Atommacht Iran - David Patrikarakos - E-Book

Atommacht Iran E-Book

David Patrikarakos

4,8

Beschreibung

Auch wenn der Iran jüngst angekündigt hat, seine Nuklearwaffenpläne vorübergehend zu stoppen – Teherans Atomprogramm birgt das Potenzial für massive militärische Konflikte im Nahen Osten, die noch wesentlich weitreichendere Folgen haben könnten als der Irakkrieg. David Patrikarakos sprach mit Politikern, Zeitzeugen und den Hauptentwicklern des Nuklearprogramms, entwirft ein facettenreiches Bild von Historie und Hintergründen der Atompolitik und sucht Antworten auf die zentralen Fragen – ob das Atomprogramm eine militärische Dimension besitzt und wie wahrscheinlich ein kompletter Rückzug wäre. Seit über zehn Jahren zählt die iranische Atomkrise zu den beherrschenden Themen der Weltpolitik. Die diplomatischen Beziehungen zum Westen liegen auf Eis, immer wieder ist von möglichen Anschlägen auf iranische Atomeinrichtungen und einem drohenden Krieg im Nahen Osten die Rede. Doch was steckt wirklich hinter dem Atomprogramm des Iran? Nach jahrelangen Recherchen legt David Patrikarakos ein faktenreiches Werk vor, das die Chronologie von den Anfängen des iranischen Nuklearprogramms vor über 60 Jahren unter dem Schah-Regime bis zur aktuellen Krise nachzeichnet. Überzeugend zeigt er auf, welche politische, wirtschaftliche und sogar psychologische Bedeutung das Nuklarprogramm für den Iran hat und in welchem Ausmaß die Anreicherung von Uran die Interessen globaler Konzerne bedient. Sein Fazit: Weil für das Mullah-Regime Glaubwürdigkeit und Identität auf dem Spiel stehen, kann es eigentlich kein Zurück mehr geben.

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Die englische Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel »Nuclear Iran. The Birth of an Atomic State« bei I. B. Tauris & Co Ltd. London © 2012 David Patrikarakos Published by arrangement with I. B. Tauris & Co Ltd. London.

1. eBook-Ausgabe © der deutschen Ausgabe 2013 Europa Verlag GmbH, Wien · Berlin · München Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich Satz: BuchHaus Robert Gigler, München eBook-ISBN 9-783-944305-10-3

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Inhalt

Danksagung

Zu den Schreibweisen

Vorwort

Prolog

TEIL I Der Schritt in die Moderne: das Atomprogramm 1957 bis 2001

Kapitel 1: Am Anfang war die Atombombe: Atomkraft in der Nachkriegszeit

Kapitel 2: Zwei verlustreiche Jahrhunderte: der Iran bei Anbruch des Atomzeitalters

Kapitel 3: Der Pfau möchte sein Rad schlagen: Atomkraft zur Zeit des Schahs

Kapitel 4: Waffen und der Schah: Atomwaffen während der Herrschaft des Schahs

Kapitel 5: Langsamer Niedergang, schneller Sturz: das Ende des Atomprogramms des Schahs

Kapitel 6: Kinder der Revolution: ein Jahr voller Chaos – 1979

Kapitel 7: Neustart ganz allein – 1980 bis 1989

Kapitel 8: Eine islamische Bombe für den Iran? Atomwaffen in der Islamischen Republik

Kapitel 9: Der wirkliche Neubeginn: das Programm wird umgesetzt – 1989 bis 2002

Kapitel 10: Prolog zum Atomstreit – 1989 bis 1997

Kapitel 11: Aghazadehs Mission: Beschleunigung – 1997 bis 2002

TEIL II Das größere Spiel: die iranische Atomkrise – 2002 bis 2012

Kapitel 12: Krise – 2002 bis 2003

Kapitel 13: Von Teheran nach Paris und darüber hinaus – 2003 bis 2005

Kapitel 14: Ahmadinedschad betritt die Bühne: zurück in die Zukunft – 2002 bis 2005

Kapitel 15: Obama betritt die Bühne: Entspannung im Atomkonflikt? – 2008 bis 2010

Kapitel 16: Das Ende der Diplomatie? Die Alternative zu Verhandlungen – 2010 bis 2012

Kapitel 17: Schlussbetrachtung

Anhang A: Der nukleare Brennstoffkreislauf

Anhang B: Der Brennstoffkreislauf für die Energiegewinnung im Iran

Anhang C: Der Weg zu einer Atombombe

Bibliografie

Endnoten

Danksagung

Wie üblich ist die Liste der Menschen, denen ich für ihren Beitrag zur Entstehung dieses Buchs danken möchte, lang und trotzdem sicher unvollständig. An erster Stelle danke ich Norman Dombey und Ali Vaez, dass sie sich die Zeit genommen haben, das Manuskript zu lesen, mich auf Fehler hinzuweisen und Verbesserungsvorschläge zu machen. Mit ihrem wissenschaftlichen Sachverstand haben sie das schwarze Loch meiner Unwissenheit ausgefüllt. Ihre Geduld und ihre Großzügigkeit bei der Beantwortung meiner Fragen waren unendlich wertvoll für mich. Selbstverständlich bin ich für alle Fehler allein verantwortlich; wahrscheinlich habe ich in den meisten Fällen nicht richtig zugehört oder die Antworten nicht richtig verstanden.

Außerdem schulde ich Alan Ramon Ward und Bryn Harris tiefen Dank, sowohl für ihre Freundschaft über so viele Jahre hinweg als auch dafür, dass sie neben ihren zahlreichen eigenen Projekten die Zeit gefunden haben, immer wieder Teile dieses Buchs zu lesen, oft sehr kurzfristig und manchmal in Situationen, wenn ich etwas nicht mehr objektiv anschauen konnte. Ihre Kommentare und Vorschläge waren für das Buch sehr wichtig. Danke auch an mein liebes »Mondgesicht« Tanya Lawrence und an Kayvan Sadeghi, die ebenfalls viel beigetragen haben.

Hossein Heirini Moghaddam und James Piscatori (der mich überdies denken lehrte) standen mir in den frühesten Phasen dieses Buchs mit ihrem Rat zur Seite. Edmund Herzig half mir in den Anfängen und geleitete mich zusammen mit Homa Katouzian in Oxford durch den modernen Iran. Dominic Brookshaw tat sein Bestes, um mir Persisch beizubringen. Reza Sheikholeslami informierte mich über die Herrschaftszeit des Schahs, Ali Ansari (und seine Schriften) waren für mich sehr erhellend für das Verständnis des modernen Iran. All diese Männer sind wissenschaftliche Experten für den Mittleren Osten, und ich habe sehr davon profitiert, was sie mir zu sagen hatten.

Außerdem danke ich allen Mitarbeitern (den wissenschaftlichen und den anderen) am Middle East Centre und ganz besonders am Wadham College der Universität Oxford. Dank ihrer Freundlichkeit (und ihrer Geduld) habe ich glückliche Jahre dort verbracht. Und natürlich danke ich Tom Woodman, ohne ihn wäre das Folgende nicht zustande gekommen.

Ben Judah war von Anfang an eine Quelle der Unterstützung, seit wir dieses große Projekt gemeinsam begonnen haben. Das gilt auch für Ioanna Koutzoukou und Alexis Hood, deren Hilfe unschätzbar und höchst willkommen war. Weiter geht mein Dank an Chris Mitchell und Dai Richards und an David Mainwaring für seine wertvollen Ratschläge zum Publikationswesen insgesamt.

Und schließlich danke ich natürlich meiner Mutter, die mir alles bedeutet, und meinem Bruder Phillip, der jeden Tag bei mir ist. Auch Rene danke ich für Unterstützung über viele Jahre, und meinem Vater, ohne den dieses Buch sicher nie das Licht der Welt erblickt hätte. Seine unerschütterliche Unterstützung in der ganzen Zeit war letzten Endes ausschlaggebend.

Im Juli 2012

David Patrikarakos

Zu den Schreibweisen

Bei der Umschrift der persischen Orts- und Personennamen wurde jeweils die Fassung gewählt, die in deutschen Veröffentlichungen in der Presse und im Internet am gebräuchlichsten war.

Abkürzungen

Karte des Iran mit Anreicherungsanlagen und Atomreaktoren

Vorwort

»Es ist hier [beim Thema Krieg] mehr als irgendwo nötig, mit einem Blick auf das Wesen des Ganzen anzufangen, weil hier mehr als irgendwo mit dem Teile auch zugleich immer das Ganze gedacht werden muss.«

Carl von Clausewitz

Die Welt stolpert möglicherweise in einen neuen Krieg im Mittleren Osten hinein. Seit zehn Jahren liefern sich die westlichen Führungsmächte und der Iran die härteste diplomatische Auseinandersetzung seit der Zeit unmittelbar vor dem Irakkrieg, und sie spitzt sich weiter zu. Die iranische Atomkrise ist allgegenwärtig. In Tausenden von Artikeln in Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen, Dutzenden von Büchern, nahezu täglichen Meldungen und Hunderten von Stunden Berichterstattung in Radio und Fernsehen (von unzähligen Dokumentationen ganz zu schweigen) wurde das iranische Atomprogramm präsentiert, analysiert und beurteilt. Die Krise beherrscht inzwischen die iranische, die europäische und die amerikanische Außenpolitik; in den Medien und in den Regierungen melden sich immer neue Iranspezialisten zu Wort; die Beobachtung des iranischen Atomprogramms ist so etwas wie ein geopolitisches Steckenpferd geworden.

