AUFBRECHEN! - Gunter Dueck - E-Book

AUFBRECHEN! E-Book

Gunter Dueck

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Beschreibung

Es geht um unsere Zukunft! Die Dienstleistungsgesellschaft stirbt, weil neue Technologien die Hälfte aller Jobs überflüssig machen. Die Überlebensperspektive für die Zukunft liegt in einer Hochbildungskultur - es ist unsere einzige Chance, sagt Wirtschaftsvordenker Gunter Dueck. Die Diagnose: Den westlichen Gesellschaften drohen Elite und Slum: auf der einen Seite wenige hoch bezahlte Jobs in der Steuerung von Prozessen, auf der anderen Seite viele Menschen, die einen neuen Job suchen, aber keinen finden, weil sie nicht entsprechend (aus-)gebildet sind. Die Chance: Auf die Agrar-, Industrie- und Dienstleistungskultur folgt die Wissenskultur: Brain-Jobs in IT-, Umwelt-, Medizin-, Gen-, Nano- und Biotechnologie. Sie sind da. Es sind nur zu wenige. Was wir tun müssen: Exzellenzgesellschaft meint Jobs für das Gehirn. Das muss trainiert werden. Von jedem. Keine Ausreden mehr: Jeder muss studieren! Was der Staat tun muss: Die alte Klientelpolitik gehört in Rente. Unser Weg in die Exzellenzgesellschaft führt vom Subventions- zum Investitionsstaat, der die notwendige Infrastruktur von Wissen und Bildung bereitstellt. Superschnelle Datenhighways statt Fernstraßen.

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GUNTERDUECK

AUF-BRECHEN

Warum wireine Exzellenzgesellschaftwerden müssen

Campus Verlag GmbH

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich.

Copyright © 2020 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main.

Die Originalausgabe erschien 2010 im Eichborn Verlag, Frankfurt am Main.

Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln

ISBN 978-3-593-44580-9

Kontaktinformationen zum Autor Gunter Dueck finden sichauf dessen Homepage www.omnisophie.com

www.campus.de

Inhalt

Deutschland neu erfinden!

Zum Titel des Buches

Veränderungen der Infrastrukturen sind wie tektonische Beben

Kulturumschwung von Stress zu Aufbruch

Hin zu einer kultivierenden Wirtschaftspolitik

Kurz skizziert – der weitere Aufbau dieses Buches

Das Ende der Dienstleistungsgesellschaft

Effizienter Einsatz von Human-Ressourcen

Abwälzen von Arbeit auf den Kunden

Der Kunde missbraucht Services und schafft sie dadurch ab

Beginnende Dominanz von Dienstleistungsfabriken

Was bleibt denn noch vom Menschen zu tun?

Globalisierung ist Effizienz

SSME – die neue Effizienzwissenschaft

»The Smarter Planet« – Evolution der Infrastrukturen

Jeder muss und kann studieren!

Die Verantwortung, aus sich selbst etwas zu machen

Höhere Qualitätsanforderungen – die Service-Schere

Was heute mittelmäßig ist, geht morgen gar nicht mehr

WANTED: Multikompetente Persönlichkeiten

Bildungsindustrialisierung und Kompetenzignoranz

Culture Technologies – »Dreimal mehr in jeden Kopf«

»The Brighter Planet« – made in Germany

Breite Exzellenzkultur – nicht Elite & Slum!

Wissen als Kultur oder Privileg?

Einige Ich- und Wir-Kulturen und deren Weltbilder

Menschen und Manager in der Industrialisierungsphase (»Ich«)

Menschen und Manager für die kommende Wissensgesellschaft (»Wir/Ich«)

Nach Krisen geht es woandershin – nicht zurück

Zukunftskonstruktivität mit Zukunftsmenschen

Zukunftsausschau

Die Ambivalenz der Zukunft

Zukunftskonstruktivität – so sehen es unsere Kinder

Orientierung an gemeinsamen Zukunfts-Leitbildern

Das Denken nur einmal auf einmal verändern

Strebende infrasoziale Marktwirtschaft!

Infrastrukturen sind wichtiger als Innovationen

Infrastrukturen als Gemeinschaftsaufgabe

Fehler Nummer 1: Gießkannenförderung von Einzelinnovationen

Fehler Nummer 2: Gießkannenrettung von Vergangenem

Fehler Nummer 3: Hybris im Hype

Zukunftsstrukturen sind die besten Konjunkturprogramme

Masterplan Zukunft Deutschland

Unsere Zukunft ins Herz und  ins Grundgesetz!

Kritik des Grundgesetzes

Darf und soll

Festlegen, was der Mensch in der Zukunft sein soll

Eine Staatsenergie für Zukunftsvorstellung und Menschenbild!

Bürgerpartizipation – eine Frage der Ehre

E-Democracy

Zusammenfassend: »Mein lichtblaues Parteiprogramm«

Deutschland neu erfinden!

Zum Titel des Buches

Wundert Sie es nicht, dass immer noch wirkliche Autos aus den Fabriken herauskommen, obwohl dort jedes Jahr Tausende von Arbeitnehmern entlassen werden? Dass Banken und Versicherungen immer noch funktionieren, obwohl sie jetzt über beträchtlich weniger Personal verfügen? Wenn wir von Massenentlassungen im Fernsehen erfahren, reagieren wir zunehmend allergisch und wütend. Wir sind schnell dabei, über »Gier« und »Menschenverachtung« zu schimpfen. Wir sind fest überzeugt,

→ dass dadurch die Qualität der Arbeit abnimmt,

→ dass es nicht ewig so weitergehen kann und

→ dass Deutschland das nicht länger tragen kann, denn: »Wohin mit all den Leuten, die keine Arbeit haben?«

So die normale Sicht der meisten von uns, die so nicht stimmt. Die wahre Ursache liegt nicht ursprünglich in uneinsichtigen, gewinnsüchtigen Managern, sondern in einem tief greifenden Wandel der Arbeitswelt begründet, der mit dem Computer anfing, sich mit dem Internet ungeheuer beschleunigte und der nun mit dem Umbau der Kommunikationsinfrastruktur zu ganz extremen Veränderungen führen wird. Für diesen Wandel möchte ich mit diesem Buch den Blick schärfen helfen.

Ich weiß, Sie werden seufzen, wenn ich die schon viel zu oft bemühte Wendung vom radikalen Wandel hier auch verwende. Sie haben diese Phrase vielleicht tausend Mal ungläubig oder verbittert gehört – von obskuren Visionären bis hin zu Managern, die mit der Notwendigkeit des radikalen Wandels jede noch so barbarische Zwangsmaßnahme im Unternehmen begründeten. »Wind of Change«, »Umbau«, »Neuaufstellung«, »kein Stein auf dem anderen«, »alles auf den Prüfstand«, »jeden feuern, der nicht voll mitzieht, alle anderen später auch«! Durch solche mitarbeiterfeindlichen Parolen wird die Diskussion um den Wandel entweder ganz unterdrückt oder geht bei jedem Versuch sofort in Lagerkämpfen unter.

