe anschließt. Cindi hat ebenfalls ein Auge auf Tom geworfen – sie ist ganz hin und weg von ihm.

Das waren die wohl wichtigsten Personen. Und erinnerst du dich schon wieder an alles? Wenn nicht, hier noch ein bisschen was zur Handlung:

Nachdem Tom angeschossen wurde, schleppt er sich mit Alex zu einer verlassenen Tankstelle. Währenddessen kämpft Alex gegen drei durchgeknallte Jugendliche und endet fast als Appetithappen. Tom ist schon sehr geschwächt durch seine entzündete Wunde und wird noch stärker verletzt, als ihm einer der Jugendlichen in den Hals beißt. Obwohl Alex ihn so gut wie möglich versorgt, wissen beide, dass er sterben wird, wenn sie nicht allein nach Rule weiterzieht und Hilfe holt. Bevor sie geht, kommen sie sich noch näher und Tom ist bereit preiszugeben, warum er in den Norden kam. Er verspricht, Alex sein Geheimnis zu erzählen, sobald sie wieder vereint sind.

Alex schlägt sich durch bis nach Rule, liest auf dem Weg noch einen verwaisten Welpen auf, hat eine gefährliche Begegnung mit einem Wolfsrudel und wird von einer Horde alter Leute, die Panik vor Jugendlichen haben, fast gelyncht. Schließlich wird sie von Chris und seinem Hund Jet gerettet. Alex überzeugt Chris und Peter, das relativ sichere Rule zu verlassen, um Tom zu retten. Doch als sie zurückkommen, ist Tom verschwunden.

Es ist jetzt Anfang November. Auf dem Weg zum Treffen mit dem Rat der Fünf stößt Alex auf einen bekannten Geruch: Es ist Harlan, einer der Männer, der Ellie geraubt hat (und dazu noch die Bauchtasche mit der Asche von Alex’ Eltern, einen Brief von ihrer Mutter und eine Bibel). Er gesteht und sagt, er habe Ellie und Mina vor Wochen südlich von Rule gesehen. Harlan ist ein Verbannter. Alex erhält die Asche ihrer Eltern zurück, doch die Bibel und der Brief ihrer Mutter bleiben verschwunden. Chris und Peter weigern sich, weiter nach Ellie zu suchen und weisen zu Recht darauf hin, dass sie nicht die notwendige Ausrüstung haben und Ellie zu diesem Zeitpunkt überall – oder auch schon tot – sein könnte.

Alex weiß nicht, wohin sie gehen soll – der Winter naht, Ellie bleibt verschwunden und es ist nicht klar, ob Tom noch am Leben ist. Sie hat keine andere Wahl, als in Rule zu bleiben. Ihre Entscheidung soll sich als irrelevant erweisen, da Rule sowieso nicht vorhat, die Verschonten gehen zu lassen. Die extrem fundamentalistischen Dorfbewohner – möglicherweise ein Ableger der Amish-People aus der Nähe von Oren – werden sogar dazu ermutigt, die Rettung der Verschonten als ihre persönliche Mission zu betrachten. Außerdem werden die Aufgaben in der sehr traditionellen Gemeinschaft streng nach Geschlechtern getrennt.

Aber es gibt auch Hoffnung. Alex hat bei Kincaid als Helferin und Assistenzärztin gearbeitet. Sie hofft, irgendwann fliehen zu können und sammelt deshalb jede Kleinigkeit, die sie findet. Aber die Monate vergehen und Alex fängt an, den zermürbenden Alltag zu akzeptieren. Dabei rechnet sie nicht mit ihrer wachsenden Zuneigung zu Chris. Er bemüht sich immer wieder um sie, auch wenn sie ihm jedes Mal einen Korb gibt. Und schließlich wächst er ihr doch noch ans Herz …

Die Feiertage gehen vorüber, und der Januar steht vor der Tür. Trotz erfolgreicher Expeditionen werden die Vorräte in Rule langsam knapp. Chris und Peter sind gezwungen, sich wieder auf die Suche nach Nahrung zu machen und brechen nach Wisconsin auf. Am Morgen ihrer Abreise gerät Alex in eine heftige Auseinandersetzung zwischen Chris und Lena. Sie reagiert unerwartet aufgewühlt (ihre Laune wird auch nicht besser, als Lena Chris umarmt), ist verletzt und eifersüchtig und auf ihre heftigen Gefühle nicht vorbereitet. Chris ist frustriert, weil er Lena Hilfe versprochen hat, und kann Alex den Streit nicht erklären. Aber er küsst sie, und das ist ein einfach unglaubliches Gefühl … Alex gesteht Chris, dass sie Angst hatte, ihre Gefühle zu zeigen, weil sie sich damit langfristig an Rule gebunden und somit Tom und Ellie aufgegeben hätte. Chris zieht los, und Alex scheint bereit, auf ihn zu warten.

ABER:

Nach einigen Wochen kehrt eine Splittergruppe von Chris’ Truppe – unter anderem auch Greg, der Toris Gefühle mittlerweile erwidert – mit einem schwerkranken Jungen zurück, den Chris angeblich in der Nähe von Oren gefunden hat. Das ist eigenartig, denn es würde bedeuten, dass sich Chris von der Hauptgruppe getrennt hat und nach Norden gegangen ist, anstatt mit Peters Gruppe nach Westen zu gehen. Alex kümmert sich um den Jungen und findet dabei etwas, das ihr gehört: Eine Trillerpfeife, die sie vor langer Zeit von ihrem Vater bekommen und an Ellie weitergegeben hat. Unglücklicherweise stirbt der Junge, bevor er das Bewusstsein wiedererlangt.

Doch Alex fügt all das, was sie über die Monate mitbekommen hat, zu einem Puzzle zusammen. Sie findet heraus, dass Chris und die anderen tatsächlich auf der Suche nach Nahrung sind, gleichzeitig aber auch alle Verschonten gefangen nehmen, die sie finden können, und das wahrscheinlich – höchstwahrscheinlich – mit Gewalt. Mit anderen Worten: Sie rauben Kinder.

Entsetzt über ihre Erkenntnis, aber auch ermutigt durch den Fund der Trillerpfeife trifft Alex die impulsive Entscheidung, Kincaid’s Pferd zu nehmen und Rule über die Zone zu verlassen, die sich der Nähe von Jess’ Haus befindet. Dort

wird sie von keiner Geringeren als Jess aufgehalten. Jetzt erkennt Alex, dass Jess auch erweckt ist und einen Supersinn hat, nämlich einen Super-Hörsinn.

Es stellt sich heraus, dass Jess auf Alex gewartet hat, um ihr bei der Entscheidung zur Flucht zu helfen. Aber Jess spielt ein doppeltes Spiel: Alex ist ihr gar nicht so wichtig; sie will, dass Chris endlich begreift, was in Rule vor sich geht und sich gegen seinen Großvater stellt. Davon muss sie Chris aber erst überzeugen und benutzt deshalb Alex als Druckmittel, um ihn zu erpressen.

Als Alex von Jess und ihren Verbündeten zur Zone begleitet wird, kommt Chris in wildem Galopp aus dem Wald geschossen. Gerade rechtzeitig: Verzweifelt versucht er Alex davon abzuhalten, die Zone zu betreten und schreit sie an, sie wisse nicht, was sie tue – bis er von Jess’ Männern mit Gewalt zurückgehalten und von Jess bewusstlos geprügelt wird. Alex versucht Chris zu helfen, aber Jess hält sie mit vorgehaltener Pistole zurück.

