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Loreletta Nox

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Beschreibung

Eigentlich hat der Drache Ator ein recht angenehmes Leben, wenn man es von außen betrachtet.   Seine Arbeit in einem Security-Unternehmen gefällt ihm, er wohnt mit seinen drei besten Freunden – einem Wolf, einem Satyr und einem Naga – in einem großen Haus mit gewaltigem Grundstück um dieses herum und sein Hort ist aus menschlicher Sicht reichlich gefüllt. Haus, Auto, Geld und gelegentlich auch Verabredungen mit hübschen Frauen – die Welt steht den vier Freunden definitiv offen.   Oder um es kurz zu sagen: Ator hat genau das, wovon jeder träumt. Perfekter könnte es doch kaum für ihn laufen, nicht wahr?   Dennoch fehlt ihm trotz all der schönen Sachen etwas Wichtiges. Etwas, wovon jeder Wandler, jeder mit 'besonderer' Abstammung, träumt und das man nicht einmal mit allem Geld der Welt kaufen könnte. Seine Seelengefährtin, auf welche er schon seit Jahrhunderten wartet…

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Loreletta Nox

Ator

Das Herz des Drachen

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Kurzbeschreibung

 

Eigentlich hat der Drache Ator ein recht angenehmes Leben, wenn man es von außen betrachtet.

 

Seine Arbeit in einem Security-Unternehmen gefällt ihm, er wohnt mit seinen drei besten Freunden – einem Wolf, einem Satyr und einem Naga – in einem großen Haus mit gewaltigem Grundstück um dieses herum und sein Hort ist aus menschlicher Sicht reichlich gefüllt.

Haus, Auto, Geld und gelegentlich auch Verabredungen mit hübschen Frauen – die Welt steht den vier Freunden definitiv offen.

 

Oder um es kurz zu sagen: Ator hat genau das, wovon jeder träumt.

Perfekter könnte es doch kaum für ihn laufen, nicht wahr?

 

Dennoch fehlt ihm trotz all der schönen Sachen etwas Wichtiges.

Etwas, wovon jeder Wandler, jeder mit ‚besonderer‘ Abstammung, träumt und das man nicht einmal mit allem Geld der Welt kaufen könnte.

Seine Seelengefährtin, auf welche er schon seit Jahrhunderten wartet…

Prolog

 

Manchmal spielt das Leben nicht so, wie man es gerne hätte. Denn während der eine in Glück und Reichtum förmlich baden kann, droht der andere in Pech und Armut zu ertrinken.

Natürlich heißt es ja aber auch so schön, dass Jeder seines Glückes Schmied sei. Aber was ist Glück? Auch das wird von jedem anders wahrgenommen und definiert. Der eine mag sich an einem neuen Buch, einem leckeren Essen oder einem sonnigen Tag erfreuen und sich für den glücklichsten Menschen der Welt halten, der andere hingegen mag sein Glück bei seinem Partner oder seiner Partnerin finden.

Aber so einen Partner zu finden, der perfekt zu einem passt, ist auch mitunter gar nicht so leicht. Ja, es gibt sie, die Glücklichen, deren große Liebe ihnen förmlich vor die Füße stolpert. Aber es gibt auch die anderen. Jene, die mitunter Jahre, wenn nicht Jahrzehnte warten, bis das passiert – und mit viel Pech passiert es niemals.

Gut haben es da die Menschen, dass ihr Leben nicht lange währt. Bei den meisten ist vor dem 100ten Geburtstag Schluss, egal wie weit sie bis dahin gekommen sind oder eben nicht. Aber was ist, wenn nach dieser hübschen runden Zahl eben nicht automatisch das Ende kommt? Wenn die Zahl sich verdoppelt, verdreifacht, sich vielleicht sogar verhundertfacht? Wenn das eigene Leben einfach kein natürliches Ende findet und so eben aus Jahren oder Jahrzehnten des Wartens und Suchens einfach ein paar Jahrhunderte werden? Oder Jahrtausende?

Denn ob man es glauben mag oder nicht: Es gibt mehr auf der Welt als Menschen, Tiere und Pflanzen. Gestaltwandler, Zauberer, Blutsauger, all die geliebten und gehassten Gestalten, welche in Filmen, Büchern und Spielen als Pro- oder Antagonisten herhalten müssen, bevölkern ebenso die belebten Großstädte und idyllischen Dörfer wie es die Menschen zu tun pflegen. Nur, dass sie es seit den Zeiten des finsteren Mittelalters für sich behalten, um den Hetzjagden zu entgehen.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Menschen und diesen ach so gruseligen Zeitgenossen, welche immer wieder für herrlich kribbelnde Gänsehaut oder wohlige Schmachtanfälle bei ihren Fans sorgen. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten.

Ein schönes Beispiel ist wohl das Zusammenleben. Entweder man gehört zu den Beliebten oder eben nicht. Was aber am Ausgeprägtesten ist, ist die Trennung der unterschiedlichen Spezies. Der Magier wird lieber mit seinesgleichen umherstiefeln, vielleicht eine platonische Freundschaft mit einem Gestaltwandler hegen, aber Himmel bewahre, dass er jemals mit einem zusammenleben würde!

Es ist also eher unwahrscheinlich, dass man Vertreter dieser versteckten Arten mal auf einem Haufen zusammen erleben würde. Unwahrscheinlich, aber eben nicht gänzlich unmöglich. Solche aus der Not geborenen Gemeinschaften gibt es, auch wenn es nur sehr wenige sind.

Aber genau so eine illustre Gemeinschaft ist es, in welche sich die vier Außenseiter ihrer eigenen Arten geflüchtet haben. Wenn man sie sieht mag man allerdings gar nicht glauben, dass diese „Augenweiden“ tatsächlich so etwas wie die eher unbeachteten Teenager in der High-School sein sollen, an denen man kichernd und lachend vorbeigeht und sie doch keines Blickes würdigt.

Ator, der Größte von ihnen, über zwei Meter hoch und breit wie ein Schrank, ein Drachenwandler, der sich seinen Unterhalt als Security verdient. Ein wahrer Brocken von Kerl, mit leicht gebräunter Haut, schwarzen zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren und unpassend sanft wirkenden grünen Augen, der trotz seiner Masse und der unleugbaren Möglichkeit einen Arm wie ein Streichholz brechen zu lassen doch eine gewisse ruhige Selbstsicherheit ausstrahlt.

Der Zweite in der Runde, Ben, der Wolfswandler, misst nur zwei Zentimeter weniger als sein Freund und könnte sich gerade noch so hinter dessen massigem Kreuz verstecken, was die beiden mitunter gerne ausnutzen, wenn sie gemeinsam eine Schicht belegen. Optisch hat er seinen ganz eigenen Charme. Die Haut wesentlich heller als Ators, dafür aber mit unzähligen Narben ob seines geliebten Hobbies verziert, die hellbraunen Haare kurzgehalten und der Blick der fast schwarz wirkenden Augen zeugt von einer fast schon einschüchternden Disziplin.

Auch Rhiom, der Dritte im Bunde, ein Satyr, muss sich nicht verstecken, auch wenn er im Gegensatz zu seinen Freunden drahtiger gebaut ist. Nicht ganz so groß, aber doch ordentlich etwas hermachend, Brust, Rücken und Arme mit Tribal-Tattoos verziert. Die definitiv schwarz gefärbten Haare präsentieren sich in einem stolzen Undercut, dessen langes Haupthaar die meiste Zeit in einem eher zerzausten Pferdeschwanz gehalten wird, während braungrüne Augen vor Schalk nur so zu sprühen scheinen.

Kisame, der Vierte und Letzte, ein Naga. Definitiv der Jüngste in der beachtlichen Runde und neben seinen drei Freunden am schmächtigsten wirkend. Über zehn Zentimeter kleiner als der Brocken und definitiv schmal genug, um sich hinter jedem der drei anderen verborgen halten zu können, aber eindeutig nicht schmächtig. Bei ihm mag man am ehesten erkennen können woher er stammt, weist er doch asiatisch anmutende Züge auf. Braune Augen blitzen freundlich in die Welt und passen gut zum chaotischen fast gänzlich weißblondierten Strubbelkopf mit der eher hellen Haut.

