Rhiom - Loreletta Nox - E-Book

Rhiom E-Book

Loreletta Nox

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Beschreibung

Der Satyr Rhiom ist wohl das, was man einen Playboy nennen könnte. Junggeselle, Charmeur, erfolgreicher Geschäftsmann - sein Leben ist aufregend und sein Terminkalender immer randvoll. Man könnte also meinen, dass er ja eigentlich schon alles hat, was man sich wünschen kann, nicht wahr? Auch wenn es so scheinen mag: es gibt eine Sache, die ihm noch immer fehlt. Etwas so Kostbares, dass er im Austausch dafür auf der Stelle und ohne zu zögern auf alles andere verzichten würde. Etwas, das bereits zwei seiner besten Freunde - der Drache Ator und der Naga Kisame - bereits gefunden haben: die eine, ihm vom Schicksal bestimmte Person...

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Loreletta Nox

Rhiom

Die Zähmung des Satyr

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Kurzbeschreibung

 

Der Satyr Rhiom ist wohl das, was man einen Playboy nennen könnte.

Junggeselle, Charmeur, erfolgreicher Geschäftsmann - sein Leben ist aufregend und sein Terminkalender immer randvoll.

Man könnte also meinen, dass er ja eigentlich schon alles hat, was man sich wünschen kann, nicht wahr? Auch wenn es so scheinen mag: Es gibt eine Sache, die ihm noch immer fehlt.

Etwas so Kostbares, dass er im Austausch dafür auf der Stelle und ohne zu zögern auf alles andere verzichten würde.

Etwas, das bereits zwei seiner besten Freunde - der Drache Ator und der Naga Kisame - bereits gefunden haben: die eine, ihm vom Schicksal bestimmte Person ...

 

Prolog

 

Manchmal spielt das Leben nicht so, wie man es gerne hätte. Davon können die vier Freunde Ator, Ben, Kisame und Rhiom wahrlich mehr als nur eines der sprichwörtlichen Liedchen singen. Ausgestoßen und verlacht von ihren eigenen Artgenossen, jeder von ihnen verzweifelt auf der Suche nach seinem eigenen perfekten Gegenstück.Sie könnten kaum unterschiedlicher sein und doch haben sie sich zusammengeschlossen und machen das Beste aus der ihnen gegebenen Situation. Und dabei mag man kaum glauben, dass es sich bei ihnen um Außenseiter ihrer eigenen Arten handeln soll, wenn man sie sieht.Ator, der Größte von ihnen, über zwei Meter hoch und breit wie ein Schrank, ein Drachenwandler, der sich seinen Unterhalt als Security verdient. Ein wahrer Brocken von Kerl, mit leicht gebräunter Haut, schwarzen zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren und unpassend sanft wirkenden grünen Augen, der trotz seiner Masse und der unleugbaren Möglichkeit, einen Arm wie ein Streichholz brechen zu lassen, doch eine gewisse ruhige Selbstsicherheit ausstrahlt.Der Zweite in der Runde, Ben, der Wolfswandler, misst nur zwei Zentimeter weniger als sein Freund und könnte sich gerade noch so hinter dessen massigem Kreuz verstecken, was die beiden mitunter gerne ausnutzen, wenn sie gemeinsam eine Schicht belegen. Optisch hat er seinen ganz eigenen Charme. Die Haut wesentlich heller als Ators, dafür aber mit unzähligen Narben ob seines geliebten Hobbys verziert, die hellbraunen Haare kurzgehalten und der Blick der fast schwarz wirkenden Augen zeugt von einer fast schon einschüchternden Disziplin.Auch Rhiom, der Dritte im Bunde, ein Satyr, muss sich nicht verstecken, auch wenn er im Gegensatz zu seinen Freunden drahtiger gebaut ist. Nicht ganz so groß, aber doch ordentlich etwas hermachend, Brust, Rücken und Arme mit Tribal-Tattoos verziert. Die definitiv schwarz gefärbten Haare präsentieren sich in einem stolzen Undercut, dessen langes Haupthaar die meiste Zeit in einem eher zerzausten Pferdeschwanz gehalten wird, während braungrüne Augen vor Schalk nur so zu sprühen scheinen.Kisame, der Vierte und Letzte, ein Naga. Definitiv der Jüngste in der beachtlichen Runde und neben seinen drei Freunden am schmächtigsten wirkend. Über zehn Zentimeter kleiner als der Brocken und definitiv schmal genug, um sich hinter jedem der drei anderen verborgen halten zu können, aber eindeutig nicht schmächtig. Bei ihm mag man am ehesten erkennen können, woher er stammt, weist er doch asiatisch anmutende Züge auf. Braune Augen blitzen freundlich in die Welt und passen gut zum chaotischen fast gänzlich weißblondierten Strubbelkopf mit der eher hellen Haut.  Auch diese beiden haben sich zusammengeschlossen und frönen einer gemeinsamen Arbeit, um Kost und Logis bewerkstelligen zu können. Leder und Stahl hat es den beiden angetan, sodass der gemeinsame Laden – das „Slice’n’Dice“ – in der Stadt für jeden etwas Passendes parat hält. Mäntel, Stiefel, Klingen, Dekorationen, man bekommt bei ihnen alles – sei es nun für die einfache Wohnungsdekoration, die Küche oder gar für das geliebte Cosplay- oder LARP-Kostüm.Gemeinsam hat sich dieser bunte Haufen in einem eher ruhigen Gebiet in Amerika niedergelassen und sich in einem ordentlich großen Anwesen einquartiert. Unterteilt in vier Flügel und in der Mitte mit gemeinschaftlichen Räumen versehen, hat so jeder seinen Platz, um den teilweise doch sehr unterschiedlichen Gelüsten zu frönen und nachzukommen, die die eigene Art manchmal hervor kitzelt.Krafträume und Werkstätten sind dort ebenso zu finden, wie die individuell gestalteten Flügel, welche von eher düster anmutend bis hin zu luftig und offen einmal alles bieten, was man sich nur vorstellen kann. Und wenn doch einmal der Drang nach Freiheit zu groß wird, bietet das umliegende zum Anwesen gehörende Land samt eigenem großen See ihnen genügend Möglichkeiten sich auszutoben.Aber so schön es auch ist, trotz der vielen Unterschiede eine Gemeinschaft zu bilden, sich zu unterstützen, miteinander zu lachen und zu leben, leidet jeder von ihnen unter dem Fehlen seines Gegenstücks. Zumindest bis der Erste von ihnen, Ator, seine sie fand. Eira, eine Fuchswandlerin, welche für reichlich Trubel in ihrer aller Leben gesorgt hat.Der Gutherzige, wenn auch etwas schusselige, Kisame fand sein eigenes Gegenstück nur wenig später: Reul, eine Halb-Pixie und ausgerechnet Eiras beste Freundin.

