Asylanten - Herbert E. Große - E-Book

Asylanten E-Book

Herbert E. Große

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Beschreibung

Horst Uhlig lernt zufällig ein aus Syrien geflüchtetes Ehepaar kennen. Er hilft ihnen völlig uneigennützig bis sie in Frankfurt/Main Fuß gefasst haben. Später hilft er auch noch einer ebenfalls aus Syrien geflüchteten Mutter mit einem kleinen Kind. Bei seinen Hilfsaktionen bekommt er einen ganz anderen Blick für die Sorgen und Nöte der Asylanten. Aus statistischen Asylantenzahlen werden für ihn menschliche Schicksale, für die das gleiche Recht – die Würde des Menschen ist unantastbar - gelten muss.

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Seitenzahl: 191

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Ein ganz kleines Vorwort des Autors

Als ich anfing, diese Geschichte zu Papier zu bringen, tobte in Syrien der Bürgerkrieg und die große Fluchtbewegung begann.

In Deutschland war die politische Auseinandersetzung über den Umgang mit Asylanten noch nicht beendet.

 Da ich selbst einmal ein sogenannter „Zonenflüchtling“ war und weiß, was es heißt, auf der Flucht zu sein (siehe mein Roman „Poppichs Flucht“), musste ich meinen Respekt vor den Asylsuchenden zu Papier bringen.

Die beiden Fluchtgeschichten haben mir meine syrischen Freunde so erzählt, wie ich sie aufgeschrieben habe. Auch ihr neues Leben in Deutschland ist nicht völlig frei erfunden.

Wenn der Leser meint, dass ich einige meiner deutschen Landsleute zu „hart“ beschreibe, so liegt das daran, dass ich mich für diese schäme.

Herbert E. Große

April 2016

Im Waschsalon

„Herr Oberstaatsanwalt, es geht nicht mehr, dass ich bei ihnen saubermache und mich um ihre Wäsche kümmern kann. Morgen soll ich für einige Zeit in das Krankenhaus und danach weiß ich nicht, wie es mit mir weitergehen wird.“„Na, nun warten sie erst einmal ab; wird bestimmt alles gut.“Mehr konnte Horst Uhlig nicht sagen; er hatte sich nicht einmal erkundigt, ob seine Putzhilfe auch ihren letzten Lohn erhalten hat. Sie ging einfach und er stand allein in seiner Küche.

Alle nannten ihn nur „HH“; harter Hund oder harter Horst. Im Laufe der vielen Berufsjahre kannte er sich nicht nur in der Welt der kleinen Ganoven und der Straftäter mit weisen Kragen aus, sondern beherrschte auch deren Umgangssprache.Bei seinen „Kunden“ war er gefürchtet; seine Kollegen hatten Hochachtung.Wenn er am Mittagstisch seine gestressten Kollegen etwas aufheitern wollte, bediente er sich der „Ganoven-Sprache“; das gelang ihm immer sehr überzeugend. Besonders die jüngeren Kollegen fanden diese „Sprache“ toll und versuchten ihn nachzuahmen, was ihnen jedoch nicht immer gelang; er war nun einmal der „HH“.

Und jetzt war er ohne seine Haushaltshilfe irgendwie eine hilflose Person.Kaffee werde ich mir ja kochen können und eine Reinigungsfirma wird sicher auch aufzutreiben sein, überlegte er. Nur mit dem Wäschewaschen wird es problematisch, waren seine nächsten Gedanken.Die Waschmaschine in seinem Haus war defekt und er hatte sie noch nicht reparieren lassen. Er nahm sich vor, es selbst mit der Wäsche zu versuchen, weil ihm einfiel, dass es ja in der Nähe seines Hauses einen Waschsalon gab.

Er hatte all seine benutzte Wäsche in einen großen Plastiksack verstaut und war kurz nach neun Uhr im Raum mit den vielen Waschmaschinen erschienen.

