Aus der Franzosenzeit - Fritz Reuter - E-Book

Aus der Franzosenzeit E-Book

Fritz Reuter

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Beschreibung

Der Roman schildert Ereignisse, wie sie sich ähnlich während der französischen Besatzungszeit durch Napoleon 1813 in Reuters Geburtsstadt Stavenhagen in Mecklenburg ereignet haben können, als der Schriftsteller selbst noch ein Kind war. Reuters Vater war in der Stadt Bürgermeister, der Amtshauptmann Weber sein Pate. Nachdem die napoleonischen Truppen sich aus Russland zurückziehen mussten, waren sie wieder nach Westen in Richtung Heimat unterwegs. Einquartierungen und Requirierungen machten der Bevölkerung zu schaffen. Als sich eines Tages marodierende Soldaten in Stavenhagen zeigen, versucht der Amtshauptmann Weber, der kein Französisch versteht, einen wild gestikulierenden Chasseur dadurch zu besänftigen, indem er ihm Wein vorsetzt. Der gerade anwesende Müller Voß erweist sich dabei als trinkfester Saufkumpan, so dass am Ende der Franzose bewusstlos unter dem Tisch liegt. Der ebenfalls schwer betrunkene Müller will den Franzosen, mit dem er Bruderschaft getrunken hat, nicht zurücklassen und befiehlt seinem Knecht Friedrich ihn hinten auf den Wagen zu laden und mit nach Hause in die Mühle zu bringen. Da Friedrich dies für keine gute Idee hält, entledigt er sich unterwegs des Franzosen, indem er ihn irgendwo unter einem Baum schlafend zurücklässt. Dabei entdeckt er eine große Menge von den Franzosen gestohlener Wertsachen, die er dem Soldaten abnimmt ...

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Seitenzahl: 325

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Aus der Franzosenzeit

Fritz Reuter

Inhalt:

Fritz Reuter – Biografie und Bibliografie

Aus der Franzosenzeit

Vorwort

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Aus der Franzosenzeit, Fritz Reuter

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849633844

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Fritz Reuter – Biografie und Bibliografie

