AUF VERSCHNEITEN STRASSEN - Bill Knox - E-Book

AUF VERSCHNEITEN STRASSEN E-Book

Bill Knox

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

John Russell fuhr in zuversichtlicher Stimmung nach Glasgow. Er hatte den Ronaldsons erklärt, geschäftlich in der Stadt zu tun zu haben, und er hatte sich auch tatsächlich im Central Hotel ein Zimmer für die Nacht genommen. Am Morgen würde er dann nach Dunoon und zur Kakadu zurückfahren. McBrides Idee, statt Nitroglyzerin eine Gipsschere zu nehmen, war gut. Trotzdem war Russell entschlossen, notfalls den Safe sprengen zu lassen, gleichgültig, wieviel Lärm es machen würde. Und wenn nötig, würde er helfen, seinen Mitarbeitern gewaltsam einen Weg zurück von der Yacht zu bahnen... Der Roman Auf verschneiten Straßen von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1960; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1961. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Bill Knox

 

 

Auf verschneiten Straßen

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 80

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

AUF VERSCHNEITEN STRASSEN 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Epilog 

 

 

Das Buch

 

John Russell fuhr in zuversichtlicher Stimmung nach Glasgow. Er hatte den Ronaldsons erklärt, geschäftlich in der Stadt zu tun zu haben, und er hatte sich auch tatsächlich im Central Hotel ein Zimmer für die Nacht genommen. Am Morgen würde er dann nach Dunoon und zur Kakadu zurückfahren.

McBrides Idee, statt Nitroglyzerin eine Gipsschere zu nehmen, war gut. Trotzdem war Russell entschlossen, notfalls den Safe sprengen zu lassen, gleichgültig, wieviel Lärm es machen würde. Und wenn nötig, würde er helfen, seinen Mitarbeitern gewaltsam einen Weg zurück von der Yacht zu bahnen...

 

Der Roman Auf verschneiten Straßen von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1960; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1961.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   AUF VERSCHNEITEN STRASSEN

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Nur ein leichtes Holpern und die vorbeihuschenden Lichter der Landebahnbefeuerung waren für die Passagiere des Stratokreuzers die Anzeichen dafür, dass die Maschine auf der Rollbahn von Gander in Neufundland aufgesetzt hatte. Majestätisch rollte das Flugzeug über die Betonpiste zum Empfangsgebäude, während das Motorengeräusch in ein helles Singen überging.

Wenige Sekunden später führte die Stewardess die Passagiere hinüber in das Flughafenrestaurant, wo eine Mahlzeit auf sie wartete. Mechaniker und Tankwarte standen bereit, um sich während der kurzen Zwischenlandung der Maschine anzunehmen. In kleinen Gruppen strömten die Reisenden, die sich noch vor wenigen Stunden, bei ihrem Start in New York, völlig fremd gewesen waren, in die zentralgeheizte Halle. Die kalte Dunkelheit der Nacht hatte sie erschauern lassen.

Ein großer schlanker Mann ohne Hut, den schweren braunen Mantel lässig über die Schultern geworfen, polierte mit dem Taschentuch seine beschlagene randlose Brille. Sein sonnengebräuntes Gesicht mit dem gepflegten Bärtchen verriet deutlich Verwirrung, als er kurzsichtig auf seine Armbanduhr starrte. Langsam drehte er sich zu dem Arm in Arm hinter ihm drein schlendernden Paar um.

»Muss man die Uhr jetzt anderthalb Stunden vor- oder zurückstellen?«, fragte er. »Ich habe schon wieder vergessen, was uns die Stewardess gesagt hat.«     

»Vor«, erwiderte Dwyatt Ronaldson grinsend. »Aber ich verliere auf diesen Flügen jedes Zeitgefühl. Ich richte mich nur nach meinem Magen, das ist der sicherste Zeitmesser - stimmt’«, Liebling?« Er lächelte die neben ihm gehende Frau an, die sich tief in ihren kostbaren Nerzmantel gehüllt hatte.

»Leider wahr, Liebling«, stimmte sie zu. »Ehe wir uns aber ans Frühstück machen, oder was immer man uns hier servieren mag, vergiss nicht, dass du Diät halten musst!«

»Vielen Dank«, sagte der Fremde. »Ihnen mag es vielleicht albern erscheinen, aber eine genau gehende Uhr ist für mich eine Lebensnotwendigkeit. Wahrscheinlich eine von diesen Eigenschaften, die Sie als Amerikaner zu dem Schluss verleiten, dass alle Engländer einen Spleen haben. Nun...« Er zögerte. »...nochmals meinen Dank. Ich will mal sehen, was es hier für Zeitschriften gibt.«

Er setzte die Brille auf und ging davon.

»Netter Mensch«, bemerkte Ronaldson. »Schön, Julia, dann hol diesen vermaledeiten Diätzettel heraus und lass uns gehen.«

Sie schlenderten durch die große Halle des Flughafengebäudes. Ronaldson, eine schwere Gestalt mit einem runden Gesicht, trug einen hellgrauen Anzug, einen grauen Hut und einen schwarzen Mantel mit Gürtel. Seine Frau war schlank und brünett. Ihre hübschen Beine steckten in mit weißem Pelz besetzten Stiefelchen. An ihrer linken Hand trug sie außer einem schlichten Goldreif einen Ring, an dem drei Brillanten funkelten. Sie gaben ihre Mäntel an der Garderobe ab und wurden von einer kanadischen Kellnerin zu einem Tisch geführt. Das Mädchen reichte ihnen die Speisekarte und wartete auf die Bestellung.

