Aufsätze - G. E. M. Anscombe - E-Book

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G. E. M. Anscombe

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Beschreibung

Die Wittgenstein-Schülerin Elizabeth Anscombe zählt zu den einflussreichsten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts. Mit der Monographie »Absicht« begründete sie die analytische Handlungstheorie, viele ihrer Abhandlungen gelten als Klassiker, aber nur wenige liegen bislang in deutscher Übersetzung vor. Der vorliegende Band füllt diese Lücke: Er versammelt zwölf von Anscombes wichtigsten Aufsätzen, die thematisch von der praktischen Philosophie über die Metaphysik und die Philosophie des Geistes bis hin zu Aristoteles- und Wittgenstein-Interpretationen reichen, also das ganze Spektrum ihres Denkens repräsentieren. Die Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber sowie das Nachwort von Anselm W. Müller erschließen die Texte und bieten zusätzliche Einblicke in das facettenreiche Werk dieser solitären Denkerin.

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Die Wittgenstein-Schülerin Elizabeth Anscombe zählt zu den einflussreichsten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts. Mit der Monographie Absicht begründete sie die analytische Handlungstheorie, viele ihrer Abhandlungen gelten als Klassiker, aber nur wenige liegen bislang in deutscher Übersetzung vor. Der vorliegende Band füllt diese Lücke: Er versammelt zwölf von Anscombes wichtigsten Aufsätzen, die thematisch von der praktischen Philosophie über die Metaphysik und die Philosophie des Geistes bis hin zu Aristoteles- und Wittgenstein-Interpretationen reichen, also das ganze Spektrum ihres Denkens repräsentieren. Die Anmerkungen und die Lektürehilfe der Herausgeber sowie das Nachwort von Anselm W. Müller erschließen die Texte und bieten zusätzliche Einblicke in das facettenreiche Werk dieser herausragenden Denkerin.

Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe (1919-2001) lehrte an der Cambridge University. Im Suhrkamp Verlag liegt vor: Absicht (stw 1978).

Katharina Nieswandt und Ulf Hlobil promovieren derzeit an der University of Pittsburgh.

Anselm W. Müller ist Professor für Philosophie an der University of Chicago.

G.E.M. Anscombe

Aufsätze

Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Katharina Nieswandt und Ulf Hlobil

Mit einem Nachwort von Anselm W. Müller

Suhrkamp

Zur Gewährleistung der Zitierbarkeit zeigen die grau hinterlegten Ziffern die jeweiligen Seitenanfänge der Printausgabe an.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2014

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2101.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2014

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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eISBN 978-3-518-73952-5

www.suhrkamp.de

Inhalt

I Praktische Philosophie

1. Nackte Tatsachen

2. Praktisches Schlussfolgern

3. Warum Versprechen binden (und ob in foro interno)

4. Regeln, Rechte und Versprechen

5. Über die Grundlage staatlicher Autorität

6. Die Moralphilosophie der Moderne

II Metaphysik und Philosophie des Geistes

7. Kausalität und Determination

8. Die erste Person

9. Die Intentionalität der Wahrnehmung: Ein grammatischer Aspekt

10. Die Wirklichkeit des Vergangenen

III Exegetische Aufsätze

11. Denken und Handeln bei Aristoteles: Was ist »praktische Wahrheit«?

12. Ist Wittgenstein linguistischer Idealist?

IV Nachwort

Anselm W. MüllerG.E.M. Anscombe – Entdeckung einer philosophischen Entdeckerin

V Anhang

Editorische Notiz

Lektürehilfe

Textnachweise

7I Praktische Philosophie

91. Nackte Tatsachen

Laut Hume könnte ich meinem Gemüsehändler erklären: »Die Wahrheit einer Behauptung besteht darin, dass sie mit etwas übereinstimmt: entweder in der Übereinstimmung mit Beziehungen zwischen Vorstellungen – wie etwa der, dass zwanzig Schillinge ein Pfund ergeben – oder in der Übereinstimmung mit Tatsachen – wie der, dass Sie mir einen Viertelzentner Kartoffeln geliefert haben. Folglich lässt sich der Begriff der Wahrheit überhaupt nicht auf Behauptungen wie die anwenden, dass ich Ihnen soundso viel für die Kartoffeln schulde. Man darf nicht einfach von einem ›Sein‹ – wie etwa der Tatsache, dass ich die Kartoffeln bestellt hatte und dass Sie mir diese Kartoffeln samt einer Rechnung geliefert haben – auf ein ›Schulden‹ schließen.«[1]

Besteht meine Schuld beim Gemüsehändler in diesem Fall in irgendwelchen Tatsachen, die über die genannten hinausgehen? Nein. Nun könnte jemand sagen wollen: Sie besteht in den genannten Tatsachen im Kontext unserer Institutionen. In gewissem Sinne stimmt das. Aber wir müssen darauf achten, die ›Klammern‹ in unserer Analyse richtig zu setzen. Wir dürfen nämlich nicht sagen: Sie besteht in jenen-Tatsachen-im-Kontext-unserer-Institutionen, sondern es muss heißen: Sie besteht in jenen Tatsachen – im 10Kontext unserer Institutionen. Oder auch: Im Kontext unserer Institutionen besteht sie in jenen Tatsachen. Denn die Aussage, dass ich dem Gemüsehändler etwas schulde, enthält ebenso wenig eine Beschreibung unserer Institutionen, wie etwa die Aussage, dass ich jemandem einen Schilling gegeben habe, eine Beschreibung der Institution des Geldes und unserer Landeswährung enthält. Andererseits kann sie aber nur vor dem Hintergrund solcher oder zumindest sehr ähnlicher Institutionen überhaupt die Art von Aussage sein, die sie ist.

Doch selbst wenn dieser Hintergrund gegeben ist, bedeuten die genannten Tatsachen nicht notwendigerweise, dass ich dem Gemüsehändler die und die Summe schulde. Der Vorgang hätte z.B. auch gestellt sein können, etwa im Rahmen von Dreharbeiten. Dann habe ich zwar vielleicht zu dem Händler gesagt: »Liefern Sie mir diese Menge Kartoffeln«, und er hat sie samt Rechnung geliefert – aber dieser ganze Ablauf war kein wirklicher Verkauf, sondern nur eine Inszenierung, und zwar selbst dann, wenn ich am Ende die Kartoffeln tatsächlich esse (und das nicht als Teil des Films). Denn vielleicht hat der Gemüsehändler ja gesagt, ich könne sie behalten; oder er hat zwar nichts gesagt, aber weil es ihm gleichgültig ist, stellt sich die Frage nie. Folglich ist die Tatsache, dass etwas im Rahmen einer Gesellschaft mit gewissen Institutionen getan wird, in deren Kontext dieses Geschehen normalerweise einen bestimmten Vorgang darstellt, an sich noch kein endgültiger Beweis dafür, dass ein solcher Vorgang stattgefunden hat.

Besteht der Unterschied vielleicht in der Absicht? Nicht, wenn wir Absichten für etwas rein Innerliches halten. Folgendes stimmt aber auf jeden Fall: Was für gewöhnlich einen Vorgang einer bestimmten Art ausmacht, ist einfach ein so gearteter Vorgang, es sei denn, ein außergewöhnlicher Kontext verleiht ihm einen anderen Charakter. Solch ein außergewöhnlicher Kontext kann aber beispielsweise nicht darin bestehen, dass ich plötzlich meinen gesamten Besitz verliere und ins Gefängnis geworfen werde (meinetwegen unschuldig), so dass ich den Händler nicht bezahlen kann. Denn auch unter diesen Umständen könnte man noch sagen, dass ich ihm das Geld schulde. Normalerweise besteht keine Veranlassung, zu überprüfen, ob ein außergewöhnlicher Kontext vorliegt, nur um sicherzustellen, dass nichts vorliegt, was einen grundlegenden Unterschied machen würde. Denn normalerweise ist der Kontext 11nicht außergewöhnlich; und falls doch, dann ist das meistens offensichtlich – wenn auch nicht immer, weshalb man sich tatsächlich stets täuschen kann. Aber es ist prinzipiell unmöglich, diese Ausnahmen schon im Voraus auszuschließen. Denn theoretisch kann man sich immer noch einen weiteren außergewöhnlichen Kontext für jeden außergewöhnlichen Kontext vorstellen, der diese Ausnahme dann wiederum in ein neues Licht rücken würde.

Kehren wir noch einmal zu dem Vorschlag von oben zurück, der besagte: »Dem Gemüsehändler etwas zu schulden besteht in jenen Tatsachen im Kontext unserer Institutionen.« Uns sollte hierbei auffallen, dass genau dasselbe auch für diese Tatsachen selbst gilt – so wie wir sie beschrieben haben. Denn nur im Kontext unserer Institutionen kann eine Menge von Ereignissen überhaupt das Bestellen und Liefern von Kartoffeln sein, und nur in diesem Kontext kann etwas als eine Rechnung gelten.

Wenn nun aber meine Schuld beim Gemüsehändler hier nicht in einer weiteren Tatsache besteht, die über die bereits genannten Tatsachen hinausgeht, dann sind wir anscheinend gezwungen, eine der folgenden zwei Positionen einzunehmen: Entweder (a) die Behauptung, dass ich dem Händler etwas schulde, besagt lediglich, dass irgendwelche derartigen Tatsachen vorliegen. Oder (b) die Behauptung, dass ich dem Händler etwas schulde, fügt etwas zu dieser Tatsachenbehauptung hinzu, das selbst keine Behauptung über Tatsachen ist.

Die entsprechende Position müssten wir dann aber auch hinsichtlich der Beschreibung eines Vorgangs wie »Der Gemüsehändler beliefert mich mit Kartoffeln« vertreten. Und in diesem Fall ist sicher keine der beiden Positionen richtig.