Auf einer Tafel studierte er, wie man die Wäsche waschen muss. Es war erforderlich, zunächst an einem Automaten Jetons zu wechseln. Mit diesen konnte man dann die Waschautomaten in Gang setzen.

Das nächst Problem war, den entsprechenden Waschgang zu wählen und danach die Anzahl der Jetons einzuwerfen.

Das war aber gar nicht so einfach, weil er nicht wusste, welchen Waschgang er wählen sollte. Da er allein im Salon war, steckte er einfach seine gesamte Wäsche in eine der Maschinen, drückte auf Kochwäsche und steckte einen nach dem anderen Jeton in den entsprechenden Schlitz. Das tat er so oft, bis die Maschine anfing zu waschen.

Danach setzte er sich auf eine Bank gegenüber der Waschmaschine, holte die Tageszeitung aus seiner Tasche und begann zu lesen.

Nach knapp zehn Minuten betrat eine jüngere Frau den Waschsalon, blickte sich ängstlich um und ging dann zu einer der Maschinen.

Nachdem sie ihre Wäsche in drei verschiedenen Maschinen verstaut und dieselben mit Jetons bestückt hatte, setzte sie sich neben Horst Uhlig auf die Bank.

„Das haben sie aber schnell erledigt“, sagte Horst Uhlig und schaute die Frau interessiert an.

„Entschuldigen sie bitte, ich spreche nur ganz schlecht deutsch. Mein Heimatland ist Syrien; aber ich spreche recht gut Französisch.“

„Na, dann sprechen wir französisch, wenn sie sich überhaupt mit mir unterhalten wollen.“

„Sehr gern, Monsieur. Ich bin froh, mit jemanden sprechen zu können.“

„Pardon, Madame. Ich möchte nicht indiskret sein. Wohnen sie im gegenüberliegenden Asylantenheim?“

„Ja, mein Ehemann, der sehr gut deutsch spricht und ich sind vor einem Monat aus Syrien gekommen und haben hier in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Wir möchten sehr gern hier leben. Mein Mann ist Deutschlehrer und dolmetscht auch schon auf der Behörde.“

„Und dürfen sie bleiben, wird ihr Antrag positiv beschieden werden?“

„Wir sind sehr zuversichtlich.“

Bevor sich Horst Uhlig vorstellen konnte, betrat ein junger Mann den Waschsalon.

Er hatte offenbar mitbekommen, dass beide sich in einer anderen Sprache unterhielten und begann sogleich zu provozieren.

„Jetzt waschen sich schon die Asylanten in einem deutschen Waschsalon; soweit ist es schon gekommen. Deutsch können sie auch nicht. Gut, dass sie nicht alle Maschinen belegt haben und ein sauberer Deutscher auch noch seine Wäsche waschen kann.“

Die junge Frau aus Syrien zuckte merklich zusammen und ging zur Eingangstür.

Horst Uhlig hielt sie am Arm zurück und sagte: „Madame, keine Angst. Ich bin bei ihnen.“

„Hier in Deutschland spricht man deutsch, verstanden!“, sagte der junge Mann und verstaute seine Wäsche in einer der Maschinen.

„Bist zu blöd, um eine andere Sprache zu sprechen, he?“

„Was hast du da gesagt, du alter Penner?“

„Du sollst deine Klamotten wieder aus der Maschine nehmen und vor der Tür warten, bis wir fertig sind. Das Waschen der Burka wird aber etwas dauern. Komm am besten am Nachmittag wieder.“

Der junge Mann schaute Horst Uhlig voller Entsetzen an und wusste nicht, was er tun sollte.

„Du Inzestprodukt sollst deine stinkenden Klamotten nehmen und dich verpissen, verstanden!“

Der junge Mann verließ völlig verwirrt den Waschsalon, ließ jedoch seine Wäsche in der noch geöffneten Maschine.

Die junge Syrerin zitterte am ganzen Leib. Horst Uhlig musste sie beruhigen, übersetzte den verbalen Schlagaustausch aber nicht wörtlich.

