Keine Sinnfragen, bitte! - Gunter Dueck - E-Book

Keine Sinnfragen, bitte! E-Book

Gunter Dueck

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Beschreibung

Ergebnislose Meetings, falsche Entscheidungen, überbordende Bürokratie, Karrieregeilheit der einen, Unfähigkeit der anderen – und alle halten die Klappe, weil der Unsinn von oben kommt. Die Folgen sind endlose Mehrarbeit und unnötige Konflikte, die anschließend unter großem Aufwand entschärft werden müssen. Kurz: Das Management agiert nicht nach den Leadership-Prinzipien, die es selbst propagiert. Unter zu hohem Druck wird getäuscht, getrickst und geschummelt. Gunter Dueck identifiziert die entzündlichsten Sinnlosigkeitsherde unserer Wirtschaftswelt und befördert sie genüsslich in die Tonne - verpackt in 31 Episoden. Humor ist, wenn man trotzdem weiter mitmacht ... »Gunter Dueck kombiniert seit Jahren Wissenschaft, Unternehmergeist und lesbare Schreibe« Handelsblatt »Irre Geschichten aus dem realen Unternehmensalltag, erschütternd verdichtet.« Harvard Business Manager »Gunter Dueck rechnet in gewohnt scharfem Ton mit der deutschen Managementlandschaft ab.« Managementkompass (Pressestimmen zu »Heute schon einen Prozess optimiert?«, 2020)

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GUNTER DUECK

KEINE SINNFRAGEN, BITTE!

Wir arbeiten leidenschaftlich – für die Tonne

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Ergebnislose Meetings, falsche Entscheidungen, überbordende Bürokratie, Karrieregeilheit der einen, Unfähigkeit der anderen – und alle halten die Klappe, weil der Unsinn von oben kommt. Die Folgen sind endlose Mehrarbeit und unnötige Konflikte, die anschließend unter großem Aufwand entschärft werden müssen. Kurz: Das Management agiert nicht nach den Leadership-Prinzipien, die es selbst propagiert. Unter zu hohem Druck wird getäuscht, getrickst und geschummelt. Gunter Dueck identifiziert in seinem neuen Buch die entzündlichsten Sinnlosigkeitsherde unserer Wirtschaftswelt und befördert sie genüsslich in die Tonne - verpackt in 30 Episoden. Humor ist, wenn man trotzdem weiterwurstelt. Das schärfste »Business-Buch« in diesem Herbst.»Gunter Dueck kombiniert seit Jahren Wissenschaft, Unternehmergeist und lesbare Schreibe«Handelsblatt»Irre Geschichten aus dem realen Unternehmensalltag, erschütternd verdichtet.«Harvard Business Manager»Gunter Dueck rechnet in gewohnt scharfem Ton mit der deutschen Managementlandschaft ab.«Managementkompass(Pressestimmen zu »Heute schon einen Prozess optimiert?«, 2020)

Vita

Gunter Dueck war Mathematikprofessor und bis August 2011 Cheftechnologe bei IBM. Seitdem lebt er im Unruhestand. Er arbeitet als Autor, Blogger, Netzaktivist, Business Angel und Speaker und widmet sich weiterhin unverdrossen der Weltverbesserung. Bei Campus erschienen seine Bücher »Das Neue und seine Feinde«, »Schwarmdumm«, »Flachsinn« und zuletzt »Heute schon einen Prozess optimiert?«.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Einleitung: Unsinn hat viele Farben

Kapitel 1.

Facetten des bloß Ausreichenden und die Saga der Springflöhe

Kapitel 2.

Loser-Talk – an ihren Worten sollt ihr sie erkennen

Kapitel 3.

Alles dauert 3,1-mal länger als geplant und kostet 2,5-mal mehr

Kapitel 4.

Abstieg durch das Klammern an obsolet gewordene Ziele

Kapitel 5.

Das Sauce-Béarnaise-Syndrom – Widerwille lähmt Zukunftswille

Kapitel 6.

Der »Fat Smoker«

Kapitel 7.

Die Exzellenz-Psychose oder zwei Affen ohne Angst

Kapitel 8.

Sauwiegen in Meetings – das Unternehmen hat künstliches Fieber!

Kapitel 9.

Bore-out in Meetings? Geht einfach nicht hin!

Kapitel 10.

Manager wie Dackel-Wölfe

Kapitel 11.

Auf Probleme mit »Chief Wasweißich Officers« antworten

Kapitel 12.

Das Elend der Präsentationen

Kapitel 13.

Leuchtturmprojekte – wir sind schon am Anfang!

Kapitel 14.

Systemic Underdelegation und »Ich kann das besser, ich mach das!«

Kapitel 15.

Stichtage stoppen oder auf dem Weg zur Prozess-Guerilla

Kapitel 16.

Meeting-Tumulte bei schlechter Sitzungsleitung

Kapitel 17.

Systemic Overload plus Zusatzarbeit fürs Entschuldigen und Verschieben

Kapitel 18.

Über den Umgang mit unwilligen und unfähigen Mitarbeitern

Kapitel 19.

Performance-Shaming – über das schädliche »Du Versager!«

Kapitel 20.

Mangelware BWL-Skills – oder wie sie im Wandel ignoriert werden

Kapitel 21.

Blindflug inmitten von Fake-Statistik

Kapitel 22.

Wenn der Chef nicht weiterweiß, kauft er sich Beraterscheiß

Kapitel 23.

Arbeitsunterbrechungen, Flow-Erlebnisse und verschiedene Hirn-Modi

Kapitel 24.

Wie Grundvertrauen zu Grundmisstrauen mutiert und alles lähmt

Kapitel 25.

Prozess-Hacking – schwere Schäden durch »Prozesslückenkreativität«

Kapitel 26.

Wir spielen Topmanagermeeting und Teambuilding

Kapitel 27.