Der Händler liefert mir also einen Viertelzentner Kartoffeln, d.h., (1) er bringt diese Menge an Kartoffeln zu meinem Haus und (2) lässt sie dort liegen. Aber nicht jede Handlung, die darin bestünde, Kartoffeln vor meinem Haus abzulegen, würde als ein mich Beliefern gelten. Wenn kurz darauf jemand im Auftrag des Gemüsehändlers die Kartoffeln wieder mitnähme, dann würde man nicht sagen, dass der Gemüsehändler mich beliefert hat. »Wann fand denn die Lieferung statt?«, könnte man fragen. Offensichtlich als er die Kartoffeln ablegte; es wäre völlig absurd, hinzuzufügen: »Und auch dann, als er sie nicht wieder abholen ließ.«

Es kann unmöglich eine vollständige Beschreibung all jener 12Umstände geben, die theoretisch verhindern könnten, dass man eine Handlung, die darin besteht, einen Viertelzentner Kartoffeln vor meinem Haus abzulegen, beschreiben kann als »mir einen Viertelzentner Kartoffeln liefern«. Gäbe es eine solche vollständige Beschreibung, dann könnte man sagen, dass »mir einen Viertelzentner Kartoffeln liefern« bedeute: Ablegen der Kartoffeln vor meinem Haus ohne Eintreten der genannten Umstände (nämlich: …). So wie die Dinge stehen, können wir aber höchstens sagen, dass es bedeutet, »die Kartoffeln abzulegen … unter der Voraussetzung, dass keiner jener Umstände eintritt, die verhindern würden, dass man die entsprechende Handlung als das Liefern von Kartoffeln beschreiben darf« – was wohl kaum als Erklärung durchgeht. Ich kann aber sehr wohl wissen, dass der Gemüsehändler mir Kartoffeln geliefert hat; und auf die Frage, worin das denn bestand, würde ich sagen, dass es schlicht darin bestand, dass ich sie bestellt hatte und er sie vor meinem Haus abgelegt hat.

Jede Beschreibung setzt den Kontext einer üblichen Verfahrensweise voraus, doch dieser Kontext selbst ist noch nicht einmal implizit Teil der Beschreibung. Zwar können außergewöhnliche Umstände einen Unterschied machen, aber man zieht sie nicht grundlos in Betracht.

Verglichen mit dem Liefern von Kartoffeln an mich lassen sich der Transport und das Ablegen eines Viertelzentners Kartoffeln vor meinem Haus als eine »nackte Tatsache« bezeichnen. Aber verglichen mit der Tatsache, dass ich dem Händler die und die Summe Geld schulde, ist es wiederum eine »nackte Tatsache«, dass er mir Kartoffeln geliefert hat. Bezüglich vieler Beschreibungen angeblicher Ereignisse und Sachverhalte lässt sich fragen, worin dabei die »nackten Tatsachen« bestehen. Damit meint man dann die Tatsachen, aufgrund deren die und die Beschreibung in einem entsprechenden Kontext wahr oder falsch ist und die »nackter« sind als jene in Frage stehende Tatsache, die der Gegenstand der Beschreibung ist. Ich sehe hier davon ab, zu fragen, ob es irgendwelche Tatsachen gibt, die »nackt« sind verglichen mit dem Zurücklassen eines Viertelzentners Kartoffeln vor meinem Haus. Man könnte sich aber Tatsachen vorstellen, mit denen verglichen meine Schuld in der und der Höhe beim Gemüsehändler »nackt« ist – z.B. die Tatsache, dass ich zahlungsfähig bin.

Wir sind nun in der Lage, einige der Beziehungen festzuhal13ten, die zumindest manchmal zwischen einer Beschreibung A und Beschreibungen – z.B. der Beschreibung xyz – von Tatsachen bestehen, die im Vergleich zu der durch A beschriebenen Tatsache nackt sind.

(1) Es gibt einen Bereich von unterschiedlichen Mengen von Beschreibungen wie xyz, so dass eine der diesen Bereich bildenden Mengen wahr sein muss, wenn A wahr ist. Doch dieser Bereich kann immer nur ungefähr angegeben werden, und zwar indem man unterschiedliche Beispiele gibt.

(2) Damit die Beschreibung A in einer Sprache vorkommen kann, muss es einen Kontext geben, den ich als »die Institution im Hintergrund von A« bezeichnen will. Dieser Kontext kann eine Voraussetzung für Elemente in xyz bilden oder auch nicht. So setzt z.B. die Beschreibung »eine Rechnung schicken« die Institution des Kaufens und Verkaufens voraus, und dasselbe gilt für »jemandem Geld für gelieferte Waren schulden«, aber es gilt nicht für die Beschreibung »jemandem Kartoffeln vorbeibringen«.

(3) A ist selbst keine Beschreibung der Institution im Hintergrund von A.

(4) Wenn aus dem Bereich der Mengen an Beschreibungen, die A wahr machen können, eine Menge wahr ist und wenn die Institution im Hintergrund von A existiert, dann trifft »unter gewöhnlichen Umständen« A zu. Die Bedeutung von »unter gewöhnlichen Umständen« kann man aber nur grob angeben, und zwar indem man Beispiele außergewöhnlicher Umstände nennt, unter denen A nicht zutreffen würde.

(5) Zu behaupten, dass A wahr ist, ist nicht dasselbe, wie zu behaupten, dass die Umstände »gewöhnlich« waren. Doch wenn man aufgefordert wird, A zu rechtfertigen, dann ist unter gewöhnlichen Umständen die Wahrheit der Beschreibung xyz eine angemessene Rechtfertigung; A wird nicht durch irgendwelche zusätzlichen Tatsachen als wahr erwiesen.

(6) Wenn aus A eine andere Beschreibung B folgt, dann gilt zwar nicht immer, dass B auch aus xyz folgt, doch B folgt, sofern die Umstände gewöhnlich sind – bezogen auf Beschreibungen wie A. Aus »Er hat mir Kartoffeln geliefert« etwa folgt »Die Kartoffeln sind in meinen Besitz gelangt«. Und unter gewöhnlichen Umständen ist »Er hat die Kartoffeln zu meinem Haus bringen und dort ablegen lassen« eine angemessene Rechtfertigung für die Behaup14tung »Er hat mir Kartoffeln geliefert«. Auf die Frage, worin denn dieses Liefern von Kartoffeln bestand, wüsste man im Normalfall keine zusätzlichen Tatsachen anzuführen, auf die man sich berufen könnte. (Man kann nicht alles aufzählen, was nicht der Fall war, aber einen Unterschied gemacht hätte, wenn es der Fall gewesen wäre.) Zwar folgt aus »Er hat Kartoffeln zu meinem Haus befördern und dort ablegen lassen« nicht »Die Kartoffeln sind in meinen Besitz gelangt«. Doch aus »Er hat die Kartoffeln zu meinem Haus befördern und dort ablegen lassen, und die Umstände waren, was den Empfang von Waren betrifft, ganz gewöhnliche Umstände« folgt durchaus »Die Kartoffeln sind in meinen Besitz gelangt«.

152. Praktisches Schlussfolgern

Die Logik interessiert sich […] nur für den unbehaupteten Satz.

(Wittgenstein)[2]

In diesem Aufsatz beschäftige ich mich kritisch mit folgendem Abschnitt aus einem Text Georg Henrik von Wrights:

Nun können wir klarer erkennen, was es für einen praktischen Schluss heißt, logisch gültig zu sein. Gegeben seien z.B. folgende Prämissen:

X beabsichtigt, E zu verwirklichen.

Er denkt, dass E nicht verwirklicht werden kann, es sei denn, er tut sofort A.

Wenn wir (aufgrund einer Hypothese oder aufgrund von Nachforschungen) ausschließen, dass irgendetwas ihn daran hindert, dann ist das, was er tut (welchen Anschein es auch erwecken mag), entweder eine Weise, A zu tun, oder es ist zumindest ein erfolgloser Versuch, A zu tun. Jede Beschreibung, die damit logisch unvereinbar ist, ist auch mit den Prämissen logisch unvereinbar. Wenn wir die Prämissen akzeptieren, dann müssen wir also sein Verhalten dementsprechend verstehen – es sei denn, wir haben Grund zu der Annahme, dass direkt zu Beginn der Handlung etwas dazwischengekommen ist.[3]

16I

Wenn es praktische Schlussfolgerungen gibt, dann müssen solche Schlussfolgerungen auch gültig sein können. Gültigkeit hängt aber mit Notwendigkeit zusammen. Das scheint der Grund zu sein, warum von Wright ausschließlich Schlussfolgerungen beachtet, deren Formulierung ein »Es sei denn« enthält. So kommt er dazu, die schematische Darstellung eines praktischen Schlusses – in der ersten Person – folgendermaßen zu formulieren:

Ich will E erreichen.

Ich werde E nicht erreichen, es sei denn, ich tue A.[4]

Nehmen wir an, dass ich das angegebene Ziel sowie die genannte Überzeugung habe und dass ich außerdem auch A tue.

