Das Neue und seine Feinde - Gunter Dueck - E-Book

Das Neue und seine Feinde E-Book

Gunter Dueck

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Beschreibung

Mit diesem Buch erhalten Sie das E-Book inklusive! Nominiert für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2013. "Lachende Unternehmen gehen unter", sagt Wirtschaftsvordenker Gunter Dueck und meint die höhnisch lachenden. Die Banken höhnten über die Internetbanken, Kodak über die Digitalkameras, Brockhaus über Wikipedia, der Buchhandel über das E-Book. Und wo stehen wir heute? Unternehmen haben wie alle Systeme ein Immunsystem, das jede neue Idee zunächst wie eine Störung behandelt. Die eigentliche Kunst ist es, sie mit unerschütterlicher unternehmerischer Energie und über alle Hindernisse hinweg trotzdem durchzusetzen, wenn die Zeit reif ist. Alle, die heute angesichts des radikalen digitalen Wandels abwinken oder lachen, sind morgen weg vom Fenster, lautet Gunter Duecks weitsichtige, beispielreiche und impulsgeladene Prognose. "Wer Substanzielles über die Wirtschaft und die Arbeit der Zukunft erfahren wollte und will, ist mit Gunter Duecks erhellenden Büchern schon immer gut bedient worden." Dagmar Deckstein, Süddeutsche Zeitung

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Gunter Dueck

Das Neue und seine Feinde

Wie Ideen verhindert werden undwie sie sich trotzdem durchsetzen

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

»Lachende Unternehmen gehen unter«, sagt Wirtschaftsvordenker Gunter Dueck und meint die höhnisch lachenden. Die Banken höhnten über die Internetbanken, Kodak über die Digitalkameras, Brockhaus über Wikipedia, der Buchhandel über das E-Book. Und wo stehen wir heute? Unternehmen haben eine Art Immunsystem, das jede neue Idee wie eine Störung behandelt. Die Kunst ist es, sie mit unerschütterlicher unternehmerischer Energie und über alle Hindernisse hinweg durchzusetzen, wenn die Zeit reif ist. Angesichts des digitalen Wandels ist vielen schon das Lachen vergangen. Gunter Duecks impulsgeladene Prognose für alle, die nur halbherzig agieren: Morgen seid ihr weg vom Fenster!

»Wer Substanzielles über die Wirtschaft und die Arbeit der Zukunft erfahren wollte und will, ist mit Gunter Duecks erhellenden Büchern schon immer gut bedient worden.« (Dagmar Deckstein, Süddeutsche Zeitung)

Über den Autor

Gunter Dueck war zunächst Mathematikprofessor und bis August 2011 Cheftechnologe bei IBM, genannt »Wild Duck«, Querdenker. Seitdem hat es ihn wegen Erreichens der 60-Jahre-Marke in den Unruhestand gezogen. Er ist derzeit freischaffend als Autor, Netzaktivist, Business-Angel und Speaker tätig und widmet sich weiterhin unverdrossen der Weltverbesserung. Mehr auf seiner Homepage omnisophie.com.

INHALT

Der Hindernislauf von der Erfindung bis zum Geschäft

Über das Neue und seine vielen Erscheinungsformen

Teil 1 KRAFTAKT FÜR DAS NEUE

Innovation erschließt Neuland

Jede Idee hat große Tücken – unterschätzen Sie das nicht!

Das Umland einer Idee genau erkunden!

Die Professionalität der Innovation – der unterschätzte Anfang

Heroischer Entrepreneur – oder Innovationsmanagement?

Diffusion und »The Chasm of Innovation«

Gartners Hype-Curve und das Tal der Tränen

Tipping Points

Disruptive Innovation

Die Hybris-Curve oder »Wandel ist wie Müssen«

Kurze Psychologie der Innovation und des Wandels

Innovation trifft auf Resistenzen und Immunreaktionen

Über Immunsysteme und »Never Change a Winning Team«

Das Resistenzmodell

Die zweite Hürde – von der Innovation zur Allgemeinkultur

Die dritte Hürde – vom Standard zur verbindlichen Regel

Mehrere Hürden gleichzeitig

Vom Innovator selbst erzeugte Resistenzen

»Der Thor hält Rat für Feindschaft«

Teil 2 SPEZIELLE INNOVATIONSHINDERNISSE

Im Elfenbeinturm der Wissenschaft

Immunsystem Wissenschaftlerkarriere

Resistenzen im Wissenschaftlercharakter

Die Resistenz der Forscher gegen »normale Arbeit«

Die Realitätsferne der Forscher

Das Verhältnis der Forscher zu Marketing und Vertrieb

Zusammenfassung der Problemlage

Blockaden durch Marketing und Vertriebsunterstützung

Die Angst des Verkäufers vor dem Kundenbesuch des Erfinders

Resistenzen von Marketing und Communication gegen Ungewöhnliches

Der Irrlauf durch Schwarzer-Peter-Meetings – ein Flyer muss her!

Konferenzbeiträge und Heiße-Luft-Resistenz

Zusammenfassung der Problemlage

Management schafft Ordnung und hemmt Innovation

Nichts darf nicht gemanagt werden

Der Vice President Innovation macht alles wie immer

Zusammenfassung der Problemlage

Sargnägel durch Beratungs- und Fördermethoden

Nichts kann nicht erlernt werden

Generelle Rezepte, Erfolgsstorys und Erfolgskriterien

Issue Based Problem Solving and Consulting

How to innovate – if you must

Risk-Controlling, Kredite und Tools

Innovationslehren als Verkaufsschlager und teure Hoffnung

Der Staat muss einspringen und fördern!

USA: Europa leidet an einer Innovationskrise

Zusammenfassung der Problemlage

Das Denkbabylon – die Hauptbarriere der Innovation

Versuch zur Psychologie des Innovators und aller anderen Beteiligten

Das omnisophische Dreieck

Wildes Wunschkind Innovation

Zusammenfassung der Großproblemlage

Teil 3 INNOVATIONEN UNTER GESTALTUNGSKRAFT

Agile Innovation

Agil oder streng nach dem großen Plan?

Zum Business-Case gehört auch die Meisterschaft

Pre-Innovation – Aufbau eines Kräftenetzes

Expertise in Innovation – was können wir denn überhaupt?

Wille, Entrepreneurial Spirit und persönliche Risikobereitschaft

Geschäftssinn

Vertrauen und weiterreichende Netzwerke

Passive und aktive Prozesskompetenz

Sinn für Infrastrukturen und Integrationsprobleme

Eine agile Freiwilligenarmee und das Management ehrenamtlicher Arbeit

Agil sein – »schon vor aller Innovation«

Chanceuation – das Erarbeiten von Chancen

Chancen fallen nicht einfach vom Himmel

Visionen, Hype, Trigger-Meme und Resonanz

Storytelling und Attraktion – innen und außen

Web 2.0, Innovation 2.0 und Jams

Think and speak visionary, act evolutionary!

Undercover Realization – im Verborgenen gleich alles richtig machen!

Kairos und Energization – die Chance energisch ergreifen

Der Goldene Zeitpunkt

Energization – Strom!

Das Alte hinter sich lassen – der Chance nach!

Der Endgegner der Chance oder der Mega-Antagonist des »Do nothing«

Ausgewogenere Menschen braucht das Land!

Schlussseufzer: Lohnt sich Innovation?

DER HINDERNISLAUF VON DER ERFINDUNG BIS ZUM GESCHÄFT

Ideen liegen ja quasi überall herum, sie werden vor jedem Kaffeeautomaten diskutiert. Sie sind so zahlreich wie Häuser in einer Stadt. Aber »Idee + Herzblutenergie« im Gesamtpaket gibt es selten!

Man braucht sehr viel Energie für Innovationen, weil sie sich ja erst durchsetzen müssen – am Markt, gegen das Althergebrachte, gegen Anfeindungen und Zweifler, gegen anachronistische Bestimmungen und Bedenkenträger aller Art.

