Krebs-Endstadium! Was nun Joseph? - Herbert E. Große - E-Book

Krebs-Endstadium! Was nun Joseph? E-Book

Herbert E. Große

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Beschreibung

Joseph Fröhlich, ein hoch angesehener und von manchen auch gefürchteter Richter, erfährt kurz vor seiner Pensionierung, dass er Krebs habe. Seine Lebenserwartung beträgt allenfalls noch ein Jahr. Er beschließt, sich weder operieren zu lassen noch sich einer Chemotherapie zu unterziehen. Den Rest seiner Tage will er im warmen Süden verbringen und um kein Pflegefall zu werden, rechtzeitig selbst Hand an sich legen. Ohne Verpflichtungen gegenüber anderen will er sein gesamtes Vermögen "durchbringen" und dann selbstbestimmt sterben. Insbesondere seine Ehefrau Helene, die nichts von seiner Krebserkrankung weiß, soll ihn auf keinen Fall pflegen müssen. Er sucht deshalb einen Scheidungsgrund und findet ihn auch. Es kommt jedoch alles ganz anders. Der Autor hat dieses bereits im Juli 2013 erstmals erschienen E-Book überarbeitet und marginale Änderungen vorgenommen.

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Seitenzahl: 266

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Joseph Fröhlich, ein hoch angesehener und von manchen auch gefürchteter Richter, erfährt kurz vor seiner Pensionierung, dass er Krebs habe. Seine Lebenserwartung beträgt allenfalls noch ein Jahr.Er beschließt, sich weder operieren zu lassen noch sich einer Chemotherapie zu unterziehen. Den Rest seiner Tage will er im warmen Süden verbringen und um kein Pflegefall zu werden, rechtzeitig selbst Hand an sich legen.Ohne Verpflichtungen gegenüber anderen will er sein gesamtes Vermögen „durchbringen“ und dann selbstbestimmt sterben.Insbesondere seine Ehefrau Helene, die nichts von seiner Krebserkrankung weiß, soll ihn auf keinen Fall pflegen müssen. Er sucht deshalb einen Scheidungsgrund und findet ihn auch.Es kommt jedoch alles ganz anders.

Kleines Vorwort

Den geneigten Leserinnen und Lesern dieses Buches sei vorab versichert, dass die Leidensgeschichte, die ich berichte, nicht völlig frei erfunden ist.Joseph Fröhlich gab es wirklich, nur sein Name ist geändert.Ich habe ihn sehr gut gekannt und zwar so gut, dass ich alles so berichten kann, als wenn ich es selbst erlebt hätte.Auch seine beiden wunderbaren Frauen habe ich gekannt und kann sie bestimmt zutreffend beschreiben.All das versichere ich, so wahr ich Herbert E. Große heiße.Letztlich bitte ich meine französischen Leser um Verständnis dafür, dass ich fast alle französischen Worte und Begriffe „eingedeutscht“ habe.

Narbonne im Sommer 2016

Der Anfang der Endzeit

„Der Herr Professor bittet Sie, sich noch 10 Minuten zu gedulden. Ein Notfall verlangt seine Anwesenheit“, sagte die Sekretärin.„Können Sie und der Herr Professor sich nicht einmal etwas Neues einfallen lassen, sich zu entschuldigen?“, fragte ich.„Herr Fröhlich, wenn ich nicht wüsste, dass Sie und der Chef gute Freunde sind, würde ich Ihnen das genau erklären.“„Lassen Sie es. Man musste schon in der Schule immer auf ihn warten, ein schrecklicher Mensch, Ihr Chef. Aber eins muss man ihm lassen, er hat immer attraktive junge Sekretärinnen. In meinem Vorzimmer sitzen stets nur alternde Beamtinnen. Aber ich bin dafür seltener im Büro als Ihr Chef.“„Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee machen, Herr Fröhlich?“„Das ist eine sehr gute Idee. Aber bei dem, was mich gleich erwartet, wäre mir ein großer Cognac lieber.“Die Sekretärin lächelte ganz lieb, stellte mir eine Tasse Kaffee und einen Cognac auf den kleinen Tisch, an dem ich wartend saß. Sie wusste ganz genau, dass sie mich nicht zu trösten brauchte. Trotzdem versuchte sie verzweifelt, mich in ein Gespräch zu verwickeln, um mich abzulenken.Nach kurzer Zeit wurde sie erlöst und der Professor öffnete die Tür zu seinem Zimmer.„Hallo Jo, komm rein!“