»Überlass das mal mir, mein Lieber«, sagte Julia lächelnd. »Wir nehmen etwas Leichtes.«

»Da ist man nicht einmal ein ganzes Jahr verheiratet, und schon wird man von seiner Frau herumkommandiert, als hätte man eine zehnjährige Ehe hinter sich«, brummte der Amerikaner resigniert. »Wie wär’s denn mit Tomatensaft und - nun, vielleicht könnte ich noch ein kleines Steak haben?«

»Hm.« Julia schüttelte energisch den Kopf. »Porridge, Toast und Kaffee. Das genügt vollkommen.«

Die Kellnerin notierte die Bestellung und blieb dann zögernd stehen.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte sie errötend. »Sind Sie nicht die Schauspielerin Julia Martin? Ich habe Sie vor ein paar Jahren in Montreal gesehen, als ich im Urlaub drüben war. Wir sollen zwar die Fluggäste nicht behelligen - aber ich muss Ihnen sagen, dass ich ganz einfach begeistert von Ihnen war.«

»Ex-Schauspielerin«, korrigierte Julia lächelnd. »Jetzt bin ich nichts anderes als eine hausbackene Ehefrau, meine Liebe. Immerhin vielen Dank für Ihr reizendes Kompliment. Und nun bringen Sie uns schnell etwas zu essen. Ich habe gewaltigen Hunger, und im Augenblick brauche ich mir keine Sorgen um meine Figur zu machen.«

Die Ronaldsons. waren mit ihrem Frühstück beschäftigt, als der Fremde mit zwei Zeitschriften in der Hand das Restaurant betrat. Er machte eine knappe Verbeugung vor dem Ehepaar und ging weiter zum nächsten Tisch.

»Na, haben Sie Ihren Lesestoff bekommen?«, rief ihm der Amerikaner zu. »Sagen Sie, haben Sie da etwa das Yachtsmans Monthly? Sind Sie an Booten interessiert?«

Der Fremde nickte. »Ja. Allerdings ist mein Interesse daran mehr oder weniger akademisch.«

»Dwyatt«, warf Julia ein. »Du kannst doch den Herrn nicht wie einen armen Sünder da stehen lassen. Wollen Sie sich nicht zu uns setzen, Mr...?«

»Russell«, stellte sich der neue Bekannte vor. »John Russell.«

»Dwyatt Ronaldson. Und dies ist Julia, meine Frau«, sagte der Amerikaner und machte eine einladende Geste. »Setzen Sie sich, dann können wir uns über Boote unterhalten.«

»Wenn es Ihre Gattin nicht langweilt, sehr gern«, erwiderte John Russell mit strahlendem Lächeln. »Fräulein, würden Sie mir, bitte, Rührei mit Schinken, Tee und Toast bringen?«

»Seit ich mit Dwyatt verheiratet bin, habe ich mich an seine Leidenschaft für Boote gewöhnt«, meinte Julia seufzend. »Lassen Sie sich also nicht stören - ich esse inzwischen. Unsere Maschine bleibt ja nicht den ganzen Tag hier. Oder ist es jetzt Nacht, Mr. Russell?«

»Der Tag beginnt gerade, Mrs. Ronaldson«, erwiderte Russell. »So viel habe ich inzwischen von Ihrem Gatten gelernt.«

Die beiden Männer unterhielten sich noch immer über Boote, als ihr Flug über den Lautsprecher aufgerufen wurde.

»Setzen Sie sich doch zu uns, bei uns ist noch ein Platz frei«, lud Ronaldson den neuen Bekannten ein. »Wir könnten dann unser Gespräch fortsetzen. Was meinst du, Julia?«

»Von mir aus gern«, entgegnete seine Frau. »Aber übertreibe es bitte nicht, Darling. Sonst werde ich noch seekrank.«

Nachdem man die Maschine bestiegen und sich angeschnallt hatte, nahm Ronaldson das Gespräch wieder auf.

»Ich sagte Ihnen bereits, dass ich eine große Yacht besitze. Die Kakadu ist ein Prachtschiff, ein hochseefester Fünfhunderttonner. Ich habe sie vor drei Jahren von einem Engländer gekauft, der die Unterhaltskosten nicht länger bestreiten konnte - dank Ihrer Steuergesetzgebung, nebenbei gesagt. Die Yacht wurde kurz vor dem Krieg im Clyde gebaut, und gegenwärtig wird dort die Maschinenanlage überholt. Aber was Sie vor allem interessieren wird - ich habe auf der Yacht ein schnittiges Sechsmeterboot. Sie glauben nicht, wie großartig es sich damit segeln lässt. Ich musste erst noch ein größeres Geschäft abschließen und konnte mich nicht eher frei machen. Jetzt fliegen wir zunächst nach London, ich habe dort ebenfalls noch geschäftlich zu tun, leider! Aber anschließend geht es nach Norden. Die Überholung der Kakadu muss jetzt beendet sein, und in den allernächsten Tagen wird sie ihren Liegeplatz an der Küste wieder einnehmen. Dort wollen wir an Bord gehen.

Sie müssen wissen, mein Großvater war der jüngste Sohn des Clan-Oberhauptes der Ronaldsons. Der letzte des anderen Zweigs, ein alter Knabe hoch in den Achtzig, starb vor einigen Jahren. Dank dieser Tatsache bin ich zum Chef des Clans avanciert, ob Sie es glauben oder nicht. Auf unserer Reise schlagen wir also gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Wir fahren zu der Clan-Versammlung nach Schottland - es handelt sich um eine Jubiläumsversammlung; vor genau zweihundertfünfzig Jahren ist nämlich der Ronaldson-Clan entstanden. Anschließend machen wir eine vierwöchige Kreuzfahrt durchs Mittelmeer. Und außerdem habe ich noch - wie gesagt - in London Geschäfte zu erledigen.«

Er schwieg, als die Motoren auf volle Touren gingen und die Maschine laut donnernd die Betonpiste entlangrollte. Immer schneller glitt die Maschine dahin, dann ein leichtes Erbeben, und der Riesenvogel erhob sich in die Luft. Rasch gewann er an Höhe, und als die Motoren schließlich ihr gleichmäßiges Lied sangen und die Passagiere die Sicherheitsgurte gelöst hatten, nahm Ronaldson das Gespräch wieder auf.