„Mon dieu, Monsieur, mit solchen Schwierigkeiten haben wir nicht gerechnet, als wir uns für Deutschland entschieden.“

„Nehmen sie es gelassen, Madame. Unsere weniger gebildeten Mitbürger sind vom schleichenden Gift des Populismus verseucht. Sie haben zwar einen großen Mund, aber nur ein kleines Hirn und haben vergessen, dass besonders nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten Flüchtlinge Deutsche waren. Und dann gab es auch noch einen kommunistischen deutschen Teilstaat, aus dem die Menschen massenhaft geflohen sind.“

„Ja, davon haben wir gehört; und auch davon, dass besonders im Osten Deutschlands die Fremdenfeindlichkeit sehr hoch sein soll.“

„Leider ist das tatsächlich so. Sarkastisch könnte man von Ostdeutschland auch von Dunkeldeutschland sprechen. Ich bin dort auch zur Schule gegangen, habe aber leider keine humanistische Bildung erfahren. Die musste ich mir erst im Westen Deutschlands mühsam selbst aneignen.

Viele Menschen im Osten Deutschlands haben sich ihre einfache Weltsicht aus DDR-Zeiten erhalten oder heute selbst aufgebaut.

Wie soll man solche Leute objektiv informieren, ohne sich auf deren geistiges Niveau herabzulassen. Nach deren Meinung berichten unsere Medien, die sie Lügenpresse nennen, nur dann objektiv, wenn sie deren einfache Weltsicht als Maßstab der Berichterstattung zugrunde legen“, philosophierte Horst Uhlig fast geistesabwesend und die junge Syrerin schaute ihn fragend an, weil er Französisch und Deutsch vermischte, als er das sagte.

„Na, lassen wir das. Ich bleibe solange, bis ihre Wäsche fertig ist, bei ihnen und werde sie danach nach Hause begleiten, wenn sie das wollen.“

„Ich nehme ihre Hilfe gern an. Aber was ist mit ihrer Wäsche passiert?“

„Was soll damit passiert sein? Ich wasche sie gerade, wie sie sehen.“

„Ihnen muss da aber ein Fehler unterlaufen sein. Buntes, Wollsachen und Leinen kann man doch nicht zusammen bei solch hohen Temperaturen waschen. Jetzt ist alles verfilzt und verfärbt. Ihre Wäsche ist vielleicht sauber, aber jetzt unbrauchbar.“

„Wenn sie das so sagen, glaube ich es auch. Ich wollte ohnehin neue Kleider kaufen; jetzt habe ich wenigstens einen Grund.“

„Monsieur, lassen sie uns erst einmal nachsehen, was noch zu gebrauchen ist.“

„Non, Madame. Ich habe eine bessere Idee. Wir werden das gesamte Zeug einfach in die Mülltonne stecken und gehen, wenn ihre Wäsche fertig ist. Aber lassen sie uns bitte vor dem Waschsalon in der Sonne warten. Wir sind ja jetzt allein hier und müssen nicht mehr auf ihre Wäsche aufpassen.“

Die Syrerin war irgendwie sprachlos geworden.

Zum einen hatte sie Angst vor dem jungen fremdenfeindlichen Mann; zum anderen staunte sie über Horst Uhlig und war begeistert von seinem Verhalten; war aber sehr einverstanden, vor dem Salon in der Sonne zu warten.

„Das ist irgendwie wie zu Hause in Aleppo.“

„Sie kommen also aus Aleppo?; eine wunderschöne Stadt soll das sein“, sagte Horst Uhlig.

„Es war eine wunderschöne Stadt.“

Weiter kam die Syrerin nicht, weil ein Streifenwagen der Polizei unmittelbar vor dem Waschsalon anhielt und auch der junge provozierende Mann erschien.

Er sagte den beiden Streifenpolizisten, dass dort auf der Bank der gewalttätige ältere Herr säße.