Auch diese beiden haben sich zusammengeschlossen und frönen einer gemeinsamen Arbeit, um Kost und Logis bewerkstelligen zu können. Leder und Stahl hat es den beiden angetan, sodass der gemeinsame Laden in der Stadt für jeden etwas passendes parat hält. Mäntel, Stiefel, Klingen, Dekorationen, man bekommt bei ihnen alles – sei es nun für die einfache Wohnungsdekoration, die Küche oder gar für das geliebte Cosplay- oder LARP-Kostüm.

Gemeinsam hat sich dieser bunte Haufen in einem eher ruhigen Gebiet in Amerika niedergelassen und sich in einem ordentlich großen Anwesen einquartiert. Unterteilt in vier Flügel und in der Mitte mit gemeinschaftlichen Räumen versehen, hat so jeder seinen Platz, um den teilweise doch sehr unterschiedlichen Gelüsten zu frönen und nachzukommen, die die eigene Art manchmal hervorkitzelt.

Krafträume und Werkstätten sind dort ebenso zu finden, wie die individuell gestalteten Flügel, welche von eher düster anmutend bis hin zu luftig und offen einmal alles bieten, was man sich nur vorstellen kann. Und wenn doch einmal der Drang nach Freiheit zu groß wird, bietet das umliegende zum Anwesen gehörende Land samt eigenem großen See ihnen genügend Möglichkeiten sich auszutoben.

Aber so schön es auch ist trotz der vielen Unterschiede eine Gemeinschaft zu bilden, sich zu unterstützen, miteinander zu lachen und zu leben, ist es doch vor allem der Drache, der immer wieder die Einsamkeit verspürt. Jeder von ihnen mag von seiner eigenen Art ausgegrenzt worden sein, doch ihn trifft es am härtesten. Spürt er doch mit jedem Tag, der verstreicht, mehr und mehr das drängende Verlangen danach endlich sie zu finden. Die perfekte Eine, die seine Schuppen zum Glänzen und seine Glut zum Bersten bringen kann, die nur für ihn bestimmt ist und für niemanden sonst.

Wunschdenken, wie er weiß, ergeht es ihm doch nicht anders als seinen Freunden. Sie mögen es nicht aussprechen, aber auch ihnen sieht er deutlich an, dass sie langsam aufzugeben scheinen. Wenn es nicht sein soll, dann soll es nicht sein – dafür haben sie zumindest einander.

1

 

Eine neue Nacht, eine neue Schicht.

Laut wummernde Bässe, dunstige Luft, diffuses Licht. Die Gerüche von Zigaretten, Alkohol, Schweiß und Parfüm mischten sich zu einer einzigen Duftwolke, die unbarmherzig in Ators und Bens Nasen kroch und es nur ihrer langen Übung zu verdanken war, dass sie nicht angewidert die Gesichter verzogen.

Ben hatte sich zwischen den Waschräumen und dem DJ-Pult postiert, Ator ihm gegenüber nahe der gut besuchten Bar. Was willkürlich wirkte hatten die beiden sich jedoch im Laufe der langen gemeinsamen Arbeitszeit angewöhnt: Da beide die Menge größtenteils überragten bot ihnen diese Art der Aufteilung den besten Überblick und ermöglichte ein schnelles Eingreifen, falls es doch einmal nötig sein sollte. Und nötig war es schon mehr als nur einmal gewesen.

Aufmerksam glitten daher die Blicke der beiden Hünen über die dicht an dicht gedrängte Menge aus wogenden Leibern, die sich zum Rhythmus der hämmernden Musik bewegten. Kurz traf sich über der Masse der Blick der beiden, es wurde einander zugenickt. Alles ruhig.

Eine erfreuliche Abwechselung zu einer vergangenen Schicht, als beide dazu gezwungen gewesen waren mehrere aggressiv gewordene Männer und einige Frauen voneinander zu trennen und ins Freie zu befördern.

Stoische Ruhe ausstrahlend verlagerte Ator sein Gewicht ein wenig und verschränkte die kräftigen Arme vor der breiten Brust. Schwarzes T-Shirt, schwarze Hose, schwarze Schuhe, fast könnte er als eher passiver Besucher der Disco durchgehen. Wären da nicht die weißen Lettern, welche auf seinem Shirt prangten und unübersehbar das Wort SECURITY bildeten. So ruhig könnte die Nacht gerne weiter vergehen, er wäre wohl der Letzte, der sich darüber beschweren würde.

Aber wo er nach außen hin gelassen und aufmerksam wirkte, brodelte es in seinem Inneren. Trotz, dass ihn so viele Wesen umgaben, welche ausgelassen feierten und lachten, sich betranken und mitunter auch gegen seinen Leib wogten, hätte er sich nicht einsamer fühlen können.

All die fröhlichen Gesichter, die miteinander tanzenden oder knutschenden Paare um ihn herum, all der Lärm, sogar die Gerüche schienen für einen bedenklichen Moment von ihm abzurücken und seine Einsamkeit nur noch zu verstärken.

Sie war dort draußen, irgendwo. Und er hier drinnen, um für die nächsten Stunden darauf zu achten, dass all diese Wesen weiterhin ihren Spaß haben konnten. Wie ungerecht die Welt doch sein konnte, nicht wahr?

Etwas von seinen tristen Gedanken musste sich in den sonst so sanften grünen Augen gezeigt haben, denn als er ein weiteres Mal kontrollierend über die Menge hinwegblickte, traf ihn Bens fragender Blick unter leicht zusammengezogenen Augenbrauen. Nein, Mienenspiele waren nicht die größte Stärke seines Freunds und Arbeitskollegen, und es bedurfte schon eines sehr driftigen Grundes, um solche von ihm zu provozieren.

Beschwichtigend schüttelte der Drache daher den Kopf, langsam und kaum wahrnehmbar, aber für den ihm gegenüberstehenden Wolf trotz der Entfernung noch zu erkennen. Nicht jetzt.

Ob es ihm schmeckte oder nicht, ein knappes Nicken bestätigte die stumme Kommunikation, dann schweifte der wesentlich strengere Blick weiter. Erleichtert, dass er die drohende Unterhaltung fürs Erste abgewendet hatte, stieß Ator den Atem wieder aus, von dem er gar nicht gemerkt hatte, dass er ihn überhaupt angehalten hatte.

Ja, auf das Gespräch freute er sich ja bereits. Weder wäre es das erste noch das letzte zu diesem speziellen Thema, nur dieses Mal mit ihm als Hauptakteur.

Und warum das Ganze? Weil er ein verdammter Außenseiter in seiner eigenen Spezies war.

Weder besaß er schillernde Schuppen noch einen gewaltigen Hort voller Gold – zumindest nicht nach den Maßstäben von Drachen. Und auch wenn er unter den Menschen wie ein verdammter Berg dahinwalzte, war er doch unter seinesgleichen in seiner Gestalt eher ein Winzling, egal wie imposant seine humanoide Form auch sein mochte.

Ja, er war wuchtiger als einige der anderen Männchen, aber die Flügelspannweite… Die war eindeutig wichtiger als ein massiger, starker Körper. Und so war er immer weiter ins Abseits gerutscht, wurde ausgelacht und plump gesagt verarscht, bis er irgendwann einfach gegangen war.

Eine geraume Zeit war er allein umhergezogen, hatte sich mal hier, mal dort niedergelassen, aber es war nie endgültig gewesen. Bis er dann auf Ben getroffen war. Dem Wolf war es nicht besser ergangen als ihm selbst, auch er war fortgezogen nachdem es für ihn einfach keinen Platz mehr bei seinen Leuten gegeben hatte.

Fortan waren sie zu zweit unterwegs gewesen, was das Ganze doch ein wenig erträglicher gemacht hatte – was er auch offen und ehrlich zugab, wenn man ihn danach fragte. Später war dann auch Rhiom zu ihnen gestoßen.

