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Über die gegenderte Sprache ist fast alles gesagt, aber noch nicht alles zu Ende gedacht worden. Dieser satirisch-polemische Essay ist eine Fortsetzung der Logik mit anderen Mitteln. Er zeigt, wie die postmoderne Umdeutung der Realität unsere bewährten Gewissheiten über den Haufen wirft. Ein Buch für kritische Geister und Neugierige, der Versuch einer Phänomenologie der Lächerlichkeit.
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Seitenzahl: 520
Veröffentlichungsjahr: 2024
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1. Kindergarten-Grammatik
2. Wörter mit Genitalien: Grammatik und Semantik
3. Die Dekonstruktion der Logik: Grammatik und Biologie
4. Nur mitgemeint? Ein Missverständnis – und eine Verwechslung von Kategorien
5. Das Problem mit dem Genderstern: Genderdeutsch ist nicht korrekt. Es ist sprachunsensibel, unhöflich und nervt
6. Sexualisierung durch Gendern – Die Kopftuchfalle
7. Was kann man eigentlich sichtbar machen?
8. Partizip Präsens: Gendernde, Wählende und Gewinnende
9. Was sagt die Sprachwissenschaft?
10. Studien – das Totschlagargument
11. Psychologie: Die Magie des Unsichtbaren
12. Gästin im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm
13. Frankenstein und die DNA der Sprache
14. Konsequenzen
14.1 Grammatische Ordnung und genderfundamentalistische Anarchie
14.2 Das neue grammatische Geschlechter-Chaos – Weltsprachen und Fallstricke der deutschen Sprache
15. Nichtraucher und Syllogismen: Hitler, Mussolini und rassistische Säuglinge
16. Kultur der Anbiederung an den Zeitgeist: Warum viele Leute gendern – wissen sie wirklich, was sie tun?
17. Epistemische Irreführung – gendergerecht, gendersensibel
18. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk entgendern – oder privatisieren
19. Was sagt die Verfassung?
20. Unwort des Jahrzehnts: Gendern
21. Kadavergehorsam vorprogrammiert
22. Biologie, Linguistik und Postmoderne
22.1 Behauptete, aber unbewiesene Thesen
22.2 Kompetenz und Delegitimierung
22.3 Bedeutungsverlust
23. Fazit: Gendern ist psychische Gewalt
24. Die Genderverschwörung – ein spekulativer Ausblick
25. Hypermoral – die neue Religion
26. „Krieg der Sternchen – Die Debatte um gendergerechte Sprache“ – Kulturdoku oder plumpe Propaganda?
27. Anatol Stefanowitsch – Was Frauen fühlen und was Männer denken sollen
28. Selbstgewissheit und Selbstüberschätzung – verhängnisvolle Nachahmung falscher Vorbilder
29. Die Methode – eine kritische Zusammenfassung
30. Nachwort – Resignation und Problemverdrängung
30.1 Demokratie mit Drehschwindel
30.2 Identität: selbstbestimmt oder fremdbestimmt?
30.3 Wettrüsten im Verunglimpfen
30.4 Was kosten die Genderstudien?
30.5.1 Zwischen offener Gesellschaft und Tribalismus
30.5.2 Problematisierung der Banalität
30.5.3 Tugendbolde mit einem Esel auf den Schultern
30.5.4 Confirmation bias – verrückt ist immer der andere
30.6 Scheinwelten – Die behauptete Realität, die keine ist
30.6.1 Sprache, Gefühl, Erkenntnis – noch einmal rekapituliert
30.6.2 Von der Ideologie zur Diktatur
30.6.3 Gesellschaft als Scheinwelt und Dekonstruktion
30.6.4 Die Nation als Illusion
30.7 Gibt es Auswege aus dieser Pattsituation?
30.8 Dekadenz des Untergangs
Quellen, Zitatverweise und weiterführende Literatur
Typografische Hervorhebungen (auch in den Fußnoten): Methode Verweis auf Kapitel in diesem Buch oder Stichwort im Text
Über den Unsinn der gegenderten Sprache ist praktisch fast alles gesagt und geschrieben worden. Nicht ganz zu Ende gedacht oder zumindest nicht laut genug artikuliert haben die vielen kritischen Geister die aberwitzigen Widersprüche, die das Gendern generiert. Diese kurze Zusammenfassung des Streits um die neue Sichtbarmachung intimer Peinlichkeiten rückt den Irrsinn der Sprachpanscher ins Rampenlicht des absurden Gendertheaters. Meine satirische Dekonstruktion postmodern-identitärer Theorien zeigt, wie sprachwissenschaftliche Objektivität auf eine verstockte woke Subjektivität trifft, die den akademischen Diskurs verweigert und sich hinter einer bockigen Emotionalität verschanzt, die auf moralische Erpressung setzt und sich dabei selbst der Moral entledigt.
Im Text gibt es einige thematische Wiederholungen. Das liegt in der Natur der Sache: Alle Wege führen nach Rom, wenn es um das Offensichtliche geht. Zur Phänomenologie des Offensichtlichen gehört, dass man zum gleichen Ergebnis kommt wie all die anderen, die sich mit der Materie bereits befasst haben – egal ob Germanisten oder Ingenieure, Professoren oder Krankenschwestern. Die Sprache geht uns alle was an.
Wissenschaftliche Erkenntnisse, Kommentare und Stellungnahmen fasse ich in dieser Abhandlung in vereinfachter Form zusammen, um es dem Durchschnittsleser nicht allzu schwer zu machen mit Grammatikkauderwelsch. Das eigentliche Ziel meines Kompendiums war, den philosophisch-ideologischen Hintergrund der Genderdebatte leicht verständlich zu skizzieren. In Foren und Online-Rezensionen bin ich oft auf Stellungnahmen gestoßen, die einfache, griffige und überzeugende Argumente gegen das Gendern vermissten. Mein Beitrag besteht vor allem darin, die vielen Absurditäten der Gendersprache mit haarsträubenden Beispielen auf die Schippe zu nehmen. Grammatik und Satire sind dabei leider nicht wesensverwandt, eher Zweckverbündete in einem Kampf mit bescheidenem Unterhaltungswert.
Alles andere als lustig findet die Journalistin Birgit Walter die Genderei. Mit folgenden Zeilen spricht sie der Bevölkerungsmehrheit aus der Seele: „Ich bin mit meiner Empörung kein Einzelfall, sondern Teil der übergroßen Mehrheit der Gesellschaft. Wir Gender-Gegner machen zwei Drittel bis drei Viertel der Gebührenzahler aus. Wir kommen für die außertariflichen Gehälter und gewaltigen Pensionen der Fernsehgesichter und Senderleitungen auf, selbst für ihre Millionen-Skandale. Aber der künstlich generierten Stolper-Sprache und ihrer Dauerbelehrung im Öffentlich-Rechtlichen können wir nicht entkommen“. („Gender-Terror: Die Erziehungsmaßnahmen der Sprachpolizisten nerven!“, s. Quellen)
Doch über die Abfallprodukte der gegenderten Sprache ist noch einiges anzumerken. Leider sind der genderistischen PRRhetorik viele kluge Köpfe auf den Leim gegangen und haben inhaltsleere Floskeln wie diskriminierungsfreie oder gendergerechte Sprache übernommen und brav verinnerlicht, ohne diese unsinnigen Begriffe kritisch zu reflektieren. Es geht um die Institutionalisierung des Halbwissens, um eine allgemeine Degeneration des Diskurses, um epistemische Verwahrlosung.
Eine verfahrene Situation. Ein Dialog findet praktisch nicht statt. Die Verteidiger des Genderns ignorieren die Sprachwissenschaft, die mittlerweile mit vernichtenden Argumenten praktisch alle Thesen der Genderer widerlegt hat. Ich unterstelle, und das ist meine Meinung anhand der Eindrücke, die ich bei der Recherche zu diesem Buch gewonnen habe, dass die Genderprofessoren, aber auch ihre Unterstützer in Institutionen und Medien nicht glauben, was sie predigen, dazu sind sie einfach zu intelligent. Sie verteidigen nicht ihre Theorien, sondern ihren Job. Und wenn sie doch auf die Gegenargumente der Linguisten eingehen, dann unter Berufung auf fragwürdige Studien, die sich auf behauptete, aber nie bewiesene Beweise berufen.
Während sich seit einem guten Jahrzehnt hierzulande „Untergangsstimmung“ breit macht1 und die Wirtschaftszahlen und - Prognosen ein düsteres Bild zeichnen, wetteifert die mediale Öffentlichkeit, vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk, um den WM-Titel im Moralisieren. Weltmeister sind wir auch im untergangsseligen Lamentieren und schauen resigniert zu, wie wir auf den Abgrund zuschreiten, während die Politik beschwichtigt und verharmlost und verspricht, alles zu schaffen, was nicht mehr zu schaffen ist. Noch ein paar Apokalypse-Metaphern gefällig? Unsere schöne ungegenderte Sprache verfügt über ein unerschöpfliches Repertoire, das wir genüsslich plündern, um unseren Wehklagen herzzerreißende Wendungen zu geben, und das im bitteren Wissen, dass die Würfel schon gefallen sind. Bemühen wir dann auch das abgedroschene Bild vom sinkenden Schiff mit einem Kapitän, der Moralpredigten hält und Korrektheitsleitfäden verteilt statt Schwimmwesten, als hätten die Passagiere keine anderen Sorgen als die angemessene Visualisierung von Geschlechtsteilen im Angesicht des Untergangs.