Was für eine Verbindung zeigt sich dabei zwischen dem Wunsch und der Überzeugung einerseits und der Handlung andererseits? Sollen wir sagen, dass das Wollen und das Überzeugtsein mich veranlassen zu handeln? Wenn ja, ist das eine Form von kausaler Wirksamkeit? Oder handelt es sich hier vielmehr um einen logischen Zwang?[5]

Donald Davidson entscheidet sich hier für die »kausale Wirksamkeit«. Denn er erkennt, dass zwischen einen Grund haben einerseits und tatsächlich aus genau diesem Grund handeln andererseits ein Unterschied besteht.[6] Ich handle, weil … Wir müssen erklären, was dieses »weil« bedeutet. Davidson geht davon aus, dass dieses psychologische »weil« ein ganz normales »weil« ist, bei dem der Weil-Satz einen psychischen Zustand beschreibt. Doch diesem Ansatz fehlt es an Klarsicht. Es ist zwar richtig, dass ich nicht nur einen Grund haben muss, der Grund muss auch »als mein Grund wirksam werden«, d.h., mein Tun muss das entsprechende Ziel verfolgen, und zwar aufgrund der entsprechenden Überzeugung. Aber nicht jedes Tun, das durch einen Wunsch verursacht wird, verfolgt 17auch diesen Wunsch, und nicht jedes Tun, das durch eine Überzeugung verursacht wird, geschieht aufgrund dieser Überzeugung. Davidson erkennt, dass, selbst wenn die Beschreibung dessen, was laut der Überzeugung getan werden müsste, sich mit der Beschreibung dessen deckt, was wirklich getan wurde, und selbst wenn die Tat durch diese Überzeugung und den Wunsch verursacht wurde, dies noch nicht garantiert, dass man durch die Tat den Wunsch verfolgt hat und dass man die Tat aufgrund der Überzeugung ausgeführt hat. Er spricht dabei von einer »falschen« oder einer »abweichenden« Kausalverbindung.[7] Doch ich behaupte, dass jede erkennbare Kausalverbindung »falsch« wäre und dass Davidson die »richtige« Kausalverbindung einfach postulieren muss, wobei er sich in der bequemen Sicherheit wiegen kann, dass man diese niemals finden wird. Denn auch wenn eine Kausalverbindung gefunden würde, könnten wir immer noch fragen: »Aber wurde die Tat auch um des Zieles willen getan und im Lichte der angenommenen Tatsachen?«

Ich vermute, dass dieser Mangel an Klarsicht sich aus jenem Standardansatz ergibt, der zuerst Handlungen von bloßen Geschehnissen unterscheidet, um dann anschließend ausschließlich über Handlungen zu sprechen. Damit wird das, worüber wir uns Gedanken machen, schon von vornherein als eine Handlung in einem strengen Sinne beschrieben und nicht als irgendetwas, das wir tun – wie wenn wir unfreiwillig eine bestimmte Geste machen. Auch so eine Geste kann beispielsweise dadurch verursacht werden, dass man etwas bemerkt (also durch den Beginn einer Überzeugung), während man einen bestimmten Wunsch hegt. Ein Tun wird nicht schon dadurch zu einer absichtlichen Handlung, dass es durch eine Überzeugung und einen Wunsch verursacht wurde – selbst wenn die Beschreibungen, die im Inhalt der Überzeugung und des Wunsches auftauchen, zu diesem Tun passen.

Von Wright hegt keine Sympathie für solche Erklärungen mit18tels kausaler Wirksamkeit. Er fühlt sich vielmehr zu der zweiten von ihm genannten Alternative hingezogen: dem logischen Zwang. Dabei ergeben sich gewisse Schwierigkeiten, die ihn dazu bringen, das obige, erstpersonale Schlussschema so abzuwandeln, dass er »wollen« durch »beabsichtigen« ersetzt und die Formulierung in der ersten Person durch eine Formulierung in der dritten Person (deren zweiter Prämisse »Er denkt« vorangestellt wird). Aber dann bleibt immer noch ein zeitlicher Abstand zwischen dem Denken der Prämissen und der Handlung. Von Wright schließt diesen Abstand, indem er ein »sofort« hinzufügt, das im engen Sinne zu verstehen ist. Dann muss er noch ausschließen, dass die Handlung zum Zeitpunkt ihrer geplanten Ausführung verhindert wird. Aber damit handelt er sich ein recht merkwürdiges Problem ein, was die »sofortige« Anwendung praktischer Argumente betrifft. »Können manche Handlungen allein aufgrund dessen erklärt werden, was jetzt gerade der Fall ist? Und gibt es Handlungen, die gleichzeitig mit der Konstruktion ihrer Rechtfertigung stattfinden?« Von Wright verneint das. Aber er sagt uns nicht, warum.

Er scheint sich die Anwendung praktischer Schlüsse so vorzustellen, dass man von einem Argument Gebrauch macht. Nun kann man wohl kaum von einem Argument Gebrauch machen, das man nicht – innerlich oder öffentlich – vorbringt. Doch ein solches Vorbringen braucht Zeit. Wenn ich A »sofort« tue, dann habe ich zu so etwas keine Zeit. Wenn ich hingegen Zeit habe, das Argument oder die Überlegung vorzubringen, dann beziehen diese sich entweder auf die Zukunft, oder ich rechtfertige eine bereits ausgeführte Handlung im Nachhinein. Das aber heißt, dass ich zu meiner Handlung nicht so kommen kann, wie man zu einer Konklusion kommt. (Hier interpretiere ich – wohlwollend, wie ich hoffe.)

Das bringt uns zu folgender interessanter Frage: Ist Schlussfolgern ein Vorgang? Ist »schlussfolgern« ein psychologisches Verb? Ist »überlegen« ein psychologisches Verb? Falls dem so wäre, dann wäre es doch recht seltsam, dass man Schlussfolgern und Überlegen nicht auf den üblichen Listen mentaler Phänomene findet. Bernard Williams hat einmal gesagt, Schlussfolgern müsse etwas sein, das man ausführen kann. Doch was stellt man sich unter dem Ausführen einer Schlussfolgerung vor? Wohl kaum das Aufstellen eines Arguments. Man stellt sich eher vor, dass man zunächst einen Gedanken denkt und dann einen anderen, von dem man erkennt, 19dass er aus dem ersten folgt. Gibt es zusätzlich zu dem Erfassen, dass der zweite Gedanke aus dem ersten folgt, noch ein Ziehen des Schlusses? Wohl kaum. Es spielt auch keine Rolle, dass ich »den zweiten Gedanken nicht gehabt hätte, wenn ich den ersten nicht gehabt hätte«. Das mag zwar in bestimmten Fällen so sein, aber man wird wohl kaum sagen: »Wenn der zweite Gedanke einfach so im Geist auftaucht, dann ist das kein Folgern – selbst wenn man erkennt, dass der zweite aus dem ersten folgt, und ein ›also‹ hinzufügt!« Selbst das »also« muss man nicht hinzufügen. Falls Schlussfolgern ein geistiger Akt ist, so besteht er vermutlich darin, »den zweiten Gedanken unter dem Blickwinkel einer ›Also‹-Beziehung zum ersten Gedanken zu betrachten«. Wie kommt es dann aber, dass, wenn wir eine Schlussfolgerung bewerten oder kritisieren, wir uns überhaupt nicht dafür interessieren, ob so etwas im Geiste der betreffenden Person vorgegangen ist, ob sie also ein Erlebnis hatte, das sich wie eben geschildert beschreiben lässt? Eben weil das unerheblich ist, scheint es unnatürlich, Schlussfolgern als etwas zu klassifizieren, das im Geist vor sich geht, oder »schlussfolgern« ein psychologisches Verb zu nennen.

Von Wrights Bemerkung zur gleichzeitigen Konstruktion der Rechtfertigung findet sich in einem Abschnitt, in dem er folgende Frage aufwirft: »Welchen Gebrauch machen wir von den Argumenten, die ich hier als praktische Schlüsse bezeichne?« Diese Frage kann in diesem Zusammenhang durchaus gerechtfertigt erscheinen. Sowohl die Konstruktion als auch das Vorbringen oder Durchgehen eines Arguments benötigen Zeit; daher kann es keine »sofortige« Umsetzung eines Arguments in Handlungen geben. Aber von Wright scheint hier etwas Tiefergehendes sagen zu wollen. Hat er vielleicht nicht alle »Gebrauchsweisen« solcher Argumente berücksichtigt?

Wie alles, was den Namen »Schlussfolgern« verdient, zeichnet sich praktisches Schlussfolgern dadurch aus, dass es gültig sein kann. Die Gültigkeit einer Schlussfolgerung wird gemeinhin als eine formale Eigenschaft verstanden. Das Erfassen von Gültigkeit hängt mit der Bewertung von Gründen als Gründe zusammen. Daher kann man solche Argumente nicht nur verwenden, um zu einer Konklusion zu kommen oder um eine Handlung zu erklären oder zu rechtfertigen, sondern auch (und dieser Gebrauch wird bei von Wright nicht erwähnt), um eine Handlung hinsichtlich ihrer 20Gründe zu bewerten. Kann man also »sofort« aus einem bestimmten Grund handeln – beispielsweise wenn man sich sofort hinter einer Säule versteckt, sobald man sieht, dass eine bestimmte Person das Gebäude betritt? Wenn dem so ist, dann braucht es zwar tatsächlich Zeit, Gründe vorzubringen – also die formale Verbindung zwischen der Beschreibung der Handlung und jenen Gedanken darzulegen, welche die Gründe wiedergeben. Doch das derart Beschriebene selbst passiert in einem einzigen Augenblick.

Von Wrights Untersuchungen führen ihn zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass praktische Schlüsse zwar gültig sein können, genau in diesem Fall aber nicht als Argumente, d.h. als Schlussfolgerungen, verwendet werden können. Ihm zufolge werden praktische Schlüsse zum Verständnis von Handlungen gebraucht. Wenn praktische Schlüsse als Argumente gebraucht werden, haben sie wegen des zeitlichen Abstands zur Handlung keine Gültigkeit, denn: »Der zeitliche Abstand zerstört die logische Verbindung zwischen der Absicht und den epistemischen Einstellungen einerseits und der Handlung andererseits.«[8] Doch wenn wir den zeitlichen Abstand vernachlässigen, so »vernachlässigen wir auch das, was für Argumente oder Schlussfolgerungen charakteristisch ist«[9] – zugunsten der Untersuchung der uns interessierenden logischen Verbindung.

II

Nehmen wir an, praktisches Schließen gibt es wirklich. Dann ist es sicherlich nicht so, dass es bei allen praktischen Schlussfolgerungen nur ein einziges Mittel zum jeweiligen Ziel gibt. Es lassen sich also wohl nicht alle praktischen Schlussfolgerungen mit der Wendung »es sei denn« formulieren, also als:

Ich will E erreichen.

Ich werde E nicht erreichen, es sei denn, ich tue A.

Aufgrund dieser Überlegungen handle ich: Ich tue A.

21Praktische Schlussfolgerungen können auch von Überlegungen ausgehen, die lediglich ein mögliches Mittel betreffen. Dann müsste man sie durch »Wenn«-Formulierungen wie die folgende ausdrücken:

Ich will E erreichen.

Wenn ich A tue, werde ich E erreichen.