Der hervorragendste plattdeutsche Dichter und einer der größten deutschen Dichter des 19. Jahrh., geb. 7. Nov. 1810 zu Stavenhagen in Mecklenburg-Schwerin, gest. 12. Juli 1874 in Eisenach, studierte in Rostock und Jena die Rechte, beteiligte sich auf letzterer Universität an den burschenschaftlichen Bestrebungen, ward 1833 in Berlin verhaftet, nach einjähriger Untersuchung zum Tod verurteilt, vom König zu 30jähriger Festungshaft begnadigt, nach vierjähriger Hast in preußischen Festungen (s. unten: »Ut mine Festungstid«) 1838 nach Mecklenburg ausgeliefert und in Dömitz interniert, bis er 1840 infolge der preußischen Amnestie seine Freiheit wiedererhielt. Nachdem er hierauf kurze Zeit in seiner Vaterstadt geweilt hatte, nahm er seine Studien in Heidelberg wieder auf, verfiel aber häufig seiner krankhaften Neigung zum Trunk (Dipsomanie), von der er sich trotz den besten Vorsätzen niemals wieder befreien konnte. Von dem Vater, der Bürgermeister von Stavenhagen war (gest. 1845), Ende 1841 heimberufen, war R. seit Anfang des nächsten Jahres auf dem nahegelegenen Gute Demzin, seit 1846 auf Thalberg bei Treptow (bei seinem Freunde Fritz Peters) als Landwirt tätig. Seit 1848 lebte er wieder, jetzt als Privat- und Turnlehrer, in Stavenhagen; 1850 zog er nach Treptow an der Tollen se, wo er sich 16. Juni 1851 mit Luise Kuntze verheiratete, 1856 nach Neubrandenburg, 1863 nach Eisenach. In Treptow hatte R., in engeren Kreisen längst als vorzüglicher Erzähler bekannt, begonnen, »Läuschen un Rimels« (Anklam 1853) in die Öffentlichkeit zu senden. Die anschauliche und naive Weise, in der hier alten und neuen Scherzen und Anekdoten zu wahrhaft neuem Leben verholfen war. ließ in R. alsbald ein seltenes Talent erkennen. Von April 1855 bis März 1856 gab R. in Treptow ein »Unterhaltungsblatt für beide Mecklenburg und Pommern« heraus (Neudruck von Römer, Berl. 1897), in dem er viele seiner eignen Arbeiten veröffentlichte. Die folgenden poetischen Erzählungen: »De Reif' nah Belligen« (Treptow 1858), »Läuschen un Rimels«, neue Folge (Neubrandenb. 1858), »Kein Hüsung« (Greifsw. 1858) sowie »Schurr Murr« (Wism. 1861), verhalfen R. zu einer über die Grenzen des niederdeutschen Sprachgebiets weit hinausreichenden Popularität, die nicht unerhebliche Förderung durch eine Reihe von Rezitatoren (wie Palleske, Kräpelin, Junkermann) fand, die weite Kreise mit diesen durch den mündlichen Vortrag erst zur Entfaltung ihrer vollen Wirkungskraft gelangenden Dichtungen bekanntmachten. In ganz Deutschland ward man durch seine Dichtungen auf die in der plattdeutschen Sprache liegende Fülle köstlichen Humors, echter Naturlaute für den Ausdruck warmen, gelegentlich fast weichen Gefühls und wirksamer Mittel für volkstümliche Genredarstellung aufmerksam. Die Verwendung dieser Mittel durch eine kerngesunde, tief innerliche und doch frische Natur, wie R. war, wirkte erquickend. Seine Meisterleistungen gab der Dichter in der poetischen Erzählung »Hanne Nüte« (Wism. 1860) und den unter dem Gesamttitel: »Olle Kamellen« vereinigten Erzählungen, und zwar sowohl in den köstlichen kleineren Geschichten: »Woans ick tau'ne Fru kamm« nebst »Ut de Franzosentid« (das. 1860) und »Ut mine Festungstid« (das. 1863), wie vor allem in dem größeren Roman »Ut mine Stromtid« (das. 1862–64, 3 Bde.), der den eigentümlichsten und poetisch wertvollsten deutschen Schöpfungen der Neuzeit hinzugerechnet werden muss. Minder hoch, obschon an komischen Zügen reich, sind die nachfolgenden Erzählungen: »Dörchläuchting« (Wism. 1866) und »De mecklenbörgschen Montecchi un Capuletti oder de Reif' nah Konstantinopel« (das. 1868). Die aus seinem Nachlass veröffentlichten Lustspiele: »Onkel Jakob und Onkel Jochen«, »Fürst Blücher in Teterow« (2. Aufl., Leipz. 1875) sowie »Die drei Langhäuse« erwiesen, dass dem vorzüglichen Erzähler dramatisches Talent versagt war. Reuters »Sämtliche Werke« erschienen noch bei Lebzeiten des Dichters in 13 Bänden (Wism. 1863–68 u. ö.); als 14. und 15. Band gab Ad. Wilbrandt die »Nachgelassenen Schriften«, mit Biographie (das. 1875, 9. Aufl. 1904), heraus; eine Volksausgabe erschien in 8 Bänden. Von den nach dem Erlöschen des Hinstorffschen Verlagsmonopols erschienenen Ausgaben ist die beste die von Seelmann u. a. besorgte (in Meyers Klassiker-Bibliothek, Leipz. 1905, 7 Bde.), daneben ist die von C. F. Müller (in Hesses Klassiker-Ausgaben, das. 1905, 18 Bde.) zu nennen; die hochdeutsche Übertragung der »Stromtid« von Heidmüller (Wism. 1904) und der Werke von Bußler (Stuttg. 1905) ist eine Verirrung. Reuters »Briefe an seinen Vater aus der Schüler-, Studenten- und Festungszeit« wurden von F. Engel herausgegeben (Braunschw. 1896, 2 Bde.). Vgl. außerdem Glagau, Fr. R. und seine Dichtungen (2. Aufl., Berl. 1875); Ebert, Fritz R., sein Leben und seine Werke (Güstrow 1874); Latendorf, Zur Erinnerung an Fritz R. Verschollene Gedichte etc. (Pößneck 1880); Gaedertz: Fritz R.-Reliquien (Wism. 1885), Fritz R.-Studien (das. 1890), Aus Fritz Reuters jungen und alten Tagen (das. 1896–1901, 3 Bde.; Bd. 1 in 3. Aufl. 1899), Fürst Bismarck und Fritz R. (das. 1898) und Biographie Reuters in Reclams Universal-Bibliothek (Leipz. 1906); Wilbrandt, Friedrich Hölderlin; Fritz R. (2. Aufl., Berl. 1896); Römer, Fritz R. in seinem Leben und Schaffen (das. 1896) und Heiteres und Weiteres von Fritz R. (das. 1905); Raatz, Wahrheit und Dichtung in Fritz Reuters Werken. Urbilder bekannter Reutergestalten (Wism. 1895); Warncke, Fritz R. Woans hei lewt un schrewen hett (Leipz. 1899); Petzold, Der Philosoph Schramm. Wahrheit und Dichtung in Fritz Reuters »Ut mine Festungstid« (Berl. 1900); E. Brandes, Aus F. Reuters Leben (Programm, Strasb. i. W. 1901–02, 2 Hefte); C. F. Müller, Zur Sprache F. Reuters (Leipz. 1902). Die 1894 verstorbene Witwe des Dichters, Luise R., vermachte seine Villa in Eisenach, in der 1896 ein Reutermuseum eröffnet wurde, der Schillerstiftung, die sie der Stadt Eisenach käuflich überließ.