In seinem Büro fragte er, wie weit meine Scheidung von Helene sei.„Alles läuft problemlos. Nun hör aber auf zu schwätzen und um den heißen Brei herumzureden. Wie sehen die letzten Laborwerte aus?“, fragte ich ziemlich grob, um diesen Termin ganz schnell hinter mich zu bringen.„Jo, für eine Operation ist es fast schon zu spät, jetzt hilft nur noch ...“Manfred war froh, unterbrochen zu werden, als der Notruf erklang. Der Notfall konnte jedoch an einen der Oberärzte delegiert werden.Bevor er mit seinen Ausführungen wiederbeginnen konnte, fragte ich ihn ganz direkt, wie lange mein Krebs mir noch Zeit ließe. Er möge aber nicht sagen, dass es darauf ankäme.„Jo, also Klartext: maximal ein Jahr, wahrscheinlich aber kürzer. Wahrscheinlicher sind sieben oder acht Monate.“„Danke für die klaren Worte. Machs gut und schicke bald die Rechnung. In zwei Wochen werde ich nicht mehr erreichbar sein.“„Was hast Du vor, lieber Joseph?“„Mach Dir keine Sorgen. Zunächst werde ich so vor mich hinkrebsen und meinen absterbenden Körper beobachten. Das will ich aber im Süden in der warmen Sonne tun und nicht hier in dieser fast immer trüben Stadt. Außerdem möchte ich für Helene kein Pflegefall werden und rechtzeitig Hand an mich legen können. Ich will meine letzten Tage einfach nur genießen und mein Geld ausgeben. Muss für niemand mehr sorgen und habe auch keine Erben. Nur ein Problem habe ich noch. Wann merke ich, dass die Zeit gekommen ist, dass ich Hand an mich legen muss?“„Das merkst Du mit Sicherheit, glaube mir!“„Bevor ich verschwinde, sag mir bitte noch, warum es mit dem linken Bein immer schlechter wird?“Manfred erklärte mir, dass im Verlauf vieler Krebserkrankungen Schmerzen an verschiedenen Stellen auftreten könnten. Das liege daran, dass der Tumor das ihn umgebende Gewebe verdränge, in Nachbarorgane hineinwachse oder auf Nerven drücke. Es könnte sogar sein, dass fortgeleitete Schmerzen auftreten. Diese würden dann nicht am Ort ihrer Entstehung wahrgenommen, sondern in einer anderen Region des Körpers.„Deine malignen Melanome haben schon eine sehr höckerige Oberfläche und Knötchen, was deutlich auf eine vertikale Wachstumsrichtung hinweist. Sie haben auch schon Metastasen gebildet und diese befinden sich in der Leistengegend. Es ist aber unwahrscheinlich, dass Dein Verstand leiden wird.“„Na, dann bin ich ja beruhigt“, antwortete ich und verließ meinen Schulfreund. Die Sekretärin konnte ich nicht mehr grüßen, mein Hals war zu trocken geworden. Ich dachte nur noch daran, dass ich noch acht Monate hätte.

Helene würde ich nichts von der Diagnose sagen, das stand fest.Doris ginge mir nur auf die Nerven, wenn sie wüsste, dass es bald mit mir vorbei sein würde.„Wenn ich jetzt einfach die Beziehung zu Doris beende, hätte ich meine Ruhe und sie müsste mich nicht bemuttern, was mich ohnehin entsetzlich stört. Wegen meines fast schwarzen Beines läuft im Bett ohnehin nichts mehr. Ist doch eine reine Vernunftsbeziehung geworden. Außerdem habe ich sie doch nur benutzt, um gegenüber Helene einen Scheidungsgrund zu haben“, überlegte ich einen Moment lang.„Nein, das ist unfair nach der Zeit, die wir zusammen verbracht haben. Außerdem hat sie sich so auf die Kreuzfahrt gefreut“, sagte ich mir.

In meinem Büro wartete Doris. „Wann wirst Du Dir endlich ein Handy zulegen. Ich versuche schon den ganzen Tag Dich zu erreichen und niemand weiß, wo Du bist.“Ich gab ihr keine Antwort.Sie wusste ganz genau, dass ich außerhalb des Büros für niemanden erreichbar sein wollte. Und im Büro lief jeder Anruf über die Geschäftsstelle und die Zimmerfrau, so nannte ich die Beamtin, die eigentlich Zimmermann hieß. Sie ließ ohnehin kaum ein Gespräch durch.Heute hatte ich sie offenbar mit „Frau Zimmermann“ angesprochen und sie reagierte darauf sehr erstaunt.„Seit mehr als fünf Jahren sagen Sie „Zimmerfrau“ zu mir, was ist mit Ihnen los?“, fragte sie mich und sagte dann gleich: „Wir haben nicht damit gerechnet, dass Sie heute noch einmal kommen würden. Es ist alles erledigt und auch schon an Ihre Vertreterin delegiert und zu deren Unterschrift umgeschrieben.“„Was hätte ich all die Jahre nur ohne diese Frau gemacht?“, dachte ich mir und ging wortlos in mein Büro.

Doris fuhr das Auto nach Hause. Sie redete wie ein Wasserfall, wobei es immer nur um die Kreuzfahrt ging, zu der ich mich hatte überreden lassen. Ich hörte nicht wirklich zu, sagte aber von Zeit zu Zeit: „Ja, ja.“ Gott sei Dank wollte Doris zu sich nach Hause. Ich war richtig froh darüber, dass sie nicht über Nacht blieb.

„Was hatte Manfred, der Professor, gesagt? Maximal noch ein Jahr; wahrscheinlich aber weniger“, überlegte ich erneut.„Was, oder wie lange ist weniger? Ein Jahr hat 365 Tage. Aber wie viele Tage sind weniger? Wenn ich die Melanome an meinem Bein betrachte, wird es wohl eher weniger sein.Zuerst waren es nur münzgroße Melanome. Jetzt haben sie schon die Leiste befallen. Also beschließe und verkünde ich, der Richter, für mich und nur für mich allein, dass ich wahrscheinlich noch 30 Wochen habe“, erzählte ich mit mir selbst.„Diese Woche zähle ich aber nicht mehr mit, man muss ja nicht zu pingelig sein. Und nächste Woche steht die einvernehmliche Scheidung von Helene an. Na gut, diese Woche werde ich schon mitzählen“, überlegte ich.

