Jäger der Seelen - Collin - Loreletta Nox - E-Book

Jäger der Seelen - Collin E-Book

Loreletta Nox

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Beschreibung

Collins Leben besteht aus genau drei Abläufen: Essen, Schlafen, Arbeiten. Vor allem Letzteres tut er mit einer - meist nicht als solcher erkennbaren - Begeisterung. Denn sein Beruf ist kein gewöhnlicher. Collin sammelt Seelen. Ob gerade frisch verstorben, vergessen worden oder davongelaufen, landet der Name in seinen Händen, ist es meist zu spät. Als jedoch eines Tages die aufgeweckte Satine seine Wege kreuzt und damit beginnt seine liebgewonnenen Strukturen durcheinanderzuwirbeln, droht die Welt des sonst so ruhigen Mannes aus den Fugen zu geraten. Und letztlich steht er vor der schwersten Wahl seines Lebens: weitermachen wie bisher oder aus dem Trott ausbrechen?

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Loreletta Nox

Jäger der Seelen - Collin

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Jäger der Seelen - Collin

 

von

 

Loreletta Nox

Kleines Vorwort

 

Liebe Rollenspieler

- und natürlich auch alle anderen Fantasy-liebenden Leute -

habt ihr euch schon einmal gefragt, was mit den geliebten Charakteren passiert, wenn sie ihre Abenteuer nicht mit heiler Haut überstehen und nicht einmal mehr eine Göttliche Intervention ihnen mehr helfen kann?

Ja?

Dann haltet ihr hier die Antwort in den Händen!

Entstanden aus einer alten Rollenspielrunde, die sich dieselbe Frage gestellt hatte, zeigt die Geschichte um Collin und seine Freunde, wie das mögliche Leben der gefallenen Helden aussehen könnte.

 

Eine nicht ganz ernst gemeinte Reise durch das chaotische Leben nach dem Leben diverser Rollenspielcharaktere - und jenen, die das noch vor sich haben.

Kurzbeschreibung

 

Collins Leben besteht aus genau drei Abläufen: Essen, Schlafen, Arbeiten.

 

Vor allem Letzteres tut er mit einer - meist nicht als solcher erkennbaren - Begeisterung.

Denn sein Beruf ist kein gewöhnlicher: Collin sammelt Seelen.

 

Ob gerade frisch verstorben, vergessen worden oder davongelaufen, landet der Name in seinen Händen, ist es meist zu spät.

 

Als jedoch eines Tages die aufgeweckte Satine seine Wege kreuzt und damit beginnt seine liebgewonnenen Strukturen durcheinanderzuwirbeln, droht die Welt des sonst so ruhigen Mannes aus den Fugen zu geraten.

Und letztlich steht er vor der schwersten Wahl seines Lebens: weitermachen wie bisher oder aus dem Trott ausbrechen?

 

Prolog

 

Der Himmel war mit dunklen Wolken verhangen, die ihre Schleusen über der Welt geöffnet hatten und gemeinsam mit einem unberechenbar brausenden Wind ihr Bestes taten, um Schmutz, Unrat und den Abschaum der sich ihre Bewohner nannte, zu ersäufen.

Als würde Mutter Natur versuchen ihre Parasiten elendig krepieren zu lassen, um frisch und befreit in einen neuen Lebensabschnitt starten zu können. Zumindest konnte es einem so vorkommen.

 

Nur das die meisten Menschen gar nicht die Absicht hegten dem hehren Ziel ihres Heimatplaneten Folge zu leisten.

 Sie würden ihre Lungen nicht mit Wasser füllen, würden sich nicht von herunterfallenden Ästen, gar ganzen Bäumen, erschlagen lassen und ganz bestimmt würden sie sich generell nicht so einfach entfernen lassen.

Zumindest jene, die es bis dato geschafft hatten, dem tödlichen Sturm aus Magie und Vernichtung zu entgehen, der vor unbestimmter Zeit über die Welt gefegt war und Chaos, Tod und Zerstörung hinterlassen hatte.

 

Denn wenn das Wetter ‚schlecht‘ war, verkrochen sie sich in ihren Häusern, Autos oder sonstigen Unterschlüpfen, um abzuwarten und später erneut wie eine Heuschreckenplage über die kränkelnden Überreste ihrer Umwelt herzufallen.

 

Nur wenige Hartgesottene, denen trotz der kräftigen Regengüsse und der heftigen Windböen nichts Anderes übrigblieb als im Freien ihre Wege hinter sich zu bringen, harrten stur unter den verbliebenen Glasdächern von Bushaltestellen aus oder manövrierten sich mit eiligen Schritten durch die beständig größer werdenden Pfützen auf den recht leeren Straßen.

 

Und von diesen wenigen blieb nur einer, der nicht in übertriebener Hektik unterwegs war. Dem es egal war, ob er und seine Habseligkeiten nass wurden oder nicht. Der in aller Seelenruhe über den nassen Gehweg schlenderte, ohne Schirm, Mütze oder Zeitung als Behelfsmittel. Der nur kurz an einem der letzten nicht geborstenen Schaufenster inne hielt und sein Spiegelbild anstarrte, ohne es wirklich wahr zu nehmen.