Der Satyr war mit seiner Art und seinen mitunter schiefgegangenen Feuerzaubern stark angeeckt und letztlich mit einem Arschtritt davon getrieben worden. Die Zauber gingen auch jetzt noch schief – natürlich niemals mit Absicht, dass schwor er jedes Mal höchst feierlich, wenn auch mit einem dreckigen Grinsen auf den Lippen – aber es gehörte einfach zu dem extrovertierten Satyr dazu. Wenigstens klappten Naturzauber ohne größere Desaster…

Und zu guter Letzt, vor noch nicht gar zu viel Zeit, war dann auch Kisame in ihr Leben gestolpert. Oder sie in seines, je nachdem wie man es sehen wollte.

Wenn auch der Jüngste und eher Kleinste in der Runde bildete der stumme Kerl einen herrlichen Gegenpol zum ewig überdrehten Satyr, sodass es gar keiner Frage bedurfte, ob man ihn unter die Fittiche nehmen sollte oder eher nicht. Auch wenn er mit Vorliebe seine Freizeit im Bastelraum verbrachte und dort an irgendwelchen Gerätschaften herumhantierte, welche überhaupt erst dafür gesorgt hatten, dass er allein am Strand gehockt hatte.

Tja, so waren aus mehreren Einzelzimmern, die er abgegrast hatte, immer größere Wohnungen geworden. Eigentlich hatte er ja die letzte Wohnung – vier Zimmer, Küche, Bad, schön in einer Altstadt gelegen – sehr gemocht, aber mit dem Zuwachs durch Kisame war es dann doch ein wenig eng geworden. Also waren sie wieder einmal umgezogen.

Was hatte es da nicht für Diskussionen gegeben! Zu klein, zu laut… Irgendetwas war immer gewesen, weswegen man sich nicht einig geworden war. Bis sie letztlich das Anwesen gefunden hatten. Genügend Räume, viel Platz für jeden und alle zusammen, viel freie Fläche drumherum und für so ein imposantes, wenn auch etwas baufälliges, Gebäude ein wirkliches Schnäppchen!

Gut, sie hatten danach noch einiges an Geld und Zeit in die Renovierungs- und Umbauarbeiten stecken müssen, einen Teil hatten sie aber auch selbst gestemmt und jetzt? Jetzt erstrahlte der Kasten in neuem Glanz und alle waren glücklich und zufrieden. Zumindest was die Wohnsituation anging.

Immer wieder kam es vor, dass einen von ihnen die Einsamkeit plagte und etwas dagegen unternommen werden musste. Von lauter Musik bis hin zu Dauerbesetzung der Sportgeräte war dabei alles vertreten. Denn die einzige und strikteste Regel im Haushalt blieb: Wer fickt tut es auswärts! Alles andere wäre unfair und würde den Teufelskreis nur weiter befeuern. Und bisher hatte das auch ganz gut geklappt.

Während Kisame und Rhiom ihre Zeit mit dem Bauen und Basteln von allem, was man halt eben aus Stahl und Leder formen konnte, verbrachten, standen Ator und Ben sich in schöner Regelmäßigkeit als Security die Beine in den Bauch. Jeder, wie er es gerne mochte, auch wenn es dafür den einen oder anderen Spruch oder Scherz von der jeweiligen Gegenseite zu hören gab.

Wer Zuhause ist, kocht, Ende der Diskussion. Wäsche? Selbes Prinzip. Genauso wie alles andere auch. Gemeinschaft wie sie sein sollte. Vier Junggesellen in relativ friedlicher Eintracht zusammenwohnend. Könnte nicht toller sein, oder?

Doch, könnte es. Denn der Überschuss an Testosteron war einfach nicht zu leugnen und auch wenn es die meiste Zeit friedlich blieb, knallten die Hitzköpfe doch auch gelegentlich mal aneinander. Was dann jedes Mal zu unnötigen Renovierungsarbeiten führte. Aber besser es musste nur neuer Putz aufgetragen werden, als dass sie ein Grab schaufeln müssten, oder?

Ator selbst merkte nicht, wie er bei den Gedanken an seine ‚Familie‘ eine Grimasse zog. Eine seltsame Mischung aus Grinsen, Lächeln und ‚Oh mein Gott, wieso ertrage ich diese Idioten überhaupt?!‘ zierte sein Gesicht und brachte ihm einige irritierte Blicke der sich amüsierenden Nachtschwärmer in seiner Nähe ein.

Konzentration, Großer!

Wieder und wieder ließ er daher den Blick wandern, beobachtete einige Kerle, die zu tief ins Glas geschaut hatten, und schnaufte leise als sie von selbst den Rückzug antraten. Gut, also musste er doch keine Köpfe geraderücken. Schlecht, denn er würde gerne welche korrigieren, als kleine Ablenkung von seinen abwandernden Gedanken.

In Ermangelung von wirklicher Beschäftigung mit betrunkenen Randalierern tat ihm sein Kopf jedoch den Gefallen und schob die Erinnerung an den letzten Zusammenstoß in den Vordergrund.

Der besagte Abend war noch gar nicht so lange her, allerhöchstens eine Woche, wenn er sich nicht irrte. Der Laden war so voll gewesen, dass man kaum einen Schritt hatte machen können ohne jemandem auf die Zehen zu treten oder auf ungewollte Tuchfühlung zu gehen. Eine schiere Zerreißprobe für den armen Ben, über welche Ator selbst nur müde hatte lächeln können.

Hitze, der vermischte Geruch von Schweiß, Parfüm und Alkohol, eng gedrängte Leiber, dröhnende Musik und wildes Gelächter dominierten auch diesen Abend. Die penetrante Mischung schien aber wie so oft an dem Drachen abzuperlen, der ruhig seinen Blick schweifen ließ und einem Fels in der Brandung gleich auf seinem Posten stand. Anderen fehlte diese Abwehr jedoch, oder zumindest das Kennen und Abschätzen der eigenen Grenzen, denn im Laufe des Abends kam es, wie es eben kommen musste.

Zu viel Alkohol, zu viel Testosteron, zu tiefe Ausschnitte, zu wenig Raum – eine besonders explosive Mischung, welche dafür sorgte, dass ihm bei einem weiteren über die Menge schweifenden Blick der winkende Barkeeper ins Auge fiel. Einmal der weisend winkenden Hand nachgesehen, erfasste Ator recht schnell den Grund für das Zeichen: Einige junge und unverkennbar stark alkoholisierte Kerle stritten sich an der Theke.

Was zuvor wohl nur lautes Pöbeln und provokantes Fuchteln mit den Händen gewesen war, wandelte sich mit alarmierender Geschwindigkeit zu wüstem Schubsen und Stoßen. Zeit, um einzuschreiten, bevor sich die anbahnende Katastrophe ausweiten konnte.

Wenn ihr euch Aggressoren nähert, geht immer zu zweit, niemals allein. Denn in ihrer Wut können sie unberechenbar sein! Die wohl wichtigste Lektion, die sein Ausbilder ihm vor so langer Zeit mit auf den Weg gegeben hatte und an die er sich eisern hielt.

Dementsprechend hielt er, während er sich in Richtung Theke bewegte, Ausschau nach Ben, welchen er mit einem knappen Nicken an seine Seite beorderte. Auf seinen Freund war eindeutig Verlass, erfasste dieser doch mit zwei kurzen Blicken die Situation und setzte sich ebenfalls in Bewegung, um sich seinen Weg durch die feiernde Menge zu bahnen.

Ators Weg erwies sich wie so oft als einfach. Auch wenn der Laden voll war, so machten ihm die Leute doch Platz sobald sie ihn in ihrer Nähe wahrnahmen. Groß und breit verströmte er auch unter den normalen Menschen eine unleugbare Dominanz, versprach aber auch Sicherheit. Und für diese gedachte er wieder zu sorgen.