Irans Atompläne – und die Versuche der Weltgemeinschaft, sie zu stoppen – haben sich zur größten weltweiten Krise im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts entwickelt. Es ist ein manichäischer Konflikt mit dem Potenzial, das internationale geopolitische Machtgleichgewicht neu zu ordnen. Auf der einen Seite steht der Iran: ein regionaler Gigant zwischen den beiden größten Energiequellen der Welt – dem Kaspischen Meer und dem Persischen Golf. Der Iran verfügt über die viertgrößten Ölvorkommen und die zweitgrößten Gasvorkommen weltweit; deshalb wird das Land eine wesentliche Rolle dabei spielen, den künftigen Energiebedarf der Welt zu decken. Da der Iran Verbindungen zu schiitischen Gruppen im Irak hat und den Gang der Ereignisse in Afghanistan beeinflussen kann, ganz zu schweigen von seinen langjährigen Beziehungen zu Hisbollah und Hamas, hängt die politische Stabilität im Nahen und Mittleren Osten zu einem erheblichen Grad vom Iran ab.

Dem Iran gegenüber steht eine Koalition der einflussreichsten westlichen Staaten, angeführt von der letzten globalen Supermacht, den Vereinigten Staaten von Amerika. An der diplomatischen Seitenlinie steht Israel, das droht, die Krise bis zu einem Punkt der militärischen Eskalation zu treiben, an dem es kein Zurück mehr gibt. Irgendwo in der Mitte befinden sich neben dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der EU und der Bewegung der Blockfreien Staaten die beiden anderen Großmächte der Welt, China und Russland. Die Atomkrise ist ohne Zweifel in ihrer Tragweite global, und dementsprechend schwerwiegend sind ihre Auswirkungen. Wir sehen bereits steigende Ölpreise, eine wachsende Kriegsgefahr, eine Spaltung zwischen den Mitgliedern des Weltsicherheitsrats und eine weitere Vertiefung der bestehenden Kluft zwischen dem Iran und dem Westen. Die Lösung der Krise – auf die eine oder andere Weise – wird mindestens über eine Generation Folgen für die Welt haben.

Eine Lösung zu finden ist ebenso wichtig wie dringend. Die bisherige internationale Strategie ist gescheitert, der Iran ist so isoliert – und so zornig – wie eh und je. Im letzten Jahr wurde mehr Druck auf das Land ausgeübt als jemals zuvor seit dem Krieg zwischen Iran und Irak, aber der Iran hat nur mit Trotz reagiert. Israels Drohungen, die iranischen Atomeinrichtungen anzugreifen, werden von Tag zu Tag lauter. Wenn man den Worten aus Tel Aviv und Teilen Washingtons Glauben schenken kann, könnte ein Militärschlag unmittelbar bevorstehen. Sollte Israel (oder die USA) einen Angriff starten, hätte das gravierende globale Auswirkungen. Der Iran würde höchstwahrscheinlich unter Missachtung des Atomwaffensperrvertrags Raketen auf Israel abfeuern, US-Streitkräfte in der Golfregion angreifen, Afghanistan und den Irak destabilisieren und vielleicht sogar die Straße von Hormus blockieren, durch die 20 Prozent der weltweiten Ölproduktion transportiert werden. Ein zunehmend feindseliger und instabiler Mittlerer Osten und ein Iran, der entschlossener denn je den Weg zur Atombombe verfolgen würde, sind das Mindeste, was nach einem solchen Angriff zu erwarten wäre.

Obwohl das iranische Atomprogramm mittlerweile seit über 60 Jahren läuft, ist wenig darüber bekannt, vor allem was es für den Iran bedeutet und warum. Bisher hat noch niemand versucht, die ganze Geschichte des Programms von seiner Geburtsstunde bis zum heutigen Tag zu erzählen. Welche Entscheidungen trifft der Iran bei diesem Programm und warum? Wie haben sich die Entscheidungen im Laufe der Jahre verändert? Was steht wirklich im Zentrum der weltweiten Sorgen? Es hat zwar einige hervorragende Abhandlungen zu dem Thema gegeben, aber ein Großteil der verfügbaren Literatur ist entweder auf Sensationsgeschichten aus oder zu oberflächlich oder zu sehr mit einer bestimmten politischen Absicht aufgeladen, um für Historiker wie für Politiker wirklich von Nutzen zu sein.

Das vorliegende Buch soll diesen Problemen abhelfen. Es hat ein anspruchsvolles, aber klares Ziel: die umfassendste Darstellung und Analyse des iranischen Atomprogramms zu liefern, die es gibt. Dementsprechend stützt es sich hauptsächlich auf Primärquellen: offizielle Äußerungen, Aufzeichnungen von Regierung und Parlament, freigegebene Dokumente der Geheimdienste in englischer und in persischer Sprache und natürlich Interviews mit den wichtigsten nationalen und internationalen Akteuren in der über 60-jährigen Geschichte des Atomprogramms. Sekundärliteratur, hauptsächlich Zeitungen und sonstige Medien in persischer und englischer Sprache, wurden ebenfalls herangezogen.

Das Buch erzählt die Geschichte des iranischen Atomprogramms von seinen Anfängen in den späten 1950er-Jahren bis heute. Es beginnt mit einem kurzen Blick auf die Geburt der Atomkraft in der Nachkriegszeit und die Geschichte des Iran in den letzten beiden Jahrhunderten, die bis heute auf den iranischen Staat und sein Atomprogramm nachwirkt. In den Kapiteln 4 bis 6 geht es um die Details der Anfangszeit: die Gründung der Iranischen Atomenergieorganisation (AEOI) und die ausgesprochenen wie unausgesprochenen Gründe des Schahs, ein Atomprogramm zu starten; die Ausweitung des Programms in den späten 1970er-Jahren und die ersten Debatten darüber, dass der Iran womöglich eine Atombombe bekommen könnte. Die Kapitel 7 bis 9 behandeln die Islamische Revolution 1979 und das Hin und Her um das Atomprogramm in den traumatischen Jahren des Krieges mit dem Irak nach 1980. Zunächst wurde es aus ideologischen Gründen gestoppt, kurz danach aber wieder aufgegriffen (zusammen mit einem geheimen Programm zur Urananreicherung), und schließlich wandelte es sich zu einem Symbol iranischer Selbstbehauptung gegenüber einer feindlichen Welt. Die Kapitel 10 bis 12 schildern die Weiterentwicklung des Atomprogramms nach dem Krieg mit dem Irak und die anschwellende internationale Kontroverse, außerdem die Ausweitung der geheimen Aktivitäten, die schließlich darin mündeten, dass die AEOI die Urananreicherung und Plutoniumproduktion vorantreibt, die beiden Wege zu einer Atombombe.

Die weiteren Kapitel des Buchs behandeln den aktuellen Streit um das Atomprogramm. Kapitel 13 beginnt mit der Enthüllung der bislang geheimen atomaren Aktivitäten des Iran im Jahr 2002, was die Atomkrise auslöste. Weiter geht es um die anschließenden Verhandlungen zwischen dem Iran und den Europäern, um Irans strategische Antwort darauf und das Abkommen von Teheran aus dem Jahr 2003. Themen von Kapitel 14 sind das Pariser Abkommen von 2004, die Amtsübernahme von Außenministerin Condoleezza Rice und die Versuche der USA, die Islamische Republik in einen Dialog einzubinden. Die Kapitel 15 und 16 schildern die Machtübernahme von Mahmud Ahmadinedschad und später den Amtsantritt von Barack Obama. Detailliert beschrieben werden die Eskalation der Spannungen zwischen dem Iran und der Internationalen Gemeinschaft durch Ahmadinedschad sowie Obamas Entscheidung, auf höchster Ebene mit dem Iran Gespräche zu führen. In den letzten Kapiteln werden die Versuche Washingtons analysiert, mit dem Iran zu verhandeln, außerdem das zunehmend schwierige Verhältnis des Iran zu Israel und die israelische Angst vor einer Atommacht Iran, das anscheinende Versagen der Diplomatie und mögliche Alternativen zu Verhandlungen einschließlich eines Militärschlags gegen das Atomprogramm.

Es hat sechs Jahre gedauert, all dies mit der gebotenen Sorgfalt zu recherchieren. Ich bin viele Tausend Meilen auf drei Kontinenten gereist und habe Gespräche mit den Hauptbeteiligten an diesem Drama (und es ist wirklich ein Drama) im Iran, in den USA, in Europa, in der arabischen Welt und in Israel geführt. Der Zugang zu hochrangigen Entscheidungsträgern im Iran und außerhalb des Iran (Ersteres wurde erheblich schwieriger, weil es nach den iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 nahezu unmöglich war, mit Verantwortlichen im Iran zu sprechen) ist ein entscheidender Bestandteil dieses Buchs. Immer wollte ich die aussagekräftigsten persönlichen Stellungnahmen zu den kritischen Etappen in der Geschichte des Programms sammeln. Das Buch hätte nicht geschrieben werden können ohne die Informationen so vieler Menschen, die an dem Atomprogramm mitgewirkt haben. Viele, deren Aussagen besonders wertvoll waren, müssen anonym bleiben, weil sie immer noch in das Programm eingebunden sind, aber viele andere können und sollen namentlich genannt werden.

Akbar Etemad, der Gründer der AEOI und Vater des iranischen Atomprogramms, widmete mir großzügig viele Stunden seiner Zeit und ermöglichte mir dadurch, zu verstehen, wie alles begann und was es bedeutete. Er war unendlich liebenswürdig, beantwortete alle meine Fragen ausführlich und schenkte damit diesem Buch etwas besonders Seltenes und Wertvolles: einen Einblick in die Denkweise, die das Programm auf höchster Ebene leitete und immer noch leitet. Reza Khazaneh, der ehemaliger Leiter des Zentrums für Kerntechnologie Isfahan, war eine großartige Informationsquelle zur Entwicklung des Programms in den Anfängen der Islamischen Republik und zum grundsätzlichen Kurswechsel in den 1990er-Jahren.

Ahmad Salematian, Daryoush Homayoun, Mohsen Sazegara, Ardeshir Zahedi und Ataollah Mohajerani haben mir sehr geholfen, die Vorgänge im Iran während der Islamischen Revolution von 1979 und in der Islamischen Republik von heute zu erhellen. Der ehemalige iranische Präsident Abol Hassan Banisadr war eine hervorragende Informationsquelle, wie man in den Anfängen der Islamischen Republik auf höchster Ebene über das Atomprogramm dachte.