Diese Abhandlung ist eine Gardinenpredigt, die jenen gilt, die aus meiner schönen Sprache einen Frankenstein erschaffen wollen. Genderbefürworter seien deshalb gewarnt: Die Lektüre könnte zu weitreichenden Konsequenzen für das seelische Wohlbefinden führen. Oder sich als wirksame Therapie erweisen: Dieses Buch versteht sich auch als Schutzimpfung gegen Genderitis, postmoderne Gehirnwäsche und genitalfixierte Hysterie. Besonders bedenklich für das psychische Gleichgewicht der Genderer dürfte die zweite Hälfte dieser Streitschrift sein. Das liegt am sarkastischen Ton und der kompromisslosen Sachlichkeit der Beweisführung anhand sprachwissenschaftlicher Argumente, die für Genderfundamentalisten eh nicht von Interesse sind. Der Nonsens wird zu Ende gedacht, ohne Rücksicht auf falsche Befindlichkeiten. Die Häme zwischen den Zeilen ist ein bescheidener Versuch, die genderidentitäre Geisteshaltung nachzuahmen und daher als kulturelle Aneignung zu betrachten. Ein Buch für kritische Geister und Neugierige, der Entwurf einer Phänomenologie der Lächerlichkeit.
Umfrage
In grauen Kästchen wie diesem finden Sie Vorschläge für Umfragen, die man durchführen könnte – in der Presse oder einfach nur im Kopf. Auflösung nach den Quellenangaben.
Schon ein Fünfjähriger versteht seine Sprache und weiß, was er sagt und was er meint sowie was gemeint ist, wenn andere sprechen2. Ein Kind hat aber keine Ahnung von Grammatik, kann mit Begriffen wie Substantiv, Artikel, Singular, Plural, Maskulinum oder Femininum nichts anfangen. Die meisten Erwachsenen im Übrigen auch nicht3. Trotzdem kann ein Fünfjähriger unterscheiden, was Wörter in einem bestimmten Kontext bedeuten, beispielsweise zwischen der Einzahl- und Mehrzahl-Verwendung des Artikels die. Er versteht ganz genau, was das Substantiv die Hand bedeutet und was die Hunde: Einmal Einzahl, weiblich, einmal Mehrzahl, generisch, auch wenn er über die entsprechende theoretische Begrifflichkeit nicht verfügt.
Doch die selbsternannten Genderlinguisten wollen uns was anderes weismachen. Nicht nur die Kinder, auch die Erwachsenen dächten an abwegige Sachen, wenn weibliche oder männliche Substantive genannt werden. Und das soll was mit (fehlenden) Endungen zu tun haben. Nur: Endungen allein bedeuten erst einmal gar nichts. Weder die Endung er noch Endungen wie ling, tum, nis oder mut. Von der in-Endung wird natürlich noch reichlich die Rede sein.4
Vor allem Wörter mit -er im Auslaut (am Ende des Wortes) werden genderistisch als männlich interpretiert, zumal in der Pluralform von Personen- oder Gruppenbezeichnungen.
Doch -er im Auslaut ist nicht unbedingt ein Suffix (Nachsilbe, an einen Wortstamm angehängte Endung). Nehmen wir als Beispiel folgende Substantive: Mutter, Schalter, Lehrer, Kinder, Hunger, Schwester, Steuer, Leiter, Wörter und Zimmer.
Ein Kind erkennt beim Sprechen wie beim Zuhören, dass es sich hierbei in einigen Fällen um belebte Wesen handelt, in anderen um Mehrzahl-Markierungen oder um Wörter mit einem Auslaut-er, das zum Wortstamm gehört, sowie um er-Endungen, ein Wortbildungselement maskuliner Substantive mit der Bedeutung eines Gerätes bzw. einer Vorrichtung: Schalter (mit einer zweiten Bedeutung, ebenfalls maskulin); oder eines Berufs (Nomina Agentis, Nomina instrumenti). Die zehn Substantive sind männlich, weiblich oder sächlich, manche vertragen zwei verschiedene Artikel und dementsprechend unterschiedliche Bedeutungen. Hier handelt es sich um Homonyme (gleichlautende Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung). Und Zimmer kann auch, je nachdem, mit welchem Artikel verkuppelt, (genauso wie Lehrer) als Einzahl oder Mehrzahl verstanden werden. 5
Um zu behaupten, dass ein Kind diese Unterschiede erkennt, bedarf es keiner Studie, man denke nur zurück an die eigene Kindheit.6 Fehler werden im Vorschulalter durchaus gemacht, aber eher mit der Konjugation7. Die Genderverfechter behaupten aber gebieterisch das Gegenteil und verweisen vor allem auf Assoziationsstudien. Ein Wort kann in der Tat unterschiedliche Assoziationen auslösen, aber je nach Kontext, was die Genderlinguisten geflissentlich ausblenden8. Was ist eigentlich ein Aufsatz? Die Bedeutung des Wortes hängt vom Kontext ab (s. Kap. 4). Wo die grundlegenden Irrtümer des Genderns hinführen, u.a. mit Blick auf den er-Auslaut, zeigen abstruse Beispiele aus dem medialen Alltag wie Krankenschwesterin (s. Kap. 17).9
Warum solche Wortmonster entstehen? Weil die Sprecher verunsichert sind und überall das Gespenst der falschen Endungen wittern, die man vorauseilend korrigiert und ergänzt, koste es, was es wolle. Und dieses Beispiel zeigt, dass beim Sprechen kaum jemand an Grammatik denkt. Das tun eigentlich nur Germanisten, Philologen – und manchmal auch die Journalisten.
Wörter mit -er im Auslaut erweisen sich als heimtückische Falle. Sie werden oft mit der weiblichen Endung -in bzw. -innen geschmückt. Nach der Logik der Gendergrammatiker und vieler sprachunsensibler Hobby-Genderer wäre ein Wort wie Hammer von einem Erfinder aus Hamm abgeleitet. Und ein Zauderer, der Hm-hm macht, wenn er sich nicht entscheiden kann, ist ein Hummer. Dass es eine ganze Reihe von Begriffen gibt, die mit dem Substantivierungssuffix er gebildet werden, beispielsweise Werkzeuge, technische Vorrichtungen oder Maschinen, tut hier nichts zur Sache, zumal diese keine Geschlechtsteile haben und nicht gegendert werden müssen, etwa der Staubsauger, es sei denn, man ist der Meinung, dieses Wort bezeichne einen Mann, der Staub saugt, was zur Folge hätte, dass seine Frau beim Staubsaugen eine Staubsaugerin wäre.10
Wozu jetzt diese fiktiven Beispiele?
Erstens: Wörter mit einem -er im Auslaut werden im Umfeld des zwanghaften Genderns mittlerweile als Bezeichnungen männlicher Substantive bzw. männlicher Wesen interpretiert und deshalb gegendert, als wäre -er ein Suffix (Endung), z.B. Steuerinnenzahler (s. Kap. 17). Oder auch sächliche Substantive wie Mitglied, die im Plural gegendert werden.
Zweitens: Es gibt keine Korrelation zwischen Auslaut-er, Genus (grammatischem Geschlecht) und Genitalien. Ein Auslaut-er macht ein Substantiv nicht zum männlichen Etwas, weder grammatisch noch biologisch, denn nicht alles, was mit einem –er endet, hat einen Penis, schon gar nicht die weibliche Mauer. Nur denkt kein Mensch beim Sprechen an Endungen, jeder Muttersprachler – ob Kind oder Erwachsener – kann unterscheiden, ob ein –er im Auslaut zum Wortstamm gehört, ob –er die Mehrzahl markiert oder ein männliches Substantiv generiert z.B. aus einem Verb wie backen → Bäcker. (Aber: Wer kocht, ist ein Koch, und ein Koch ist kein Kocher. Eine Leiter leitet nichts bzw. niemanden, ein Leiter schon. Und ein Pflaumenwickler ist kein Mann, der Pflaumen wickelt. Aber Pflaumenwicklerinnen dürfte es schon geben, zumindest in der Gendersprache.) Doch die Anhänger des Genderns beharren auf dem Gegenteil, die Muttersprachler verstünden ihre eigene Sprache nicht und weigerten sich einzusehen, dass sie mit dem sogenannten generischen Maskulinum – der Begriff ist eine grammatische Kategorie und keine biologische – nur Männer bezeichnen und Frauen diskriminieren. Und das ist Quatsch.11 Es gibt auch da keine Korrelation zwischen grammatischer Form (Genus) und biologischen Eigenschaften. Eine Vollwaise bin ich, wenn meine Eltern nicht mehr leben, egal ob ich biologisch männlich oder weiblich bin.
Drittens: Die Beispiele entlarven die grundlegenden Irrtümer der Gendereiferer. Ziel dieser Anatomisierung der Grammatik (oder der „linguistischen Gymnastik“12), ist die „Neukalibrierung” der Sprache (recalibration), um Sachverhalte zu verschleiern, soziale Phänomene in einen neuen Bezugsrahmen zu zwängen bzw. um die Realität neu zu erfinden. Wozu? Gleich. Hier nur so viel: Es geht um Deutungshoheit und Neudefinition sprachlicher Normen auf Kosten von Semantik, Grammatik, Anstand und gesundem Menschenverstand. Ein typischer Fall von „Verdrängung kognitiver Dissonanzen“13 (Habermas) im Kontext exklusiver Glaubenswahrheiten und Dogmen.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Identitätspolitik14.