»Seamless« – alles aus einer Hand mit fünf verfeindeten Fingern

Kapitel 28.

Das Dramadreieck des Wankelns und die Flucht ins Hybride

Kapitel 29.

Die Organisation verhindert die Organisierung

Kapitel 30.

Das planmäßige Kränken der Leistungsträger

Kapitel 31.

Der Homo Oeconomicus und »Neurotic Leadership Programming«

Es macht keinen Sinn, denselben Fehler zu wiederholen. Wer das tut, ist dumm. Schlauer ist es, alle Fehler lachend zu vergessen. Dann passiert es immer frisch.

Einleitung: Unsinn hat viele Farben

Müll ist nicht gleich Müll. Wir sortieren ihn in verschiedenen Tonnen und Tüten: Plastik, Verpackungen, Grünschnitt, Bauschutt, Elektronik, Medikamente, Batterien, Altöle, Farbreste oder Holzmöbel. Jede Art von Müll stellt für sich ein Problem dar, das spezifisch gelöst werden muss.

So wie es verschiedenen Müll gibt, gibt es verschiedene Ausprägungen der Vergeblichkeit, wenn wir frustriert für die Tonne arbeiten: Projekte werden wegen Problemen beim Quartalsabschluss »eingestellt«, Meetings sind »unfruchtbar«, die Bürokratie schlägt Kapriolen, Manager treffen falsche Entscheidungen, Karrieregeilheit fordert Opfer, Unfähige begehen folgenschwere Fehler, Patzige vergrätzen gute Kunden und jeder hält die Klappe bei Sinnlosigkeiten, die von oben angeordnet wurden.

Alle solche Problematiken führen zu endloser Mehrarbeit: Experten fixen Fehler von Unqualifizierten und kommen nicht zu ihrer eigentlichen Arbeit. Unnötige Konflikte müssen unter großem Aufwand emotional und sachlich entschärft werden. Fehlentscheidungen erzwingen Ehrenrunden, und es führt zu großem Unmut, wenn das Management nicht nach den Leadership-Prinzipien agiert, die es selbst propagiert. Unter zu hohem Druck wird getäuscht, getrickst und geschummelt. Ein Teufelskreis.

Wie konnte es so weit kommen? Ganz einfach: Das Management giert, durch hektische Prozessorientierung immer neue »Effizienzen zu heben« – so der übliche Jargon. Dabei setzt es die Loyalität der Mitarbeiter aufs Spiel und riskiert instabile Zustände. Nichts funktioniert mehr ohne große Debatten, alles wird immer absurder.

Zusätzlich beginnen Mitarbeiter nun vermehrt Sinnfragen zu stellen, weil der immense Druck inzwischen kontraproduktiv geworden ist. Das liegt daran, dass das seit Jahren andauernde Schrauben am Einsparungsrad etwas Entscheidendes im Unternehmen verdrängt hat: den Sinn für Exzellenz, jede größere Innovation, die Zukunftsfähigkeit im Ganzen und den Sinn für den Sinn der Arbeit.

Das zeigt auch die derzeitige – ziemlich alberne – Suche der Unternehmen nach ihrem »Purpose«. Jedes Unternehmen muss nun, so verlangt es eine neue Etikette, einen kulturell wertvollen Corporate Purpose haben, einen CP, der den höheren Zweck des Unternehmens in der Öffentlichkeit ausdrückt. Dieser höhere Zweck sollte einer sein, der über die Absicht der schnöden Profitgenerierung hinausgeht. »Existenzsicherung der Mitarbeiter« wäre ja schon schön, finde ich. Leider wird nur »Whitewashing« betrieben: Natürlich liegt der erfundene Purpose auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit und der allumfassenden Humanität. Mehr kommt nicht heraus, wenn speziell dafür eingerichtete Purpose-Taskforces fiebernd aktiv werden. Auch hier wird vor allem für die Tonne gearbeitet.

Kurz: Viele Unternehmen sind im Zuge der Einsparungen und der schleichenden Kündigungen der psychologischen Kontrakte zu – ich nenne sie kurz – »Ausreichend-Unternehmen« verkommen, denen der gesunde Menschenverstand verloren ging. Früher sagte man stolz: »Ich arbeite bei XY!« Antwort: »Da geht es dir gut.«

Merksatz

Heute sagt man nicht so gern: »Ich arbeite bei XY!« Denn die Antwort könnte lauten: »Hm.«

In diesem Buch möchte ich einen weiten Bogen schlagen und möglichst verschiedene Sinnlosigkeitsherde in die Tonne treten. Diese finden sich vor allem in den gerade erwähnten Ausreichend-Unternehmen.

Im Großen und Ganzen destilliere ich so die Erkenntnis heraus, dass die Problematiken ihre gemeinsame Wurzel im Gesamtsystem oder in der sogenannten Unternehmenskultur haben. Es ist wie im Privatleben: Manche Menschen haben alles im Griff und bekommen vieles gleichzeitig hin, verdienen ihr Geld und führen ein gutes Leben. Andere quälen sich eher durch ihre Arbeit, die sie fast nur im »Ist mir egal«-Modus gegen Geld ableisten. Sie stolpern von einem Problem ins andere. Seien Sie stark, und nehmen Sie es hin: Bei Unternehmen ist es wie bei Menschen. Da klappt in einem Unternehmen so ziemlich alles ganz gut, in einem anderen ist man mehr mit »hausgemachten« Problemen und Unzulänglichkeiten beschäftigt.

Das ist ganz sicher weder schicksalhaft noch genetisch bedingt. Deshalb kann man hier gut fragen: Wie kommt man von einem Zustand in den anderen – und eventuell wieder zurück? Es wird wohl nötig sein, das Problem ganzheitlich anzuschauen und dadurch endlich seine Schwere anzuerkennen.