Deshalb sind große Innovationen meist viel enger mit den Namen der Innovatoren verbunden – und gar nicht so sehr mit den Namen der Erfinder, die die Idee ursprünglich hatten! US-Präsident Barack Obama erwähnte 2009 in einer Rede, dass die USA das Auto erfunden hätten – er meinte wohl Henry Ford und die Fließbandfertigung! Dabei haben doch Daimler und Benz schon 1886 die Motorkutsche vorgestellt! Und als Edison mit »seiner« Glühlampe die Welt erleuchtete, hatten viele vor ihm schon (leider unpraktikable) Prototypen erfunden, Lexika erwähnen den Deutschen Heinrich J. Goebel und noch frühere und unbekanntere Vorläufer. Für Amerikaner scheint Alexander Graham Bell das Telefon erfunden zu haben, es war aber doch Philipp Reis! Auch Reis hatte Vorgänger … Die großen Ideen ziehen so langsam herauf – und irgendwann verwirklicht sie jemand, der die große Kraft dazu hat, der den Nerv der Kunden trifft, der das Feld glücklich in dem Moment beackert, als »der Markt reif wird« und die benötigten Infrastrukturen bereitstehen. Dieser erst ist für uns der wirklich berühmte Mensch, der »seiner« Erfindung zum Durchbruch verhalf! Der Durchbruch ist das Entscheidende, nicht die Idee an sich. Die hat buchstäblich jeder. »Es müsste eine Maschine geben, die Geschirr abwaschen kann« oder »Man müsste alle Bücher und alle Musik der Welt im Handy haben« oder »Autos sollten selbst fahren können« … Wünschen kann sich das jeder, aber wer setzt es um?

Energie, Herzblut, Durchsetzung, eine glückliche Hand, ein tolles Gründerteam, verständnisvolle Investoren, Geduld – das sind die Faktoren, auf die es ankommt!

Warum sind »Energie« und »Einfühlung in die Lage« so essenziell wichtig? Sehen Sie auf große Innovationen wie Elektrorasierer, Waschmaschinen, Geschirrspüler, Autos, Handys – zählen Sie alle auf, die Sie kennen! Haben Sie inzwischen vergessen, wie sehr unsere heute selbstverständlichen Lebensbegleiter damals unter Beschuss standen? »Die Wäsche wird nicht weiß.« – »Der Geschirrspüler schleudert Essensreste eine Stunde lang umher und funktioniert nur mit gesundheitsschädlichem Pulver – und alles wird milchig und stumpf.« – »Ich liebe nur nass rasierte Männer – Elektro-Struppel küsse ich nicht.« – »Handys machen abhängig, sie stören, kosten Unsummen, zerfunken das Gehirn und vernichten das soziale Leben.« Praktisch jede Innovation hat sich gegen solche oft berechtigten Widerstände und Anfeindungen zu bewähren. Haben Sie gelesen, dass das Unternehmen Kodak schon vor 1975 (!) eine Digitalkamera erfunden hat? Sie wurde lieber eingemottet in der Schublade gehalten, um dem berühmten Kodak-Film (wissen Sie noch, was das ist?) keine Konkurrenz zu machen – Anfang 2012 meldete Kodak Insolvenz an. Auf diese Art sterben viele große Ideen in großen Unternehmen – weil sie gefürchtet werden! Kann es sein, dass in großen Firmen nur winzig kleine Ideen erlaubt sind? Die großen verändern nämlich zu viel und stoßen dadurch auf viel zu viele Hindernisse.

Das alles ist Ihnen wahrscheinlich einigermaßen bekannt oder sogar vertraut. Sie wissen auch alle, dass Innovationen im Prinzip dringend erwünscht und gebraucht werden, damit die Wirtschaft floriert. Sie wissen alle, dass die meisten Ideen an den Umständen und Widernissen sterben, dass Ideen in Brainstorming-Meetings wie beim Brezelbacken erzeugt und fast niemals umgesetzt werden. Sie wissen, dass Ihre Ideen – Ihre! – meist unwirsch abgetan werden, man hört kaum zu.

Was ist da los? Warum will man etwas einerseits unbedingt und tut dann doch nichts?

Schauen wir in Lehrbücher. Sie präsentieren meist nur Techniken und Prozesse, wie man Ideen erzeugt, sammelt, schön in Datenbanken speichert und mit »Tools« administriert. Danach wird »Ideenmanagement« vorgeschlagen. Wie bewerten wir Ideen? Durch einen Evaluationsprozess wie für Eliteuniversitäten. Wie werden Ideen finanziert? Durch einen Geschäftsplanprozess und Markteinschätzungen. Welche Ideen sollen gefördert werden? Für welche gibt es staatliche Unterstützung?

Es ist zum Haareausraufen schlimm! Es wird alles auf Papier oder auf Computern hin und her geschoben. Tut denn jemand etwas? Alle befassen sich mit der Entscheidung, was man eigentlich tun will und wie, aber das Tun an sich »kommt nicht dran«. Haben Sie bei diesen Auswahlzeremonien neuer Ideen je gehört, dass man sich über Herzblutenergie Sorgen gemacht hätte? Nie!

Innovationen sind wie die Erschließung einer unbekannten Welt.

Diese neue Welt muss »den Kunden« oder der alten Welt vertraut gemacht werden, was viel Einfühlung auch in das Alte erfordert.

Innovationen stoßen auf Vorbehalte (die man vielleicht entkräften kann) und oft auf grundsätzliche Feindschaft (»Fernsehen macht dumm!«), die häufig den Durchbruch verhindern – damit müssen die Innovatoren umgehen können.

Diese großen Probleme werden in den schön strukturierten Lehrbüchern meist nicht thematisiert. Die Ideenfindung, -bewertung, und -finanzierung stehen im Vordergrund – ja, und wenn einmal ein Businessplan und ein Umsetzungsplan geschrieben sind, dann muss »alles nur noch umgesetzt werden«. Worauf aber kommt es bei Innovationen an? »Auf den, der sie mit Herzblutenergie vorantreibt.« Die wissenschaftlichen Theorien und die To-do-Listen der Innovationsberatungsfirmen sind aber personenkeimfrei! Sie gehen auch nicht darauf ein, wie mit Feinden der Innovation umgegangen wird und wie man Klippen im Unternehmen umschifft, das Innovationen im Prinzip will, aber dann eigentlich doch wieder nicht. Lässt man Innovatoren denn wirklich einmal genug Zeit, das neue Land wenigstens zu erkunden, bevor es erschlossen werden kann? Wie oft lesen wir: »Wir sind zu hastig eingestiegen und haben die Probleme unterschätzt.«

Diese unendlich(en) frustrierenden Fehlversuche, dazu das so oft oberflächliche Taktieren mit den Abhaktechniken des Innovationsmanagements und das fast gänzliche Fehlen der Beschäftigung mit den wirklichen Problemen haben mich dazu bewogen, nun das abertausendste Buch über Innovation zu schreiben. Es gibt einfach über das Thema noch viel mehr Wichtiges zu sagen!

Dieses Buch besteht aus drei Teilen und einem Schlussseufzer.

Der erste Teil eröffnet die Problemstellung der Innovation. Wie entfaltet sich eine Idee? Welche neue Welt soll sie erschließen? Wie kann sie sich verbreiten – als »Mem«? Welche Kräfte und Gegenkräfte wirken auf die Ursprungsidee ein? Was muss für eine erfolgreiche Innovation alles angeschoben werden? Welche Tugenden muss man vom Innovator oder vom »Gründungsteam« erwarten? Auf welche Gegner trifft eine neue Businessidee? Welche Barrieren muss die Innovation überwinden? In Anlehnung an die klassische Idee von Everett Rogers und Geoffrey Moore möchte ich den »ideologischen Kampf« darstellen, und zwar zwischen den verschiedenen Gruppen der Protagonisten einer Innovation:

OpenMinds,

die eine Innovation gut fänden, wenn »sie so weit ist« (wenn!),

CloseMinds,

die mit »so etwas braucht kein Mensch« den Kopf schütteln,

Antagonisten,

die das Neue aktiv bekämpfen (»Unsicher! Gefährlich! Unmoralisch!«).