Aus der Franzosenzeit

Ins Hochdeutsche übertragen von Heinrich Conrad

Vorwort

Fritz Reuter schuf seine Werke für das ganze deutsche Volk. Seine tief aus dem Volke ins Leben gerufenen blutwarmen Gestalten – sie tragen ja alle die Züge des ewigen deutschen Menschen – die köstlichen Kräfte seines urwüchsigen Humors sind Kraftquell der Nation. Ihn allen Volksgenossen in Nord und Süd, Ost und West unseres großen Vaterlandes zu erschließen, das will die vorliegende hochdeutsche Neuausgabe der Meisterwerke des Dichters.

Mit großer Ehrfurcht vor dem Schöpfungswillen des Meisters hat Dr. Heinrich Conrad die Übersetzung ins Hochdeutsche durchgeführt. Liebevoll ist er dabei bedacht gewesen, die ganze Originalität Fritz Reuters in ihrer volksechten herzerfrischend treffsicheren Art zu wahren, damit die urgesunde Volkskraft, die in ihr ruht, auch in die Herzen der Volksgenossen überströmen kann, denen der Genuß von Fritz Reuters Meisterwerken durch Unkenntnis der plattdeutschen Mundart bisher versagt bleiben mußte.

Möge die vorliegende Neuausgabe der musterhaften Übertragung Dr. Heinrich Conrads, die schon bei ihrem ersten Erscheinen einen tiefen und nachhaltigen Erfolg erlebte, dazu beitragen, daß der große deutsche Meister Fritz Reuter nun ganz zum Gemeingut des Volkes werde!

Erstes Kapitel

Warum Müller Voß nicht Bankerott spielen kann, und wie er dem Herrn Amtshauptmann in großer Not beisteht.

Getauft bin ich und Paten hab ich auch gehabt; vier Stück. Und wenn meine vier Paten noch lebten und mit mir über die Straße gingen, da würden die Leute still stehen und sagen: "Guck mal, was sind das für tüchtige Kerle! Na, nach solcher Art kann man heutzutage lange suchen: das sind doch noch Paten!" Und Einer war darunter, der war einen Kopf länger als die anderen und ragte über sie hinaus, wie Saul über seine Brüder, das war der alte Amtshauptmann Weber, der hatte einen sauberen blauen Rock an und eine gelbliche Hose und lange, blankgewichste Stiefel. Und war sein Gesicht auch von Pocken zerrissen, und hatte auch der Teufel seine Erbsen darauf gedroschen, daß er aussah, als hätte er mit dem Gesicht auf einem Rohrstuhl gesessen – auf seiner breiten Stirn stand geschrieben und aus seinen blauen Augen konntet ihr lesen: "Keine Menschenfurcht, wohl aber Gottesfurcht!" Und er war ein Mann auf dem Platz.