Es ist ja so: Ausreichend-Unternehmen werden oft von Ausreichend-Managern geleitet. Gerade so wie schlechte Lehrer fordern diese simplen Chefs einfach gute Leistungen von mittelmäßigen Schülern/Mitarbeitern, streichen unbeirrt Fehler an und verordnen Nacharbeit. Sie selbst fühlen sich für das grassierende Mittelmaß nicht verantwortlich, denn sie haben alle Mitarbeiter nach Kräften ermahnt und ausgeschimpft (»Das Ergebnis ist inakzeptabel!«). Sie haben ihnen sogar die Gehälter und Boni gekürzt und eine Reorganisation der Hauptverwaltungstürschilder angestrengt – kurz: Ausreichend-Chefs geben sich alle Mühe, ihre Mitarbeiter durch eine straffe mittelmäßige Organisation zu motivieren. Sie erreichen damit aber logischerweise eher das Gegenteil.

So ein Ausreichend-Unternehmen ist im Durchschnitt abteilungsübergreifend ausreichend. Es hilft nichts, wenn Sie persönlich, lieber Leser, eine einzelne Quelle des Lichts darstellen. Sie müssen in Ihrer Firma schon eine größere Reichweite Ihrer Einsichtigkeit erzielen, nicht bloß an Ihrem speziellen Arbeitsplatz. Schauen Sie sich um! Nehmen Sie die grassierende Schwarmdummheit wahr? Gilt bei Ihnen das Motto »Humor ist, wenn man resigniert weiterwurstelt«? Oder ist die Stimmung angespannt still?

»Cum tacent, clamant« sagt der Lateiner, »sie schreien, indem sie schweigen«. Für dieses Buch ändere ich das sanft.

Merksatz

»Cum rident, clamant.« Oder: »Schimpfen Sie, indem sie lachen.«

Dieses Buch enthält daher nicht viele Ratschläge, wie die Ausreichend-Lage nun konkret zu verbessern wäre. Nach solchen Ratschlägen werde ich immer wieder gefragt. Warum denn? Wenn ein Ausreichend-Unternehmen zu einem Befriedigend-Unternehmen aufsteigen will, ist der Weg doch klar: Es ist eine Ochsentour fällig, endlich das Richtige zu tun! Der Fokus auf das Überstehen der nächsten Prüfung oder des Quartalsendes hält im Keller fest. Das ist auch schon zu Schulzeiten so gewesen:

»Papa, frag mich mal diese hundert Englisch-Vokabeln ab. Morgen ist ein Test.«

»Was heißt ratio auf Deutsch?«

»Äh, äh, Moment, ah! Verhältnis.«

»Kennst du ratio, rationis aus dem Lateinischen?«

»Weiß nicht, Papa, das ist auch nicht wichtig, weil ich morgen einen Test bestehen muss. Frag weiter.«

»Hast du schon mal die Wörter Ratio oder rationell im Deutschen gehört?«

»Papa! Frag weiter Vokabeln, alles andere muss ich morgen nicht wissen!«

»Du lernst erheblich besser, wenn du die Zusammenhänge verstehst. Am besten entwickelst du ein Gefühl für europäische Sprachen.« Das Kind reißt dem Vater das Buch weg.

»Ich gehe zu Mama, die macht einfach, worum ich sie bitte.« Es verlässt den Raum. Der Test ist am nächsten Tag …

Sie wissen schon. So wie ein Kind arbeiten viele nur für morgen, ich meine, für das Quartalsergebnis. Weil das in Gefahr ist, werden Dienstreisen und Einkäufe gestoppt sowie alles Strategische verbannt. In den Meetings sitzen die Ausreichend-Mitarbeiter gelangweilt überdrüssig herum und versuchen, aufs Handy zu lugen; das sind sie aus dem Unterricht von damals gewöhnt …

Spüren Sie, wie hart der Widerstand gegen das Bessere ist?

Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung im Sinnlosigkeitszirkus, hoffe aber, dass Sie sich etwas empören. Oft sollten Sie auch ein Taschentuch parat haben und mitempfinden. Manchmal kann man Vergeblichkeit mit Achselzucken hinnehmen, oft macht sie wütend, ab und zu auch einmal traurig, wenn zum Beispiel eine alternde Diva sich unermüdlich um neue jugendliche Rollen bemüht – so wie die Dieselingenieure versuchen, noch ein bisschen besser zu werden. In allen Lebensphasen schaudern wir über die verlorene Liebesmühe: Innovationen misslingen, gut laufende Konzerne ersticken in komplexen Prozessen, alternde siechen viel zu lange dahin. So ist das ausreichende Leben. Aber ab jetzt: Keine Sinnfragen mehr, bitte!

Kapitel 1. Facetten des bloß Ausreichenden und die Saga der Springflöhe

Oft staunt man, dass bestimmte Unternehmen überhaupt überleben können: Ihre Leistungen/Produkte sind nicht gut oder sogar fehlerhaft; der Kunde wird nicht verstanden, womöglich unhöflich behandelt. Probleme werden unzureichend, schleppend und inkompetent angegangen oder Wartezeiten werden übelgenommen, die Preise sind zu hoch et cetera. Manches steht allerdings auch unter dem »Naturschutz« des Staates: Verwaltung, Bildung, Verteidigung oder Gesundheit. Die können straflos ewig gestrig bleiben. Wenn ich hier von »Ausreichend-Unternehmen« spreche, dann sind es solche, die mit ihren Problemen weiterwursteln, ohne sie zu beheben. Manche sehen die Probleme nicht einmal!

Wenn Sie eine gute Vorstellung von Weiterwursteln bekommen möchten, dann schauen Sie sich eine TV-Sendung der beliebten Restauranttester an. Da leiden Restaurants unter zu wenigen Gästen, stehen vor dem Ruin und bitten prominente Starköche um Hilfe.