Zwei von ihnen waren also unter der Haube und zwei noch Junggesellen. Dass der raubeinige Ben noch zu haben war, kam für Rhiom nicht überraschend. Der Wolf ging immerhin selten aus und wenn er es doch einmal tat, dann schreckte seine ach so herzliche Art potenzielle Interessenten definitiv ab.

Zum Glück sah das bei Rhiom – wie er sagen würde! – ganz anders aus. Der Satyr zog bei jeder sich bietenden Gelegenheit los, mal allein, mal mit Freunden, und kam dementsprechend auch mit wesentlich mehr Leuten in Kontakt als sein mürrischer Freund.

Aber egal, wie viele neue Bekanntschaften er dabei auch machte, egal, wie viele Feiern und Events er auch besuchte, bisher war er immer erfolglos geblieben und allein wieder nach Hause zurückgekehrt.

Rhiom wusste, dass es nicht so bleiben würde. Vom Schicksal füreinander bestimmte Gefährten fanden einander immer, ohne Ausnahme. Es war bloß eine Frage der Zeit und mit nur ein wenig mehr Geduld würde auch er irgendwann sein Herzblatt finden – oder von diesem gefunden werden.

Betonung auf irgendwann ...

1

 

Wenn es ein Adjektiv gab, mit welchem man Rhioms Leben beschreiben konnte, dann war das definitiv ‚aufregend‘. Als Substantiv traf es wohl ‚Party‘ am besten.

Ob es um neue Projekte mit seinem besten Freund Kisame oder um Märkte und Festivals oder um wilde Abende ging, alles, was der Satyr unternahm, war aufregend. Schillernd, laut, rasant und in den meisten Fällen nicht jugendfrei, wenn man es genau nehmen wollte.

Freie Abende verbrachte er daher nur selten allein, am liebsten jedoch in der Gesellschaft seiner drei Freunde: Dem Drachen Ator, dem Wolf Ben und dem Naga Kisame, mit welchen er seit gefühlten Ewigkeiten zusammen in einem großen, gerne auch als Anwesen zu bezeichnendem, Haus wohnte.

Nicht zu vergessen waren dabei natürlich auch die Gefährtinnen von Drache und Naga: Die blauäugige Füchsin Eira, die einen binnen Sekunden und mit einem einzigen Blick dieser verstörenden blauen Augen in Angst und Schrecken versetzen konnte, und die Pixie Reul, deren Gemüt binnen eines Wimpernschlages von Zuckerschock zu Berserker umschwenken konnte.

 

Ben und Rhiom hingegen hatten selbst noch nicht das Glück gehabt ihre ihnen vom Schicksal bestimmten Gefährtinnen zu finden. Aber was den Wolf mit jedem neuen weiblichen Neuzugang in ihrer Gruppe immer mürrischer und unzufriedener machte, ließ den Satyr hocherfreut werden. Und warum?

Weil: Beide Frauen hatten selbst Freunde, manche sogar gemeinsam, und von Zeit zu Zeit versorgten sie ihn sogar mit Telefonnummern und Dates.

Nicht ganz freiwillig, wie er gestehen musste. Solchen Herausgaben ging meist wochenlanges Nerven von seiner Seite aus voraus, bevor einer von beiden die sprichwörtliche Hutschnur platzte und sie ihm förmlich einen Zettel samt Telefonnummer in den Rachen zu stopfen versuchte, damit er nur endlich schweigen würde!

 

Vergnügt erinnerte Rhiom sich an den letzten Wutausbruch der feurigen rothaarigen Reul, der Gefährtin des Nagas, an welcher er selbst einst interessiert gewesen war. Ein gewisses Bedauern hatte er schon verspürt, als Kisame nach monatelanger Geheimniskrämerei endlich mit der ‚Sprache‘ herausgerückt war, auch wenn die Umstände weniger erfreulich gewesen waren.

Wie man sich vorstellen konnte, war das Chaos damals perfekt gewesen. Aber irgendwie hatten sie alle dieses Missverständnis überlebt und sich nach einigem Hin und Her sogar miteinander arrangiert.

Es stellte sich heraus, dass Reul ebenso für Streiche und Scherze zu begeistern war wie ihr Gefährte, ein weiterer Pluspunkt für das quirlige Paar. Alles zu Bens Leidwesen, wohlgemerkt, dem man die vor Stress unter seinem Auge pochende Ader allzu deutlich hatte ansehen können, als Reul ihn nach dem pinken Hundehalsband gefragt hatte, welches noch immer gut verstaut im Schrank herumlag.

Diese Erinnerung ließ den Satyr auch dieses Mal in brüllendes Gelächter ausbrechen und sich kräftig auf die Schenkel klopfen. Wie gut, dass er gerade in seinem Büro und vor seinem Computer saß. Solche heiteren Ausbrüche konnten in der Öffentlichkeit für reichlich schiefe Blicke sorgen, vor allem, wenn man allein unterwegs war.

Tja, wie gut, dass er das in den seltensten Fällen war, nicht wahr?

 

Auch für diesen Tag sah sein Terminkalender eine vielversprechende Verabredung vor. Aus Spaß an der Freude hatte Rhiom sich in einem Chat ein Profil erstellt und dort, gemäß seiner Prinzipien, ausgefüllt was es auszufüllen gab. Spaß, Freude und eventuell Freundschaft, nicht mehr und nicht weniger war von ihm zu erwarten und das stellte er von Anfang an klar. Immer. Bei egal welchem Kontakt, der aufgebaut wurde.

Die meisten waren damit einverstanden und gaben an selbst nur nach losen Kontakten und Freundschaften zu suchen, die wenigen anderen, die sich mehr erhofften, dankten ihm für seine Offenheit und setzten ihre Suche fort. Natürlich gab es auch die Sturen, die nicht auf ihn hören und ihn ‚bekehren‘ wollten, aber darauf ging er nicht ein. Niemand konnte dem Satyr vorwerfen, dass er falsche Versprechungen gemacht hätte.

 

Ein kurzer Blick auf die kleine Uhr an seiner Menüleiste verriet ihm, dass er noch reichlich Zeit übrig hatte, um sich vorzubereiten. Er gehörte definitiv nicht zu den Personen, die ihr Gegenüber enttäuschten, wenn es zu Treffen kam. Er reinigte sich gründlich, zog sich sauber an und blieb einfach er selbst: ein Charmeur durch und durch.