Ich hatte oben bereits die Vermutung geäußert, dass von Wright praktische Schlüsse dieser zweiten Art nicht beachtet, weil sie nicht einmal den Anschein erwecken, dass ihre Prämissen die Handlung notwendig machen. Bei der ersten Art, jenen der »Es-sei-denn«-Form, ist die Handlung erforderlich, sofern der Wunsch nicht unerfüllt bleiben soll. Doch wie schon erwähnt, ergibt sich trotzdem das Problem, dass unklar bleibt, inwiefern es notwendigerweise wahr ist, dass die Handlung ausgeführt wird. Gerade darauf beruht aber, soweit ich sehen kann, von Wrights Erklärung der Gültigkeit solcher Schlussfolgerungen. Von Wright will hier einen »logischen Zwang« entdeckt haben.

Er bezieht sich dabei auf meine eigene Behauptung, dass die Konklusion eines praktischen Syllogismus durch diesen nicht notwendig gemacht wird; und vielleicht denkt er, ich hätte das aufgrund der soeben ausgeführten Schwierigkeiten gesagt. In Wirklichkeit wollte ich aber einen ganz anderen Gedanken über das Verhältnis zwischen Prämissen und Konklusion vertreten, nämlich: Die Prämissen zeigen, wozu die Handlung gut ist, welchen Nutzen sie hat.

Wenn jemand aufgrund bestimmter Prämissen handelt, so zeigt das, dass er etwas erreichen (oder vermeiden) will, was die erste Prämisse benennt. In »On So-called Practical Inference« schreibt von Wright: »Anscombe zufolge gibt die erste Prämisse etwas an […], das gewollt wird«; und er behauptet, dass dies nicht mit Aristoteles’ Version des praktischen Schlusses übereinstimme, bei der »ein bestimmter Gegenstand oder eine Handlung unter ein allgemeines Prinzip oder eine Regel hinsichtlich dessen, was gut für uns ist oder was unsere Pflicht ist, subsumiert wird«.[10] Er kontrastiert das mit Schlüssen, in denen die erste Prämisse das Ziel einer Hand22lung angibt und die zweite ein Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels.

Von Wright scheint zu denken, »das Ziel einer Handlung angeben« oder »etwas Gewolltes angeben« bestehe darin, zu sagen, dass ein bestimmtes Ziel gewollt wird. Ansonsten hätte er wohl kaum die bekannten aristotelischen Schlussmuster mit einem Muster kontrastiert, »in dem ein Ziel der Handlung gewollt wird«.

Reines Wasser ist gesund.

Das hier ist reines Wasser.

– und darauf folgt das Trinken des Wassers. Das wäre ein Beispiel für eines der häufigsten Schlussmuster bei Aristoteles. Dabei wird angegeben, dass etwas gesund ist, und es zeigt sich, dass die betreffende Person dieses Etwas will, und zwar zeigt sich das darin, dass sie entsprechend handelt und dass die angeführten Aussagen dabei ihre Gründe zu trinken wiedergeben. Ich halte es für falsch, so eine Prämisse als »allgemeine Regel darüber, was gut für uns ist«, zu bezeichnen. Sie ist eine allgemeine Aussage darüber, was gut für uns ist – keine Regel.

Es stimmt, dass bei Aristoteles die erste Prämisse solcher Schlussmuster immer ein »allgemeines Prinzip« ist. Aber »Prinzip« heißt hier einfach »Ausgangspunkt«. Ihre Allgemeinheit ist in der Tat wichtig, und ich werde darauf zurückkommen. Aber ein Ziel, über das man nachdenkt, kann auch in etwas ganz Bestimmtem bestehen; man muss keine allgemeinen Betrachtungen über die Art dieses Zieles anstellen. Doch wenden wir uns zunächst kurz der Frage zu, ob das Wollen oder Beabsichtigen des Ziels in den Prämissen auftauchen muss.

So wie ich die Sache darstelle, taucht »Ich will« überhaupt nicht in den Prämissen auf, es sei denn so eingebettet wie in folgendem Beispiel. (Den Anstoß zu diesen Überlegungen und das Beispiel verdanke ich Anselm Müller.)

Will jemand seine Eltern töten, dann kann ihm ein Psychiater helfen, dieses Problem zu bewältigen.[11]

23Ich will meine Eltern töten.

Suche ich einen Psychiater auf, dann kann er mir helfen, dieses Problem zu bewältigen.

N.N. ist ein Psychiater.

Also werde ich N.N. aufsuchen.

Hier ist der Wille, meine Eltern zu töten, eine der relevanten Tatsachen. Doch dieser Wille ist sozusagen nicht die treibende Kraft hinter der Handlung, die aufgrund der Prämissen ausgeführt wird. Die treibende Kraft ist natürlich der Wille, das Problem – dass ich meine Eltern töten will – zu bewältigen. Wenn man aufgrund dieser Überlegung zu der genannten Entscheidung kommt, dann zeigt das, dass man dieses Problem bewältigen will. Und es ist offensichtlich, dass die erste dieser Willensäußerungen eine ganz andere Rolle spielt als die zweite.

Kennt man die Prämissen, nicht aber das Ziel des Handelnden, der sie sich zu seinen Gründen macht, dann kann einen die Konklusion durchaus überraschen. Sie kann das Gegenteil dessen sein, was man zunächst erwarten würde. In unserem Fall könnte sie beispielsweise lauten: »Also werde ich es vermeiden, N.N. aufzusuchen.« Hier schiene das pervers und sinnlos, denn warum sollte man die Sache dann so ausführlich bedenken, dass man N.N. herausgreift und über ihn als Einzelnen nachdenkt, wo doch wohl kaum die Gefahr besteht, dass man ihn unabsichtlich aufsucht? Doch allgemein gilt, dass identische Erwägungen zu entgegengesetzten Handlungen führen können. Hier ist ein Beispiel:

Starke Alkaloide sind für Menschen tödliche Gifte.

Nikotin ist ein starkes Alkaloid.

In dieser Flasche befindet sich Nikotin.

24Diese Überlegung kann jemanden veranlassen, eine tödliche Dosis zu vermeiden; sie kann ihn aber auch veranlassen, die ganze Flasche auszutrinken, um sich umzubringen.

Es ist also durchaus sinnvoll, das Handlungsziel anzugeben, wenn man ein praktisches Schlussmuster untersucht. Dazu kommt noch Folgendes: Wenn man das Ziel kennt, weiß man auch, welche Handlung aus den Prämissen resultieren sollte. Wenn man aber das Ziel nicht kennt, kann (1) die Konklusion ebenso gut positiv wie negativ sein. Aristoteles – so könnten wir sagen – hat vorausgesetzt, dass wir eine Vorliebe für die Gesundheit und das der Gesundheit Zuträgliche haben, für das Leben und für alles, was wir qua Lebewesen tun sollten oder müssen. Welch gänzlich haltlose Annahme! (2) Außerdem wissen wir ohne das Ziel nicht, wann eine Überlegung abgeschlossen ist und eine Entscheidung getroffen werden sollte. Beispielsweise haben wir in der soeben genannten Schlussfolgerung eine Prämisse ausgelassen, nämlich: »Ich bin ein Mensch.« Aristoteles bemerkt an einer Stelle, dass diese Prämisse selten formuliert wird, selbst von Leuten, die diese praktische Schlussfolgerung ausführlich durchgehen, obwohl diese Prämisse doch »streng genommen« zur Schlussfolgerung gehört. Diese Prämisse durch »N.N. ist ein Mensch« zu ersetzen kann der gesamten Überlegung einen ganz anderen Charakter geben! Das führte dazu, dass wir auch unsere Vermutung darüber fallen ließen, wozu die gesamte Überlegung dient. Unsere Ansicht darüber, wo die Überlegung hinführen sollte, hängt demnach von dieser Vermutung ab.

Wir müssen das Ziel also angeben. Der richtige Weg, das zu tun, ist aber nicht, eine weitere Prämisse zu formulieren.

Ein Paradebeispiel praktischen Nachdenkens, so wie wir es hier betrachten, bietet die Suche nach geometrischen Konstruktionen. Bei Euklid wird uns stets lediglich das Problem vorgestellt, darauf folgt die Konstruktion und dann der Beweis, dass diese Konstruktion das Verlangte tatsächlich leistet. Das ist platzsparend, erklärt aber nicht, wie man die Konstruktion findet.

Für Letzteres würden wir mit einer Formulierung des Problems beginnen, z.B.: Finde den Mittelpunkt eines gegebenen Kreises! Nun könnten uns folgende Überlegungen zu Euklids Konstruktion führen:

25Wenn wir auf einem Durchmesser die Mittelsenkrechte konstruieren, dann ergibt sich daraus auch der Mittelpunkt des Kreises.

Wenn wir die Mittelsenkrechte auf einer Sehne des Kreises konstruieren und sie bis zur Kreislinie verlängern, dann ergibt das einen Durchmesser des Kreises.

Wir sind in der Lage, eine Sehne einzuzeichnen, und wir können auch auf jeder gegebenen Linie die Mittelsenkrechte konstruieren. Also ziehen wir die Konklusion, indem wir zunächst eine Sehne einzeichnen, dann deren Mittelsenkrechte konstruieren und anschließend die Mittelsenkrechte des dadurch entstandenen Durchmessers konstruieren.

Dieses Beispiel unterscheidet sich von den meisten Beispielen des Aristoteles. Es hat folgende Form:

Ziel: Dass p.

Wenn q, dann p.

Wenn r, dann q.