Die setzen sich zuerst in das Gasthaus und bestellen ein Essen. Sie schauen einmal, was so passiert. Wie spricht die Speisekarte den Gast an? Sind die Preise okay? Schmeckt das Essen? Wird es zügig und freundlich serviert? Hat die Gaststube ein angenehmes Flair? Anschließend besuchen die Starköche die Küche: Ist alles wohlorganisiert? Schließlich: Wie kalkuliert der Wirt die Preise für die Speisen, wie organisiert er die Vorräte? Wie motiviert er seine Crew?

In den meisten Sendungen muss man einfach nur seufzen: Alles ist »ausreichend« bis »mangelhaft«. Die Speisekarte ist langweilig, manchmal aber auch irre lang (mehr als 100 verschiedene Gerichte, die die Küche glatt überfordern). Das Essen schmeckt nicht, wird nicht appetitlich kredenzt und kommt erst nach längerer Zeit zum Tisch, obwohl kaum Gäste da sind. Zwei Kellner stehen untätig herum. Die Küche ist meist rundweg schmutzig und räumlich seltsam eingerichtet, die Vorratshaltung ist schrecklich. Die Starköche entdecken Dosensuppen und Fertigmenüs für die Mikrowelle, die dem Kunden als »selbst gekocht« serviert werden. Der Wirt hat sich noch nie überlegt, was er an einem Schnitzel eigentlich verdient. Er musste schon einen Kredit aufnehmen, um sein Gasthaus halten zu können. Jetzt ist er in Not.

Solch ein Restaurant steht vor der Pleite, sonst hätte niemand um Hilfe gerufen. Es überrascht jedes Mal, wie spät das SOS-Signal kam. Die ganze Belegschaft schien den Niedergang seit Jahren klarsehend hinzunehmen, ohne je einen ernsten Versuch zu machen, irgendeine Besserung einzuleiten.

Die Starköche machen nichts weiter als dies: Sie erklären den Mitarbeitern und Eignern, was ein vernünftiges Gasthaus ausmacht – mehr nicht. Was ist nun zu tun? Die Speisekarte anschauen und neu gestalten, den Innenraum ansprechender einrichten, dem Koch das Kochen beibringen, die Küche organisieren, die Finanzkalkulation und Vorratshaltung lernen und so weiter. Was auch überrascht: Wenn solche Wirte prominente Hilfe anfordern, dann könnten sie vorher die derzeit schon über 200 Sendungen anschauen. Warum zum Beispiel ist die Küche immer so schmutzig? Merken die nichts? Wieso funktionieren die Sendungen nicht als Hilfe zur Selbsthilfe? Wieso rettet man sich nicht durch das Inhalieren der jahrelangen Erfahrungen der Restaurantkritiker?

Diese Frage wird beim Eintreffen des Starkochs für mich als Zuschauer sofort verstörend beantwortet: Die Mitarbeiter zucken fast frustriert mit den Achseln. »Die machen hier nur Stress.« Sie haben kein Leuchten in den Augen, im Sinne von »Der Retter ist da«. Oder sie schauen, als wenn sie alles schon lange wussten und eben resigniert weitermachten, »weil man doch nichts machen kann, wenn die Gäste ausbleiben«. Der Koch findet das Kredenzen von Dosensuppen nicht anstößig, »das machen sie auf der Berghütte auch, besonders die Dosen-Gulaschsuppe ist gefragt.« Manche Mitarbeiter sind so schlecht, dass mehrere längere Gespräche mit dem Starkoch nötig sind; manche geloben gleich Besserung, andere reagieren mit »Das sehe ich nicht ein«. In den meisten Folgen der TV-Serie gibt es so einige Tränen, manches Bedauern und auch Zoff. In der Regel versprechen alle Mitarbeiter, sich zu bessern. Der Starkoch hilft mit, das Gasthaus wieder auf Vordermann zu bringen. Zum Ende der Sendung kommen zur Neueröffnung wieder Gäste. Gibt es Hoffnung?

Wie weiter? Die Erfolge der Starköche sind eher dürftig, wenn die Danach-Berichte in den Medien zutreffen. Die Fernsehleute schauen später vorbei: Wird nun leckerer gekocht, engagierter gearbeitet und mit Disziplin über die Finanzen geschaut? Für einige Wochen schon, aber dann fällt, so sagt man, alles in den alten Trott zurück. Warum denn, wenn die Existenz daran hängt?

Merksatz

Der Ausreichende versteht nicht, was der Gute für selbstverständlich hält.

Vielleicht kennen Sie diesen »Einbruch der Berater« an anderer Stelle: Die Politik wünscht sich von den Professoren mehr Anwendungsnähe und das Lösen wichtiger Probleme in einem interdisziplinären Klima mit anderen Fakultäten und Firmen. Aber die Professoren beharren auf ihren »Hobbys« und geben lustlos nur stärkeren Zwängen nach. Sie halten die Kritik im Wort »Elfenbeinturm« seit jeher aus.

Die öffentliche Verwaltung soll den Bürger als einen Kunden empfinden, dem sie rundum guten Service bieten möchte. Insbesondere scheinen Beamte ihnen unliebsamen Bürgern erst so lange passiv-aggressiv zu begegnen, bis ihnen die Bürger in handhabbar unterwürfiger Haltung gegenübertreten.

Systemische Coaches beschwören das Management, sein streng hierarchisches Machtdenken aufzugeben: »New Work« wird propagiert und »New Management«. Leider sind aber alle Führungskräfte nur »Herdenhund« für die Unternehmensprozesse, sie kontrollieren Mitarbeiter auf penibelste Weise.

In solchen Fällen müssten die Beteiligten »nachhaltig« über einen Schatten springen und ihr gewohntes Umfeld verlassen, indem sie es komplett neu gestalten. Das tun sie aber nicht. Die Professoren lobpreisen weiter zweckfreie Grundlagenforschung, die Verwaltung verweist auf die frech maulenden Bürger (»Ausweisdrucken dauert drei Monate? Wenn ich meine Kreditkarte verloren habe, bekomme ich in zwei Tagen eine neue!«), die Manager wollen Chef spielen und wirklich Chef sein, nicht ein Servicegeber für die Mitarbeiter und das Unternehmen. Sie alle verstehen nicht, was aus anderer Warte selbstverständlich ist.