Dabei ist die Lage wirklich sehr ernst. Ich will Ihnen zeigen, wie die Dienstleistungsberufe in den nächsten Jahren gnadenlos optimiert und automatisiert werden. Vielleicht die Hälfte aller Deutschen wird sich einen neuen Job suchen müssen oder in einen anderen hineinwachsen. Ja, es gibt einen Niedergang vieler lieb gewonnener und klassischer Berufe, aber auf der anderen Seite auch viele aufstrebende Bereiche in mehr akademischen, technischen und kreativen Sektoren, wo es sich gut arbeiten lässt. Den Niedergang menschlicher Berufe durch Automatisierung halten wir nicht auf. Er vollzieht sich automatisch im Zuge von normalen Effizienzbestrebungen, die wir langsam schon als »Sparwahn« empfinden. Wir müssen mit der Entrüstung aufhören, uns verabschieden und umorientieren. Ich könnte sagen: Deutschland als Land muss sich einen neuen Job suchen.

Den gibt es! Fragen Sie nicht immer wieder, als wollten Sie, dass es besser keine Antwort darauf gäbe, auf die hin man hart arbeiten muss: »Wo gibt es gut bezahlte, interessante und erfüllende Arbeit?« Die gibt es, ganz klar: in einer Exzellenzgesellschaft. Das muss eine Wissensgesellschaft sein, in die wir alle mitnehmen, eine ganz und gar unelitäre Veranstaltung. Exzellenz für alle, die wir am besten nach bewusster Entscheidung plan- und druckvoll aufbauen müssen AUFBRECHEN! Das ist die Forderung der Zeit. Wir dürfen nicht festkleben an alten Strukturen und müssen uns als Land und Kultur in eine neue Zeit transformieren.

Was viele Gurus schon ganz lange sagen, wird heute, durch Computer und Internet, notwendig und gleichzeitig auch möglich. Internet und Computer automatisieren vieles von »uns« bis über jede Schmerzgrenze hinaus, aber sie machen auch technisch den Weg in eine neue Gesellschaft frei.

Lassen Sie mich die Dramatik des Geschehens durch Beispiele aus Ihrem Alltag aufhellen: Sie gehen in den Supermarkt und kaufen eine Dose gehackte Pizzatomaten für 29 Cents oder ein tiefgefrorenes Hähnchen für 1,49 Euro. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wie diese Dose zu Ihnen kommt? Da haben Mitarbeiter Tomatensamen gekauft und Tomaten angezüchtet. Die Setzlinge kommen in Gewächshäuser und werden gegossen und gedüngt. Die Früchte werden geerntet, gewaschen und zerhackt. Derweil sind Lastwagen mit leeren Dosen gekommen, eine Druckerei bringt Etiketten. Eine Abfüllanlage kombiniert Tomaten, Dosen und Etiketten zum fertigen Produkt. Das wird nun auf Lkws zum Großhandel gebracht und gelagert. Schließlich wandert es als Nachschub in den Supermarkt. Der bezahlt vielleicht 20 Cents für die Dose, die Sie dann für 29 Cents mit nach Hause nehmen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie selbst müssten die Tomaten in Heimarbeit herstellen. Sie kaufen also in der Gärtnerei eine angezogene Tomatenpflanze für 33 Cents (schon mehr als die Dose kostet!), kaufen einen Topf und Dünger dafür, zählen die Minuten zum Gießen … Dämmert Ihnen, welche traumhafte Leistung unserer Industrie darin liegt, die Dose für 29 Cents zu liefern? Im Winter und Sommer? Wenn Sie das noch nicht beeindruckt, wiederholen Sie dieses Gedankenexperiment mit dem Hähnchen. Sie kaufen ein befruchtetes Ei für 23 Cents, lassen es im Ofen ausbrüten, Sie füttern das Küken ein paar Monate, schlachten das Hähnchen, rupfen die Federn, nehmen es aus, reinigen es, verpacken es gut, frieren es ein und verkaufen es einem Supermarkt für 1,15 Euro, damit es dort für 1,49 in der Truhe liegt.

Und dann erinnern Sie sich an den letzten Besuch Ihres Versicherungsvertreters, der Ihr neues Auto versichert hat. Er schreibt den halben Fahrzeugschein ab, ganz gewissenhaft die ellenlange Fahrgestellnummer, und blättert in Risikotabellen. Er diskutiert mit Ihnen, wie viele Kilometer Sie im Jahr zurücklegen und ob die Markise vor dem Haus als schützender Carport im Sinne der Versicherung gewertet werden kann. Zur Sicherheit schreibt er, wie bei jedem Besuch, die Nummer des Kontos auf, von dem die Lastschriften abgehen. Das Ganze dauert eine halbe Stunde, dazu kommen An- und Abfahrt und die Telefonate zur Terminvereinbarung. Der Agent fährt dann nach Hause und bucht alles richtig ein. Die Versicherung wiederum … Verstehen Sie? Es kostet eine solide Stunde der Versicherung, also etwa 80 Euro und eine gute Stunde von Ihnen selbst, vielleicht 20 Euro in entgangenem Lohn, also 100 Euro. Das sind mehr als 300 Dosen Tomaten oder mehr als 65 Hähnchen!

Und ich sage Ihnen: In näherer Zukunft bekommen Sie eine Autoscheckkarte beim Autokauf dazu! Die zeigt man einem Versicherungsautomaten (der ähnlich aussieht wie die Automaten beim Einchecken im Flughafen) oder dem »Internet«. Piep! Alle Autodaten sind sofort im Automaten drin! Der fragt Sie: »Wollen Sie es zu denselben Konditionen wie das alte Auto versichern? Ja? Nein?« Sie tippen »Ja« und das war’s schon. Die Kosten? 10 Cents für den Versicherer und ein paar Euro Ihrer eigenen Zeit.

Dienstleistungen wie beispielsweise das Abschließen von Versicherungen bestehen nüchtern besehen lediglich aus dem Erfassen und Eintippen von Daten aus einem System in ein anderes. Solche Arbeit ist manuelle Datenverarbeitung mit einem Lächeln dazu. Dienstleistungen sind im Vergleich zur Produktivität der Industrie atemberaubend ineffizient und werden in Zukunft durch Computer automatisiert, eben weil sie vom Charakter her »Datenübertragung« sind. Da drängt sich ein Computer doch direkt auf! Und alle der Datenübertragung oder -verarbeitung ähnlichen Berufe sind dabei zu verschwinden oder sich entscheidend zu wandeln. Der Computer übernimmt die Arbeiten vieler, vieler Menschen! Diese Arbeiten werden zwar nach wie vor verrichtet, aber nicht von uns! Deshalb verschwinden nicht die Dienstleistungen an sich. Wir werden nur keine typische Dienstleistungsgesellschaft mehr sein, in der sehr viele von uns noch Dienstleistungen im klassischen Sinn erbringen.