Einer der Polizisten blieb mit dem jungen Mann am Streifenwagen stehen. Der andere ging zum Waschsalon.

Die Syrerin flüsterte ängstlich: „Auch das noch. Jetzt bekomme ich als Asylantin bestimmt den allergrößten Ärger.“

„Warum denn das? Warten sie erst einmal ab.“

In diesem Moment hatte sich der Polizist soweit genähert, dass er Horst Uhlig erkannte.

„Entschuldigen sie, Herr Oberstaatsanwalt. Hier muss ein ganz erhebliches Missverständnis vorliegen. Der junge Mann dort hat Anzeige gegen sie und ihre Begleiterin erstattet.“

„So, welche Straftat sollen wir denn begangen haben?“, fragte Horst Uhlig.

Der Polizist winkte und rief seine Kollegen herbei.

„Ach du großer Gott, Herr Staatsanwalt. Der junge Mann behauptet, dass sie ihn bedroht und beleidigt hätten.“

„Wollen sie denn nicht meiner Anzeige nachgehen und wenigstens die Personalien der Beschuldigten aufnehmen?“, fragte der junge Mann ganz konsterniert.

Der Polizist antwortete ihm: „Wissen sie, wen sie da beschuldigen? Das ist der Oberstaatsanwalt Uhlig.“

„Das ist mir scheißegal. Und die Personalien der Asylantin wollen sie auch nicht aufnehmen?“

„Nein. Sie sollten beten, dass das alles nicht nach hinten losgeht und plötzlich sie der Beschuldigte sind.“

„Soweit ist es in Deutschland schon gekommen“, schrie der junge Mann und entfernte sich.

„Herr Staatsanwalt, wollen sie eine Gegenanzeige erstatten? Die Personalien des jungen Mannes haben wir schon aufgenommen.“

„Lassen sie es gut sein und bearbeiten sie seine Anzeige ganz normal. Ich habe dem jungen Mann die Leviten gelesen, als er die Asylantin anpöbelte. Und wenn er jetzt auch noch weiß, wer ich bin, wird er vielleicht geheilt sein; oder auch nicht“, antwortete Horst Uhlig dem Polizeibeamten.

Beim Weggehen fragte einer der Polizeibeamten seinen Kollegen, was der „HH“ wohl in einem Waschsalon mache.

Horst Uhlig hatte diese Frage noch verstanden und sagte, dass auch die Waschmaschine eines Staatsanwaltes kaputtgehen könne.

Der fragende Polizist bekam einen roten Kopf und war froh, dass er wieder in seinem Streifenwagen saß.

Nachdem die junge Syrerin ihre saubere Wäsche zusammengepackt hatte, begleitete Horst Uhlig sie bis zum Eingang der Asylunterkunft und verabschiedete sich höflich.

„Mein Ehemann wird sich für ihre Hilfe bedanken wollen. Wie kann er sie erreichen?“

„Ihre Bekanntschaft war mir Dank genug, Madame. Wenn sie wieder einmal Hilfe brauchen, hier ist meine Karte. Und nun wünsche ich ihnen und ihrem Ehemann noch einen schönen Tag.“

Im Restaurant

Nach dieser Verabschiedung schlenderte Horst Uhlig mit sich selbst zufrieden nach Hause.

Kaum dort angekommen, klingelte das Telefon und der Ehemann der Syrerin meldete sich mit dem Namen Eilan.

„Sehr geehrter Herr Uhlig; vielen Dank, dass sie meine Ehefrau beschützt haben.“

Horst Uhlig staunte nicht schlecht über diesen Anruf, zumal der Ehemann der Syrerin ein ausgezeichnetes Deutsch sprach.