Und die Wirte in Not schauen sich nicht bei anderen Restaurants um. Wie reagiert man anderswo?

Großunternehmen kommen ab und zu auf die Idee, Start-ups zu kaufen, um zu lernen, was diese besser machen. Berater haben ihnen eingeredet, dass solch ein Lernen modern ist. Die Unternehmen lernen aber keineswegs zu ihrem Nutzen, denn sie schauen Start-ups nur an und empfinden das Gesehene nicht als fruchtbaren Impuls. Die deutschen Beamten wissen schon, dass die Schweden oder das Baltikum im digitalen Sinne viel weiter sind; es stört sie aber nicht. Die einströmenden Massen an Ukraine-Flüchtlingen fragen heute wie selbstverständlich, auf welcher Webseite oder mit welcher App sie sich in Deutschland registrieren können; aber man drückt ihnen ohne jede Scham Papierformulare in die Hand.

Gibt es wirklich einen gewohnten »Trott«, in den ein Unternehmen immer wieder zurückfällt? Was bedeutet das, Trott? Es scheint eine Art Engstirnigkeit zu geben, einen Kleingeist, der den oft beschworenen Horizont am Tellerrand hat. »Außenstehende haben gut reden, sie verstehen das Problem nicht.« Sie sind nicht für Blicke von außen offen. »Es ist sehr kompliziert, Sie wissen einfach nicht, wie hier der Hase läuft.«

Ich habe einmal ein wunderschönes »Narrativ« gehört – so sagt man heute zu einer Erzählung, die nicht unbedingt wahr sein muss. Es ist eine Geschichte über Springflöhe. Von diesen wird berichtet:

Es war einmal, da füllte man viele Flöhe in ein oben offenes Terrarium. Da Flöhe höher springen können, als das Terrarium hoch ist, waren alle Flöhe nach ein paar Minuten komplett verschwunden. Deshalb legte man eine Glasplatte obendrauf. Als nun die Flöhe hochsprangen, knallten sie gegen die Glasplatte, die sie nicht sehen konnten. In der Folge lernten die Flöhe, nur höchstens bis zur Glasplatte zu springen. Daran gewöhnten sie sich mit der Zeit.

Als man sicher war, dass sie niemals zu hoch sprangen, nahm man die Glasplatte wieder ab und wartete gespannt ab, was nun passieren würde.

Da die Flöhe die Glasplatte ja nie sehen konnten, wurden sie nicht gewahr, dass sich die Lage geändert hatte. Sie blieben daher bei ihrer Gewohnheit und sprangen nicht heraus, wie es ihre einstige Natur gewesen war. Sie blieben im Terrarium.

Nun kaufte man neue Jungflöhe und setzte sie in das oben offene Terrarium hinein. Was passierte dann? Die Jungflöhe wussten nicht, dass man hier unter schlechten Erfahrungen mit einer Glasplatte litt. Daher sprangen die Jungflöhe alle nach kurzer Zeit hinaus.

Oh Wunder, mussten die Altflöhe gedacht haben: Keine Glasplatte! Keine Limits! Da sprangen sie ebenfalls hinaus. Sie waren frei!

Damit wäre die Geschichte zu Ende, aber ganz so geschah es nicht. Es könnte nur so gewesen sein! Vielmehr geht es so weiter: Ach, die jungen Flöhe aber, die man hineingesetzt hatte, blieben zunächst auf dem Boden sitzen und schauten sich um. Sie lernten schnell. Denn die Altflöhe lehrten sie dies: »Du darfst hier keine großen Sprünge machen! Sonst wird es dir übel ergehen.« So blieben alle Flöhe im Terrarium – und das ist das tatsächliche Ende der Geschichte.

Merksatz

Unternehmen schauen eben nicht über den Tellerrand hinaus. Es muss wohl eine Art Teilblindheit sein.

Natürlich gibt es auch Studien, die sich mit menschlichen Verhaltensweisen befassen!

Tom DeMarco und Timothy Lister berichten in ihrem berühmten Buch Peopleware von einem Programmierwettbewerb. Testpersonen aus vielen Unternehmen mussten eine Programmieraufgabe erfüllen, deren Lösung nach Zeitaufwand und Fehleranzahl bewertet wurde. Das grobe Ergebnis lautete: Die besten Leute waren doppelt so schnell fertig und machten im Gegensatz zu den mäßigen fast keine Fehler. Nun forschte man nach den »Erfolgsfaktoren«. Was macht einen Programmierer doppelt so gut?

Sind ältere Mitarbeiter besser? Erfahrenere? Liegt es am neuen Computer? An der verwendeten Programmiersprache? An der Höhe des Gehaltes? Am Rang des Mitarbeiters auf seiner Visitenkarte?

Nichts von alledem. Die erkenntnisreiche Lösung erraten Sie nicht auf Anhieb, da bin ich sicher:

Die Qualität der Arbeit hing fast ausschließlich davon ab, in welchem Unternehmen die Probanden arbeiteten. Das heißt: Es gibt in einem Unternehmen einen internen Standard, wie schnell und wie fehlerfrei eine gestellte Aufgabe abgearbeitet sein soll. Diesen Standard haben sämtliche Mitarbeiter gleichermaßen verinnerlicht, er prägt das ganze Unternehmen. Glauben Sie nicht? Aber Sie selbst reden doch von guten und schlechten Schulklassen, von besten Schulen und Elite-Unis? Warum zahlen US-Eltern so viel Geld, um ihren Sprösslingen die bestmögliche Ausbildung in einer Premium-Bildungsstätte zu ermöglichen? In den teuren Internaten gibt es viele Stipendiaten, die ohne Kosten die exklusive Erziehung genießen dürfen. Die Vergabe von Stipendien ist kein reiner Altruismus; denn die Stipendiaten sind sorgfältig ausgewählte Hochleistungsschüler mit völlig integrem Charakter. Sie sind die »Flöhe«, die bestimmen, wie hoch hier gesprungen werden soll. Sie ziehen alle die Schüler mit und hoch, deren reiche Eltern schweres Geld fürs Internat bezahlen.