Die Identitären betrachten die Menschen nicht als autonome Individuen, sondern als Mitglieder einer Gruppe. Sie definieren sich über biologische Merkmale: Abstammung, Ethnie, Rasse, Geschlecht, Stammeszugehörigkeit. Diesem tribalistischen Selbstverständnis wird ein marxistisch verbrämter Klassenantagonismus in Form eines Rassenkrampfs übergestülpt. Über diese Merkmale grenzen sie sich ab und sortieren auch ihre Feinde nach rassisch-biologischen Kriterien. Im identitären Weltbild gibt es gute Gruppen und böse Gruppen. Die größte Gruppe der Bösen besteht aus weißen Männern. Diese Rasse ist ursächlich verantwortlich für Diskriminierung und schuld an allem Unglück dieser Welt. Und der böseste aller Bösen, der alte weiße Mann, kann sogar eine Frau sein!15 Die Guten sind die unterdrückten Minderheiten, sexuelle oder ethnische Gruppen, aber auch die Frauen. Die Rasse ist einerseits ein Konstrukt. Hautfarben gibt es hingegen jede Menge, in allen Schattierungen, und dazu eine ganze Hierarchie der Tönungen und somit der denkbaren Benachteiligungen. Das Lieblingsschimpfwort der Identitären ist im Übrigen Rassist. Schon komisch, dass man überall Rassisten sieht, wo es doch keine Rassen gibt. Andererseits: Zu behaupten, „es gibt keine Rassen, sondern nur Menschen“, gilt beispielsweise an der University of California als „anstößig“16 und ist unbedingt zu vermeiden.
Vor diesem ideologischen Hintergrund erweist sich die identitäre Selbstdefinition als Integrationshindernis (s. 30.2 Identität: selbstbestimmt oder fremdbestimmt?). Sie sperrt ihre Mitglieder in eine konstruierte Opferrolle ein und setzt auf Konfrontation, Ressentiments und Rachephantasien, auf die Abrechnung mit einem imaginären Feind, der als Sündenbock herhalten soll. Die identitäre Weltanschauung verkauft sich als progressiv und wird in manchen intellektuellen Kreisen auch als solche gefeiert. Unter Fortschrittlichkeit stelle ich mir aber was anderes vor.
Im Zusammenhang mit der Gendersprache ist nur die These von der Unterdrückung der Frau von Relevanz. Die Frau wird angeblich nur in den westlichen Ländern benachteiligt, obwohl in diesen die Gleichberechtigung sowie das Verbot der Diskriminierung gesetzlich beziehungsweise per Verfassung garantiert sind. Die Unterdrückung der Frau in anderen Kulturen und Ländern, zum Beispiel dass sie einen Vormund braucht oder ihre Aussage vor Gericht nicht gleichwertig ist mit der Aussage eines Mannes, interessiert die Identitätspolitik ebenso wenig wie die Frage der weiblichen Genitalverstümmelung17. Denn der feministisch-identitäre Aktivismus hat sich auf die Anprangerung und Bestrafung des Abendlandes verschossen. Hier liegt die Wurzel des Übels: im Westen.
Nun zum genderfeministischen Narrativ: Die Frauen seien Opfer der männlichen Unterdrückung. Und die deutsche Sprache sei diskriminierend, weil männlich geprägt. Was damit gemeint ist, erklärt uns die Journalistin Birgit Walter: Die Genderfeministen unterstellten der „organisch gewachsenen deutschen Sprache, Kollektive von Männern hätten sich über Jahrhunderte zusammengerottet, um Frauen mit dem generischen Maskulinum auch sprachlich zu unterdrücken“.18 Wenn wir die Sprache neu gestalten durch sichtbar machende weibliche Endungen und sonstige Korrektheiten, hört angeblich auch die Diskriminierung der Frauen in der patriarchalen Gesellschaft auf. Eine Schnapsidee. Denn die soziale Wirklichkeit unserer Tage beweist genau das Gegenteil (s. Kap. 23 und 30.3 Wettrüsten im Verunglimpfen). Mit dem Begriff diskriminierungsfreie Sprache19 postuliert man Fakten, die keine sind, sondern bloß weltfremde Behauptungen, die eine eigene Realität herbeiphantasieren. Mit diesem Unsinn hatte der Feminismus der 80er Jahre in manchen Kreisen gepunktet, zunächst aber nur mit mäßigem Erfolg.
Das Geschlecht wurde also politisch – und ein soziales Konstrukt, d.h. gender20. Nun gilt es, die männlich-patriarchale Deutung der Welt zu dekonstruieren, sprich: zu entzaubern, zerlegen und schließlich zu vernichten. Wer diese Ansichten nicht teilt und sich durch Beschimpfungen oder Einschüchterungen nicht entmündigen oder entmutigen lässt, ist ein verabscheuungswürdiger Mensch und gehört gecancelt, d.h. aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Verboten gehören im Übrigen eine ganze Reihe von unanständigen Wörtern, aber auch Bezeichnungen wie „Genderismus“ oder „Gender-Wahn“, indem man sie zu unzulässigen Kampfbegriffen einer frauenfeindlichen Bewegung disqualifiziert: Es handele sich um „rechtspopulistischen Antigenderismus“ (Birgit Schmid: „Frausein als Doktrin“)21.
Mit diesen abenteuerlichen Fehlannahmen befasst sich die vorliegende gallig-ironische Bestandsaufnahme. Berührt wird auch die Frage, auf wessen Mist das Genderunkraut gewachsen ist. Das Thema Gendersprache wird deshalb vor dem Hintergrund postmoderner Theorien beleuchtet, also Gender Studies, Feminismus, Identitätspolitik (Social Justice) und Kritische Theorie. Ins dunkle Labyrinth dieser aktivistisch-identitären Denkschulen und philosophischen Irrgärten werden wir uns nicht begeben. Angemerkt sei nur so viel: Das eigentliche Problem liegt nicht bei der Kritischen Theorie oder Foucault22 & Co. und schon gar nicht Jürgen Habermas' jüngerer Kritischen Theorie, sondern daran, was die progressiven Ideologen aus dem postmodernen Relativismus und der „hemmungslosen Vernunftskepsis“23 gemacht haben. (s. Kap. 29)
Im Grunde geht es, vereinfacht zusammengefasst, um das Verhältnis von Macht und Wahrheit. In einem demokratischen Diskurs sorgen die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit für eine Abhängigkeit der Macht von faktischen Wahrheiten. Totalitäre Ideologien hingegen wie die postmoderne Identitätsbewegung kehren dieses Verhältnis um: sie betrachten die Wahrheit als ein machtabhängiges Konstrukt und reißen die Deutungshoheit an sich, um den politischen Diskurs einer „Hierarchie des Wissens“ zu unterwerfen und von einem aberwitzigen Sammelsurium aus subjektiven Wahrheiten und Dogmen abhängig zu machen.24
Wie sich die woke Bewegung Foucaults Werkzeuge zunutze macht, indem sie diese entstellt, erklärt die Philosophin Pauline Voss kurz und treffend in einem Satz: „Anstatt seine Untersuchung totalitärer Machtmechanismen als Analyse zu verstehen, verwenden [die woken Aktivisten diese] als Anleitung zu totalitärem Denken.“25
Wir kommen also nicht umhin, einen kurzen Blick auf die postmodern-identitären Weltanschauungen zu werfen. Die Gendersprache ist lediglich ein Symptom für die pandemische Ausbreitung einer demokratiezersetzenden Ideologie, die unsere Realität radikal umdeuten und komplett umdrehen will. Sie ist das Markenzeichen einer linkselitären Bewegung, die sich als modern bzw. progressiv geriert und in allen Bereichen des öffentlichen Diskurses neue politische Normen nach einer fundamental umgedrehten Ethik durchzusetzen versucht, d.h. ohne vorherige diskursive Meinungs- und Willensbildung.
Diese vermeintlich fortschrittliche Ideologie beruht auf falschen Annahmen, die zu falschen Schlussfolgerungen führen und schließlich zu falschen Maßnahmen, die den richtigen Weg aus der liberalen Demokratie zurück in den voraufklärerischtribalistischen Autoritarismus weisen. Jede Bewegung löst eine Gegenbewegung aus. Je heftiger der Ausschlag, umso massiver der Gegenschlag. Donald Trump hat die US-Präsidentschaftswahl 2024 nicht gewonnen. Seine Wiederwahl verdankt er der linken Identitätspolitik. Die Mehrheit der Stimmen hat er bekommen, nicht weil er ist, wie er ist, sondern obwohl beziehungsweise trotz allem. Warnschüsse sollte man tunlichst ernst nehmen. Die Linksprogressiven sind mit ihrer postmodernen Agenda zu weit gegangen. Ihre surreale Dekonstruktion aller Gewissheiten und ihre diskursive Intoleranz haben der Demokratie enormen Schaden zugefügt. Auf ihre Rechnung geht vor allem die massive Verschiebung des politischen Gleichgewichts nach rechts. Mit dieser Thematik befasst sich die zweite Hälfte dieses Essays.