»Ich bin aus der Konservenbranche, müssen Sie wissen - Ron-Konserven. Wir verkaufen mehr Dosen im Jahr, als es überhaupt Büchsenöffner gibt.«

»Du wirst langweilig, mein Lieber«, warf seine Frau schläfrig ein. »Du hast Mr. Russell überhaupt noch nicht zu Wort kommen lassen. In welcher Branche sind Sie denn tätig, Mr. Russell? Hoffentlich stört es meinen teuren Gatten nicht, wenn ich mich danach erkundige.«

»Import-Export, Mrs. Ronaldson. Meine Agentur ist für rund ein halbes Dutzend Firmen tätig«, erwiderte Russel und fügte mit einer wegwerfenden Geste hinzu: »Alles kleinere Unternehmen. Darum war ich in New York, ich verhandelte mit einigen Kunden und orientierte mich über die Möglichkeiten des amerikanischen Marktes. Wir brauchen in England Dollars, wie Sie wissen.«

»Soweit ich unterrichtet bin, ist England ja recht gut ins Geschäft gekommen«, meinte Julia. »Besonders in den Warenhäusern findet man auffallend viele britische Erzeugnisse. Wenn ich nur an diese entzückenden Pullis denke...«

»Na, diese entzückenden Pullis sind für Vogelscheuchen gut«, prustete ihr Mann los. »Du weißt schon, was ich meine, Darling.«

»Allerdings«, erwiderte Julia, »aber warte nur, mein Lieber. Du wirst selbst wie eine Vogelscheuche aussehen, wenn du deinen Kilt anziehst. Er trägt nämlich einen Kilt, Mr. Russell. Sein Clan hat ein ganz entzückendes Muster.«

Die Unterhaltung drehte sich um dies und das, um Boote, um allgemeine Themen, und erneut um Boote, während die Stewardess Drinks und Zeitschriften anbot, Süßigkeiten, Zigaretten, und schließlich Kissen und Decken brachte. Das Licht verlöschte - nur einige schwache Birnen brannten -, und die Passagiere fielen erneut in Schlaf, während das Flugzeug sich mit gleichbleibendem Dröhnen seinen Weg hoch über dem Atlantik bahnte.

 

Natürlich regnete es, als die Maschine auf dem Londoner Flughafen landete. Als die Passagiere die Gangway hinabstiegen, schien mindestens einer von ihnen zu bedauern, dass der Flug zu Ende war.

»Ich habe mich sehr gefreut, Sie und Ihren Gatten kennengelernt zu haben, Mrs. Ronaldson«, sagte John Russell. »Ich hoffe nur, dass Sie unsere Fachsimpelei über Boote nicht zu sehr gelangweilt hat. Aber wenn man eine Leidenschaft für den Wassersport

»Aber ich bitte Sie«, unterbrach Julia ihn lachend. »Es hätte gar nicht netter sein können. Tja, und nun sind wir wieder einmal in England. Komisch, wenn man sich überlegt, dass wir hier Ausländer sind.«

»Amerikaner sind in England immer willkommen, und besonders hübsche Amerikanerinnen«, erwiderte Russell galant. »Ich muss mich nun leider verabschieden, aber vielleicht begegnen wir uns irgendwie wieder, Mr. Ronaldson

»Aber klar!«, entgegnete Ronaldson herzlich. »Und ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass mein Vorname Dwyatt ist. Ich habe einige Wochen geschäftlich in London zu tun. Wir wohnen im Selwyn. Ein ruhiges Haus, man kriegt dort sogar Eiswasser, und Zentralheizung ist auch vorhanden. Auf unserem Konsulat nennt man es Klein-Amerika. Raffen Sie uns doch gelegentlich an. Wir könnten dann mal zusammen essen gehen.«

Die zwei Männer schüttelten sich die Hände, und mit einer Verbeugung vor Julia wandte sich Russell ab und ging zur Zollabfertigung...

»Weißt du, Dwy, wenn er die Brille abnehmen würde, könnte er sämtliche Stars in Hollywood in den Schatten stellen«, meinte Julia, während sie ihm nachsah. »Aber du brauchst deshalb nicht eifersüchtig zu werden, Darling. Mr. Cornedbeef ist nach wie vor mein ein und alles.«

»Nun mal Schluss, Julia!«, protestierte ihr Mann. Dann fügte er hinzu: »Er ist tatsächlich ein netter Mensch. Ein großer Bootsnarr. Ich erzählte ihm von unserem Segelboot auf der Kakadu. Er scheint eine ganze Menge davon zu verstehen - nach seinem Reden zu schließen.«

Als sich Mr. John Russell einige Minuten später außer Sichtweite befand, schien er jedoch kein Interesse mehr an Booten zu haben. Nachdem er die Zollabfertigung hinter sich gebracht hatte, zog er die Yachtzeitschriften aus der Manteltasche und beförderte sie in den erstbesten Papierkorb. Dann stellte er Aktentasche und Koffer auf dem dicken Teppich der Halle ab und betrat eine Telefonzelle. »Harry? Hier Russell. Bin gerade angekommen.«    

»Hat alles geklappt?« Die Stimme am anderen Ende des Drahtes klang ängstlich.