Noch 30 Wochen

„Beide Parteien erklären, dass sie auf ein Rechtsmittel gegen den soeben verkündeten Beschluss verzichten. So soll es im Protokoll stehen?“, fragte der Richter.Helene und ich antworteten mit einem klaren „Ja“.„Damit sind Sie nunmehr geschieden. Die Sitzung ist geschlossen.“Helene war ganz flott aufgestanden, hatte ihren Mantel vom Kleiderhaken genommen und schaute mir zu, wie ich mich mühsam von meinem Stuhl erhob. Ich wollte mein Problem mit dem linken Bein kaschieren, was mir aber nicht besonders gut gelang; musste den neu erworbenen Gehstock benutzen.„Ist es noch schlimmer geworden?“, fragte sie und stützte mich.Als wir den modernen und großzügigen Sitzungssaal verließen, fragte mich Helene, warum dieser Kollege als Familienrichter eigentlich Jura studiert haben müsse und warum wir, also die Zivilkammern beim Landgericht, in kleinen muffigen Sitzungssälen säßen.Ich hatte keine Lust, das alte Thema neu zu diskutieren; zumal der Kollege Familienrichter am Anfang seiner beruflichen Laufbahn in meiner Kammer Assessor war und ich ihm wegen seiner juristischen Fähigkeiten empfohlen hatte, sich statt mit großen juristischen Problemen zu beschäftigen, doch lieber Familienrichter zu werden.

„Hast Du Lust, essen zu gehen? Wir könnten zum Italiener“, fragte ich und Helene antwortete wie erwartet: „Jo, das ist eine gute Idee. Ich habe alle meine Nachmittagstermine verlegt und alle Zeit der Welt.“„Gut, dann auf!“Sobald ich einige Schritte gegangen war, ging es ohne Stock. Nur mit dem Autofahren wurde es immer komplizierter. Trotzdem fuhren wir mit meinem Auto zum Restaurant.

„Wollen wir nicht doch noch die Autos tauschen?“, fragte Helene.Im Vorfeld unserer Scheidung hatten wir uns über alles freundschaftlich und einvernehmlich geeinigt.War ja auch nicht schwierig, da wir beide über je ein ausreichendes Gehalt verfügten und Helene unser Haus erhalten sollte. Für eine Übergangszeit wollte ich lediglich die Souterrainwohnung nutzen, womit Helene einverstanden war. Wegen unserer Autos hatte ich das Gefühl, dass Helene lieber den Mercedes als den BMW wollte. Ich hatte keine besondere Beziehung zu einem Auto, sodass es mir egal war.„Der Mercedes ist doch für Dich bequemer, zumal es mit Deinem Bein offenbar schlechter wird“, sagte Helene.

Während des Essens hatte sie mich vom Wechseln der Autos überzeugt. Sie hatte noch immer die besondere Gabe, mir kein schlechtes Gewissen zu machen.„Hans will demnächst zu mir ins Haus ziehen. So richtig begeistert bin ich davon nicht. Eine eventuelle Trennung wird mit Sicherheit nicht so einfach wie mit Dir“, sagte Helene fast nebenbei.Ich gab ihr keine Antwort, warum auch?„Wie wird es mit Doris und Dir weitergehen?“Eine verbindliche Antwort konnte ich nicht geben, weil es doch in letzter Zeit in meiner Beziehung zu Doris recht oft ruckelte und sie doch nur ein Vorwand war, mich von Helene zu trennen.„Ich weiß es nicht. Nächste Woche machen wir eine Mittelmeerkreuzfahrt; mal sehen, was danach wird“, gab ich letztlich doch als Antwort.„Das glaube ich Dir nicht, Jo. Du und eine Kreuzfahrt?“„Ja, ich habe mich überreden lassen.“„Jetzt wirst Du aber wirklich alt. Demnächst gehst Du auch noch in ein Musical“, sagte Helene.„Manfred meinte, unbedingt operieren zu müssen. Doch ich will nicht. Auf der Kreuzfahrt will ich aber nochmals alles bedenken.“„Ist es so schlimm mit Deinem Bein?“, fragte jetzt Helene und fuhr zugleich fort: „Du weißt, dass Du auch weiterhin auf meine Hilfe zählen kannst. Hans wird erst dann bei mir einziehen, wenn Du mich nicht mehr brauchst.“„Lass ihn ruhig einziehen. Ich will keine Hilfe von Dir“, sagte ich ihr.Jetzt war ja erreicht, was ich wollte. Helene müsste mich im Notfall auf keinen Fall pflegen. Wenn ihr das bewusstwird, was wird sie mich dann beschimpfen.„Du wirst Dich nicht mehr ändern, alter Jo. Aber bitte erzähl mir später ausführlich von Deiner Kreuzfahrt.“„Mach ich“, sagte ich gedankenverloren und bestimmt etwas traurig, weil ich Helene ja nie den wirklichen Grund für meinen Scheidungswillen gesagt hatte.Gut, dass ich mich schon übermorgen auf Kreuzfahrt begebe, dann laufe ich auch nicht Gefahr, Helene versehentlich den wahren Grund für unsere Scheidung zu nennen.