 

Kurze blauschwarze Haare ohne erkennbare Frisur, die vom Regen schwer und nass an seinem Kopf klebten. Das Gesicht eindeutig männlich, aber nicht übertrieben markant geschnitten. Eine Nase, ein neutral verzogener Mund und zwei blaue Augen, die nur zwei Zustände zu kennen schienen: eiskalt starrend oder zum Schlafen geschlossen. Ein weißes Hemd, Ledermantel, lose gebundene Krawatte, Hose und Schuhe hingegen in schwarz und alles triefend nass.

 

Versunken in die Betrachtung dessen, was sich in der langsam matt werdenden Scheibe des ehemaligen Kaufhauses spiegelte, ließ er die Zeit verstreichen. Ließ aus Minuten Stunden werden, bis sich der Sturm beruhigte und die Wolken sich verzogen, um einer brennend heiß scheinenden Sonne Platz zu machen. Seinen Blick wandte er jedoch erst ab, als das Glitzern seiner Umwelt in der Spiegelung zu stark für ihn wurde und ihn zu blenden begann.

 

Mit einem unwilligen Schnauben wandte er sich ab und setzte seinen Weg fort. Einen Weg ohne bestimmtes Ziel wie man meinen könnte, schlenderte er doch kreuz und quer durch die aufgerissenen, teils überfluteten Straßen. Sein Blick blieb dabei stur nach vorne gerichtet, glitt kein einziges Mal nach links oder rechts, geschweige denn nach unten oder oben.

 

Und doch schien er einem vorgegebenen Pfad zu folgen, fand er sich doch nach zwei weiteren Stunden Marsch unter brüllender Sonne an einem gewaltigen Schutthaufen wieder, der einst zwei Gebäude gewesen sein musste. Scherben aus Glas und Plastik, Steine, Metallstücke vermischt mit den zerfledderten oder zerdrückten Überresten von menschlichen Habseligkeiten türmten sich vor ihm auf. Aber er hatte keinen weiteren Blick für das Mahnmal menschlicher Schicksale, geschweige denn für die davon aufsteigenden Staubwolken. Er war nicht hier, um die Menschen zu bedauern. Er war hier, um zu arbeiten.

 

Ruhig wandte er seinen Kopf zu beiden Seiten, um seinen weiteren Weg betrachten zu können. Links boten ihm bröckelige Ruinen mehrere mögliche Durchgänge, um zu seinem Ziel zu gelangen, rechts fand er eine noch relativ stabil aussehende Backsteinmauer. Die Wahl fiel ihm leicht, sodass er sich tonlos nach links umwandte und durch eines der vielen Löcher in der bröckeligen Wand stieg. Mehrere Schuhabdrücke auf dem Boden bestärkten ihn in der Vermutung, dass der Weg nicht nur von ihm genutzt wurde. Die Frage war lediglich: wie lange würde dem noch so sein?

Ein falscher Windhauch, ein leichtes Beben, alles Mögliche würde ausreichen, um das gesamte Konstrukt in sich zusammen fallen zu lassen wie ein instabiles Kartenhaus.

Eventuell würde dabei auch jemand sterben, mindestens jedoch verletzt werden, wenn das Gestein ihn oder sie unter sich begraben würde. Wenn es so weit war würde er zurückkehren, aber jetzt war dies nicht seine vorrangigste Sorge.

 

Von Vorsicht konnte keine Rede sein, als er mit gleichbleibenden Schritten zielstrebig über den unebenen Boden stapfte, feuchte Schuhabdrücke dabei in dem abgelaufenen Staub hinterlassend. Anstatt jedoch dem Weg weiter zu folgen und dadurch hinter den Schutthaufen zu gelangen, bog er auf der ungefähren Mitte des Weges an einem maroden Treppenhaus ab und stieg die teils abgebrochenen Stufen hinauf. Es bedurfte dreier Stockwerke, ehe er ein halbwegs stabil wirkendes Teilstück eines Bodens fand, auf welchem er gefahrlos stehen konnte.

 

Nicht, dass es ihn gekümmert hätte, wenn er abgestürzt wäre. Oder vielleicht doch, ein wenig zumindest. Immerhin hätte ihm weiterer Schutt seine Suche erschwert und er hasste es, wenn dies geschah. Ab diesem Moment bewegte er sich vorsichtiger, wählte seine Schritte mit Bedacht und riskierte mehrere Blicke, bevor er sich weiter voran bewegte.

So bestritt er seinen Weg vom Treppenhaus bis zu der Bruchkante, die ihn nahe genug an den angepeilten Schutthaufen brachte.

Hier musste es sein. Hier war der Zug am Stärksten. Prüfend richtete er den kalten Blick nach unten, überflog Steinbrocken und Metallstangen, bis er entdeckte wonach er gesucht hatte.

Ein junger Mann, dessen halber Körper teils unter den schweren Betonbruchstücken verschwand, während die andere Hälfte von Metallbruchstücken durchlöchert worden war. Blut und Staub hatten eine schmutzige Deckschicht auf dem Gesicht des armen Tropfs gebildet und seine Identität verschleiert.

 

Kein Mensch hätte mehr sagen können, wer dieser zermalmte Klumpen aus Fleisch, Knochen und Kleidung einst gewesen war. Für den Schwarzhaarigen bestand jedoch keinerlei Zweifel an der Identität dieses unglücklichen Haufens. Er wusste, dass es derjenige war, wegen dem er überhaupt erst hier gelandet war. Der, der ihn gerufen hatte.