Weit entfernt von Rule, inmitten der Zone, bietet sich Alex ein entsetzliches Bild: Eine Art Prozessionsstraße, gesäumt von Bäumen, an denen gehäutete Wolfskadaver baumeln, Kleider- und Schmuckhaufen, Knochen und einer Pyramide aus Menschenschädeln. Alex erkennt Harlan, den Entführer von Ellie, der vor Monaten verbannt wurde.

Und dann wird Alex selbst von fünf Veränderten entdeckt: Alle tragen Winterkleidung (zwei von ihnen Wolfsfelle und Kapuzen), alle sind bewaffnet und alle sehen wohlgenährt aus.

Und plötzlich begreift sie.

Rule kämpft nicht gegen Veränderte.

Rule ernährt sie.

Puh, da bekommt man wirklich Gänsehaut …

Doch Gott sei Dank: Wie durch ein Wunder überlebt Alex den Angriff der Veränderten, letztendlich weil Wolf – einer der fünf Angreifer – sie vor den anderen beschützt. Sie zieht nun als Gefangene der Veränderten mit ihnen weiter, bis sie schließlich eine still gelegte Mine vor Rule erreichen, die als eine Art Stützpunkt der Veränderten dient. Ironie des Schicksals: Ausgerechnet diese Mine plant Mellie mit ihrer Gruppe in die Luft zu sprengen und somit viele der Veränderten zu töten. Und ihr wichtigster Helfer bei diesem Plan ist der Sprengstoff erfahrene Tom. Dieser ahnt natürlich nicht, dass Alex in der Mine ist. Wie auch? Kurz bevor alles in die Luft fliegt, vernimmt Tom den schrillen Ton einer Trillerpfeife. Alex! Er eilt zur Mine, um sie zu retten. Doch es ist zu spät …

So, bevor du nun loslegst und in Band 3 eintauchst, hier noch kurz ein kleines Update, wer sich gerade wo befindet und was er tut, als Band 2 endet:

Alex ist in der Mine gefangen, die kurz davor steht, in die Luft zu fliegen. Am Ende von Band 2 fällt sie bei ihrem Fluchtversuch aus der Mine einen tiefen Schacht hinunter, der gerade geflutet wird …

Tom ist am Boden zerstört und fühlt sich für Alex’ Tod verantwortlich. Als Luke und Cindi ihm mitteilen, dass Weller und Mellie nun bald Rule angreifen wollen, flammt sein Hass für Chris auf. Weller hat ihm nämlich eingeredet, dass Chris Schuld an Alex’ Verbannung aus Rule ist, und schwört, ihn zur Strecke zu bringen.

Chris wurde in Band 2 zusammen mit Lena aus Rule verjagt. Man wirft ihm vor, mit den Verrätern, die Peter in den Hinterhalt gelockt haben, unter einer Decke zu stecken. Lena und Chris versuchen, sich Richtung Norden in die Stadt Oren durchzuschlagen. Auf dem Weg dahin, geraten sie in eine Falle, und Chris wird schwer verwundet. Er ist bewusstlos und ringt mit dem Tod.

Lena spürt, dass etwas Seltsames in ihr vorgeht. Als Chris bewusstlos vor ihr liegt, muss sie das Verlangen, ihn zu essen, unterdrücken. Geschockt flieht sie in den Wald und findet sich einigen Veränderten gegenüber, die anscheinend schon auf sie gewartet haben.

Peter ist nach wie vor Finns Gefangener. Nachdem er für Wasser und Nahrung einige Veränderte im Kampf umgebracht hat, wird er nun von Finn vor die Wahl gestellt: Menschenfleisch essen oder verhungern.

Wolf ist verschwunden – wahrscheinlich tot. Zumindest vermutet Alex das, als er nach einem Kampf gegen eine andere Gruppe von Veränderten nicht zurückkehrt. Doch kurz bevor sie in die Mine abgeführt wird, glaubt sie, ihn mit ihrem Supersinn zu wittern …

Wir hoffen, du bist nun bereit für Band 3, und wünschen dir ganz viel Spaß dabei!

Einen solchen Sturz in die Tiefe hatte Alex nur ein einziges Mal erlebt. Damals, im Alter von neun Jahren, hatte sie im Presque Isle Park einen wilden Sprung von den Blackrocks-Klippen ins saphirblaue Wasser des Lake Superior gewagt. Sie erinnerte sich, dass der Geruch von wildem Flieder und erstem Geißblatt in der Luft lag. Obwohl die Sonne heiß auf ihre Schultern herabbrannte, überzog eine Gänsehaut ihre nackten Arme und Beine, denn der über den Lake Superior hinwegfegende Wind war sogar im Juni noch ziemlich kalt – und, offen gestanden, hatte sie eine Heidenangst. Wie sie da am Klippenrand stand, sich mit den dürren Zehen in den rauen Basalt krallte und an ihrem neuen, smaragdgrünen Badeanzug hinab in die Tiefe schaute, da sank ihr Mut, und sie dachte: Soll ich wirklich? Diese Bucht sah von hier oben aus wie eine Pfütze. Und ihr Dad, der schon mit einem wilden Jubeln vorausgesprungen war, erschien ihr dort unten winzig klein.

»Komm schon, Schatz, du schaffst das!« Sie sah das weiße Aufblitzen in seinem lächelnden Gesicht – ein sonnengebräunter, muskulöser, selbstsicherer Mann, der sie oft auf den Schultern trug und gern lauthals vor sich hinsang. »Spring zu mir runter, Schatz! Einfach mit den Füßen voraus, dann kann nichts schiefgehen!«

»O-o-o…« Eigentlich wollte sie okay sagen, aber ihre Zähne klapperten. Sie hatte nun mal Höhenangst. Wie war das noch bei Stephanies Geburtstagsparty letzten Monat gewesen? An der Indoor-Kletterwand? Gaaanz schlecht. Nicht nur war sie die Einzige gewesen, die nicht mehr weiterklettern konnte und dann abrutschte – sie hatte sich dabei auch fast noch in die Hose gemacht. Und jetzt wollte ihr Dad, dass sie von so weit oben runtersprang? Und das nur zum Spaß?

Ich kann nicht, ich kann nicht … Jeder einzelne Muskel ihres Körpers verkrampfte sich, während ihr Kopf anschwoll und rot wurde. Ich werde gleich ohnmächtig. Und dabei dachte sie ganz sachlich und nüchtern: Aha, so fühlt sich das also an …

Ein Schwindel erfasste sie, als würde der Luftschwall eines Düsentriebwerks durch ihren Schädel blasen und sie in den Himmel katapultieren. Plötzlich war sie nicht mehr in ihrem Körper, sondern schwebte ganz hoch oben und schaute auf ein winzig kleines Mädchen in einem grünen Badeanzug hinab, ein smaragdgrüner Klecks mit einem Schopf so rot wie Blut. Und noch weiter unten, im tiefblauen Fleck des Gewässers fast nicht mehr wahrnehmbar, war ihr Dad.

»Alex?« Die Stimme ihres Vaters war fern und leise wie ein Mückensummen. »Los, Schatz, komm, spring zu mir runter.«

»Na, wenn sie nicht will …« Ihre Mutter, besorgt wie immer, saß weit weg auf einem gekiesten Halbmond und schirmte die Augen mit der Hand ab, während der Wind ihr Haar zauste. »Sie muss niemandem was beweisen …«

O doch, das muss ich. Die Worte ihrer Mutter – der Zweifel, dass Alex den Mut aufbringen würde – durchtrennten die Leine des seltsamen Drachens, von dem aus Alex sich selbst beobachtete. Die Distanz schrumpfte schlagartig zusammen, Alex tauchte schnell wie ein Komet in ihren Körper zurück und sah die Welt wieder durch ihre eigenen Augen.