Der Postmodernismus leugnet die Existenz objektiver, allgemeingültiger Wahrheiten und stellt die Wissenschaften insgesamt in Frage. Alles wird relativiert, alles ist eine Frage der Deutung, alles ein Konstrukt, auch das biologische Geschlecht.34 Auf der ideologischen Ebene hingegen nimmt die Postmoderne „für ihre eigenen Aussagen eine absolute Gültigkeit in Anspruch“ (Bernd Stegemann)35. Als absolut gesetzt betrachten die Gendertheoretiker die These, dass Frauen und alle anderen Geschlechter in der männlich geprägten Sprache unsichtbar seien. Da aber Gender laut Gendertheorie das soziale Geschlecht ist, d.h. eine Rolle, sollte die Frage erlaubt sein, ob das soziale Geschlecht in der Sprache wirklich sichtbar gemacht werden kann, wenn überhaupt.
Selbstkritische Reflexion ist in genderlinguistischen Kreisen offensichtlich keine Tugend. Dogmatische Rechthaberei schon. Dazu gehört die verstockte Weigerung, die sprachwissenschaftliche Tatsache zu akzeptieren, dass das grammatische Geschlecht kein biologisches Geschlecht abbildet. Und das führt zu einer Verwechslung von Kategorien, z.B. Genus und Sexus:
das Genus, davon gibt es drei: männlich, weiblich, sächlich
der Sexus hat nur zwei Varianten: männlich und weiblich
das Suffix
-in
ist nur mit belebten Nomen zulässig
Was wird also aus sächlichen Substantiven wie Mädchen, Weib, Individuum, Luder?36 Und sind Geiseln ausschließlich weibliche Personen? Kann auch ein Mann eine Geisel sein?
Antworten will die Trans-Ideologie bieten, die mit Dutzenden von Geschlechtern aufwartet. Mitunter Tausenden.
Weitere Verwirrung entsteht durch die Nennung von Institutionen nach dem Geschlecht des Bezugswortes: z.B. Kirche als Arbeitgeberin. Wollen die Genderer etwa die Genitalien der Kirche sichtbar machen?37 Und was ist mit dem Finanzamt (sächlich) als Arbeitgeber – gehört es zu den Diversen?
Hinter diesem Verwirrspiel um das soziale Geschlecht steckt eine ideologische Agenda, so die Biologin und Publizistin Rieke Hümpel38: Die „Definition des Begriffs «Geschlecht» [wurde] erst vernebelt, dann entkernt und schließlich ersetzt. Wer auf die Bedeutungsverschiebung hinweist, wird als transphob und rechts gebrandmarkt. Die Methode der Bedeutungsverschiebung39 und die Unterdrückung von Kritik sind typisch für totalitäre Ideologien“. (s. 22. Biologie, Linguistik und Postmoderne)
Sprachwissenschaftlich und sprachgeschichtlich ist die Sache sonnenklar. „Für die Verteilung des grammatischen Geschlechts gibt es durchaus Regeln, aber die sind nicht semantischer Art“, so Professor Helmut Weiß40. Zwar bestehe durchaus eine Beziehung zwischen Genus und Sexus – allerdings nur in die eine Richtung: „Sexus kann sich im Genus bemerkbar machen, der Umkehrschluss ist jedoch nicht zulässig“. Ein Irrtum auch, das generische Maskulinum als eine sprachgeschichtlich sehr junge Erscheinung zu bezeichnen. Das Generische sei praktisch schon immer im Deutschen fest verankert. Ein weiterer Irrtum: dass Sprache gerecht oder ungerecht sein könne. (s. Kap. 17.)
Nun eine existenzielle Frage: Ist das Geschlecht wirklich das wichtigste Identitätsmerkmal?
Der Zusammenhang zwischen Wörtern und dem, was sie bedeuten, ist ein konventioneller41. Wir haben ein intuitives Verständnis von Bedeutung, so wie wir auch ein „intuitives Verständnis des Wahrheitsbegriffs“ haben42. Muttersprachler kennen diese Konventionen und Selbstverständlichkeiten ohne Gebrauchsanleitung. Der Gendersprache hingegen geht dieses Verständnis völlig ab. Im generischen Maskulinum seien die Frauen „nur mitgemeint“, heißt es oft. Laienhafte Maskerade.
Um es in den Worten des Anglistikprofessors und Schriftstellers Dietrich Schwanitz zu sagen: „Wer seine Sprache unvollkommen beherrscht und sich nicht richtig ausdrücken kann, kann auch nicht richtig denken“43. Diesen Gedanken kann man auch auf das Gendern übertragen: Wer gendert, versteht die eigene Sprache nicht und drückt sich umständlich, mitunter unverständlich aus, und das nicht, weil er nicht denken kann, sondern weil sein Verstand in Panik geraten ist.
Die Behauptung, dass Wörter nicht das bedeuten, was wir denken und wie wir sie verstehen, sondern was anderes, beispielsweise dass Frauen in einem gewissen Wort nicht abgebildet seien, weil das Wort (das Substantiv) eine ungeeignete grammatische Form habe, stellt sprachliche Konventionen auf den Kopf und ist Unfug. Man tut, als würde man die Sprache eines Landsmannes plötzlich nicht mehr verstehen, und diese Geisteshaltung zerstört Sprache und Kommunikation: Die Genderisten kündigen die Zugehörigkeit zu einer Sprachgemeinschaft, erfinden ein neues Idiom und nötigen den Sprecher der Normsprache, sich anders auszudrücken. Dieses Verständnis von Sprache ist absurd. Doch diesen Unsinn stellt der Durchschnittsmensch nicht infrage, weil ihm die sprachtheoretische Kompetenz fehlt.
Das Gefühl des Mitgemeintseins wird den Frauen einfach nur eingeredet. Gestern noch bezogen Frauen wie Männer die üblichen Formulierungen der Normsprache auf alle, unabhängig vom biologischen oder grammatischen Geschlecht, und das war eine Frage des Verstandes und nicht des Gefühls. Heute fühlen sich (manche) Frauen plötzlich generisch diskriminiert! Ein Unsinn wird so lange wiederholt, bis man sich daran gewöhnt und ihn für bare Münze nimmt. Bei dieser subtilen Gehirnwäsche spielen einige Faktoren zusammen: Denkfehler, Suggestion, Unwissenheit und amateurhafte Psychologisierung. „Aber fühlen sich die Mitgemeinten im Erwachsenenalter tatsächlich konsequent durch das generische Maskulinum angesprochen und denken wir sie überhaupt wirklich mit?“ So lautet die zentrale Frage im Leitfaden der Uni Osnabrück Sprache und Geschlecht. Für Eilige: Geschlechtergerechter Sprachgebrauch kurz und bündig.44 Diese als Fragesatz formulierte und unterstellte Faktizität enthält zwei Denkfehler: Erstens gibt es keinen empirischen Beweis für die Existenz von Mitgemeinten, d.h. dass manche sich beim Sprechen bzw. Zuhören nur mitgemeint fühlen und deshalb prompt nachhaken, ob die Aussage oder Mitteilung auch für sie gilt. Sprachlich gibt es keine Konventionen, die signalisieren, dass man zwischen meinen und mitmeinen unterscheiden sollte bzw. könnte. Und die Frage, ob wir die Mitgemeinten wirklich mitdenken, beruht auf einer Fehlannahme, die an der Semantik und an der Psycholinguistik vorbeigeht. Dieses Mitgemeintsein gibt es eigentlich gar nicht. Niemand ist mitgemeint. In seiner Kritik der Dudenbroschüre „Richtig Gendern“ von Gabriele Diewald (s. 22.1 Behauptete, aber unbewiesene Thesen) und Anja Steinhauer weist Professor Peter Eisenberg auf die essentiellen Irrtümer und Fehlannahmen der Genderlinguistinnen hin: „Die von den Autorinnen gegebene semantische Charakterisierung des generischen Maskulinums »Frauen sind mitgemeint« ist inkorrekt. Frauen sind gar nicht gemeint, ebenso wenig wie Männer oder Geschlechtsidentitäten jenseits der binären Norm“.45
Gehen wir einen Schritt weiter und knöpfen uns die Bevölkerung vor: Ist sie weiblich? Das Substantiv schon. Sind die Männer mitgemeint? Von wegen. Der Verstand interpretiert die Sprache kontextbezogen. Zwischen dem grammatischen Geschlecht des Substantivs Bevölkerung und dem bezeichneten Inhalt (Bewohner eines bestimmten Gebiets und deren Genitalien) gibt es keinen Zusammenhang. Das weibliche Geschlecht verdanken Wörter wie Bevölkerung nicht einem arkanen Zauber, sondern dem Suffix -ung. Wie soll man dann die Bevölkerung gendern? Diese Frage klären wir in Kap. 17.
