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Die Flüchtlingskrise ist die größte Herausforderung für Europa seit dem Ende des Kalten Krieges. Als Folge eines entfesselten globalen Kapitalismus und seiner Kriege kommt die Masseneinwanderung alles andere als zufällig – trotzdem steht die europäische Politik dem Problem völlig konzeptlos gegenüber. Die Regierungen reagieren nur hektisch auf die akute Situation, statt die große Aufgabe in koordinierter Zusammenarbeit anzugehen. Der planlosen Außenpolitik entspricht das Chaos im Inneren. Die Integration von Millionen Einwanderern aus muslimischen Ländern in unsere Gesellschaft – oft Menschen mit niedrigem Bildungsstand und archaischen religiösen Vorstellungen – ist ein ungeheurer Kraftakt, der Politiker und Behörden bisher völlig überfordert. Doch wenn wir die Entstehung von Parallelgesellschaften und das Erstarken des islamischen Fundamentalismus nicht weiter forcieren wollen, müssen wir dringend zu praktikablen Integrations- und Bildungskonzepten finden. Mit Sozialhilfebeiträgen und Deutschkursen allein ist es nicht getan. Dieses Buch stellt aus praktischer Erfahrung gewonnene Lösungsansätze vor. Der Autor war viele Jahre Leiter und Lehrer einer Integrationsschule für Asylsuchende in der Schweiz. Er berichtet in Anekdoten von seinen Erfahrungen mit Menschen, die sich oft ein völlig falsches Bild vom Leben und Arbeiten in Europa gemacht haben. Dabei hat er Fälle von trickreichem Missbrauch des Asylrechts ebenso erlebt wie bewegende menschliche Schicksale – und auch die eine oder andere Geschichte gelungener Integration, die Mut macht.
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Seitenzahl: 138
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Ein Erfahrungsbericht aus einer Integrationsschule
Es war einmal ein Land, das lebte im Einklang mit sich selbst. Seine Königin regierte unangefochten, und die grossen politischen Streitfragen hatten sich wie von Zauberhand in Luft aufgelöst. Doch dann kamen die Flüchtlinge, und das Märchen war zu Ende.
NZZ 27.11.2015
zur Flüchtlingspolitik von Angela Merkel
Man kritisiert, um etwas zu verstehen, um etwas zu verbessern oder um zu helfen. Man kritisiert nicht, um zu beleidigen oder zu zerstören.
BOUALEM SANSAL, algerischer Schriftsteller
Vorwort
Asyl und Migration: Einführende Gedanken
Migrationsbewegungen – historisch und aktuell
Was ist Asyl – wie sind die Verfahren?
Die menschenunwürdigen Begriffe „Asyl“ und „Flüchtling“
Die Globalisierungsfalle
Die Islamisierungsfalle
Der Islam
Religion als Fluchtursache
Die neue Kriegsführung
Europas Politik im Zangengriff
Eritrea, ein Beispiel schlechter Information und Kommunikation
Die Sicht der anderen.
Schlepper, die neuen Milliardäre der Asylindustrie
Entwicklungshilfe nur bei Kooperation
Brexit, ein Ergebnis des Asyl-Casinos Europa?
Migration: Die grosse Konzeptlosigkeit
Das verfehlte Migrations- und Bildungskonzept
Was läuft falsch?
Deutschkurse für Asylsuchende:Unflexibel und ohne Ziel
Die Asylbildungsindustrie
Kein Arbeitsintegrationskonzept
Die scheinbar grenzenlose Freiheit
Die konzeptlose Sozialhilfe
Asylsuchende ohne Not
Hilfe, die Freiwilligen kommen
Die Hilflosigkeit gegenüber der Religion.
Lösungsansätze
Ein politischer Lösungsansatz
Ein Lösungsansatz für Sozialhilfe
Ein bildungspolitischer Lösungsansatz.
Ein Lösungsansatz: Das Milton-Bennett-Modell
Aus dem Alltag einer Integrationsschule.
Wer kommt, der bleibt auf immer
Der Glaube verunmöglicht die Berufswahl
Asylgrund Zwangsheirat
Ramadan
Teamwork
Das Sun-, Fun- und Partyland Schweiz
Die missglückte Berufsintegration.