Als Nächstes schwebte sie über der Wasserfläche, ohne sich an ihren Absprung von der Klippe zu erinnern – was wahrscheinlich gut so war, sonst hätte sie sich mit so idiotischen Gedanken wie: Ich rutsche, ich falle, ich brech mir ein Bein, zerschlag mir das Gesicht!, nur noch mehr in Panik versetzt. Ihr langes rotes Haar flatterte wie ein sich nicht öffnender Fallschirm im Wind, während sie mit einem gellenden Pfeifen in den Ohren durch die Luft sauste.

Der Aufprall aufs eiskalte Wasser war ein Schock. Als sie eintauchte, entrang sich ein kleiner Schrei ihren Lippen, die sie eigentlich fest verschlossen halten wollte. Silbrig schimmernde Bläschen quollen aus ihrem Mund und perlten um ihren Körper. Wasser schoss ihr in die Nase, und der plötzliche Kältekopfschmerz machte ihr mehr Angst als der eher geringe Verlust an Atemluft. Und sie konnte sich hören: ein leiser, unterdrückter Unterwasserlaut, ein Bwwwuuh, eher ein Krächzen als ein Schrei. Jetzt war das Wasser nicht mehr von klarem Blau, sondern hatte ein trübes, eigenartiges Grün, wie Messingpatina. Alex konnte kaum weiter als ein, zwei Meter sehen – und sank sie etwa immer noch? Ich werde ertrinken! Wie eine Ratte huschte die Panik durch ihr Hirn, nagte an den Augäpfeln, während Alex herumwirbelte. Ihr Haar fächerte sich wie Seetang um sie auf. Ich werde ertrinken! Voller Angst suchte sie nach ihrem Dad, sah ihn jedoch nicht. Keine Beine, Füße, Hände, gar nichts. Sie wusste nicht mehr, wo oben war. Da reckte sie den Kopf und sah, wie sich das Wasser durch das diffuse Sonnenlicht gelblich färbte. Da ist oben, los, nichts wie hin! Mit hektischen Schwimmbewegungen schoss sie empor, durchbrach endlich die Oberfläche und stieß mit einem gekeuchten »Aah!« die restliche Atemluft aus.

»Bravo, mein Mädchen!« Augenblicklich war ihr Vater bei ihr und lachte. Sein nasses Haar wirkte dunkel und glatt wie Seehundfell. »Das ist meine Alex! Hat doch Spaß gemacht, nicht wahr?«

»Ah«, grunzte sie. Mit einem begeisterten schallenden Lachen schlang er die Arme um sie und wirbelte sie hoch, sodass sie vor Entzücken kreischte. Dann brachte er sie zurück auf den Boden der Realität und zurück zu ihm, denn er war ja so stark.

Gemeinsam schwammen sie zum Kiesstrand zurück, ihr Vater mit einem gemächlichen Seitenschlag, und die ganze Strecke über blieb er neben ihr, während sie mit zappeligen Zügen durchs Wasser pflügte, dem Land und ihrem Zuhause entgegen.

Hier endeten Alex’ Erinnerungen. Sie wusste nicht mehr, ob sie und ihr Dad noch einmal die Klippen hinaufgeklettert waren. Wahrscheinlich schon, denn sie hatte ihn angehimmelt und wünschte sich seine Anerkennung und Bestätigung, dafür hätte sie alles getan. Bestimmt hatte ihr Dad ihr danach eine Eiswaffel mit Schoko und Vanille und Mandel-Kokos-Splittern obendrauf spendiert, weil man sich manchmal eben auch etwas gönnen musste. Wahrscheinlich stibitzte er sich dann ein bisschen was von ihrem Eis, sodass sie sich dafür – das hast du davon! – an seinem gütlich tun konnte. Und er hatte zu ihrer Mom sicherlich so etwas gesagt wie: Nur die Ruhe, Liebes, unsere Tochter ist ganz pflegeleicht, während Alex an Mandelstückchen und leckerem saftigen Kokosmark knabberte und sich die süßen, in der Nachmittagshitze geschmolzenen Schokoladenrinnsale von Hand, Unterarm und Ellbogen leckte. Ja, so war ihr Vater.

Höchstwahrscheinlich war sie nicht einmal zehn Sekunden unter Wasser gewesen und ganz allein wieder hochgekommen – und auch nur, weil ihr Dad ihr Mut gemacht hatte. Nach diesem Sprung glaubte sie wirklich, sie könne alles schaffen, egal was. Wenn sie sprang, würde ihr Vater stets auf sie warten und Seite an Seite, Zug für Zug, bis in alle Ewigkeit neben ihr schwimmen.

Damals war sie neun und glaubte, ihr Dad wäre unsterblich.

Doch nichts ist von Dauer.

Jahre später, nach dem Tod ihrer Eltern, sagten ihr die Ärzte, sie habe eine außerkörperliche Erfahrung gemacht. Das sei etwas ganz Normales, keine Zauberei. Manche Epileptiker hätten ständig ähnliche Erlebnisse. Und Mystiker und Schamanen erhofften sich, mithilfe ihrer Tränke zu den Sternen zu schweben und die Götter zu sehen. Dabei sei das alles nicht mehr als sonderbare Hirnchemie, man müsse nur die Schalter umlegen, die in unserem Hirn schon vorhanden seien, es gewissermaßen an der richtigen Stelle kitzeln und ein klein bisschen anstupsen. Ganz banal. Aber sollte einmal jemand dahinterkommen, wie das genau funktionierte, dann könnten wir uns alle freuen.

Alex’ letzter Arzt meinte sogar, was sie an den Blackrocks-Klippen erlebt hatte, sei vielleicht schon das erste Anzeichen des erwachenden Monsters gewesen. Demnach wären ihre Schlaflosigkeit und der eingebildete Rauchgeruch gar nicht die ersten Symptome gewesen. Das kleine Monsterbaby hatte sich schon damals ein Guckloch freigehackt, Stück für Stück, bis es mit einem gelben Babymonsterauge hindurchspähen konnte: Hallo da draußen!

Und seitdem war Alex immer tiefer und tiefer gestürzt …

Bis ins Hier und Jetzt.

TEIL I

INS DUNKLE

1

Unter einem Hagel aus Holzsplittern und Steinen fiel Alex ins Dunkle. Ringsum brach das Bergwerk in sich zusammen, und aus ihrem Fluchtschacht quoll Wasser empor. Sie konnte riechen, wie das Ende auf sie zuraste, das Wasser eisig und metallisch, ein Geruch von Schnee und Stahl, in den sich der seltsam prickelnde Gestank von faulen Eiern mischte. Hoch oben, in weiter Ferne, verdüsterten sich die Sterne. Wo noch vor wenigen Minuten Tom gestanden hatte, geisterten zähflüssige, ölige Schatten herum, während die Erde sich auftat und in sich zusammenstürzte.

Sie hatte Physikunterricht gehabt. Die Endgeschwindigkeit war … na ja, nicht umsonst steckte das Wort Ende darin. Sogar eine Ameise zerschellt, wenn sie sich lang genug im freien Fall befindet. Wird man nach einer gewissen Fallhöhe abrupt gestoppt – wenn auch nur durch Wasser –, ist das, als würde man mit einem Auto gegen eine Ziegelwand fahren. Klar, das Auto knautscht sich zusammen, aber auf alles andere – die Insassen, die Sitze, alles, was beweglich ist – wirkt ein ebensolcher Kraftimpuls. Die Menschen werden gegeneinander oder gegen die Sitze oder die Windschutzscheibe geschleudert, und Hirn, Herz und Lungen krachen gegen Knochen. Also egal, was dort unten auch war: Wenn Alex lang genug fiel, würde sie beim Aufprall nicht nur verletzt werden, sondern sterben.