Was die Aktualität anbetrifft, hat mich Alireza Jafarzadeh freundlicherweise durch die Ereignisse im August 2002 geleitet, als er vor der Welt den wahren Umfang des iranischen Atomprogramms enthüllte und damit die internationale Krise auslöste. Ali Asghar Soltanieh, Botschafter Irans bei der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), der während der Atomkrise den Iran bei der IAEO (und der Welt) vertrat, widmete mir in Wien viele Stunden und setzte mir mit vielen wertvollen Details die iranische Position auseinander.

Zu den zahlreichen Amerikanern, denen ich zu danken habe, gehören Mitarbeiter des Weißen Hauses und des Außenministeriums, die bis heute mit dem Atomdossier befasst sind und namenlos bleiben. Ein besonderer Dank geht an Botschafter Nick Burns, der mir erklärte, welche Überlegungen den anfänglichen Versuchen der Vereinigten Staaten unter Präsident George W. Bush zugrunde lagen, zu einer Entspannung mit Iran zu kommen, und einem großen Teil der atomaren Diplomatie der P5+1 (der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats plus Deutschland) auf den allerhöchsten Ebenen. Weiterhin danke ich dem amerikanischen Botschafter John R. Bolton, der in der Anfangsphase der internationalen Verhandlungen mit dem Iran eine wichtige Rolle spielte. Bruce Riedel, ein enger Mitarbeiter Barack Obamas im Wahlkampf 2008 und Mitglied in seinem »Transition Team«, setzte mir gewandt auseinander, welche Überlegungen hinter Obamas Entscheidung gleich am Anfang seiner Präsidentschaft standen, erstmals nach über 30 Jahren direkt mit der iranischen Führung zu verhandeln; auch er hat mir sehr geholfen.

Auf europäischer Seite haben der britische Botschafter bei der IAEO, Peter Jenkins, und der französische Botschafter in Teheran, François Nicoullaud, entscheidend dazu beigetragen, Licht in die oft undurchsichtigen Abläufe der frühen Atomverhandlungen zu bringen. Beamte im französischen Außenministerium und im britischen Foreign and Commonwealth Office, die bis heute mit dem Dossier Iran befasst sind, waren ebenfalls sehr hilfreich. Die Sicht Tel Avivs haben mir Avi Dichter, Kadima-Abgeordneter und ehemaliger Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, sowie Amos Gilad vom Militärgeheimdienst, der Sprecher des Ministerpräsidenten Mark Regev und der ehemalige Sicherheitsberater des Premierministers Giora Eiland auseinandergesetzt. Mein Dank gilt ebenfalls den israelischen Diplomaten, die mir zu verstehen halfen, wie schwerwiegend sie die Bedrohung aus dem Iran einschätzen.

Das Buch ist chronologisch aufgebaut, es zeichnet die Geschichte des iranischen Atomprogramms über 60 Jahre hinweg anhand mehrerer Leitgedanken nach. Der erste Leitgedanke ist, dass es sich um ein politisches Problem handelt. Die Krise ist nicht Ursache, sondern Folge einer »gescheiterten Beziehung« zwischen dem Iran und dem Westen, und man wird nur eine Lösung finden, wenn man sich mit dieser Beziehung befasst. Der zweite Leitgedanke ist, dass man, um zu einer Lösung zu kommen, unbedingt verstehen muss, was das Atomprogramm politisch, wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und, vielleicht am wichtigsten, psychologisch für den Iran bedeutet. Das führt zum dritten Leitgedanken, einer Frage, die das Buch zu beantworten versucht: Hat das Programm eindeutig eine militärische Dimension? Nur wenn wir so genau und so vollständig wie möglich zu eruieren versuchen, ob der Iran tatsächlich eine Atombombe haben will – und wenn ja, wie nahe er seinem Ziel inzwischen gekommen ist –, können wir die richtige politische Strategie benennen. Und das ist dringend nötig: Die Drohung eine Angriffs auf den Iran ist beängstigend, aber die Aussicht, es könnte eine Atommacht Iran geben, ist noch schlimmer. Der Besitz der Atombombe würde das iranische Regime stärken, sowohl innenpolitisch wie gegenüber seinen Nachbarn im Mittleren Osten, würde die iranisch-israelischen Beziehungen weiter belasten, Teherans Erfüllungsgehilfen Hisbollah und Hamas ermutigen und sehr wahrscheinlich einen Rüstungswettlauf in der Region auslösen. In einem weiteren Zusammenhang würde er der Glaubwürdigkeit des Atomwaffensperrvertrags einen tödlichen Schlag versetzen und andere Nicht-Atomwaffenstaaten veranlassen, dem iranischen Beispiel zu folgen. Diese Entwicklung ist im höchsten Maß unerwünscht – und muss um jeden Preis verhindert werden.

Aber das Atomprogramm bietet auch eine Chance: Es ermöglicht einen Einblick in das Rätsel des modernen Iran, das in vielerlei Hinsicht die Geschichte der iranischen Bemühungen ist, sich auf die Moderne einzulassen und einen Platz in einer seit eh und je feindseligen modernen Welt zu finden. Das Atomprogramm ist lediglich der ehrgeizigste Versuch des Landes, dies zu erreichen, und die Geschichte des Atomprogramms, so meine These, ist so etwas wie eine Tabula rasa, auf welche die Entwicklung des modernen Iran geschrieben wurde und weiter geschrieben wird. Einfacher ausgedrückt: Es ist die Geschichte des iranischen Bemühens, mit der Moderne zurechtzukommen, vom Befehl über die Ausarbeitung bis zur Durchführung. Ein erfolgreiches Atomprogramm verlangt von jedem Staat maximales politisches, organisatorisches und finanzielles Engagement; der Staat muss sich selbst in das Vorhaben einbringen, und dabei gibt er sein Selbstverständnis preis – nicht nur seine Ziele und Ansichten, auch seine Ängste und Neurosen. Mehr als 30 Jahre nach der Islamischen Revolution von 1979 stellt sich immer noch die Frage, wie die Welt mit einem der größten Länder des Mittleren Ostens umgehen soll, einem Land, das mit die größten Energievorkommen der Welt hat und das weltweite Machtgleichgewicht dramatisch verändern kann. Wer das Atomprogramm versteht, wird den modernen Iran verstehen; wer den modernen Iran versteht, hat beste Aussichten, einen Weg aus dem atomaren Dilemma zu finden. Dieses Buch versucht beides.

Schließlich muss man, um das iranische Atomprogramm wirklich zu verstehen, eines begreifen, nämlich dass es eine doppelte Geschichte hat oder besser gesagt zwei »Geschichten«. Die erste ist die Entwicklung des Programms selbst: die Fortschritte bei den atomaren Einrichtungen und Möglichkeiten. Die zweite Geschichte könnte man als die »atomare Debatte« bezeichnen: die politische Geschichte des Programms, die sich parallel dazu entwickelt hat – erzeugt hauptsächlich durch den außenpolitischen Konflikt zwischen dem Iran und dem Westen. Die erste Geschichte besteht aus Reaktoren und Zentrifugen, die zweite umfasst die Art der Beziehungen, die sowohl die internationale Politik als auch die nukleare Welt beherrschen: Sunniten gegen Schiiten, Israel gegen die islamische Welt, Industrieländer gegen Entwicklungsländer, Atomwaffenstaaten gegen Staaten ohne Atomwaffen. Der zweiten Geschichte liegen auf jeder »Seite« bestimmte Prinzipien zugrunde (»westliche Perfidie« versus »iranische Irrationalität«, um nur ein Beispiel zu nennen). Die Politik schafft konkrete Fakten, führt auf beiden »Seiten« zu Entscheidungen. Dem Wunsch des Iran, Nukleartechnologie zu besitzen, entspricht auf westlicher Seite der Wunsch, den Zugang des Iran zu dieser Technologie zu blockieren; beide Wünsche basieren auf bestimmten politischen Überzeugungen und Werten. Die ersten Kapitel dieses Buchs sind zwar ebenfalls chronologisch aufgebaut, aber mit einer entsprechenden parallelen Struktur und parallelen Zeitleisten. Einerseits geht es um die technischen Fortschritte beim zivilen Atomprogramm des Iran in Verbindung mit einem (geheimen) Waffenprogramm, das möglicherweise existierte, und parallel dazu, vielleicht noch wichtiger, geht es um die Debatte rund um das Atomprogramm seit dessen Anfängen.

Dabei werden mehrere Fragen beantwortet. Wie verlässlich sind Mutmaßungen über das iranische Atomprogramm? Wie standen zuerst der Schah und später die Islamische Republik zur Atomkraft? Wie hat sich die Zielsetzung des Programms unter den verschiedenen Regimes verändert, wie und warum hat sich die Motivation im Laufe der Zeit gewandelt? Intensität und Umfang möglicher iranischer Wünsche nach Atomwaffen werden zu prüfen sein. Schließlich fühlt sich der Iran in einer ihm vermeintlich zutiefst feindlich gesinnten Welt sehr realen Bedrohungen ausgesetzt. Und über allem steht die Frage: Warum tut der Iran das? Warum verfolgt einer der größten Ölproduzenten der Welt ein Programm zur Gewinnung von Atomenergie, das ihm die Feindschaft weiter Teile der Welt eingebracht hat, seine Nachbarn in Angst versetzt und mit dem er einen Angriff Israels oder des mächtigsten Landes der Welt riskiert? Ist es nur der verzweifelte Drang, eine Bombe zu bauen, oder sind noch andere Kräfte am Werk?