„Herr Eilan, ich bitte sie. Ihre Gattin hätte die Situation auch ohne mich gemeistert. Außerdem reichte doch ein einziger Satz, um den ungebildeten jungen Mann zur Ordnung zu rufen. Viel größere Probleme gab es mit meiner Wäsche.“

„Auch darüber bin ich unterrichtet. Wenn sie möchten, würde meine Frau ihnen beim Kauf neuer Wäsche gern behilflich sein. Sie würden ihr sogar eine Freude machen; Frauen kaufen doch nun einmal zu gern ein. Zurzeit können wir für uns noch nicht sehr viel mehr als die Essenszutaten kaufen.“

„Bitte haben sie Verständnis dafür, dass ich mir meine Unterwäsche ohne fremde Hilfe kaufen möchte. Aber ich bräuchte auch andere Kleidung. Dabei hätte ich schon gern weibliche Hilfe. Wäre es ihrer Gattin recht, wenn sie mich morgen Nachmittag begleitet? Ich schlage 16 Uhr vor.“

“Meine Frau nickt freudig.“

„Also dann hole ich sie vor der Unterkunft ab. Was halten sie beide davon, wenn wir nach dem Einkauf noch essen gehen? Ich lade sie natürlich ein. Bevorzugen sie ein bestimmtes Restaurant?“

„Herr Uhlig, das können wir nicht annehmen.“

„Warum denn nicht? Hält man in Syrien nichts von Gastfreundschaft?“

Horst Uhlig lacht so, dass die Eheleute Eilan es nicht als Aufdringlichkeit empfinden konnten und die Einladung annahmen.

Gut, dass Horst Uhlig einen Tisch bestellt hatte. Das Lokal war sehr gut besucht.

Nach alter Gewohnheit schaute sich Horst Uhlig beim Betreten des Gastraumes um, ob ein bekanntes Gesicht zu sehen war.

Er hatte Glück und erkannte keines seiner früheren „Opfer“.

Wie es seine Art war, wollte er mit dem Rücken zu den übrigen Gästen sitzen, erntete aber heftigsten Widerspruch von seinen syrischen Gästen.

Nach kurzer Zeit fügte sich Horst Uhlig und nahm lächelnd zur Kenntnis, dass es im arabischen Raum Sitte sei, dass der Gastgeber gesehen und die Gäste bescheiden im Hintergrund sitzen würden.

„Sie müssen mir sehr viel von ihrer Heimat Syrien erzählen. Wenn ich es aus der Schule noch richtig in Erinnerung habe, ist der syrische Staat relativ jung, aber die Bevölkerung ist eine der ältesten und intelligentesten. Mein Lehrer hat immer gesagt, dass die Syrer schon lesen und schreiben konnten, als die Germanen noch von Baum zu Baum hüpften und sich brüllend und grunzend auf die Brust schlugen.“

Die Eheleute Eilan sahen sich ungläubig an und wussten nicht, wie sie reagieren sollten.

„Sie müssen nicht alles so ganz wörtlich nehmen. Wir Deutsche machen oft derbe Späße. Auch hat mich mein Beruf geformt. Seit zwei Monaten bin ich aber pensioniert. Ich war Sonderstaatsanwalt für Korruption. Man nannte beziehungsweise nennt mich „HH“ Uhlig. Das bedeutet „Harter Horst“ oder „Harter Hund“ Uhlig. Meine Freunde nennen mich aber nicht so. Ich betrachte sie, liebe Eheleute Eilan, als meine Freunde, wenn ich das darf. Und ich weiß auch, dass meine direkte Art gewöhnungsbedürftig ist.“

Beide schauten sich ob der Kauzigkeit ihres Gastgebers etwas ängstlich an, fügten sich aber in ihr abendliches Los. Horst Uhlig hatte es bemerkt und bat um Entschuldigung für sein Verhalten.

„Ich weiß, dass gerade Araber ganz anders, viel diskreter und höflicher, miteinander umgehen. Betrachten sie mich bitte als ihren Freund, auch wenn es nicht sofort so aussieht.“

Die Spannung löste sich alsbald, weil Kadir Eilan ja den Beruf seines Gastgebers erfahren hatte.