Sie hatte das Gefühl, sie würde schreien, konnte sich aber bei diesem Krach aus prasselnden Steinen und brodelndem Wasser selbst nicht hören. Etwas Hartes schlug gegen ihren Hinterkopf – kein Stein, sondern Leopards Uzi, die sie immer noch um die Schulter trug und deren Tragegurt ihr in die rechte Achsel schnitt. Leopards Glock 19 bohrte sich wie eine Faust in ihr Kreuz. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, alle Glocks hätten Abzugssicherungen. Zwar glaubte sie nicht, dass die Pistole losging und ihr ein Loch in die Wirbelsäule oder in den Hintern schoss, aber es gab für alles ein erstes Mal. Zum Beispiel für das Ende der Welt. Oder einen Sturz in den Tod. Andererseits … so eine schöne, schnelle tödliche Kugel …

Und dann war es plötzlich so weit. Im allerletzten Moment schloss sie den Mund, hielt den Atem an und dachte daran, dass sie weiterleben wollte wegen … na ja, wegen irgendwas. Oder irgendwem. Vielleicht wegen Tom. Nein, was Tom anging, gab es kein Vielleicht. Sie hatte Tom nicht verlassen wollen, aber sie hatte auch nicht zulassen können, dass er starb – nicht ihretwegen. Das war der letzte gute Gedanke, den sie fassen konnte. Sie wünschte sich sein Überleben so sehr, dass es schmerzte …

Und dann blieb kein Moment mehr. Schluss mit Gedanken und Erinnerungen. Schluss mit Wünschen, Träumen und Reue. Aus. Ende.

Sie schlug auf.

2

Es war alles andere als eine sanfte Landung.

Alex krachte auf die Oberfläche wie ein Vorschlaghammer. Ihr rechtes Sprunggelenk wurde von einem jähen Blitz durchzuckt, der sich bis in ihre Hüfte fortsetzte. Eine Schmerzgranate schoss ihr Rückgrat hinauf und detonierte in ihrem Kopf. Ihr wurde schwarz vor Augen. Ein, zwei Sekunden lang war sie durch den spinalen Schock komplett weggetreten, hilflos wie eine Marionette mit abgeschnittenen Fäden.

Ausgerechnet das Wasser, das ihr Tod hätte sein können, rüttelte sie nun mit klatschenden Wellen zur zweiten Runde wach. Schlagartig kam sie wieder zu Bewusstsein, als ihr ein eiskalter Schwall in Nase und Mund strömte und ihre Lungen zu füllen drohte. Im Reflex gegen das Ertrinken hatte sich ihre Luftröhre krampfhaft verschlossen. Sie schaffte keinen einzigen Atemzug. Dank schierer Willenskraft gelang es ihr schließlich, noch ein letztes Mal nach Luft zu schnappen, ehe das Wasser mit stählernen Fingern ihre Knöchel und Schenkel umschloss, um sie tiefer und tiefer unter die Oberfläche zu zerren.

Nein! Eine Faust rot glühender Panik hämmerte gegen ihre Brust. Jetzt war sie völlig unter Wasser und in absoluter Dunkelheit, schlug wahllos um sich und wusste nicht, wo die Oberfläche war. Gefangen in einem Strudel, der durch gegensätzliche Strömungen entstand, wurde sie wie ein Spielball herumgewirbelt und -geschleudert. Ihre Schulter knallte gegen einen Fels, worauf ein elektrisierender Schmerz in ihr Handgelenk fuhr. Ihre Finger wurden taub. Sie versuchte zu schwimmen – wo ist oben, wo ist oben? –, brachte jedoch nur krampfhafte, schwache Züge zustande. Ihr ganzer Rücken war ein einziger gellender Schmerz. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ihre Beine noch bewegen konnte.

Fast keine Luft mehr. Muss was tun. In ihrer Kehle zuckten und bebten die Muskeln bei dem Versuch, den Mund aufzubekommen, damit Luft hereinkonnte – die nur leider nicht vorhanden war. Ein massives Stahlband schnürte sich immer fester um ihren Brustkorb, quetschte, drückte. Im verzweifelten Verlangen nach Sauerstoff begann ihr Herz schneller und schneller zu schlagen, eine Faust, die wie verrückt gegen den Käfig ihrer Rippen pochte: Lasst mich raus, lasst mich raus, LASSTMICHRAUS!

Ein plötzlicher Ruck. Alex spürte etwas an ihren Schulterblättern ziehen, dann einen fiesen schneidenden Schmerz, als der Riemen der Uzi an ihrer Kehle entlangscheuerte. Durch den Strömungsauftrieb wurden ihre Beine nach oben gerissen. Zwar war sie immer noch unter Wasser – und kurz vor dem Ertrinken –, aber sie wurde nicht mehr herumgewirbelt, zumindest momentan nicht.

Ich hänge fest. Die Uzi. Anscheinend hatte sie sich mit dem Lauf irgendwie zwischen den Felsen verklemmt. Wenn das stimmte und die Uzi wirklich festsaß und sich nicht bewegte … Wenn ich es schaffe, mich umzudrehen, habe ich etwas, woran ich mich festhalten kann, und bekomme den Kopf aus dem Wasser. Während sie gegen die Strömung ankämpfte, umklammerte sie mit der Linken den Riemen der Uzi, der ihr immer noch in den Hals schnitt, und fasste mit der Rechten nach hinten. Doch ihr Griff ging ins Leere. Mit Beinschlägen versuchte sie, näher heranzukommen. Los, los, los! Ihr Brustkorb war nur noch eine große, berstend volle Blase, ihr Kehlkopf hüpfte ruckartig auf und ab und drängte sie, endlich aufzugeben, nicht mehr zu kämpfen, loszulassen. Bitte, lieber Gott, hilf mir.

Ihre Finger kratzten über Stein, und da war die Uzi, eingekeilt in eine V-förmige Felsspalte über ihrem Kopf – aber einen guten halben Meter entfernt. Keine Chance, den Kopf über Wasser zu bringen, nicht solange sie rücklings in diesen Trageriemen verheddert war. Dazu müsste sie eine komplette Drehung machen. Und das ginge nur, wenn sie ihren krampfhaften Griff um den Tragegurt löste und darauf vertraute, dass sie genug Kraft hatte, um nicht von der Strömung weggerissen zu werden. Dass sie es also einen Moment lang schaffte, sich nur mit der rechten Hand festzuhalten. Sonst würde sie ertrinken.

Sie versuchte, den Riemen loszulassen, versuchte es wirklich mit aller Macht, aber ihre in Panik erstarrte linke Hand wollte ihr nicht gehorchen. Es ging nicht. Das Wasser würde ihr Ende sein. Noch eine letzte Sekunde blinder Angst, dann würde sie atmen müssen. Sie würde den Mund aufreißen, und es wäre aus.

Da hörte sie eine Stimme, eine phantomartige Erinnerung, so leise und fern, dass Alex sie in ihrem Todeskampf kaum wahrnahm: Komm schon, Schatz, lass die Waffe los, sonst stirbst du. Spring, Alex, spring …

Doch dann war es auf einmal zu spät. Es war vorbei, und nicht einmal ihr Vater, so stark und selbstsicher er auch war, konnte sie noch retten.