»Hätte nicht besser klappen können. Du hast keine Vorstellung, wie naiv diese Yankees sind. Du kannst also mit den weiteren Vorbereitungen beginnen. Ich werde unsere Freunde jetzt vierzehn Tage in Ruhe lassen und dann den Hauptangriff starten. Ruf mich morgen im Büro an und unterrichte mich, wie die Dinge stehen. Übermorgen fährst du am besten nach Norden.«

Russell legte den Hörer auf, trat in die Halle und ergriff sein Gepäck. Er pfiff ein Lied vor sich hin, das verdächtig nach einem Seemannslied klang.

Für die lange Fahrt zu dem Bürohaus im Temple nahm er ein Taxi. Das Gebäude lag in der Nähe der Themse. Am Haupteingang befand sich unter den vielen Firmenschildern auch eins mit der Inschrift Handelsagentur Russell. Er bezahlte das Taxi und erwiderte forsch den Gruß des Portiers. Dann lief er die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, wandte sich nach rechts und öffnete die Tür zur Handelsagentur Russell. Drei Stenotypistinnen hämmerten auf ihren Schreibmaschinen, und ein älterer Angestellter erhob sich hinter seinem Schreibtisch neben einem glühenden Heizofen.

»Willkommen, Mr. Russell! Hatten Sie eine gute Reise?«

»Ausgezeichnet, Lloyd. Kommen Sie doch gleich mit.«

Russell öffnete die Tür zu seinem Privatbüro und warf die Aktentasche auf den großen Eichenschreibtisch.

»Na, wie stehen die Dinge?«

»Leider ziemlich ruhig im Augenblick, Sir. Mit der letzten Lieferung von Haushaltsartikeln nach Portugal gibt es einige Schwierigkeiten. Der Hersteller kann den Termin nicht enthalten, und unsere Agenten in Portugal dringen auf Lieferung.«

»Machen Sie Dampf hinter die Sache, Lloyd. Machen Sie dem Hersteller klar, dass dies unser letzter Auftrag war, wenn wir das Zeug nicht sofort bekommen. Ich fahre jetzt nach Hause. Will mich etwas ausruhen, und dann habe ich auch noch ein paar Akten durchzusehen - das Resultat der Reise.«

»Neue Aufträge, Sir? Wir könnten sie brauchen!«

»Ein paar«, erwiderte Russell. »Aber ich habe einige wichtige Kontakte angeknüpft, die sich schon in naher Zukunft bezahlt machen werden.«

»Dann hat sich Ihre Reise also gelohnt?«, fragte der Angestellte interessiert.

»Sehr«, erwiderte Russell lächelnd. »Und das ist noch zu milde ausgedrückt.«

 

Summendes Stimmengewirr, hin und her eilende Kellner, dezente Beleuchtung und amüsante Wandgemälde gaben dem Restaurant seine eigene Note.

Die Ronaldsons saßen in einer Nische und genossen einen zarten Rostbraten, als sie eine hochgewachsene Gestalt bemerkten.

»Nun schau mal, Julia, wer da kommt!«, sagte der Amerikaner.

John Russell, in dunkelgrauem Anzug, weißem Hemd und mit einer weinroten Krawatte, verbeugte sich lächelnd.

»Ich wollte gerade essen«, sagte er. »Da entdeckte ich Sie und musste natürlich herüberkommen.«

»Wunderbar!« Der Amerikaner strahlte. »Noch gestern sprach ich mit Julia über Sie. Die letzten zehn Tage waren ziemlich hektisch für mich, müssen Sie wissen. Aber ich hatte immer gehofft, dass wir uns noch einmal begegnen würden.«

»Boote und immer wieder Boote!«, seufzte seine Frau. »Setzen Sie sich, mein Freund. Wenn Sie warten wollen, bis Dwyatt einfällt, was sich gehört, können Sie alt und grau werden.«

»Vielen Dank!« Russell setzte sich auf den Stuhl, den ihm ein Kellner zurechtgerückt hatte. »Ich hatte ebenfalls viel, zu tun in den letzten Tagen. Aber übermorgen ist Schluss damit! Ich mache Ferien. Einmal richtig ausspannen - keine Briefe, kein Telefon, keine Konferenzen!«

»Das freut mich für Sie, Mr. Russell... äh... John. Ich habe endlich meinen Mann so weit gebracht, dass er das gleiche tut. Unsere Yacht ist überholt und wartet in Schottland auf uns. Morgen fahren wir hinauf.«

»Großartig«, sagte Russell. »Dann ist dies also Ihr letzter Abend in London? Hören Sie - wenn Sie nichts anderes vorhaben -, wollen wir ihn nicht gemeinsam verbringen? Wir könnten ins Varieté gehen und in ein paar Clubs, die ich kenne. Was halten Sie davon, Mrs. Ronaldson?«   

»Was meine Person anbetrifft - einverstanden! Aber nennen Sie mich doch Julia! Und was meinst du, Dwy?«

»Ich könnte mir nichts Netteres denken, Darling. Aber zunächst sollten Sie Ihr Menü bestellen, John. Der Kellner lungert schon die ganze Zeit um den Tisch herum.«

 

Zum Abendessen traf man sich in einem kleinen Restaurant im Westend. Anschließend führte Russell seine Gäste in eine Operette, die erst seit zwei Wochen aufgeführt wurde, so dass es ein Kunst. stück gewesen sein musste, dafür noch Karten zu beschaffen. Julia, in einem austernfarbenem Brokatkleid und einer schweren Perlenkette, verfolgte die Aufführung mit dem kritischen Blick der ehemaligen Schauspielerin. Sie war des Lobes voll. Anschließend besuchte man noch ein Nachtkabarett, speiste in einem verqualmten Nachtclub und unternahm schließlich noch in John Russells großer Jaguar-Limousine eine Fahrt durch die nächtliche Stadt.