Viele Berufe werden überdies durch das Internet »virtualisiert«. Diese Berufe gibt es zwar damit noch, sie können aber ortsunabhängig und deshalb auch »in Indien« ausgeübt werden. Diese Entwicklung kennen Sie, aber meist nur unter dem Stichwort »Globalisierung«. Wie schwerwiegend diese Entwicklung ist, glaubt allerdings keiner. Globalisierung wird oft nur als Lohndumping-Argument gesehen. Die meisten von Ihnen sehen in der Regel nicht, wie ernst die Lage ist, wie sehr sich alles noch verändern und umgestalten wird. Ich gebe Ihnen einmal ein zugegeben futuristisches Beispiel, das Sie noch besser verstehen, wenn Sie einen Panzerführerschein haben:

Im Gefecht schaut der Fahrer eines Panzers natürlich nicht aus seiner Luke heraus, sondern er lenkt den Panzer von innen und sieht die Außenwelt und die Richtung nur über Winkelspiegel. Im Kern sieht er nicht die Wirklichkeit der Straße an sich – er sieht sie auf einem Spiegel oder eben »Bildschirm«. Das ist nicht angenehm, reicht aber zum Fahren aus, und verlangt allerdings einige Übung und Erfahrung – und es kostet bis dahin ein paar Bäume, Randsteine und Nerven. Wir könnten nach diesem Vorbild des Winkelspiegels alle Autos mit Kameras in alle Richtungen ausrüsten! Deren Bildaufnahmen werden ins Internet gefunkt und wir sehen sie auf mehreren Bildschirmen oder Fenstern vor uns, meinetwegen auf unserem Laptop, mit dem wir gerade im Garten sitzen. Wir könnten nun das Auto wie in einem Computerspiel per Internet starten und irgendwohin fahren. Schauen Sie: Es ist erlaubt, mit Panzern und Winkelspiegeln zu fahren – warum also nicht per Laptop?

Dann brauchen wir keine Fernfahrer mehr, nur noch Fernfernfahrer, oder Remote-Fahrer. Die steuern dann die Lastwagen vom Wohnzimmer aus. Nach acht Stunden fahren sie den physikalisch realen Lkw auf einen realen Parkplatz und stellen ihn ab. Sie geben den Fahrerjob an einen anderen Mitarbeiter der Transportfirma ab, der jetzt die Weiterfahrt von seinem Wohnzimmer aus übernimmt. Der Lkw fährt jetzt ohne Pause. Er wird vielleicht sogar aus verschiedenen Ländern gelenkt, die andere Zeitzonen haben. – Übertragen Sie das Ganze einmal auf das Taxigewerbe! Sie klopfen an ein Internet-Taxi. Das bittet um Ihre Kreditkarte. Es lässt sich jetzt öffnen. Sie steigen ein und sehen auf einem Bildschirm Ihren Fahrer. Der fragt nach Ihrem Wunsch, trägt alles in ein Navigationsgerät ein und fährt Sie hin!

Die Taxis könnten jetzt besser koordiniert werden. Das Taxiunternehmen hat die Taxis nach wie vor dort stehen, wo sie jetzt auch immer stehen (vor dem Bahnhof oder am Flughafen), aber man braucht nicht mehr für jedes Taxi einen Fahrer zu beschäftigen. Immer wenn ein Taxi gebraucht wird, teilt das Taxiunternehmen dem Taxi einen freien Wohnzimmerfahrer zu. Auf diese Weise kann man es schaffen, dass die Taxifahrer nun die volle Arbeitszeit fahren, also voll ausgelastet sind. Keiner wartet mehr!

Es bedeutet aber, dass wir nur noch ein Drittel oder Viertel der Taxifahrer brauchen und dass das Taxifahren für uns wesentlich billiger wird – denn der Fahrer kostet gut zwei Drittel der Gesamtkosten der Taxifahrt.

Ich weiß schon – das Ganze funktioniert nur dann, wenn insbesondere das Internet nicht abstürzt etc. Aber Sie verstehen im Prinzip, wie weitgehend Berufe verändert werden können? Und wie schrecklich ineffizient sie im Augenblick angesichts der Möglichkeiten der neuen Technologien organisiert sind? Sehen Sie denn nicht jeden Tag vor dem Bahnhof die Massen wartender Taxifahrer, die nur wenig verdienen? Fahren Sie auf Autobahnen in der Nacht nicht oft an den Parkplätzen vorbei, die wie Lkw-Schlafburgen wirken? Die Lkws stehen einfach dort herum! Kein Mexikaner fährt sie! Und die kurz schlafenden realen Fahrer können kaum vom Job leben und werden von ihm krank.

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit weiteren Beispielen im Buch einen tiefen Eindruck machen und Ihren Blick auf Problemlösungen lenken kann – wie gesagt: Hören Sie bitte mit der resignierten Frage auf: »Was sollen denn die Menschen alle tun, wenn die Arbeit so weitgehend entfällt?«

Das zeige ich jetzt. Und Sie wissen es ja. Die meisten von uns aber wollen nicht aufbrechen, obwohl sie wissen, dass sie es tun sollten.

Wir alle wissen: Wir müssen in die »Exzellenzgesellschaft«, in eine Gesellschaft, die erfindet und sich auf fortgeschrittene Technologien konzentriert.

Wir wissen doch, dass alle Chinesen und Inder noch Häuser, Autos und Infrastrukturen wie beispielsweise Autobahnen brauchen. Wir wissen alle, dass das Aufstreben dieser Länder eine gigantische Arbeit sein wird, bei der wir mitmachen können. Ein Land wie Deutschland kann komplett von der Entwicklung und Produktion der Spezialwerkzeuge und High-End-Produkte für die aufstrebenden Länder leben.

Wir wissen, dass wir als Exzellenzgesellschaft ein sehr gutes Auskommen haben werden. Wir müssen nur energisch aufbrechen. Dazu rufe ich hier auf. Was hindert uns denn?