Gedankenverloren, wie er den Abend gestalten wollte, wanderte sein Blick zurück auf den Desktop und das dort eingestellte Hintergrundbild. Ein Gruppenfoto von einem der gemeinsamen Ausflüge, zu welchen Reul sie immer wieder nötigte.

Es war ein schöner Sommertag gewesen – zumindest, bis die Pixie sie alle zu einer Klettertour gescheucht hatte. Während einer der wenigen Rasten war dann das Bild aufgenommen worden, welches er gerade betrachtete.

Die beiden Frauen hatten vor ihren jeweiligen Gefährten gestanden, einen ihrer Arme jeweils um die Taille der anderen geschlungen, während die vier Freunde hinter ihnen aufragten und ihre eigenen Arme über die Schultern der anderen gelegt hatten.

Kisames Gesicht leuchtete hochrot und verschwitzt auf dem Bild, Ben sah aus, als würde er zu gerne jemanden zerfleischen, Ator sah einfach nur erschöpft aus und Rhiom selbst grinste sein gewohnt dreckiges Grinsen, während er versuchte Reul mit der freien Hand in den Hintern zu kneifen.

Das Handgemenge, welches dadurch ausgebrochen war, ließ ihn ein wenig wehmütig die Mundwinkel anheben.

Zwar würde er es vor den beiden glücklichen Paaren nicht zugeben, aber zu sehen, dass sie einander hatten, zwackte doch reichlich an seinem Gemüt. Ja, sicher, irgendwo auf der Welt gab es auch sein perfektes Gegenstück, seine ihm vom Schicksal bestimmte Gefährtin. Oder Gefährte. Wer wusste das schon?

 

Aber die Welt war nun einmal verdammt groß und wie viele Menschen bevölkerten diese? Über sieben Milliarden? Das war zumindest sein letzter Stand gewesen.

Dazu musste er auch die sich verborgen haltenden Wesen mit besonderer Herkunft dazurechnen und davon gab es, wenn er alle Spezies zusammennehmen würde, auch reichlich. So wurden aus potenziell sieben ganz schnell mindestens zehn Milliarden Lebewesen.

Abzüglich der bereits gebundenen Paare versteht sich.

Vor allem bei Menschen war es schwierig, deren komplexes System von Partnerschaften zu durchschauen, ganz besonders, wenn man gemäß der eigenen Herkunft bis zur Bindung an sein perfektes Gegenstück doch sehr freizügig lebte. Und je nachdem, wen beziehungsweise was man fand, war es dann entweder damit vorbei oder eben nicht.

Ein sehr eigenwilliger Lebenswandel, aber für Satyrn normal.

 

 

 

 

2

 

Rhiom spürte, wie sich bei diesen Gedanken langsam aber sicher ein Gefühl der Leere in ihm auszubreiten drohte und verzog das Gesicht. Nein, gerade war ein besonders schlechter Zeitpunkt, um in diesen fast schon verzweifelten Zustand von Trauer und Einsamkeit zu verfallen. Immerhin hatte er noch eine Verabredung!

Fest presste er daher die Kiefer aufeinander und zwang seine Gedanken in eine gänzlich andere Richtung. Was würde er heute Abend mit seiner neuen Bekanntschaft unternehmen? Sie hatten sich in einer Bar verabredet, würden etwas zusammen trinken, vielleicht von der Bar zu einer Disco wechseln, dort tanzen und sich eine schöne Zeit machen.

Was nach dem Wechsel der Lokalität passieren würde, plante er gar nicht erst.

Der Satyr war dabei sehr flexibel und für die meisten Eventualitäten vorbereitet. Regelmäßig kontrollierte er seinen Vorrat an Kondomen auf deren Haltbarkeit und auf die Unversehrtheit der Verpackungen und tauschte sie aus, sobald er auch nur den geringsten Zweifel am Bestehen der versprochenen Sicherheit hegte.

Etwas, wofür er von den anderen Satyrn verspottet wurde. Und was letztlich zumindest teilweise auch zu seinem Ausstoß aus der Gemeinschaft beigetragen hatte. Also nicht, dass sie ihn verspottet hatten, sondern sein kleiner Kontrollwahn bezüglich Verhütungsmitteln.

Den Löwenanteil zu seinem herrlichen Rauswurf aus seiner alten Sippe hatte jedoch sein ungebührlich hohes Interesse an Feuermagie beigesteuert.

 

Unwillig verzog er bei der Erinnerung daran sein Gesicht und schüttelte sich etwas. Nein, das war definitiv keiner seiner glanzvollsten Tage gewesen, weswegen er sich auch nicht weiter damit beschäftigen wollte. Rückgängig machen konnte und wollte er es sowieso nicht, also warum sollte er sich weiter davon erdrücken lassen? Ihm ging es jetzt wesentlich besser als früher!

Mit etwas mehr Nachdruck als notwendig gewesen wäre schloss er die wenigen noch offenen Anwendungen auf dem Desktop und schaltete dann die für ihn so nützliche Kiste ab.

Computer waren schon etwas feines, vor allem, wenn man ein so florierendes Geschäft wie das ‚Slice’n’Dice‘ besaß. Mäntel, Stiefel, Klingen, Dekorationen, man bekam bei ihnen alles, was das Herz nur begehren konnte.

Von einfacher Wohnungsdekoration, über etwas für die Küche bis hin zu benötigten Teilen für das geliebte Cosplay- oder LARP-Kostüm, es gab schlichtweg einfach alles bei ihnen.

Die ersten Monate mochten Kisame und er noch gut mit Stiften und Blöcken bedient gewesen sein, aber als der Durchbruch kam, war es ratsam gewesen, sich auf die elektronischen Hilfsmittel der Menschen zu verlassen.

 

Zahlen hin, Bilanzen her, jetzt wurde es erst einmal Zeit für ihn, zu duschen und sich umzuziehen.

Zwar hatte er den Tag nicht in der Werkstatt verbracht und musste sich dementsprechend auch nicht aus Latzhose und T-Shirt schälen, aber das lange Schuften am Schreibtisch war auch nicht gut für seinen geliebten Anzug gewesen. Und ja, auch wegen seines Faibles für schicken Zwirn, war er ausgelacht und gehänselt worden.

Was seine eigenen Artgenossen jedoch verlacht und verpönt hatten, fand einen wesentlich größeren und besseren Anklang bei allen anderen außerhalb seiner Sippe. Gute Kleidung war wichtig, sie war ein Hingucker, ein Blickfang, und Rhiom stand nun einmal verdammt gerne im Mittelpunkt des Interesses.

Geschniegelt und gestriegelt stolzierte der Satyr dementsprechend auch pünktlich zur vereinbarten Zeit – man ließ sein Date niemals warten! – in die ausgewählte Bar und ließ seinen Blick suchend schweifen.