»Wie ruhig es hier ist, wie sauber und gepflegt die Straßen«, meinte Julia, als der Wagen durch die fast ausgestorbenen Vorstädte glitt. »Auf diese Weise habe ich noch nie einen Abend beschlossen. Und ich muss sagen - es war einer meiner schönsten Abende überhaupt.«

»Ich bedaure sehr, dass wir uns wahrscheinlich nie wiedersehen werden«, erwiderte Russell mit einem Seufzer. »Sie reisen morgen ab, und ich verlasse London ebenfalls, um Urlaub zu machen. Nach menschlichem Ermessen werden sich unsere Wege nie wieder kreuzen.«

»Wohin fahren Sie denn eigentlich, John?«, fragte Ronaldson.

Haben Sie schon feste Pläne?«

»Nein, eigentlich nicht. Ich werde mit dem Wagen durch Cornwall streifen. Im Vorfrühling ist es dort wunderschön.«

»Ach, zum Teufel mit Cornwall! Sie kommen zu uns auf die Kakadu!« Der Amerikaner machte eine Handbewegung, um den Protest, den er zu erwarten schien, abzuwehren. »Auf der Yacht stehen eine ganze Menge Kabinen leer. Wir haben nur ein paar Freunde an Bord. Bedenken Sie doch, wie wir zusammen segeln könnten!« Er schlug sich begeistert auf die Knie.

»Eine gute Idee!«, unterstützte ihn seine Frau. »Sie kommen zu uns, John. Wir würden uns sehr freuen, Sie bei uns zu haben.«

»Aber... aber gewiss würde ich Ihre Einladung sehr gern annehmen, es ist wirklich zu liebenswürdig...« Russell ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen.

»Kein Aber! Es ist also abgemacht«, erklärte der Amerikaner fest. »Heute haben wir Dienstag... wir erwarten Sie also am Samstag auf der Kakadu. Dann werden Sie einmal schottisch-amerikanische Gastfreundschaft kennenlernen, mein Lieber!«

»Und Dwy im Kilt! Diese Gelegenheit können Sie sich unmöglich entgehen lassen«, rief Julia lachend.

Russell kapitulierte mit einem Lächeln. Kurze Zeit später setzte er das Ehepaar vor seinem Hotel ab. Einen letzten Drink lehnte er mit dem Hinweis ab, er müsse am Morgen zeitig im Büro sein. Dann fuhr er nach Hause.

Nachdem er den Jaguar unter einer Straßenlampe geparkt hätte, stürmte er die Treppe hinauf, warf die Zimmertür hinter sich zu und griff zum Telefonhörer.

»Bitte ein Gespräch nach Glasgow«, sagte er zu dem Mädchen vom Fernamt. »Clydeside sechs acht vier drei.«

Es dauerte nicht allzu lange, bis sich eine verschlafene Stimme meldete - Harrys Stimme.

»Harry, die Sache klappt. Das Wochenende verbringe, ich auf der Yacht.«

Ein zufriedenes Brummen war die Antwort.

»Bist du mit den Vorbereitungen fertig, Harry? Gut! Dann hole die Jungen zusammen, Ende der Woche - genau wie geplant. Es hat geklappt, Harry, und der Rest ist einfach.«

Er legte den Hörer auf und schenkte sich einen großen Whisky ein. Dann trat er vor den Spiegel und hob das Glas.

»Auf die Kakadu!«, prostete er sich zu.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Der Windhund, der in Harringay aus Box 4 hervorschoss, hätte aller Voraussicht nach gewinnen müssen. Kein zweiter Hund schien an ihn heranzukommen. Aber er gewann nicht. Ein armselig wirkender Schecke ging eine ganze Länge vor ihm durchs Ziel. Verdrossen zerriss Con McBride seinen Toto-Zettel und studierte das Feld des nächsten Rennens.

Ein schwarzes, sehr temperamentvolles Tier, das schnell wie der Wind sein konnte, erregte sein Wohlgefallen. Doch als sich plötzlich Jacko Bright einen Weg durch die Menge bahnte und auf ihn zukam, hatte er den Hund sofort vergessen. Jacko nickte ihm kurz zu und ließ einen Umschlag in seine Hand gleiten. McBride riss ihn auf.

Der Inhalt bestand aus fünfundzwanzig Pfund in Fünfpfundnoten, einer Eisenbahnfahrkarte und einem Zettel mit der Aufschrift von Harry. McBride zog die Brauen hoch und blickte Jacko schweigend an. Dann nickte er.

»Ich habe einen Wagen draußen«, sagte der kleine Londoner. »Komm.«

Er bahnte sich wiederum einen Weg durch die Menge, die fiebernd auf den nächsten Start wartete. McBride folgte ihm ohne Protest. Seit Wochen hatte er auf diese Nachricht gewartet. Aber er hatte nicht gewusst, dass Jacko den Boten spielen würde. Ein gutes Zeichen, dachte er. Denn obwohl Jacko körperlich reichlich klein ausgefallen war, besaß er doch die besten Beziehungen. Er war Spezialist für Autos - speziell für die Autos anderer Leute. Er verstand es auch, fast jedem Streifenwagen ein Schnippchen zu schlagen, das hatte er schon mehr als einmal bewiesen. Trotz seiner Londoner Mundart konnte er auch kultiviert sprechen und sich sehr gut benehmen. Diese Fertigkeiten hatte er sich angeeignet, als er lange Jahre Mechaniker bei der Rennmannschaft einer großen Autofirma gewesen war. Er wurde als wertvoller Mitarbeiter von jeder Verbrecherbande willkommen geheißen. Auf seinem Gebiet war er ein Fachmann wie Con, der die Kunst des Geldschrankknackens aus dem Effeff beherrschte. Sie hatten bereits zusammen in Dartmoor gesessen, und wenn auch kein absolutes Vertrauen zwischen ihnen bestand, so hatte doch jeder vor dem Können des anderen die größte Hochachtung.