 

Sein Ziel mit den Augen fixierend bewegte er sich weiter voran, überwand mit sicheren Schritten die kleineren Abgründe, welche den Boden unter ihm aufgerissen hatten und sprang mit einem letzten und gut gezielten Satz neben den Verblichenen. Nun kam der unangenehme Teil seiner Arbeit. Er musste ihn aus seinem Totenschlaf erwecken und ihn irgendwie aus seiner alles zermalmenden Zwangsjacke befreien. Ersteres war der leichtere Part dabei, wie er nach einem kurzen Blick feststellte.

 

Der Aufprall seiner schweren Stiefel musste für genügend Erschütterung gesorgt haben, dass der Mann aufgewacht war und nun irritiert um sich blinzelte, während er hustend und gurgelnd um Atem rang. Krächzend drang schließlich sogar die dünne, gebrochene Stimme an sein Ohr, die ihn um Hilfe anflehte. Nicht ganz das, was er eigentlich tun würde, aber, wenn er mitspielte würde es dafür sorgen, dass der Mann etwas ruhiger wurde – was ihm wiederum die Arbeit drastisch erleichtern würde.

Geschmeidig ließ er sich daher in eine hockende Position sinken und seine Hand prüfend über den nahen Schutt gleiten.

Demzufolge was er ertasten konnte würde er nur einen kräftigen Ruck brauchen, um ihm zu helfen. Und dieser Ruck müsste exakt… Ohne Vorwarnung packte er den Eingeklemmten unter der Achsel und zog ihn mit unerwarteter Kraft ins Freie. Die ihres Halts beraubten Bruchstücke aus Beton und Metall verschoben sich und ließen die beiden Männer ein gutes Stück absacken, bevor das System der chaotischen Ordnung wieder griff und sich alles erneut verkeilte.

 

„Danke, Mann. Du hast mir das Leben gerettet“, krächzte der Mann an seiner Seite, nachdem der Lärm der in sich zusammensackenden Bruchstücke verstummt war und einer neuen Staubwolke Platz gemacht hatte, „Lass uns von hier verschwinden, bevor wir beide drunter landen.“

 

Nur kurz wandte er seinen Blick zu dem zerdrückten Fleischsack, der noch immer von ihm unter der Achsel gehalten wurde. Eigentlich hielt er nicht allzu viel davon Nettigkeiten mit seinen ‚Kunden‘ auszutauschen, aber die Aussicht sich selbst aus diesen Hinterlassenschaften einer einstmals angeblich so zivilisierten Welt heraus wühlen zu müssen behagte ihm noch weniger. Und so schritt er tonlos auf jene Seite des Haufens zu, an der er zuvor gestanden und sich den geeignetsten Weg ausgesucht hatte.

 

Wo er jedoch schwieg, füllte sein zeitweiliger Begleiter die entstandene Pause mit belanglosem Geschwätz. Wie es dazu gekommen war, dass er eingeklemmt worden war. Warum er überhaupt auf dem Haufen herumgeturnt war. Und was er generell in dieser Gegend verloren hatte. Selbst das missmutige Schnaufen seines schwarzhaarigen Retters brachte ihn einfach nicht dazu zu schweigen.

Er wusste das alles doch bereits! Himmel und Hölle, warum hielten seine ‚Kunden‘ nur nie ihre Klappen? Ganz selten hatte er mal eine schweigsame Person an seiner Seite, zu denen er dann auch tatsächlich einmal nett war – immerhin hielt sie dann ja die Klappe und belästigte ihn nicht mit nutzlosen Trivialitäten, wie dem Umstand ihres Ablebens.

 

Zum Glück war der Abstieg schneller bewältigt als der Aufstieg, sodass die beiden Männer sich recht bald wieder auf dem wesentlich stabileren Grund und Boden der blockierten Straße wiederfanden. Prüfend ließ der Schwarzhaarige seinen Blick von einer Seite zur anderen gleiten. Potenzielle Beobachter waren immer ein Ärgernis und bedeuteten eine Unmenge an Papierkram, den er würde erledigen müssen – nachdem er selbiges zuvor mit besagtem Beobachter getan hätte.

 

Der Gedanke an ein eventuelles Aufeinandertreffen hatte seinen rechten Mundwinkel dazu veranlasst sich zu einem nicht allzu freundlichen Grinsen anzuheben. Es wäre immerhin ein angenehmer Ausgleich zu der quatschenden Fleischmasse an seiner Seite... Die inzwischen allerdings verstummt war und skeptisch ihren Retter und dessen diabolisches Grinsen betrachtete. „Ist alles in Ordnung, Kumpel?“

 

Angst – oder war es doch eher Unsicherheit? - färbte die Stimme des Mannes und brachte den Schwarzhaarigen dazu seinen Blick an seine Seite zu richten. Er sollte sich besser beeilen, wenn er nicht doch noch weitere Komplikationen provozieren wollte. Ein unbestimmtes Brummen war daher seine Antwort, bevor er seine Hand hob.

 

Mit einer geübten Bewegung ließ er eine Unterarmklinge aus seinem Ärmel hervorschnellen. Jene zog er ruckartig durch die Luft, als würde er diese zerschneiden wollen. Die Bewegung war so geübt, so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man meinen könnte, er würde mit bloßer Hand für das sorgen, was danach geschah.