Die letzten Luftbläschen quollen zwischen ihren Lippen hervor, zusammen mit einem dünnen Schrei. Ihr Verstand setzte aus, sie verließ ihren Körper, ihr Bewusstsein spaltete sich ab, ließ los, schwebte davon, bis sie sich selbst aus großer Höhe und wie durch das falsche Ende eines Piraten-Fernrohrs sah: weit weg, hilflos in einem wirbelnden Chaos, rotes Haar, das wie blutiger Seetang im Wasser trieb. Ohne irgendeinen bewussten Gedanken, ohne irgendein Ziel, löste sich ihre linke Hand von der Uzi. Sofort schnappte der gierige Mahlstrom nach ihren Knöcheln. Wäre ihre Rechte nicht noch um den Tragegurt geschlungen gewesen, hätte der Strudel sie in den Tod gerissen. Doch der Gurt hielt, und irgendwie bewegte und drehte sie sich. Der Griff ihrer Rechten blieb fest, und die Uzi war noch immer verkeilt – selbst dann noch, als sie endlich mit der linken Hand die Waffe zu fassen bekam! Und da stieß sie sich mit einem mächtigen Tritt nach oben ab, der Schmerz in ihrem Knöchel verblasste gegenüber der ungeheuren Pein in ihrer Brust. Sie hatte keine Luft mehr; aber die Waffe gab ihr Halt …

Alex durchbrach die Oberfläche wie ein plumper Wal, schaffte ein einziges pfeifendes, ersticktes Aaahhh, und das war’s. Keine Chance gegen den tosenden Strudel, sie konnte sich nicht oben halten. Schon versank sie wieder komplett unter der Wasseroberfläche.

Komm, komm, komm! Die Angst bohrte sich wie ein Pfeil in ihr Herz. Allem Anschein nach hielt die Uzi stand. Doch bei jedem Beben der Erde wackelte die Maschinenpistole bedenklich, und sie steckte so tief unter der Oberfläche fest, dass sich Alex jeden einzelnen Atemzug erkämpfen musste.

Noch einmal abstoßen, noch ein Mundvoll schneidender Luft, dann ging es erneut runter. Das Brennen in ihrer Brust ließ nach, was wohl bedeutete, dass sich ihre Lunge erholte, und ihr Verstand wurde wieder klarer. Aber das konnte nicht endlos so weitergehen. Auch wenn es Alex wie eine Ewigkeit vorkam, war sie wahrscheinlich gerade mal zwei Minuten im Wasser. Die vollgesogenen Kleider und Stiefel zerrten wie Eisenketten an ihr. Mehr und mehr machte sich Erschöpfung in ihr breit, ihre Knie waren weich wie Pudding. Das eiskalte Wasser brannte ihr auf der Haut, laugte sie aus, raubte ihr die letzte Willenskraft. Noch einmal abstoßen. Ein hechelnder Atemzug. Unterdessen regneten unentwegt Steine herab: kleinere Kiesel, die Alex an den Armen trafen und ihr Platzwunden am Kopf zufügten, deren Blut beim nächsten Untertauchen weggewaschen wurde. Aber auch größere Felsbrocken waren dabei, manche so nah, dass Alex das Zischen in der Luft und das Aufklatschen hörte.

Vielleicht sollte ich irgendwie versuchen, mich auszuruhen und abzuwarten, bis sich die Lage beruhigt hat. Der Gedanke war auf seine schräge Art fast schon komisch. Bis sich die Lage beruhigt hatte? Bis dahin wäre sie längst erfroren. Wenn ihr die Luft nicht zu kostbar gewesen wäre, hätte sie darüber gelacht. Ein weiteres Mal sprang sie zur Oberfläche hinauf, öffnete den Mund, um Atem zu schöpfen …

Doch als ihr nicht Luft, sondern Wasser in den Mund strömte, wurde ihr klar, dass der Schacht weiter volllief. Der Wasserspiegel stieg – und zwar rasant.

3

Nein. Mit rudernden Armen kippte sie platschend nach hinten. Ihre linke Hand rutschte von der Uzi ab, und um ein Haar hätte das Wasser sie fortgerissen. Mit energischen Beinschlägen schwamm sie zurück und schloss die Linke wieder um die Waffe, stieß sich dann erneut zum Luftholen nach oben ab. Sie schaffte es gerade noch. Das Wasser stand jetzt so hoch, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, und trotzdem schwappte ihr dabei schon Wasser übers Kinn bis zur Unterlippe.

Muss hier raus. Aber wie? Wieder tauchte sie unter. Aus der Tiefe der Erde schien sich etwas nach oben zu schieben, als wäre die Erde eine Muschel, die ein Riese zu knacken versuchte. Einen Augenblick später krachte mit dumpfem Aufprall ein Felsblock direkt neben ihrer rechten Schulter ins Wasser. O Gott, was, wenn dieser Schacht einstürzte oder eine Wand zusammenbrach? Das könnte durchaus passieren, und dann wäre es hier wie auf der Titanic. Wieder mal die verdammte Physik: Wasser verdrängt Luft. Würde plötzlich das Wasser aus diesem Schacht in einen angrenzenden Hohlraum hinausschießen, wäre das fatal. Dann würde sich Alex nicht mehr festhalten können, sondern mitgerissen werden und ertrinken.

Sie hielt die Luft an, so lange sie konnte, ehe sie sich zu einem weiteren kostbaren Atemzug nach oben kämpfte. Sie zermarterte sich das Hirn, wie sie sich retten konnte, doch es fiel ihr nichts ein. Ihre einzigen Hilfsmittel waren die Uzi, die sie fest umklammert hielt, die Glock 19 in ihrem Kreuz und Leopards Tanto, das um ihr Bein gebunden war. Dieses japanische Kampfmesser eignete sich hervorragend für weichere Materialien oder auch, um Haltegriffe ins Eis zu hauen, aber hier war es nutzlos. Die Glock war eine Alternative, aber nur, wenn Alex durch eine Kugel sterben wollte. Konnte sie riskieren, die Uzi herauszuziehen, um sie in irgendeinen Spalt weiter oben zu klemmen? Bei ihrem nächsten Tauchgang zwang sie sich, die Augen offen zu halten. Die Kälte fühlte sich auf ihrer Hornhaut wie ein Schneidbrenner an, doch sie konnte überhaupt nichts sehen, nicht einmal ihre eigene Hand, die auf der Waffe lag. Ohne Sicht, allein auf das Tastgefühl ihrer tauben, eiskalten Finger angewiesen – nein, so klappte es nicht.

Also keine Hilfsmittel. An der Oberfläche ergatterte Alex noch eine kleine Nase voll Luft. Oben am Ende des Schachts war alles schwarz, als hätte man den Zugang verschlossen. Anscheinend ist der Mond untergegangen. Aber der Raum wirkte zudem eng und … voll. Etwas hatte ihn dort oben verstopft, wahrscheinlich Felsen, die den Ausgang blockierten, sodass sie wie der Geist in der Flasche festsaß. Das war’s dann wohl, oder? Der Weg nach oben endete in einer Sackgasse. Na ja, sollte ihr auch recht sein. Sie konnte Klettern auf den Tod nicht ausstehen.

Aber das Leben ist ein kostbares Gut, und der Körper wehrt sich bis zuletzt, also tat sie es auch.