Noch 29 Wochen

I.

Der Tag nach der Scheidung war furchtbar. Ich hatte ein schlechtes Gewissen und wusste nicht, aber auch gar nicht, mit mir anzufangen. Meine Krebserkrankung und das baldige Ende meines Daseins machten mich so zornig, dass ich es jetzt nicht mehr erwarten konnte, mit Doris loszufahren. Gut, dass Doris in ihrer eigenen Wohnung geblieben war; ich hätte sie heute nicht ertragen können.

Nach meinem Selbstgespräch, oder besser gesagt, nach meiner Selbsterkenntnis packte ich meinen kleinen Koffer für die Kreuzfahrt.In meinem Schrank befanden sich nicht mehr viele saubere Unterwäscheteile.Ich verstaute noch drei weiße Hemden und zwei karierte Flanellhemden, eine Jeans und eine Cordhose. Danach hatte ich keine Lust mehr zum Packen und trank noch eine Flasche Champagner. Im Kühlschrank fand ich noch eine Palette Räucherlachs und etwas Käse. „Was will man mehr, Champagner, Lachs und einen guten Ziegenkäse?“, sinnierte ich und versuchte einzuschlafen.

Es war bereits neun Uhr, als ich wach wurde.Auf dem Anrufbeantworter leuchtete die Zahl drei. Alle drei Anrufe stammten von Doris. Ich hatte das Telefon leise gestellt und deshalb das Läuten nicht gehört, wollte es auch nicht hören. Die drei Anrufe löschte ich, ohne sie abgehört zu haben.Der Kühlschrank war gestern Abend leer geworden, sodass ich mir nur eine Tasse Kaffee machen konnte. Noch vor dem ersten Schluck klingelte das Telefon. Doris wollte wissen, wann ich bei ihr sein würde.„Ich fahre in einer viertel Stunde los“, antwortete ich ihr.

Auf der Autobahn wurde Doris ruhiger. Sie wollte unbedingt, dass ich das „Navi“ einschalte. Ich konnte ihr nicht verständlich machen, dass man auf einer Autobahn kein Navi benötige, weil die Staumeldungen ohnehin im Radio gesendet würden und es meist sinnlos sei, einen Stau weiträumig zu umfahren.„Und woher weißt Du, wohin Du fahren musst?“, fragte sie.Meine Antwort, dass ich doch die Wegweiser immer noch selbst lesen könne und dafür keinen Vorleser brauche, überzeugte sie nicht. Schließlich gab ich nach, um meine Ruhe zu haben. Ich hatte allerdings den Ton abgeschaltet, sodass auch Doris bald nicht mehr auf die Anzeige des „Navi“ schaute.

Gegen Mittag passierten wir das Frankfurter Kreuz und Doris war mit ihrem Make-up endlich fertig; dafür begann sie, wieder laut zu reden.Ich war mir sicher, dass sie das Schminken und laute Reden auch dann nicht gelassen hätte, wenn sie gewusst hätte, wie mich das nervt.Helene hatte sich kaum geschminkt, war ruhig und gab nur gescheites Zeug von sich.Hinter Heidelberg schlief Doris endlich mit offenem Mund ein.Ich gab mir Mühe, sehr gleichmäßig zu fahren, damit sie recht lange schlafen und ich sie so einige Zeit ertragen konnte.Am Kaiserstuhl wurde sie wach und wir hielten an der nächsten Raststätte.Ich hatte immer noch nicht begriffen, dass man zuerst pinkeln gehen muss, um danach den Kaffee mit dem Pinkelbon zu bezahlen.Doris hatte schon oft versucht, mir das plausibel zu machen. Mir war dieses Ritual zu blöd. Wenn ich pinkeln muss, dann muss ich Pinkeln, und wenn ich einen Kaffee will, kaufe ich mir einen Kaffee.Doris hatte ja recht, dass man das Pinkelgeld gleich wieder zu Kaffee machen könne, bevor man den Bon verlöre. In letzter Zeit wollte ich aber irgendwie nicht mehr das machen, was Doris vorschlug.