„Meine Ehefrau Jamila konnte mir nicht korrekt übersetzen, wie die Polizeibeamten sie angesprochen haben. Sie hat nur bemerkt, dass die beiden Polizisten enorme Hochachtung vor ihnen hatten. Jetzt, wo sie uns ihren Beruf genannt haben, kann ich alles besser verstehen. Bitte verzeihen sie, wenn ich Jamila arabisch alles genau übersetze; mit der französischen Sprache habe ich so meine kleinen Probleme“, sagte Herr Eilan.

Horst Uhlig lehnte sich lächelnd zurück und lauschte der für ihn unverständlichen Sprache.

Er konnte aber an Jamilas Gesicht ablesen, wie sie alles zur Kenntnis nahm.

Dann sagte sie auf Französisch: „Monsieur Horst, ich darf sie doch mit ihrem Vornamen ansprechen, so wie es in Frankreich üblich ist?“

Ohne die Antwort abzuwarten sprach sie einfach weiter: „Sie glauben ja gar nicht, wie glücklich wir sind, sie kennengelernt zu haben. Jetzt wird bestimmt alles gut.“

„Madame, sie überschätzen meine Fähigkeiten. Ich sagte doch schon, dass ich bereits pensioniert bin.“

„Pardon Monsieur, je ne comprenais pas.“

Horst Uhlig hatte versehentlich deutsch gesprochen und Jamila Eilan bemerkte, dass sie nicht verstanden habe.

Horst Uhlig widerholte die Antwort auf Französisch. Danach unterhielten sich die Drei entweder auf Französisch oder sprachen langsam und mit besonderer Betonung deutsch, damit Jamila folgen konnte.

„Nachdem sie nun meinen Beruf kennen, würde ich gern ihre Berufe erfahren, wenn ich ihnen mit dieser Bitte nicht zu nahe trete“, erklärte Horst Uhlig.

„Keinesfalls; Jamila ist nach dem Studium an der Uni in Aleppo geblieben und beschäftigt sich hauptsächlich mit der französischen Religionsgeschichte. Ich unterrichtete an einem Gymnasium Deutsch und Geschichte. Pardon, das waren unsere Berufe in Syrien. Jetzt sitzt Jamila den ganzen Tag in unserer Ein-Zimmer-Unterkunft im Asylantenheim, geht in den Waschsalon und lernt Deutsch. Ich hatte Glück und übersetze den Verwaltungsangestellten, was meine Landsleute auf deren Fragen antworten.“

„Das muss ja entsetzlich sein“, entfuhr es Horst Uhlig, „aber so verdienen sie mit der Übersetzerei doch schon Geld.“

„Warum entsetzlich? Wir sind der Hölle entflohen und leben jetzt schon wie im Paradies. Und das Dolmetschen bekomme ich nicht bezahlt, bin aber trotzdem zufrieden, helfen zu können“, sagte Kadir und Jamila lächelte traurig.

„Entschuldigung. Als Germanist sprechen sie vom Asylantenheim. Unsere modernen Sprachwissenschaftler stören sich an den Worten Asylant und Asylantenheim, weil diese Bezeichnungen in ihren Augen herabwürdigend und unzutreffend seien.“

„Das mag in den Augen dieser Kollegen zwar zutreffen. Aber ich habe neben Germanistik auch Geschichte studiert und weiß, dass jede Sprache einer historischen Entwicklung unterliegt und heute die Endung -ant negative Assoziationen in Deutschland hervorrufen. Sprachhistorisch ist das in meinen Augen reiner Unfug. Mein Professor hätte dazu nur gesagt, dass man einfach das Wort „Protestanten“ betrachten müsse. Was könnte an dieser Endung negativ sein?“