Ich spüre harten Widerstand. Es gibt einen Punkt, an dem wir uns überfordert fühlen. Wir wissen nämlich auch, dass eine Exzellenzgesellschaft eine allgemeine Hochbildung verlangt. »Fast jeder muss studieren.« Das vertrete ich derzeit bei meinen Reden und muss mich sehr warm anziehen. Mir schlägt der Grimm mit gereizten Worten entgegen: »Die meisten Menschen sind nur Durchschnitt und können das nicht. Die Gene sind sehr unterschiedlich.« Es hilft nichts, wenn ich beweise, dass in Finnland oder Schweden schon fast alle studieren – und dass in Schweden immer zwei (!) Lehrer eine kleine (!) Klasse betreuen und eben aus jedem Schüler liebevoll etwas machen. Es hilft mir nichts – der Grimm im Publikum bleibt. Es ist schwer, die Forderung nach Hochbildung in einem Land zu stellen, in dem von uns Älteren noch nicht so arg viele das Abitur haben! Dieses ganze Widerstreben zeigt, dass wir kulturell gesehen noch gar nicht auf Hochbildung vorbereitet sind. Dies liegt an dem negativen Menschenbild, das wir Deutschen haben. Bei uns glaubt der Durchschnittliche, dass die Menschen eben biologisch durchschnittlich seien! Und nur die Besten würden gewinnen, und das wären nur wenige. Die Idee aber, den Durchschnitt in der Bildung stark anzuheben, wird hartnäckig abgetan. »Wir lernen doch alle, so gut wir nur können. Was willst du? Uns anklagen?« Und ich frage: »Habt ihr denn immer die Hausaufgaben gemacht?« – »Nein, wir hatten zu große Klassen, demotivierte Lehrer und langweiligen Stoff. Was soll man da tun?« – »Und warum machen wir es nicht wie in Schweden?« – »Das kostet zu viel und geht auch biologisch nicht. Die Statistiken zu PISA sind bestimmt gefälscht.«

In solchen Diskussionsverläufen spiegelt sich der Widerstand gegen eine Kulturveränderung wider. Den will ich mit diesem Buch aufbrechen helfen.

Ich halte Ihnen also im Folgenden den Niedergang der Dienstleistungsberufe vor Augen, ich zeige den Weg zur Exzellenzgesellschaft auf, arbeite die sich stellenden Kulturprobleme heraus und fordere Maßnahmen bis hin zu einer vierten Staatsgewalt, die sich um gesunde Zukunftsentwicklung kümmert.

Wir werden sehen können,

→ dass durch Automatisierung die Qualität der Services zunimmt,

→ dass wir durch Hochbildung einen guten Weg in die Zukunft haben und

→ dass Deutschland für jeden einen guten Platz haben kann.

→ Noch einmal: Hören wir also auf, verzagt »Aber was wird dann aus mir?« zu fragen und dabei nach links und rechts auf andere Verzagte zu schauen. Der Blick muss doch nach vorne gerichtet sein! Aufbrechen! Nicht nur ein paar von uns, die an Eliteuniversitäten studieren – alle!

Veränderungen der Infrastrukturen sind wie tektonische Beben

Das Internet führt zu einer vollständigen Umstellung aller Infrastrukturen. Solche Veränderungen kennen wir theoretisch aus früheren Zeiten. Wir wenden die Erkenntnisse aus den damaligen Zeiten aber nicht auf unser Leben an, weil die Veränderung als solche natürlich eine andere ist.

Beispiele aus der Geschichte gibt es genug:

→ Die Eisenbahnen veränderten die Länder, führten zur Erschließung des Wilden Westens und von Kalifornien. Es gab damals einen weltweiten großen Börsenrausch und einen schrecklichen Crash danach – wie heute.

→ Die Elektrifizierung und das Erdöl für die Motoren ermöglichten ganz neue Industrien. Man versprach sich sehr viel davon und erlebte nach dieser Begeisterungsphase die große Krise im Jahre 1929.

→ Die Autoindustrie erlebte in den 80er Jahren einen sagenhaften Aufschwung, den sie der Rationalisierung durch Automation verdankte. Die rosigen Aussichten ließen die Kurse in die Höhe schießen. 1987 folgte ein Crash mit großer Ernüchterung.

Diese Zusammenhänge zwischen Aufstieg und Niedergang im Zusammenhang mit den großen Basisinnovationen habe ich ausführlich in meinem Buch Abschied vom Homo Oeconomicus beschrieben: Wenn eine neue Basistechnologie in die Welt tritt, wird sie erst als großartige Möglichkeit bejubelt, die existierenden Dinge viel besser und billiger herstellbar zu machen. Die Unternehmer wittern überall Goldgruben und lösen einen Gründungsboom aus. Diesem Aufschwung folgt fast immer eine Ernüchterung und dann ein Crash.

Warum fährt der erste Gründerboom meist so gründlich an die Wand? Die Unternehmer versuchen, an einzelnen Stellen Geld zu machen, und verstehen nicht, dass die Basisinnovation in Wirklichkeit die Welt verändert. Die Entrepreneure denken zu lokal und zu kurzfristig. Sie sehen das wirkliche Beben nicht. Haben Sie in der Schule das Schauspiel Die Weber von Gerhart Hauptmann gelesen? Automatische Webstühle schafften viel höhere Leistung fast ohne menschliche Arbeitskraft. Die Menschen mussten hungern. Viele starben. Nur einige wenige Hochqualifizierte, die die Webstühle bedienen konnten, blieben in Geld und Brot. Die Unternehmer frohlockten, aber dann war die Bevölkerung zu arm, um die Produkte zu kaufen – jetzt starben die Unternehmen … Erst nach einer großen Notzeit kam wieder ein Aufschwung. Immer mehr Maschinen schafften neue Produkte, die Kinder der Weber fanden neue Arbeit in neuen Berufen, wenn sie denn die Krise überlebt hatten. Das Leben der Menschen selbst aber hatte sich durch den Wandel in der Technologie grundlegend verändert.

Hätte man etwas tun können, um die Katastrophe zu verhindern? Damals machte sich niemand Gedanken, was mit den Massen von Arbeitslosen geschehen würde. Niemand sah die Armutswelle voraus, jedenfalls nicht mit großer Besorgnis um die Industrie. Niemand kümmerte sich darum, dass »sich Deutschland einen neuen Job suchen musste«. Das ist heute wieder so. Die neuen Technologien ermöglichen dramatische Einsparungen – vor allem durch das Freisetzen von Personal. Niedrig bezahlte Arbeitsplätze fallen weg, durchschnittlich bezahlte werden in den Niedriglohnbereich gedrückt und die verbleibenden Leistungsträger der neuen Welt bekommen richtig gutes Geld, weil es am Anfang der neuen Zeit noch viel zu wenige von ihnen gibt. Wenn sich diese Umwälzung zu schnell vollzieht, kommt eine Armutswelle über das Land und konsequenterweise infolgedessen ein Käuferstreik, der schließlich zum Crash der Wirtschaft führt. Was also hätte man tun können?