Das vertraute Zischen des sich dadurch öffnenden Portals ließ ihn genießend die Augen für einen kurzen Moment schließen. Bald wäre er sein Anhängsel los und dann... Ja, was dann? Dann würde er dasselbe tun, was er immer tat: Essen, Schlafen, erneut auf die Jagd gehen. Alles, worum sein Leben seit Jahren beständig kreiste und dessen er niemals leid wurde.

 

„Scheiße Mann, was...?!“ Der nicht allzu unerwartete Ausruf an seiner Seite zwang ihn dazu seine Augen wieder zu öffnen und seinen Blick auf den Sprechenden zu richten. Kalt starrten die blauen Augen auf den Toten in seinem Griff, bevor er sich dazu herabließ einen Mundwinkel zu einer perversen Andeutung eines Schmunzelns in die Höhe zu ziehen.

 

Wie so viele zuvor konnte der Mann sein Schaudern nicht verstecken. Die Miene seines vermeintlichen Retters, seine gesamte Erscheinung in diesem unglückseligen Moment, schrie geradezu: Dämon! Passend zu dem diabolischen Grinsen – anders konnte man diese Folter eines Lächelns nicht bezeichnen – verstärkte sich auch der haltende Griff, sodass es aus diesem kein Entkommen mehr gab.

 

Prüfend wandte er seinen Blick wieder nach vorne. Vor den beiden Männern flirrte ein qualmender Strudel und wartete scheinbar nur noch darauf durchschritten zu werden. Und eben jenes hatte der Schwarzhaarige auch im Sinn. Mit einem einzigen großen Schritt brachte er sich nach vorne, sein Anhängsel hinter sich herzerrend, bis auch dieses durch den Strudel trat.

1

 

Ein starker Sog ergriff die beiden, riss sie nach vorne und katapultierte sie durch einen wilden Wirbel aus Bildern, Gerüchen und Geräuschen. Ungerührt ließ der Schwarzhaarige die rasante Reise über sich ergehen, verstärkte nur noch einmal seinen Griff, als sich das Ende des Durchganges vor ihm zeigte.  In Erwartung des Auswurfs spannte er seine Muskeln an und zählte im Geist die Sekunden herunter, bis es geschehen würde.

 

Mit aller Kraft wurden sie ins Freie geschleudert. Seine Erfahrung machte sich hierbei auch für sein Anhängsel bezahlt, denn mit einer geschickten Drehung seines Körpers verhalf er beiden zu einer Landung auf den Füßen, während sich das Portal mit einem wütenden Fauchen hinter ihnen wieder schloss. Der Staub, den er mit seiner Landung aufgewirbelt hatte, entlockte seinem Begleiter einige unwillige Hustenlaute, die er jedoch nicht weiter beachtete.

 

„Willst du mich eigentlich verarschen?!“ Zumindest reimte er sich die Frage zusammen, die von mehreren schweren Hustenattacken zerstückelt wurde und die sich definitiv an ihn richtete. Doch auch dieses Mal ging er nicht weiter darauf ein, sondern setzte sich einfach nur mit weit ausgreifenden Schritten in Bewegung. Warum sollte er auch jemanden verarschen? Und selbst wenn er es würde, wäre er keineswegs so dumm und würde es auch noch zugeben. Andererseits...

Nein, er war definitiv nicht der Typ für solche Spielereien. Jenen war er schon lange entwachsen und hatte auch nicht vor wieder zu ihnen zurückzukehren.

Stur zerrte er sein inzwischen zeterndes Anhängsel hinter sich her, quer durch den sich allmählich legenden Staub. Weit hatten sie es nicht, es vergingen höchstens zwei Minuten, bis sie sich an einem großen Platz wiederfanden, an dem bereits andere zu warten schienen.

 

Viel gab der Platz selbst nicht her: ein großer, geebneter Sandplatz, an dessen hinterem Ende zwei gewaltige Flügeltüren standen und davor ein großer Schreibtisch, der unter Tonnen von Papieren zu verschwinden drohte. Mehr oder minder geordnet tummelten sich Leute auf dem Platz herum, immer in Paaren aus mindestens zwei Personen, die zu warten schienen bis sie aufgerufen wurden.

Beinahe hatte der Mann erwartet, dass sein schwarzhaariger Begleiter sich ebenso mit ihm einordnen würde, wie all die anderen vor ihm, um eine endlos lang wirkende Wartezeit abzuwarten.

 

Dass dieser allerdings stur weitermarschierte und sich nicht an die Reihenfolge hielt, ließ ihn daran zweifeln, dass er noch heil aus dieser Nummer herauskommen könnte. Seine letzte Hoffnung galt den anderen Leuten. Diese würden es sich doch bestimmt nicht bieten lassen, dass ausgerechnet der Neuankömmling sich vordrängelte, oder?

 

Doch auch dieses Mal wurden seine Hoffnungen enttäuscht. Anstatt lautstark zu protestieren, wichen die meisten eilig zur Seite, wenn der Schwarzhaarige sie passierte. Einige senkten die Köpfe, andere starrten ihn bewundernd an und gedämpft konnte er sogar einige von ihnen aufgeregt miteinander tuscheln hören. Was sie jedoch sagten, drang nicht mehr an seine Ohren, wurde er doch einfach weiter nach vorne gezerrt.