„Das ist ja wirklich amüsant.“

„Ja, und nun schauen sie einmal in ihren deutschen Duden. Dort werden sie erfahren, dass amüsant gleichbedeutend mit unterhaltsam, belustigend, erheiternd; vergnüglich, Vergnügen bereitend ist. Ist das nicht witzig? Also als Deutschlehrer habe ich mit diesen Begrifflichkeiten keine Probleme. Wir werden sie so betrachten und gebrauchen, wie sie ganz allgemein benutzt werden.“

„Ist es zu viel verlangt, wenn sie mir von ihrer Flucht erzählen?“

„Nein, aber bitte nicht heute und jetzt. Wir sind so glücklich über ihre Einladung und genießen den Restaurantaufenthalt.“

Nach dieser Erklärung lächelte auch Jamila ganz ehrlich und Horst Uhlig erkannte seine Ungeduld und sagte: „Aber bei einem unserer nächsten Treffen müssen sie mir unbedingt mehr über ihr Leben in Aleppo und ihre Flucht erzählen. Auch ich bin als junger Mann der kommunistischen Hölle unter Lebensgefahr entflohen. Schon deshalb interessiert es mich, wie sie es geschafft haben hierher nach Deutschland zu kommen.“

Man sah es den Eheleuten Eilan an, dass sie einen wunderschönen Abend erlebt hatten.

Auch Horst Uhlig war seit langem wieder einmal mit sich und der Welt zufrieden.

Der Waschmaschinenkauf

Am nächsten Morgen, es war Samstag, entschloss sich Horst Uhlig zum Kauf einer neuen Waschmaschine.

Als er gerade das Geschäft verließ, begegneten ihm die Eheleute Eilan.

„Guten Morgen, wir haben uns ja lange nicht gesehen“, witzelte Horst Uhlig und fragte, ob man einen kleinen Kaffee nehmen wolle. Kadir Eilan war einverstanden, bestand aber darauf, Horst Uhlig einladen zu dürfen.

„Müssen sie denn heute nicht arbeiten, also übersetzen?“

„Heute ist doch Samstag. Gerade sie müssten doch wissen, dass deutsche Behörden am Sabbat nichts tun“, scherzte Kadir und alle Drei betraten das Café.

Horst Uhlig bestellte sich einen Espresso und Eilans türkisch-arabischen Mokka.

Jamila entschuldigte sich bei den beiden Männern dafür, dass sie eine kurze Mail senden müsse, weil sie sich wegen des Kaffeehausbesuches sicherlich verspäten würde.

Eine ältere Dame am Nachbartisch bemerkte, dass die neuen Gäste sich nicht nur deutsch, sondern auch französisch unterhielten; sie bemerkte auch, dass Jamila offenbar ein, aus ihrer Sicht sehr teures, Smartphone benutzte.

Die Frau regte sich regelrecht auf, dass die Asylanten hier von der „Stütze“ leben würden, aber ein teures Telefon hätten.

Sie sollten lieber für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen. Sie als Deutsche, die ein Leben lang hart gearbeitet habe, bekäme nur eine kleine Rente, könne sich davon aber kein solches Luxustelefon leisten.

Die Eheleute Eilan zuckten regelrecht zusammen, was Horst Uhlig bemerkte.

Er drehte sich zu der schimpfenden Frau um und sagte: „Gute Frau, sie irren sich gewaltig. Meine Kinder sind deutscher als sie. Sie wollen demnächst in Frankreich Urlaub machen und lernen deshalb Französisch. Und das Telefon habe ich meiner Tochter zum Geburtstag geschenkt. Sie haben recht, es war nicht billig. Aber hat meine Tochter es nicht verdient?“

„Entschuldigung. Aber ihre Tochter sieht doch gar nicht wie eine richtige Deutsche aus.“

„Wieso denn das nicht. Sie ist doch ein richtiges arisches Rasseweib, oder? Die Haare hat sie sich nur deshalb so schwarz gefärbt, um nicht als blödes Blondie angesehen zu werden.Sie dagegen sehen eher wie eine russische Kolchosbäuerin aus und ich frage mich doch allen Ernstes, wie sie es geschafft haben, in dieses schöne italienische Eiscafé gelassen worden zu sein.Und nun halten sie ihren Mund und lassen uns den schönen türkischen Mokka schlürfen.