Nach einem letzten kurzen Blick zu seiner Linken, um zu kontrollieren wie nah Ben bereits war, erreichte er schließlich den Schauplatz der immer heftiger werdenden Auseinandersetzung und ragte mit seiner gesamten Größe hinter dem Verursacher auf, während Ben dasselbe beim anderen tat. Trotz der dröhnenden Musik und der nur noch lauter gewordenen Auseinandersetzung vor ihm, hallte Ators Stimme kraftvoll und klar an die Ohren der Umstehenden als er die Streithähne auf sich aufmerksam machte: „Meine Herren, es ist Zeit zu gehen.“

„Misch dich nicht ein!“

Ator hatte mit keiner anderen Reaktion gerechnet, wenn er ehrlich sein sollte. Maßlose Selbstüberschätzung und reichlich Alkohol sorgten sehr gern dafür, dass die Menschen trotz drohender Gefahr übermütig wurden. Nicht, dass der Drache vorhatte Gewalt anzuwenden. Meist reichte seine Erscheinung schon aus, um solche Dispute zu einem raschen Ende zu bringen. Aber meist war halt nicht immer, so auch in diesem Fall.

Ganz anders sah das wiederum bei dem Mann aus, hinter welchem Ben aufragte und von dort aus ein achtsames Auge auf das Geschehen warf. Kein Wunder, denn dieser Mann konnte Ator ja auch sehen, welcher den Pöbler um gut zwei Köpfe überragte – wohl ein ernüchternder Anblick, auch wenn der Mann selbst nicht der Aggressor war.

Einer erledigt, blieb nur noch den anderen auf seine Lage aufmerksam zu machen: „Jetzt stellen wir erst einmal die Gläser weg und dann setzen wir das weitere Gespräch vor der Tür fort.“

„Ich hab gesagt, misch dich nicht ein, du Hänf…“, röhrte der mit dem Rücken zu ihm stehende Mann, während er sich zu Ator umwandte und schwungvoll sein Bierglas in das Gesicht des Drachen entleerte. Nicht, dass dieser Treffer geplant gewesen wäre, aber die Zielfähigkeit hatte ebenso wie die Selbstbeherrschung im Laufe des Abends doch drastisch gelitten. Was auch der Mann bemerkte, wurde dessen Sichtfeld doch primär von Brust ausgefüllt. Gezwungenermaßen wanderte so der Blick in die Höhe, hin zum nassen Gesicht des Brockens, bevor er das Wort zu ende auswürgte: „Ling…“

Weder war es das erste Mal, dass Ator beleidigt oder mit irgendetwas begossen wurde, noch würde es das letzte Mal sein. Im Laufe seiner Jahrhunderte war das oft genug vorgekommen und dabei erwies sich dieser Mensch nicht einmal als der Kreativste von allen.

Nein, da war er wesentlich andere Kaliber jedweder Art von seinen Mitdrachen gewöhnt, welche ihn geschmäht hatten bis er den Schwarm verließ. Bier in den Augen brannte dennoch unangenehm, weswegen er seine Hand hob und sich damit kontrolliert die stinkige Flüssigkeit etwas abwischte. Unangenehm, ohne Frage, aber ihm dennoch nicht mehr als ein müdes Schmunzeln wert.

„Ich denke, dass wir uns darüber einig sind, dass dies nicht möglich sein wird, oder?“ Um die Endgültigkeit des Rauswurfs zu unterstreichen legte Ator seine vom Bier nasse Hand auf die Schulter des noch immer blöd glotzenden Mannes, drückte dosiert zu und wies mit der zweiten Hand in Richtung Ausgang.

Auf dessen anderer Schulter landete eine zweite Pranke, die definitiv zu dem Hünen vor seiner Nase gehörte. Ein Blick offenbarte dem nun nicht mehr ganz so vorlauten Randalierer, dass er von zwei dieser Sorte umgeben war, wobei der Koloss genau vor ihm augenscheinlich das Sagen hatte. Flankiert von den beiden, die sich über seinen Kopf hinweg knapp zunickten, wurde er samt seines unfreiwilligen Kontrahenten an den anderen Feiernden vorbei zum Ausgang gebracht und in die kühle Nacht hinausgeschickt.

„Geht nach Hause und schlaft euch aus“, war die letzte Anweisung Ators, bevor er mit Ben zusammen wieder nach drinnen verschwand und die Tür hinter sich zu fallen ließ.

2

 

Nur am Rande nahm er versunken in diese Erinnerung wahr wie sich exakt dieselbe Tür zur Disco öffnete und weitere Gäste ins Innere strömten. Ein kurzer, fahriger Blick, dann hatte er die fünfköpfige Gruppe partywütiger Frauen erfasst und als bereits leicht angeheitert eingestuft.

Nichts Ungewöhnliches, die meisten glühten vor, bevor sie sich ins pulsierende Nachtleben warfen. Und doch ruckte der gerade abgeschweifte Blick wieder zurück zu der hüpfenden und johlenden Traube aus Frauen. Warum interessierten sie ihn?

Von sich selbst irritiert zog er die Augenbrauen ein wenig zusammen und versuchte zu lokalisieren, was ihn da so stutzig hatte werden lassen. Drei blonde Schöpfe, ein brauner und ein blauschwarzer, vier hüpfend und sich bewegend, der letzte aber stoisch stillhaltend.

Im braunen Schopf glitzerte vergnügt eine kleine Plastikkrone – aha, Junggesellinnenabschied! – und der Rest wurde von kleinen Plüschohren geziert. Hase, Maus, Einhorn und …

Der blauschwarze Schopf war der einzige, der sich offenbar weigerte diese dämlichen Dinger aufzusetzen. Sehr zum Verdruss ihrer Freundinnen, deren Betteln und Flehen nur bedingt durch die dröhnende Musik verstehbar waren. Nein, die Teile würde er sich auch nicht aufsetzen, was auch immer sie bekommen hatte. Aber das war es auch schon mit seiner Observation, verschwanden die Schöpfe doch im allgemeinen Chaos der Tanzfläche.

Unbewusst lehnte er sich nach vorne, machte bereits den ersten Schritt, um ihnen zu folgen, bevor er innehielt. Dieses Rumpeln in seinem Brustkorb, dieses Vibrieren in der Kehle, er hatte es schon ewig nicht mehr wahrgenommen und ausgerechnet jetzt…? Verflucht!

Mühsam schluckte er das Grollen herunter, welches sich ihm entringen wollte, verschloss diesen seiner Drachenseite entspringenden Ton tief in sich und suchte rasch nach dem Blick des Wolfs.

Gefunden war dieser schnell, starrte sein Freund doch wieder mit diesem seltsamen Ausdruck zu ihm herüber und rang sich sogar dazu durch quer durch den Raum fragend eine Augenbraue anzuheben. So hatte er Ator noch nie erlebt und schon gar nicht während der Arbeit. Was auch immer seinen Freund so in Aufruhr versetzte, es musste etwas Großes sein, dass dieser von seinen Instinkten übermannt zu werden schien – und dann auch noch in einem so überfüllten Raum.

Quer durch den Raum konnte Ator aber nicht verhindern, dass Ben etwas in sein kleines Headset raunte und dann die Hand zum Zeichen für eine Pause hob. Noch einmal: Verdammt! Er brauchte keine Pause, er wollte keine, aber er war gezwungen sich mit einem unwilligen Schnauben von seinem Platz zu lösen und sich einen Weg zu der hübschen Tür mit dem kleinen Schildchen „Privat“ zu bahnen.

Mit bemüht dosierter Kraft öffnete er diese für sich und schob sich in den dahinterliegenden Gang, Ben dicht auf seinen Fersen habend. Dem Wolf fiel es leicht sich Platz zu verschaffen, reichte doch meist schon einer seiner perfektionierten harten Blicke, damit sich die Menge für ihn teilte. Wahlweise könnte es aber auch an den Narben liegen, welche sein Gesicht zierten und vor denen die meisten Menschen zurückschreckten.

Seine Schonfrist währte allerdings nur, bis die beiden Brocken die Umkleide erreichten und die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war. „Was zum Teufel ist los mit dir?!“

Ah, da hatten sie es schon. Die Mischung aus berechtigter Sorge und mühsam unterdrücktem Zorn mit welcher ihm die Frage entgegen geschleudert wurde. Konnte er es ihm verübeln? Nein, konnte er nicht. Er würde ihn dasselbe – wenn auch in anderem Tonfall – fragen, wenn die Rollen vertauscht wären.