Also: In der Normsprache geht es nicht ums Mitgemeintsein, sondern um Bedeutung. Das generische Maskulinum ist semantisch geschlechtsneutral. Im Wort „Steuerzahler“ sind die Frauen nicht mitgemeint. Das Wort bedeutet „Frauen und Männer, die Steuern zahlen“. Die gegenderte Wiederholung des Substantivs hingegen (Steuerzahlerinnen und Steuerzahler) ist eine Doppeltgemoppelt-Nennung und bedeutet: Frauen, die Steuern zahlen, sowie Frauen und Männer, die Steuern zahlen. Das heißt: die Frauen sind hier überflüssigerweise zweimal genannt; nicht, dass sie auf die Idee kommen, sie müssten weniger oder gar keine Steuern zahlen. Die Semantik ist eindeutig. Wer das Gegenteil behauptet, verwechselt die Bedeutung der Wörter mit einer willkürlichen Interpretation von grammatischem Geschlecht als gleichgesetzt mit dem biologischen. Die Sprache unterschlägt niemanden. Das Wort Studenten bedeutet „Frauen und Männer, die studieren“. Und Wörter wie Französ*innen, Bäuer*innen oder Kund*innen sind ausschließlich Bezeichnungen für Frauen (s. Kap. 5. Das Problem mit dem Genderstern: Der Genderstern erzeugt Wörter, die es nicht gibt). Ich kenne keinen Französ und bin weder Kolleg noch Fränk.
Apropos: Ist Zimmer ein Beruf? Laut Bundesarbeitsministerium schon. Im Kurznachrichtendienst Twitter (April 2022) thematisiert es das Handwerk der Zimmer*innen. Wie lautet eigentlich die weibliche Bezeichnung von Zimmerer? Und ist Zimmerin ein Beruf? Oder ein weibliches Zimmer?
Dass das generische Maskulinum Frauen (und nichtbinäre Identitäten) „ausschließe" oder nur „mitmeine", ist eine Behauptung, die auf einer Fehlinterpretation grammatischer Strukturen basiert (Hackstein 2021) s.linguistik-vs-gendern.de
Die Genderszene kapriziert sich auf eine lächerliche Pose: Die Frauen fühlten sich durch das generische Maskulinum angeblich nicht angesprochen. Einfach so, aus heiterem Himmel, jetzt, nach Jahrhunderten Erfahrung mit der deutschen Muttersprache. Was schon immer selbstverständlich war, ist heute Makulatur. Doch wer sich generisch nicht angesprochen fühlen will, weigert sich, die eigene Muttersprache zu verstehen, und gibt vor, Wörter seien anders zu deuten, als es die Konsensmehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung tut. Jetzt gelten andere Spielregeln – weil man es so will, ja, so, und nicht anders. Basta. Die Linguistin Gisela Zifonun spricht, was Studien zum Generischen Maskulinum anbelangt, von „methodischen Mängeln“. Sie beklagt, dass sich die Linguistik „weitgehend in die Knechtschaft der experimentellen Psychologie oder der Kognitionswissenschaften begeben“ habe und „Bedeutungen“ nur noch als geistige, durch Wörter erzeugte Bilder begreife46.
Das eigentliche Problem in diesem Streit ist das Wort Maskulinum. Es lenkt davon ab, dass es sich um die Grundform bzw. unmarkierte (kürzeste, einfachste) Form eines Substantivs handelt. Mein Vorschlag: den Begriff generisches Maskulinum zu ersetzen, nämlich durch die Begriffe generisches Substantiv/ Wort oder generischer Singular (Fragen Sie Ihren Arzt) und generischer Plural (die Einwohner) oder einfach nur generisch: der Sparer ist generisch / ein generisches Substantiv. Die Begriffe sind nicht neu. Darauf, dass ein Substantiv wie Bürger „eine sexusneutrale Grundbedeutung“ hat, wies bereits vor fast hundert Jahren Roman Jakobson hin, einer der Begründer des Strukturalismus. Das Maskulinum bezeichnete er deshalb als Nullgenus, woran der Linguist Wolfgang Krischke47 mit Blick auf die falschen feministischen Auslegungen grammatischer Kategorien hinweist. Was natürlich keinen Genderer beeindruckt, verfügt doch der Genderismus über höhere Wahrheiten als die Sprachwissenschaft. Und das sind (Aber)Glaubenswahrheiten. Inhaltlich relevant ist in diesem Begriff das Wort generisch und nicht das Maskulinum, das lediglich die Form der grammatischen Kategorie bezeichnet und semantisch kein Maskulinum ist, sondern eine generische Bezeichnung für alle Geschlechter. Allerdings müsste man das Substantiv Sparer gendern, wenn Frauen, benachteiligt wie immer, nicht die gleichen Zinsen bekämen wie ihre männlichen Ausbeuter.
Also noch einmal: Generische Substantive wie Person (grammatisch weiblich) oder Tourist (grammatisch männlich) sind geschlechtsneutral.
Hatschi! Verzeihung. Ich bin im Moment verschnupft, musste in die Apotheke. Dort empfing mich ein Aushang, der die Kund*innen über irgendetwas informierte, was mich wohl nichts anging, da ich weder Kundin noch Kund bin. So latschte ich zur nächsten Apotheke, wo ich zunächst Ausschau hielt nach diskriminierenden Aushängen. Etwa: Hunde und alte weiße Männer müssen draußen bleiben. Nix dergleichen. Eine freundliche Apothekerin beriet mich ausführlich, ohne mich über meine Genitalien zu befragen, konnte mir aber gegen eine weitere Beschwerde, eine Genderallergie, kein Mittel empfehlen. Mein eher niedriger Blutdruck schießt nämlich beim Vernehmen gegenderter Sprache auf über 140. Vor einigen Monaten habe ich die Konfiguration meines neuen Audis, den ich zu kaufen beabsichtigte, gelöscht, weil ich dem Autokonzern zwar die Abgasaffäre nach langem Gewissenskonflikt verzeihen konnte, die Genderaffäre aber nicht48.
Eine Frankfurter Apothekerin wollte mir letzten Sommer ein Mittel zur Verbesserung des Glottisschlags andrehen. Als ich den Kopf schüttelte, raunzte sie mich an, ich solle mir bloß nichts auf meinen Pimmel einbilden, nichts als Illusion und Selbsttäuschung, ich hätte nämlich hinter den Hoden auch eine Vulva, nur sei ich mir dessen nicht bewusst, weil sie erst im Dunkeln aus der Deckung komme, wenn man beispielsweise das Licht ausschaltet oder sich dunkle Unterwäsche anzieht. Was sich hinter den Hoden manchmal öffnet, im Dunkeln wie im Hellen, nennt man anders, widersprach ich. Ja, Genderstern, raunzte sie. Die anatomische Verwechslung habe wohl was mit genderistischer Dekonstruktion zu tun, entgegnete ich. Plötzlich hielt sie mir ein Klistier ins Gesicht und drohte: Diese Frage müssen wir mit alternativen Methoden klären. Ach du Schreck ... Ich riss die Augen auf – und seufzte erleichtert: Es war Gott sei Dank nur ein Alptraum. Aber irgendwie prophetisch. Vom Unbewussten als rhetorischer Allzweckwaffe der postmodernen Rabulistik wird hier noch reichlich die Rede sein (s. Kap. 23. Fazit).
Nun zum Schnupfen. Meine Nase läuft. Ist die Bedeutung dieses Satzes eindeutig? Oder vermutet jemand hinter den Worten einen verborgenen (okkulten) mitgemeinten Sinn? Und was für ein Bild erscheint Ihnen vor dem inneren Auge? Wenn Sie eine verstopfte rote Nase sehen und eventuell auch hören, wie jemand sich schnäuzt, dann sind Sie ein ganz normal denkender Zeitgenosse. Wenn Sie aber eine auf zwei Beinchen durch die Gegend herumlaufende Nase sehen (die als weibliches Substantiv auch mit einer Vagina ausgestattet sein müsste), dann leiden Sie vermutlich an Genderitis. Aber keine Bange, diese Krankheit ist heilbar. Merke: nach genderfundamentalistischer Logik reicht es nicht aus, den Rotz mitzumeinen, wenn man sagt, die Nase läuft. Korrekt müsste es deshalb heißen: Aus der Nase fließt Rotz. Bitte auch die Farbe angeben, um möglichst genau zu sein. Denn die genderistische Sprache duldet keine Zweideutigkeiten, sie muss die Realität abbilden, so wie sie ist, Ambiguitäten darf es nicht geben. Ein für alle Mal: Die Nase läuft nirgends hin!