Fast scheint es, als tauchten jeden Tag neue Meldungen über einen weiteren Mord an einem iranischen Atomwissenschaftler auf, über neue geplante Sanktionen gegen den Iran oder neue israelische Drohungen gegen iranische Atomanlagen. Nach Obamas gescheitertem Entspannungsversuch sind die Hardliner in Washington, Tel Aviv und vielen europäischen Hauptstädten überzeugt, dass die diplomatischen Mittel erschöpft sind und nur noch die »militärische Option« bleibt. Der Iran wiederum reichert weiter Uran an und klingt immer kriegslüsterner und unnachgiebiger. Beide Seiten scheinen beinahe unausweichlich auf einen Konflikt zuzusteuern. Die Krise um das iranische Atomprogramm ist ein Drama mit einer großen Vielfalt von Beteiligten und mit einer »Handlung«, die auf eine katastrophale Auflösung zuzusteuern droht; sie könnte das internationale Gleichgewicht der Kräfte ernsthaft verändern und damit die internationale Stabilität gefährden. Um angemessen auf das iranische Atomprogramm reagieren zu können, muss man es richtig verstehen. Nur so können wir hoffen, eine der großen globalen Krisen unseres Zeitalters lösen zu können.

Für John Gurney

Prolog

Unter wachsamen Blicken skandierte eine Menschenmenge vor meinem Fenster in Teheran Parolen. Es war ein später Vormittag Anfang August 2005. Ich hielt mich im Wohnheim der Universität an der Kargar Avenue auf, der zentralen Verkehrsader der Stadt, die vom heruntergekommenen Rah-Ahan-Platz im Süden hinauf zu den Vierteln der Wohlhabenden in den nördlichen Bezirken der Stadt verläuft. Dort wohnte einstmals die im Westen ausgebildete Elite des Landes, die sich um den Saadabad, den ehemaligen Palast des Schahs, sammelte. Zwei Wachposten blockierten den Eingang zur Universität und sahen sich die Menge der Männer ohne Krawatten und verschleierten Frauen genau an, während verschiedene Universitätsangehörige – meine Sprachlehrerin, Mitarbeiter der Verwaltung, drei niedergeschlagene afrikanische Studenten, die ich flüchtig kannte – die Tore passierten. Die Rufe der Menge wurden lauter und aggressiver. Es war keine richtige Demonstration, sondern etwa 40 Leute hatten sich versammelt, um die an jenem Tag verkündete Entscheidung des Iran zu »feiern«, dass nach zwei Jahren Unterbrechung die Urananreicherung wieder aufgenommen werden sollte. Iranische Flaggen wurden geschwungen. Einige besonders wortgewaltige Teilnehmer hielten Bilder des kürzlich gewählten Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad in die Höhe, während sie etwas über Atomkraft und den »Großen Satan« schrien; für eine Freudenfeier war jedenfalls viel Wut im Spiel. Ich bekam mit, dass vom Krieg zwischen Iran und Irak die Rede war und von dem vor langer Zeit gestürzten iranischen Premierminister Mohammed Mossadegh.

Ich war von der Universität Oxford in den Iran gekommen, um Persisch zu lernen, aber ich war erst drei Tage da und hatte noch nicht mit vielen Iranern gesprochen. Tür an Tür mit zwei Franzosen, einem Syrer (mit dem ich mir andächtig eine Dose illegal produziertes Heineken-Bier geteilt hatte), einem Deutschen und einem Kasachen hatte ich ein Zimmer im Wohnheim der Universität Teheran. Im ersten Stock gab es noch zwei europäische Ingenieure, den Rest des Gebäudes bevölkerten Kurden aus der iranischen Provinz Kermanschah. Die iranischen Studenten waren getrennt untergebracht, sie sollten sich von den Ausländern fernhalten. Aber wohin ich kam, stieß ich auf das Atomprogramm – gerade zwei Tage zuvor hatte mir ein Taxifahrer einen ausführlichen (und langatmigen) Vortrag darüber gehalten. Ein Atomprogramm, so belehrte er mich, sei das »Recht« des Landes (die friedliche Nutzung der Kernenergie sei der Schlüssel zu Wirtschaftswachstum), genau wie der »nukleare Brennstoffkreislauf«. Den Begriff wiederholte er beständig, aber ich hatte den Verdacht, dass er nicht genau wusste, was er bedeutete.

Der Taxifahrer sagte, der Iran wolle keine Atomwaffen, er sei ein fortschrittliches Land und, wie das Atomprogramm zeige, einer der »großen Staaten« der Welt. Das Problem, fügte er missbilligend hinzu, sei der Westen, vor allem mein Heimatland Großbritannien und natürlich die USA; sie wollten den »Tod« des Programms. Der Staatsstreich von 1953, mit dem Mohammed Mossadegh gestürzt wurde, die »Versklavung« des Schahs durch Amerika und nun die endlose westliche Kritik an dem Atomprogramm – all das sei Teil (in meinen Worten ausgeführt) eines großen Unterdrückungsplans des Westens. Der Westen hatte in den Augen meines Taxifahrers eine Welt geschaffen, die er mit einem geopolitischen Aphorismus verdammte: »England: der Großvater; Amerika: der Sohn; Israel: der Enkel«. Seine Analyse mochte schlicht sein, jedenfalls hatte sie den Vorzug der Eindeutigkeit.

Die Iraner sprechen gerne mit Menschen aus dem Westen, im Gegensatz zu ihrer Regierung. In den kommenden Wochen belehrten mich zwei weitere Taxifahrer über das Atomprogramm, außerdem meine Sprachlehrerin (für sie war das lauter Unsinn), ein Kellner, der Inhaber des Internetcafés um die Ecke und, besonders erstaunlich, eine Schar Kinder um die zehn Jahre, die mich in einer Nebenstraße in der Nähe des Naqsh-e-Jahan-Platzes in Isfahan anpöbelten. Die Atomkraft, so hatte es den Anschein, war ein nationales Ziel, und dabei ging es um mehr als nur um Reaktoren und Zentrifugen. Die Atomkraft hatte mit der Wahrnehmung der iranischen Geschichte zu tun; sie mobilisierte die Menschen, weil sie unterschiedliche Bedeutungsregister ansprach und dadurch intensive Gefühle erzeugte. Die Menschenmenge an jenem Tag vor meinem Fenster jubelte, aber sie war auch zornig, und der Zorn hing mehr mit Irans Beziehung zum Westen zusammen als mit der Urananreicherung. Es war, als hätte das Regime es geschafft, eine kausale Verbindung zwischen dem Unrecht herzustellen, das dem Iran in der Geschichte vermeintlich widerfahren war, und der eher prosaischen Frage, ob er sich an das Völkerrecht hielt.

Unterdessen schien das Land in den Schoß der frühen Islamischen Republik zurückzukehren. Auf den Straßen sah man immer häufiger Angehörige der Basij, der islamischen Miliz – als hätte die Wahl von Ahmadinedschad kurz zuvor sie von den Fesseln befreit, an denen sie, wie ihr anmaßendes Auftreten zeigte, unter seinem Vorgänger Mohammed Khatami so stark gerüttelt hatten. Freundinnen wurden auf offener Straße beschimpft, weil sie nachlässig verschleiert waren oder »unpassende« Hosen trugen. Einmal ging ich in ein Kellerrestaurant im Bezirk Amirabad im Norden von Teheran, um mein Lieblingsgericht chelo kabab (ein Gericht aus Lamm mit Reis) zu essen. »Sie müssen verstehen, wer wir sind«, sagte der Inhaber großspurig, als ein Laufbursche mir eine weitere Tasse Tee mit Süßstoff brachte. Das Besteck klirrte, und die Tasse gesellte sich zu mehreren anderen auf dem Tisch. »Wir sind die Kinder von Kyros dem Großen, dem Mann, der der Welt das erste Menschenrechtsgesetz gegeben hat. So ist es«, setzte er mit Befriedigung hinzu. »Der Westen versteht das nicht, und das ist schlecht. Aber vielleicht wird er es bald verstehen. Inschallah.«

Die Iraner sind große Geschichtenerzähler, sie verehren die Epen ihrer Nationaldichter Ferdowsi und Hafis. Die Menschen, mit denen ich sprach, klagten, prahlten und gaben oftmals geradezu verblüffend fantasievolle Verschwörungstheorien zum Besten, aber auf die eine oder andere Weise erzählten sie mir alle Geschichten über die problematische Beziehung des Iran zur modernen Welt, und im Mittelpunkt stand immer die noch problematischere Frage der iranischen Identität. Dazu passt, dass der Manichäismus im Iran entstand: Die Iraner sind gefangen zwischen Kyros dem Großen und Allah, zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Ost und West, zwischen Zukunft und Vergangenheit. An meinem letzten Morgen im Iran ging ich auf der Suche nach Mitbringseln zum Großen Basar von Teheran. Dort versicherte mir ein Basaari, der Iran sei »rein«, nicht befleckt von der westlichen Kultur, während er gleichzeitig versuchte, mir eine gefälschte Diesel-Jeans anzudrehen. Am selben Abend bat mich im Wohnheim ein Student, ihm Englisch mit amerikanischem Akzent beizubringen.

In den letzten 100 Jahren hat der Iran zwei Revolutionen erlebt, zwei Weltkriege (und eine anschließende Besetzung), einen Staatsstreich, das Ende der jahrhundertealten Monarchie, die Etablierung einer Islamischen Republik, einen verheerenden Krieg mit dem Irak, den Bruch mit der letzten verbliebenen Supermacht der Welt, scheinbar endlose Sanktionen und internationale Isolation. Das Land ist ins 21. Jahrhundert eingetreten, ohne sich seiner selbst und seines Platzes in der Welt sicher zu sein, und entsprechend gespalten ist das iranische Bewusstsein: Ein starkes Gefühl der eigenen Bedeutung steht neben der Unsicherheit einer »gefallenen« Nation. In der politischen Rhetorik des Iran geht es viel um nationale Größe, aber auch um Statusangst und Fremdenfeindlichkeit. Für die Iraner, mit denen ich gesprochen habe, kann das Atomprogramm die beiden Tendenzen zusammenbringen: In ihren Augen ist es ein Beispiel für die kollektive Leistung ihres Landes und angesichts der internationalen Gegnerschaft ein Beispiel dafür, wie der Iran ein weiteres Mal vom Westen »viktimisiert« wird.