„Nichts. Alles ist gut!“ heraus zu posaunen war eindeutig die falsche Antwort, wie er dem ertönenden Grollen und Knurren entnehmen konnte. Ah, da kratzte der Wolf wieder dicht unter der Oberfläche und würde ihm am liebsten die Nase einmal blau färben. Und Bens Miene spiegelte diesen dringenden Wunsch unübersehbar wider – nur würde er sich zusammenreißen und zumindest warten, bis sie beide Zuhause wären. Dafür machte er seinen Job einfach zu gern, als dass er ihn wegen so etwas gefährden würde. Egal, wie berechtigt es auch war!

„Reiß dich gefälligst zusammen“, knurrte es ihm entgegen, „mir gefällts hier nämlich!“

Nun war es an Ator eine Augenbraue zu heben. Noch nie in all den Jahren hatte Ben jemals so deutlich gemacht, dass er einen Ort als angenehm genug empfand, um dort für längere Zeit zu verweilen.

Zu sehr an das Leben als einsamer Wolf gewöhnt, der frei und ungebunden herumstrolchen und hingehen konnte, wohin auch immer es ihn zog, war es ja ohnehin schon eine gewaltige Umstellung für ihn gewesen als sich ihre Gruppe nach und nach vergrößert hatte.

„Es ist nichts!“ Aber der Versuch seinen Freund zu überzeugen endete mit dem lauten Knallen der Tür. Schöne Scheiße aber auch. Ändern konnte er es jetzt nicht mehr, aber sich vielleicht später ein wenig Zeit nehmen, um seinen rebellierenden Geist zu besänftigen.

Vielleicht selbst ein wenig saufen? Oder einen ordentlichen Flug im Schutz der Dunkelheit machen. Wenn ihm eine geeignete und nicht abgeneigte Frau über den Weg lief vielleicht sogar ein wenig andere körperliche Ertüchtigung? Eine schöne mögliche Auswahl, die er sich da zusammenstellte, als er selbst den Rückweg in den lärmenden Raum antrat.

Denn sobald er den privaten Bereich wieder hinter sich gelassen hatte, donnerte ihm erneut die heute besonders störende Wand aus Lärm und Gerüchen entgegen, welche er für einige weitere Stunden würde ertragen müssen.

Je weiter die Nacht voranschritt, desto öfter musste Ator sich dazu ermahnen nicht zu grollen. Die Bewegungen der Gäste wurden dank stetig fließendem Alkohol fahriger, die Köpfe benebelter und so wurde aus dem zu Beginn nur wenigen rempeln bald ein wahres Fest aus unfreiwilligem Körperkontakt.

Männer wie auch Frauen knallten gegen ihn, einige entschuldigten sich, andere merkten es nicht einmal mehr, so kaputt waren sie bereits. Der eine oder andere Griff an seinen Körper blieb dabei ebenfalls nicht aus, wenn sich einer von ihm abstieß und zumeist waren es die aufgehübschten Damen, welche die Hand merklich länger als nötig an Ort und Stelle liegen ließen. Eine war sogar so frech und frei ihm neben einem sehr tiefen und ansprechenden Blick in das vorgeschobenen Dekolleté auch eine mehr als eindeutige Einladung auszusprechen.

Tja, aber so gern er die auch annehmen würde – immerhin war das eine seiner potenziellen Möglichkeiten zum Kopf klären – die Dame würde es nicht sein. Hackedicht und mit viel zu viel Schminke im Gesicht, eindeutig nicht der Fall des Drachen, der ihr zwar freundlich entgegenlächelte, sich dann aber wieder seiner Aufgabe widmete und die Gäste weiter beobachtete.

Lediglich an der Dichte der Masse hatte sich etwas verändert, sie war weniger geworden, die Tanzfläche lichtete sich also allmählich. Ein sicheres Zeichen dafür, dass auch für ihn bald das Ende der Schicht bevorstand und er sich seinem eigentlichen Problem widmen konnte. Danach eine heiße Dusche, etwas Essen und dann rein in das leere Bett.

Ah, da reckte das nagende Gefühl der Einsamkeit wieder sein Haupt und versetzte Ator einen unangenehmen Stich. Naja, vielleicht wäre das Bett gar nicht so leer, wenn er sich auswärts vergnügen gehen würde. Es wäre dann zwar nicht sein Bett, aber da wäre dann wenigstens noch jemand mit drin.

Blieb nur zu hoffen, dass er eine Gespielin mit großer Nachtstätte finden würde. Er allein war ja bereits zu groß für ein normales Standardbett, aber zu zweit? Keine Chance darin auch nur irgendwie gemütlich liegen zu können – wie er schon mehrfach hatte erleben müssen.

Sehr unangenehme Erinnerungen, die ihn sich innerlich schütteln ließen. Aber wenigstens half es ihm dabei sich wieder zu fokussieren und seinen Blick auf die noch immer tanzenden Leute auszurichten. Nur um dann doch wieder hängen zu bleiben.

Fünf Köpfe, eins mit Krönchen, drei mit plüschigen Tierohren, die allesamt ein wenig schief hingen und der einzige Schopf, der sich geweigert hatte sich an der Albernheit zu beteiligen.

Im Kreis stehend und tanzend konnte er in glückliche, wenn auch verschwitzte Gesichter blicken. Nur diese eine Frau stand mit dem Rücken zu ihm und schien im Gegensatz zu ihren Freundinnen wenig bis gar keinen Spaß zu haben. Zumindest tat sie ihnen den Gefallen und tat so als würde sie mittanzen, auch wenn es nur aus einem einfach hin und her wiegen des Oberkörpers bestand.

Ator musste bereits eine geraume Zeit lang unentwegt zu ihnen gestarrt haben und dann auch noch bemerkt worden sein, denn die Krönchen-Trägerin stupste doch tatsächlich ihre Freundinnen an und begann aufgeregt mit ihnen zu tuscheln. Immer wieder landeten die Blicke bei ihm, der Weg seines eigenen wurde verfolgt, bevor sich auch die Letzte von ihnen dazu durchrang und einen Blick über die angespannten Schultern zu ihm an die Bar warf.

Blau. Das war alles, was sein Hirn in dem Moment registrierte. Einfaches, ihn kalt anstarrendes, Blau, welches es ihm kalt, aber angenehm über den Rücken laufen ließ.

Das wilde Gekicher ihrer Freundinnen, weil ihm der Mund aufgefallen war, hörte er nicht, ebenso wenig wie die noch immer hämmernden Töne der scheußlichen Musik oder das scharfe „Ator!“ von Ben . Auch die Bewegungen um ihn herum wurden erfolgreich aus seinem Sichtfeld vertrieben, welches sich einzig und allein auf dieses Paar Augen fixierte.

Wie lang genau er einfach nur starrte konnte er später nicht benennen, aber der Wechsel von kalt zu mörderisch in dem ihn verschlingenden Blau blieb ihm nicht verborgen. Was ihn aber davor rettete sich endgültig zu blamieren, war eine große Hand auf seiner Schulter, die unmissverständlich und recht schmerzhaft zudrückte, sodass sich sein benebeltes Hirn endlich wieder fing. „Was?“

„Feierabend.“

Knappes, süßes, wenn auch ausgeknurrt werdendes Wort seines Kollegen und Freunds, der ihm einen mahnenden Blick zuwarf, bevor er selbst zu der lustigen und noch immer kichernden Truppe blickte. „Entschuldigung, die Damen, aber der Laden schließt gleich.“

Enttäuschtes Verneinen drang an die wieder funktionierenden Ohren des Drachen, welcher einen weiteren Blick zu dem Grund für sein seltsames Verhalten riskierte. Wo sich ihre Freundinnen enttäuscht zeigten und bereits Pläne schmiedeten, was sie sonst noch machen könnten, wirkte die Frau mit diesen unglaublich blauen Augen tatsächlich erleichtert darüber, dass die Farce beendet sein sollte.

Und sie war es dann auch, welche mit Bens Hilfe dafür sorgte, dass sich der Haufen endlich in Bewegung setzte und gen Ausgang zustrebte. Da wurden die bedenklich torkelnden Freundinnen gescheucht und mit bösen Blicken bedacht, aber keine einzige von ihnen wurde auch nur im entferntesten berührt.