Sie hatte ihm geschrieben, dass er nach blonden Haaren mit schwarzen Strähnchen Ausschau halten sollte, nicht mehr und nicht weniger. Gut, diese doch eher dürftige Beschreibung schränkte die auch in der Bar herrschende dürftige Auswahl zu seinem Glück erheblich ein.

 

Es war noch nicht so spät am Abend, dass der Laden brechend voll gewesen wäre, aber wiederum auch nicht zu früh als das niemand anwesend gewesen wäre. Die Theke war bis auf den Barkeeper und eine Kellnerin leer, soweit er das im ersten Moment sehen konnte und drei der eher kleinen Sitzgruppen waren besetzt.

Eine wurde von einer Gruppe Männer besetzt, eine zweite von einer gemischten Gruppe und an der dritten saßen zwei Frauen – eine mit blonden Haaren mit schwarzen Strähnchen und so sitzend, dass sie ihm den Rücken zugewandt hielt.

Davon, dass sie eine Freundin mitbringen würde, hatte sie zwar nichts gesagt, aber es wäre nicht das erste Mal, dass seine Verabredung kalte Füße bekam und Verstärkung mitbrachte.

Rhiom war kein Monster! Er würde einfach etwas langsamer und entspannter machen, die Freundin miteinbeziehen und zeigen, dass er niemanden fressen wollte.

Das war ja eher Bens Metier mit seiner Grabesmiene…

 

Beim Näherkommen konnte er den besorgten Gesichtsausdruck der ihm zugewandten Frau erkennen, welcher ein ungutes Gefühl über seine Wirbelsäule jagen ließ.

Auch die kleinen Alarmglöckchen in seinem Hinterkopf machten sich bemerkbar und ließen ihn schlimmes ahnen. So viel Pech konnte er doch nicht haben, oder?

Weglaufen war für den Satyr jedoch keine Option. Er hatte dieser Verabredung zugesagt und besaß zu viel Anstand, als dass er die Frau, die extra für ihn hierhergekommen war, einfach versetzen würde.

„Guten Abend, die Damen“, machte er daher nach einem tiefen Atemzug auf sich aufmerksam und setzte sein charmantestes Lächeln auf, zu welchem er in diesem Moment, in dieser Situation, in der Lage war.

Rhioms Befürchtungen bestätigten sich zu seinem Leidwesen, als die blonde Frau zusammenzuckte und sich zu ihm umwandte.

Nein, das war keine Frau, zumindest noch nicht. In ein paar Jahren wäre sie es, aber jetzt war sie es einfach noch nicht.

„G-guten Abend“, stammelte sie als Antwort zurück und versuchte, selbst zu lächeln, während ihre Freundin ihm einfach nur grüßend zunickte.

 

Eine verzwickte Situation, in welche er da hineingeschlittert war. Aber Rhiom wäre nicht er selbst gewesen, wenn er nicht gewusst hätte, was zu tun war.

„Darf ich?“ Sobald beide nickten, ließ er sich auf den für ihn freigehaltenen Stuhl sinken und sah von einer zu anderen. Die Blonde senkte schuldbewusst den Blick, ihre Freundin hingegen betrachtete ihn weiter mit einer Mischung aus Sorge und Skepsis.

Na, dagegen würde er helfen können!

„Halten wir uns nicht lange mit der Scharade auf, sondern kommen wir gleich zum Kern der Sache“, verkündete er dementsprechend auch und lehnte sich entspannt zurück.

Damit war ihm die Aufmerksamkeit der beiden gewiss, die ihn nach seinen Worten unsicher anschielten.

„Ich habe dieser Verabredung zugestimmt, bin hier und habe nicht vor dich zu versetzen. Ich lade euch beide gerne auf alkoholfreie Drinks ein, freue mich auf eine nette Unterhaltung zwischen uns dreien und werde euch danach gerne zu eurem Auto begleiten, damit ihr dieses sicher erreicht. Aber mehr wird nicht geschehen“, informierte er sie mit ruhiger Stimme und machte es sich weiter auf seinem Stuhl bequem.

Wohl sehr zum Schrecken – oder vielleicht doch eher zur Überraschung? – der beiden, die ihn mit großen Augen anstarrten. Na, da hatten sie ihn wohl gründlich falsch eingeschätzt, nicht wahr?

 

Es war nicht das erste Mal, dass jemand versucht hatte Rhiom zu verladen, und es war mit Sicherheit auch nicht das letzte Mal.

Das schienen auch die beiden jungen Frauen zu merken, die kurze Blicke miteinander tauschten und wohl mit dem Schlimmsten gerechnet hatten.

Immerhin sah der in Anzug und Hose steckende Mann mit dem nicht ganz zugeknöpften Hemd und den mal von ihm offen getragenen Haaren verboten gut aus und hätte ja eigentlich berechtigte Gründe, vor Wut über die Scharade der beiden zu toben.

Was er aber nicht tat!

Stattdessen saß er entspannt und mit einem Bein über dem anderen liegend da und sprach Tacheles mit ihnen!

Wie gut also für die Blonde, dass sie sich mit ihm und nicht mit jemand anderem verabredet hatte. Wer wusste schon, wie das sonst für sie ausgegangen wäre?

 

 

 

 

3

 

Der Abend verlief dann doch lustiger und entspannter, als man zuerst hätte vermuten können. Nach anfänglicher Schüchternheit und reichlich Entschuldigungen über die Täuschung plauderte das Trio fröhlich und entspannt über alles und gar nichts.

Sasha – wie die Blonde ihm inzwischen ihren richtigen Namen verraten hatte – verriet ihm letztlich sogar, warum genau sie ihn angelogen hatte: Alle ihrer Freundinnen und Mitschülerinnen hätten ‚es‘ bereits getan, nur sie noch nicht.

Hänseleien und Getuschel hinter ihrem Rücken hatten sie irgendwann dazu getrieben, dass sie verzweifelt nach einer schnellen und anonymen Möglichkeit zur Behebung dieses vermeintlichen ‚Makels‘ gesucht hatte.

Ein Geständnis, welches Rhiom erkennbar das Gesicht verziehen ließ. Bitte, wie?

„Und du glaubst wirklich, dass sie alle, wirklich ausnahmslos alle, ‚es‘ bereits getan haben?“, war ihm rausgerutscht, sobald sie mit ihrer Erklärung fertig war.