→ Den Wandel in der Schnelligkeit dämpfen und vernünftig steuern, damit die Menschen nicht verhungern und die Unternehmen nicht in den Bankrott gehen.

→ Einen Teil der Basisinnovationsgewinne an die Mitarbeiter abgeben, damit sie nicht verarmen und es nicht auf diesem Weg zur Katastrophe kommt.

→ Die arbeitende Bevölkerung auf den Wandel positiv einstimmen und sich um neue Berufe und Industrien bemühen, die durch die neue Technologie möglich werden.

Heute sitzen wir in einer solchen Armutsfalle. Der Wandel kam und kommt weiterhin noch sehr, sehr schnell und wird als solcher in dem Maße gar nicht erkannt. Die Löhne fallen, weil viele der Mitarbeiter vor der vollständigen Automatisierung in Niedriglohnfirmen beschäftigt sind, die »abgespalten« werden. So sollen die Mitarbeiter immer mehr selbst die Risiken der Nichtbeschäftigung tragen. Der Konsum sinkt, die Immobilienpreise fallen, die Banken haben sich schwer verkalkuliert, weil sie immer dachten, dass die Wirtschaft zwangsläufig floriert, wenn die Gewinne steigen. Sie gaben vollkommen sorglos Kredite an jedermann. Die Wirtschaft erstickt aber jetzt gerade an den Gewinnen der letzten Jahre, weil die Mitarbeiter zu wenig teilhaben konnten und als Kunden der Unternehmen ausfallen. Wer das in der Öffentlichkeit zu vertreten wagte, wurde als unbelehrbarer Gewerkschafter oder Linker gescholten. Die Unternehmen wundern sich, dass die einstigen Mitarbeiter nach den technologischen Umwälzungen und Entlassungen plötzlich die heute falsche und unbrauchbare Ausbildung haben (immer noch »Weber« sind). Sie beschimpfen die sich selbst überlassenen Menschen, sich endlich vernünftig weiterzubilden. Wir haben Arbeit genug, behaupten die Unternehmen. Wir suchen Leistungsträger der neuen Welt. Der Mangel an solchen verhindert, dass sich die Wirtschaft erholt. Und sie meinen: Deutschland fällt zurück, weil es an (billigen) Ingenieuren und Informatikern fehlt. So kann es sein, dass die Leistungsträger der neuen Welt dann bis zum Burn-out rund um die Uhr arbeiten, während die anderen zum guten Teil nach Hause geschickt werden, weil sie eine zu geringe oder eine falsche (= alte) Ausbildung haben.

Müssen wir auch diesmal über die volle Distanz dieses ganz breiten Jammertals gehen, weil alle gemeinsam ohne Vorbereitung hineinschlittern und denken, es regele sich irgendwann wieder von allein, wenn nur die Zinsen tief gehalten würden und der Staat genug Schulden macht?

Wir kennen doch das Muster dieser tektonischen Verschiebungen aus der Vergangenheit, die durch neue Technologien ausgelöst wurden. Sollten wir sie nicht als Denkanstoß nehmen, um uns über unsere jetzige Situation klar zu werden und die richtigen Entschlüsse zu treffen?

Statt eine gelehrte Abhandlung zu schreiben, erkläre ich die typischen Veränderungen ganz einfach am »Verschwinden« der Landwirtschaft in Deutschland. Als ich auf einem Bauernhof in Groß Himstedt zwischen Hildesheim und Braunschweig aufwuchs, war gut die Hälfte aller Arbeitnehmer in Deutschland in der Landwirtschaft tätig. Heute sind es noch knapp zwei Prozent (in Worten: zwei).

Sehen Sie auf meinen Vater in der Mitte der 50er Jahre. Er pflügt mit Pferden. Die brauchen einen Stall und Futter auch im Winter. Urlaub ist fast unmöglich, denn die Kühe, Rinder, Schweine, Hühner, Gänse sind immer da, Urlaubsvertretung gibt es kaum. Um 5 Uhr morgens beginnt der Tag mit dem Melken, am Abend endet er mit einer letzten Fütterung der Tiere. Oft mussten wir nachts raus, weil eine Kuh von der Kette gekommen war und frei im Stall herumgeisterte. Alles muhte, die anderen Kühe bekamen es im Dunkeln mit der Angst zu tun. Oft wurden Kühe krank, ab und zu starb ein Kalb. Zweimal mussten wegen der Maul- und Klauenseuche unsere lieb gewonnenen Kühe weggeschafft werden. Die Pflichtversicherung zahlte einen Teil des Schadens. Mein Vater bewirtschaftete als Pächter einen nach heutigen Maßstäben eher kleinen Bauernhof (30 ha), hatte vielleicht 40 Mitarbeiter, die entweder ständig arbeiteten oder zeitweise zur Ernte dazukamen. Auf den Feldern baute man damals auch Rotkohl, Weißkohl, Wirsing, Blumenkohl, Spinat, Möhren, Erbsen, Bohnen, Salat, Kartoffeln und Kohlrüben an – nicht nur Getreide!

Und dann kaufte mein Vater Technologie – einen Trecker.

Die Pferde wurden unter unseren Kindertränen als erste Arbeitnehmer entlassen und in eine ungewisse Zukunft geschickt. Sie verschwanden eines Tages. Der Trecker stand jetzt im Pferdestall, wie er noch heute genannt wird. Der Futterplatz wurde durch einen Dieseltank ersetzt. Die Plackerei des Pflügens entfiel jetzt fast ganz! Diese Arbeit war nun fast eine Freude.

Auf der anderen Seite verursachte der Trecker viele Probleme auf dem Hof. Er war sehr teuer und musste abgezahlt werden. Er ging oft kaputt – mein Vater musste neu lernen und wurde fast Hilfsmechaniker. Der Trecker versank bei nasser Erde, die Erdbrücken über die Entwässerungsgräben entlang den Äckern waren zu weich und mussten gefestigt werden. Die Speichenrad-Ackerwagen hatten keine Anhängerkupplungen. Mein Vater musste also neben dem Pflug auch nach und nach alle Geräte erneuern. Er kaufte einen Ackerwagen mit den heute noch üblichen Gummireifen. Die waren zu breit für die Brücken über die Gräben. Die Wege zwischen den Äckern bekamen tiefe Spuren von den Treckern und verschlammten. Es gab schon damals »Grüne«, die das Ende der Welt heraufkommen sahen. Der Acker werde sich von den tiefen Spuren nie erholen. Es kamen wilde Gerüchte in Umlauf (so wie ganz früher bei Eisenbahnen, dass Passagiere bei hohen Geschwindigkeiten stürben).