Und wenn r etwas ist, das wir tun können – oder vielmehr etwas, das wir unmittelbar wahr machen können –, dann handeln wir. Auch bei Aristoteles findet sich aber eine Stelle, wo er ein ähnliches Schlussmuster skizziert:

Die Gesundheit entsteht nun durch folgenden Gedankengang: Da das-und-das Gesundheit ist, so muss, wenn jemand gesund werden soll, dies-und-jenes vorhanden sein, z.B. Gleichmaß. Wenn aber dies-und-jenes vorhanden sein soll, dann muss Wärme vorhanden sein. Und so schreitet man im Denken fort, bis man zuletzt zu etwas kommt, das man selbst hervorbringen kann.[12]

Das Letzte, zu dem man bei Aristoteles kommt, ist beispielsweise das Reiben. »Bei der Behandlung ist der Ausgangspunkt etwa das Erwärmen, und dies wird durch Reibung hervorgebracht.« Mit »Ausgangspunkt« ist hier zweifellos dasjenige gemeint, von dem der 26Arzt bei seiner Überlegung ausgeht; er überlegt sich, wie man es hervorbringen kann.[13]

In unserem Beispiel aus der Geometrie ist die Konstruktion des Durchmessers nicht die einzige Weise, den Mittelpunkt eines Kreises zu konstruieren. In Aristoteles’ Beispiel hingegen ist das »Gleichmaß« notwendig für die Genesung des Kranken, und die Wärme wiederum ist notwendig für das Gleichmaß. Reibung jedoch ist lediglich eine Weise, Wärme zu erzeugen. Und entscheidend ist doch sicherlich, ob das Mittel das Ziel verwirklicht, und nicht, ob es das einzige Mittel ist.

Es besteht offensichtlich eine Entsprechung zwischen den Prämissen in den gängigeren aristotelischen Schlüssen und Prämissen der Form »Wenn … dann«. »Dies-und-jenes ist gesund« ist eine typisch aristotelische Prämisse. Folgende Gegenüberstellung verdeutlicht, wie solche Prämissen als Wenn-dann-Aussagen formuliert werden können (auch wenn dadurch die Formulierungen etwas umständlich werden). Ich verwende »X« anstelle von »dies-und-jenes«.

Gesund zu sein heißt, X zu sein.

Nur wenn der Patient X ist, ist er gesund.

Nur was im Gleichmaß ist, ist auch X.

Nur wenn er im Gleichmaß ist, ist er X.

Nur durch Erwärmen kommt das, was nicht im Gleichmaß ist, ins Gleichmaß.

Nur wenn er erwärmt wird, kommt er ins Gleichmaß.

Etwas zu reiben erwärmt es.

Wenn man ihn reibt, erwärmt ihn das.

Auf ähnliche Weise könnten wir auch unsere Aussagen in dem Geometriebeispiel durch entsprechende Rechtfertigungen ergänzen. »Der Mittelpunkt eines Kreises ist der Mittelpunkt jedes seiner Durchmesser.« »Die Mittelsenkrechte über einer Sehne, verlängert bis zur Kreislinie, ist ein Durchmesser.« Auch diese Sätze hätten die Prämissen sein können, aufgrund deren jemand handelt (und eine Sehne konstruiert usw.). Und auch Aristoteles’ »Fleischspeisen«-Syllogismus kann mit Wenn und dann-Aussagen formuliert werden:

Leichte Fleischspeisen sind einem Soundso zuträglich.

Ich bin ein Soundso.

Wenn ich leichte Fleischspeisen esse, esse ich etwas, das mir zuträglich ist.

Fleischspeisen dieser-und-jener Art sind leicht.

Wenn ich dies-und-jenes esse, dann esse ich eine leichte Fleischspeise.

Das hier ist eine Fleischspeise von dieser-und-jener Art.

Wenn ich das hier esse, dann esse ich ein Dies-und-jenes.

27Es gibt einen interessanten Unterschied zwischen diesen beiden Schlussmustern. Ich habe behauptet, dass die erste Prämisse nicht angibt, dass man etwas will, sondern etwas angibt, was man will. Wenn wir das auf die linke Seite anwenden, so besagt die Prämisse, dass das Gewollte (für eine Person, die aus diesen Gründen handelt) etwas ist, was einer bestimmten Art von Lebewesen zuträglich ist – einer Art, welcher der Handelnde angehört. Wenn wir es auch auf die rechte Seite anwenden, besagt die Prämisse, dass das Gewollte im Essen von etwas besteht, was dem Handelnden zuträglich ist.

Wir könnten versuchen, diesen augenscheinlichen Unterschied zu beseitigen, indem wir die rechte Seite folgendermaßen umformulieren:

Wenn ein Soundso eine leichte Fleischspeise isst, dann isst er etwas, was ihm zuträglich ist.

Wenn ein Soundso dies-und-jenes isst, dann isst er eine leichte Fleischspeise.

Wenn ich das hier esse, dann isst ein Soundso ein Dies-und-jenes.

Hier scheint es das ziemlich abstrakte und unpersönliche Ziel des Handelnden zu sein, dass ein Lebewesen einer bestimmten Art eine ihm zuträgliche Speisen esse. Aber das entspricht nicht dem, was durch die linke Seite nahegelegt wird – zusammen mit dem Kommentar, dass, wenn das die Prämissen einer praktischen Schlussfolgerung sind, das Gewollte etwas ist, was einer bestimmten Art von Lebewesen zuträglich ist. Ich werde hierauf zurückkommen, wenn ich die Allgemeinheit der ersten Prämisse bei Aristoteles bespreche.

28Im Moment reicht es aus, darauf hinzuweisen, dass die Überlegungen auf der rechten Seite diejenigen auf der linken rechtfertigen (beweisen) – genau wie in unserem Geometriebeispiel – und dass es absurd wäre, das eben genannte abstrakte Ziel zu verfolgen. Damit will ich nicht sagen, dass alle Ziele sich darauf beziehen müssen, dass man selbst etwas tut oder hat. Es gibt mögliche Ziele, die nicht beinhalten, dass der Handelnde etwas tut oder hat: z.B. das Ziel, dass es im Gefängnis anständiges Essen gibt, dass sich in jedem Hotelzimmer eine Bibel findet oder dass es zu Silvester ein Feuerwerk gibt. Doch in dem besprochenen Fall wäre es absurd, das abstrakte Ziel zu verfolgen. Zwar kann es tatsächlich vorkommen, dass man etwas tut, damit irgendjemand aus einer Gruppe, der man selbst angehört, etwas Bestimmtes getan hat; doch Aristoteles’ »Fleischspeisen«-Syllogismus ist ganz offensichtlich kein solcher Fall.

III

Ich habe im vorangegangenen Abschnitt nicht gezeigt, was praktisches Überlegen ist; aber ich habe Beispiele von praktischen Gedankengängen angeführt und gezeigt, wie groß der Unterschied zwischen ihnen und Gedankengängen ist, die auf die Wahrheit einer Konklusion zielen. Praktische Gründe können eine Handlung »verlangen«, indem sie zeigen, dass nur durch ein ganz bestimmtes Mittel das Ziel erreicht werden kann. Aber daneben gibt es auch Gründe, die lediglich zeigen, dass diese Handlung ein Mittel zur Erreichung des Ziels ist. In dem einzigen Sinn, in dem praktische Gründe ihre Konklusion (nämlich die Handlung) also notwendig machen können, müssen sie das nicht tun und können dabei trotzdem Gründe für die Handlung sein.

Das lässt einen fragen, warum man so etwas eine »Schlussfolgerung« nennen sollte. Eine Schlussfolgerung ist eine Sache der Logik. Wo es Schlussfolgerungen gibt, da muss es auch Gültigkeit geben. Bei Schlussfolgerungen müssen die Konklusionen irgendwie aus den Prämissen folgen können. Aber wie kann eine Handlung logisch aus Prämissen folgen? Kann es überhaupt sein, dass es logisch notwendig ist, dass man etwas Bestimmtes tut, wenn man bestimmte Gedanken denkt? Das scheint keinen Sinn zu ergeben. 29Von Wright versucht, so gut er kann, diese Vorstellung sinnvoll erscheinen zu lassen; aber seine Versuche scheitern. Dasjenige, wodurch er sicherstellen will, dass man hier von einer logischen Notwendigkeit reden kann, macht auch sein Scheitern unvermeidlich, nämlich: die Formulierung in der dritten Person. Die logisch notwendige Konklusion, qualifiziert durch verschiedene Einschränkungen, ist dabei nicht mehr ein Tun selbst, sondern bloß noch die Wahrheit des Satzes, dass der Handelnde etwas tut. Aber hierdurch degeneriert die praktische Schlussfolgerung zu einer theoretischen Schlussfolgerung – die zudem seltsamerweise ungültig ist, wenn wirklich etwas gefolgert wird.

Der von mir vorgestellte Ansatz ist ganz anders; dennoch bleibt die Frage: Inwiefern handelt es sich hier überhaupt um Schlussfolgerungen? Man spricht natürlich von Gründen für Handlungen, so wie man das auch bei Überzeugungen tut, und man sagt manchmal: »Und daher werde ich …« oder: »Also werde ich …«, und wir verstehen diese Ausdrücke. Aber ist das nicht bloß ein falscher Anschein, der durch den Gebrauch bestimmter Worte hervorgerufen wird? Die Tatsache, dass die »Konklusion« in vielen Fällen nicht notwendig ist, ist durchaus bemerkenswert. Ich esse das hier, damit ich etwas esse, das mir zuträglich ist. Anders ausgedrückt: Entweder A oder B führen zum Ziel, also tue ich A.

Einige Philosophen haben versucht, eine Theorie des »Schlussfolgerns mit Imperativen« aufzustellen. Sie verstehen praktisches Schlussfolgern als Schlussfolgern von Befehlen auf andere Befehle oder von Befehlen auf etwas, das man tun muss, um sie auszuführen (wobei Letzteres als ein »abgeleiteter« Befehl verstanden wird, den man sich selbst gibt, wenn man den Befehl aus der Prämisse ausführen will). Das ist für unser Thema durchaus relevant. Wenn jemand das Ziel hat, einen Befehl zu befolgen, aber der Befehl ihm nichts befiehlt, was er unmittelbar tun kann, dann ergibt sich eine Gelegenheit, praktisch zu schließen: Er muss etwas finden, wodurch er den Befehl ausführen würde. Die Vorstellung ist nun, dass es sich hier um einen Gedankengang von einem allgemeinen Befehl zu einem speziellen Befehl handelt oder von dem Befehl, einen bestimmten Endzustand herzustellen, zu einem Befehl, etwas darauf Gerichtetes zu tun.