Asyl – besser als Arbeit?
Hilfe: Familienplanung
Hochlohnland Schweiz
Frau Feldweibel – Ausweisung ohne Folgen.
Der Matheprofessor aus Syrien
Das Sparschweinchen
Sommerferien im Ausland
Ein realer Grossbetrieb in Eritrea
Ein scheinbarer Grossbetrieb in der Schweiz.
Die Al-Qaida-Webseite
Die Schneckenfamilie
Wurstbraten mit dem Förster
Der Abstieg in die Höhle.
Der Uigure mit dem Restaurant.
Das Hirtenmädchen aus dem Tibet.
Ein Schulbesuch in Gambia
Schlussfolgerungen – Wir könnten es schaffen
Im Laufe meines Lebens bin ich unzähligen Menschen aus verschiedenen Kulturen und verschiedenen Glaubens begegnet, die mein Leben sehr bereichert haben. Als ich 2011 angefragt wurde, eine Schule für Asylsuchende zu gründen, mit dem Ziel, die zu uns kommenden Menschen auf eine Berufslehre in der Schweiz vorzubereiten oder ihre Chancen in der schweizerischen Berufswelt zu verbessern, sagte ich mit Begeisterung zu.
Nach sechs Jahren Tätigkeit an dieser Schule ziehe ich nun eine Bilanz. Dieses Buch beruht auf den Geschichten, die ich dort erlebt habe, den Schicksalen, von denen ich erfuhr, und den unzähligen Diskussionen, die ich mit den Asylsuchenden führte.
Leider ist es kein Buch voller freudiger Ereignisse und positiver Geschichten geworden. Es ist ein sehr nachdenkliches Buch. Es ist mir dabei bewusst, dass die heutigen Flüchtlingsströme eine sehr grosse Zahl von Ursachen haben, deren Ursprung teils über Jahrhunderte zurückreicht und die nicht einfach zu überblicken sind. In meinem Buch möchte ich die Aspekte herausgreifen, die mir, als Lehrer im Asylbereich, besonders aufgefallen sind.
Ich befürchte, dass die heutigen Flüchtlingsströme erst ein Anfang sind. Die Wissenschaft warnt seit Jahrzehnten vor dem von uns verursachten Klimawandel, der grosse Landstriche unbewohnbar machen und Migrationsbewegungen von viel grösserem Ausmass auslösen wird.
Noch haben wir die Gelegenheit, die Probleme rechtzeitig und mit Sachverstand anzugehen und sinn- und wirkungsvolle Konzepte zu entwickeln, die uns auch für die Zukunft dienen können. Jetzt, da wir es noch nicht mit Klimaflüchtlingen zu tun haben, scheint es mir unverantwortlich, allen Menschen, die als Asylsuchende nach Europa kommen, zu suggerieren, sie könnten hier eine dauernde Bleibe erhalten. Nach Genfer Konvention haben sie nur ein Anrecht auf Schutz, Verpflegung, Kleider, Unterkunft, solange die Gründe für ihre Verfolgung in ihrer Heimat bestehen. Das war keinem meiner Schüler jemals bewusst. Sie sind in der neuen Welt angekommen, definitiv – und erhalten monatlich Sozialgelder in einer Höhe, die im Vergleich zu den Standards, die sie aus ihren Heimatländern kennen, fürstlich sind.
Diese aus der Sicht von vielen Asylsuchenden unvorstellbar hohen Geldbeträge wirken wie eine Einladung, das Glück in Europa zu suchen. Asylsuchende schicken mehr Geld aus den ersparten Sozialhilfegeldern in ihre Heimat zurück, als die gesamte Entwicklungshilfe Europas ausmacht.
Es scheint mir ausserordentlich wichtig, hier klare politische Signale zu setzen. Nicht alle, die Europa erreichen, sind automatisch „Asylsuchende“ und erhalten automatisch Sozialgelder. Wer sein Glück in Europa suchen will, soll nach klaren Kriterien einwandern dürfen. Wenn Europa überaltert und junge Menschen willkommen sind, dann sicher nicht als „umworbene asylsuchende Sozialempfänger“.