Die Technologieinvestitionen mussten sich ja auszahlen! Mein Vater musste überlegen, Leute zu entlassen. Er rationalisierte, indem er nur noch Feldfrüchte anbaute, die zum Trecker passten. Das waren und sind noch heute die Getreidearten und die Rüben. Der Gemüseanbau fiel der Standardisierung der Produktion zum Opfer. Die meisten Saisonarbeiten zum Erbsenpflücken oder zum Spinatschneiden entfielen, die Mitarbeiter wurden verabschiedet. Das Leben mit dem Trecker wurde körperlich leichter, eintöniger und wurde mehr zur Routine.

Der Trecker konnte effizienter eingesetzt werden, wenn er große Felder bearbeiten konnte. Bei Gemüseanbau in Handarbeit sind kleine Beete in Ordnung, für Trecker nicht. Die Bauern begannen, Felder zu tauschen, sodass sie weniger und größere Felder besaßen.

Die Technologie zog auch in die Ställe ein. Melkmaschinen mit Oberleitungen der Milch in große Stahlbottiche kamen auf. Mein Vater musste wieder investieren. Die Melker zitterten. Mein Vater sah, dass die hohen Kosten der Technologie zur Spezialisierung zwangen. Ein Trecker reicht eigentlich für zwei oder drei Höfe und eine Melkmaschine für viel mehr Kühe als die wenigen in unserem Stall. Mein Vater beschloss, sich auf eine Kernkompetenz zurückzuziehen (ich verwende hier konsequent das heutige Vokabular, damit Sie sofort sehen, dass damals wirklich alles ganz genauso ablief wie heute!).

Er durfte das nicht ohne Weiteres, da er als Pächter seine Geschäfte bei der Landwirtschaftlichen Beratungsstelle genehmigen lassen musste (diese Stelle war sein »Aufsichtsrat«). Es stellte sich heraus, dass noch kein anderer Pächter auf diese Idee gekommen war. Die Berater warnten vor den unabsehbaren Risiken einer Monokultur und sprachen sich für die Beibehaltung der Diversifikation aus. Ich weiß noch, wie mein Vater viele Abende rechnete und Tabellen zusammentrug. Er präsentierte das Ergebnis (heute in Excel und PowerPoint), dass achtzig Prozent der Arbeit bei der Viehhaltung anfiel, aber nur zwanzig Prozent des Gewinns. Das wusste damals niemand. Man glaubte ihm auch nicht.

Er blieb sich treu, ließ die Berechnungen in der Beratungsstelle zurück und schaffte die Viehhaltung ganz ab. Er entließ fast alle Mitarbeiter, die damals noch Mägde und Knechte hießen. Nur der Treckerfahrer blieb noch da. Die anderen Bauern warnten meinen Vater eindringlich. Er würde Kuhmist oder gar Kunstdünger kaufen müssen, weil nun die Synergieeffekte fehlen würden. Wir bekamen vielen ungläubigen Besuch von vielen interessierten Bauern (»in search of excellence« oder »best practice«) – sie waren ganz gelbneidisch über den fast arbeitsfreien Winter, in dem mein Vater nur Maschinen pflegte und nie mehr um vier Uhr zum Melken aufstehen musste. In den folgenden Jahren wurden überall die Felder größer und größer, der Gemüseanbau verschwand fast ganz. Überall gab es nur noch Getreide und Zuckerrüben. Mähdrescher kamen auf. Die waren irre teuer und wurden nur ganz kurz während der Ernte gebraucht! Ein einzelner Bauer allein konnte sie weder bezahlen noch sinnvoll nutzen. Ein Mähdrescher war auch zu groß und passte kaum in die Scheunen. Wohin damit?

Das war der Beginn des Outsourcing. Raiffeisengenossenschaften und freie Unternehmen im Markt boten »Ernte auf Anruf« an. So etwas nannte man später »Just in time« oder »On demand«. Durch das Outsourcing vermieden die Bauern große Fixkostenblöcke in Form von eigenen Mähdreschern, sie wandelten Erntekosten in variable Kosten um (Kosten pro gemähtem Hektar). Das alles hatten wir schon, nicht wahr? Vor den Zeiten des Shareholder-Value! Auch heute schauen immer noch einige Unternehmen erstaunt, wenn Berater kommen und die Fixkostenblöcke auflösen, die im Betrieb beträchtliche Risiken darstellen. Auf unserem Bauernhof fielen also nicht wirklich alle Arbeitsplätze weg – denn einige wanderten ja zu den Maschinenringen und den Genossenschaften. Aber in unserem Dorf blieb tatsächlich kaum etwas so, wie es einmal war. Viele pendelten nun in Fahrgemeinschaften zu den Volkswagenwerken nach Braunschweig. Sie mussten Autos kaufen. Wegen der Autos starben die Kleinstläden zusammen mit Tante Emma. Einige Bauern begannen, Zimmer für die Hannover-Messe und später für die CeBIT anzubieten. Sie bauten die Häuser um, wie Bauern im Süden, die von der Landwirtschaft zum Tourismus überschwenkten. Sie spekulierten wie Goldgräber auf ein halbes Jahr horrender Expo-2000-Hannover-Mieten und hatten ihren eigenen Boom und Crash. Sie erinnern sich, dass der Zuspruch zur Expo nur enttäuschend mäßig war? Diese dramatische Veränderung in der Landwirtschaft dauerte vielleicht 30 Jahre. Als mein Vater im Jahre 1980 die Pacht abgab, hatte er nur noch einen Halbtagsjob.

Woher kam das alles? Es lag am Trecker, der ganz am Anfang nur das Pferd ersetzte, aber dann die ganze Infrastruktur zum Beben brachte. Das geschah nicht gleich. Es dauerte wohl 30 Jahre. Die Bauernhöfe wandelten sich zu kleinen Unternehmen, die Ackerwege wurden für die Trecker asphaltiert. Die Landarbeiter hatten für die neue Welt der Produktion bei VW oder des Autobahnbaus keinerlei sinnvolle Ausbildung und mussten umschulen oder als Ungelernte ihr Leben ganz neu beginnen. Noch einmal – hier ganz dick gedruckt und sehr betont: Etwa die Hälfte aller Deutschen hat sich im Verlauf eines Vierteljahrhunderts einen neuen Job suchen müssen. Das war ein »dramatischer Wandel«, wie man heute so schön sagt. Die meisten Menschen aber verstehen das nicht, weil sich dieser dramatische Wandel über Jahre mit zwingender Logik ausbreitet und ganz vollzieht. So wie sich bei tektonischen Verschiebungen die Erdschollen langsam verschieben, so hat sich in einem Vierteljahrhundert die Landwirtschaft in eine effiziente Industrie gewandelt – und wandelt sich noch immer weiter. Sie verschwindet nicht an sich, aber sie beschäftigt kaum noch Menschen!