Ich kehrte nach Oxford zurück (mit einem unruhigen Flug mit Azerbaijan Airlines), wo die Atomkrise die Zeitungen und meinen Posteingang mit Geschichten über den Schurkenstaat Iran füllte, der angeblich auf das nukleare Armageddon zusteuert. Eindeutig hatte ich es mit zwei Narrativen zu tun, und sofern die Antworten in der iranischen Geschichte lagen, wollte ich damit beginnen. Ich wollte diese Geschichte erzählen. Wie ich mittlerweile weiß, muss sie ab initio erzählt werden – von Anfang an.

TEIL I

Der Schritt in die Moderne: das Atomprogramm 1957 bis2001

Kapitel 1:

Am Anfang war die Atombombe: Atomkraft in der Nachkriegszeit

Im August 1945 warfen die Amerikaner zwei Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab. »Little Boy« (eine 60 kg schwere Uranbombe) und »Fat Man« (eine 6,4 kg schwere Plutoniumbombe) löschten innerhalb von Minuten fast 100 000 Menschenleben aus. Damit begann das Atomzeitalter. Ein japanischer Radiosender schilderte den Anblick wenige Stunden nach dem Angriff auf Nagasaki: »Praktisch alle Lebewesen, Menschen wie Tiere, wurden buchstäblich verbrannt.«1 Die Bilder des »Atompilzes«, die um die Welt gingen, waren der wohl unvermeidliche Abschluss des langen Trauermarschs des Zweiten Weltkriegs. Sie einten die siegreichen Alliierten in dem Bekenntnis, das Blutvergießen der vorangegangenen sechs Jahre dürfe sich niemals wiederholen – zumindest nicht in ihrem Kreis. Die Welt brauchte mehr Regulierung, und um diesen Gedanken umzusetzen, wurden die Vereinten Nationen gegründet. Die allererste UN-Resolution aus dem Jahr 1946 stellte das »Problem« der Atomenergie ins Zentrum und rief zur »Eliminierung« aller Atomwaffen und sonstiger Massenvernichtungswaffen auf.2 Etwas mehr als ein Jahr später, bei der dritten Sitzung 1948, forderte die Generalversammlung erneut, die Atombombe zu ächten.3 Die Atomkraft war da, und sie hatte alles verändert.

Das Programm »Atoms for Peace«

Die Vereinten Nationen sahen sich allerdings auch mit dem inhärenten Paradox der Atomkraft konfrontiert: eine saubere, erneuerbare Energiequelle, die in bislang ungekanntem Ausmaß zerstörerisch wirken, die aber auch Länder in die Moderne führen konnte. Diese neue Energie einer Welt vorzuenthalten, die danach rief, war einfach unrealistisch, zumal der Ruf universell erschallte, von Südostasien über den Mittleren Osten bis Nordeuropa. Es galt, die Atomkraft nutzbar zu machen, statt sie einfach aufzugeben.4 Während die UN über die Atomkraft debattierte, blickten die Staaten in ihrer neu ausbalancierten Weltordnung nach Washington, von wo sie eine substanziellere Reaktion erwarteten. Und die kam auch. Bei der achten UN-Generalversammlung am 8. Dezember 1953 in New York hielt der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower seine Rede »Atoms for Peace« (Friedliche Nutzung der Atomenergie), Grundlage für die internationale Regelung der Nichtweiterverbreitung, die bis heute wirksam ist. In seiner Rede schilderte er die weltweite Sorge angesichts der Atomenergie, skizzierte eine Reaktion, welche die Angst mildern sollte, und legte die dahinterstehenden Überlegungen dar.

Eisenhower begriff, dass das zerstörerische Potenzial der Atomkraft die Welt ein für alle Mal verändert hatte, nicht zuletzt in der militärischen und politischen Sphäre, und dass dies ein internationales Problem darstellte. Vor allem aber erkannte er (oder erkannten seine Berater) schon damals die globale Bedrohung durch die Weiterverbreitung:5

... das schreckliche Geheimnis und die furchtbare Wirkung der atomaren Macht kennen nicht nur wir allein [...] Falls die Vereinigten Staaten jemals etwas besessen haben sollten, was man als Monopol auf Atomkraft bezeichnen könnte, dann hat dieses Monopol vor etlichen Jahren zu existieren aufgehört [...] Das Wissen, das nun mehrere Länder besitzen, werden schließlich auch andere, wahrscheinlich alle teilen.

Hinter dieser Rhetorik steckte Politik: Die Verpflichtung, eine supranationale Institution zu errichten, die sich ausschließlich der Regulierung der Atomkraft widmen sollte, wurde vier Jahre später, 1957, mit der Gründung der Internationalen Atom-Energieorganisation (IAEO) und der Internationalisierung der Verfügung über das atomare Material verwirklicht.

Die hauptsächlich beteiligten Regierungen sollten bis zu dem durch die elementare Vorsicht erlaubten Grad jetzt beginnen und dann weitermachen, gemeinsame Beiträge von ihren Beständen normalen Urans und spaltbaren Materials an eine internationale Atomenergiebehörde zu übertragen.

Jeder Staat, der dazu in der Lage war, sollte der Behörde nukleares Material und Fachwissen zur Verfügung stellen; die Behörde sollte das wiederum an diejenigen weitergeben, die es brauchten. Eisenhower hatte (mit der für ihn typischen blumigen Ausdrucksweise) ein simples Geschäft beschrieben. Die IAEO würde jedem Land helfen, das ein Atomprogramm haben wollte, und im Gegenzug die Verpflichtung einfordern, die Atomkraft nur zu zivilen und nicht zu militärischen Zwecken zu nutzen: »Atome für den Frieden«. Die Rede wurde mit stehendem Beifall und großer Zustimmung aufgenommen. Die europäischen Delegationen befanden, es sei die wichtigste Rede, die Amerika bisher vor den Vereinten Nationen gehalten habe.6 Winston Churchill sprach von einer »großen Erklärung«, die »in der verängstigten und verwirrten Welt widerhallen« werde.7 Auch die Reaktionen aus dem Nahen Osten waren fast einhellig positiv.8 Nur in der Reaktion der belgischen Delegation schwang ein Ton vorausschauender Beunruhigung mit; sie hielt den Vorschlag für unzureichend, weil er keine Abrüstungsverpflichtung beinhaltete und die Waffenarsenale der USA und der UdSSR unangetastet blieben.9 Als Kritik an den strukturellen Fehlern des in der Entstehung begriffenen Nichtweiterverbreitungsregimes war das scharfsichtig; als Warnung vor dem, was eine Hauptklage der Nichtatomwaffenstaaten werden sollte – dass die Atommächte nicht abrüsteten –, war es prophetisch.

Washington war fest entschlossen, die friedliche Nutzung der Kernenergie zu fördern, und vertrat das auch öffentlich mit Nachdruck. Das atomare Establishment in Amerika wollte der Welt unbedingt die »ungefährlichen Möglichkeiten des Atoms« zeigen. Schon bald tauchten Vorschläge auf, wie man anderen Ländern helfen könnte, ihre eigene Isotopenproduktion und Ausbildungseinrichtungen aufzubauen.10 Die friedliche Nutzung der Atomkraft entsprach dem Zeitgeist, in der Sprache der internationalen Diplomatie war Weiterverbreitung verpönt. Wer international akzeptiert sein wollte, lehnte Atomwaffen ab – zumindest öffentlich. Und Mohammed Reza Pahlavi, der Schah des Iran, wollte mehr als alles andere akzeptiert sein.

Kapitel 2:

Zwei verlustreiche Jahrhunderte: der Iran bei Anbruch des Atomzeitalters

Ein erkennbar unsicherer Mohammed Reza Pahlavi legte am 17. September 1941 um 16 Uhr 30, einen Tag, nachdem sein Vater Reza Schah in einem Wagen ohne Kennzeichen Teheran verlassen hatte, den kaiserlichen Eid ab und wurde Schah des Iran. Die sowjetische und die britische Gesandtschaft fehlten demonstrativ in den Sitzreihen im Parlament, die für das diplomatische Korps reserviert waren, obwohl sowjetische und britische Truppen seit einigen Wochen im Iran standen. »Ich schwöre mit den heiligen Worten Allahs«, sagte der junge Schah bemüht energisch, »dass ich alle meine Kräfte darauf richten werde, die Grenzen des Landes und die Rechte des Volkes zu schützen.«11 Als die Nacht hereinbrach, schrien und grölten britische Soldaten im Triumph auf den Straßen von Teheran; einige besonders kühne (und besonders betrunkene) zogen iranische Uniformen an, die sie in einer verlassenen Kaserne gefunden hatten, andere äfften Reza Schah nach, malten sich mit Schuhwichse buschige Schnurrbärte ins Gesicht und paradierten wie Pfauen.

Mohammed Reza Schah hatte mitten im Zweiten Weltkrieg die »Macht« übernommen; die Umstände spiegelten sehr deutlich die Unsicherheit seiner Position und die des Iran wider. Beinahe wäre er gar nicht an die Macht gekommen. Gerade einmal 24 Stunden zuvor hatte die drohende Besetzung Teherans durch englische und sowjetische Truppen Reza Schah schließlich veranlasst, abzudanken und nach Südafrika zu fliehen. Unmittelbar vor der Abreise, schon am Palasttor, hatte er noch seinen unerfahrenen 21-jährigen Sohn (dem er nicht viel zutraute) überredet, zu bleiben und seine Stelle einzunehmen. Unterdessen hatte sich der britische Botschafter im Iran, Sir Reader Bullard, mit iranischen Abgesandten getroffen und den Kronprinzen als »unerträglich für die Regierung seiner Majestät« bezeichnet; außerdem versicherte er ihnen, auch die Sowjets stünden ihm »ablehnend gegenüber«.12 Es waren Bestrebungen im Gange, die Dynastie der Kadscharen, insbesondere Prinz Hamid, den Sohn des letzten Kronprinzen Mohammed Hassan Mirza, wieder auf den Thron zu bringen. Hamid war mittlerweile britischer Staatsbürger (und immerhin Offizier in der Royal Navy, der sich Lieutenant Drummond nannte), doch da er kein Wort Persisch konnte, galt er selbst den britischen Experten für den Mittleren Osten als nicht vermittelbar. So wurde es Mohammed Reza Schah. Widerstrebend.