Richard M. Hare nimmt an, dass das Schlussfolgern mit Imperativen genauso funktioniert wie das gewöhnliche Schlussfol30gern.[14] Wenn ein Satz aus einem anderen folgt, dann gilt dies auch für die entsprechenden Imperative. Aus dem Imperativ p! und dem Satz Wenn p, dann q folgt beispielsweise der Imperativ q!.

Für Anthony Kenny hingegen ist es wichtig, dass viele aristotelische Schlussfolgerungen »nicht notwendig« sind. Er schlägt deshalb eine »Logik des Zureichens« vor.[15] Wenn man dieser Logik folgt, kann man von »Bring jemanden um!« dazu kommen, eine bestimmte Person umzubringen, von einem disjunktiven Befehl kann man zum Befolgen eines Disjunktes kommen, und von der Forderung »q!« und der Information »Wenn p, dann q« kann man zu der Entscheidung gelangen, p herbeizuführen. Diese Folgerungen wären im Rahmen der Aussagenlogik Fehlschlüsse. Kenny schlägt eine Logik vor, die das Spiegelbild der üblichen Logik ist. Wenn man Kennys Vorschlag folgt, geht man von einer Prämisse aus, die einer Konklusion in der üblichen Logik entspricht, formuliert diese allerdings in der Form »Fiat p!«; und von dieser kommt man zu einer Konklusion – ebenfalls in der Fiat-Form[16] –, die, wenn sie im Indikativ formuliert wäre, in der üblichen Logik als Prämisse für den umgekehrten Schluss dienen könnte. Um zu überprüfen, ob eine Schlussfolgerung nach der »Logik des Zureichens« gültig ist, überprüft man einfach, ob die umgekehrte Schlussfolgerung gültig ist, wenn man die Fiats durch entsprechende Aussagen im Indikativ ersetzt.

Hares »Schlussfolgerungen mit Imperativen« erlauben natürlich solche Schlüsse wie die eben besprochenen nicht. Alf Ross hat auch bereits darauf hingewiesen, dass Hares »Logik« die Schlussfolgerung von p! auf (p oder q)! erlaubt.[17] Kennys System hingegen erlaubt viele plausible Folgerungen, nicht aber den Schluss von »Töte alle!« auf »Töte Schmitt!«. Es wurde dem System vorgeworfen, 31dass es den Schluss von »Töte Schmitt!« auf »Töte alle!« zulässt; aber das ist nicht so absurd, wie es zunächst scheinen mag. Man kann sich entscheiden, alle, die an einem bestimmten Ort sind, umzubringen, nur um damit auch einige bestimmte Personen zu töten, auf die man es tatsächlich abgesehen hat. Die Briten wollten beispielsweise im Zweiten Weltkrieg einige deutsche Soldaten auf einer niederländischen Insel töten. Sie entschieden sich, die Deiche zu bombardieren, damit alle auf der Insel ertränken. (Die Niederländer waren ihre Verbündeten.)[18]

Bemerkenswerter- und komischerweise schließt Kennys »Logik« genau jene Schlussmuster aus, auf die sich von Wright konzentriert. Wenn wir das Ziel durch ein »Fiat« ausdrücken und annehmen, dass das Ziel nicht erreicht wird, es sei denn, man tut dies-und-jenes, dann scheint es doch offensichtlich, dass man hieraus schlussfolgern kann, dies-und-jenes zu tun – sofern es denn überhaupt Schlussfolgerungen gibt, durch die man einen Befehl oder eine Entscheidung ableiten kann. Auch scheint es absurd, dass (p und q)! aus p! folgt – für jedes beliebigeq. Manchmal kann man tatsächlich etwas erreichen, indem man außerdem noch etwas anderes tut. Aber die Forderung, beliebige Konjunkte zuzulassen, ist künstlich und leer; sie zeigt, dass mit dieser Theorie etwas nicht stimmt. Darin ähnelt der Schluss jenem Schluss von p! auf (p oder q)! in Hares System.

Kennys Ansatz enthält einen wertvollen Hinweis: Laut seinem Vorschlag kann man von etwas, was in einer Schlussfolgerung bezüglich Tatsachen eine Konklusion wäre, zu etwas kommen, was in einer praktischen Schlussfolgerung die Prämisse wäre (bzw. die Konjunktion der Prämissen). Das gilt insbesondere dann, wenn die Konklusion etwas ist, das man herbeiführen möchte, und die Prämisse(n) Wahrheitsbedingungen der Konklusion angeben, die man herbeiführen kann, oder wenn die Prämisse(n) Mittel zur Herstellung solcher Wahrheitsbedingungen nennen. Eine Wahrheitsbedingung ist ein Umstand oder eine ganze Reihe von Um32ständen, bei deren Vorliegen die entsprechende Aussage wahr ist. Die Bedingungen, unter denen ein Befehl als ausgeführt gelten kann – seine Ausführungsbedingungen –, sind auch die Bedingungen, unter denen die entsprechende Aussage wahr ist. Eine Aussage impliziert, dass eine (irgendeine) ihrer Wahrheitsbedingungen vorliegt; aber normalerweise folgt aus einer Aussage nicht, dass eine ganz bestimmte Wahrheitsbedingung vorliegt. Bei Wahrheitsbedingungen in Form von Konjunktionen kommt es vor, dass aus der Wahrheit der Aussage die Wahrheit eines der Konjunktionsglieder folgt; aber im Allgemeinen ist das nicht der Fall.

Wenn man sich überlegt, wie man einen Befehl ausführen kann, sucht man vielleicht nach Ausführungsbedingungen, die man unmittelbar herbeiführen kann. Möglicherweise sucht man auch nach herbeiführbaren Bedingungen, deren Abwesenheit impliziert, dass der Befehl nicht ausgeführt wurde. Wenn es so eine Bedingung gibt, dann folgt ihr Vorliegen aus der Aussage, die dem ursprünglichen Befehl entspricht. Aber vielleicht gibt es keine besondere Bedingung dieser Art. In so einem Fall kann man folglich nicht nach etwas suchen – und schon gar nicht nach allem –, was notwendigerweise wahr gemacht würde, wenn der ursprüngliche Befehl ausgeführt würde.

Folgendes Beispiel veranschaulicht das. Stellen wir uns vor, ein Beamter einer Besatzungsmacht gibt folgenden Befehl: »Bringt mir alle Mitglieder irgendeines dieser Ausschüsse!« Von diesen Ausschüssen gibt es mehr als ein Dutzend. Der Befehl wurde befolgt, wenn alle Mitglieder irgendeines solchen Ausschusses herbeigeschafft worden sind. Aber es gibt keinen bestimmten Ausschuss, der herangeschafft werden muss. Gibt es allerdings jemanden, der in jedem Ausschuss Mitglied ist, dann wird der Befehl nicht ausgeführt, falls man diese Person nicht herbeibringt. Nehmen wir an, so jemanden gibt es. Derjenige, der den Befehl ausführt, holt diese Person zuerst ab; dann holt er nach und nach andere Personen, bis er sich sicher ist, eine Gruppe beisammenzuhaben, die einen Ausschuss bildet. Vielleicht hat er es nicht auf einen bestimmten Ausschuss abgesehen, sondern überlässt es dem Zufall, welchen Ausschuss er zusammenbringt. In einem Moment hat er Gelegenheit, eine bestimmte Person abzuholen, dann hat er die Wahl zwischen zwei anderen, als Nächstes läuft ihm ein Dritter über den Weg. Dabei überlegt er stets, inwiefern die nächsten möglichen Schritte 33zum Erreichen seines Ziels beitragen würden, und handelt dementsprechend.

Dieses Beispiel illustriert die Beziehung zwischen praktischem Schlussfolgern und Schlussfolgern mit Imperativen. Wenn jemand einen Befehl ausführen will, dann hat er ein Ziel, nämlich das, was laut dem Befehl der Fall sein soll, herbeizuführen.

Aber gemäß diesen Überlegungen scheinen nunmehr alle Schlussfolgerungen gewöhnliche »theoretische« Schlussfolgerungen zu sein. Eine Schlussfolgerung kann etwa von den Wahrheitsbedingungen dafür, dass ein Ziel erreicht ist, ausgehen. »Wenn er das macht, dann ergibt sich folgende Situation, welche diese-und-jene Relevanz für das Erreichen des Ziels hat.« Solche Konditionale und die entsprechenden Aussagen über die Relevanz werden wiederum durch »gewöhnliche« Schlussfolgerungen aus Tatsachen begründet. Man versucht, Wahrheitsbedingungen zu finden, die man herbeiführen kann, die man wahr machen kann (oder verfügbare Mittel, um Wahrheitsbedingungen wahr zu machen, die man nicht unmittelbar herbeiführen kann). Man handelt entsprechend, wenn man solche Bedingungen findet oder wenn man Konjunktionsglieder einer möglichen Wahrheitsbedingung findet, die man herbeiführen kann. Sind nicht all das »gewöhnliche« Schlussfolgerungen, d.h. Schlussfolgerungen von Prämissen auf die Wahrheit einer Konklusion?

Nehmen wir an, unser Befehl steht am Anfang einer Überlegung, ist aber in der Form eines »Fiat« formuliert (»Es sei der Fall, dass …«), und derjenige, der den Befehl ausführt, akzeptiert dieses Fiat:

Fiat: Ein Ausschuss wird zu X gebracht.

Nun überlegt der Ausführende wie folgt:

Wenn ich alle Mitglieder eines Ausschusses zusammenbringe, kann ich sie zu X bringen.

Und daraufhin akzeptiert er ein neues Fiat:

∴ Fiat: Ich bringe alle Mitglieder eines Ausschusses zusammen.

34Und er überlegt weiter:

Nur wenn ich A herbringe, werde ich alle Mitglieder eines Ausschusses zusammenbringen.

Und er kann A abholen; also tut er das. Wir können seine Handlung in Worte fassen:

∴ Lass mich A abholen. (Oder: Ich werde also A abholen.)