Ich will Ihnen in diesem Buch zeigen, dass es der Dienstleistungsgesellschaft ganz genauso gehen wird. Sie wird nach denselben Mechanismen und Grundgedanken industrialisiert und optimiert werden. Denn was bei der Landwirtschaft der Trecker war, sind in der Dienstleistungsgesellschaft das Internet und der Computer. Die Dienstleistungen werden nicht verschwinden – nein, sie werden eher zunehmen! Aber sie werden von sehr viel weniger Menschen erledigt werden können. Und die Menschen, die noch für die Dienstleistungserbringung übrig bleiben, werden viel höher qualifiziert sein müssen als bisher oder sie erledigen nur noch »das Körperliche«, wie das Putzen oder das Postaustragen.

Das ist noch nicht morgen oder übermorgen der Fall. Das alles dauert wieder zehn oder zwanzig Jahre. Und wieder wird gut die Hälfte der Deutschen nach einem neuen Job suchen müssen.

Lassen Sie uns nicht jammern, wie es viele uns Deutschen nachzusagen lieben. Schauen wir lieber im Folgenden den Tatsachen mutig ins Auge.

Kulturumschwung von Stress zu Aufbruch

Zu einem Kulturumschwung gehört insbesondere, dass wir uns über unser deutsches Menschenbild neue Gedanken machen müssen. Für eine solche Kulturveränderung brauchen wir anscheinend den meisten Mut. Ich habe das schon angedeutet – denn die lebhaftesten und erregtesten Diskussionen entstehen genau hier.

Es wird oft vergessen, dass unsere Staats- und Wirtschaftsformen sehr viel mit den allgemein in der Bevölkerung verbreiteten anthropologischen Konzepten zu tun haben.

Polare Vorstellungen sind etwa »Der Mensch ist ein Tier, das durch Pflichten, Riten und Ordnungen in Schach gehalten werden muss. Es ist von sich aus egoistisch und muss Grenzen gesetzt bekommen, damit eine notwendige Gemeinschaft im politischen oder wirtschaftlichen Sinne funktionieren kann.« Versus: »Der Mensch ist von Gott mit einem großen Geist und einer großen Seele beschenkt worden. Er liebt andere Menschen und hilft anderen von Natur aus gern. Die menschliche Gemeinschaft steht ihm noch höher als sein eigenes Selbst.«

Gleicht der Mensch einem Raubtier, das nur das Gesetz des Dschungels kennt? Ist er ein friedliches Herdentier, das heiter sein Gras mit den anderen teilt? Oder ist er gar Gott ähnlich in Geist und Seele und wird nur ab und zu vom ererbten Tiercharakter durch Sünde in sumpfige Niederungen getrieben? Ist der Mensch ein Einzel- oder ein Gemeinschaftswesen (Aristoteles: zoon politikon)? Ist er wesentlich von Tieren zu unterscheiden (Aristoteles: zoon logikon)? Die Polis (oder der Staat), sagt Aristoteles, ist ein Entfaltungsraum des Menschen, für ihn als Individuum und auch als Teil der Gemeinschaft. Sind im Staat alle Bürger gleich und frei, oder nutzen die Herrschenden den Staat vor allem für ihr eigenes Wohlleben? Hat der Staat vor allem die Aufgabe, dem Bürger innere Sicherheit zu garantieren und ihn gegen äußere Feinde zu verteidigen (Hobbes)?

Wozu ist Wirtschaft da? Dient sie der Organisation der allgemeinen Arbeitsteilung, sodass die Gemeinschaft insgesamt vernünftig zusammenarbeiten kann und in einem Zustand der Prosperität bleibt? Oder ist die Wirtschaftsordnung ein minimaler Rahmen von Fairnessregeln, innerhalb deren jeder Einzelne als Unternehmer nach besten Kräften Geschäfte machen kann, um den eigenen Wohlstand zu mehren?

Grob gesprochen geht es im Staat um die Verteilung der Macht und in der Ökonomie um die Verteilung des Geldes. Bekommen Macht oder Geld nur wenige »Fürsten« oder Reiche? Oder gibt es Demokratie und eine breite begüterte Mittelschicht?

Alle Gedanken über die Aufgaben des Staats, das Staatssystem, die Wirtschaftsordnung, den Zweck der Wirtschaft und über die Verantwortung der Unternehmen für die Menschen kreisen letztlich um die Frage, ob Macht und Geld eher wenigen oder eher vielen zukommen.

In guten Zeiten sind Arbeitskräfte knapp, die Löhne steigen. In solchen Zeiten gewinnt die Idee der allgemeinen Vermögensbildung und des Sozialstaats. In schlechten Zeiten müssen die Unternehmen Mitarbeiter entlassen und versetzen diese in Angst. Jetzt gewinnt in der allgemeinen Meinung die Idee an Kraft, dass die Unternehmen bloß nicht noch in den Bankrott gehen sollten. Man akzeptiert die Vorstellung, dass die Individuen, die wenig leisten, eben auch gefeuert werden sollten, um das Ganze zu retten. Wenn das konsequent durchgeführt wird, schützen also die Einzelnen durch Verzicht die Reichen und akzeptieren die Existenz von vielen Armen. Wir sagen heute: »Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weit – zu weit.«

Stellen Sie sich die Besiedlung eines neuen Landes Kanaan oder des amerikanischen Westens vor. Zu Anfang gibt es Land ohne Ende und kaum jemanden, der es bearbeitet. Jeder kann Land abstecken, in die Hände spucken und seine Existenz aufbauen. Die Menschen helfen sich gegenseitig aus, bilden Arbeitsgemeinschaften, sind froh bei gleichzeitig harter Arbeit. Sie danken Gott für die gute Zeit. Sie gründen Gemeinden und bilden »einen Staat«, der die Infrastrukturen bereitstellt. Es gibt bald einen Saloon, eine Poststation, einen Richter und so weiter.

Und nun wandern Sie bitte mit den Augen in ein grässlich überbesiedeltes Land, in dem der Ackerbau kaum das Leben erhält. Da beginnen sie sich zu bekämpfen und billig aufzukaufen (»Du bekommst drei Monate Lebensunterhalt, wenn du mir deinen Acker gibst – da kannst du dir mit dieser Abfindung leicht einen neuen Job suchen«). Die Verlierer sitzen auf der Straße, einige werden reich und stellen andere zu Hungerlöhnen ein, die selbst früher Bauern waren (»ausgegründet in eine Niedriglohngesellschaft«).