Dad hat recht. Ich muss es versuchen. An der Oberfläche konnte sie diesmal gerade noch die Nase aus dem Wasser recken und hastig Luft einsaugen. Vielleicht noch zweimal, dann war es vorbei. Ihr Bewusstsein hatte wieder einen dieser merkwürdigen Aussetzer, eine Art mentaler Taschenspielertrick, bei dem sie sich kurzzeitig aus der Vogelperspektive von gaaanz weit oben betrachtete. Spring, Alex, spring. Du musst klettern, und zwar jetzt, bevor du die Nerven verlierst.

Mit zusammengekniffenen Augen ließ sie sich nach unten fallen. Über ihrem Kopf schloss sich die Wasseroberfläche. Dann biss sie die Zähne zusammen, schlug mit aller Kraft die Beine gegeneinander und ruderte mit den Armen. Blitzschnell wechselten ihre Hände vom Unterhandgriff zum Oberhandgriff. Die Ellbogen angewinkelt, schwang sie den linken Fuß so schnell und energisch in die Höhe, dass es ihr einen Stich ins Hüftgelenk versetzte. Ihr Stiefel schlug gegen Fels, sie spürte den Aufprall im Knie und schließlich das Metall der Waffe unter ihrem Fuß und dachte: Schieb! Sie klammerte sich fest, schwang sich dabei zappelnd hoch und streckte das linke Bein langsam, um sich in eine aufrechtere Position zu bringen. Endlich durchbrach sie mit dem Kopf die Oberfläche, dann mit den Schultern und dem ganzen Körper. Keuchend hielt sie sich an der Felswand fest und kämpfte einen Moment lang um ihr Gleichgewicht, dann zog sie auch das rechte Bein nach. Ein heißer Schmerz fuhr ihr ins Sprunggelenk, als sie mit der festen Stiefelspitze auf den Fels stieß. Behutsam testete sie, wie belastbar ihr rechter Fuß, das Sprunggelenk und das Knie waren. Vorsicht, lass dir Zeit, nicht überlasten! Allmählich entspannte sie sich, als sie das Körpergewicht von den zitternden Händen auf die Beine verlagern konnte. Das Sprunggelenk war in Ordnung, das Knie auch. Und die Uzi saß immer noch bombenfest.

»O Gott.« Zum ersten Mal, seit die Leiter zerbrochen war, ließ sich Alex zu einem kleinen Triumphgefühl hinreißen. Allerdings gab es noch keine Entwarnung; wenn sie sich nicht irrte, lag noch eine lange Strecke vor ihr. Ach ja, und da waren auch noch all die Felsbrocken, die den Ausgang versperrten. Der Schmerz in ihrem Sprunggelenk flammte wieder auf, und ihre Schläfen pochten im schnellen Rhythmus synchron zu ihrem Puls, bu-bumm, bu-bumm, bu-bumm. Aus ihren Haaren und ihren Kleidern triefte Wasser. Ein Luftzug strich über ihre Wangen und ihren Nacken, jetzt begann sie richtig zu frösteln. Immerhin stand sie aufrecht, an rasiermesserscharfen Fels gekrallt und auf einer schmalen Metallschiene balancierend, während die Wände des Gangs erzitterten und Wasser um ihre Knie wirbelte und toste. Die Erschütterungen waren nun viel stärker als vorhin, die Felsgrate schnitten ihr in die Finger. Wenn das Wasser bis in die kleinsten Ritzen und Spalten vordrang und sich die Erde ständig hob und senkte, musste das Gestein früher oder später mürbe werden. Vermutlich blieb ihr nicht mehr viel Zeit.

»Okay, dann mal los, Alex«, flüsterte sie sich zu. »Mach voran, Schätzchen. Hier kannst du nicht bleiben.« Aber, mein Gott, sie hatte solche Angst! Sie begann zu schlottern, ihre Augen wurden feucht, dann kullerte die erste Träne über ihre rechte Wange. Nicht heulen, komm, hör auf …

Plötzlich schwanden ihr die Sinne. In ihrem Kopf regte sich das Monster, es reckte und streckte sich. Unter ihren Händen schien sich der Stein aufzulösen, während sich vor ihrem inneren Auge ein schwarzes Nichts auftat.

Nein, nicht jetzt. Der Schwächeanfall ließ ihre Knie weich werden. Wo ich es doch schon so weit geschafft habe …

Da kroch eine Hand auf ihre Schulter.

4

Die Berührung riss Alex schlagartig ins Hier und Jetzt zurück. Kreischend zuckte sie zusammen. Ihr linker Fuß glitt vom glitschigen Metall wie bei einer Comicfigur, die auf einer Banane ausrutscht. Nun ruhte ihr ganzes Gewicht auf dem angeknacksten rechten Sprunggelenk. Wieder schrie sie auf, diesmal vor Schmerz. Rote Punkte tanzten vor ihren Augen. Aus dem Gleichgewicht geraten, suchte sie Halt, ihre Fingernägel kratzten panisch über das Gestein. Gerade als sie herunterzufallen drohte, packte die Hand auf ihrer Schulter ihren Parka und zog sie zurück. Zittrig richtete sie sich auf dem wackeligen Uzi-Metallvorsprung wieder auf.

»Nein«, keuchte sie erschrocken, während sich ihr Herz verkrampfte. Denn jetzt fügten sich die Teile zusammen. Alles passte: ihre Bewusstseinsentgleisungen, das plötzlich erwachte Monster, dieses Gefühl von Enge und die geisterhaften Schatten über ihrem Kopf.

Und dieser Geruch. Vorhin hatte sie ihn nicht bemerkt, denn sie war ja vollauf damit beschäftigt gewesen, ums Überleben zu kämpfen. Aber jetzt war er unverkennbar: Kadaver- und Verwesungsgestank.

Und Schatten. Kühler Dunst. Eine Dunkelheit, schwärzer als sternlose Nacht.

»O mein Gott«, wisperte sie. »Wolf.«

5

Aus dem Dunkel tauchte ein grellgelber Lichtkegel auf. Alex blinzelte und hätte die Augen mit der Hand abgeschirmt, wenn sie nicht beide Hände zum Festhalten gebraucht hätte. Erst im Nachhinein wurde ihr klar, dass das Licht wohl für sie gedacht war, denn die Veränderten sahen sehr gut im Dunkeln. Sie erblickte Wolf, der sich mit gespreizten Beinen an einem Felsen abstützte und in einem aus grobem Seil gefertigten Klettergurt hing, mit Halteschlaufen für die Oberschenkel.

Er hat mich gewittert, so wie ich vorhin ihn gerochen habe. Und jetzt kommt er mich holen. War er ihr und den anderen schon die ganze Zeit gefolgt? Gut möglich. Die Veränderten bewegten sich immer auf einer bestimmten Route, gehorchten einem gleichbleibenden Muster. Vielleicht wollte Wolf einen günstigen Zeitpunkt abwarten, und als er sah, dass sie noch lebte, überlegte er, wie er sie rausholen konnte. Vor dem EMP, als Wolf noch Simon Yeager hieß, waren er und seine Freunde wohl oft beim Felsenklettern im Bergwerk von Rule gewesen und kannten es deshalb in- und auswendig …

Tom. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Dort oben war Tom gewesen. Er hatte zu ihr hinuntergerufen, und dann hatte sie Schüsse gehört. »Hast du ihn umgebracht?« Ihre Sorge um Tom wurde so mächtig, dass es ihr schier das Herz zerriss. Lag Tom jetzt ihretwegen dort oben tot im Schnee? »Wenn du ihn umgebracht hast, wenn du ihm irgendwas angetan hast …«

Wolf sagte nichts. Er konnte ja nicht. Aber jetzt, so nah, roch sie neben all diesem nebelhaften Dunkel und den Schatten noch etwas anderes: etwas Süßes und … Liebliches, ein Hauch von Flieder und Geißblatt. Und für einen Sekundenbruchteil blitzte in ihrer Erinnerung das Gesicht ihres Vaters auf: Spring zu mir runter, Schatz.