Die These des Mitgemeintseins ist eine kaffeehauslinguistische Luftnummer. „Die Bedeutung der Wörter liegt in ihrem Gebrauch“, um es mit Professor Roland Kaehlbrandt noch einmal klarzustellen49. Das heißt im Kontext. Denn ein Wort führt kein Eigenleben im luftleeren Raum außerhalb der Aussagen, der Sätze. Seine Bedeutung schöpft das Wort nicht aus seiner Morphologie (Form, Zusammensetzung, Endungen). Sondern aus seiner „semantischen Rolle“50 in einer grammatischen Struktur, so Donald Davidson in seiner Sprachphilosophie. Aussagen versteht man anhand ihrer Logik und Kohärenz. Relevant ist in einer Aussage nicht die Bedeutung einzelner Wörter, die kontextabhängig ist, sondern die Bedeutung des Satzes. Davidsons Wahrheitstheorie zeigt, wie „die Bedeutung jedes Satzes von der Bedeutung der Wörter abhängt“51, ein Wort habe aber „nur im Zusammenhang eines Satzes“ eine Bedeutung.52 Und auch ein Satz steht nicht mutterseelenallein und autark in der Sprachlandschaft, sondern in Beziehung zu anderen Sätzen, und diese Beziehung wird durch seine Struktur bestimmt. Ebenso seine Bedeutung53. So sind einige Sätze „logische Konsequenzen anderer Sätze“. Und: „Wenn wir die durch eine Wahrheitstheorie ans Licht gebrachte Struktur als Tiefengrammatik ansehen, müssen Grammatik und Logik Hand in Hand gehen“. Eigentlich Selbstverständlichkeiten. Bereits Friedrich Schleiermacher wies in seiner Dialektik (1811) auf den essenziellen Unterschied zwischen der logischen Form des Gedankens und der grammatischen Form der Sprache hin und hob die kontextspezifische Bedeutung nicht nur einzelner Wörter, sondern auch ganzer Sätze hervor.54 Von solchen sprachlogischen Selbstverständlichkeiten und semantischen Gemeinplätzen wird man aber durch die obsessive Beschäftigung mit der Visualisierung von Geschlechtsteilen unablässig abgelenkt. (s. Kap. 6. Sexualisierung durch Gendern)
Die Sprachwissenschaftlerin Gisela Zifonun legt den Fokus ebenfalls auf den Kontext: „Die Bedeutungen von Wörtern und Sätzen bestehen vor allem in den Regeln ihres Gebrauchs und in der Fähigkeit, aus dem Gehörten und Gelesenen die angemessenen Schlüsse zu ziehen“.55
Bemühen wir noch einmal das Substantiv Person. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sitzen in einem Wartezimmer, und ein Blinder, der die Tür öffnet, möchte wissen, wieviel Personen sich in diesem Raum befinden. Wenn Sie alle Menschen zählen, haben Sie ein gesundes Sprachgefühl: Bedeutung und Kontext sind eindeutig. Wenn Sie aber nur die Frauen zählen, denn das Namenwort Person ist ja weiblich, dann leiden Sie an Genderitis fanaticus.
Geistes- und geschichtsphilosophisch betrachtet gibt es in der Entwicklung menschlicher Sprachen eine klare evolutionäre Ordnung. Oswald Spengler: „Wir sprechen in Sätzen und nicht in Worten“.56 Der Satz ist „der sprachliche Ausdruck eines Gedankens“. Das heißt: ein Wort ist noch kein Gedanke. Es wird zum Gedanken, wenn es als Teil einer Aussage etwas ausdrückt.
Unbeantwortet bleibt im Genderismus auch die Frage, ob es Konventionen57 gibt, Aussagen mit einem Satzgegenstand (Subjekt) im generischen Maskulinum als Äußerung über Männer zu verstehen beziehungsweise gar ausschließlich über Männer, also alle Frauen grundsätzlich ausschließend. Für die explizite Hervorhebung von Geschlechtsmerkmalen gibt es weder eine semantische Notwendigkeit (weil in der Bedeutung enthalten) noch eine illokutionäre58 Konvention, d.h. es gibt keine Aussagemodi, die die Frauen ausschließen, und keinen Grund, dies anzunehmen. Es sei denn, man erfindet einen. Ebenso gibt es keine sprachliche Konvention, die formal oder semantisch signalisiert, dass eine Behauptung nur vorgetäuscht sein soll; d.h. ein Witzbold täusche vor, Frauen mitzumeinen, in Wirklichkeit aber schließe er sie aus. Auch so betrachtet ist die These des Mitgemeintseins schlichtweg Unfug. Die Notwendigkeit dieser künstlich herbeigeredeten Konvention ist Bluff und irritiert, weil der mündige deutsche Muttersprachler erkennt, dass diese eigenmächtig aufoktroyierte und völlig überflüssige Sprechweise reine Erfindung und Schikane ist. Man pfuscht an der DNA der Sprache herum, wenn man einer Endung semantischen Vorrang einräumt vor der Gesamtbedeutung einer Aussage. Man macht aus einem Pferd eine Kuh, indem man ihm Hörner aufsetzt. Noch einmal auch für den Grundschulunterricht. Wörter wie Hund, Schwein oder Affe sind Bezeichnungen von Tieren. Sie diskriminieren und beleidigen niemanden. Sie sind weder gerecht noch sensibel. Auch ein blöder Hund ist ein blöder Hund, nicht mehr. In Bayern ein damischer. Auf Menschen bezogen, kann man diese drei Beispiele eindeutig als Beleidigung und Verletzung der Menschenwürde auslegen. Jemanden als Affen zu bezeichnen, ist keine Meinung, sondern eine grobe, mitunter auch rassistische Beleidigung.
Umfrage 1
Was bedeutet das Wort Sächs?
□ A. Bezeichnung für altgermanische Sexpraktiken.
□ B. Eine alternative Schreibweise für Sex.
□ C. Das Wort Sächs sibt es im Deutschen nicht.
Ebenso heikel der leichtsinnige Umgang mit dem Kompositum Nazischwein.59 Ausschlaggebend für die Bedeutung ist also der Bezug, der Kontext, in dem ein Wort verwendet wird, d.h. die Äußerung, der Satz.60 Diesen Bezug dürfte auch ein Kind verstehen. Aber heutzutage nicht jeder Erwachsene, beispielsweise die Genderalarmisten, die schon aus verstockter Prinzipienreiterei etwas anderes verstehen wollen als jeder normal sprechende Mensch beziehungsweise die unzähligen Generationen von Deutschen schon seit Jahrhunderten61.
Buchautorin Pauline Voss spricht von einer „Strategie des absichtlichen Missverstehens“62. Im Bayrischen ist im Übrigen ein Hundling ein gewiefter Kerl, ein Schlitzohr; anerkennend sagt man oft: A Hundling bist scho.63 (Kontext: s. auch Kap. 11)
Als Lektüre empfehle ich an dieser Stelle „Die Nase“ von Gogol. Mehr zum Thema, s.u. Kap. 11. und Kap. 17.
Doppeltnennungen oder magische Zeichen? Die Phantasie der sexfixierten Sprachpanscher kennt keine Grenzen. Und das führt zu unlösbaren Problemen. Erstens: Texte mit dem Stern-Schluckauf sind unverständlich. Zweitens: Der Genderstern generiert Wörter, die es nicht gibt. Drittens: Der Kehlkopfverschlusslaut verleiht der Endung „innen“ eine Betonung und verwandelt sie in ein eigenständiges Wort, nämlich in ein Adverb (das Gegenteil von außen)64. All dies sorgt für Verwirrung und Irritationen. Das Beweismaterial für diese Behauptungen ist erdrückend.
Einige Beispiele: Was war mit folgendem Satz in der Visite-Sendung vom 3.5.22 NDR gemeint: Listerien können Verbraucher innen nicht erkennen. Folgt mit der Pause nach dem Wort „Verbraucher“ das Adverb „innen“? Oder war die Pause ein Genderstern? Und nun einige Stern-Wörter, die es im Deutschen (so noch nicht) gibt: Schwäb, Jüd, der Kolleg (nicht das), Ärzt oder Pol (ein polnischer Mann ist kein Pol; weitere Beispiele: Kap. 4). Genauer: im Wort „Sächs*innen“ sind die Männer semantisch nicht enthalten bzw. mitgemeint, ebenso die Juden in Jüd*innen, die es eh schon satthaben, mit einem Stern ausgezeichnet zu werden, und das ausdrücklich, genug ist genug.
Außerdem: Was passiert nun mit Wörtern, die ein männliches Substantiv enthalten? Etwa Bürger in „Einbürgerung“? Die Genderbefürworter werden früher oder später als konsequente Alternative für die Einbürgerung möglicherweise die Einbürger*innenung einführen; d.h, eine Frau wird „eingebürgerinnent“. Anne Will hatte schon vor Jahren diesbezüglich keine Hemmungen und machte den Anfang mit Monsterwörtern wie „Kurzarbeiter*innenGeld“ (wobei sich der Unbedarfte fragen dürfte, ob es auch ein „AußenGeld“ gibt); mit ein bisschen Phantasie und Sprachgefühl hätte sie eigentlich das Wort „Kurzarbeitgeld“ erfinden können: Geld für Kurzarbeit.).
Und was wird aus den steigenden Verbraucherpreisen? Gelten sie nur für Männer – oder müssen auch die Frauen künftig tiefer in die Tasche greifen?
Aber das ist noch nicht das Ende vom Lied. Ein weiteres Problem ist der Klang der Sprache, die inflationäre Häufung von Silben, die aus Lauten (bzw. Buchstaben) wie n und e bestehen. Bei der Buchstabenhäufigkeit beziehungsweise der Lauthäufigkeit liegen im Deutschen e, i, n und t/d ganz vorne65. In einem klanglichen oder schriftlichen Umfeld, in dem diese Laute überproportional vorkommen, entsteht ein ungenießbarer Klangbrei, denn die weiblichen Markierungen, die die Gendernden alle Naselang einfügen, verwandeln die Sprache in ein heilloses Durcheinander aus Wiederholungen von innen und sonstigen Endungen, die den Sinn der Wörter entstellen. So wird Sprache unverständlich. Und auch nicht erlernbar. Eine Besonderheit ist auch das häufige Vorkommen von n, mit oder ohne d oder t, in Vorsilben (z.B. ent-, an-, ein-, unter-) oder n-Endungen im Plural (Enten), Infinitiv (nennen) oder Partizip (gewonnen). Von den beginnenden und nicht enden wollenden Abenden mit singenden Finninnen oder Adverbien wie hin, nirgends, hinten, unten, binnen, von dannen oder innen ganz zu schweigen. Das n scheint darüber hinaus die beiden Laute d und t magisch anzuziehen. So wäre auch das Phänomen zu erklären, dass manche Lehnwörter wie Tunnel oder Gelatine manchmal (vor allem im süddeutschen Sprachraum) als Tundel oder Gelantine ausgesprochen werden.