 

Erst vor dem großen Schreibtisch hielt der Schwarzhaarige wieder an und schob in einer groben Geste zwei der riesigen Papierstapel auseinander, sodass diverse Blätter raschelnd davon flatterten. Zuerst verstand er gar nicht, warum er das tat, aber als sich ein hochroter Kopf zeigte, dämmerte es ihm.

Kühlen Blickes betrachtete der Schwarzhaarige den dicken Mann hinter dem Schreibtisch, dessen kahler Schädel in dunklem Rot zu glühen schien. „Wer wagt es?! Ihr räudiges Madenfutter wisst ganz genau, dass ihr euch gefälligst anzustellen habt! Der Letzte, der so dreist war meine Arbeit zu torpedieren, durfte danach Schätzchens Stall ausmisten und...!“

Der wütende Redefluss verstummte abrupt, als sein Blick auf den dreisten Störenfried fiel.  Gebannt verfolgten die Anwesenden, wie der Schwarzhaarige seinen Kopf etwas anhob, wohl um zu einer Erwiderung anzusetzen.

 

„Lieferung für dich, Dicker“, ließ er seine Stimme vernehmen. Rau, abweisend, gelangweilt. Ein seltener Moment, in dem er sich dazu herabließ überhaupt mit jemandem hier zu sprechen. Was ihn dazu gebracht hatte heute eine Ausnahme zu machen? Wer wusste das schon.

Seine Worte halfen jedoch keineswegs dabei, den Rotköpfigen zu beruhigen. Vielmehr nährten diese dessen Zorn sogar noch, bellte er doch direkt zurück: „Hätte ich mir doch denken können! Du schon wieder! So leicht kommst du mir dieses Mal nicht davon! Warte nur ab, bis...!“

 

Das Geschrei schien einfach an ihm abzuperlen, zerrte er doch sein Anhängsel nach vorne und lenkte damit die Aufmerksamkeit des Brüllenden auf diesen um. Skeptisch wurden Augenbrauen zusammengezogen, bevor der Blick fragend wieder nach oben glitt. „Du weißt aber, dass du sie in einem Stück abliefern sollst, oder?“

 

Jeder andere hätte wohl schuldbewusst geschaut. Er jedoch nicht. „Tod durch zerquetschende Trümmerteile“, war seine etwas zu trockene Antwort, ehe er in Richtung der Papierstapel nickte. Sein dezenter Hinweis wurde allerdings nicht zur Kenntnis genommen. Stattdessen gab es einen ungeheuer lauten Knall, als der dicke Mann mitsamt seinem Stuhl aufsprang und tobend um den Schreibtisch stampfte.

 

„Weiß schon ganz genau, wo ich dich hinstecke, wenn du selbst als Kunde hier aufkreuzt. Wirst schon sehen, was du von deinen Frechheiten dann noch hast“, knurrte ihm der wesentlich kleinere Mann entgegen, während er sich daran machte mit einem Maßband grob den Toten zu vermessen.  „Der geht nach oben“, lautete irgendwann das Urteil, sodass der haltende Griff erst gelockert und dann gänzlich entfernt wurde. Seine einzige Bemerkung dazu war ein ruhiges: „Schade.“

 

Aber mit diesen vier Worten war seine Arbeit beendet. Er hatte ihn geholt, ihn abgeliefert und damit hatte er seine Schuldigkeit getan. Dementsprechend entzog er dem zermatschten Mann seinen haltenden Griff und versenkte beide Hände in seinen Hosentaschen.

Sein ruhiger Blick richtete sich ein letztes Mal auf den dicken Mann, der sich nun wieder hinter seinen Schreibtisch verzog und ächzend und schnaufend auf seinen Stuhl zurück kletterte. Stumm starrte er diesen weiterhin an, bis er endlich dessen Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

 

„Melde mich, wenn es was Neues gibt“, wurde ihm verkündet, was er mit einem Nicken quittierte. In seinem Innern breitete sich die übliche Zufriedenheit aus, die er jedes Mal nach einem erfolgreich abgeschlossenen Auftrag verspürte und die ihn das folgende Essen würde noch mehr genießen lassen, als er es ohnehin tat.

 

Gemächlich wandte er sich daher vom Schreibtisch ab und lenkte seine Schritte in die Richtung der Flügeltüren um. Oh, wie sehr er sich doch auf einen der Aufläufe freute, die ihn mit Sicherheit erwarten würden! Äußerlich ahnte niemand etwas von der Vorfreude auf ein leckeres Mahl und einen ordentlichen Schlaf. Dennoch ging ein Zischen und Raunen durch die Menge der anderen Anwesenden, als sie bemerkten auf welche der Türen er zuhielt.

 

Zielsicher marschierte er auf die rechte Tür zu. Dunkel ragte sie vor ihm in die Höhe und schwang mit einem unheilvollen Knarren auf, als er nur noch wenige Schritte von dieser entfernt war. Hitze flutete den Sandplatz, Schreie und gequältes Stöhnen begleiteten die heißen Böen, welche seine schwarzen Haare aufwirbelten und ihn dennoch willkommen zu heißen schienen.