Als sie sich aus der Menge gelöst hatten, konnten sie schneller ausschreiten. Jacko - klein, adrett, ein Mann in mittleren Jahren. McBride - groß und dunkel. McBride war Ire. Seine Familie, stammte aus Dublin, war aber schon seit drei Generationen in England ansässig. Als sie den Ausgang des Rennplatzes hinter sich gelassen hatten, fragte der Geldschrankknacker leise: »Was ist nun eigentlich los, Jacko? Wer ist der Boss?«

»Ich erzähle dir alles, wenn wir im Wagen sitzen. Er steht gleich hier unten an der Straße. Der Boss ist keiner von den Großen, aber wer er auch sein mag - ein Amateur ist er bestimmt nicht.«

»Wagen, sagtest du? Geklaut...?«

»Aber nein«, wehrte Jacko lächelnd ab, als sie sich dem schwarzen Ford näherten. »Er gehört zu unserer Ausrüstung, sollte man eher sagen.« Er wühlte in den Taschen. »Ich habe ihn abgeschlossen. Man kann nie wissen, was für Gesindel sich hier herumtreibt.«

Grinsend schloss er die Tür auf, setzte sich hinter das Steuerrad und öffnete die andere Tür. McBride stieg ein.      

»Erzähle!«, sagte er.

»Ich weiß lediglich, dass es sich um eine Sache in der Gegend von Glasgow handelt. Man sagte mir, dass du orientiert bist und mitmachen willst.«

»Orientiert ist gut!«, stöhnte McBride. »So’n Dicker, der sich Harry nannte - seinen vollen Namen wollte er partout nicht sagen hat mich in einer Kneipe angesprochen. Am nächsten Morgen erschien er in meiner Wohnung und stellte lauter Fragen, obwohl er die Antworten bereits zu wissen schien. Er drückte mir eine Zwanzigpfundnote in die Hand und erklärte, es sei ein Safe zu knacken. Als Anteil hat er mir fünftausend versprochen. Aber ansonsten ist er nicht mit der Sprache herausgerückt. Ich würde Nachricht erhalten, sagte er. Wenn er mir nicht den Zwanziger gegeben hätte, würde ich sagen, der Kerl ist verrückt.«

»Du wirst ihn wiedertreffen«, sagte Jacko. »Er war auch bei mir, aber er ist nicht der Boss. Frag mich nicht, wer nun eigentlich der Boss ist - ich weiß es nämlich auch nicht. Wir werden ihn in Schottland kennenlernen. Harry hat mich heute Morgen angerufen. Den Brief für dich ließ er bereits vor zehn Tagen bei mir, aber er wollte mir nicht sagen, für wen er bestimmt sei. Das erfuhr ich erst heute Morgen. Seit seinem Anruf habe ich fieberhaft nach dir gesucht.« Und zum Dank bist du so kurz angebunden, hätte er am liebsten hinzugefügt. Er erinnerte sich jedoch an die leichte Erregbarkeit seines Gefährten und schwieg lieber.

»Ich fahre morgen hinauf«, fügte er hinzu. »Die Schlüssel für den Wagen hatte ich zusammen mit dem Brief an dich erhalten, aber erst heute Morgen erfuhr ich, dass sie zu dem Ford gehören. Er stand in einer Garage in Finchley.

Also - ich nehme den Wagen, und du fährst mit der Eisenbahn. Für den Zug ab Euston nach Glasgow morgen Abend um einundzwanzig Uhr zehn ist auf den Namen Thomas Bertram ein Schlafwagenplatz reserviert. In Glasgow steigst du um in den Zug nach Gourock - das liegt am Clyde, ungefähr eine Stunde entfernt. Dort treffen wir uns. Frage mich nicht, warum wir nicht zusammen im Wagen fahren. Der Boss will es so.«

»Aber was für ein Job ist es nun eigentlich?«, bohrte McBride weiter und fuhr sich nachdenklich über das Kinn. »Bei meinen Vorstrafen komme ich nämlich das nächste Mal in Sicherungsverwahrung. Und vierzehn Jahre lang Tüten kleben - vielen Dank! Du verstehst, dass ich mich darum nicht mit dem erstbesten Idioten einlassen kann. Natürlich reizt mich das Geld, aber zunächst muss ich genauer Bescheid wissen, ehe ich mit der Arbeit beginne.« Er runzelte missmutig die Stirn.

»Nun mal sachte, Con«, versuchte ihn Jacko zu beruhigen. »Ich weiß nicht mehr und nicht weniger als du - nämlich, dass wir ein kleines Vermögen machen werden. Ich vermute, dass es sich um Juwelen handelt. Das Ding wird von innen heraus gedreht. Der Dicke ist derjenige, der die Juwelen wegschafft, und er schwört, dass alles bis in die letzte Kleinigkeit durchgeplant ist.«

»Ja, er hat mir gesagt, dass bereits eine Menge Geld in die Sache gesteckt worden ist«, gab McBride zu. »Und die Anteile, die er versprochen hat, lohnen ja auch ein Risiko. Aber warum diese Geheimniskrämerei? Ich sage dir, Jacko, etwas gefällt mir an der Geschichte nicht. Ich bin kein Angsthase, aber ich bin jetzt vierunddreißig und habe mich bis heute nicht zum Narren halten lassen.«

»Wir wollen abwarten, Con«, meinte Jacko geduldig. »Wir haben im Moment noch nichts zu verlieren. Wir können uns die Sache ruhig mal ansehen.«

Auf McBrides Stirn waren die nachdenklichen Falten nicht verschwunden. Aber er erhob keine Einwendungen mehr und zündete sich eine Zigarette an. Jacko ließ den Motor anspringen.