»Geborgen.« Das Wort rutschte ihr einfach heraus. Einen Moment lang hatte es keine Bedeutung mehr, wo sie war und was mit ihr geschah. Als hätten sie und Wolf sich in einen stillen, sanft beleuchteten Raum zurückgezogen, der ganz allein ihnen gehörte. Mehr als geborgen … »Zuhause«, hauchte sie. »Familie?«

Der Geruch verstärkte sich. Sein Gesicht nahm etwas Weiches an, und für einen kurzen Moment erstand der Geist von Chris wieder auf – die Lippen, die sie geküsst hatte, die Züge seines Gesichts, die ihren Fingern so vertraut waren –, und sie spürte, wie plötzlich ihr Monster erwachte, fühlte ein Drängen und ein feuriges Brennen – Begierde und Verlangen, die wie Lava durch ihre Adern strömten.

Das Monster kennt Wolf! Das war ihr neu, ebenso wie das Pochen in ihrem Hals und dieses schmachtende Sehnen, das wie mit Klauen über ihre Brust strich. Was zum Teufel geschah hier? Dass ihr Bewusstsein in das der Veränderten gekrochen war – Spinne, Leopard, Wolf –, gab es nur in seltenen Ausnahmefällen, und meistens als eine Reaktion auf deren starke Gefühle, nicht auf ihre eigenen. Vor langer Zeit hatte Kincaid die Vermutung geäußert, ihr Monster könnte sich neu organisieren und sich verselbstständigen. Mein Gott, und das ist jetzt passiert. Das Monster will Wolf.

»Nein, ich habe alles im Griff«, stieß sie hervor und wusste nicht, ob sie dabei zu ihrem Monster oder zu Wolf sprach. Sie klammerte sich an den Felsen. »Ich bin Alex. Ich bin kein Mon…«

KRRAACH!

Erschrocken schrie sie auf. Das Geräusch, irgendwo links von ihr, war ohrenbetäubend. Erst dachte Alex, es würde noch mehr Wasser kommen, ein unbändiger schwarzer Strom, der im Zickzackkurs übers Gestein jagte. Doch es folgte nur weiteres Krachen und Knacken, wie von dickem Eis auf einem tiefen See mitten im Winter. Denn Eis ist rastlos, niemals still, sondern ständig in Bewegung, baut immer mehr Druck auf, bis zum Bruchpunkt. Vor ihren Augen wurde aus dem gezackten Strom ein dunkler Blitz von wachsender Breite, Schwärze und Länge … Um ihre Hüften wirbelte noch immer Wasser, aber jetzt nahm sie auch eine tückische Strömung wahr, die viel stärker war als zuvor.

Von oben kam ein durchdringender Knall, zusammen mit einem dumpfen Geräusch, als sich Felsbrocken lösten, die gegen die Wände prallten und gegeneinanderstießen und dann in einer Steinsalve niedergingen. Krrrach! Die Felswand kreischte schier unter dem Druck. Krrach-KRAAACH!

Und in diesem Moment bewegte sich die Uzi wirklich.

Blankes Entsetzen packte Alex. Beinahe blindlings sprang sie, die gespreizte rechte Hand ausgestreckt. Falls ihr Sprunggelenk schmerzte, nahm sie es nicht wahr. Alles, was sie sah, waren Wolfs Hände – die eine in ihren Parka gekrallt, die andere, die in einem Handschuh steckte und das straff gespannte Seil umklammerte, das hoffentlich ihrer beider Gewicht tragen konnte. Ihre Hand umfasste sein Handgelenk, und dann schwang sie sich in einer unbeholfenen Trapeznummer hoch, während Wolf sie schnell und heftig herumschleuderte wie eine Bola-Kugel, um sie an sich zu ziehen. Das hätte er vielleicht auch geschafft, denn er hatte die Kraft, die Alex fehlte, und zudem einen sicheren Stand. Doch da bewegte sich die Uzi wieder, sie kippte so abrupt nach unten, dass es Alex den Atem verschlug.

Sie rutschte ab, als das Gestein unter ihren Füßen wegbrach. Die Uzi wurde von einer emporschießenden Flutwelle fortgespült in eine neue, sich ständig vergrößernde Spalte, die wie ein schiefes Grinsen, dann wie eine zahnlose Fratze und schließlich wie ein schwarzer Schrei aussah, ein Schrei, wie Alex ihn in diesem Moment selbst ausstieß.

Dann stürzte mit einem Dröhnen die Wand ein.

6

»Quiek-quiek-quiek!« Aidans rechter Arm sauste durch die Luft. Es gab ein zischendes Geräusch und dann ein feuchtes Klatschen, als die elastische Autoantenne auf die blutige Masse auftraf, die einst eine Fußsohle gewesen war. »Quiek mal schön, mein kleines Schweinchen!«

»Nicht mehr schlagen, bitte nicht … AAAHHH!« Der Typ namens Dale Privet schrie abermals auf, als Aidan nun auf seinen anderen Fuß eindrosch und Mick Jagger dazu »Pleased to meet you …« röhrte.

Herrgott. Greg wünschte sich sehnlichst, dieser scheppernde alte Kassettenrekorder würde endlich den Geist aufgeben. Er hatte eine tierische Migräne, die mit Charlie Watts um die Wette hämmerte. Doch Aidan stand nun mal auf die Stones. Die Profis hören das rund um die Uhr. Dass dieser kleine Scheißer überhaupt irgendwas über das Handwerk von Folterknechten wusste, flößte Greg bereits eine Heidenangst ein. Dieser ganze Albtraum erinnerte ihn daran, wie er sechs gewesen war und sein älterer Bruder – ein echtes Arschloch, von dem Aidan garantiert begeistert gewesen wäre – ihn zu einem alten mexikanischen Haus mitgenommen hatte. Am deutlichsten war Greg in Erinnerung geblieben, wie ein paar kichernde Burschen mit Scream-Masken, die im Dunkeln leuchteten, ihm die Hand in ein schleimiges kaltes Zeug getunkt hatten, das sie Monster-Gedärme nannten. Es waren zwar nur Spaghetti, aber Greg bekam solche Angst, dass er sich in die Hose pinkelte.

Wieder ein silbriges Aufblitzen, wieder ein Zischen – und patsch! Dale zuckte heftig. Währenddessen hielten Aidans Seelenverwandte Lucian und Sam das ganze Konstrukt fest – eine Stalltür, an der Sicherheitsgurte und Seile befestigt waren –, damit es nicht von den Sägeböcken runterrutschte. Von diesen Sägeböcken war Aidan sehr angetan. Wenn er zum Waterboarding, einer Form der Wasserfolter, übergehen wollte, brauchte er bei dem Sägebock an Dales Füßen nur ein paar Kanthölzer unterzulegen. (Laut Aidan kam es auf den richtigen Winkel an; der musste stimmen, sonst lief das Wasser nicht in Mund und Nase.) Jedes Mal, wenn Dale zusammenzuckte, machte auch die Stalltür einen Satz.