Die klassische Theorie denkt zu Unrecht fast nur über Kunden nach (und auch das nicht erfolgreich)! Wie schafft man es, so fragt sie, zuerst die OpenMinds zum Kauf zu bewegen? Aber dieses Ringen findet ja nicht nur um Kunden statt, sondern auch um das eigene Management, um Investoren und Mitarbeiter. Auch auf diesen Ebenen finden wir sie alle wieder, insbesondere die CloseMinds und Antagonisten. Es gibt Innovationen oder Neuregelungen, die alle gut finden (zum Beispiel weibliche Priester oder Topmanager), außer die Antagonisten – und die haben oft die Macht, alles zu verhindern. Die CloseMinds und Antagonisten kommen in herkömmlichen Innovationsmodellen nicht vor, außer dass »Hindernisse« beklagt werden. In diesem Sinne will ich hier etliche bisher vernachlässigte beziehungsweise noch nicht behandelte Perspektiven aufzeigen.

Der zweite Teil befasst sich ausführlich mit den Barrieren, die sich typischerweise einer größeren Innovation in den Weg stellen. Antagonisten und CloseMinds überall! Es sind meist überzogene Erwartungen der verschiedenen »Player«. Die Wissenschaftler mögen eigentlich nur erfinden, und dann sagen sie: »Nun macht mal« und »Gebt mir den Ruhm«. Manager sind dafür da, dass alles reibungslos funktioniert, sie sehen Innovationen daher oft als Störung an und managen sie falsch. Mitarbeiter fürchten sich, dass sich ihr Arbeitsplatz verändert oder dass er gar verschwindet. Berater und Investoren pressen eine ungewisse Arbeit in Pläne und Zeitkorsetts. Marketingleute prahlen mit ungelegten Eiern, später wird die Presse deshalb alles als heiße Luft verhöhnen. Ja, und dann sind da noch die Kunden und die oft fehlende Infrastruktur, die viele Unternehmensprogramme, die am besten nach neuen Hype-Lehrbüchern implementiert werden. Staatliche Förderungsprogramme aller Art erzeugen auf Wunsch von Lobbys sehr oft schöne Doktorarbeiten, deren Ergebnisse dann nicht umgesetzt werden, weil die Verbände es lieber doch alles beim Alten belassen wollen. Innovation ist ein echtes Hindernisrennen!

Im dritten Teil träume ich von wirklicher Innovation, die in die »DNA des Unternehmens« integriert ist. Man müsste Konzepte wie »Agile Innovation« umsetzen können! Innovatoren müssten schon vor aller Innovation auf sie vorbereitet sein (»Pre-Innovation«), sie müssten viele persönliche Energiekompetenzen mitbringen … Der dritte Teil ist kein eigenes Lehrbuch der Innovation, wie sie nun definitiv sein soll. Er versucht das nötige Rüstzeug darzustellen, um daran klarzumachen, wie weit wir von wirklich professioneller Innovation entfernt sind. Ich fühle mich außerstande, ein erfolgreiches Rezeptbuch für Innovation zu schreiben, weil Sie jetzt gleich sehen werden, wie feindlich alles gegen das Neue wirkt. Und diese allgemeine Feindseligkeit ist nun einmal da und muss in jedem Einzelfall überwunden werden. Ja, wenn die Feindseligkeit nicht wäre! Dann ginge es mit den jetzigen Lehren vielleicht auch. Was brauchen wir? Allgemeine Lust am Neuen! So einfach. Solange wir die nicht haben, muss sich alles Neue gegen unsere allgemeine Unlust durchbeißen.

ÜBER DAS NEUE UND SEINE VIELEN ERSCHEINUNGSFORMEN

Es gibt viele Arten des Neuen: Das sind technische Erfindungen, Geschäftsmodelle, neue Produktionsverfahren oder andere Servicemodelle (»jetzt in Selbstbedienung!«). Die Firma Second Life hat uns in künstliche Welten entführt, Google bietet alles online für den Preis, dass Unternehmen zahlen müssen, wenn wir deren Werbung im Netz anklicken. Die Energieexploration hat das neue Fracking-Verfahren bei der Erdgasgewinnung hervorgebracht, wobei man erst vertikal nach unten bohrt und dann von unten aus waagerecht verzweigt (man spült den Weg frei) – dabei findet man nun solche Mengen Erdgas, dass der Marktpreis in den USA kollabiert. Gesetze können zu Neuerungen zwingen, wenn sie erlaubte Grenzwerte verschieben, etwa für den Gasaustritt bei Autos. Wissenschaftliche Ideen erbringen Neues, die Neurologie erbringt gerade Erkenntnisse über Hirn und Mensch – wir könnten von neuen Lehr- und Lernverfahren profitieren. Ideen können sich auf neue Lebensformen beziehen (»Generationenhaus«), den Umgang mit unserem Glauben (»Internetkirche«) oder auf neue Lebensvorstellungen (»Turbokapitalismus«).

Das Neue tritt in vielen Varianten und Formen auf. Wenn ich in diesem Buch das Neue thematisiere, dann meine ich damit eigentlich das Neue im Allgemeinen. Die Beispiele, die ich hierzu anführe, sind dann eher »normal« und beziehen sich oft auf Produkte – bitte verstehen Sie, dass ich irgendwie an etwas anknüpfen möchte, was Sie schon kennen und woran ich gut erklären kann, ohne erst lange schildern zu müssen, worum es überhaupt geht. Das müsste ich wahrscheinlich bei »Second Life« für viele von Ihnen tun, um Ihnen zu erklären, warum das virtuelle Leben dort erst groß in Mode kam und dann schnell langweilig wurde – solche Tendenzen gibt es heute auch wieder bei Facebook.

Ich habe mich für Klarheit und für Beispiele entschieden, die Ihnen bekannt sein müssten. Das sind natürlich oft Produktneuheiten wie früher Waschmaschinen und heute Tablets oder Ultrabooks. Dieses Buch ist aber überhaupt nicht produktlastig gemeint! Wenn ich also »das Neue« thematisiere, meine ich es im weitesten Sinne, auch als neue Werbeidee, als neuen Geruch oder als neue Managementmethode. Unter »Erfinder« verstehe ich den Menschen, der diese Idee als Erster hatte – bitte verbinden Sie den hier gebrauchten Erfinderbegriff nicht ausschließlich mit Maschinen, chemischen Substanzen oder Daniel Düsentrieb.

Es gibt große und kleine Neuheiten – große wie eCars, an denen ganze Nationalindustrien hängen mögen, kleinere, wie der jetzt stark auf den Markt kommende Zuckerersatz aus der Stevia-Pflanze, und ganz kleine wie neue Weinbelüftungsgießaufsätze für Flaschen, die das vorzeitige Entkorken guten Rotweins ersparen. Ob die Erfindung oder das Neue nun groß oder klein sein mögen, immer streiten die Menschen, ob sie das Neue nun mögen oder nicht. »Ich dekantiere! Weinbelüfter ruinieren kostbaren Wein!« – »Er wird in Restaurants immer ruiniert, weil die Flasche beim Essen banausig kurz vor dem Trinken entkorkt werden muss, da ist ein Weinbelüfter ein Segen!« Die Menschheit ist fast immer gespalten, ob es nun um Weinbelüfter oder eine Reichensteuer geht!

Es macht aber einen gewissen Unterschied, ob das Neue im Staat, in Großunternehmen oder bei kleineren Mittelstandsunternehmen durchgesetzt werden muss. Es gibt Unterschiede, in welcher Regierungsform ein Staat oder Unternehmen geführt wird. Der kürzlich verstorbene Steve Jobs, der für seine Neuerungen bei Apple fast für unsterblich erklärt wurde, konnte in »seinem« Unternehmen schalten und walten, wie er wollte. Das Neue wird dort nach der Auffassung des Herrschers beurteilt, ganz anders als bei großen deutschen Energieversorgern, deren Aktien zu gutem Teil bei staatlichen Institutionen liegen. Mittelstandsunternehmen sind oft vollständig vom Unternehmenschef geprägt, denken Sie an die Unternehmen (jetzt muss ich wieder große nehmen, damit wir sie alle kennen!) Oetker, Otto, dm, Schlecker, Neckermann, Lidl oder Würth, deren Kultur von einem Einzelcharakter geprägt (worden) ist. Je nach Charakter setzt sich das Neue in solchen Unternehmen in verschiedener Weise durch.