 

„Bevor ich's vergesse“, wurde ihm nachgerufen, sodass er kurz im Schritt verhielt und sein Zuhören signalisierte, „Schick mir Mittagessen rauf! Ich verhungere hier bald!“ Eine knappe Geste mit der Hand war seine Antwort, während er sich wieder in Bewegung setzte und in dem heißen Wirbel, welcher sich in der Tür gebildet hatte, zu verschwinden drohte. Das Letzte, dass er hörte, war das ihm nachgerufene: „Danke, Collin!“

2

 

Anders als die Reise durch das Portal, welches ihn und seinen Begleiter zuvor auf den Sandplatz gebracht hatte, verlief diese Zweite wesentlich... gesitteter für ihn. Ein gemütlicher Sog geleitete ihn durch einen orange-rötlichen Strudel aus Hitze und Asche, bevor er mit einem nachlässigen Schritt wieder ins Freie gelangte.

 

Für einen kurzen Moment ließ er den kühlen Blick über das sich ihm bietende Umgebungsbild gleiten, während er sich langsam um die eigene Achse drehte und sog es in sich auf. Rötlicher Sand bedeckte den weiten Boden und wie zufällig verteilt wirkende Steine bildeten eine hübsche Dekoration in den Weiten. In einigen Entfernungen ragten sieben Paläste, die nicht unterschiedlicher hätten sein können, als scharfe Silhouetten vor dem verhangenen Himmel in die Höhe. Jeder Einzelne bewohnt von jenen armen Seelen, die sich der entsprechenden ‚Sünde‘ verschuldet hatten, unter der strengen Herrschaft und Bewachung eines amtierenden Sündenherren oder einer Herrin.

Er war genau in der Mitte angekommen, sodass diese ihn umringten und er nicht alle zeitgleich betrachten konnte.

Dennoch blieb er noch einen Moment länger als gewöhnlich stehen und hielt Ausschau nach Veränderungen an den Bauwerken. Superbia, Avaritia, Gula und Acedia wirkten wie immer. Ira schien wieder durch Wüten verändert worden zu sein und Invidia... Invidia hatte sich die Mühe gemacht sich an die ‚hübschen' Neuerungen anzupassen.

 

Wäre Collin jemand anders, hätte er sich über diesen Umstand amüsiert oder hätte den Kopf darüber geschüttelt, dass jemand freiwillig die Änderungen der Ira an ihrer eigenen Heimstatt kopieren würde. Da er aber Collin war, registrierte er diese Veränderungen lediglich und raffte sich dazu auf seinen Hintern zu eben jenem Palast zu schleppen, in den sonst niemand allzu freiwillig marschierte: den der Ira.

 

Mühelos überholte er einige Männer und Frauen, die sich über den sandigen Weg quälten und den ersten Teil ihrer Ausbildung ertragen mussten. Der rote Sand behinderte ihre Schritte, verlängerte den Weg auf ein schier unerträgliches Maß für all jene, die ‚nach unten' sortiert worden waren. Jedem von ihnen stand die Erkenntnis, dass sie sich hier in der ‚Hölle' befanden, deutlich auf das Gesicht geschrieben.

 

Wieder etwas, worüber er den Kopf hätte schütteln können, wäre er nicht er selbst gewesen. Die Begriffe Himmel, Hölle und Sünden hatten sich irgendwann eingebürgert, als die Menschen begonnen hatten, Namen und Erklärungen für all jene Dinge zu finden, die sie nicht verstanden. Dazu gehörten sowohl die sieben Paläste nebst deren erkennbar zueinander gehörenden Bewohnern, als auch die beiden Ebenen, die erst nach dem Tod betretbar waren. Zumindest für die Menschen... meistens. Collin bildete da eine teils amüsante Ausnahme.

 

Geboren als Mensch, zu Lebzeiten dämonisch verflucht. Ausgebildet zum Seelenjäger, aufgestiegen zum unangefochtenen Anführer der dämonischen Sammler, der Beste der Besten. Und dennoch am Leben.

Ihm war bewusst, dass er eines Tages selbst den Weg würde gehen müssen, den die seltsam anmutend zusammengewürfelte Gruppe neben ihm gerade bestritt. Aber dieser Tag war noch fern und er hatte nicht vor ihn allzu bald zu provozieren.

 

Allzu bald ragten die gewaltigen Kanten des Ira-Palasts vor ihm auf. Scharfkantige Splitter aus Obsidian, gesplitterte Durchbrüche für Fenster und Türen, wenn er sich nicht irrte sogar das eine oder andere Körperteil einer armen Seele, die es nicht mehr rechtzeitig geschafft hatte aus der Reichweite der amtierenden Herrin zu gelangen.

 

Ein misstönendes Kreischen ließ ihn kurzzeitig den Kopf in den Nacken legen. Anmutig, wenn auch stimmlich nicht allzu begabt, drehte ein schwarzer Greif seine Kreise um das gezackte Gebilde des Palasts und behielt alles im Blick, was seiner Herrin sonst womöglich entgangen wäre.

Ein Mistvieh sondergleichen. Gesegnet mit einer erstaunlichen Intelligenz und raffiniert bis in die letzte Feder, aber hinterhältiger als des Teufels Großmutter. Zeitweise bestechlich mit Leckereien, aber nur seiner Herrin treu ergeben. Was auch immer diese geritten hatte, sie hatte den Greif ‚Schätzchen' getauft und darauf bildete sich der arrogante Federball sogar noch etwas ein.