»Ich werde dich ein paar Straßen vor deiner Wohnung absetzen«, erklärte er. »Nur, um sicherzugehen. Und mach dir keine Sorgen wegen deines Werkzeuges. Ist alles bereits vorhanden.«

 

Kurz bevor der kalte Märzmorgen zu dämmern begann, fuhr der Schlafwagenzug in Glasgow ein. Aber erst eine Stunde später verließen die meisten Reisenden die warmen Abteile. Unter ihnen ein müder McBride, der fast die ganze vierhundert Meilen lange Strecke geschlafen hatte. Er frühstückte in aller Ruhe im Bahnhofshotel, kaufte sich ein paar Zeitungen, um die von ihm heißgeliebten Bildergeschichten zu betrachten, und ging schließlich in den Waschraum.

Nachdem er sich gewaschen und rasiert hatte, fühlte er sich frisch und munter. Am Fahrkartenschalter kaufte er sich eine Fahrkarte nach Gourock und bummelte noch ein wenig umher, bis zwanzig Minuten später der Zug nach dem Städtchen am Clyde abfuhr.

Der Zug zuckelte gemütlich nach Gourock, während McBride immer nervöser wurde und eine Zigarette nach der anderen rauchte.

In Gourock angekommen, nahm er seinen Koffer aus dem Gepäcknetz und sprang aus dem Zug, ehe er noch richtig hielt. Mit festem Schritt marschierte er durch die Sperre.

Jacko...? Er blieb stehen, als er seinen Kumpanen nicht entdecken konnte. Vielleicht wartete er draußen vor dem Bahnhofsgebäude? Als er auf die Straße trat, fuhr der schwarze Ford eben vor. Jacko war nur um wenige Sekunden zu spät gekommen.

Der kleine Engländer trug einen eleganten Sportanzug und machte ganz den Eindruck eines wohlhabenden Geschäftsmannes, der sich für einen Tag von allen beruflichen Pflichten gelöst hat. Genau das war auch beabsichtigt.

McBride winkte ihm zu und ging hinüber. Als er die Wagentür öffnete, strömte ihm wohltuende Wärme entgegen. Jacko hatte die Heizung aufgedreht, und aus dem Autoradio erklangen einschmeichelnde Melodien. Kaum war Con eingestiegen, glitt der Wagen auch schon leise schnurrend davon.

»Na, da bist du ja«, eröffnete Jacko das Gespräch. »Nette Fahrt gehabt?«

»Es war lausig«, erwiderte McBride. »Aber reden wir nicht davon. Was geht also hier vor?«

»Ich glaube, du wirst deine Fragen beantwortet kriegen, Con. Der Boss will uns sprechen. Ich habe ihn bereits kennengelernt. Er ist vor ein paar Stunden eingetroffen.« Sie hatten die Innenstadt bereits passiert, und Jacko fügte hinzu: »Wir haben nicht weit zu fahren. Höchstens noch drei Minuten.«

»Und wie ist er?«, fragte McBride neugierig. »Hast du sonst noch etwas erfahren? Um was es eigentlich geht?«

»Mir scheint die Sache okay, Con. Was den Job anbelangt, so meinte der Boss, dass er nur noch auf dich warte... Ah, da sind wir ja schon!« Der Wagen hatte ein paar Einfamilienhäuschen am Stadtrand erreicht und hielt dicht hinter einem grauen Jaguar, der vor einem weißen Haus parkte.

»Unser gemütliches Heim«, stellte Jacko mit einer großartigen Handbewegung vor. »Eigens für diese besondere Gelegenheit gemietet. Den Mieter kennst du bereits.«

Sie gingen den mit Steinplatten belegten Weg entlang. Noch ehe sie die blaue Haustür erreicht hatten, öffnete sie sich. Harry Vogt, ein Mann Ende Fünfzig, mit beginnender Glatze, die mit Zigarettenasche bestreute Weste geöffnet, so dass man die Krawatte über das runde Bäuchlein hängen sehen konnte, bot ihnen ein herzliches Willkommen.

»Tritt ein, Con«, sagte er mit dröhnender Stimme. »Jetzt ist unsere Gesellschaft komplett. Tut mir leid, dass ich dich neulich so ausgequetscht habe, aber das gehörte nun mal dazu.«

Er führte die beiden in das kleine Wohnzimmer, wo bereits drei Männer saßen. Der eine erhob sich. Ehemaliger Offizier, dachte Con und musterte den teuren Maßanzug, das gepflegte Bärtchen und das glatt zurückgekämmte dunkle Haar. Dunkelblaue Augen blickten ihn durch eine randlose Brille prüfend an.

»Willkommen, Mr. McBride«, sagte der Unbekannte herzlich und reichte ihm die Hand.

Con blickte die offensichtlich das Befehlen gewohnte Persönlichkeit misstrauisch an, schüttelte die dargebotene Hand und setzte sich auf den angebotenen Stuhl.