Europas grosse Chance liegt darin, die legalen Einwanderer mit Kompetenz zu integrieren, und Asylsuchenden, die über Jahre bei uns bleiben, ein ebenso professionelles Integrationsprogramm vorzuschreiben. Europa muss zwingend Konzepte entwickeln, die den Menschen schon in ihren – vorwiegend afrikanischen – Herkunftsländern aufzeigen, dass es auch andere Wege nach Europa gibt: als legale Arbeits- oder Fachkräfte, als Lernende oder Studierende.
Ich werde zeigen, dass Deutschunterricht und von Sozialdiensten erarbeitete Tagesstrukturen bei Weitem nicht ausreichen, um all die zu uns kommenden Menschen für die Dauer ihres Aufenthaltes in Europa wirklich zu integrieren. Wenn uns dies nicht gelingt, dann werden sich die Asylsuchenden mit dieser Gesellschaft nicht identifizieren können und Aussenseiter bleiben, einsame und heimatlose Fremde. Vielen wird nur der Weg in die Kriminalität bleiben.
In meinen Geschichten, die ganz vielseitige Schicksale illustrieren, habe ich frei erfundene Namen gewählt, um die betroffenen Asylsuchenden zu schützen. Alle in diesem Buch erzählten Geschichten entsprechen aber voll und ganz dem, was ich erlebt habe und erfahren durfte.
Ich will mit diesem Buch die Tatsachen klar und deutlich benennen. Ich will erzählen und Fragen stellen, in der Hoffnung, damit etwas zum Positiven im scheinbar unlösbaren Chaos der Asylproblematik beizutragen.
Nicht zuletzt geht es mir darum, den Horizont etwas über die Tagesprobleme hinaus zu erweitern und die Frage zu stellen, warum denn die Zahl der Asylsuchenden in Europa so plötzlich und scheinbar unerwartet gestiegen ist. Ich möchte zeigen, dass ein erheblicher Teil der aktuellen europäischen Asylproblematik wenig mit dem Asylrecht nach Genfer Konvention zu tun hat. Der Ursprung der gegenwärtigen Migrationsbewegungen ist in einem globalen Zusammenhang zu sehen.
Auf Basis meiner Erfahrungen mit Asylbewerbern möchte ich schliesslich sozial- wie bildungspolitische Lösungsansätze für eine gelingende Integration vorstellen. Wesentlich ist, dass es eben ein übergreifendes gesellschaftliches Konzept braucht statt unendlich vieler Konzepte unendlich vieler Sozialdienste.
Viele der Asylsuchenden, die täglich nach Europa kommen, haben reichlich wenig mit dem Begriff „Asyl“, wie ihn die Genfer Flüchtlingskonvention umschreibt, zu tun. Diese Menschen sind vielmehr die Opfer einer zügellos gewordenen Globalisierung, eines Raubtierkapitalismus, eines Raubzuges auf die restlichen noch verbleibenden Ressourcen dieser Erde. Sie sind ebenso Opfer eines menschenunwürdigen Handelns von Glaubensfanatikern und Despoten. Schliesslich sind sie Opfer superreicher Schlepperbanden, die auf dem Asylrecht eine hemmungslose Industrie aufgebaut haben, zum Teil mit der Hilfe bestehender Regierungen.
Die folgenden Ausführungen sind keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern beruhen auf Beobachtungen, die ich während meiner Arbeit mit Asylsuchenden gemacht habe, sowie auf der Lektüre einer grossen Auswahl von Literatur. Es lohnt sich, nicht nur die aktuellen Pressemeldungen zu lesen, sondern sich in die vielen Aspekte dieser komplexen Thematik einzuarbeiten – von der Globalisierung bis zu Thesen über eine neue Völkerwanderung, von den Machtansprüchen der Religionen und der globalen Wirtschafts- und Finanzelite –, wenn man die Wurzeln der aktuellen Asyl-Tragödie verstehen will.