Verständlich, wenn man die glänzende Haut betrachtete. So genau wollte er gar nicht wissen, ob es sich dabei nur um Schweiß oder auch um andere Dinge handelte.

Erst, als Bens Hand – eher Bratpfanne – ein weiteres Mal auf seiner Schulter landete und mit Nachdruck zudrückte, merkte er überhaupt, dass er versucht hatte ihnen nachzulaufen. Was zur Hölle?!

Die eigene Verwirrung stand ihm allzu deutlich ins Gesicht geschrieben, während er sich dem kräftigen Druck an seiner Schulter ergab und sich in die entgegen gesetzte Richtung fast schon abführen ließ.

Noch immer reichlich verwirrt folgte er in die Umkleide, zog sich um und ließ sich dann nach draußen auf die Mitarbeiterparkplätze lotsen. Von seinen Schlüsseln musste er sich aber verabschieden, wurden ihm diese doch grob von Ben aus der Hand gerissen, kaum dass er sie aus seiner Hosentasche gefischt hatte. Okay…?

Vielleicht auch besser so, schwebten seine Gedanken doch noch immer in anderen Sphären und kreisten unablässig um diese wundervollen blauen Augen in diesem …

„Scheiße!“

Sehr treffend formuliert für den Moment der Erkenntnis. Denn außer den Augen hatte sein Hirn nichts abgespeichert. Keine Lippen, kein Kinn, gerade noch die Haarfarbe, aber mehr? Pustekuchen, Ebbe, statisches Rauschen!

Am liebsten würde er seinen Schädel gegen die nächstbeste Wand hämmern für seine eigene Blödheit. Da konnte er sie ungehindert betrachten und hatte es nicht getan? Wie bescheuert konnte man eigentlich sein?!

„Welchen Teil meinst du genau?“

Nur kurz spiegelte sein Blick eine gewisse Planlosigkeit wieder, als er nach links zur Fahrerseite und somit zum auf den Verkehr achtenden Ben starrte. Da hatte er ihn doch tatsächlich für einen Moment vollkommen vergessen und erfolgreich ausgeblendet. Und ein kurzer Blick nach draußen zeigte auch: Da war er wohl ordentlich abgelenkt gewesen, denn allmählich dünnte sich das Gewirr aus Straßen und Häusern aus, um dem eher kargen Landstrich Platz zu machen, der zwischen Stadt und Anwesen vorherrschte.

Moment! Seine Karre, aber Ben fuhr?! Der aufkommen wollende Protest blieb aber wo er war – in seiner Kehle – als er den verkniffenen Gesichtsausdruck des Wolfs sah, der sich da eisern am Lenkrad festklammerte und sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorstellte, dass es Ators verfluchter Hals wäre, den er da genüsslich in die Mangel nahm.

„ich hab mir ihr Gesicht nicht gemerkt“, gestand er wider besseren Wissens, bevor er gequält stöhnend seinen Kopf inbrünstig nach hinten schepperte. Immer schön fest gegen die Kopfstütze, bis diese bedenklich knarzte. Er sollte lieber aufhören, wenn er nicht sein eigenes Vehikel demolieren wollte, aber verdammt wie dämlich konnte man eigentlich sein?

Bohrend konnte er die fast schwarzen Augen an seiner Schläfe kleben spüren. Von Ben mit mörderischen Blicken bedacht zu werden war für ihn nichts Neues, aber während der Fahrt? Wollte er ihn etwa wirklich umbringen? „Bitte, was?“

„Du hast mich schon verstanden! Ich hab mir ihr Gesicht nicht gemerkt!“, wiederholte Ator sich knurrend, sich die eigenen nicht gerade kleinen Fäuste gegen die Schläfen pressend. „Ich hab sie angesehen und dann waren da diese Augen! Du hättest sie sehen müssen! So groß und so blau und dieser Blick…“

Hach, da verlor er sich wieder in der Erinnerung an sein Verhängnis. Selbst, dass sie ihn so kalt angestarrt hatte, als ihre Freundinnen sie auf ihn aufmerksam gemacht hatten, störte ihn dabei nicht im geringsten. Zu tief zerrte ihn diese einfache Farbe in einen Sog aus purer Freude, die ihm das Blut schier zum Kochen brachte. Und das wohl nicht nur im bildlichen Sinne gesprochen, drang doch irgendwann Bens Gefluche an seine Ohren, während dieser sämtliche Fenster öffnete, um für ein wenig Durchzug zu sorgen.

Nein, Ator selbst störte sich nicht daran, dass er sein Auto gerade in eine fahrende Sauna verwandelte. Sehr zum Leidwesen seines sonst Pelztragenden Freunds, der leise vor sich hin knurrend und fluchend auch die letzten Kilometer fuhr, bevor er den Wagen endlich in die schmerzlich ersehnte Auffahrt lenken konnte. Rauf aufs Gelände und auf dem üblichen Platz geparkt, sprang dieser dann aber auch schon eindeutig schwitzend ins Freie und ließ sich die wesentlich kühlere Luft um die Nase wehen.

Die Misere des gemeinsamen Freunds blieb dabei nicht unbemerkt, hockten Rhiom und Kisame doch zusammen auf der großen Veranda und beobachteten das Schauspiel mit skeptisch angehobenen Augenbrauen. Was hatte der Wolf denn nur?

3

 

Verstehen breitete sich auf den skeptischen Mienen aus, als sie den ganzen Schweiß, das gerötete Gesicht und letztlich auch den mörderischen Blick präsentiert bekamen, mit welchem er die beiden Spaßvögel bedachte.

„Du sollst den Dicken doch nicht ärgern!“ Ja, die Spitze konnte Rhiom sich einfach nicht verkneifen, während der er schadenfroh zum dampfgegarten Ben grinste, Kisame an seiner Seite keine wirklich andere Grimasse zeigend.

Ganz wollte ihnen ihr massiger Freund die Freude aber nicht gönnen wie es schien, denn als Ator sich aus dem Beifahrersitz quälte wirkte er keineswegs verärgert. Im Gegenteil, eher entrückt und verzückt … Oder entzückt und verrückt? So genau konnte man das beim Drachen selten sagen, weswegen die beiden Tüftler sich skeptische Blicke zuwarfen. Wenn Ator so gute Laune hatte, wieso erinnerte der arme Ben dann an einen Hummer?

„Ist mit dem alles in Ordnung?“ Zwei Paar neugierige Augen richteten sich auf den vorbeistampfenden Ben, der aber nur schnaubte und im Inneren verschwand. Da dürfte der nächste Gang wohl in den eigenen Flügel, zum Badezimmer führen, um sich abzukühlen – und vielleicht nicht doch noch in Versuchung geführt zu werden dem Freund die Rübe zu kürzen.

Blieb also der Verursacher der absolut unterirdischen Laune, der zwischen dümmlichem Grinsen und sich selbst gegen die Stirn hauen schwankte. Okay? „Ator?“

„Ich hab mir ihr Gesicht nicht gemerkt!“

Und da schlappte er ohne weitere Erklärung, dafür aber sich selbst verfluchend, ebenfalls einfach ins Haus und ließ die beiden verstört zurück. Was ging hier vor? Das war sogar mal für die beiden weniger Extrovertierten seltsam, was sie da veranstalteten.

„Du nimmst Ben, ich Ator?“, raunte daher Rhiom an seine Seite und da kein Widerspruch ertönte, war er auch ziemlich schnell auf den Beinen, um in den Flügel des gemeinsamen Freunds zu verschwinden.

Für den Satyr eindeutig ein Ort zum Wohlfühlen, zog sein Freund doch erdige Töne vor, auch wenn deutliche Farbtupfen in Azur und Gold ihre Akzente hinterlassen hatten. Und gemäß seiner Drachennatur hortete sein Kumpel auch ordentlich wertvolles Zeug und Nippes in den ihm allein gehörenden Räumlichkeiten, dass jeder Sammler direkt in ein seliges Sammelkoma fallen könnte.