Morgens gegen elf Uhr saß er mitten in der Stube auf einem Stuhl, und seine liebe Frau schnürte ihm dann eine weiße Schabracke um den Hals – man nannte das damals einen Purgiermantel – und stäubte ihn mit Puder ein und band die Haare hinten zusammen und drehte ihm einen niedlichen Zopf. Das war ja gerade nichts Besonderes, und unsere Frauen drehen uns hinterm Rücken ja auch noch immer einen niedlichen Zopf; aber so einen, wie die Frau Amtshauptmann drehte, den kriegen sie heute nicht mehr zurecht; denn wenn der alte Herr mittags unter den Kastanienbäumen im Schatten spazieren ging, dann guckte das kleine Spitzbubenzöpfchen so fidel und gescheit über den blauen Rockkragen und sagte zu jedem, der es hören wollte: "Ja, schau, Klaus Abendsegen!  Was du dir denkst! ich bin bloß das äußerst Ende von seinem Kopf und wipple schon so kurios in die Welt hinein – nun kannst du dir vorstellen, wie lustig es drinnen aussieht."

Und wenn ich mal eine Bestellung von meinem Vater auszurichten hatte, und hatte es glatt herausgekriegt, dann schlug er mich auf den Kopf und sagte: "Fix, Junge, wie ein Feuerschloß! Das darf nicht lange hacken und knarren und knacken; sowie du losdrückst, muß es auch blitzen. Nun geh zu Mamsell Westphal und laß dir 'nen Apfel geben." – Zu meinem Vater sagte er dann: "Mein Herzenskindting – ne, was denn? Sie freuen sich wohl auch, daß Sie einen Jungen haben, Jungens sind besser als Mädchen; Mädchen sind mir zu quarrig. Gottlob, ich habe auch einen Jungen; ich meine meinen Jochen. – Ne, was denn?"

Mein Vater sagte zu meiner Mutter: "Weißt du, was der alte Amtshauptmann sagt? Jungens sind besser als Mädchen." Ich aber stand in der Kammer und hörte das und sagte natürlich: "Jawohl! mein Pate hat immer recht, Jungens sind besser als Mädchen, und alles nach Verdienst und Würdigkeit," und nahm das große Stück Topfkuchen und gab meiner Schwester das kleine, und bildete mir nichts Geringes ein, denn nun wußte ich ja, daß ich ein großes Stück von einem kleinen Apfel sei. Aber das sollte nicht so bleiben, die Geschichte kriegte einen Umschwung. – –