„Ich kann dir sagen, dass dem nicht so ist. Vielleicht stimmt es bei ein paar wenigen, aber ich kann dir garantieren, dass nie im Leben wirklich jedes einzelne Mädchen in deinem Umfeld bereits so weit gegangen ist. Und du solltest diesen Schritt auch nur gehen, wenn du bereit und dir sicher bist, dass du es auch wirklich willst.“

 

Kopfschüttelnd hatte der Satyr dann noch etwas über Menschen in seinen sorgfältig getrimmten Bart genuschelt. Ein neues ‚Accessoire‘, wenn man es so nennen wollte, welches er seit einigen Monaten ausprobierte – und damit recht gute Erfolge erzielte, wenn er es recht bedachte.

Aber das Seufzen zu seiner Linken lenkte seine Gedanken zurück auf das Gespräch, in welchem er sich ja gerade befand. Das arme Mädchen…

Rhiom mochte umtriebig bis zum Erbrechen sein, ein Charmeur sondergleichen, aber er besaß auch Anstand und ertrug es einfach nicht, wenn ein weibliches Wesen traurig war – ungeachtet des Alters!

Aber Menschen machten sich nun einmal gerne das Leben schwer und wenn es nicht das Eigene war, dann das von Anderen. Und der aktuellste lebende Beweis dafür saß mit ihm und ihrer Freundin hier am Tisch und nickte bedröppelt, während besagte Freundin ihr die ‚Ich hab’s dir doch gesagt!‘-Karte vor die Nase hielt. Metaphorisch gesprochen, versteht sich.

 

Aber auch die schönste Zeit endete einmal und daher löste Rhiom sein letztes für diesen Abend gemachtes Versprechen ein: Er begleitete die beiden jungen Frauen zu ihrem Auto. Nach einer fröhlichen Verabschiedung und einigem Winken, bis der Wagen abgebogen war, stieß er jedoch einen tiefen Seufzer aus.

Es war ja nicht so, dass er bereute, was er getan hatte, aber ein wenig enttäuscht war er dennoch gewesen. Und das wiederum auch nur wegen Sashas Geständnis, warum genau sie ihn angelogen hatte.

Menschen neigten dazu, sich selbst oder sich gegenseitig zu zerstören, und das war nicht einmal ein neues Phänomen, über welches er seinen Kopf hätte schütteln können. Es zog sich unbestreitbar quer durch die gesamte Geschichte der Menschheit, dass dieses zerstörerische Verhalten bei ihnen angeboren sein musste.

Damit waren sie zwar nicht allein, aber es war dennoch eine sehr bedauerliche Eigenschaft, welche sie sich da ausgesucht hatten und die sie mit einiger Hingabe hegten und pflegten.

Es mochte reichlich Ausnahmen geben, aber auf die Menge der lebenden Menschen gerechnet, war deren Anzahl schwindend gering anzusetzen. So sah es zumindest der Satyr, der erneut seufzte, bevor er sich abwandte und seinen eigenen Heimweg antrat.

 

Seine Uhr verkündete, dass es zwei Uhr am frühen Morgen war, als er endlich die Haustür aufschloss und in sein Zuhause trat. Ator und Ben waren mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ihrer Schicht, Eira, Kisame und Reul lagen vermutlich tief und fest schlafend in ihren jeweiligen Betten.

Eine wirklich überwältigende Auswahl an Möglichkeiten, um die späte – oder frühe, je nachdem wie man es sehen wollte – Stunde noch zu nutzen.

Er konnte entweder direkt in sein Bett gehen oder einen Abstecher ins Wohnzimmer machen, sich einen Drink gönnen und vielleicht noch etwas fernsehen, bevor er sich schlafen legen würde.

Besser würde es, trotz eifrigem Überlegens, heute für ihn nicht mehr werden. Schwer schnaufend zog er sich daher die Schuhe aus, füllte sich einen Drink ein und warf sich auf die Wohnlandschaft, um von dort aus den Fernseher anzuschalten.

Es gehörte definitiv nicht zu Rhioms besten Ideen sich eine spanische Seifenoper zu so später Stunde und mit dermaßen schwerem Gemüt anzusehen, während er an seinem Glas süffelte und dieses immer wieder zustimmend prostend anhob.

 

Die oberen Knöpfe seines Hemdes hatte er irgendwann geöffnet, den Gürtel ebenso, während er in einer mit Kissen vollgestopften Ecke herumlümmelte und ein Bild des Jammers lieferte.

Nur dass er sich dieses Mal nicht die Mühe gab, den Wellen aus Trauer und Einsamkeit entkommen zu wollen. Er hatte nichts weiter vor, keiner seiner Freunde war wach und bei ihm, wieso sollte er also gegen die ihn übermannende Leere ankämpfen?

Scheiß doch drauf, dass er dann unausstehlich sein würde!

Zudem erleichterte der starke Alkohol seinen Untergang und als das Glas geleert war, hing Rhiom auch schon im Reich der Träume fest.

Das flimmernde und flackernde Licht des Fernsehers störte seinen Schlaf ebenso wenig wie die dramatischen spanischen Ausrufe diverser Serienfiguren, welche sich bis in den frühen Morgen über ihr Wohl und Wehe beklagten.

 

Ein quietschendes „Oh! Ich liebe diese Serie!“, kratzte zuerst an seinem noch schläfrigen Bewusstsein, bevor Rhioms Welt bedrohlich ins Wanken geriet.

Irgendjemand hatte sich mit Schwung, Anlauf und Inbrunst neben ihn auf die Wohnlandschaft geschmissen, sodass er wild wach geschüttelt wurde. Und nicht nur das: Ihm drang auch der zuckersüße Duft der Verursacherin in die Nase.

So früh am Tag mochte er nicht die hellste Birne im Kronleuchter sein, aber dass er soeben von einer vergnügten Reul geweckt worden war, raffte dann selbst er noch.

Daraus ergab sich auch schnell für den gerade erst aufgewachten Satyr, dass er im Wohnzimmer eingeschlafen sein musste, als er sich seiner Schande ergeben hatte. Konnte es denn noch schlimmer kommen?

Ja, konnte es, wie er zu seinem Leidwesen feststellte.

Denn wenn Reul wach war, dann war es Kisame auch. Und als hätte er ihn mit seinen Gedanken gerufen, wuchtete der Naga seinen Körper ebenfalls auf die Wohnlandschaft, sodass Rhioms eigener Kadaver ein weiteres Mal reichlich durchgeschüttelt wurde.

Und ja, er fühlte sich nach dieser Nacht definitiv wie ein Kadaver!

„Urgs…“, war jedoch sein einziger Kommentar zu der frühmorgendlichen Freude, mit welcher er von seinen beiden Freunden attackiert wurde.

Wenigstens die Füchsin hatte Erbarmen mit dem Trauerkloß, der er gerade war, und ließ nur ein „Hmpf… Morgen“ von sich hören.