Es ist für mich unmöglich, diese vielen besonderen Charakterfälle in einem Leitfaden über den Kampf um das Neue insgesamt gebührend zu würdigen. Ich habe mich an einen Normalfall von Unternehmen oder Institutionen gehalten, die sich um Neues bemühen, die gleichzeitig Angst haben, wo es Träumer gibt, die an Finanzabteilungen verzweifeln … Diese Unterschiede der Abteilungen und Meinungen finden Sie in kleineren Unternehmen ja auch! Überall, wo es Meetings, Tabellen und Genehmigungsformulare gibt, kommen Probleme gegen das Neue auf! Und wo es all das nicht gibt, entstehen wieder andere Katastrophen … Kleinere Unternehmen sind individueller, farbiger, wechselvoller – große reagieren vorhersehbarer, berechenbarer, weil sie alle dieselben Berater holen, die dieselben Arbeitstechniken einüben. Erfahrungen mit Stereotypen lassen sich natürlich einfacher beschreiben, aber – wie gesagt – ich kenne sehr kleine Unternehmen, in denen die IT-Abteilung (eine Person), die Marketingabteilung (drei Personen) und der Vertrieb (auch sehr wenige) genau dieselben zeremoniellen Kämpfe um das Neue ausfechten wie bei Großbanken oder Chemiegiganten. Es sind Menschen – immer im Hin und Her, immer unsicher zwischen Begeisterung und Angst, immer in Sorge um ihren eigenen Weg.

Ja, und zum Schluss ist das Buch von meinen eigenen Erfahrungen bei Versuchen geprägt, immer einmal wieder etwas Neues auf die Beine zu stellen. Fast 25 Jahre bei IBM stecken in mir, davor die 12 Jahre an der Universität Bielefeld als Forscher – jetzt betreibe ich meine Projekte »in der Welt 2.0«, also im Netz. Ich habe bei IBM drei, vier Mal jeweils über Jahre neue Geschäftsfelder erschlossen, zum Schluss »Cloud Computing«, was inzwischen sehr groß geworden ist. Ich habe dabei Einblick in viele Unternehmen bekommen, die ich bei solchen Geschäftsneugründungen als Kunde besuchen durfte. Ich meine wirklich »durfte«, denn ich habe viele Welten kennenlernen dürfen, von fast hyperaktiven Unternehmen (IBM zum Beispiel) bis hin zu »Großtankern«. Im Rahmen meiner Vortragstätigkeit waren auch viele kleine Unternehmen darunter! Wenn ich irgendwo teilnehme, bin ich ja immer ein paar Stunden vorher da und bekomme die internen Problemdiskussionen mit … Diese authentischen Erfahrungen kann ich hier an Sie weitergeben, selbst wenn ich nicht jeden Winkel der Welt gesehen habe!

Immerhin, seit etwa 1990 habe ich mich in der Welt der Unternehmensoptimierung umsehen dürfen, um »alles besser zu machen«, ich habe den dot.com-Hype beziehungsweise -Niedergang und die Finanzkrise in den Knochen, mich begeistert die immer noch beginnende Internetrevolution. Von allen Büchern, die ich schrieb, steckt in diesem wohl die meiste eigene Erfahrung.

TEIL 1

KRAFTAKT FÜR DAS NEUE

INNOVATION ERSCHLIESST NEULAND

Jede Idee hat große Tücken – unterschätzen Sie das nicht!

Großartige Ideen, die wir bewundern, sind im Nachhinein vollkommen genial. Das spüren wir deutlich und bewundern Ideen in unangemessener Weise. Wir haben vergessen, dass wir dieselben Ideen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung und Ausbreitung verrückt oder schlicht »doof« fanden.

Stellen Sie sich vor, jemand hatte als Erster die Idee, eine Waschmaschine, einen Geschirrspüler, einen Trockenrasierer oder ein Mobiltelefon zu bauen und an alle Leute zu verkaufen. Das ist solch ein großes bewunderungswürdiges Genie, denken Sie sich, das seiner Zeit weit voraus war und uns diese Wohltaten der Menschheit schenkte. Leider haben Sie vergessen, was wir alle damals von solchen Erfindungen hielten – nämlich gar nicht viel oder nichts. Wir sahen zuerst die offensichtlichen Nachteile.

Die Wäsche wurde ewig nicht weiß genug, sie hatte »Grauschleier«. Generationen von Waschmittelreklamen versuchten, uns in Werbeschlachten vom Gegenteil zu überzeugen. Alle paar Monate wurde die Wäsche noch 10 Prozent weißer – man müsste einmal die Prozente über die Jahrzehnte zusammenzählen und würde feststellen, dass heute alles um einige 1 000 Prozent weißer wird als damals am Anfang. Die Wäsche lief außerdem zum Teil ein, andere Wäsche leierte aus – immer gerade, wie man es nicht brauchte: Zu kurze Hosen liefen ein, zu lange wurden länger. Das sahen die Oberbekleidungsverkäuferinnen meist anders. Wenn die Hose bei der Anprobe zu kurz war, prognostizierten sie ein Ausleiern, bei zu langen Hosen das passgenaue Einlaufen. Damit nicht genug: Die Waschmittel passten nicht, sie waren zu mild oder zu scharf, die Stoffe waren nicht an Waschmaschinen angepasst und verfärbten alles andere, sodass die Wäsche oft einen rosa Schimmer bekam. Die Textilindustrie reagierte mit neuen Stoffen, entwickelte bügelfreie Konzepte, die Deodorantindustrie erfand Maßnahmen gegen feuchte Nylonachselhöhlen, die Waschmittelindustrie erfand Waschmittel für alles und jedes Stoffteil, die Waschmaschinen wurden technisch besser, mussten aber noch lange oft repariert werden – wie einstmals die Autos auch. Deshalb lehnte eine wirklich gute Hausfrau die Waschmaschine noch lange ab, sie wusch blütenreines Weiß für den Bürogatten und triumphierte über die faulen Maschinenehefrauen, die sich einen lauen Lenz machten und selbst verwirklichen wollten. Haben Sie denn ganz vergessen, wie es wirklich war?

Wir sind gegen die Waschmaschinen Sturm gelaufen, wir wollten sie nicht, wir waren gegen die fortschreitende Technisierung unseres Alltags. Wir hielten diese Idee keineswegs für genial!

Na, irgendwann haben wir uns daran gewöhnt. Dann erfand man den Trockner gegen die Wäscheleine. Wieder erhob sich ein Sturm! Wäsche muss in der frischen Aprilluft trocknen, sie duftet so fein! Trockner kosten viel Strom, die Sonne ist umsonst. Die Wäsche wird nach dem schon erwähnten Feindschaftsprinzip der Technik wieder länger, wenn sie zu lang ist, und kürzer, wenn sie zu kurz ist. Alles musste nun trocknergerecht werden. Die Stoffe wurden neu erfunden, die Aprilfrische chemisch zugefügt … Dann kam der Geschirrspüler. Das teure Erbglas wurde milchig und musste verloren gegeben werden. Die Teller hatten harte Ei-Narben und Soßenverkrustungen, das Spülmittel schien hoch giftig zu sein. Das Geschirr passte nicht gut hinein, vieles durfte nicht hinein und musste mit der Hand gespült werden, kleine Haushalte sammelten eine Woche sparsam Geschirr und stellten die Maschine an, wenn es faktisch steinhart fleckig war. Nun wusch man vorher vor … Es war ein Drama, bis alles endlich funktionierte.

Und so weiter! Die Trockenrasierer waren zuerst so schlecht, dass der deutsche Mann schon mittags wieder wie frisch aus dem Urlaub gekommen zu sein schien, die gute Ehefrau entließ ihn nur nass rasiert und damit glatt zur Arbeit. Mobiltelefone hatten am Anfang kaum Empfang, die Batterie war immer gleich leer, die Gespräche waren unanständig teuer, sodass sich nur Protze in Restaurants oder in Zügen damit wichtigmachten.