Nach der Weiterfahrt war ich gedankenverloren.Bevor ich weiter sinnieren konnte, wurden im Autoradio die aktuellen Fußballergebnisse bekannt gegeben. Ich hatte für den Moment vergessen, dass Doris ein großer Fußballfan war und man sich mit ihr überhaupt nicht mehr vernünftig unterhalten konnte, wenn es um Fußball ging. Die Vita jedes Spielers war ihr bekannt. Sie kannte jede Kleinigkeit von „ihrer“ Mannschaft, insbesondere was und wie es der Trainer ausdrückte.Mir fiel wieder der Kommentar eines meiner Beisitzer ein: „Aber immerhin „chapeau!“ vor den Trainern, die es schafften, eine Gruppe nicht gerade hochbegabter und meist noch spät pubertierender jüngerer Männer dazu zu bringen, auf dem Spielfeld das zu tun, was sie, die Trainer, wollen. Das führt dann auch noch dazu, dass zigtausend Fans in den Vereinsfarben gekleidet, brüllend oder singend in Jubelstürme oder Buhrufe ausbrechen und nach dem Spiel fachkundig diskutieren. Dabei sind sie dann die größten Fachleute aller Zeiten und wissen zu analysieren, was wer falsch oder richtig gemacht hat und wie viele Millionen der einzelne Spieler bei objektiver Betrachtung wert ist. Selbst der Schiedsrichter wird dabei nicht ausgenommen.“Und dann fiel mir noch der typische Satz ein: „Wir hätten ja gewonnen, wenn nicht ...“„Eine merkwürdige Massenpsychose bescheidener Intelligenzen ist das doch“, sagte ich mir und dachte dabei daran, dass schon die Alten Römer die Massen durch Brot und Spiele in Schach halten konnten.

Anfangs unserer Beziehung fand ich es lustig; eine erwachsene Frau mit solchen Eigenschaften. Doch bald wurde es immer unerträglicher. Das waren schon schizophrene Züge und jetzt entsetzte mich dieses infantile Gehabe, sodass ich immer öfter ihre Nähe mied, wenn ihre Mannschaft spielte oder Fußballzeit war.Berufsbedingt hatte ich mir ein extremes Kurzzeitgedächtnis antrainiert, weil man ja sonst nicht mehrere Verfahren am Tage verhandeln konnte.Diese Eigenschaft führte aber auch dazu, dass ich mir nicht merken konnte oder wollte, wie ihre Lieblingsmannschaft hieß und wie die Ergebnisse der letzten Spiele und der Tabellenstand waren.Wenn ich es recht bedenke, war das ein Hauptgrund dafür, dass wir uns alsbald auseinandergelebt und kaum noch gemeinsame Interessen hatten.

Als ich so in meinen Gedanken versunken weiterfuhr, wurde die Fußballberichterstattung durch eine aktuelle Verkehrsmeldung unterbrochen. Irgendwo lief ein Hund auf der Autobahn herum und die Autofahrer wurden deshalb gewarnt.Doris regte sich furchtbar darüber auf, dass wegen eines Köters die Liveübertragung der Fußballspiele unterbrochen werden musste.Mir hingegen wurde bewusst, wie mobil unsere Gesellschaft geworden ist und wie wichtig uns diese Mobilität war, sodass der heutige Autofahrer schon vor einem Hund als Hindernis gewarnt werden musste.Die Fußballberichterstattung ging weiter und ich überlegte, wie lange man wohl früher mit der Postkutsche bis Marseille gebraucht hätte? Eine solche Reise war bestimmt weniger anstrengend als die gerade laufende Radiosendung.„Diese Frau ist nicht nur von bescheidener Intelligenz, sondern auch noch anstrengend. Warum verbringe ich eigentlich meine letzten Tage mit ihr?“, fragte ich mich und rechnete, dass die Kreuzfahrt mit Hin- und Rückreise ungefähr gute zwei Wochen, also ein Fünfzehntel meines restlichen Daseins, ausmachen würde.Die Franzosen sagen: „Elle travaille du chapeau!“, was auf Deutsch so viel bedeutet wie: Bei der ist eine Schraube locker.

Vor der Grenze fiel mir wieder ein, dass Doris noch nie in Frankreich war.„Hoffentlich nervt sie mich nicht noch mehr“, dachte ich mir.Es kam wie befürchtet.Jede Schilderbeschriftung musste ich übersetzen und alles erklären. Bei den Erklärungen war ich recht großzügig, weil sie es ohnehin nicht kontrollieren konnte.Ich erinnerte mich an meinen ersten Frankreichaufenthalt. Mein Französisch war schlecht und ich war von allem so begeistert, dass ich alles durcheinanderbrachte. Doris aber stellte nur dumme Fragen.Als ich ihr erklärte, dass man im Französischen das „e“ ohne Apostroph in aller Regel nicht aussprechen würde, fragte sie mich doch allen Ernstes, warum die Franzosen es schreiben würden, wenn sie es doch nicht aussprächen. Dann könnten sie es doch auch weglassen.Was sollte man auf eine solche Frage antworten? Mir fiel nur die sarkastische Bemerkung ein, dass die Franzosen im Gegensatz zu den Deutschen eine ungebildete Nation seien, was Doris ohne Widerspruch hinnahm.