Jetzt verstand Rhiom auch endlich, warum vor allem der sonst so miesepetrige Ben ihre Anwesenheit schätzte: Sie ging einem nicht so penetrant auf die Nüsse wie der rotgelockte Wirbelwind!

 

Ob die Pixie und der Naga überhaupt bemerkten, dass er auch auf dem Polster herumlag und von ihnen geweckt worden war?

Prüfend schielte er zur Seite und stellte mit wenig Begeisterung fest: Nein, sie hatten ihn nicht bemerkt!

Nicht, dass es ihn stören würde, aber gefallen tat es ihm auch nicht.

Sollte er einfach liegen bleiben, dem Drama auf der Mattscheibe zusehen und versuchen herauszufinden, was er alles verpasst hatte oder sollte er sich lieber von der Sitzfläche herunterwälzen und sich zur Kaffee schlürfenden Füchsin in die Küche gesellen?

Theatralisches Nachplappern diverser schwülstigen Dialogzeilen seitens Reul nahm ihm die Entscheidung ab.

Mit einem für ihn eher untypischen Grunzen rollte Rhiom sich zur Seite, wuchtete sich in die Höhe und trottete nach einem knappen und ignoriert werdenden Winken vom Wohnzimmer zur Küche.

Zu Rhioms Glück war besagter Raum bis auf Eira leer. Also mussten Ator und Ben entweder noch auf dem Heimweg sein oder beide lagen bereits selig schnarchend in ihren Betten und würden erst wesentlich später am Tag mit ihrer ‚Morgenroutine‘ beginnen.

Was auch immer zutraf, es ersparte ihm die trockenen „Du siehst scheiße aus“-Kommentare seiner beiden Freunde.

 

Das hieß jedoch nicht, dass die Füchsin ihn damit verschonte – auch wenn diese das mit einem Blick und vielsagend angehobener Augenbraue ausdrücken konnte anstatt es zu verbalisieren.

Sein eigenes, gemurrtes „Leck mich… Kaffee, bitte?“, wurde mit einem weiteren Anheben der Augenbrauen bedacht, bevor sie ihm dennoch eine Tasse zuschob.

Ja, da klang der Satyr mal wie der Wolf, aber es war ihm herzlich egal. Und es war ihm ebenso egal, dass er sich wie ein nasser Sack auf einen freien Stuhl fallen ließ.

Wozu sollte er sich auch die Mühe machen sich ordentlich hinzusetzen?

Eira war Ators Gefährtin, nicht seine, also musste er sie auch nicht beeindrucken, nicht wahr?

Ohnehin ein sinnloses Unterfangen, wie er sich eingestand, während er da an seinem Kaffee nuckelte, auf welchem sich sein verzerrtes Spiegelbild offenbarte. Er sah zum Fürchten aus! Und dabei war erst ein Abend vergangen, nicht mal ein ganzer Tag!

Rhiom wusste, dass dies erst die Spitze des metaphorischen Eisbergs war. Es würde noch schlimmer werden – viel schlimmer – und irgendwann vielleicht wieder besser.

Aber er machte sich nicht vor, dass es dieses Mal anders verlaufen würde als die Male zuvor. Vielleicht würde es etwas kürzer dauern, vielleicht aber auch etwas länger, aber es würde dennoch eine unerträgliche Zeit werden.

Nicht nur für ihn.

 

 

 

 

4

 

Keine Partys.

Keine Dates.

Keine feinen Anzüge.

Keine Begeisterung…

Normalerweise hielt Rhiom es nicht aus auch nur einen Abend lang nichts zu tun.

Sei es, dass er sich irgendwo in der Weltgeschichte herumtrieb oder dass er sich mit seinen Freunden stundenlang im gemeinschaftlichen Wohnzimmer verbarrikadierte, um Videospiele zu spielen, Pizza zu verschlingen und einfach Spaß zu haben.

Aber seit einigen Wochen tat er nichts mehr von alldem.

Die Veränderung war langsam vonstattengegangen, fast schon schleichend. Nach dem desaströsen Date und dem unrühmlichen Morgen danach hatte sich sein Zustand stetig verschlechtert.

Zuerst waren es nur Kleinigkeiten gewesen, die einen Hinweis auf das drohende Unheil gegeben hatten.

Mal hatte er sich nicht gekämmt, mal hatte er seine Krawatte schlampig gebunden. Nichts Weltbewegendes, wenn man nicht gerade mit dem sonst so penibel auf sein Aussehen achtenden Satyr unter einem Dach lebte.

 

Wäre es denn nur bei diesen Kleinigkeiten geblieben.

Mehr als nur einmal hatte er die Blicke seiner Freunde auf sich gespürt, die ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen betrachtet hatten und die zu ahnen schienen, wohin das Ganze führen würde. Wie recht sie doch hatten…

Denn irgendwann wurden aus solchen Lappalien größere und sichtbarere Dinge.

Mehrere Wochen nachdem Rhiom das aufkommende Gefühl der Leere temporär unterdrückt hatte, war von einem Niederringen selbiger nicht mehr viel zu erahnen.

Sein sonst so ordentlich gestutzter Bart hatte begonnen in ungewohnter Freiheit zu wachsen und zu gedeihen, er trug immer länger dieselben Sachen und verließ im selben Maße immer seltener das Haus.

Allerdings waren das nur die sichtbaren Dinge, die Resultate dessen, was er fühlte.

 

Rhiom war bereits einige Male diesem Gefühl der Leere und der Sinnlosigkeit ausgeliefert gewesen. Jeder von ihnen machte solche Phasen durch, bis man sein perfektes Gegenstück fand und wer etwas anderes behauptete, der log.

Aber wie bei so vielen anderen Dingen auch, erlebte jeder diese Phasen anders, als andere es taten. Und für Rhiom bedeutete es, dass er jeglichen Antrieb verlor und sich im dunklen Sumpf seiner eigenen Resignation verlor.

Welchen Sinn sollte es haben sich weiterhin herauszuputzen? Es gab ohnehin niemanden in seiner Nähe, den es interessiert hätte.

Er lebte umringt von glücklichen Pärchen und außerhalb seines Zuhauses hatte er niemanden gefunden, der seine zweite Hälfte war. Sonst wäre er wohl kaum in seinen jetzigen Zustand verfallen.

Warum sollte er weiterhin ausgehen? Er hatte bereits sämtliche Lokalitäten im Umkreis und teilweise sogar darüber hinaus abgeklappert.

Nacht um Nacht war er losgezogen, hatte mehr verschwitzte Wesen gesehen, als das er sie noch hätte zählen können. Immer in der lächerlichen Hoffnung, dass er dabei diese eine perfekte Person finden könnte, mit welcher er danach den Rest seines Lebens verbringen würde.