Alle guten Ideen, auch die Computer, die Smartphones, die Tablets und Viagras, die Leggins, die Navis – standen ausnahmslos unter größter Kritik und brauchten lange Zeit, um einen festen Platz in unserem Leben zu erobern. Diese Ideen verformten sich während dieser Zeit, wurden besser, entwickelten sich und veränderten die sie umgebende Infrastruktur so lange, bis sich die Idee »eingebürgert« hatte. Dieses Einbürgern wird absolut unterschätzt, weil es gar nicht wirklich registriert wird. Wir alle erkennen die Idee in ihrer Konsequenz eigentlich erst, wenn sie uns lieb und teuer geworden ist. Die Zeit unserer Bedenken und unseres Dauermeckerns haben wir dann schon längst vergessen.

Über die gegenwärtigen Ideen aber meckern wir hemmungslos, heute über die Automatisierung der Verwaltung (»Ach die schönen Arbeitsplätze«), über das Internet im Smartphone (»Das macht süchtig«), über Facebook (»Alle wissen über mich Bescheid, ich habe keine Kontrolle mehr«).

Und dabei sind wir doch nur die Kunden, wenn es um die neuen Ideen geht! Schon wir Kunden lehnen das Neue ab. Aber da gibt es noch all die anderen, die daran mitarbeiten müssen!

»Wissenschaftler, erfindet nun auch noch Waschpulver, nicht nur Maschinen!«

»Bankiers, gebt Geld für große Montagehallen!«

»Zulieferer, entwickelt perfekte Waschtrommeln!«

»Verkäufer, macht Hausbesuche und schwatzt auf!«

»Presseleute, schwelgt vor Bewunderung ob der neuen Technik!«

Diese haben allesamt große Bedenken und machen nicht so einfach mit. Da wird der Erfinder der Waschmaschine ganz kleinlaut. Wird er das stemmen? Alle Stoffe neu, Waschmittel neu, Maschinen neu, blendende Weiße, keine Reparaturen?

Was passiert? Jeder normale Mensch gibt einfach auf. Viele Jahre, manchmal Jahrzehnte später wird alles so gebaut, wie er es einst erträumt hatte. Irgendwer »setzt es um« und wird steinreich. »Es war mein Traum!«, erzählt er noch seinen Urenkeln, aber er hatte nie wirklich den Mumm, die Problematik selbst auf die Hörner zu nehmen.

Das Umland einer Idee genau erkunden!

Die Erfindung der Waschmaschine ist nahezu unbedeutend gegenüber der sich anschließenden Revolution in den benachbarten Bereichen. Die Textilindustrie hat sich vollkommen umgestellt, die Häuser bekamen neue Wasseranschlüsse …

Wer eine neue Erfindung in den Markt bringen will, sollte sich zunächst weiträumig umsehen, was alles in den Umkreis seiner Idee gehört. Wenn sich viel oder zu viel ändern muss, damit seine Idee überhaupt akzeptiert werden kann, sinken entsprechend die Chancen auf einen Erfolg.

Das Entwickeln einer Innovation hat deshalb sehr, sehr viel mit dem Lernen zu tun, wie sich die Verhältnisse durch die neue Idee verschieben. Eine bessere Antenne in einem Handy verändert fast nichts, dies ist eine normale Neuheit, aber eine Geschirrspülmaschine oder gar der Computer verschiebt viel, wenn nicht sogar fast alles. Das ist den meisten Beteiligten nicht so klar, wenn sie eine Innovation starten. Ein solcher Prozess läuft heute normalerweise eher so ab, dass sich alle auf die konkrete Idee konzentrieren und die Schwierigkeiten des Umfelds erst nach und nach wahrnehmen, nämlich dann, wenn es »unerwartete Probleme« gibt, wenn also Kredite fehlen, keine Ingenieure mit den richtigen Kenntnissen eingestellt werden können oder wenn der Kunde am Ende das neue Produkt »nicht annimmt«. Immer wieder gibt es diese unnötige Ratlosigkeit! Immer wieder das ungläubige Staunen beim so häufigen Scheitern an Klippen, die man vorher hätte erkennen und umschiffen können. Die Erfinder sind oft Spezialisten auf einem ganz neuen Gebiet und glauben naiv, alle anderen Menschen würden sich schnell in das Neue einfinden können. »Was? Das findest du zu kompliziert?« Sie haben kein Gefühl für den späteren Kunden. Das Management der Erfinder ist auf die traditionellen Managementmethoden fixiert, mit denen alles ohne jeden Unterschied gemanagt wird. Managementmethoden sind in vielerlei Hinsicht universell, versagen aber, wenn sie angesichts von Neuem nicht mehr anwendbar sind.

Erfinder glauben, sie müssten nichts mehr dazulernen – auf ihrem eigenen Gebiet wissen sie alles, was man wissen kann. Das ist eher zu viel – und vom Rest der Welt wissen sie wenig. Manager glauben, sie müssten nichts mehr dazulernen, denn sie wissen alles, was sie glauben, wissen zu müssen. Das ist definitiv zu wenig für Innovation.

Darf ich das einmal mit einem Alltagsbeispiel illustrieren? Mir fällt dazu ein Ereignis aus dem letzten Dolomitenurlaub unserer Flachlandfamilie ein. Wir stehen unten im grünen Tal um eine Wanderkarte herum, und jemand von uns zeigt auf ein nahe gelegenes Wirtshaus. »Toll, das ist nur einen Kilometer Luftlinie entfernt. Da gehen wir jetzt hin und trinken ein halbes Maß Radler.« Alle nicken. Ich bin der Mathematiker bei uns und wende ein, dass unser Standort auf der Karte auf grünem Grund liegt und das Wirtshaus auf braungefärbtem Papier. Ich sehe mit Grauen, dass der Höhenunterschied bestimmt über 700 oder gar 1 000 Meter beträgt. Ich steige nicht so gern, die anderen schon eher, und sie sagen: »Na und?« Ich wende ein, dass das Wirtshaus wohl oben (»Da rechts, seht ihr?«) in der Steilwand hängen mag – ich zeige es ihnen in der realen Welt. Sie überlegen unwillig. »Oh ja, das könnte stimmen. Oh schade. Zu hoch. Mist. Du hast recht.« Wir verwerfen also die etwas zu hochfliegende Idee. Sofort kommt eine neue. »Da ist noch ein anderes Wirtshaus auf der Karte!« Sie jubeln. Ich schaue wieder hin und wende nun schon gemäßigt ärgerlich ein, dass es wieder »braun auf der Karte« ist. Da sagen sie tatsächlich zu mir: »Du Spielverderber.« Ich laufe innerlich Amok.

Dies erinnert mich an meinen Alltag als Innovator. Ich stelle mir das Tagesgeschäft der großen Unternehmen wie Flachlandarbeit vor. Alles ist eben, keine Hügel, kaum kurvige Strecken, alles ist gut bekannt, es gibt von jedem Punkt zu jedem anderen Punkt gut ausgebaute Straßen. Man kann jeden Punkt mit dem Auto erreichen, man weiß ziemlich genau, wie lange man fahren muss, weil fast jede Strecke gleich schnell gefahren werden kann. Wer im Flachland ein Ziel hat, weiß genau, wie er dorthin kommt, wie lange es dauert und wie viel es kostet. Weil alles gut bekannt ist, lässt sich jedes Vorhaben auch gut planen.