Ich versuchte ihr noch zu erklären, dass sich in Frankreich im Grunde alles nur um das Essen drehen würde und dass man sagt, dass der Deutsche isst, um zu arbeiten und der Franzose arbeitet, um zu essen. Ein gutes Essen gehöre ganz einfach zur französischen Lebensart. Es bringe traditionell alle Familienmitglieder an einem Tisch zusammen, nicht nur um gemeinsam die Speisen zu teilen, sondern bei einem mehrgängigen Menü auch der Kultur zu frönen. Wenn sich zwei Franzosen treffen, würde alsbald und ganz selbstverständlich über Essen und Trinken geredet. Das gemeinsame Essen und Trinken sei eine Zeit, die klügere Menschen zur Optimierung ihrer Sinne und Fertigkeiten nutzten. Weniger helle Köpfe füllten beim Essen lediglich den leeren Magen und beseitigten so ihr Hungergefühl. In Deutschland sei das Essen nur eine reine Nahrungsaufnahme. Die Franzosen hingegen lebten nach der Devise: „Mais il faut bien manger et boire, pour vivre.“Doris hatte die Übersetzung nicht verstanden, dass die Franzosen gut essen und trinken müssten, um zu leben.Mir wurde wieder klar, wie einfältig diese Frau war und ich dachte mir: „Sie ist doch die typische Reisegruppentouristin. Diese Leute buchen ihre Reisen mit einem Reisführer und lassen sich in recht kurzer Zeit durch das fremde Land führen. Für sie es nicht notwendig, die fremde Sprache wenigstens auch nur teilweise zu verstehen, weil sich der Reiseführer ja um alles kümmert; sogar um das, was man zu besichtigen hat. Dabei sind sie stolz auf die „Freizeit“, die man bei solchen Reisen ebenfalls genießen kann. In dieser Zeit der individuellen Gestaltung der Reise irren sie dann ziellos in der Gegend oder Stadt herum oder setzen sich in das nächste Café. Zu Hause berichten sie dann stolz, dass sie jetzt das fremde Land kennen und ihre Vorurteile bestätigt sind.“

Was sollte ich Doris von Frankreich, den Lebensgewohnheiten der Menschen oder den Sehenswürdigkeiten groß erzählen? Sie wollte doch nur recht schnell nach Marseille und auf das Kreuzfahrtschiff.„Warum tue ich mir das in meinen letzen Tagen noch an?“, fragte ich mich erneut, wäre fast zornig über mich selbst geworden und verglich Doris unweigerlich wieder mit Helene.Sie hätte bestimmt gesagt, dass sie und ich für den Kreuzfahrtpreis für das westliche Mittelmeer gerade einmal bis Genua gekommen und dort hängen geblieben wären, weil 14 Tage nicht ausgereicht hätten, Genua einigermaßen kennenzulernen.

Ein französischer Freund hatte Helene und mir einmal erklärt, dass er die Deutschen nicht verstehen könnte.Je weiter man nach Norden oder Osten käme, je kohliger würde die Suppe und kartoffeliger der Hauptgang. So könnte doch kein vernünftiger Mensch überleben.Außerdem habe er in Deutschland von den Hausfrauen oft den Satz gehört, dass sie nicht wüssten, was sie heute kochen sollten. Er wundere sich heute noch über eine solche Frage und ein solches Problem der deutschen Frauen. In Frankreich seien solche Fragen und Probleme unbekannt.Ich ließ es sein, Doris dies zu erzählen. Sie hätte mich ohnehin nur unverständlich angeschaut und vielleicht laut gesagt, dass ich spinnen würde.

Von Lyon war sie allerdings begeistert. Ich hatte nicht die Périphérie genommen, sondern benutzte die Stadtautobahn.Wie immer befuhr ich die „alte Soleil“, weil man zunächst einen herrlichen Blick über das Stadtviertel an der Schleife des „Quai Joseph Gillet“ hat.Danach durchfuhr ich die beiden riesigen Tunnels.Im „Vieux Lyon Quarantaine“ machte ich Doris darauf aufmerksam, dass wir fast in Höhe der zweiten Etage an den alten Stadthäusern vorbeiführen.Doris beachtete das Stadtviertel unmittelbar an der Rhône mit dem Gefängnis und den Markthallen nicht mehr richtig.Als wir Lyon, also auch das fürchterliche Feyzin, verlassen hatten und uns wieder auf der „richtigen Autoroute du Soleil“, der A 7, befanden, musste ich ihretwegen dringend den nächsten Parkplatz ansteuern.

In Montélimar hatte ich keine Lust mehr, weiter zu fahren.Doris wollte jedoch noch weiter und erst in der Nähe von Marseille übernachten, damit wir auch ja nicht das Kreuzfahrtschiff, das ja erst am Montag, also übermorgen, in See stechen sollte, verpassen würden.

Mir war nicht nach einer Diskussion und ich fuhr einfach von der Autobahn ab und steuerte eines der praktischen Hotels unmittelbar nach der Ausfahrt an.Diese Hotelketten unterhalten saubere motelähnliche Unterkünfte. In der Woche sind sie zwar fast immer ausgebucht, doch am Wochenende übernachten kaum Geschäftsreisende.Für alle diejenigen, die der französischen Sprache nicht mächtig sind, gibt es die Möglichkeit mithilfe der Kreditkarte an einem Automaten, an dem man fast alle gängigen Sprachen wählen kann, einzuchecken. Der Schlüssel fällt in eine Ablage und man geht in sein Zimmer.Am Morgen kann man das Hotel einfach und ohne Worte verlassen, es sei denn, man frühstückt noch. Aber auch das Frühstück kann man wortlos mit seiner Kreditkarte bezahlen und fährt ausgeruht weiter.Ich hingegen checke stets an der Rezeption ein, weil ich ein Zimmer mit zwei Betten brauche. Das französische Doppelbett mit einer durchgehenden Zudecke ist mir ein Grauen. Alles ist straff untergeschlagen. Hat man es endlich geschafft, die Decke von der Matratze zu befreien, geht der Kampf der beiden Schläfer um dieses Ding erst richtig los. Morgens ist man dann wie gerädert.Außerdem halten diese Hotels meist typische lokale Gerichte bereit. Dieses preiswerte Essen ist zwar nicht jedermanns Geschmack, doch ich liebe es und bin selten enttäuscht worden.„Ein anderes Land kann man doch nur dann wirklich kennenlernen, wenn man sich nach Landessitte durchisst und durchtrinkt“, ist meine Devise.„Man kommt doch auch nicht auf die Idee, in einer oberbayrischen Dorfkneipe Austern zu bestellen, nur weil man solche Muscheln gern isst, oder?“, hätte Helene mich ergänzt.