 

Warum sollte er andere mit seiner erbärmlichen Präsenz belästigen? Jedes Mal, wenn er sich mit jemandem traf, blockierte er dessen Chance, seinen oder ihren eigenen perfekten Partner zu treffen.

Er stahl sich wertvolle Stunden, die sinnvoller hätten genutzt werden können, anstatt sie mit ihm zu vergeuden. Und wofür? Für etwas kurzlebigen Spaß und unbedeutenden Sex?

Rhiom merkte nicht einmal, dass er sein Gesicht zu einer angeekelten Grimasse verzog. Nicht, weil ihn der Gedanke an tiefergehende Intimität abstieß, sondern, weil er sich vor sich selbst ekelte.

Warum nur musste er ein Satyr sein? Sein Leben wäre so viel leichter zu ertragen, wenn er nicht ständig diesen seiner Art gegebenen Drang nach körperlicher Vereinigung spüren würde.

Aber das Spüren war ja nicht einmal das Schlimmste für ihn daran – zumindest im Moment.

Das Schlimmste für ihn war, dass er diesem Drang ständig und mit Freude nachgab!

Dass er zu schwach war, um ihm zu widerstehen, dass er sich sogar mit Freude und ohne Scham in fremden Laken herumwälzte, wann immer sich ihm die Gelegenheit bot!

 

Nur flüchtig sah er an sich herunter und dennoch registrierte sein Verstand, was es da zu sehen gab.

Anstatt dem üblichen Stoff seiner guten Anzughosen begrüßte ihn der fleckige und ausgeleierte Stoff einer uralten Jogginghose, welche er schon vor Jahren hatte wegwerfen wollen.

Ein Schandfleck seiner sonst so gut gepflegten Kleidersammlung, in welcher sich auch Sportkleidung befand – immerhin kam so ein Traumkörper nicht von ungefähr!

Ungewollt schauderte Rhiom bei dem Gedanken. Traumkörper, am Arsch! Er war ein Blender, ein Aufschneider, nicht mehr und nicht weniger. Eine Verschwendung von Zeit und Atemluft…

Rhiom wagte sich nicht, einen Blick auf seinen Bauch zu riskieren. Nicht, dass er zugenommen hätte, aber sein Verstand hätte ihm vorgegaukelt, dass er fett und feist geworden war.

War er nicht eine Zierde seiner Art, wie er hier auf der großen Wohnlandschaft herumgammelte und Trübsal blies? Noch nie war es ihm berechtigter vorgekommen, dass man ihn verstoßen hatte als in diesem Moment.

 

Dass er von seinen Freunden beobachtet wurde, wie er da herumlag und nicht einmal zu merken schien, was er sich im Fernsehen ansah, bemerkte der Satyr nicht. Und selbst wenn, es hätte ihn nicht interessiert.

Er konnte sich die angewiderten, in Wirklichkeit eher mitfühlenden Blicke vorstellen, welche sie ihm mit Sicherheit zuwarfen. Nein, das war nichts, womit er sich gerade auch noch beschäftigen wollte.

Oder besser gesagt, es war nichts, womit er sich gerade beschäftigen konnte. Keiner von ihnen konnte ihm helfen, so gerne sie es auch getan hätten; er musste das allein durchstehen. Zumindest war er dieser Meinung.

Scham war dem Satyr normalerweise fremd, aber gerade spürte er wie sich dieses Gefühl mit Freude zu Ekel, Resignation und Selbsthass gesellte, um den in ihm blubbernden Sumpf an Negativität noch ein wenig größer werden zu lassen.

Ob er wollte oder nicht, er schämte sich dafür, seinen Freunden zur Last zu fallen.

 

Nicht im finanziellen Sinne, versteht sich. Jeder von ihnen hatte einen Job, jeder von ihnen hatte Rücklagen und die Wahrscheinlichkeit, dass die Hölle zufrieren würde, war wesentlich höher, als das jemand von ihnen pleitegehen würde.

Aber das bedeutete nicht, dass er ihnen nicht anderweitig zur Last fallen konnte.

Er verdarb ihnen die gute Laune, wann immer sie ihn versuchten in die Spielabende zu integrieren und er sich nach einem ablehnenden Grunzen zurück in seine privaten Räume verkroch.

Er bereitete ihnen Sorgen, wenn er von seinen Räumen ins gemeinschaftliche Wohnzimmer torkelte, dort für einige Stunden einfach nur herumlag und schließlich wieder in seine Räume verschwand.

Er hatte irgendwann aufgehört, sich um seine Aufgaben im ‚Slice’n’Dice‘ zu kümmern, sodass Kisame in der Mehrarbeit zu ertrinken drohte.

War er nicht ein toller Freund, hm?

Der beste, den man sich nur wünschen konnte, nicht wahr?

 

Ein freudloses Lachen entkam seiner Kehle, während er sich träge vom Rücken auf den Bauch rollte und sein Gesicht in das dank ihm stinkende Sitzpolster presste.

Noch etwas, das er auf die lange Liste seiner Unzulänglichkeiten packen konnte: Er stank inzwischen dermaßen, dass es ihn wunderte, warum weder Ben noch Eira ihn inzwischen gepackt und in eine gut gefüllte Badewanne gestopft hatten.

Das lief ja immer besser und besser für ihn, nicht wahr?

Jetzt wollten nicht einmal mehr seine Freunde ihn anfassen.

Andererseits… War das wirklich so schlimm? Immerhin musste er sich mitunter auch selbst zwingen, sich anzufassen, wenn es denn notwendig war.

Was vermutlich auch erklärte, warum er irgendwann aufgehört hatte, seine Kleidung zu wechseln. Er ging ja ohnehin nicht mehr aus dem Haus, also war es auch nicht…

„Hoch mit ihm! Wir fahren jetzt! Feiern wird ihm sicher gut tun!“

 

 

 

 

 

5

 

Wenn es etwas gab, worauf Rhiom nun so gar keine Lust hatte, dann war es auf irgendeine Feier zu gehen. Oder besser gesagt, zu irgendeiner Feier geschleppt zu werden.

Doch alles Motzen und murren half dem Satyr nicht, wie er grummelnd feststellen musste als Ben und Ator ihn kurzerhand packten und seinen Trauerkloß-Hintern hinter der zufrieden voranstolzierenden Eira herschleppten.