Innovation ist dagegen wie ein Umzug in ein unbekanntes Land! Innovation ist das Betreten von etwas Neuem, sagen wir, von einer Gebirgslandschaft durch einen Flachländer. Es gibt nur vereinzelt Straßen, fast kein Ziel ist mit dem Auto erreichbar, für viele Wege braucht man Seile, Steigeisen und wirkliches Können. Das Wetter überrascht Unkundige und auch Kundige, der Flachländer muss sich daran gewöhnen, Regenkleidung und Wasser selbst bei himmlischem Wetter mitzunehmen …

Stellen Sie sich einen Innovator im Gebirge vor, der seine Fortschritte an Flachländer im Management über Handy berichten muss. »Chef, es geht nicht voran – eine unpassierbare Steilwand. Ich muss eine Umgehung suchen. Das Projekt verzögert sich jetzt unbestimmt.« – »Ja, was ist das denn? Eine Steilwand? Was ist das? Das ist doch eine Ausrede! Wir bitten um eine exakte, uns verständliche Beschreibung dieser Steilwand und dazu um eine Begründung für die avisierte Verzögerung. Wir bestehen zudem nachdrücklich auf dem Erarbeiten eines neuen Zeitplans. Wir verlangen außerdem einen Plan, wie die entstehende Zeitverzögerung wieder aufgeholt werden kann, damit der ursprüngliche Zeitplan in Kraft bleiben kann.« – »Ich kann nicht mehr lange telefonieren, der Akku ist alle. Auf dem Berg ist keine Steckdose.« – »Wieso ist da keine? Kann doch nicht sein. Es liegt mitten im zivilisierten Europa.« – »Ich mache jetzt Pause, ich bin vom Mitschleppen der Ausrüstung müde.« – »Wozu hast du die denn mitgenommen? Im Sinne von Lean Management musst du effizient wandern.«

Innovation ist wie ein unbekanntes Wesen, wie eine andere Welt. Der Erfinder kennt diese Welt oft besser als der Flachländer, aber er stellt sich die Besiedelung dieser neuen Welt in aller Regel viel zu einfach vor. Er träumt meist sehr schlicht so: »Ich erbaue ein Wirtshaus oben auf diesem noch unbekannten Berg, dann kommen Touristen in großen Massen vorbei und geben hier viel Geld aus. Das ist meine Idee. Ich werde jetzt steinreich.« – »Und wie soll das gehen?«, so frage ich dann oft die Erfinder. »Woher wissen Touristen, dass da ein neues Wirtshaus ist? Ist es auf Wanderkarten drauf? Kann man mit dem Auto in seine Nähe kommen? Gibt es dort Shops, Anziehungspunkte, Skilifte? Sind die Wanderwege zum Wirtshaus attraktiv und gut beschildert? Sind sie so schön, dass sie weiterempfohlen werden? Wie wird der Plan von den anderen Wirtshäusern gesehen, die es schon gibt?« Da sagen die Erfinder: »Das kann ich natürlich nicht allein machen. Da müssten doch die Umlandgemeinden und Hotels in der Gegend mithelfen, weil mein Wirtshaus so viele Touristen anzieht. Die verdienen doch mehr an meiner Idee als ich selbst. Also, ich baue das Wirtshaus und die anderen sorgen für alles andere, zum Beispiel für eine Bahnstation und die Skipisten. Jetzt brauche ich nur noch einen Kredit für den Bau, eine Garantie für das Mindestaufkommen an Touristen und dann muss mir jemand sagen, wie ich die Baumaterialien auf den Berg hinauf bekomme. Die Gemeinden müssen erst einmal eine Straße bauen, das ist klar, daran müssen sie doch ein so großes Eigeninteresse haben, dass sie schnell anfangen.« Und ich frage die Erfinder: »Kann es nicht sein, dass die Wirtshäuser unten im Ort, die ja im Gemeinderat vertreten sind, gegen diese Idee opponieren?« – Der Erfinder zeigt sich erstaunt: »Warum sollten sie das?« Et cetera.

Wie gesagt: Erfinder kaprizieren sich zu sehr auf die Kernidee (»Wirtshaus betreiben«), und beachten das Umfeld und die Interessen anderer zu wenig. Das Management denkt sich dagegen zu wenig in die Besonderheiten einer neuen Idee ein und glaubt, alles mit den herkömmlichen und lange geübten »Flachlandmethoden« lösen zu können. Seltsamerweise erscheint es dem Management oft unnötig, das Neue überhaupt anzuschauen, geschweige denn zu verstehen. »Flachlandmanagement besucht nicht einmal die Berglandschaft.« Es sagt sich: »Diese fachlichen Feinheiten sind Sache der Experten – dafür haben wir sie ja.« Ich habe viele Manager kennengelernt, die ihre eigenen Produkte nicht benutzen – zum Beispiel einen Vorstand einer Direktbank, der kein Online-Konto hatte. Er zeigte sich sehr überrascht, welche Kundenwünsche ich ihm aufzählte. »Ist es nicht dasselbe wie eine Bank, nur im Internet?«

Zwischen dem naiven Glauben an die Idee und dem unbedarften Flachlandbewusstsein gegenüber dem Höherdimensionalen scheitern deshalb die Innovationen reihenweise, wenn sich nicht wirklich wetterfeste Unternehmer auf den wirklichen Weg machen. Man muss erfahren, explorieren, verstehen, Wege suchen, den neuen Charakter des Umfelds erkunden und auch für später gestalten. Dabei stehen sich Manager und Erfinder oft selbst und natürlich gegenseitig im Wege. Dabei ginge es noch einigermaßen, wenn sie die einzigen Parteien im großen Spiel der Innovation wären! Da kommen aber noch die Investoren, die Verkäufer, die Marketingfachleute dazu, die die Innovation auf wieder andere Weise nicht gut verstehen. Alle prallen aufeinander und verderben wie die sprichwörtlich zu vielen Köche den Brei, den der Kunde dann nicht runterwürgen will. Ach der Kunde! An den hat kaum jemand gedacht

… Heutzutage versuchen Tausende Berater und Beratungsunternehmen teure Kurse und Methoden zu verkaufen, wie man Kunden versteht. »Mach es wie Apple mit den iPhones, iPads, iMacs!« Das ist leicht gesagt. Aber es bestehen so unendlich viele Hindernisse für Innovationen im Vorfeld, dass »man kaum zur Erkundung des Kunden kommt«.

Die Professionalität der Innovation – der unterschätzte Anfang

Alle einigermaßen verändernden Innovationen werden heute weitgehend unprofessionell betrieben. Das stelle ich hier einmal unverblümt in den Raum. Für Produktweiterentwicklungen und Innovationen der Form »Jetzt 10 Prozent weißer« sind die Unternehmen gut eingespielt. Wenn es aber um tiefgreifendere Veränderungen oder Neugründungen geht, kann oft nur mit dem Kopf geschüttelt werden. Das werde ich im Verlauf dieses Buches noch klarer herausarbeiten. Aber Sie selbst lesen ja sicher immer wieder, dass die meisten Innovationsprojekte scheitern. Es gibt viele Studien von Beratungshäusern, die alle paar Jahre wieder per Umfrage erheben, warum Innovationen misslingen. Die Antworten sind stets ewige Abwandlungen weniger Grundfehler. Ich liste hier einmal das Typische auf:

Nichterkennen der allerwichtigsten Ideen (»leider verschlafen«),

Langsamkeit oder Hast oder beides gleichzeitig,

viel zu wenig Zeit für Innovation im Management,

mangelnde Koordination im Projekt,

zu wenig Kooperation verschiedener Unternehmensbereiche,

Angst zu scheitern als sich selbsterfüllende Prognose,

kaum Arbeit an der gründlichen Erschließung der Idee,

ungenügende Marktanalyse im Vorfeld,

Ignoranz möglicher oder tatsächlicher Wettbewerber,

mangelndes Verstehen von Kundenbedürfnissen und dadurch inakzeptable Produkte,

schlechte Vermarktung.

Das sind die Antworten von Tausenden Managern auf die Frage »Warum hat es nicht geklappt?« Hinter diesen Antworten können Sie mein Grauen über die mangelnde Professionalität erahnen. Warum werden denn die allerwichtigsten Ideen übersehen? Na, weil die oft großartig sind, aber das Unternehmen zu stark verändern würden – da lassen sie alle lieber die Finger davon. Große Ideen sind Internetbanking für Banken, Mobilfunk für Festnetzbetreiber, Internethandel für Filialkaufhäuser oder Katalogversender. Diese Ideen werden aber doch gar nicht übersehen! Sie werden gehasst und kleingeredet. Und dann: Wenn es keine Arbeitspläne gibt, arbeiten besonders die technischen Leute zu gründlich daran, also zu langsam. Wenn es aber detaillierte Pläne gibt, sind diese meist überoptimistisch geschönt, damit sie überhaupt genehmigt werden. Innovationen verlangen eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, die aber klappt nie gut – weil Unternehmen aus gutem Grund in einzeln funktionierende Abteilungen eingeteilt sind. Kunden werden kaum gefragt, Wettbewerber nicht ernst genommen (»Wir sind einfach besser«). Bitte lesen Sie aus diesen Statements nicht heraus, dass ich selbst jetzt schimpfe. Es sind die Antworten der Gescheiterten.