Vereinfachend gesagt: Der Exzellenzgrad der Arbeit hängt direkt mit der Unternehmenskultur zusammen. Daher halte ich es hier für gerechtfertigt, einem Unternehmen als Ganzem die Bezeichnung Ausreichend-Unternehmen anzuhängen. Die Kultur ist das Bestimmende!

Zur Unternehmenskultur gehört auch die übliche Kleidung, die Anrede (Frau Dr., Sie oder du), die Büroausstattung, der erwartete Zuverlässigkeitsgrad bei der Arbeit, das Benehmen in Meetings, die Disziplin, Termine einzuhalten und vor allem: sich verantwortlich zu fühlen. In manchen Unternehmen sind die Mitarbeiter stolz, dort zu arbeiten, sie nennen sich dann zum Beispiel »Siemensianer«; ich war stolzer »IBMer«. In anderen Unternehmen dagegen wird beim Mittagessen nur über die »Scheißmanager« hergezogen.

In der Arbeitspsychologie wurde 1960 vom Amerikaner Chris Argyris der Begriff des »psychologischen Vertrags« geprägt, der die stillschweigenden Annahmen enthält, wie sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander stellen. Unausgesprochen gilt zum Beispiel: »Hier wird niemand entlassen.« – »Du darfst hier niemals einem Manager im Meeting widersprechen.« – »Du musst hier auf dich aufmerksam machen, sonst wirst du nicht befördert. Von selbst geschieht es nicht.« – »Uns alle beherrscht die Ambition, die weltbeste Firma zu sein.« – »Hier macht die Arbeit keine Freude, aber die Bezahlung ist okay.« – »Hier gilt: Up – or out. Entweder du entwickelst dich weiter oder du gehst.«

Der wohl wichtigste psychologische Kontrakt zwischen Unternehmen und Mitarbeiter war in der Vergangenheit »job security in exchange for loyalty and hard work«: Der Mitarbeiter arbeitet hart und verhält sich absolut loyal gegenüber seinem Arbeitgeber – im Gegenzug sichert der Arbeitgeber dem Mitarbeiter eine auskömmliche Existenz. Das war ein gegenseitiges Geben und Nehmen, das zu einem »Wir-Gefühl« führte.

Seit den 1980er Jahren arbeiten die effizienzgetriebenen Unternehmensführungen an der leisen Erosion dieses psychologischen Kontraktes. Die großen ersten Effizienzerfolge setzten viele Arbeitskräfte frei, die man damals noch sozialverträglich mit großzügigen Vorruhestandsabfindungen heimschickte. Im neuen Jahrhundert wurde der Ton rauer, die Methoden wurden rücksichtsloser. Die Schamgrenzen der Unternehmen verschoben sich. Unerwünschte Unternehmensteile wurden abgespalten, Stellenbeschreibungen revidiert und Zeitverträge eingeführt. Jedes Jahr wurde reorganisiert, hohe Vertriebsboni wurden gesenkt, die Einstellgehälter niedriger gehalten. »Statt der Promovierten reicht uns ab jetzt ein abgebrochener Student.« Die Unternehmen erklären den Neueingestellten heute unverblümt, dass Arbeitsplatzsicherheit ein gestriges Konzept sei. Harte Managementeliten finden es »motivierend«, wenn sich Mitarbeiter unter Unsicherheit unwohl fühlen – so wird mit den Führungskräften immer verfahren. Es wird erwartet, dass der Mitarbeiter sich selbstständig weiterbildet und entwickelt. Für diesen steigenden Egoismus der Arbeitgeberseite wurde ein neues Wort verwendet: »Employability« oder im Deutschen »Beschäftigungsfähigkeit«. Mitarbeiter, die früher gut betreut regelbefördert wurden, müssen sich heute selbst in beinharten Verhandlungen beim Arbeitgeber durchsetzen, oft sogar mit Kündigung drohen. Das »Wir-Gefühl« zwischen Unternehmen und Mitarbeiter wird nicht mehr für nötig erachtet; die Forderung nach Employability verlangt einseitig vom Mitarbeiter, sich als eierlegende Wollmilchsau zu präsentieren, die zu Überstunden bereit ist.

Aus Sicht der sich nach mehr »Wir« sehnenden Mitarbeiter und auch des gestressten Managements bedeutet diese Entwicklung einen Niedergang der Unternehmenskultur, die Raubbau an den Kräften der Beschäftigten betreibt, die erntet, ohne zu säen. Es stellen sich Sinnfragen über Sinnfragen. Solange dieser gefühlte Kultur-Niedergang zum Vorteil des Unternehmens andauert, wird es sich nicht damit befassen wollen. »Keine Sinnfragen, bitte! Weitermachen! Weiter! Schneller! Keine Betriebsfeiern mehr! Die ersparen wir uns!«

Von außen sieht es jetzt so aus: Das Unternehmen arbeitet daran, innerhalb eines immer kleineren Tellerrunds zu leben und zu denken. Es versteht die Signale nicht, weder Sinnfragen noch Kritik von außen. Es wurstelt weiter – zum guten Teil für die Tonne.

Kapitel 2. Loser-Talk – an ihren Worten sollt ihr sie erkennen

Insbesondere bei heiklen Projekten gilt der Grundsatz: »Work only with the best!« Arbeite am besten nur mit richtig guten Leuten! Wie erkennt man die? Und woran erkennt man die, mit denen man lieber nicht arbeiten sollte? Es gibt da bestimmte Kommunikationsformen, die sich Loser zu eigen machen. Denn sie müssen beschönigen, entschuldigen und von anderen Hilfe bekommen.