In meinem Buch Abschied vom Homo Oeconomicus habe ich dieses Phänomen wechselnder Organisations- und Denkformen unter dem Schlagwort »Phasic Instinct« ausführlich beschrieben und diskutiert. Wenn sich eine neue Welt öffnet – wie die Besiedlung eines neuen Landes –, dann bilden sich breite Mittelschichten und ein Bürgertum. Wenn die Welt zu eng wird, setzt ein Verdrängungswettbewerb ein, und infolgedessen verabschieden sich die Menschen von Ethik und Werten und glauben, dass Darwin die Welt erschaffen hat.

Wenn eine neue Welt entsteht, bilden sich ihre Infrastrukturen und neuen Traditionen und Werte. Wenn sie überfüllt ist, lösen sich die Strukturen im Niedergang auf. Menschen kämpfen, werden unfair, nutzen den Staat aus, ruinieren die Umwelt oder die Welt im weitesten Sinne. Jeder sieht zu, wo er bleibt. Was Menschen also über die Welt denken und somit für ihre Wertvorstellung halten, ist in Wirklichkeit nur ein Ausblühen der Wirtschaftslage in ihren Gefühlen und inneren Instinkten. Das Denken oder der Geist also, die wir als vornehmste Funktion verehren, rationalisieren eigentlich nur die »Kriegs- oder Friedenslage« da draußen.

Das erkennen wir nicht wirklich, weil die Phasen der Prosperität und des Niedergangs oft so zwanzig, dreißig Jahre lang dauern. Wir halten die Umschwünge eventuell ohne große Gedanken für ein »Generationenproblem«.

Aber etwas ganz anderes ist der Fall: Wir leben heute an der Schwelle eines signifikanten Umschwungs. Eine alte Welt (die jetzige) neigt sich dem Ende zu. Wie der primäre Sektor (Landwirtschaft) und der sekundäre Wirtschaftssektor (Industrie) wird nun auch der tertiäre Dienstleistungssektor automatisiert und braucht nur noch wenige Arbeitskräfte. Hier herrscht nun für Jahre der »mörderische« Verdrängungswettbewerb, wie ich gleich zeigen will.

Auf der anderen Seite öffnet sich ein neues, von mir später im Buch vorgestelltes gelobtes Land des Wissens und der Forschung, wo so viel zu tun ist, dass sich jeder sein Stück Land abstecken und ein gutes Leben gründen kann.

Der »Niedergang« (im Sinne der Arbeit für Menschen) des tertiären Sektors macht uns dort zu zunehmend gestressteren Menschen. Die Löhne für Dienstleistungen sinken, viele werden mehr als einen Job zum Leben brauchen. Das zeichnet sich heute schon deutlich in den USA ab. Die Armut unter den Menschen, die Dienstleistungen anbieten, nimmt zu. Auf der anderen Seite eröffnet sich ihnen die neue Welt des quartären Wissenssektors. Ingenieure auf den Gebieten neuer Technologien werden verzweifelt gesucht. Dort tobt der Krieg um die besten Talente (»War of Talents«). Innovative Firmen wie Google stocken immer noch ihr Personal auf und bieten traumhafte Arbeitsbedingungen, die die Kreativität anregen sollen.

Da, wo der Kampf der Reinigungsfirmen und Briefträger um die letzten Arbeitsplätze stattfindet, fordern alle Leute gesetzliche Mindestlöhne zum Überleben. Sie fühlen sich wie Sklaven ausgebeutet von Managementfirmen, die sie immer effizienter einsetzen, arbeitsmäßig überlasten und überfordern. Da, wo Neues entsteht, fühlt man dagegen den Frühling des Aufbruchs.

Wollen wir nicht alle in die Wissensgesellschaft aufbrechen? Alle Abitur machen und studieren? Wieder mit Feuereifer arbeiten, was sich wie »Spaß haben« anfühlt?

Dann müssen wir unsere Kultur verändern.

Der Mensch ist kein billiger Zeitarbeiter mehr, der zur Arbeit gezwungen werden muss und der für ein bisschen mehr Lohn woanders aus normaler Not heraus sofort die Firma wechselt. Der Mensch ist jetzt ein wichtiger Rohstoff für die Wissensgesellschaft, der sorgsam herangezogen und entwickelt werden muss.

Landarbeiter wurden angelernt oder sahen dem Vater zu, Handwerker hatten Gesellen. Die Fabriken bildeten Arbeiter aus, Servicefirmen trainierten die Mitarbeiter für ihre Dienstleistung (Callcenter, Reisebüro, Versicherung). Die Wissensgesellschaft der »Ingenieure« verlangt aber einen Menschen, der sich lebenslang von selbst in eigener Verantwortung weiterbildet, erneuert und forscht. Statt Erfahrung und Routine wie einst zählen hier eher Offenheit, Neugier, Leidenschaft für die oft selbst gewählte Aufgabe.

Aber das wissen Sie ja alles. Es steht fast jeden Tag in der Zeitung. Ich will hier nur ganz klar herausstellen: Der neue Mensch ähnelt demjenigen, den die Idealisten sehen: »Der Mensch ist Gott ähnlich, in ihm sind vielerlei Anlagen zur Großartigkeit, die nur durch gute Erziehung entdeckt und gefördert werden müssen. Er ist kein Tier, das auf eine Routinetätigkeit abgerichtet werden muss, bei der man es ständig überwacht.«

Zum Eintritt in die Wissensgesellschaft gehört eine andere Einstellung zum Menschen! Und die Unternehmen der Wissensgesellschaft brauchen eine andere, dazu passende Kultur. Diese Einsicht fehlt in Deutschland fast überall. Man versucht Menschen mit den Mitteln des Effizienzmanagements unter Stress zu setzen. Man hetzt sie in Evaluationen und Exzellenzwettbewerbe. Professoren werden unter Zeitdruck gesetzt. »Die Ideen müssen schneller sprudeln.« Alle Hinweise darauf, dass Kulturen des Wissens in Harvard, Princeton und Silicon Valley ganz anders florieren, weil sie beste, für Forschung günstige Arbeitsbedingungen bieten, werden abgeschmettert. Deutschland verkürzt Studiengänge und die Schulzeit und verkauft es als Anpassung an internationale Standards. Dass dabei vor allem gespart wird, bleibt unter dem Teppich. Die Talente fliehen in die Wissenskulturen anderer Länder. »In Deutschland fehlen vernünftige Arbeitsbedingungen.«

Deutschland muss sich einen anderen Job suchen, eine andere Kultur und Menschenauffassung aber auch.

Hin zu einer kultivierenden Wirtschaftspolitik

Die Menschen der heutigen Gesellschaft, die mehrheitlich in Berufen des Dienstleistungssektors arbeiten, sehen das nicht so. Ich habe Ihnen schon erzählt, dass ich als Politiker mit dem Programm »Jeder soll Abitur machen!« glatt abgewählt würde. Da kommt das alte Menschenbild des Konkurrenzdenkens aus den Menschen heraus.