Im Grunde laufen die Antworten eben nur darauf hinaus, dass fast nichts richtig angefangen wurde. Man begann ein Projekt, hatte umgehend Ärger mit anderen Abteilungen, hatte keinen Nerv, sich Kenntnisse über Markt und Wettbewerber zu ergoogeln und wollte einfach nur in Ruhe arbeiten. Kennen Sie einen solchen Dialog? »Ich habe zufällig beim Surfen entdeckt, dass eine andere Firma etwas Ähnliches schon halb fertiggebaut hat, was wir gerade als Neuheit anfangen. Huiih, ein Glück, dass es keiner außer mir gemerkt hat, sonst würde der Chef unser Projekt gleich stoppen.« – »Ach, der Chef wird doch bald pensioniert, er will es gar nicht stoppen. Sonst bekommt er eine neue Baustelle und muss sich noch einmal umstellen. Vielleicht wursteln wir uns ja durch. Wir hoffen einmal, die Kunden finden den Mitbewerber auch nicht.«

Woher kommt diese atemberaubende Unprofessionalität? Ich will darstellen, dass die Unternehmen vollkommen von ihrem Tagesgeschäft absorbiert sind und dies seit einigen Jahrzehnten übertriebenen Effizienzmanagements noch immer weitertreiben. Jeder arbeitet unter Druck in seiner Tagesroutine, aus der er kaum ausbrechen kann. Jeder hilft dann ein bisschen bei Veränderungen, bei Wandel oder bei Innovationen, aber eigentlich lustlos, mit niedriger Priorität und auch oft schon frustriert, »weil da ja doch nichts herauskommt. Warum anstrengen?«. Die Innovatoren oder Erfinder schaffen es in der Regel nicht, mit den verschiedenen Interessen im Unternehmen klarzukommen. Das liegt oft daran, dass sie diese Interessenkonflikte gar nicht kennen oder ignorieren. »Ihr MÜSST mir helfen, der Chef hat es gesagt!« So stellen sich Erfinder das vor, aber es klingt natürlich offensichtlich naiv, ja fast albern. Irgendwann gehen die frustrierten Erfinder zum Chef und klagen an, dass sie niemand unterstützen will. Sie fordern ein Machtwort vom Boss, so wie zu Hause manchmal zum Ehepartner gesagt wird: »Nun tu du auch einmal etwas und sei energisch!« Der Boss aber hat kaum Zeit für den Erfinder. Noch schlimmer aber ist das Klagen des Erfinders für einen Topmanager. Im Management gilt: »Helden weinen nicht.« Und wenn einer kommt und »weint«, weil er sich nicht durchsetzen kann, dann ist er kein Held und vielleicht auch kein geeigneter Innovator. Wer vor dem Management klagt, verleiht sich selbst das Stigma der Unfähigkeit.

Heroischer Entrepreneur – oder Innovationsmanagement?

Im Grunde ist Innovation Chefsache! Die berühmten Milliardäre haben »ihre« Innovation mit Herzblut vorangetrieben, beharrlich, begeistert und begeisternd. Sie sind die sagenhaften Entrepreneure, die einen Traum verwirklichten – den »American Dream« der selfmade(wo)men in den USA. Solche besonderen Menschen können es schaffen, die Barrieren im Unternehmen zu überwinden, die sich der Innovation oder überhaupt allem Wandel entgegenstellen.

Es gibt eine alte, oft wiederholte Maklerweisheit für die Bewertung von Immobilien. Makler schauen besonders auf die drei wichtigsten Kriterien für Investitionen in Häuser: Die Lage, die Lage und drittens die Lage. Diese Pointe ist jedem bekannt, sie ist so oft verbreitet worden, dass nun fast jeder weiß: Die Lage ist der springende Punkt – alles andere lässt sich richten, renovieren oder aufpeppen.

Dieselbe Pointe gibt es für Innovationen, ich hörte sie das erste Mal von einem Venture-Capitalist in New York. Worauf kommt es bei Innovationen an? »Auf den, der sie mit Herzblutenergie professionell vorantreibt, zweitens auf den, der sie mit Herzblutenergie professionell vorantreibt, drittens auf den, der sie mit Herzblutenergie professionell vorantreibt.« Oder auf »den Entrepreneur, den Entrepreneur, den Entrepreneur«.

Venture-Capitalists stecken ihr Geld nicht in bloße Ideen, sondern in Ideen mit einem, der sie mit Herzblutenergie professionell vorantreibt. Die Idee als solche ist nicht der springende Punkt, sie lässt sich verbessern, ändern und aufpeppen! So wurde ich aufgeklärt, als ich von der IBM bei Gifford Pinchot III eine Ausbildung zum »Intrapreneur« bekam. Pinchot selbst prägte das Wort Intrapreneuring im Titel seines Innovationsbuches Intrapreneuring: Why You Don’t Have to Leave the Corporation to Become an Entrepreneur (Berrett-Koehler Publishers, 2. Auflage, San Francisco 1985).

Nach den Vorschlägen dieses Buches habe ich selbst seitdem möglichst weitgehend gearbeitet. Der Lehrgang in der IBM-Zentrale gehört zu meinen prägendsten beruflichen Erlebnissen. Ich erfuhr, wie viel Kraft, Mut und Umsicht, wie viel gesunde Unbefangenheit und Standkraft gegenüber dem Unternehmen nötig sind, um wirklich etwas auf die Beine zu stellen. Gifford zeigte uns damals eindringlich »The Gap of Innovation« oder das Niemandsland zwischen Idee und Plan einerseits und dem blühenden Geschäft andererseits. In diesem Niemandsland zwischen Erfindung und innovativem Business liegt die Zone, wo wir alle lernen, lernen und nochmals lernen sollten, unsere Idee möglichst komplikationslos in die Welt des Unternehmens und des Kunden einzubetten. »Rapid adjustment to reality« nannte es Pinchot, die möglichst schnelle experimentelle Einpassung der Idee in das gesamte Umfeld.

Ich weiß noch genau, wie der Workshop begann. Jeder präsentierte seine neue Business-Idee. Dann mussten wir alle auf einen Zettel schreiben, wie viel Prozent »Mist« wir bei der Arbeit auszuhalten bereit wären. Dann sollten wir angeben, wie sehr wir auf einer Skala von 0 bis 5 sicher wären, dass unser Business reich macht. Ich war damals mit meinem geplanten mathematischen Optimierungsbusiness auf dem Lehrgang und schrieb: »55 Prozent Mist kann ich aushalten« und »Bin zu 4,5 sicher, dass es was wird«. Uiih, da wurde mir und allen anderen der Kopf gewaschen! Auf seine Fragen kannte Pinchot nur eine richtige Antwort: 100 Prozent und 5. Er fragte mich dann, ob ich mein Haus in Waldhilsbach verkaufen würde und die damals vielleicht 200 000 Euro als Eigenkapital hergeben würde. Er gäbe dann 1 Million als Investor dazu, und wir würden reich. Da kratzte ich mich am Kopf … Haus verkaufen? Ich zögerte und sagte, dass ich nicht sooo sicher wäre, ob alles klappen könnte und malte mir die Reaktionen meiner Frau aus.

Merken Sie, dass ich bei diesen Fragen und bei meinen zögerlichen Antworten langsam verstand, was Herzblut und Engagement, was Feuer und Flamme bedeuten? Mir wurde auch klar, dass wir fast alle bei Projekten unbefangen mit dem für uns fremden Geld der Firma Projekte durchführen, die dann oft scheitern – das tut uns ein bisschen leid, aber nicht sehr. Verstehen Sie den Unterschied zu der Variante, bei der ich mein Haus verkaufe und das Geld ins Projekt stecke? Verstehen Sie, wie schlecht wir eigentlich mit dem Geld der Firma oder den Fördergeldern des Staates umgehen? Wir verbrauchen diese Gelder ohne Umstände oder Skrupel. Mit eigenen Euros machen wir lieber nichts – unser Sparbuch ist uns geheurer als Aktienkäufe. Risiko für uns selbst? Lieber nicht.