Kisame und Reul bildeten die Nachhut ihres kleinen Zuges, wie er nach einem kurzen Blick über seine Schulter feststellen musste. Schön, dass zumindest die beiden ihren Spaß an seiner Misere hatten…

Und eine Misere war es für den Satyr zweifellos! Er steckte in einem fleckigen und stinkenden Ensemble aus ausgeleierter Jogginghose und einem löchrigen Unterhemd, seine Haare waren verfilzt, fettig und am Ansatz herausgewachsen, sein Bart ließ ihn wie einen Waldschrat aussehen.

Also definitiv nichts, was man freiwillig der Menschheit antun würde, oder? Sollte man meinen, aber seine Freunde waren da scheinbar anderer Meinung als er selbst.

 

„Du kannst uns giftig ansehen, soviel du nur willst, aber du wirst uns begleiten!“ Begleitend zu seinen Worten festigte Ben seinen Griff um Rhioms Oberarm, während Ator nur zustimmend nickte.

„Ich weiß, ich wiederhole mich, aber warum?! Was bringt es euch, wenn ihr mich mit nach… Wohin wollt ihr überhaupt?“

Zu seinem Pech festigte nun auch Ator seinen ohnehin eisernen Griff um seinen Oberarm. Ein eindeutiges Anzeichen dafür, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde. „Na… Mardi Gras in New Orleans feiern natürlich.“

Und Eiras gemurmeltes „Dann kann ich ihn endlich verhökern…“ machte die Sache auch nicht signifikant besser.

 

Trotz aller Proteste und massiver Gegenwehr seinerseits fand Rhiom sich bald flankiert von seinen Freunden auf der Rückbank des Land Rovers, den er sich mit Kisame teilte, wieder, während der Naga sich hinter das Lenkrad wuchtete und sich die Füchsin auf den Beifahrersitz fläzte.

Mit fünf Personen war der Wagen aber voll besetzt, womit sich die Frage ergab: Wie sollte Reul bitte schön nach New Orleans kommen?!

Und da witterte Rhiom seine Chance, dem Ganzen vielleicht doch noch entkommen zu können.

„Oh, wie schade… Lasst mich einfach raus, dann kann Reul…“, setzte er bereits an, nur um von fröhlichem Gekicher unterbrochen zu werden.

Die schlimmsten Befürchtungen des Satyrs wurden bestätigt als er den roten Lockenschopf als eine Miniaturausgabe ihrer selbst fröhlich winkend auf Eiras Schoß sitzend vorfand.

Pixie… Verdammt…

 

Verdammt war Rhioms Meinung nach auch ein sehr treffendes Wort, um zu beschreiben, wie die Fahrt nach New Orleans verlief.

Verdammt lang, verdammt anstrengend, verdammt unbequem und verdammt einengend. Und Bens Gesichtsausdruck nach zu urteilen auch verdammt süß riechend.

Wäre der Wolf nicht an seiner ‚Entführung‘ beteiligt hätte Rhiom sogar Mitleid mit ihm deswegen gehabt.

So aber gönnte er seinem grimmig vor sich hinstarrenden Freund diese stinkend süße Attacke auf seine ohnehin empfindliche Nase.

Umso erleichterter waren aber sowohl Rhiom als auch Ben als Eira, die auf halber Strecke das Steuer übernommen hatte, den Wagen endlich auf einen Parkplatz lenkte und den Motor abstellte.

 

Rhiom wusste inzwischen, dass er gar nicht auf irgendeine Möglichkeit zur Flucht hoffen musste. Oder darauf, dass seine Freunde Erbarmen zeigen und ihn sich im Hotelzimmer verkriechen lassen würden.

Er verstand zwar noch immer nicht, warum sie so darauf versessen waren, dass er sie begleitete, aber er verstand sehr wohl, dass keiner von ihnen nachgeben würde.

Zumindest nicht solange ein gewisser Jemand mit blauen Augen allen eine schmerzhafte Erfahrung versprach, wenn sie auch nur wagen sollten, ihn eine Sekunde aus den Augen zu lassen!

Vermaledeite Füchsin…

Normalerweise hätte der Satyr seinen diebischen Spaß daran gehabt, dass seine sonst so stoischen Freunde vor der im Vergleich zu ihnen zierlichen Frau kuschten, aber in seinem derzeitigen Gemütszustand fand er es einfach nur nervig.

Warum konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe zuhause auf dem Sofa leiden und vergammeln lassen? Das wäre doch genau in ihrem Sinne, oder?

Die Füchsin mochte ihn ja nicht mal! Das war zumindest sein letzter Stand der Dinge gewesen…

 

Zumindest bei Letzterem irrte der Satyr sich, ohne es selbst zu wissen.

Er mochte zwar nicht Eiras absolute Lieblingsperson auf der ganzen weiten Welt sein, aber er war ein Teil ihrer neuen Familie. Und als solcher Teil kümmerte sie sich auch um ihn – ob es ihm nun passte oder nicht!

Besagtes Kümmern bestand allerdings in diesem Moment daraus, dass sie seinen an einen Kadaver erinnernden Körper von Ben und Ator aus dem Land Rover und in Richtung eines kleinen Hotels zerren ließ.

Sein protestierendes „Leute… kommt schon!“, wurde dabei aber geflissentlich von allen Beteiligten ignoriert.

 

Man sollte meinen, dass ein Fest wie das Mardi Gras ein absolutes Highlight für jemanden wie den sonst so feierwütigen Rhiom wäre.

Nun, normalerweise wäre es das wohl auch, wenn der Satyr sich nicht mitten in einem Einsamkeitstief befinden würde. Einem, welches bereits viel länger als üblich anhielt und seine Freunde doch besorgter machte, als sie es jemals zugeben würden.

Das war einfach nicht ihr Freund, der da als Schatten seiner selbst vor ihren Augen dahinvegetierte. Und egal, was sie versuchten, um ihn wieder aus diesem Tief herauszuholen, nichts schien zu helfen.

Man kann sich also vorstellen, dass Ator, Ben und Kisame nicht lange mit ihrer Zustimmung zögerten als Eira und Reul ihnen den Vorschlag zu diesem ‚kleinen‘ Ausflug unterbreiteten.

Nein, die Füchsin hatte ihren Vorschlag von vor einigen Jahren nicht vergessen und da der Trübsal blasende Satyr ihr wesentlich mehr auf die Nerven ging als seine übliche Version, schien ihr es nur angemessen nun endlich zu versuchen ihn an die nächstbeste Person zu verhökern.

Könnte ja hilfreich sein…

 

Dass selbst die sonst so selbstbewusste Eira ihre Zweifel an der Realisierbarkeit ihres eigentlichen Plans hegte, zeigte sich aber deutlich, als sie Rhiom nun noch einmal eingehender betrachtete.

Er sah zum Fürchten aus, das wusste er selbst, dafür musste sie nicht auch noch so vielsagend ihr Gesicht verziehen!