Der Krieg hatte den Iran im Juni 1941 erreicht, nachdem Nazi-Deutschland die Operation Barbarossa gestartet hatte, die Invasion der Sowjetunion unter Bruch des von Molotow und Ribbentrop 1939 geschlossenen Nichtangriffspakts. Der Iran wurde damit zu einem strategisch wichtigen »Korridor« für den Nachschub der Sowjets, die an der Ostfront gegen die Deutschen kämpften. Großbritannien und die UdSSR hatten seit den späten 1930er-Jahren eine beunruhigende Annäherung zwischen dem Iran und Deutschland beobachtet; nun misstrauten sie der offiziellen Neutralitätsbekundung des Schahs und leiteten am 25. August 1941 die Operation Countenance ein, die Invasion des Iran, um die Ölfelder des Landes und die Nachschublinien zu sichern. Die Invasion war traumatisch für den Iran. Von den Schiffen der Royal Navy, die vom Persischen Golf her angriffen, und von den Panzern, die über die Grenze zum Irak rollten, wehte der Union Jack – für die Iraner der Inbegriff imperialer Machenschaften. Gleichzeitig rückten sowjetische Truppen von Transkaukasien vor und besetzten die nördlichen Provinzen Irans.

Die Alliierten erreichten schließlich Teheran, bombardierten die Stadt und verursachten Angst und Schrecken (obwohl es nur wenige Tote gab). Noch schlimmer wirkte der totale Zusammenbruch des iranischen Militärs – es war der Stolz des iranischen Reichs gewesen. Der junge Mohammed Reza Pahlavi sah, wie die Soldaten zu Hunderten desertierten; teilweise flohen sie barfuß aus den Armeestützpunkten, während die Offiziere beim Herannahen der Alliierten zu Hause offene Feuer entzündeten und ihre Uniformen verbrannten. Wer nicht fliehen konnte, verkleidete sich als Frau. Ausgebombte Ruinen und menschenleere Straßen hinterließen einen tiefen Eindruck bei dem jungen Prinzen; er schwor, dass der Iran nie wieder derart schutzlos sein sollte. Seine Armee, wenn er jemals eine haben sollte, würde anders sein.

Psychologisch verheerender war indes das Wissen, dass er seine Position den Großmächten verdankte: Sie hatten seinen Vater zur Abdankung gezwungen und dem Sohn schließlich nur widerwillig »erlaubt«, den Thron zu beanspruchen. Der neue Schah verinnerlichte in der Stunde seiner politischen Geburt zwei Wahrheiten: Seine Herrschaft musste militärisch stark sein, und die Großmächte, allen voran Großbritannien und Russland, waren in der Lage, sein Land auf höchster Ebene zu manipulieren. Tatsächlich konnten sie im Iran tun und lassen, was immer sie wollten. Für den Fall, dass er das nicht begriffen haben sollte, schickten die Briten ihm (via Ägypten) die Botschaft, er solle »lesen, aufnehmen, verstehen und verdauen, was seinem Vater widerfahren ist«.13 Das tat er.

Ausländer hatten über die Zukunft des Iran entschieden – wieder einmal. Kein Land trägt schwerer an seinem Schicksal als der Iran. Wegen seiner geostrategischen Lage und seiner Bodenschätze ist er seit über 200 Jahren im Visier mächtigerer Länder. Zwar hat er nie direkte Kolonialherrschaft erfahren wie beispielsweise Indien, aber wiederholt fatale ausländische Einmischung. Wie viele andere einst mächtige Länder im Mittleren Osten erfreute sich auch der Iran relativer militärischer und wirtschaftlicher Gleichrangigkeit mit seinen Zeitgenossen, bis es im 19. Jahrhundert einen scharfen Einbruch gab, parallel zur raschen Industrialisierung des Westens und einem neu erwachten Interesse der Großmächte für den Mittleren Osten. Für das britische Empire war Persien (wie es damals hieß) das Tor zu seinem »Kronjuwel« Indien und insofern von vitaler Bedeutung. Außerdem begann Großbritannien, mit Russland um Einfluss in Persien und um die Vormacht in ganz Mittelasien zu rivalisieren – das sogenannte »Große Spiel«. Iran wurde zur Arena, in der die Supermächte ihre Kämpfe austrugen, und das machte die folgenden Ereignisse umso schlimmer.

Ende der 1890er-Jahre zirkulierten erste Berichte über große Ölvorkommen in Persien. Sie veranlassten den britischen Industriellen William Knox D’Arcy, mit dem Schah des Iran, Muzaffar ad-Din, 1901 eine Konzession über Exklusivrechte für die Erkundung von Ölvorkommen zu unterzeichnen. Da die britischen Politiker glaubten, die Konzession bedeute einen Vorteil in der Auseinandersetzung mit Moskau, gaben sie D’Arcy ihre volle Unterstützung, während die Russen das Geschäft zu verhindern versuchten. Tatsächlich gelang es den Russen, die Verhandlungen zu verzögern, bis D’Arcys Vertreter in Teheran dem Schah schließlich zusätzliche 5000 Pfund bot, wenn er die Vereinbarung unterzeichnete. Diese relativ geringe Summe reichte aus. Am 28. Mai 1901 unterschrieb Schah Muzaffar ad-Din eine 18 Punkte umfassende Konzession, die D’Arcy exklusive Rechte für die Prospektion, Erkundung, Ausbeutung, den Transport und Verkauf von Erdgas, Erdöl, Ölsand und Bergwachs in einem Gebiet von 500000 Quadratmeilen – drei Viertel des Landes – für einen Zeitraum von 60 Jahren gab. Im Gegenzug erhielt der Schah 20000 Pfund in bar, weitere 20 000 Pfund in Form von Anteilen und 16 Prozent der jährlichen Nettogewinne der Firmen, die aufgrund der Konzession operierten. D’Arcy geriet in der Folgezeit in Schwierigkeiten, aber 1908 entdeckte er schließlich große kommerziell nutzbare Vorkommen, gerade rechtzeitig, dass die Anglo-Persian Oil Company (aus der später British Petroleum wurde) 1909 die Konzession übernahm. Die Anglo-Persian Oil Company (APOC) entwickelte sich zu einer der mächtigsten Ölfirmen weltweit und einem Trumpf der imperialen Interessen Großbritanniens in den nächsten 50 Jahren. Die Iraner betrachteten das Ganze als eine schändliche »Kapitulation« vor Ausländern.

Und es war nur die jüngste Kapitulation. Knox D’Arcy verkörpert für die Iraner in vielerlei Hinsicht die Tragödie des modernen Iran. Gefangen zwischen den Großmächten der jeweiligen Zeit, die sich aus eigenen politischen oder finanziellen Gründen in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischten, mussten iranische Herrscher den Reichtum des Landes und (vielleicht noch wichtiger) seine »Integrität« den Interessen von Ausländern opfern in nachteiligen Geschäften, hinter denen eine militärische Drohung stand: oft unausgesprochen, manchmal offen, auf jeden Fall stets vorhanden. Schon vor der Ölkonzession hatte der Iran nach der Niederlage im russisch-persischen Krieg 1826 bis 1828 große Teile seines Territoriums an Russland verloren. Im Friedensvertrag von Turkmantschai musste der Iran 1828 den größten Teil des heutigen Zentralarmeniens und Teile von Aserbaidschan an Russland abtreten. Diese Verluste kamen noch zu den Gebieten hinzu, die Russland 15 Jahre zuvor mit dem Friedensvertrag von Gulistan annektiert hatte (darunter das heutige Dagestan und Ostgeorgien). Die Russen hatten dem iranischen Herrscher Fath Ali Schah angedroht, sollte er den Vertrag nicht unterzeichnen, würden sie innerhalb von fünf Tagen Teheran erobern.

Unterdessen versuchte der Iran, sich in die politische Moderne vorzutasten. Von 1905 bis 1907 erwachte das iranische Volk schließlich zu politischem Bewusstsein in einer »konstitutionellen Revolution«, die zur Gründung des ersten iranischen Parlaments führte – genau zu der Zeit, als Briten und Russen das Land in »Einfluss-Sphären« aufteilten. Fast 20 Jahre später, 1925, »ermutigten« Moskau und London den weiteren politischen Wandel im Iran, indem sie halfen, die Kadscharen-Dynastie zu entmachten, die seit einem Jahrhundert geherrscht hatte. Moskau und London unterstützten insgeheim einen Militärputsch, bei dem Ahmad Schah Kadschar durch den jungen Reza Khan (später Reza Schah) ersetzt wurde. Weitere 20 Jahre später wurde Reza Schah selbst ein Opfer der Kräfte, die ihn an die Macht gebracht hatten. Es schien ein endloser Kreislauf zu sein, aber tatsächlich endete er immer damit, dass der Iran als Verlierer dastand. Selbst ohne das Trauma einer langen Besetzung lief die wiederholte Einmischung auf eine Kolonialisierung der iranischen Politik hinaus. Mohammed Reza Schah erfasste das 1941 intuitiv und erlebte den unvermeidlichen Höhepunkt 1953, als Engländer und Amerikaner gemeinsam Mossadegh stürzten.