Mit einem weiteren Krächzen bestätigte der Greif, dass er Collin entdeckt hatte, bevor er aus dem Sichtfeld verschwand. Ihm sollte es egal sein, er hatte nicht vor zu verheimlichen, dass er zurück ist. Und so setzte er sich wieder in Bewegung, quetschte sich an einer halb in den Angeln hängenden Tür vorbei und schlug grob die Richtung ein, in der er das Objekt seiner Begierde vermutete: die Kantine.

 

Wer auch immer auf die grandiose Idee gekommen war diese ausgerechnet bei Ira aufzubauen... Lediglich Gula besaß eine eigene Kantine mit Dauerbetrieb, die jedoch nur seinen eigenen Leuten zur Verfügung stand. Und daher strömten zumindest zur Mittagszeit die Massen in den verhassten Palast. Aber es war noch keine Mittagszeit, also würde er einer der Wenigen sein, die sich auch außerhalb dieser Zeit dorthin verirrten. Einer der wenigen Irren, wie der Koch zu sagen pflegen würde.

 

Es war selten, dass der Gang längere Zeit derselbe blieb und daher verließen sich die meisten Besucher auf der Suche nach Nahrung auf ihre Nase. Sobald einem der Duft, der jedem den Mund wässrig machen konnte, in die Nase stieg, war man definitiv auf dem richtigen Weg. Und genau daran hielt sich nun auch Collin. Prüfend schnupperte er an jeder Weggabelung, egal ob diese neu oder alt war, und bog dann entsprechend der beständig stärker werdenden Düfte ab.

 

So lotste er sich durch diverse Gänge – neue wie alte – bis er sich schließlich vor der halb geschlossenen Schwingtür der Kantine wiederfand. Auf dem Weg hatte er genügend Zeit gehabt die Gerüche zu analysieren und was er erschnuppert hatte ließ ihn in Vorfreude innerlich die Hände reiben. Ohne sich die Mühe zu machen die Tür gänzlich zu öffnen, quetschte er sich durch den offenen Seitenteil und marschierte schnurstracks auf die Theke zu.

 

Eine beachtliche Auswahl an Speisen und Getränken lag in dieser aus und bot für jeden Geschmack etwas. Und der Herr der Köstlichkeiten, der Koch, der hier das Zepter schwang und dem sich sogar die Sündenherren beugten (solange es nur um sein Reich ging wohlgemerkt), stand mit einem zufriedenen Grinsen und weit geöffneten Armen hinter der Auslage, als wolle er den Jäger stürmisch begrüßen.

 

„Na sieh' mal einer an, wer sich da bequemt aufzukreuzen!“, polterte es dem Schwarzhaarigen auch schon entgegen, als dieser gerade nahe genug herangekommen war, um seine Nase an der Auslage plattdrücken zu können – was er niemals tun würde. Dennoch hatte sich der kalte Blick der blauen Augen fest auf die angebotenen Speisen geheftet, bevor das Gesuchte fixiert wurde.

 

Erst, nachdem er zwei Finger in die Höhe gehalten und die gewünschte Menge vorgesetzt bekommen hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf den weißhaarigen Koloss, der sich hier Koch schimpfte. „Tust ja fast so, als käm' ich nie her“, grollte Collin aus, begleitet von dem Heben einer Augenbraue. Und sorgte damit für ein bebendes Lachen seines Gegenübers.

 

Der wandelnde Schrank mit den weißen Haupt- und Barthaaren verließ seinen Posten hinter der Theke und schloss sich seinem ‚Lieblings-Irren' an, als dieser sich mitsamt seiner Beute an einen der weniger seltsam verbogenen Tische verzog. Plump ließ er sich auf einen nicht allzu wackligen Stuhl fallen, zerrte alles an sich, dessen er habhaft werden konnte und sah sich desinteressiert um.

 

„Letztes Mal war zumindest der da drüben noch nicht verbeult“, bemerkte er recht trocken, bevor er begann sich den Mund zu füllen. Vorerst würden seine weiteren Antworten nur aus Knurren, Grollen und Brummen bestehen, wenn man denn wirklich eine Antwort von ihm erwarten würde. „Frischling konnte sich wieder nicht kontrollieren. Hat danach die Tür kennen gelernt.“

 

Ein knappes Nicken folgte von Collin, mit dem er sein Gegenüber bestätigte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte der Weißhaarige danach ruhig schweigen können, aber beide wussten, dass dem nicht der Fall sein würde. „Du solltest dich beeilen. Gulas Bestellung ist bald fertig und du weißt, wie die reagieren, wenn es nicht rechtzeitig auf dem Tisch steht.“

 

Unwillig verzog sich Collins Gesicht um eine Nuance, während er schweren Herzens den Blick anhob. „Schlepp's selbst, Asmo.“ Er würde sich doch nicht während seiner Freizeit zum Packesel umarbeiten lassen! Da hatte er wesentlich Besseres zu tun und außerdem... das konnte sein ‚Freund' doch wirklich nicht von ihm erwarten, oder?

Eine Bestellung zu Gula zu schleppen würde ihn ungefähr die nächsten Tage beschäftigt halten, denn der Strom an Nachschub würde einfach kein Ende finden. Das hatte er nur ein einziges Mal mitgemacht, am Anfang, als er noch als Frischling gezählt hatte und es einfach noch nicht besser wusste.

 

„Haben die nicht einen eigenen Fresstempel? Warum sollst du also alles da rüber schleppen?“, brummte Collin missmutig vor sich hin, dabei die letzten Überreste seiner Mahlzeit in sich schaufelnd.