Die Ausbreitung des Menschen über die Erde begann nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen in Afrika, der Geburtsstätte des Homo sapiens und damit auch aller seiner vielfältigen Kulturen. Vor über 100.000 Jahren breitete sich der Mensch entlang der Küsten in den Nahen Osten und nach Südasien aus, vor etwa 60.000 Jahren drang er über damalige Landbrücken bis nach Australien vor.
Alle heutigen Kulturen weltweit haben somit ihren ersten Ursprung in einer Völkerwanderung aus Afrika. Im Laufe der Menschheitsgeschichte wanderten die Völker ununterbrochen, auf der Suche nach Lebensraum, nach Nahrung, nach Einflussnahme. In der Vorstellung der Aborigines, der Ureinwohner Australiens, stammt der Mensch direkt von den schöpferischen Geistern ab. Solange er ein Nomade blieb und nicht sesshaft wurde, so lange behielt er auch die göttliche Weisheit der schöpferischen Geister in sich.
Erst mit der Sesshaftwerdung des Menschen begannen, so sehen es die Aborigines, und nicht nur sie, die grossen Probleme. Es kamen Krankheiten auf, das Besitztum erforderte die Verteidigung der angeeigneten Güter, es kamen Hass und Gier, Raub, Mord und Totschlag auf. Vom französischen Ökonomen und Soziologen Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865) stammt der Satz „Eigentum ist Diebstahl“. Er meinte damit, dass Eigentum immer ein Ungleichgewicht in der oder in den Gesellschaft/-en erzeuge und damit Begehrlichkeiten anderer Menschen und sozialen Unfrieden hervorrufe.
Haben die Aborigines Recht? Sind wir Menschen Nomaden und haben das Nomadentum noch fest im Blut? Hat Pierre-Joseph Proudhon Recht? Wecken die Reichtümer der westlichen Welt in Entwicklungsländern Begehrlichkeiten und erzeugen Migrationsbewegungen? Ist unser „Eigentum“ Diebstahl an den armen Menschen und Völkern dieser Welt?
Wenn wir die Geschichte der Menschheit genauer studieren, so finden wir zu jeder Zeit ganze Völker auf Wanderschaft. Die nordamerikanischen Indianer etwa sind ursprünglich von Sibirien über die Beringstrasse nach Alaska eingewandert und haben sich von dort über den Kontinent verbreitet. Vor historisch nicht allzu langer Zeit wanderten Scharen von Europäern nach Amerika aus und suchten dort ihr (neues) Glück (freilich ohne Sozialhilfeunterstützung in Amerika).
Es geht mir hier nicht um eine geschichtliche oder philosophische Abhandlung über die Völkerwanderungen. Aber wir müssen verstehen lernen, dass Völkerwanderungen – die Suche nach neuen Lebensräumen, nach neuen Jagdgebieten, nach neuen Existenzgrundlagen – seit der Urgeschichte zum Menschen gehören.
Allerdings: Als sibirische Völkerstämme sich über die Beringstrasse (damals eine Landbrücke) nach Alaska aufmachten, da gab es auf unserem Planeten gerade mal ein paar Millionen Menschen. Wer in einen anderen Lebensraum einwanderte, traf höchstens auf wilde Tiere, hier und da mal auf fremde Sippen. Die stärkere Sippe verdrängte dann meist die schwächere, oder aber man konnte sich verständigen und lebte beispielsweise in sicherer Distanz im selben Tal.
Als ich zur Schule ging, und das war erdgeschichtlich vor einer Nanosekunde, gab es auf unserem Planeten 2,3 Milliarden Menschen. Der Club of Rome, damals eine weltweit anerkannte wissenschaftliche Autorität, errechnete in meiner Jugendzeit, dass 3,5 Milliarden Menschen eine für die Erde erträgliche Bevölkerungsdichte sei, bei der das Überleben der Menschheit garantiert bleiben könne.