Und er überlegt weiter:

Wenn ich die Leute, die in dieser Bar sind, zusammenbringe, dann bringe ich mehrere Mitglieder einiger Ausschüsse zusammen.

Wenn ich mehrere Mitglieder einiger Ausschüsse zusammenbringe, kann man vielleicht aus diesen Leuten zusammen mit A die Mitglieder eines ganzen Ausschusses auswählen.

Und er kann alle Leute zusammenbringen, die in der Bar sind; also tut er das. Wir können das folgendermaßen in Worte fassen:

∴ Lass mich alle Leute zusammenbringen, die in der Bar sind. (Oder: Ich werde also alle Leute zusammenbringen, die in der Bar sind.)

Dann bemerkt er, dass er noch immer nicht alle Mitglieder irgendeines Ausschusses beisammenhat. Und so überlegt er:

Wenn ich entweder B und C abhole oder D oder E und F oder G und H, dann habe ich einen ganzen Ausschuss beisammen.

Nun bietet sich ihm die Gelegenheit, B, C und G abzuholen. Wenn wir seine Handlung wieder in Worte fassen, können wir sagen:

∴ Lass mich B, C und G abholen. (Oder: Ich werde also B, C und G abholen.)

35Oder: ∴ Lass mich B und C abholen. (Oder: Ich werde also B und C abholen.)

Oder: ∴ Lass mich G abholen. (Oder: Ich werde also G abholen.)

In welcher Beziehung steht nun das erste zum zweiten Fiat? Und wie verhält sich das zweite Fiat zu den Handlungen (oder ihrer sprachlichen Formulierung)? Sofern der Handelnde keinen Fehler macht, zeigen sich diese Beziehungen in seinen Überlegungen – und zwar in den Konditionalen, die ich oben mit den Worten »Er überlegt« eingeleitet habe.

Was bedeutet aber das »also« in diesem Zusammenhang? »Also« soll eine Überlegung anzeigen! Aber was wir eine Überlegung des Handelnden genannt haben, ist einfach das, was er sich gedacht hat. Und das sind schlicht bestimmte Wahrheiten (bzw. Falschheiten, falls er einen Fehler gemacht hat). Falls diese selbst wiederum Konklusionen von Überlegungen waren, so haben wir diese Überlegungen nicht mit angegeben. Wäre es also nicht vielleicht richtiger gewesen, anstelle von »Er überlegt: …« zu sagen »Er überlegt: … (∴) …«? In der Tat haben wir ja den Ausdruck »also« gebraucht. Es ist aber genau dieser Gebrauch von »also«, den wir nicht verstehen. Die folgenden Verwendungen von »also« verstehen wir bereits problemlos:

(a) Ich hole B und C ab.

∴ Ich habe einen vollständigen Ausschuss zusammengebracht.

(b) Ich bringe alle Mitglieder eines Ausschusses zusammen.

∴ Ich kann alle Mitglieder eines Ausschusses zu X bringen.

(c) A wird nicht abgeholt.

∴ Ich bringe keinen vollständigen Ausschuss zusammen.

(d) A wird nicht abgeholt.

∴36Es ist nicht möglich, einen vollständigen Ausschuss zu X zu bringen.

Oben haben wir »also« aber wie folgt gebraucht:

(a1) Lass mich einen ganzen Ausschuss zusammenbringen.

∴ Lass mich B und C abholen.

(b1) Lass mich einen Ausschuss zu X bringen.

∴ Lass mich alle Mitglieder eines Ausschusses zusammenbringen.

(c1) Lass mich einen vollständigen Ausschuss zusammenbringen.

∴ Lass mich A abholen.

(d1) Lass mich einen vollständigen Ausschuss zu X bringen.

∴ Lass mich A abholen.

Als Erstes sollten wir hier Folgendes beachten: Dasjenige, was ich implizit als »Überlegungen« bezeichnet habe, indem ich »Er überlegt« davorgesetzt habe, sind Gedanken, die bei den sich entsprechenden Fällen dieser zwei Listen die gleichen wären. Damit meine ich Folgendes: Die gleichen Konditionale verbinden die »Prämisse« und die »Konklusion« in a und a1, in b und b1, in c und c1 sowie in d und d1.

Im Fall von a und a1 lautet das Konditional:

Wenn ich B und C abhole, bekomme ich, zusammen mit denen, die ich schon habe, einen vollständigen Ausschuss zusammen.

Im Fall von b und b1 lautet das Konditional:

Wenn ich alle Mitglieder eines Ausschusses zusammenbringe, dann kann ich einen vollständigen Ausschuss zu X bringen.

37Und so weiter. Wenn man den Schritt von der Prämisse zur Konklusion als inkorrekt kritisieren will, so geht man in beiden Fällen – beim »Fiat«-Schlussmuster und beim »gewöhnlichen« Schlussmuster – genau gleich vor. Zum Beispiel könnte man sagen: »Warum denkst du, dass, wenn du diese-und-jene Leute zusammenbringst, du sie auch zu X bringen kannst?«

Außerdem ist anzumerken, dass die »Überlegungen«, die wir anscheinend verstehen und die in »gewöhnlichen« Schlussfolgerungen bestehen, rein hypothetische Überlegungen waren. Die Prämissen wurden nicht behauptet, sie bezogen sich auf etwas Zukünftiges, das lediglich als wahr angenommen wurde.

Diese Beobachtungen zeigen, in welchem Verhältnis die »Fiats« sowohl zueinander als auch zu den Entscheidungen stehen. Wo solche Verhältnisse vorliegen, da gibt es auch ein praktisches »Also«.

Es ist hier aber wichtig, zu erkennen, dass dem Übergang

Fiat q!

∴Fiat p!

Oder: ∴ Ich werde p wahr machen.

nicht eines, sondern vier hypothetische Schlussmuster entsprechen:

p wird der Fall sein

~ (p wird der Fall sein)

p wird der Fall sein

~ (p wird der Fall sein)

∴q wird der Fall sein

∴q wird nicht der Fall sein

∴q wird möglich sein

∴q wird nicht möglich sein

Das Konditional »Wenn p der Fall sein wird, dann wird auch q der Fall sein« beweist die Richtigkeit der Schlussfolgerungen »p wird der Fall sein, ∴q wird der Fall sein« (und Entsprechendes gilt für die anderen Fälle). So ein Konditional kann wahr sein, entweder weil p eine Wahrheitsbedingung von q ist (oder Teil einer solchen) oder weil das Eintreten von p die Wahrheit von q mit sich bringt oder zumindest einen Teil der Wahrheitsbedingung von q wahr macht. Daran ist nichts auszusetzen. Derjenige, der einen Befehl ausführt, macht in seinen Überlegungen keinen Unterschied zwischen Ausführungsbedingungen und Weisen, die Wahrheit von 38Ausführungsbedingungen herbeizuführen. (Wenn wir beim »gewöhnlichen« Schlussfolgern »Wenn p, dann q« gebrauchen, beispielsweise in einem Modus-Ponens-Schluss, dann müssen wir uns schließlich auch nicht fragen, ob p eine Wahrheitsbedingung von q ist oder ob q aus einem anderen Grund ein Resultat von p ist.)

Das erlaubt uns, zu klären, inwiefern es eine besondere »Form« des praktischen Schlussfolgerns gibt oder auch nicht. Wir können eine Schlussfolgerung wiedergeben, indem wir einige Konditionalaussagen angeben.

Wenn p, dann q.

Wenn q, dann r.

Nun stellt sich aber die Frage, wozu solche Aussagen gut sind (falls sie überhaupt zu etwas gut sind). Man kann sie z.B. folgendermaßen gebrauchen: Wir sind berechtigt, p zu behaupten, und damit können wir nun auch r behaupten. Oder: Wir wollen r erreichen und entscheiden uns dazu, p wahr zu machen – was wir unmittelbar tun können. In beiden Fällen können wir uns auf die angegebenen Konditionalaussagen beziehen. Wenn wir die Sache auf diese Weise betrachten, dann gibt es keine besondere Form praktischen Schlussfolgerns. Wir haben es einfach mit Aussagen zu tun, die in beiden Fällen in der gleichen Beziehung zueinander stehen. Der Unterschied besteht lediglich in dem unterschiedlichen Gebrauch, den man von ihnen macht.

Es gibt natürlich noch andere Weisen, auf die man diese Aussagen gebrauchen kann. Die hypothetischen Aussagen können auch gebraucht werden, um jemandem zu drohen oder jemanden zu warnen. Aber wir interessieren uns nur für Fälle, in denen der erste und der letzte Teilsatz aus dem hypothetischen Zusammenhang herausgenommen werden und wo der hypothetische Satz gebraucht wird, um zwischen diesen Sätzen zu vermitteln. In den Fällen, die wir uns angesehen haben, werden die herausgenommenen Teilsätze entweder behauptet oder zum Thema eines Fiats gemacht.

Aber es gibt noch weitere Gebrauchsweisen solcher Konditionale. Zum Beispiel gebraucht man sie in Erklärungen. Nehmen wir an, r ist gegeben, und nun legen die hypothetischen Aussagen nahe, dass p. Nehmen wir zusätzlich an, dass wir die Wahrheit von 39p überprüfen können. Wenn sich nun p als wahr herausstellt, dann kann das vielleicht r erklären.

Die hypothetischen Aussagen können nur dann praktisch gebraucht werden, wenn es darin um etwas geht, »was auch anders sein könnte«,[19] also um etwas, das so ausgehen kann oder auch anders, um zukünftige Sachverhalte also, die wir durch Handeln beeinflussen können. In diesen Fällen vermittelt die hypothetische Aussage zwischen dem Wollen eines Ziels und der Entscheidung für eine Handlung.