Noch schlimmer, wenn dieser Buchstabenbrei mitten im Wort blubbert, wo er nichts zu suchen hat. Nicht nur der Klang ist dissonant, sondern auch die Morphologie. Der Linguist Nikolaus Lohse: „Regelrecht falsch wird es, wenn auch das Abstraktum gegendert wird, also etwa eine Medizinerin, die ihre Fachärztinnenausbildung absolviert, die Chefsache zur „Chefinnensache“ wird oder der RBB zum Weltfrauentag fordert, „mehr Frauen in Entscheiderinnenpositionen“ zu bringen“.66
Kein Wunder, dass bei dieser Buchstabenpampe die Zunge mitunter den Dienst verweigert, da sie nicht mehr weiß, was der Kopf denkt, und sich vom Verstand verabschiedet. In der Anmoderation zum Thema künstliches Hüftgelenk sagt Visite-Moderatorin Vera Cordes in der Sendung vom 5. September 2023: „Die Ärztinnen so etwas Luxation“67.Was meinte sie eigentlich? Hier ist vermutlich folgendes passiert, der Satz hätte wohl lauten müssen: „Die Ärzt‘innen nennen so was Luxation“. Doch die Aussprache hat beim Kehlkopfverschlusslaut versagt, und das Hirn verwechselte die weibliche Endung innen mit der Satzaussage nennen: Das Ergebnis: ein Innen-Geninnel. So heißt auf Neudeutsch das Gendergemampfe, an dem die Krankenschwesterinnen und Elterinnen zu ersticken drohen (s. Kap. 17 u. Kap. 8: die Gewinnenden und die gewonnenen). Die Moderatorin bemüht sich zwar seit einigen Jahren zu gendern, oft vergisst sie es, und wenn nicht, dann gendert sie verkehrt, nennt zuerst den generischen Plural, dann das generische Femininum: Ärzte. Und Ärztinnen. Offensichtlich spricht sie instinktiv die Normsprache, besinnt sich aber, wenn die Trillerpfeife der inneren Zensur schrillt: hier kommen sich das natürliche Sprachgefühl und die feministische Sprachpolizei in die Quere. Die Lehre aus der Geschichte: Reife Mädels gendern nicht.
Besonders erheiternd, wenn sich Gendernde verhaspeln, mitunter noch einmal Anlauf nehmen und schließlich den Faden verlieren, z.B. Phoebe Gaa im heute journal: sie spricht von „Iranerinnen und Iranerinnen“68. Bei Markus Lanz (10. April 2024 ZDF) sorgte die Kriminologin Nicole Bögelein mit ihrem Gender-Aufschluck für heftige Irritationen, auf das viele Zuschauer empört reagierten69: @hawaiitoast_ beschwerte sich: „Es ist so affig. Sorry, aber ich kann Leuten, die so reden beim besten Willen nicht zuhören und schalte ab.“, @JoyMeckes: „Gendern klingt wie ein Systemfehler.“, und @OliHeck rät: „Sie sollte ihren Sprachfehler mal behandeln lassen.“ Das klang so: Täter innen-Gruppen, Ausländer innen, Lehrer innen. Was wirklich nervte (die Diskussionsteilnehmer und wohl auch die Zuschauer) war, dass sie Fakten ständig verdrehte und die Realität anders interpretieren wollte, als sie offensichtlich war. Bei ihren Ausführungen (z.B. die Anzeigewahrscheinlichkeit sei höher, wenn der Täter ein Ausländer ist) berief sie sich, na, worauf denn sonst: auf Studien, die Wunschvorstellungen bedienen.
Fazit: Genderdeutsch ist nicht korrekt. Es ist unhöflich und geht auf die Nerven, weil es gegen Normen und Konventionen verstößt. Und zu allem Überdruss eine lächerliche, sinnentstellende Kakophonie erzeugt. Der Genderstern ist die Sichtbarmachung eines politischen Machtanspruchs, ein konfessionelles Symbol, ein magisches Zeichen (s. Kap. 11). Ausgesprochen mit einer Kehlkopfschluckaufpause ist der Genderstern ein Symptom für schlechten Geschmack.
Komposita (zusammengesetzte Wörter) wie Bürgernähe darf man nicht gendern, sagt die Sprachwissenschaft – und auch das Sprachgefühl, wenn man eins hat und auf korrekte Sprache Wert legt. Zum Beispiel Bürgerinnennähe. Unter diesem Determinativkompositum70 kann ich mir beim besten Willen nichts vorstellen. Müssen dabei auch irgendwelche Bildchen im korrekt funktionierenden Kopf entstehen? Nähe etwa als nackte Haut? Oder liege ich mit meiner überforderten Intuition falsch?
Horst Haider Munske, Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg, bezeichnet die Stern-Schreibweise, die der geltenden grammatischen Norm des Deutschen widerspricht, als „Versuch eines Sprachdiktats“.71 Manche dürfen eben mehr verlangen als das gemeine Fußvolk und sich noch mehr einbilden auf ihre verletzten Gefühle. Der Opferfetischismus72 rechtfertigt alles und legitimiert die Anspruchshierarchien. Dieser Anspruch stellt die Genderthematik in den Mittelpunkt der Welt und forciert deren Anerkennung als neue soziale Realität. „Der Gender-Stern ist Ausdruck des identitätspolitischen Konzepts der »fluiden Geschlechtlichkeit«, das die tradierte Vorstellung überwinden soll, die Menschheit unterscheide sich grundsätzlich nach Männern und Frauen. Daher hat der Gender-Stern immer etwas Bekenntnishaftes an sich“73, so Silvana und Andreas Rödder (Denkfabrik R21).
Der Identitäre denkt in Gruppenkategorien. Er kennt keine praktische Vernunft. Sein Urteil hängt nicht von der Analyse des Realen ab, sondern von der Bestimmung des Opferstatus nach starren Regeln. Manche Personengruppen sind immer Opfer, und andere können per Definition nie Opfer sein. Das Vorurteil bestimmt sein Denken und engt das Urteil auf vorgefertigte Sentenzen ein. Sein Dogmatismus ist standhaft, seine Moral blind.
Vor wenigen Jahren sorgte die Kopftuchdebatte für Entrüstung wegen der Sexualisierung Minderjähriger. „Einem jungen Mädchen ein Kopftuch überzustülpen ist keine Religionsausübung, sondern pure Perversion“, so Serap Güler, damalige CDU-Staatssekretärin für Integration in NRW74. Heute geschieht das Gleiche durchs Gendern.
In einem Beitrag über fehlende Medikamente für Kinder spricht der BR24 am 29.4.23 über „Versorgungsmangel für junge Patientinnen und Patienten“ – auweia, eine nicht nur unsinnige, sondern vor allem unanständige Sichtbarmachung von Geschlechtlichkeit, die in der Öffentlichkeit nichts zu suchen hat. Der Sprecher soll froh sein, dass wir in Deutschland keine Sittenpolizei haben zur Verfolgung verbaler Pornografie. Wer diese Art von Sexualisierung beanstandet, landet im großen Topf der christlich-fundamentalistischen Fanatiker. Aus der Kopftuchdebatte haben die Genderer offensichtlich nichts gelernt.
Das Gendern sexualisiert überdies auf eine weitere Art, nämlich durch die Pauschalisierung in Doppeltnennungen. Diese sortieren Gruppen nach dem Geschlecht, nicht aber nach dem Alter. Somit werden die Kinder als sexuelle Wesen dem einen oder dem anderen Geschlecht zugeordnet und mehr schlecht als recht sichtbar gemacht, wie das folgende Beispiel zeigt:
„Wenn ich an Schlittschuhläufer auf einem See denke, so stelle ich mir Frauen, Männer und Kinder in Winterkleidung vor, die über das Eis gleiten, auf den Popo fallen usw. Wenn künftig von Schlittschuhläufern und Schlittschuhläuferinnen die Rede ist, sehe ich keine Menschengruppe mehr. Die Kinder fehlen. Die Diversen übrigens auch. Ich sehe eine Gruppe von männlichen und eine Gruppe von weiblichen Schlittschuhläufern“.75 In diesem Beispiel von Rieke Hümpel – wie in ähnlichen Fällen z.B. „Engländerinnen und Engländer“ – trennt man generische Gruppen, die eine Einheit bilden, in zwei Kategorien, die nicht mehr zusammengehören. Die Kinder werden hier sprachlich nicht abgebildet, die Diversen schon gar nicht.