Nun, heute sind wir bald acht Milliarden Menschen, es ist enger geworden auf der Erde, die Ressourcen drohen knapp zu werden. Wenn heute Menschen aus ihren Heimatländern in andere Regionen wandern, so treffen sie in der Regel auf bewohnte und dicht besiedelte Räume. Hochtechnisierte Gesellschaften sind in der Lage, notfalls auch auf engstem Raum – in Grossstädten und Ballungsgebieten etwa – eine hohe Lebensqualität zu gewährleisten. Dies setzt voraus, dass die Menschen, die in diesem System leben, das System auch verstehen und die Regeln mehr oder weniger einhalten.
Wie schon einführend gesagt, verschleiert der Begriff „Asylsuchende“. Was wir in der Tat erleben, ist eine Völkerwanderung – aus Staaten, deren religiöse Diktatur dem Menschen die Freiheit, zu der er geboren wurde, vorenthält, aus Staaten, die so arm sind, dass ein menschenwürdiges Leben für viele nicht mehr möglich ist, aus Staaten, in denen unfähige, diktatorische Machthaber nur jenen Menschen eine Chance geben, die ihr Imperium nachhaltig unterstützen, schliesslich aus Staaten, die von den Grosskonzernen, den Hedgefonds und der globalisierten Welt gnadenlos ausgebeutet werden. Den Bewohnern dieser Länder bleibt dann kaum mehr etwas übrig, um würdevoll zu leben. Wer hierzu mehr wissen möchte, dem sei Jean Zieglers Buch Das Imperium der Schande1 nahegelegt.
So verständlich die Motivation dieser Menschen ist, in die reichen und sicheren Staaten Europas auszuwandern, so gross ist die Herausforderung, vor die uns diese Tatsache stellt. Sicher ist, dass das Erlernen einer Sprache allein noch keine Integration bedeutet und dass ein umstandsloser Transfer von Sozialhilfegeldern falsche Hoffnungen und Begehrlichkeiten erzeugt.
Was wir diesen Menschen klarmachen müssen, ist, dass „Asyl“ der falsche Weg ist, ihnen gleichzeitig aber auch einen Weg zeigen, wie sie legal nach Europa kommen können: als Arbeitskräfte, als Lernende und Studierende mit Wissenstransfer in ihr Heimatland, als Fach- oder Hilfskräfte. Ein legales Geben und Nehmen, kein illegaler Sozialtourismus. Diesen Weg hat die europäische Politik vollends verschlafen.
Nun sind all diese Menschen da, und es ist wichtig, sie zu integrieren, ihnen aber auch die Bedeutung von „Asyl“ klar vor Augen zu führen: Ihr Aufenthaltsrecht währt nur so lange, wie die Probleme in ihren Heimatländern andauern. Um dies zu vermitteln, braucht es dringend Integrationsschulen, die diesen Namen verdienen – Deutschkurse und von Sozialarbeitern entwickelte „Tagesstrukturangebote“ reichen dafür nicht aus.
Was beide Seiten verstehen müssen, ist die Unterschiedlichkeit von Gesellschaften in Hinblick auf ihre sozialen Systeme (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Medizin, Kunst, Religionen, Philosophie, soziales Verhalten etc.). Es ist wichtig, Asylsuchende mit diesen Unterschieden zu konfrontieren, denn vielen sind diese gar nicht bewusst. Überlässt man sie nur ihrem eigenen Umfeld, so fördert man die Entstehung von Parallelgesellschaften und schafft zwangsläufig Konflikte.
In einer Umfrage in Deutschland (n-tv, 6.5.2016) erklärten 62 Prozent der nichtmuslimischen Befragten, die Muslime und ihre Religion seien ihnen auch nach Jahrzehnten des Zusammenlebens noch fremd. Kontakte zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen beschränkten sich auf Schule und Arbeitsplatz, privat ergeben sich keine Kontakte. Diese Umfrage zeigt erschreckend, dass Integration bisher kaum funktioniert.
Um in der Kultur, in der man lebt, erfolgreich agieren und interagieren zu können, ist es unerlässlich, sich Wissen und Kompetenzen über diese Kultur anzueignen. Im Idealfall wird man sich mit dem neu gewählten sozialen System identifizieren können, sich und das soziale Gebilde als eine Einheit empfinden. Ebenso ist aber eine Inklusion möglich, bei der man im neu gewählten System lebt, die verbleibende Differenz erkennt und akzeptiert, ohne diese Differenz öffentlich zelebrieren (zum Beispiel durch Tragen eines Schleiers) oder gar bekämpfen zu müssen.