Die Verinnerlichung dieser (und vieler ähnlicher) Ereignisse war über 100 Jahre der Motor der iranischen Politik. Seit dem 19. Jahrhundert ging es den aufeinanderfolgenden iranischen Regierungen stets darum, eine Form von »Unabhängigkeit« zu erlangen und das iranische Staatsgebiet, dessen Gestalt auf der Karte einer »sitzende Katze« entspricht, zu schützen und zu bewahren. Die iranische Außenpolitik wandelte sich von den Versuchen des Premierministers Mirza Taghi Khan Amir Kabir Mitte des 19. Jahrhunderts, ein Gleichgewicht zwischen den größeren Mächten zu erreichen, indem man ihnen allen Konzessionen anbot, zur Haltung Mossadeghs, der den Großmächten gar nichts anbieten wollte – mit voraussehbaren Ergebnissen. Doch allen Strategien lag dasselbe Narrativ zugrunde: dass der Iran ein schwaches Land ist und sich mit allen Mitteln gegen die stärkeren und aggressiveren Länder schützen muss, um so etwas wie »Unabhängigkeit« innerhalb einer vom Westen dominierten, seit eh und je feindseligen Welt zu erlangen. Eng damit verknüpft ist ein zweiter Imperativ: Es gilt, die nationale »Selbstachtung« wiederherzustellen, die dem Iran durch seine Begegnung mit dem Westen genommen wurde.14

Die politische Rhetorik im Iran spiegelt die Ambivalenz im Verhältnis zu seiner eigenen Geschichte und die Bedeutung dieser Geschichte wider. Es ist ein Kampf zwischen Stolz auf eine glorreiche Vergangenheit und Scham angesichts der Unterwerfung in jüngerer Zeit (wobei die Scham überwiegt). 1971 wandte Mohammed Reza Schah aus diesem Gefühl heraus Millionen dafür auf, mit extravaganten Feierlichkeiten das (historisch fragwürdige) 2500-jährige Bestehen der iranischen Monarchie zu begehen. Fast 40 Jahre später sagte mir der iranische Botschafter bei der IAEO beim Tee, der Iran sei ein Land mit einer 5000-jährigen Geschichte und der Westen dürfe mit dem Iran nicht »in der Sprache von Tieren« reden. Das mag eine emotionale Äußerung gewesen sein, aber der Einfluss der Geschichte ist unbestreitbar und erklärt zu einem großen Teil, wie sowohl der Iran unter Pahlawi als auch die Islamische Republik politische Entscheidungen trafen und treffen, besonders in Atomfragen.

Insofern ist es nicht überraschend, dass für Mohammed Reza Schah, als er 1941 nach jahrhundertelanger ausländischer Einmischung die Macht übernahm, Unsicherheit das beherrschende Gefühl war und er die Politik der ersten Jahre im Schatten der britischen und sowjetischen Besatzer führte. (In einem Artikel im Magazin Life wurde er 1942 als Herrscher »auf Probe« bezeichnet.15) So paradox es klingen mag, aber das war auch die am meisten demokratische Phase seiner Herrschaft. Es gab einen relativen Pluralismus und nicht die ausschließliche Kontrolle eines Einzelnen. Der Schah unternahm zwar Bemühungen, seine Stellung zu festigen, aber er war ein Playboy; er verbrachte mehr Zeit mit Tennis, Partys und Spritztouren durch Teheran in schnellen Autos als mit Regieren. Als er sich immer mehr auf die Politik einließ, geriet er in Machtkämpfe mit der Madschlis (dem Parlament), aufeinanderfolgenden Premierministern (vor allem Ahmad Qavam) sowie mit Landbesitzern und religiösen Schichten.

Der Staatsstreich 1953 veränderte alles. Mohammad Mossadegh war seit seinem Amtsantritt als Premierminister am 28. April 1951 ein Problem für den Schah gewesen. Er spielte bereits seit der konstitutionellen Revolution 1905 bis 1907 eine Rolle in der iranischen Republik und saß seit seinem 24. Lebensjahr im Parlament. Mossadegh war Nationalist, und von Anbeginn seiner politischen Karriere lag ihm das iranische Öl sehr am Herzen. Fast 40 Jahre zuvor hatte er für ein Jahr den Iran in Richtung Schweiz verlassen aus Protest gegen das anglo-persische Abkommen von 1919, das den Briten Zugang zu den iranischen Ölfeldern und Förderrechte gewährte. Der Schah wollte logischerweise die Westmächte bei Laune halten, was bedeutete, ihren Durst nach Öl zu stillen. Als Mossadegh Premierminister wurde und lautstark verkündete, er wolle die iranischen Ölreserven verstaatlichen – die damals zum größten Teil von den Briten kontrolliert wurden –, war der Konflikt unvermeidlich.

Mossadegh bot wiederholt große Summen als Entschädigung für die vorgeschlagene Verstaatlichung an, doch in dem grundsätzlichen Punkt, dass der Iran seine Ölvorkommen selbst kontrollieren sollte, war er zu keinen Zugeständnissen bereit. Der Plan tat zwar der nationalen Selbstachtung gut, war aber politisch naiv. Der Iran besaß einfach nicht die Stärke, um eine so aggressive Politik durchsetzen zu können. Als der amerikanische Präsident Truman im Januar 1953 von dem eher als Hardliner bekannten Eisenhower abgelöst wurde, konnte Großbritannien amerikanische Ängste vor dem Kommunismus mobilisieren. Mossadegh wurde zu einem weiteren iranischen Opfer der Machenschaften der Großmächte; am 19. August wurde er mit der von den Briten geplanten, von der CIA durchgeführten Operation Ajax gestürzt. Der Vorgang (ein erzwungener Regimewechsel) hat seither einen festen Platz in der politischen Rhetorik des Iran, in der Geschichtsdarstellung und in der kollektiven Erinnerung – Jahrhunderte ausländischer Einmischung fließen in diesem einen Bild zusammen, das die Geburt des politischen Bewusstseins des modernen Iran definiert.16

Doch tatsächlich stärkte der Staatsstreich den Schah, der nicht länger den charismatischen Mossadegh als Gegenspieler hatte. Der Iran stand indes schwächer da als je, mit einem Herrscher, der seinen Thron zum zweiten Mal in zwölf Jahren ausländischen Mächten verdankte. Und der Schah blieb wachsam. Er neigte zur Paranoia (sah überall Kommunisten und die Sowjetunion als ständige Bedrohung), und Sicherheit wurde für ihn zur Obsession. Nach dem Staatsstreich hatte er wieder ein Problem: Sein neuer entschlossener Premierminister, General Fazllolah Zahedi, den die CIA als Anführer des Staatsstreichs ausgewählt hatte, beharrte darauf, alle verfassungsmäßigen Rechte des Premierministers zu behalten. Gleichzeitig verlangte er, der Schah solle lediglich eine repräsentative Funktion ausfüllen. 1955 gelang es dem Schah, Zahedi zu entlassen. Damit herrschte er erstmals allein im Iran. Zahedis Entlassung brachte keine sofortige Konsolidierung seiner Macht – das war ein schrittweiser Prozess, für den er, wie alle Diktatoren, seine Armee brauchte und, noch wichtiger, die Vereinigten Staaten.

Insofern ist es vielleicht nicht überraschend, dass der Schah vieles von dem ablehnte, was zuvor passiert war. In seinem Buch Im Dienst meines Landes (erschienen 1961), das er angeblich selbst geschrieben hatte, skizzierte er seine kaiserliche Vision für den Iran. Mossadeghs Ideen wies er zugunsten seiner eigenen außenpolitischen Vorstellungen zurück, die »unser wiedererwachtes Nationalgefühl« widerspiegeln sollten und die er »positiven Nationalismus« nannte.17 Das hieß nicht Blockfreiheit (oder wie er sagte, »auf dem Zaun sitzen«, denn das habe zur »Infiltration umstürzlerischer Tendenzen« geführt), sondern einen eigenen Platz in der internationalen Ordnung zu finden. Sein Iran sollte für die »Ideale und Grundsätze« der Vereinten Nationen stehen und aktiv nach Bündnispartnern suchen.18

Viele neu an die Macht gekommene Politiker haben den Wunsch, mit der Vergangenheit zu brechen. Wichtig ist, wie unterschiedlich der Schah und Mossadegh die Gründe für den Niedergang des Iran über 150 Jahre hinweg beurteilten. Mossadegh machte die imperialistische Gier der Briten und das Versagen des Iran bei der Verstaatlichung der Ölindustrie dafür verantwortlich. Der Schah sah zwei andere Gründe, und beide wurden für sein Atomprogramm entscheidend wichtig: die mangelnde Sicherheit und die technologische Rückständigkeit des Iran. Diese beiden Punkte fasste er zu den alles überragenden Zielen seiner Herrschaft zusammen, den Iran zu modernisieren und den Glanz Persiens wiederherzustellen. Besonders charakteristisch für das Land war daher in dieser Phase die soziale Seite der Modernisierung: Die große Masse der Bevölkerung wechselte von der Landwirtschaft in städtische Beschäftigungsverhältnisse.19 Doch der Iran blieb wirtschaftlich unterentwickelt und hatte weiter mit der Geschichte der Fremdherrschaft zu kämpfen. Die Atomkraft kam zu einem auf typische Weise in der Modernisierung begriffenen Staat, beherrscht von einem Mann, der von den USA abhängig war, sein Land verzweifelt »modernisieren« wollte und durchdrungen war von dem Wunsch, den schmerzlich empfundenen Verlust der nationalen Selbstachtung zu überwinden.