Zu finden war der zerstreut wirkende Drache schnell, zog er doch eine unerwartete Hitzewelle hinter sich her, welcher der Satyr mit beschwingten Schritten folgte, quer durch die chaotische Zimmeranordnung, bis er ungeniert ins Badezimmer stiefelte.

Nebelschwaden gaben sich reichlich Mühe die Sicht gen Null zu beschränken, blubberndes Wasser verriet, dass sein Freund entweder duschte oder sich in die übergroße Wanne gefläzt hatte und mit einer gewissen Kontinuität Wasser in diese nachlaufen lassen musste, so wie er gerade bollerte.

„Ator?“ Ein prüfender Versuch, um die Wahl zwischen Dusche und Wanne zu entscheiden, welcher aber mit einem fliegenden Stück Seife und einem harschen „Verschwinde, Rhiom!“ allerdings zügig unterbunden wurde. Dem Geschoss wurde mit flinkem Ducken ausgewichen und der wenig begeisterte Kommentar zu seiner Anwesenheit mit einem Schnalzen der Zunge beantwortet.

Tz! Seit wann war ausgerechnet das Glühwürmchen so zart besaitet? „Da will ich mal nett sein und dann kommt sowas!“

Wer nicht will, der hat schon. Zu schade, dass es nicht in seiner Macht lag dem bollernden Ofen einmal einen ordentlichen Kälteschock zu verpassen, aber das hätte dessen Laune sicherlich nicht zu seinen Gunsten gekippt. Somit endete der Kurzbesuch mit einem nun auch leicht angefressen davonstampfenden Rhiom, während Ator sich wieder der eigentlich als kalt geplanten Dusche zuwendete.

Es kam ja auch eigentlich kaltes Wasser aus dem Duschkopf, nur merkte Ator selbst, dass er wohl ein wenig zu stark vor sich hinbrütete – und das im wahrsten Sinne des Wortes! Verdammt nochmal, wie konnte man auch nur so dumm sein?

Er hatte gefühlt eine Ewigkeit in das Gesicht der Frau gestarrt, musste sie angeglotzt haben als wäre ihm gerade das Hirn aus seinem dicken Schädel gefallen und er zurück in die Steinzeit katapultiert worden und dann das?! Genervt von sich selbst ließ er endlich das Rumpeln aus seiner Kehle aufsteigen, welches ihm dort schon seit Stunden quer saß. Eine komische Mischung aus Grollen, Seufzen und Stöhnen, welches die Fliesen zum zittern brachte – zum Glück hielt der Kleber.

Halt. So ganz stimmte das ja nicht.

Zwar hatte er absolut vergeigt sich ihr Gesicht einzuprägen, aber … Er kannte ihre Augen, ihre Haare und ihre Körperhaltung. Viel war etwas anderes, aber der Laden war voll gewesen, die Tanzfläche noch voller und er mitten im Dienst. Und normalerweise würde ihm das ja auch reichen.

Wie überaus erfreulich, dass ausgerechnet dieses Mal nichts normal für ihn zu sein schien! Wieder konnte er das Rumpeln spüren, welches ihn das Gesicht verziehen ließ. Hmpf. Mit viel Glück hatte er nur etwas falsches gegessen oder irgendjemand in seiner Nähe das falsche Kraut geraucht?

Ja! Ja, das wird es gewesen sein! Anders ließ sich sein komisches Verhalten nicht erklären. Später würde er sich bei Ben und Rhiom entschuldigen, sich ein Magenbitter gönnen und sich dann quer über sein Bett schmeißen, um für einige wenige Stunden Ruhe vor der Welt und ihrer verdammten Ungerechtigkeit zu finden.

Ein dröhnendes Lachen darüber konnte er sich aber nicht verkneifen. So einfach und dann kam er da doch nicht drauf. Das musste es einfach sein, oder?

Kopfschüttelnd beendete er seinen ohnehin ruinierten Duschgang, schlüpfte zurück in seine Hose und machte sich auf den Weg in Richtung Küche. Ein letzter Happen wäre zwar toll, aber er hatte sich selbst auf Magenbitter runtergehandelt, also würde es auch genau das werden. Und vielleicht ein oder zwei Sandwiches. Oder doch ein paar mehr. Er war immerhin groß, er brauchte die Energie und nachdem er nicht nur Ben dampfgegart, sondern auch seine eiskalte Dusche in ein Dampfbad verwandelt hatte erst recht.

Zu Ators Glück drangen die meisten der Geräusche aus dem gemeinschaftlichen Wohnzimmer und ein kurzer Blick um die Ecke bestätigte: Die drei anderen hockten auf der großen Wohnlandschaft, wobei zwei von ihnen eifrig auf Controllern herumhämmerten, während der Dritte anfeuernd aus dem Hintergrund johlte.

Hach, da ging ihm ja das Herz auf! Nicht etwa, weil die drei so viel Spaß hatten, sondern weil er damit gänzlich ungestört in der Küche schalten und walten konnte wie er wollte! Ein wahrer Traum für den alten Genießer, der sich vor lauter Vorfreude schon Lippen und Finger leckte, bevor er zügig den erwählten Raum mit dem Heiligtum Kühlschrank eroberte.

Keiner da, der ihm auf die Finger klopfen würde! Da lachte doch das Herz und auch der Magen freute sich schon bei all den möglichen Leckereien, die ihm das Hirn bereits kredenzte. Jetzt musste nur noch das Sortiment mitspielen.

Möglichst leise wurde die tolle Apparatur in schickem Chrom geöffnet und die Nase ins Innere gestreckt. Alles da, was so ein Drachenherz auch nur begehren kann, von Wurst über Käse, sogar Mayonnaise konnte er entdecken!

Wie praktisch so große Hände und Arme doch sein konnten zeigte sich, als er begann sich die Zutaten für seine Mahlzeit auf eben jene zu stapeln. Die Ausbeute landete dann auch recht zügig auf der großzügig bemessenen Kücheninsel, Brot, Messer und eine geeignete Unterlage zum Abtransport in die eigenen heiligen Hallen waren auch schnell parat gelegt.

Einem Maestro gleich ließ er seine Finger knacken, bevor er sich an das Werk der Sandwich-Produktion begab. Der Teller füllte sich recht schnell mit übersichtlich hübschen Türmchen unterschiedlichster Mischungen. Et voila, einmal Sandwich-Diät-Menü à l’Ator!

Jetzt nur noch zurück in die Sicherheit seines Flügels entkommen, dann wäre alles geritzt und der frühe Morgen für ihn gerettet.

Bewaffnet mit dem Teller samt ordentlich schwankender Sandwichtürmchen gab der Brocken sich redlich Mühe so leise wie nur möglich am noch immer lärmerfüllten Wohnzimmer vorbei zu schleichen.

Sollte auch nur einer von den dreien spitzkriegen, was er da veranstaltet hatte, wäre er seine Mahlzeit los – oder zumindest um drei Viertel von dieser ärmer. Ein schaler Blick um die Kurve offenbarte: Da drinnen herrschte immer noch ein eifriger Wettkampf an der Konsole.

Was genau gespielt wurde konnte er von seinem Platz aus zwar nicht erkennen, aber so verbissen wie Ben auf den Knöpfchen herumhämmerte dürfte es wohl irgendein Beat down sein, die er heimlich ja feierte.

Umso besser! Siegessicher grinsend wollte Ator gerade weiter schleichen, da blitzten ihm schon vergnügte braune Augen groß entgegen und ein explodierter Wischmopp getarnt als Schopf lugte ebenso in sein Sichtfeld. Och, nein…

Doch, doch, da folgte das breit grinsende Gesicht Kisames, der ihm den ‚Teile oder ich petze‘-Blick zuwarf. Und dabei hatte er es doch fast schon geschafft! Denn der stumme Bengel vor seiner Nase könnte den angedrohten Blick nur allzu leicht in die Tat umsetzen und dann wäre es wirklich um seinen kleinen Imbiss geschehen.