„Das ist also eines Deiner gelobten französischen Hotels?“, fragte Doris und ich überlegte:„Was sollte ich ihr darauf antworten? Für sie besteht ein Restaurant oder Hotel nur aus purem Luxus. Dabei ist es ihr egal, ob alles nur vorgespielt wird oder nicht. Hauptsache, sie ist der Mittelpunkt und das Personal behandelt sie wie eine Diva.“

Helene war auf Reisen das genaue Gegenteil. Vor Urlaubsantritt ließ sie sich die Haare ganz kurz schneiden, zog Jeans, ein T-Shirt und Turnschuhe an.Nur die Augen zog sie mit einem Stift ganz leicht nach, benutzte sonst keine anderen Schminkmittel oder gar Parfüm.Sie hatte auf unseren Fahrten auch den Vorschlag gemacht, in diesen Motels auf der Anfahrt zum eigentlichen Urlaubsgebiet zu übernachten.„Man kommt spät an, ist müde und will nur eine Kleinigkeit essen, duschen und bequem schlafen. Da nervt doch ein normaler Hotelbetrieb nur“, war ihre Devise.Sie hatte ja so recht und war auf Reisen eine so angenehme Begleiterin.

Im Restaurant, das nur über die Rezeption zu erreichen war, ging Doris gezielt auf das Buffet zu, nahm sich ziellos die ihrer Meinung nach teuersten Speisen und kam zum Tisch, den ich in der Zwischenzeit ausgesucht hatte.„Willst Du denn nichts essen? Am Buffet gibt es leckere Sachen, aber Du müsstest Dich beeilen, weil schon einige Platten leer sind“, empfahl sie mir ganz weltfraulich.

„Warum konnte Helene nicht hier sein und mir die mit Kreide über dem Tresen aufgeschriebenen Empfehlungen des Tages vorlesen?“, dachte ich und wurde ganz traurig.Ich konnte ohne Brille die Handschrift des Kochs nie richtig lesen und Helene machte sich einen Spaß daraus, mir einiges „verkehrt“ vorzulesen.Plötzlich stand der Koch hinter dem Tresen und ich konnte ihn fragen, ohne mich mit dem Lesen zu mühen, zumal es lokale Begriffe waren, die ich meist nicht richtig übersetzen konnte.Der Koch empfahl als Vorspeise saure Kutteln und danach in einer Rettich/Weißweinsoße gekochtes Ochsenfleisch.„Nehmen Sie dazu einen trockenen weißen Cote du Rhône“, empfahl er weiter und ging in die Küche zurück, um meine Bestellung zuzubereiten.

Helene wäre von meiner Bestellung begeistert gewesen, Doris hingegen überkam ein leichtes Ekelgefühl.Nach dem Essen machte ich mich zuerst bettfertig und zog einen Schlafanzug mit langer Hose an, damit mein Bein nicht zu sehen war.Doris brauchte im Bad fast eine Stunde, um ihre Tagesbemalung zu entfernen.In dieser Zeit war ich bereits das erste Mal eingeschlafen. Als sie endlich fertig war und sich zu Bett legte, sah man deutlich den Unterschied ihres Aussehens bei Tag und für die Nacht.„Eigentlich ist das gar nicht so schlecht, wenn man zwei unterschiedliche Frauen hat. Nur welche ist ansehnlicher. Bei Tag ist sie bunt und bei Nacht aschfahl und der Hals hat eine Reptilienhaut. Gut, dass sie nicht auch noch die dritten Zähne aus dem Mund nimmt“, überlegte ich und tat so, als wenn ich schlafen würde, um mich nicht auch noch unterhalten zu müssen.Helene sah am Tag genauso aus wie in der Nacht. Ihre Abendtoilette dauerte kaum länger als die Meinige. Zähneputzen und ausgiebig duschen. An mehr konnte ich mich nicht erinnern.

Wenn sie statt Doris jetzt hier gewesen wäre, hätten wir uns vielleicht über das Schminken der Frauen unterhalten und bestimmt festgestellt, dass Frauen von Natur aus gar nicht hässlich seien. Es käme nur darauf an, wie man Hässlichkeit definieren müsse.Indem sich Frauen mit Farbe beschmieren, würden sie doch nur ihre natürliche Schönheit übertünchen und sich damit eigentlich unansehnlich machen.„Und warum haben sich Frauen bereits in vorgeschichtlicher Zeit schon bemalt?“, hätte ich gefragt und Helene hätte vielleicht - oder ganz bestimmt - geantwortet, dass es zwar richtig wäre, dass das Verzieren des eigenen Körpers so alt wie die Menschheit sei. Nur wurde dies im Rahmen des damaligen Fruchtbarkeitskultes zelebriert und hätte nur schamanischen und rituellen Zwecken gedient.Und bestimmt hätten wir beide gehofft, dass es nicht auch noch modern würde, sich zu skarifizieren.