Kapitel 3:

Der Pfau möchte sein Radschlagen: Atomkraft zur Zeit desSchahs

Die 1950er-Jahre waren eine Zeit des Wandels. Während der Schah im Lacoste-Hemd auf dem Tennisplatz für die Fotografen posierte und auf den Basaren von Teheran Pariser Mode auftauchte, begann die High Society der Stadt von einer persischen Belle Époque zu träumen. Unterdessen war der britische Einfluss im Mittleren Osten, um den sich die iranische Oberschicht vermutlich weniger Gedanken machte, beinahe vollkommen geschwunden und vom Einfluss Amerikas abgelöst worden. (Der beste Beweis war die Sueskrise 1956, als die Amerikaner die Briten und Franzosen buchstäblich aus Ägypten herausgedrängt hatten.) Der Schah hatte die Kontrolle über sein Land verstärkt. Die Politik wurde zunehmend von seinen Wünschen diktiert, allem voran von dem Wunsch, den Aufstieg eines neuen Mossadegh zu verhindern, der seine Autorität hätte bedrohen können. Noch vor Zahedis Absetzung sorgte der Schah dafür, dass die Wahlen zur 18. Madschlis Anfang 1954 genau überwacht wurden (und die Kandidaten nach maximaler Beeinflussbarkeit ausgewählt wurden), damit der Konsortialvertrag mit den internationalen Ölgesellschaften (die Gegenleistung für den Staatsstreich von 1953, der Großbritannien und den USA einen ordentlichen Anteil an den Gewinnen aus den Geschäften mit dem iranischen Öl sicherte) durchgehen würde.

Nach Zahedi konnte der Schah endlich die autokratische Modernisierung in Angriff nehmen, die ihm – genau wie seinem Vater – beinahe wichtiger als alles andere war. Bessere Bildung, verstärkte Urbanisierung und technischer Fortschritt waren, so glaubte er, die Schlüssel zur Zukunft des Iran, die seiner Überzeugung nach in engen Bindungen an den Westen lag. Washington steigerte die Rüstungslieferungen an den Iran und entsandte mehr zivile und militärische Berater. Auch Hilfsgelder flossen üppiger, weil der Iran in den Augen Amerikas ein entschiedener Gegner des Kommunismus war. So wuchs die Abhängigkeit des Iran von Washington, was zu einer Quelle der Empörung in der Bevölkerung und zu einer ernsten politischen Gefahr für den Schah wurde.

Der zweite Entwicklungsplan der Regierung aus dem Jahr 1955 sah immer höhere (oft unwirtschaftliche) Ausgaben für wirtschaftliche und soziale Projekte vor. Der Schah betrachtete sich als einen aufgeklärten Herrscher, der den Iran endlich ins 20. Jahrhundert führen würde, behindert nur durch Reaktionäre mit Scheuklappen – »die Schwarzen und die Roten« (Kleriker und Kommunisten). Schon in diesem frühen Stadium glaubte er, Modernisierung sei gleichbedeutend mit Anschluss an den Westen, und so strömten westliche Waren und westliche Technologie ins Land, was in der Bevölkerung den Eindruck verstärkte, der Schah sei der »Schoßhund« des Westens (eine Sünde, die umso schwerer wog, als sein »Herrchen« Washington Israel unterstützte). Es kam darauf an, Fortschritt zu demonstrieren, und die Atomkraft war das jüngste Zeichen des Fortschritts.

1957, vier Jahre nach dem Staatsstreich, erschien der Iran hinreichend stabil, um ihm Nukleartechnologie anzuvertrauen. In dem Jahr wurde das nukleare Ausbildungszentrum unter der Aufsicht der Central Treaty Organization (CENTO) von Bagdad nach Teheran verlegt. Die USA eröffneten in Teheran eine Ausstellung über »Atome für den Frieden«, und eine bilaterale Vereinbarung zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten über die Zusammenarbeit bei der »friedlichen Nutzung der Nukleartechnologie« wurde verkündet.20 Im Rahmen dieser Vereinbarung musste der Iran versichern, sich nicht um Atomwaffen zu bemühen, aber er durfte »friedliche« Kernforschung betreiben, bekam technische Unterstützung und mehrere Kilogramm in den USA angereichertes Uran. Die Vereinbarung sah weiterhin die Lieferung eines 5-Megawatt-Leichtwasser-Forschungsreaktors vor.21 Das war die Geburtsstunde der Atomkraft im Iran, und die Vereinigten Staaten spielten die Rolle der Hebamme.

Die frühen Entwicklungsjahre zogen sich indes lange hin. Das sehr kleine wissenschaftliche Establishment im Iran war einfach nicht in der Lage, auf dem aufzubauen, was Amerika geliefert hatte. Das Land besaß nun zwar eine nukleare Grundausstattung, hatte aber nicht die wissenschaftliche Kapazität, um sie zu nutzen. Der 5-Megawatt-Leichtwassereaktor – der Forschungsreaktor an der Universität Teheran – war fast das gesamte nächste Jahrzehnt nicht in Betrieb. 1965 kehrte ein junger Nuklearphysiker namens Akbar Etemad nach Studien in Genf und Paris mit besten Qualifikationen, aber ohne Arbeitsplatz heim in den Iran. Er hatte reichlich Zeit, die er sich wie viele Arbeitslose mit Fernsehen und Zeitungslektüre vertrieb. Die Presse berichtete, dass der Schah verärgert sei, weil es mit dem Reaktor nicht voranging. Der Bau stoppte, es fehlte schlicht an Fachwissen. Etemad erstaunte das nicht. Er war an die europäische Art gewöhnt, Dinge zu erledigen, und wunderte sich, dass die iranische Regierung keine Instanz hatte, die sich ausschließlich um die Nukleartechnologie kümmerte. Alle Nuklearfragen fielen in die Zuständigkeit der Planungsbehörde, die für sämtliche Entwicklungsprojekte im Land verantwortlich war.

Die Träume des Schahs von einem technisch fortgeschrittenen Iran, der mit Atomstrom in die Moderne steuerte, schienen gescheitert, bevor die Umsetzung auch nur begonnen hatte. Öffentlich drängte er den Leiter der Planungsbehörde, Safi Asfia, die Dinge voranzutreiben, aber das war schlichtweg unmöglich, solange niemand den Reaktor bedienen konnte. Etemad wusste, dass er es konnte. So packte er eines Morgens in einer glücklichen Eingebung, wie es oft in der Geschichte vorkommt, seine Diplome zusammen, ging zum Büro der Planungsbehörde in Teheran und bat um ein Gespräch mit Asfia. Die Empfangsdame wollte ihn erst nicht vorlassen. Er sagte, wenn sie ihrem Chef erzählte, dass unten ein junger Iraner wartete, der sich mit Atomkraft auskannte, würde er ihn sehen wollen. Und so war es. Asfia war Professor für Ingenieurwissenschaft an der Universität Teheran und verfügte über genug technisches Wissen, um zu erkennen, dass er jemanden vor sich hatte, der sehr viel besser Bescheid wusste als er selbst. »Gott hat Sie zu uns geschickt«, sagte er mit offensichtlicher, verzweifelter Erleichterung zu Etemad.22

Etemad ließ seine Diplome im Büro. Man suchte so dringend nach qualifiziertem Personal, dass Etemad gesagt wurde, seine Diplome würden dem Schah persönlich vorgelegt, und er werde bald einen Anruf erhalten. Der Anruf kam zwei Tage später: Er sollte sofort an der Universität Teheran zu arbeiten beginnen, die zur Fertigstellung des Reaktors nötigen Gelder würden freigegeben. Etemads erste Reaktion, als er an der Universität ankam, war Schock. Die unzureichende Infrastruktur, der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern und das allgemeine Durcheinander machten ihm deprimierend klar, wie groß die Aufgabe war, die er vor sich hatte. Das Personal bestand aus ein paar Atomphysikern von der Universität ohne jede praktische Erfahrung, wie man einen Reaktor baute, betrieb und wartete. Der Reaktor war teilweise gebaut, aber noch lange nicht fertig, und insgesamt schien es Probleme zu geben.

Etemad flog als Erstes nach Illinois zu American Machine and Foundry (AMF), der Firma, die die Reaktorteile geliefert hatte und beim Aufbau half. Dort konnte er die technischen Probleme identifizieren und lösen. Dann kam der schwierige Teil: Es mussten Personen für den Betrieb des Reaktors ausgebildet werden. An der Universität gab es einige wenige, die zu grundlegenden Handgriffen in der Lage waren, aber Etemad brauchte mehr, die bei der Produktion von Radioisotopen und anderen anspruchsvolleren Verfahren eingesetzt werden konnten. Alles in allem dauerte das zwei Jahre (von 1965 bis 1967). Schließlich konnte er den Reaktor der Universität zu Forschungs- und Ausbildungszwecken übergeben. Im November 1967 war er kritisch (betriebsbereit). Als Brennstoff verwendete man 93-prozentig angereichertes Uran (ironischerweise war das waffenfähig) aus den Vereinigten Staaten. 1968 wurde das Atomforschungszentrum an der Universität Teheran offiziell (und endgültig) eröffnet, das mit einem 5-Megawatt-Schwimmbadreaktor arbeitete, aber es war alles sehr rudimentär.

Als Nächstes lehrte Etemad Atomphysik an der Universität Teheran, doch er war inzwischen viel zu wertvoll, um längere Zeit nur Professor zu bleiben. Ende 1969, nur ein Jahr nach Eröffnung des Atomforschungszentrums, zitierte ihn Premierminister Amir Abbas Hoveyda in sein elegantes Büro zu einem Gespräch, wie man die wissenschaftliche Forschung im Iran verbessern könnte. Die Unterredung war ziemlich kurz. Etemad bot an, Empfehlungen zusammenzustellen, und beharrte darauf, maßgebliche Experten hinzuzuziehen. Bei der Arbeit an dem Reaktor hatte ihn der Mangel an wissenschaftlicher Professionalität, geradezu ein Bestandteil der Kultur, in der Regierung am meisten verblüfft. Es gab schlichtweg kein Bewusstsein dafür, dass in landesweiten wissenschaftlichen Projekte Experten arbeiten sollten und nicht Bürokraten. Etemad empfahl den Aufbau einer unabhängigen nationalen Organisation, die sich allein der wissenschaftlichen Forschung widmen sollte. Der Vorschlag wurde gutgeheißen. So entstand das iranische Institut für Planung und Forschung in Wissenschaft und Bildung, geleitet von Etemad.