Die Sexualisierung generischer Gruppen bzw. Begriffe ist bezeichnend für den Widersinn und die Widersprüchlichkeit der Gendersprache. Abstrakte Begriffe funktionieren über die Logik kategorialer Gemeinsamkeiten verschiedener Sachverhalte, Eigenschaften, Phänomene oder Zugehörigen von Personengruppen, die nicht einzeln sichtbar gemacht werden müssen (und können). Auch nicht die Frauen im weiblichen Substantiv Menschheit, die in der Bedeutung dieses Begriffs enthalten (und nicht mitgemeint) sind, aber nicht explizit hervorgehoben werden müssen. Nur: diese Art von Logik können (oder wollen) die Gender-Eiferer offensichtlich nicht verstehen. Alexander Grau fragt zu Recht: „Wozu Sachkenntnis, wenn man die richtige moralische Haltung hat?“76
Die Sexualisierung der Sprache erfolgt über die ständige Markierung des Geschlechts. Das führe zu einem „Ausschlussverfahren, das den Denkraum verkleinert“, moniert Ingo Meyer von der Berliner Zeitung. Er beanstandet u.a. Doppeltnennungen wie Afrikanerinnen und Afrikaner. (Diese sind nicht nur sprachlogisch überflüssig, sie heben zudem unnötigerweise das Geschlecht hervor.) „Alle anderen Eigenschaften, die diese Menschen sonst noch haben oder haben könnten, werden überdeckt durch diesen Fokus aufs Geschlechtliche. Die Sprache wird sexualisiert“.77
Die Gendermoralapostel pfeifen auf Grammatik und Semantik. Gegen evidenzbasierte Argumente sind sie immun. Was für sie zählt, ist die Ideologie. Ihre sprachliche Inkompetenz wird nur durch ihre „epistemische Sturheit“ übertroffen78. Dazu gehört eine in Stein gemeißelte Übereinstimmung von Genus und Sexus. Den Genderisten fehlt es an Ambiguitätstoleranz. Sie können nicht dulden, dass mit einem männlichen Substantiv auch Frauen bezeichnet werden können. Doch diese Eigenart lebender Sprachen gilt auch umgekehrt: es gibt etliche weibliche Substantive, mit denen Männer mitgemeint sind, wenn man schon vom Mitgemeintsein reden will.
Der Blick durch die Genderbrille (die Ambiguitätsintoleranz, die alles vereindeutigen und so die Menschen nach sichtbar gemachtem Geschlecht segregieren will) verzerrt die Realität und führt zu logischen Konflikten: „Die Türkei bombardiert Kurd:innen“79 Diese sachliche Differenzierung nach Geschlechtern ist eine beachtliche journalistische Leistung. Preisverdächtig. Bei so einem Satz muss man zunächst in Deckung gehen, um von geistigen Blindgängern nicht erschlagen zu werden. Mal davon abgesehen, dass die Türken in ihrer Sprache kein Geschlecht kennen, dürfte der Befehl an die Truppen, kurdische Stellungen zu bombardieren, keine einschränkende Anweisung enthalten haben, bei dem Angriff ausschließlich Männer zu treffen. Genau auf diese Gemeinheit will der Redakteur uns möglicherweise aufmerksam machen. Oder gibt es eine (weitere) logische Erklärung für die falsche Orthografie dieses generischen Femininums? Man könnte zum Beispiel annehmen, der Reporter wollte sicher gehen, dass wir die Sache nicht falsch verstehen, nämlich, dass die türkischen Soldaten zunächst die Kurden nach ihrem Geschlecht sortieren, die Frauen nach Hause schicken und dann auf die Männer losballern. Sorry, lustig ist das nicht.
BR24 am 10.6.22: „Verbraucherinnen und Verbraucher müssen künftig mehr Energie sparen“, sagt der Sprecher. Sehr erhellend. Mit Verlaub: Hält man die Frauen für dumm? – Damit die Frauen ja nicht auf die Idee kommen, weniger Energie zu sparen als die Männer – oder gar das Gegenteil, dass sie am Ende denken, sie dürfen sogar mehr Energie verbrauchen als die Männer? Das hält ja kein Pferd aus: Jedes Mal, wenn ich so einen Satz höre, schalte ich das Gerät für gewöhnlich aus und denke, schlimmer kann es in der Klapsmühle nicht sein.
„Die Schüler bleiben am Montag wegen Corona zu Hause“, sagt der Schuldirektor. Das ist grammatisch korrekt. Aber nicht ideologisch. Die Genderer verstehen diese Mitteilung absichtlich so: Die Jungen bleiben zu Hause, die Mädchen aber nicht.80
„Die Feuerwehr rettet Ukrainerinnen und Ukrainer aus brennenden Häusern“. Hm. Was will man uns damit sagen? Die Hörfunkleute halten ihre Zuhörer anscheinend für derart blöd, dass man ihnen unterstellt, nicht zu wissen, was die Ukrainer generisch bedeutet, und deshalb verklickern muss, die Feuerwehr rettet nicht nur die Männer. Folgendes bitte unbedingt zur Kenntnis nehmen: die Ukrainer lassen ihre Frauen nicht in ihren Häusern verbrennen. Na Gott sei Dank. Was geschah aber mit den Kindern? Und den Diversen? Und den vielen ethnischen Minderheiten? Die hat jemand leider vergessen: entweder die Feuerwehr – oder die Gendererinnen.
Der Durchschnittsmensch kennt die Bedeutung des Substantivs die Ukrainer, nämlich alle Menschen, die die ukrainische Staatsbürgerschaft haben, Männer, Frauen, Jung und Alt, verschiedenen Ethnien zugehörig und divers. Und er geht im Übrigen auch davon aus, dass die Feuerwehr alle Menschen gerettet hat, die man retten konnte, ohne sie vorher nach ihrem Ausweis oder Pass zu fragen, um sicherzustellen, dass sie tatsächlich Ukrainer sind und nicht etwa außerirdische Spione.
Unter dem Aspekt von Wahrheit und Interpretation81 gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die Feuerwehr nur Männer rettet. Und deshalb gibt es auch keinen Grund, die Taschenlampe auf die Genitalien der Ukrainer zu richten. Der Empfänger der Information kann die Äußerung nur in diesem Sinne als wahr interpretieren, wenn im Satz von Ukrainern als generische Gruppe die Rede ist. Bei der Nennung beider Geschlechter könnte man hingegen annehmen, dass es in der Ukraine eher ungewöhnlich sei, auch Frauen zu retten. Und diese absurde Unterstellung verlangt nach einer erklärenden Ergänzung, sonst verstieße der Satz mit der Doppeltnennung gegen den gesunden Menschenverstand.
Die Unsitte, Nationen nach dem biologischen Geschlecht in zwei Hälften zu segregieren, ist in zweierlei Hinsicht aberwitzig. In der Berichterstattung über die recht häufigen Wahlen in Israel war immer wieder der Satz zu hören, Jüdinnen und Juden haben gewählt. Das ist sachlich falsch. Gewählt haben nicht nur die Juden, sondern auch die arabischen Israelis, die ca. ein Fünftel der Bevölkerung Israels ausmachen. Die sachliche Korrektheit spielt aber im modernen Journalismus anscheinend keine Rolle mehr, es zählt allein die Unterleibskorrektheit, die in der Genderbibel steht. Die Trennung von Völkern in zwei Geschlechter ist wohl das Dümmste, was das Gendern bisher hervorgebracht hat. Diese Genderdauerbelästigung wiederholt sich stündlich, mitunter viertelstündlich, Tag für Tag, Woche für Woche seit Jahren, auf etlichen Kanälen, das Sündenregister der Gendertyrannisierung steigert sich ins Astronomische.82 Schwerwiegender als die kakophonische Verstotterung des Sprachflusses ist die chronische Kränkung, die man dem Zuhörer zufügt, wenn man ihm indirekt die Fähigkeit abspricht, Äußerungen, Mitteilungen oder sonstige Sprachhandlungen kontextabhängig interpretieren und verstehen zu können. Dieser belehrend-überdeutliche redundante Stil setzt voraus, dass die Bevölkerungsmehrheit schwachsinnig ist.83
Die Gefühlsreaktionen des ÖRR-Publikums auf diesen ärgerlichen Dauerzustand lassen sich am einfachsten anhand der linguistischen Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins von P. F. Strawson84 erklären. Aus der anfänglichen Gleichgültigkeit, vielleicht auch Ungläubigkeit wird durch das hartnäckige Beharren auf abstruse gendersprachliche Verrenkungen früher oder später Irritation, und auf die implizite Unterstellung, unterbelichtet zu sein, folgt die Kränkung85, die sich zur Entrüstung auswächst, weil das Gendern als Unverschämtheit empfunden wird, zugleich auch als Unrecht, weil es dafür keine Berechtigung gibt, kein allgemeines Einverständnis und somit keine Legitimation. Diese Reaktion verstetigt sich „zum schwelenden Ressentiment. [...] Das Ressentiment ist der Ausdruck einer (eher ohnmächtigen) moralischen Verurteilung“.86
Die Genderisten wollen eine bewährte sprachliche Norm ersetzen durch eine neue, die weder allgemein akzeptiert noch plausibel begründet ist. Die moralische Autorität versucht der Genderismus durch unlautere Methoden zu erlangen, die wir bereits kennengelernt haben, nämlich: Erpressung, Herabwürdigung des Gegners und Empörung. Diese Strategie beruht auf Bluff, weil sie sich auf keinen kognitiven Gehalt stützen kann87. Es fehlt die Einsicht, dass die Gender-Thesen nicht wahrheitsfähig sind. Ihre Anhänger sind nicht in der Lage, rational zu begründen, warum