„Weil Zebul Jubiläum feiert. Und du wirst mir helfen, ob du willst oder nicht.“

Mit diesen Worten erhob sich der Weißhaarige und verschwand mit zügigen Schritten in seiner Küche.

 

Es wäre die perfekte Gelegenheit, um abzuhauen. Ein wenig zu perfekt, wenn er ehrlich sein sollte. Kritisch folgte sein Blick dem wandelnden Schrank bis zur Allerheiligsten Tür, die mit einem fröhlichen Quietschen vor- und zurückschwang.

Ob er ihm sagen sollte, dass er erst von einem Auftrag zurückgekommen war? Nein, Asmo schonte niemanden, wenn er eine Gelegenheit witterte. Und diese hier schrie geradezu danach, von dem Kerl ausgenutzt zu werden.

 

So leise, wie es ihm nur möglich war, erhob Collin sich und wollte aus der Kantine schlendern. Er hatte gearbeitet, er hatte gegessen, nun war das Schlafen an der Reihe. In beinahe jedem der sieben Paläste hatte er ein eigenes Zimmer für sich in Anspruch genommen - außer bei Avaritia. Dort würde ihn nicht einmal ‚Schätzchen‘ oder die Ira-Herrin reinbekommen!

 

Gut, Invidia mied er auch wo er nur konnte, blieben also genau fünf potenzielle Schlafplätze für ihn übrig, die er würde aufsuchen können. Aber wo würde Asmodeus ihn nicht suchen?

Sich bei Gula zu verstecken wäre das absolut Schlechteste, in Anbetracht der Tatsache, dass der Koch ohnehin dort aufschlagen würde. Auf Luxuria hatte er einfach keine Lust. Die Dekoration entsprach einfach nicht seiner aktuellen Stimmung. Ira wäre zu offensichtlich und …

 

„Ach, verdammt“, knurrte er sich selbst zu, ehe er mit seinem ihm typischen Schritttempo Kantine und Palast verließ. Dann würde er halt auf der Ebene campieren. Solange es ihn davor bewahrte eingespannt zu sein, falls noch ein Auftrag kommen würde, wäre ihm sogar ein Besuch beim Geflügel recht!

 

Er konnte sich das Gezeter nur allzu genau vorstellen, während er sich soweit er nur konnte vom Ira-Palast entfernte. Sein Davonschleichen würde man ihm nur temporär übelnehmen, so wie jedes Mal. Sie erwarteten nichts Anderes von ihm, solange er seine Arbeit erledigte. Und das tat er, sehr gut sogar. Manchmal sogar ein wenig zu gut, wenn man auf seine Strichliste der ‚unglücklichen‘ endgültigen Vernichtungen der Seelen Bezug nahm.

 

Ihn scherte das weniger. Denn genau dafür war er nun einmal da: entflohene Seelen einfangen, ermahnen, runter oder raufschleppen und, wenn sie zu oft flohen oder sich absolut nicht benahmen, die endgültige Auslöschung. Zusätzlich zu der Einsammlung frisch Verstorbener zur Einteilung in ihre zukünftigen Arbeiten.

 

Wobei, Arbeit konnte man das nicht nennen, was das Geflügel da oben trieb. Er würde sich freiwillig einen Strick nehmen, wenn er den ganzen Tag liebevoll Ermahnungen säuselnd über die Welt flattern müsste, um auf irgendeinen trotteligen Menschen aufzupassen, der die Warnungen ohnehin in den Wind schlagen würde.

Da übernahm er lieben den Part, der danach folgte.

 

Lediglich das Geflügel, welches ihn selbst ankündigte, konnte er halbwegs gut leiden. Aber auch nur, solange diese ihm weiterhin in angemessenen Abständen Arbeit verschafften. Es war schon einige Male vorgekommen, dass sie ihn zu fünf verschiedenen Aufträgen zeitgleich verdonnert hatten.

Das Ende vom Lied war gewesen, dass er sie gleich mit eingesammelt hatte.

 

Unwillkürlich begann sein Mundwinkel bei der Erinnerung ein wenig zu zucken. Aber die Regung bekam er ebenso schnell unter Kontrolle, wie er üblicherweise ein Portal reißen konnte.

Er war nicht dafür da, dämlich grinsend über die sandige Ebene zu latschen, wie einer der Luxuria-Bewohner.

 

Irgendwann ließ er seine Schritte ausklingen und riskierte einen Blick über die Ebene. Der von ihm zuvor verlassene Palast war bereits ein angemessen weites Stück von ihm entfernt – also wäre er vor ‚Schätzchen‘ und Asmo erst einmal sicher.

Die anderen Paläste langen nun mehr oder weniger auf näherem Weg und wurden einer erneuten optischen Prüfung unterzogen.

Viel gab es nicht zu entdecken, lediglich bei Avaritia und Gula tat sich etwas.

 

In beiden Fällen war er ganz kurz davor, sich irritiert über die Augen zu reiben. Avaritia bekam gerade Besuch von Luxuria wie es aussah – ein seltener Umstand! – und vor Zebuls Palast hockte einsam und verloren etwas viel zu Kleines, als dass es jemals zu Gula hätte gehören können. Also auch fremder Besuch… Na, die arme kleine Seele würde dort definitiv entweder verhungern oder zerquetscht werden. Wenn nicht sogar beides!