»An ihren Worten sollt ihr sie erkennen!« Wen? Die Loser unter den Managern und auch in anderen Bereichen reden oft erschreckend entlarvend. Besonders solche Ausreichend-Manager, die sich selbst bessere Noten gäben, benehmen sich ungerechtfertigt selbstbewusst. Sie sind zudem nicht in der Lage, ihren Status in Reden zu verbergen.

Ein Zuhörer fühlt genau, dass hier Probleme falsch angepackt werden, und denkt: »Da möchte ich nicht arbeiten.« Für solche Fälle hat man eine stehende Redewendung parat: »Der Fisch, der stinkt vom Kopfe her.« Denken Sie immer daran, wie es viele Ausreichend-Schüler sagen würden: »Ich konnte meine Hausaufgaben nicht machen, weil die Bahnschranke runterging und ich beim anschließenden Beeilen in Hundedreck trat und deshalb erst zu Hause duschen musste.« Solche Ausreden belächeln wir, aber im Geschäftsleben eher nicht. Da nehmen wir gar nicht erst an, dass sich Manager ähnlich fadenscheinig herausreden. Wir überschätzen sie, vielleicht weil wir eine Vorstellung von ihrem hohen Gehalt haben.

Wenn Parteien niederschmetternd verloren haben, danken sie erst einmal ihren Wählern. Das bringt Rührung vor die Kamera und nimmt der Niederlage fürs Erste ihre Schärfe. Manager danken in solchen Fällen den Mitarbeitern, die hart gearbeitet haben – trotz der notwendigen Entlassungen bei steigendem Arbeitsanfall. Jede Delle in der Weltkonjunktur wird vorgebetet. »Wir leiden unter der Chipkrise, unter Corona und dem Ukraine-Überfall, sodass auch die weltweite Brautkleid-Produktion einbricht, wovon wir indirekt in jedem Fall weiterhin betroffen sein werden. Trotz all dieser widrigen Umstände war es uns möglich, ein Ergebnis zu erzielen, mit dem wir in die Zukunft sehen können. Natürlich sind wir nicht zufrieden. Es ist nicht unser Anspruch, mit Problemen zu kämpfen. Aus unserer Vergangenheit heraus wissen wir aber, dass wir noch mit jeder Krise fertiggeworden sind. Wir werden mit schwerer See fertig, wir werden auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen.«

Warum drücken sie sich alle mit denselben und immer denselben Worthülsen aus?

Es ist – nicht mehr und nicht weniger – Loser-Talk. Dieser lädt die Interviewer erst recht ein, aggressiv auf die aufscheinenden Schwächen zu sprechen zu kommen. Die entsprechende Standard-Loser-Antwort haben Sie schon öfter gehört: »Lassen Sie uns Zeit, die Ergebnisse zu analysieren.«

Immer nur »analysieren«, was wahrscheinlich eine Umschreibung von »weiterwursteln« ist! Bei der Weltmeisterschaft ausgeschieden? Der DFB analysiert. Die CDU als Volkspartei abgewählt? Man analysiert. Eine andere Loser-Talk-Version: »Wir müssen uns erst zusammensetzen.« Am besten im Ton: »We will make us great again.« Das angekündigte Analysieren ist eine Reaktion des Ausreichenden auf ein Mangelhaft.

Unternehmen und Regierungen, die zu echten Aktionen unfähig sind, setzen sich großartige und »nachhaltig-langfristige Ziele«, für die eine Marketingabteilung mit bekannten und teuren Agenturen schmissige Aktionsnamen ersinnt. »Digitalisierung für das 21. Jahrhundert«, »Kohleausstieg 2045«, »Klimaziel 2050« oder »Durchseuchung 2055«. Hauptsache, es ist noch lange hin und klingt entschlossen aktiv.

Viele Unternehmen ergreifen auch die Möglichkeit, Sticker und Kaffeepötte mit wichtigen Signalen an die Mitarbeiter zu bedrucken. Wenn der Stress übermenschlich groß wird, druckt man »Well-Being«. Wenn sich die alten Produkte nicht verkaufen, macht sich »Innovation« gut. Bei Grabenkämpfen der Unternehmensbereiche bietet sich »Team« an. Oft gibt es auch Stoßgebete auf Tassen: »Profitable Growth« oder »Excellence«. Alles in Englisch, dass klingt entschlossener und ist bei Tassendrucken wegen der englischen Kürze viel billiger. Generell überlegt man sich, was in einem Unternehmen am allerschlechtesten aussieht, dreht es bis zur absoluten Unkenntlichkeit ins Positive – und ab in die Unternehmenskommunikation!

Merksatz

Wenn gar nichts mehr hilft, geht noch »We’ll win!«

Im Zuge des Ukraine-Krieges stellte sich die Frage, ob die Bundeswehr im Ernstfall helfen könnte. Da hagelte es Kommentare der Art »nicht einsatzfähig« und »mangelhafte Ausstattung«, worauf der Finanzminister in einer heldenhaften Aktion einen Schattenhaushalt von 100 Milliarden Euro genehmigte.

Was passiert jetzt? Nichts, weil Beschaffungsmaßnahmen jahrelang dauern.

Nun ist wieder sehr viel Zeit mithilfe von Loser-Talk gewonnen. Genauso operieren Unternehmen, die ihr Versagen nicht in Schattenhaushalten verstecken, sondern in »one-time charges«, also in meist immens großen Abschreibungen. Sie sprechen stets von nur absolut »einmaligen Berichtigungen in der Bilanz«. Sie befreien sich auf einen Schlag von drückenden Altlasten und Fehlerfolgen. Danach – so erklären sie fast triumphierend – können sie wieder »absolut zuversichtlich in die Zukunft sehen«.