Wir wollen uns nämlich danach noch beim Türken einen schönen Döner reinschieben.“

Jamila Eilan verschluckte sich vor Lachen an ihrem Kaffee und sagte, nachdem sie wieder richtig Luft holen konnte auf Französisch: „Danke Horst. Sie sind wirklich ein toller Mann und Freund. Diese Vorwürfe haben wir schon oft gehört. Offenbar sehen unsere Telefone etwas teurer aus als die hiesigen. In Syrien gibt es seit Jahren kein funktionierendes Festnetz mehr. Wir können nur noch den Kontakt über Satellitentelefone aufrechterhalten. Und diese Dinger funktionieren eigenartigerweise auch hier, ohne dass jemand von uns Gebühren verlangt. Selbst nach Syrien können wir damit telefonieren. Diese ewigen Missverständnisse der Leute sind nicht nur beleidigend, sondern auch frustrierend.“

„Sie haben doch sicherlich gewusst, was sie in Deutschland erwartet, oder?“

„Das schon, aber dass es so schlimm sein wird, haben wir nicht gedacht“, sagte Jamila und Kadir fügte hinzu, dass die Beamten der Ausländerbehörde junge Männer immer fragen würden, warum sie geflüchtet seien und nicht mit der Waffe in der Hand für ein besseres Vaterland kämpfen würden.

„Und was antworten ihre Landsleute auf diese Frage?“, wollte Horst Uhlig wissen.

„Fast immer, dass es auf der einen Seite die Assad-Regierung gebe, die bereits mehrere Hunderttausend eigene Landsleute getötet habe. Auf der anderen Seite gibt es mehrere bewaffnete Oppositionsgruppen, die nicht nur gegen das Assad-Regime, sondern sich auch untereinander bekämpfen. Abgesehen von verschiedenen Religionsrichtungen, die politischen Einfluss nehmen, kämpfen auch noch Russland, Amerika und Saudi-Arabien in Syrien.

Und danach fragen die jungen Männer zurück: Wo bitte und auf wessen Seite sollen wir für unsere zerfallene Heimat kämpfen?“

Nach diesen Worten wurde Horst Uhlig sehr nachdenklich und verabschiedete sich von seinen neuen Freunden.

Zu Hause dachte er an seine Flucht aus der DDR und wie er reagiert haben würde, wenn man ihn gefragt hätte, warum er nicht geblieben sei, um dort die politischen Verhältnisse zu ändern.

Es lief ihm eiskalt über den Rücken. Einen Menschen, der unter Einsatz seines Lebens geflüchtet ist, zu fragen, warum er wegen seiner politischen Überzeugung nicht das Zuchthaus in Bautzen vorgezogen habe; perverser geht es wohl nicht.

Aufregung in der Ausländerbehörde

Am Montagmorgen herrschte richtige Aufregung in der Ausländerbehörde.

Der Behördenchef hatte nicht nur zu der üblichen Lagebesprechung geladen, sondern ließ intensiv nach einer ganz bestimmten Akte suchen.

„Wir haben doch einen syrischen Dolmetscher. Wie heißt der Mann und welchen Status hat er?“, fragte er ganz aufgeregt und einer der Sachbearbeiter nannte den Namen Eilan und sagte, dass er der Sachbearbeiter sei.

„Sein Status ist geklärt und seinem Asylantrag kann entsprochen werden“, erklärte er weiter.

„Und ist über den Antrag schon entschieden?“, wollte der Behördenleiter wissen.

„Nein, die Akte liegt aber auf ihrem Schreibtisch, Chef. Aber vielleicht können sie mich aufklären, was ich falsch gemacht haben könnte.“