„Also schön! Da hast du, erstick dran!“, schnaufte der so Ausgetrickste resignierend und schob dem zufrieden grinsenden Naga einen der Sandwichtürme entgegen. Blöd nur, dass sich der erfolgreiche Kisame aber nicht den angebotenen, sondern den mit Thunfisch auserkoren hatte und dementsprechend eine Augenbraue in die Höhe wandern ließ.

Das Warnsignal war eindeutig, ein stummer Countdown, um Ator das Genick zu brechen, wenn die anderen beiden Wind von der Sache kriegen sollten. „Ja, ja, schon gut! Nimm es halt!“

Ade, du schnöde Leckerei!

Wehmütig wurde dem verlorenen Sandwichtürmchen nachgesehen, welches mit einem sehr zufriedenen Naga wieder im Wohnzimmer verschwand. Blieben aber noch die anderen zur eigenen… Moment! Kisame stiefelte ungerührt zurück ins Wohnzimmer, mitsamt seiner so niederträchtig ergaunerten Beute? Und im Wohnzimmer wurde es erstaunlich, nein, beängstigend, still.

Nur um dann doppelstimmig von einem „He, ich will auch eins!“ abgelöst zu werden.

Nun war eindeutig Eile geboten, denn das Knarzen der lederbezogenen Wohnlandschaft verhieß für Ator nichts Gutes. So schnell ihn seine Beine tragen und er das Schwanken der bedrohlich wackelnden Türme ausgleichen konnte rauschte er auf seinen rettenden Flügel zu, bekam gerade noch so die Kurve und rettete sich mit einem Oscar reifen Hechtsprung in sein zum Büro ausgebauten Zimmer.

Tür noch zu, Riegel vorgelegt, dann konnte auch er sich endlich ein triumphierendes Grinsen leisten. Geschafft! Und dabei hatte er tatsächlich nur an einen etwas abtreten müssen. Guter Schnitt, wenn er es hochrechnete.

Zu schlafen gestaltete sich schwieriger, als Ator es vermutet hätte. Trotz Dusche und kleinem Imbiss nach einer zehrenden Nachtschicht in der Disco wälzte er sich von Bauch auf Rücken und wieder zurück, von der linken zur rechten Seite und das Ganze wieder von vorne.

An Schlaf schien einfach nicht zu denken zu sein, denn jedes Mal, wenn er die Augen schloss, wurde sein gesamtes Denken von diesem kalten Blick dieser unglaublichen blauen Augen ausgefüllt. Und jetzt lag er da rücklings auf seinem Bett und starrte stumpf die Decke an.

Nein, dieser Blick ließ ihn einfach nicht los und zerrte ihn auch noch Stunden später immer wieder in seinen Bann und den damit verbundenen Abgrund. Selbst eine schön entspannte Runde Handbetrieb hatte ihm einfach nicht geholfen!

Ständig drängte sich ihm dieser eine Augenblick, dieser Moment, wieder in den Kopf und dort in den Vordergrund, dass er nur noch genervt stöhnend das eigene Gesicht reiben konnte.

Ator musste nicht mal einen Blick riskieren, geschweige denn die dicken Vorhänge beiseiteschieben, um zu wissen, dass es viel zu hell und früh am Tag war, um überhaupt nur daran zu denken eine Runde fliegen zu gehen.

Da hätte er gleich das ganze Gelände voll mit Gaffern, der Armee und mehr verrückten Wissenschaftlern, die ihm allesamt den Bauch auf schnippeln wollen würden – und das dann auch noch schneller, als er überhaupt nur ‚Piep‘ denken könnte. Danke, aber nein, darauf konnte er dann doch getrost verzichten.

Tief durchatmend ging er seine Möglichkeiten durch. Ben dürfte inzwischen auch schlafen und es ihm mehr als krummnehmen, wenn er ihn jetzt wecken würde. Rhiom und Kisame? Die dürften in ihren Werkstätten herumpfuschen oder aber im Laden stehen und ihr Zeug verscherbeln.

Und mindestens Letzterer dürfte es ihm ordentlich übelnehmen, wenn er jetzt auf die glorreiche Idee kommen würde mit seinem leicht defekten Heizstrahler aka Körper in den See zu springen, um einige ermüdende Runden zu ziehen.

Die Auswahl wurde ja immer besser und besser! Ächzend und stöhnend wälzte er sich daher aus seinem großen Bett und quälte sich im Schutze der Dunkelheit in Kleidung, von der er hoffte, dass es sich dabei um Jeans und T-Shirt handelte.

Eine kurze Inspektion der Werkstätten und Bastelstuben ergab: Erwartungsgemäß an einem Wochentag wie diesem waren die beiden Schöpfer wohl im Laden anzutreffen.

Anstandsbesuch bei den beiden Spinnern würde es dann wohl letztlich werden, wie er beim ins Auto einsteigen festlegte und erst einmal dafür sorgte, dass er sich nicht wie eine Ölsardine hinter dem eigenen Lenkrad fühlte.

Ben mochte zwar grob seiner eigenen Statur entsprechen, aber grob war eben nicht exakt, weswegen diverse Veränderungen durch den Wolf erst einmal wieder korrigiert werden mussten. Musik noch wechseln, dann tuckerte Ator in eher gemütlichem Tempo vom Gelände und lenkte den Weg zurück in die Stadt ein.

Vorbei an Feldern und Bäumen, den ersten Ausläufern der kommenden Stadt und dann quer durch diese und ihren Tagesverkehr, der sich als dezent zäh entpuppte. Mehr als einmal musste der sonst so geduldige Brocken die Hupe bemühen, um sich seinen Weg weiter bahnen zu können, bevor er endlich den angepeilten Parkplatz erreichte.

Ach, wie toll, der ihm zugedachte Parkplatz war sogar mal frei, sodass er diesen auch gleich in Beschlag nehmen und sich mit einem gequälten Schnaufen aus dem Fahrersitz wuchten konnte.

Normalerweise kein Problem für ihn, aber heute wollte wohl alles nicht so recht, wie es eigentlich sollte. Sehr zur Freude Ators, wie man sich denken konnte, der eher brummig gelaunt die Wagentür zu schepperte und sich mit mäßig beflügelten Schritten zum Haupteingang des Ladens bewegte.

Das ‚Slice’n’Dice‘, wie die beiden Knallköpfe ihren Laden genannt hatten, war dank der Uhrzeit eher mäßig besucht, wie Ator nach einem raschen Rundumblick beim Eintreten feststellte. Die Handvoll Kunden, welche gerade durch die Gänge stromerten und in dem einfach nicht zueinander passen wollenden Haufen an Auswahl stöberten, waren für ihn aber nur kurz interessant, auch wenn da der Blick für einen Moment doch betrachtend an einem gemütlich aussehenden Sessel hängen blieb.

Später! Er war für einen Anstandsbesuch und nicht, um seinen Abklatsch eines Horts weiter auszustaffieren! Und selbst wenn … würde er sie halt einfach später fragen, wenn sie wieder Zuhause wären, ob das Schmuckstück noch zu haben sei oder sie ihm wahlweise einen weiteren davon zusammenschustern könnten. Ja, das klang doch nach einer sehr guten Idee, welche dafür sorgte, dass er beschwingter durch die teilweise recht engen Gänge des Ladens marschierte, bis er die Kasse erreichte.

„Sieh an, sieh an, wer da aus seinem Bau gekrochen kommt!“, tönte es ihm fröhlich, wenn auch ein wenig beleidigt klingend, entgegen, bevor sich Rhioms Gesicht hinter der antiken Registrierkasse nach vorne schob und Ator mit hochgezogener Augenbraue gemustert wurde. „Wie kommts, dass du deinen Hintern mal vor dem späten Nachmittag aus der Horizontalen gehievt bekommst, hm?“

Oh, da bewegte er sich beim Satyr offenbar auf ganz dünnem Eis. Denn dieser klang nicht so, als hätte er ihm die Seifenattacke samt dem Rauswurf aus dem Badezimmer bereits verziehen.

Bei Kisame wäre das kein Problem, aber der drückte sich gerade mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck irgendwo anders herum, um ja nicht zwischen die Fronten zu geraten. Plus, schuldete dieser dem leise schnaubenden Ator noch ein großzügiges Sandwich, wie beide nur zu genau wussten.