Wenn solche »einmaligen Aufwendungen« nötig sind, so liegen dahinter meist viele Jahre von Fehlern, Versagen und Missmanagement. Zum Beispiel: Wenn sich auf Halde produzierte Ladenhüter beim besten Willen nicht mehr verkaufen lassen, dann rät der Wirtschaftsprüfer zu einem »klaren Schnitt«, zu einer »impairment charge« (Wertminderungsaufwand).

Unverkäufliche Lagerbestände gibt es bei jedem Unternehmen, aber gute Unternehmen berichtigen deren Bilanzwert sofort. Trickreiche Ausreichend-Unternehmen bilanzieren solchen schleichenden Verfall erst einmal lieber nicht. Es wird abgewartet, bis sich immer größere Fehlproduktionen unübersehbar häufen, bis also das Problem zum Himmel stinkt. Dann wird der Wertansatz in der Bilanz mit einer einzigen gewaltigen Abschreibung berichtigt. »Sorry, es handelt sich um einen einmaligen Fehler!« Damit werden die Aktionäre beruhigt, die ein Dauerproblem wittern – was es ja ist. Man gaukelt vor: Die vielen Fehler sind eigentlich nur einer, der mit einer »non-cash charge« berichtigt wird! Schwupp, weg ist er! Daher ist alles halb so schlimm, und die hinters Licht geführten Aktionäre nicken zufrieden. Niemand fragt, wie es zu so hohen Wertminderungen kommen konnte.

Andere Baustellen werden auch gern auf diese Weise gesichert: »Wir haben uns entschieden, unser nicht mehr so gewinnträchtiges Geschäft zu beenden und nur den profitträchtigen Zweig unseres Unternehmens fortzuführen. Daher entlassen wir ein paar Tausend Mitarbeiter. Dieser Einschnitt in unserer Unternehmensgeschichte fällt uns nicht leicht, aber wir müssen das Unternehmen für die Zukunft wetterfest machen und die verbliebenen Arbeitsplätze sichernd schützen.« Auch hinter solchen Verlautbarungen verbergen sich in der Regel jahrelange Versäumnisse, die in einer Einmalaktion »bereinigt« werden. Dadurch vermeiden die für die Misere verantwortlichen Manager, in Misskredit zu kommen. Im Gegenteil, sie haben tapfer und furchtlos alle Probleme angepackt und beseitigt. In der nur gerade jetzt größten Not knickt auch jeder Betriebsrat ein, und der Staat lässt sich anzapfen.

Überlegen wir: Wenn die Probleme langsam größer werden und mit einem Schlag bilanziell, finanziell oder organisatorisch bereinigt werden, dann müsste man eigentlich doch einmal schauen, wie es zu dem Problem über die Jahre kam. Und es würde klar, dass das Verschleiern von Problemen in den Vorjahren das Aufblähen von Gewinnausweisen ermöglichte.

Nüchtern besehen weist man mit solchen Taktiken jahrelang einen nicht vorhandenen Gewinn aus und berichtigt das Ganze später mit einem Schlag. Kennen Sie im Privatleben solche Generalbeichten? »Mama, ich war alle Zeit guter Dinge, das Abitur zu bestehen, aber ich fühle mich plötzlich überfordert und habe mir einen Beruf ausgesucht, für den keinerlei Vorkenntnisse nötig sind. Nach diesem Entschluss sehe ich wieder befreit in eine vielversprechende Zukunft. Mama, lass uns das angemessen feiern.« – »Aber dann hast du alle die Jahre nicht genug gelernt!« – Mama, es hat keinen Zweck, mit negativem Denken in der Vergangenheit zu bohren. Es stört auf meinem Weg zum Erfolg. Lass uns nach vorne sehen, Mama. Ich brauche nur etwas Geld von dir, um ein neues Leben zu beginnen. Ich will neu durchstarten. Du wirst stolz auf mich sein!« – »Das will ich gerne, liebes Kind. Deine Oma hat immer gesagt: Lieber ein Ende mit Schrecken, also Schrecken ohne Ende.« – »Mama, es ist kein Schrecken, ich schlage nur eine andere Laufbahn ein, die mich glücklich macht.«

Ich kenne so einige Eltern und Aktionäre, die sich durch solchen glückstrahlend vorgetragenen Loser-Talk blenden ließen. Sie merken nicht, dass diese »Gerade so durchkommen«-Haltung die ganze Zeit für den Niedergang verantwortlich war und dass sich daran nach jedem noch so großen Schnitt wohl auch nichts ändern wird.

Neben diesem Loser-Talk, der fast verführerisch-manipulativ die eigene Haut retten hilft und aus der Kritikzone befreit, gibt es auch ganz hoffnungslose Fälle. Da preisen Menschen etwas in einer Art an, die fast Mitleid erregt. Ich soll oft helfen, aber ich sehe hinter den Bitten schon eine lange traurige Agonie. Aus Zuschriften an mich: »Ich habe zwanzig Jahre an einem dicken Gedichtband gefeilt, der durchweg Bäume verherrlicht, das ist mein Hobby. Wie finde ich einen Verlag?« – Oder »Der Markt für meine Idee ist fast unendlich groß, ich kann Ihnen die konkrete Idee nicht verraten, ich lasse sie patentieren, aber ich habe leider nicht genug Geld dafür. Können Sie mich unterstützen?« Sehr oft auch: »Ich habe alles fertig entwickelt, ich muss nur noch eine Fabrik bauen. Das kann ich nicht. Bitte helfen Sie mir, Herr Dueck!« Aber kann ich denn eine Fabrik bauen? Am häufigsten erlebe ich dies: »Was ich für meine Idee nur noch brauche, ist jemand, der sie umsetzt. Da dachte ich an Sie, Herr Dueck.« – »Fragen Sie mich als erste Person, oder haben Sie es schon woanders versucht?« – »Ja, bei vielen – jahrelang.«