»Eine Runde Whisky«, befahl der hochgewachsene Mann. Als Harry sich mit Tablett und Gläsern zu beschäftigen begann, fuhr er, diesmal allerdings in kühl geschäftlichem Ton, fort: »Zunächst wollen wir uns bekannt machen. Ich habe unseren Freunden bereits von Ihnen erzählt, Con. Jacko kennen Sie bereits. Was meine Person anbelangt - ich heiße Russell. John Russell. Sie werden also in meinem Geschäft Teilhaber.«

Er hob die Hand, als Con eine Einwendung machen wollte.

»Sie machen mit, Con. Wenn Sie erst gehört haben, um was es sich handelt, werden Sie keine Sekunde zögern. Also hören Sie zu. Ich bin Direktor einer Handelsagentur. Das ist nicht nur so dahingesagt - es stimmt tatsächlich. Sie würden erstaunt sein, wenn Sie wüssten, welches Einkommen ich damit erziele. Aber zunächst muss ich Sie noch mit unseren zwei anderen Freunden bekannt machen. Drüben auf dem Sofa - das ist Mr. McKellar. Er hat einen scheußlichen Geschmack in bezug auf Schlipse und wird von seinen Freunden Flick genannt. Er ist unser starker Mann und auch Experte mit dem Schnappmesser. Die Narbe über seinem Auge stammt von einer Flasche, die ihm ein guter Freund über den Schädel geschlagen hat.«

Flick, ein zäher junger Bursche, mochte etwas über zwanzig sein. Er hatte eine schlanke, drahtige Figur und ein auffallend weißes Gesicht. Er nickte Con mürrisch zu und betrachtete weiter seine nikotinverfärbten Finger.

»Neben Flick - das ist Dan Travers«, fuhr Russell fort. »Er ist unser Seemann. Eine wichtige Persönlichkeit. Im Krieg war er sogar ein Held, soviel ich weiß. Maat auf ’nem Kanonenboot. Als er nach dem Krieg wieder als Fischer arbeitete, bekam er wiederholt Schwierigkeiten mit den Zollbehörden - es hing mit Zigaretten aus Irland zusammen.«

Con McBride lächelte dem Seemann pflichtschuldig zu - einem untersetzten, kräftigen Mann, der bequem zurückgelehnt dasaß und die Hände in den Hosentaschen vergraben hatte.

Harry brachte die gefüllten Gläser. Russell nahm eins vom Tablett.

»Vielen Dank, Harry«, sagte er. Dann wandte er sich wieder Con McBride zu. »Harry Vogt haben Sie ja auch schon kennengelernt. Er ist Experte für Juwelen. Seine Arbeitgeber waren immer sehr böse, wenn sie merkten, dass er Muster an sich genommen hatte.

Harry hat bereits für mich gearbeitet. Es gehörte zu seiner Aufgabe, Kontakt mit euch aufzunehmen. Dank seiner Hilfe war es leicht, die richtigen Kandidaten für das Unternehmen auszusuchen.« Er blickte sich langsam um. »Jeder von uns hat eine ganz bestimmte Aufgabe zu erledigen. Außer Harry weiß niemand von euch, um was es geht. Also trinken wir. Und dann werden Harry und ich euch alles erklären.«

Russell und Harry Vogt traten an den Tisch und entfalteten eine Karte, die Harry aus einer Kommode geholt hatte. Als die übrigen mit den Gläsern in der Hand hinzukamen, erklärte Russell: »Dies ist eine Karte des Firth of Clyde.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf Gourock, das auf der anderen Seite der Mündung lag. »Hier ist der Firth nur zwei bis drei Meilen breit, und fast genau auf der anderen Seite...« Sein Zeigefinger fuhr weiter. »...liegt Dunoon, ein Seebad, und gleich oberhalb diese Bucht mit dem Namen Holy Loch. Wie lange würde man Ihrer Meinung nach brauchen, Dan, um mit einem starken Motorboot da hinüberzukommen?«

»Von hier ungefähr dreißig Minuten«, brummte der Seemann. »Hängt natürlich vom Wetter und den Gezeiten ab.«

»So habe ich auch kalkuliert. Im Holy Loch liegt im Augenblick, eine große Yacht, die Kakadu. Schon mal von ihr gehört?«

Harry lächelte, als die vier die Köpfe schüttelten.

»Vielleicht sagt euch aber der Name Dwyatt Ronaldson etwas? Oder Julia Martin?«

Jacko schnappte nach Luft. »Aber klar! Julia Martin - das ist doch diese Schauspielerin vom Broadway. Sie hat kostbare Juwelen. Aber da besteht nicht die geringste Chance, an sie heranzukommen. Als sie vor drei Jahren in London war, habe ich es schon einmal zusammen mit einer Bande versucht. Das Landhaus, in dem sie wohnte, war Tag und Nacht bewacht, und im Garten waren ein paar bissige Hunde, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Wir gaben es auf. Wenn Sie in der Richtung etwas vorhaben, kann ich nur dringend abraten. Sie werden überhaupt nicht in ihre Nähe kommen.«

»In diesem Punkt irren Sie sich, Jacko«, erwiderte Russell lächelnd. »Julia Martin ist mit Dwyatt Ronaldson verheiratet, der zufällig ein paar Millionen besitzt. Ronaldson ist nebenbei der Chef des Ronaldson-Clans. Dieses Jahr feiern die Herrschaften ein wichtiges Jubiläum. Darum liegt seine schöne Yacht da drüben - direkt vor unserer Nase. Er und seine Frau befinden sich an Bord. Es handelt sich um eine Yacht mit Dieselmotoren, von fünfhundert Tonnen. Auf ihr wird ein großer Empfang gegeben werden.«

»Und seine Frau bringt den ganzen Juwelenkram mit, um vor ihren schottischen Verwandten ordentlich anzugeben«, fügte Jacko sarkastisch hinzu.