»AAAHHH, aufhören!«, lallte Dale. »Halt, halt, bitte!«

»Dann mach’s Maul auf, Schweinchen.« Aidan leckte sich über die Unterlippe, wo ein glitzerndes Tröpfchen von Dales Blut gelandet war – die typische Geste für einen angehenden Psychopathen. Aidan war mager und mit einem Gesicht wie eine Ratte, verschlagene graue Augen und verfilztes Haar, so dreckig und schmierig, dass er wahrscheinlich als kleine Zwischenmahlzeit die Läuse heraussaugte. Über seine eingesunkenen Wangen zogen sich zwei Spuren aus tätowierten Tränen. Wenn ein Gefangener gesungen hatte, fügte Lucian – ein Meister mit Nadeln, Nägeln und Hämmern – ihm ein Tattoo hinzu. Noch ein Monat und Aidan würde mehr Tinte als Blut in den Adern haben. »Wie viele sind in eurem Lager?«

»Das hab ich euch doch schon gesagt!«, keuchte Dale. Nach den Hautlappen an seinen Altmännerarmen zu schließen, war Dale früher wohl recht stattlich und kräftig gewesen. Jetzt war er nur noch ein alter Knacker in dreckigen Boxershorts, der nach Urin, öligem Schweiß und frischem Blut roch. Verlegen wandte Greg den Blick von den spärlichen grauen Haaren ab, die sich auf Dales Brust kräuselten. Es kam ihm vor, als würden sie seinen eigenen Opa zusammenschlagen.

All das brachte doch sowieso überhaupt nichts.

Es war die dritte Februarwoche im schlimmsten Winter seines Lebens. Rule hatte sich übernommen, beinahe alle Vorräte an Lebensmitteln, Munition und Medikamenten waren aufgebraucht. Die kleine Stadt brach in sich zusammen, als sei eine fieberhaft wütende Seuche mit solcher Gewalt über ihre Opfer hinweggefegt, dass am Ende nur Leichenberge übrig blieben. Aus Mangel an Männern zu ihrem Schutz waren die Farmen geplündert worden, das verbliebene Vieh hatte man ihnen gestohlen, oder es war verhungert. Da sie die meisten Tiere geschlachtet hatten, waren jetzt nur noch zwanzig Pferde und etwa zwei Dutzend Hunde übrig. Alte wie junge Leute wurden von Krankheiten und vom Hunger dahingerafft. Und auch Kincaid konnte praktisch nichts dagegen tun, trotz seiner Fachkenntnisse und seiner seltsamen Tränke, die er mithilfe obskurer Bücher über Heilkräuter, Pilze und alte Hausmittel zusammenbraute.

Man munkelte, es habe alles mit dem Hinterhalt begonnen, das sei der Anfang vom Ende gewesen: jener Tag vor fast sechs Wochen, als Peter in einem Hinterhalt umgekommen war, den nach Ansicht des Rates Chris gelegt hatte. Gregs erster Gedanke, als er das hörte: Die haben doch keinen blassen Schimmer. Chris war Gregs Freund, ein guter Mensch und ein tapferer dazu! So eine schräge Nummer hätte er niemals abgezogen. Chris und Peter waren ein Team, sie standen sich so nahe wie Brüder.

Aber, so hielt man ihm entgegen, als es hart auf hart gekommen sei, habe sich Chris abgesetzt. Das sei doch der Beweis, oder? Reverend Yeager sagte dazu: »Markus 13, 12: ›Brüder werden einander dem Tod ausliefern und Väter ihre Kinder.‹« Herrgott, bei Matthäus war das ebenfalls ein ganz großes Thema, er schlug in dieselbe Kerbe: Kapitel 10, Vers 21. Aber unmittelbar darauf sagte er auch, dass sich Kinder gegen ihre Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken würden und dass die Guten bis zum Ende standhaft bleiben müssten und so weiter. Greg hatte keine Ahnung, was das nun wieder heißen sollte. In letzter Zeit fiel es ihm schwer, Gut und Böse auseinanderzuhalten oder herauszufinden, was dieser Typ im Spiegel eigentlich dachte.

Andererseits fiel Greg auch nichts Besseres ein. Er war erschöpft, halb verhungert und entsetzt von dem, was die Situation ihm abverlangte – auch an Entscheidungen. Und er fürchtete sich vor der Finsternis, die ihn umfing, sodass er sich wieder fühlte wie der Sechsjährige, der gerade merkte, dass er in eine Welt des Grauens gestolpert war. Meistens war ihm einfach zum Heulen zumute. Aber er musste stark sein. Sie steckten in großen Schwierigkeiten, es ging um Leben und Tod, und kein Peter und kein Chris konnte ihm sagen, was jetzt das Richtige war.

Angesichts ihrer Lage gab es manchmal Momente, in denen Greg allen Ernstes dachte: Wenn du dich in Rule blicken lässt, Chris, schieß ich dir ein Loch zwischen die Augen.

Was nur zeigte, wie weit es auch mit ihm schon gekommen war.

»Da ist sonst keiner.« Dales Gesicht verzog sich zu einer verzweifelten, angstvollen Grimasse. »Das ist die Wahrheit!«

»Ach, Blödsinn.« Sams Stimme klang träge, fast schon gelangweilt. Doch davon ließ sich Greg nicht täuschen. Wenn Dale keine Informationen ausspuckte, würden als Nächstes die Boxershorts dran glauben müssen. Und dann würde sich Sam mit seinem Werkzeugsortiment – Zangen, Drahtschneider und Handsägen – an die Arbeit machen. Greg drehte sich schier der Magen um. Aidan und seine Kumpane waren wirklich total kranke Typen. Nachdem Aidan in Lucian und Sam auf Gleichgesinnte gestoßen war, hatte die Stadt ihre eigene Version von Straßenbande bekommen: durchgeknallte Punks, die aber mehr auf Blut und Folter als auf Graffiti standen. Aus diesem Grund, überlegte Greg, hatte Peter wohl ursprünglich Aidan für diesen Job ausgesucht. Und deshalb brachte Greg auch nicht den Mut auf, ihnen Einhalt zu gebieten, obwohl er jetzt eigentlich das Sagen hatte.

Ich als Chef – meine Fresse. Zum hunderttausendsten Mal fragte sich Greg, was für ein Zeug Yeager rauchte. Greg war nicht wie Peter oder Chris. Er war eben erst fünfzehn geworden. Und er hatte schon genug mit sich selbst zu tun – wer immer das sein mochte.

»Nein, nein, es stimmt! Ich war ganz allein … AAAHHH!« Dale brüllte auf, als Aidans Antenne das Fleisch bis zum Knochen durchtrennte. »Herr im Himm…«

Und da spürte Greg, wie die Erde bebte.

7

Alex schrie auf, als der Fels nachgab und die eine Wand des Schachts einbrach. Der Schmerz in ihrer rechten Schulter war wie ein rot glühender Feuerball, Sehnen und Muskeln spannten sich, dass sie dachte, die Haut würde platzen oder der Arm einfach aus dem Gelenk gerissen. Mit aller Kraft klammerte sie sich an Wolfs Unterarm und spürte seine Muskeln vor Anstrengung zittern. Im Geiste sah sie schon, wie das Seil, an dem Wolf hing, ausfranste, zerfaserte und riss und sie beide weggeschwemmt wurden. Sie wusste nicht, ob die Veränderten dort oben versuchten, sie hochzuziehen. Alex konnte sich nur noch mit Mühe festhalten, der Schmerz wurde immer stärker, als wollte ihr die Schulter brechen. Wenn nur diese reißende Strömung nachlassen würde!

Tut sie aber nicht. Das Wasser war bis knapp unter ihre Knie zurückgegangen, doch nicht weiter. Es läuft fast genauso schnell von irgendwo anders nach.