Weil ich wieder an Helene dachte, konnte ich nicht sofort wieder einschlafen.Jetzt musste ich auch noch an die Sprüche meines Beisitzers Gehrich denken und hätte fast gelacht, statt mich schlafend zu stellen.In einer Beratung hatte Gehrich süffisant erzählt, dass seine jetzige Putzfrau vor ihrer Anstellung in seinem Haushalt Verkäuferin in einem Parfümgeschäft gewesen sei.Es war damals zu einer kurzen Unterhaltung über Schönheit der Frauen gekommen. Meine andere Beisitzerin - ihren Namen habe ich schon vergessen - hatte bemerkt, dass doch die Frauen im Rokoko sich auffallen schöngemacht hätten, was doch gar nicht so schlecht gewesen sei. Und bestimmt seien die Schminkmittel wasserfest gewesen, weil sie lachen oder weinen konnten, ohne dass die Wimpertusche über die Wangen gelaufen wäre.Gehrich, der Scherzbold der Kammer, hatte ihr darauf geantwortet, dass das zutreffend sei. Doch die Männer hätten nicht diese Frauen gepoppt, sondern die Mägde.Die Beisitzerin war von dieser Äußerung so echauffiert, dass sie die Beratung unter Protest verlassen hatte und beim Herausgehen zu Gehrich sagte: „Herr Kollege, wo bleibt die aura academia?“„Mir fehlt nicht nur meine kluge Helene, sondern auch das lose Mundwerk des Kollegen Gehrich“, dachte ich und schlief ein, ohne Doris noch einmal angesehen und ohne ihr eine gute Nacht gewünscht zu haben.

Am nächsten Tag, dem Sonntag, war genügend Zeit, weil es bis Marseille eigentlich gar nicht Doris ließ sich überreden, nur bis Salon-de-Provence zu fahren und auch dort nur in einem ähnlichen Hotel wie in Montélimar zu übernachten.Ich hatte ihr erklären können, erst am Montag bis zum Ende der A7 in Marseille, im Stadtteil Saint-Lazare, zu fahren; dort das Auto in einem Parkhaus abzustellen und dann ein Taxi bis zur Anlegestelle des Kreuzfahrtschiffes, der Môle Léon Gourret, zu nehmen.

II.

Am Check-in-Schalter des Kreuzfahrtschiffes übernahm Doris die Regie.Zum Glück hatte sie bereits vieles online erledigt.„Wo ist Dein Koffer?“, fragte sie mich.Dabei hatte ich meinen Koffer doch in der Hand und ihre zwei Koffer standen neben uns.Nach langem Hin und Her stellte sie entsetzt fest, dass ich meine Sachen für eine Kreuzfahrt niemals in meinem kleinen Koffer verstaut haben könnte.Die Koffer wurden mit Namensschildern und der Nummer unserer Kabine versehen. Irgendwelche Arbeiter nahmen das Gepäck entgegen und nun wurden unsere Reisepapiere wie an einem Flughafen kontrolliert.Doris und auch ich bekamen je eine Cruise-Card und konnten nun auf das Schiff.Erstaunlicherweise fand sich Doris sofort zurecht; ich hingegen hatte Orientierungsschwierigkeiten. Die engen langen Gänge mit den vielen Kabinentüren erinnerten mich an die modernen Riesenhotels in Berlin.Gut, dass wir eine Außenkabine mit Balkon gebucht hatten.Ohne Balkon hätte ich bestimmt Platzangst bekommen. Zwei Betten, ein Sofa und ein Sessel mit Tisch auf vielleicht 20 qm Kabinenfläche waren gewöhnungsbedürftig. Der Balkon vermittelte aber das Gefühl, in einem größeren Käfig zu sein.

Mein Beisitzer Ernst Gehrich hatte mir vor meinem Urlaub den Rat gegeben, nicht mit einem deutschen Kreuzfahrtschiff zu fahren.Er war ein ganz brillanter Zivilrechtler und der Witzbold in der Kammer. Er wusste nicht nur auf juristischem Gebiet sehr viel, sondern behauptete, auch sonst alles zu kennen und zu wissen. Wenn man jedoch nachfragte, gab es alsbald ein riesiges Gelächter.So behauptete dieser Gehrich auch, dass man in Deutschland eine Kreuzfahrt nur „all-inclusive“ buchen könne. Es gäbe lediglich die Möglichkeit, ein bestimmtes Getränkepaket zu wählen. Französische Anbieter hingegen würden eine Art Individualkreuzfahrt verkaufen.Auf meine Frage, ob er denn schon einmal eine Kreuzfahrt unternommen hätte, erklärte er in der ihm eigenen Art, dass dies zwar nicht der Fall sei, er aber einen kennen würde, der einen kenne, der das ganz genau wisse.