Viele Innovationsansätze zielen darauf ab, den Intrapreneur/Entrepreneur oder Innovator zu finden, der es im zitierten Geiste von Gifford Pinchot wirklich mit Herzblut anpackt. Lehrbücher überbieten sich mit überschwänglichen Beschreibungen der Helden oder heroes, die die Welt verändern und bewegen. Sie sollen es wie Sisyphos anpacken und dann trotzdem gegen alle Widerstände schaffen. Dieser Ansatz mag funktionieren, wenn man problemlos auf Helden zugreifen kann. Leider sind diese sehr rar, und unser Erziehungssystem treibt uns Heldentum eher aus, als uns zu Helden zu formen. Was tut man also, wenn man keine Helden hat? Man greift zu einer Notbesetzung und schlägt den Erfinder selbst zum gefeierten Ritter, der dann meistens aus Gründen versagt, die ich im zweiten Teil des Buches genauer studiere.

Was tun ohne Helden? Man greift zur bewährten Methode des Managements in der Variante des Innovationsmanagements. Am besten engagiert man sich Beratungshäuser, die verkaufen dann »Ideenerkennungsmanagement«, »Kommunikationsmediation«, »Marktanalysen«, »Wettbewerbsanalysen« und organisieren Kundenbefragungen auf Facebook – das ist derzeit cool.

Dieser Ansatz ist in der rauen Wirklichkeit nicht viel besser, denn so wie der Innovator ein Held sein muss (was er eben meist nicht ist), muss das Management von Innovation wirklich absolut exzellent sein, sonst klappt es gar nicht. Auch das will ich später ausführlich erläutern.

Das Management erkennt aber immer, spätestens unter Nachhilfe von Beratern, dass es das Neue nicht richtig managt. Das frühere Management hat es versucht, es lief aber nicht. So bequemt sich das neue Management wieder, durch Berater noch einmal ein Innovationsmanagement aufzuziehen, das diesmal sicher klappt. Die Erwartungen sind immens und vollkommen überzogen – man glaubt den Beratern nur zu gern …

Auf der einen Seite werkelt ein überforderter Erfinder – er dringt nicht durch. Auf der anderen Seite bastelt das Management immer wieder hoffnungsvoll an einem Ansatz, der wie auf einem Fließband lauter Neues ausspuckt.

Da ist wirklich eine große klaffende Lücke, die »Gap of Innovation«, irgendwo im unbekannten Terrain zwischen Lehrsatz und Geschäft. Dieses unbekannte Land möchte ich mit Ihnen nun nach und nach beschreiben. Meine Hoffnung ist, dass mit der Kenntnis dieser sonst unbeachteten Topografie viel weniger Wunder geschehen müssen, damit Innovationen gelingen.

Diffusion und »The Chasm of Innovation«

Das für viele Manager und vor allem Erfinder mysteriöse Sterben vieler guter Ideen in der rauen Wirklichkeit wird in den letzten Jahrzehnten langsam immer besser verstanden. Inzwischen haben sich die wichtigen Erkenntnisse von Everett Rogers und Geoffrey Moore allgemein etabliert, die ich im Folgenden kurz darstelle. Die von Rogers und Moore benutzten Begriffe gehören heute zum Kanon der Innovationskenner, leider aber gehören sie noch nicht (noch lange nicht?) zum allgemeinen Gedankengut – und das wäre unbedingt nötig. Es reicht ja nicht, wenn nur der Innovator etwas von Innovation versteht, auch seine Umgebung müsste sich auskennen! Für diese Umgebung sind griffige Vorstellungsmodelle wichtig, wie ich sie jetzt skizziere.

Rogers untersuchte schon 1962 in seinem Buch Diffusion of Innovations die Ausbreitung von Innovationen in einer Bevölkerung. Zuerst gibt es die Idee oder Vision eines Erfinders oder Innovators, dann bauen Innovatoren erste Prototypen, die schon von den ersten technisch Interessierten (»Early Adopters« oder »Erstanwender«) benutzt werden. Diese ersten Anwender verbessern entweder selbst oder durch konstruktive Kritik die ersten Prototypen, sodass die neue Erfindung langsam reift und schließlich so gut wird, dass sie die fortschrittlich denkende »erste Hälfte« der Menschen nützlich findet. Jetzt erst ist aus der Erfindung eine wirkliche Innovation geworden. Die »Pragmatics« haben die Innovation für sich selbst als nützlich akzeptiert! Die konservative Hälfte der Menschen freundet sich mit der Innovation erst später oder viel später an, ein letzter Rest vielleicht nie (»Ich bin stolz, jetzt schon seit 50 Jahren keinen Fernseher zu besitzen.«).

Das Buch von Rogers wurde erst im Laufe der Jahre breiter bekannt. Laut Wikipedia ist es Mitte des letzten Jahrzehnts das zweitmeist zitierte Buch aus den Sozialwissenschaften gewesen. Jeder, der sich um Innovation kümmert, kennt nun mindestens den Begriff des »Early Adopters«, auch im deutschen Sprachraum – die englischen Begriffe werden kaum eingedeutscht. Die Abbildung der Glockenkurve mit den Ausbreitungsphasen der Innovation hat sich fest in allen Fachhirnen etabliert.

Die Glockenkurve soll uns den Eindruck geben, dass es vielleicht 10 bis 15 Prozent Early Adopters gibt und möglicherweise je um die 40 Prozent Early Pragmatics und Late Conservatives.

Der Amerikaner Geoffrey Moore hat das Verständnis für Innovation wesentlich geschärft. 1991 erschien sein heute schon als »Klassiker« bezeichnetes Buch Crossing the Chasm: Marketing and SellingHigh-Tech Products to Mainstream Customers. Moore schärft darin die Sicht auf das Problem, eine Erfindung, die einige frühe Nutzer schon länger benutzen, nun auch der fortschrittlichen Hälfte der Menschen nahezubringen. Moore beschreibt mit »Chasm« oder griechisch Chasma (»Schlucht«) als erster sehr plakativ den größten Problempunkt zwischen den ersten Nutzern und dem ersten Massenmarkt. Hier, genau hier, ist die Überlebensschwelle – hier entscheidet sich, ob eine Erfindung nur ein »Spielzeug für Spezialisten« bleibt oder wirklich zur allgemeinen Verwendung gelangt. Die Erfindung muss über einen breiten Graben springen oder besser die tiefe Schlucht überwinden (mit »Chasma« bezeichnen Wissenschaftler traditionell die tiefen Gräben auf dem Planeten Mars).

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Geoffrey Moore: Crossing the Chasm

Ich selbst habe einige Innovationen aus der IBM-Forschung heraus in den Markt getragen. Der wirkliche Durchbruch wurde immer erst erzielt, wenn ein »normaler Kunde« etwas Neues zum Normalpreis gekauft hatte. Wenn etwas allzu neu ist, wollen die Kunden ein Produkt erst einmal zur Probe bekommen oder geschenkt haben. Sie krausen die Stirn und fragen einen Innovator immer dies – immer!: »Bitte zeigen Sie mir ein paar normale Menschen, die dieses neue Produkt schon einige Zeit verwenden und mit denen ich über ihre Erfahrungen telefonieren kann. Hier im Raum sind gerade nur Erfinder und Freaks, es ist mir klar, dass Sie von Ihrem eigenen Zeug begeistert sind. Ich aber zähle nur auf Erfahrungen anderer normaler Menschen. Bringen Sie mir zufriedene Referenzkunden.« Verstehen Sie? Kein normaler Mensch möchte der erste Kunde sein, weil normale Menschen etwas erst kaufen, wenn es andere normale Menschen kaufen. Im strikten Sinne ist es also logisch unmöglich, einen ersten normalen Kunden zu finden, weil es am Anfang keinen Referenzkunden gibt. Das gibt Ihnen einen Vorgeschmack auf die Komplexität der Problemlage, die ich im Folgenden erläutern möchte.

Erfindungen, die sich bei normalen Menschen nicht durchsetzen, also die den Sprung über die Schlucht, über das Chasma nicht schaffen, sterben oft oder überleben als Mauerblümchen am Rande der Schlucht – auf der linken Seite.