In diesem Zusammenhang ist ein Abschnitt aus von Wrights »On So-called Practical Inference« relevant:

Wir sagen, dass die Konklusion der Schlussfolgerung in der ersten Person die Festlegung einer Absicht ist. Diese Absicht wird möglicherweise erst gebildet, wenn man sich einer praktischen Notwendigkeit hinsichtlich der Verfolgung eines bestimmten Ziels bewusst wird. Die Absicht kann sich also herausbilden, nachdem man schon eine erste Absicht gefasst hat. Wir können hier von einer primären und einer sekundären Absicht sprechen.

Die Verbindung zwischen diesen beiden Absichten ist eine Art von logisch notwendiger Verbindung. Die zweite (epistemische) Prämisse »vermittelt« sozusagen zwischen der primären Absicht in der ersten Prämisse und der sekundären Absicht in der Konklusion. Man könnte hier auch von einem Übergang oder einer Übertragung der Absicht reden. Der »Wille«, das Ziel zu erreichen, wird auf (eines der) Mittel übertragen, die für das Erreichen des Ziels notwendig scheinen.[20]

Ich habe oben Beispiele ausgewählt, bei denen die gewählten Mittel keine notwendigen sind und der Handelnde das auch nicht denkt. Trotzdem kann es in solchen Fällen eine »Übertragung der Absicht« geben. Von Wright sieht eine »Art von logisch notwendiger Verbindung« zwischen der primären und der sekundären Absicht. Und warum sollten wir nicht sagen, dass es eine logische Verbindung gibt – die aber, man beachte, nicht darin besteht, dass »etwas logisch notwendig gemacht wird«? Diese Verbindung bestünde in 40dem Wahrheitszusammenhang zwischen p, p⊃q und q einerseits und (1) der Übertragung der Überzeugung von p auf q sowie (2) der Übertragung der Absicht von Fiat q! auf Fiat p! andererseits. Die logische Notwendigkeit allerdings liegt hier nur in dem Wahrheitszusammenhang zwischen p, p⊃q und q; dieser Wahrheitszusammenhang ist beiderlei Schlussfolgerungen gemeinsam.

»Aber die logische Notwendigkeit rechtfertigt die Schlussfolgerung von der Behauptung p auf die Behauptung q, und ihr Erfassen erzwingt die entsprechende Überzeugung.« Hier zeigt sich eine Verwirrung. Die Rechtfertigung ist einfach p und p⊃q. Wo es eine solche Rechtfertigung gibt, reden wir von einer »logischen Notwendigkeit«, nicht von einer Notwendigkeit, überzeugt zu sein – denn wie sollte man eine Überzeugung überhaupt erzwingen können? In manchen Fällen geht das vielleicht durch persönliche Ausstrahlung oder indem man sich den anderen zur Brust nimmt; aber um solche Fälle geht es hier nicht. Manchmal fühlt man sich gezwungen, aber auch um so etwas geht es hier nicht. Die in Frage stehende Behauptung ist ja, dass die Überzeugung »logisch« erzwungen wird. Was könnte das heißen, außer dass es eine »logische Notwendigkeit« gibt, einen Wahrheitszusammenhang? Es soll sich ja aber gerade nicht um diese Notwendigkeit handeln, sondern um einen Zwang, der durch das Erfassen dieser Notwendigkeit entsteht. Wiederum anders ausgedrückt: Wenn es sich hier um ein Gefühl handelt, vielleicht sogar um ein so starkes Gefühl, dass es dadurch unmöglich wird, nicht die entsprechende Überzeugung zu hegen, dann ist das noch kein »logischer« Zwang. Und dasselbe gilt von jedem anderen »Zustand des Subjekts«. Sobald wir von »logischem« Zwang reden, können wir gar nichts anderes meinen als die »Notwendigkeit« des Wahrheitszusammenhangs.

(Von Wright würde an dieser Stelle zu einer Beschreibung aus der Dritte-Person-Perspektive wechseln: »X glaubt, dass p; und ist sich dessen bewusst; und glaubt gleichzeitig und ebenfalls bewusst, dass p⊃q; und er stellt sich bewusst die Frage, ob q« impliziert, »X glaubt, dass q«. Aber woher wissen wir das? Wir wissen das auf dieselbe Weise, wie wir wissen: »Verrat zahlt sich niemals aus.«[21] Wenn X nicht 41glaubt, dass q, dann sagen wir in diesem Fall einfach nicht, dass die anderen drei Dinge wahrheitsgemäß von ihm behauptet werden können.)

Ich schließe hieraus, dass die Übertragung von Absicht und die Übertragung von Überzeugung von gleicher Art sind. So etwas wie eine »logische« Übertragung – in dem Sinne, dass die »Notwendigkeit« des Wahrheitszusammenhangs eine Entsprechung in einem »logischen Zwang« fände, in einen bestimmten psychischen Zustand überzugehen, sofern man sich in einem bestimmten anderen psychischen Zustand befindet – gibt es nicht. Des Weiteren schließe ich hieraus, dass die Frage, wie eine Handlung oder eine Entscheidung »logisch erzwungen« werden kann, überhaupt kein echtes Problem darstellt. Das wird durch die Annahme verschleiert, dass es so etwas bei Überzeugungen gebe und dass es zumindest dort unproblematisch sei – eine scheinbar weit verbreitete und selten kritisierte Annahme.

Trotzdem können wir nicht einfach sagen: Eine praktische Schlussfolgerung ist eine Schlussfolgerung, ein Übergang, in der Richtung von q (Fiat q!) zu p (Fiat p!), wenn z.B. der Wahrheitszusammenhang zwischen p, p⊃q und q gegeben ist. Denn damit würden wir etwas Wichtiges unerwähnt lassen. Wir haben festgestellt, dass bei der Umformung von Sätzen zu Fiats deren Thema auf zukünftige Sachverhalte, die wir durch unsere Handlungen beeinflussen können, eingeschränkt ist. Aber wir haben auch festgestellt, dass nicht jede Wahrheitsbedingung, die man herbeiführen kann, praktisch relevant ist. Zum Beispiel kann p&q einfach deshalb eine Bedingung sein, unter der r wahr ist, weil p allein schon eine Wahrheitsbedingung von r ist. Wenn man p&q gemeinsam herbeiführen kann, dann könnte das für jemanden, der r herbeiführen möchte, die Konklusion einer praktischen Schlussfolgerung sein – wenn es auch vielleicht eine abstruse Konklusion ist (wie etwa wenn einer sein Haus abbrennt, um ein Schwein zu braten). Aber wie verhält es sich, wenn man p&q nur getrennt herbeiführen kann?

In so einem Fall kann »Wenn p&q, dann r« trotzdem noch praktisch relevant sein; dadurch erfahren wir nämlich, dass das Herbeiführen von q zusätzlich zu p nicht das Herbeiführen von r42beeinträchtigt. Jemand in einer entsprechenden Situation könnte z.B. sagen: »Wenn p, dann r; und wenn p und q, dann immer noch r.« So eine Überlegung könnte beispielsweise wichtig für ihn sein, weil er aus unabhängigen Gründen auch q herbeiführen möchte. (Oder weil ein anderer das möchte.) Aber es gibt hier keine durch (p&q)⊃r vermittelte »Absichtsübertragung« von der primären Absicht, dass r, auf eine sekundäre Absicht, dass p und dass q. Das heißt, der Wahrheitszusammenhang zwischen (p&q) und (p&q)⊃r »vermittelt« nicht so einen psychischen Übergang.

Wir können für die Einschränkung der praktischen Relevanz auf herbeiführbare Wahrheitsbedingungen keine logischen Bedingungen aufstellen. Zum Beispiel können wir nicht sagen, dass p&q keine relevante, herbeiführbare Wahrheitsbedingung von r ist, wenn p&~q ebenfalls eine herbeiführbare Wahrheitsbedingung von r ist. Denn auch in einem solchen Fall könnte es sein, dass das Herbeiführen von p&qeine Weise ist, r herbeizuführen. Ein Beispiel dafür wäre etwa das folgende: Ich lade ein Ehepaar zum Abendessen ein; ich bin eigentlich nur daran interessiert, die Frau zu treffen, und ich könnte auch nur sie allein einladen, aber aus irgendeinem Grund (oder auch aus keinem Grund) entscheide ich mich zu der gemeinsamen Einladung als mein Mittel, sie zu treffen.

Hier geht es um eine Frage, die außerhalb der uns hier beschäftigenden Logik liegt, nämlich, ob es »eine Handlung« gibt, durch die man p&q – und also auch r – herbeiführen kann. Aber was als »eine Handlung« gilt, kann sich von Kontext zu Kontext ändern und von dem Blickwinkel abhängen, unter dem man die Sache betrachtet.

Damit haben wir angegeben, in welchem Sinn es keine besondere »Form« des praktischen Schlussfolgerns gibt. Die relevanten Aussagen und deren logische Beziehungen sind beim theoretischen und beim praktischen Schlussfolgern genau dieselben. Mit »Aussagen« meine ich hier die hypothetischen Sätze, die wir untersucht haben, sowie jede zusätzliche Aussage, die durch sie als wahr erwiesen wird. Der Unterschied zwischen praktischem und theoretischem Schlussfolgern besteht hauptsächlich in dem unterschiedlichen Gebrauch, den man von diesen Aussagen macht. Wenn man also logisch wahre Konditionale angeben will, welche die logisch notwendige Verbindung angeben, auf der die Schlussfolgerung »beruht«, so sind das bei praktischen Schlussfolgerungen und bei 43den entsprechenden »theoretischen« Schlussfolgerungen genau dieselben Konditionale.

Oben hatte ich Aristoteles für seine Aussage kritisiert, dass das praktische Schlussfolgern dem theoretischen »genau gleiche«. Ich habe dem entgegengehalten, dass es eine ganz andere Form des Schlussfolgerns sei. Ich habe bei ihm also etwas wiedergutzumachen.[22] Ich glaube, Aristoteles hätte Schwierigkeiten gehabt, der gegenwärtigen Debatte darüber, »ob es praktisches Schlussfolgern (oder Schlussfolgern mit Imperativen) gibt«, zu folgen. Er wäre wohl gar nicht versucht gewesen, bestimmte Fehler zu begehen, die wir Heutigen nur schwer vermeiden können.