Wenn es nicht gelingt, Menschen aus anderen Kulturen in die gesellschaftlichen Zusammenhänge der neu gewählten Heimat zu integrieren, wenn sie die Sprache nicht richtig beherrschen, nirgendwo eine akzeptable Position besetzen, keine Interaktionen ausserhalb ihres Umfelds unterhalten, sich mit der Gesellschaft nicht identifizieren, führt dies zu deren gesellschaftlicher Marginalisierung – sie bleiben ausgestossene, einsame und heimatlose Fremde. Und von hier aus führt der Weg oft in die Kriminalität und in den Terror.
1 Jean Ziegler: Das Imperium der Schande. München: Bertelsmann 2005.
Der Begriff Asyl
Unter „Asyl“ versteht man:
einen Zufluchtsort, eine Unterkunft, ein Obdach oder eine Notschlafstelle;
den Schutz vor Gefahr und Verfolgung;
die temporäre Aufnahme von Verfolgten.
Unter „Asylrecht“ versteht man:
das geregelte Rechtsgebiet um Asyl, im engeren Sinne alle materiellen Normen der temporären Aufnahme Verfolgter, das konkrete Recht des Einzelnen, als Asylbewerber Asyl zu beantragen, und die humanitäre Verpflichtung einer gesellschaftlichen Gruppe, darauf einzugehen.
Als Flüchtlinge anzuerkennen sind Menschen, die, wie es im Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 heisst, sich ausserhalb ihres Heimatlandes befinden und berechtigte Furcht haben müssen, wegen ihrer „Rasse“, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden.
Wirtschaftliche Not, Naturkatastrophen, Krieg oder Armut werden nicht als Fluchtgründe im Sinne des internationalen Asylrechts anerkannt.
Das Asylverfahren in der Schweiz
Bei der Einreise auf dem Landweg verläuft das Verfahren wie folgt:
Der Asylbewerber stellt ein Asylgesuch in einem der fünf Empfangs- und Verfahrenszentren des Bundes (Basel, Chiasso, Kreuzlingen, Vallorbe und Altstätten).
Es erfolgen die Registrierung, die Aufnahme von Fingerabdrücken, das Ausstellen von Identitätspapieren und erste kurze Befragung (über den Reiseweg, die Asylgründe, die Identität, frühere Aufenthaltsorte etc.).
Nach der ersten Befragung entscheidet das Bundesamt für Migration, ob die Schweiz oder ein anderer Staat zuständig ist (sogenanntes [gescheitertes] Dublin-Verfahren).
Das Asylgesuch wird nicht inhaltlich behandelt, und die betroffenen Personen müssten die Schweiz in der Regel sehr rasch wieder verlassen, wenn das Asylgesuch aus
ausschliesslich wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen gestellt wurde;
wenn die asylsuchende Person in einen sogenannten sicheren Drittstaat zurückkehren kann;
die Person illegal über eine Aussengrenze in einen anderen Dublin-Staat eingereist ist (EU-Mitgliedstaaten, Norwegen, Island, Lichtenstein).
Ist die Schweiz zuständig, gilt folgendes Verfahren:
die asylsuchende Person wird an das für das Verfahren zuständige Durchgangszentrum verwiesen;
sie erhält den
Ausweis N
(einen Identitätsausweis, der gilt, bis eine Entscheidung gefällt wird). Die asylsuchende Person wird einem Kanton zugeteilt, mit
Nach der Kantonszuteilung findet eine zweite, ausführlichere Anhörung statt, mit einem Protokoll, das die Asyl suchende Person mit ihrer Unterschrift bestätigen muss.
Aufgrund der gesammelten Informationen sind folgende Entscheidungen möglich:
Asyl wird gewährt (die Person erhält
Ausweis B
), Ehegatte und Kinder dürfen in die Schweiz nachfolgen;
Asyl wird nicht gewährt, die Person muss die Schweiz verlassen;