Eines Tages, es war zur Zeit, als das Takelzeug, die Franzosen, aus Rußland zurückgekommen waren, und als es bei uns sich schon zu rühren begann – da klopfte es an des Herrn Amtshauptmanns Stubentür. "Herein!" rief der alte Herr, und herein kam der alte Müller Voß aus Gielow, mit dem verkehrten Ende zuerst, und machte einen Diener, der arg verquert herauskam, als müßte er dem Herrn Amtshauptmann vor allen Dingen erst zeigen, aus was für Zeug sein Hosenboden gemacht wäre. "Guten Tag, Herr Amtshauptmann!" sagte er. "Guten Morgen, mein lieber Müller!" sagte der alte Herr. – Na, wenn sie sich auch verschiedene Tageszeit boten, so hatten sie doch jeder auf seine Art recht: denn der Müller stand morgens um vier auf, und bei ihm war's Nachmittagszeit, und beim Herrn Amtshauptmann war es zeitig am Morgen, denn er stand um elf auf. – "Was möchte Er, mein lieber Müller?" – denn damals wurden die Müller noch mit ›Er‹ angeredet. – "Je, Herr Amtshauptmann, ich komme zu Ihnen in 'ner großen Sache. Ich wollte Ihnen nur melden, ich wollte nun auch Bankerott spielen." – "Was wollte Er, mein lieber Müller?" – "Bankerott spielen, Herr Amtshauptmann." – "Hm, hm!" brummt der alte Herr, "das ist ja eine verzweifelte Sache," und reibt sich den Kopf und geht in der Stube auf und nieder. "Wie lange wohnt Er schon im Stavenhäger Amt?" – "Nächsten Johannis werden's dreiunddreißig Jahre." – "Hm, hm," brummt der Herr Amtshauptmann weiter, "und wie alt ist Er, Müller?" – "Zur Erbsenernte werden's fünfundsechzig Jahre – möglicherweise können's auch sechsundsechzig sein; denn was unser alter Paster Hammerschmid war, der war nicht sehr für die Kirchenbücher und überhaupt nicht fürs Schreiben, und die Frau Pastern, die das Anschreiben besorgte – lieber Gott, sie hatte auch sonst ihre Last – die ließ es immer so auf drei Jahre ansummen, damit sich die Schreiberei auch lohnte, und ging dann eines Nachmittags durchs Dorf und schrieb die Gören auf; aber das ging dann immer mehr nach der Größe und Breite, als nach dem Alter, und meine Mutter sagte immer, sie hätte mir ein Jahr zum Schaden gerechnet, weil ich nur ein zartes Kind gewesen wäre – aber von fünfundsechzig brauch ich mir nichts abschneiden zu lassen; die hab ich gewiß." – Der alte Herr Amtshauptmann ist unterdessen in der Stube auf- und abgegangen und hat mit halbem Ohr zugehört und steht nun vor dem Müller still und sieht ihm steif in die Augen und sagt barsch: "Müller Voß, dann ist Er viel zu alt zu seinem Vornehmen." – "Wieso denn?" fragt der Müller ganz verdutzt. – "Bankerott machen ist ein schweres Geschäft, da wird Er in seinem Alter nicht mehr mit fertig." – "Meinen Sie, Herr Amtshauptmann?" – "Ja, das meine ich. – Da sind wir beide zu alt dazu, das müssen wir jungen Leuten überlassen. Bedenkt einmal, was würden die Leute sagen, wenn ich Bankerott spielen wollte? Sie würden sagen: der alte Amtshauptmann auf dem Schloß ist verrückt geworden," – und legte ihm mit Nachdruck die Hand auf die Schulter – "und sie hätten recht, Müller Voß. Ne, was denn?" – Der Müller sieht seine Stiefelspitzen an und kratzt sich hinterm Ohr: "Wahr ist's, Herr!" – "Na," fragt der alte Herr und schüttelt den Müller ein bißchen an der Schulter, "wo drückt Ihn denn der Schuh? was quält Ihn denn hauptsächlich?" – "Quälen sagen Sie, Herr Amtshauptmann?" rief der Müller, und es war, als hätte ihn eine Biene hinters Ohr gestochen, so kratzte er; "schinden, Herr, sollten Sie sagen, schinden! – der Jude! der verfluchtige Jude! Und dann der Prinzeß, Herr Amtshauptmann! der verfluchtige Prinzeß!" – "Sieht Er, Müller? das ist auch ein Hansnarrenstreich von Ihm, daß er in seinem Alter sich in einen Prozeß einläßt." – "Je, Herr, als ich mich in den einließ, war ich noch in guten Jahren, und ich dachte auch so, ich würde ihn noch bei Lebzeiten ausfechten; aber ich merke wohl, so'n Prinzeß hat einen längeren Atem als eine ehrliche Müllerlunge aushalten kann." – "Er läuft nun aber, meine ich, stark zu Ende." – "Ja, Herr Amtshauptmann, und dann läuft er mich tot; denn meine Sache wird wohl schlimm stehen, und die Advokaten haben sie verbruddelt, und was meinem Vaterbruder, dem alten Jochen Vossen sein Sohn ist, der jetzt das Ganze erbt, das soll so ein richtiger Schleicher sein, und die Leute sagen ja, er habe einen Schwur darauf getan, er wolle mich rausschmeißen aus der Borchertschen Wirtschaft zu Malchin. – Und, Herr Amtshauptmann, ich hab 'ne gerechte Sache, und wie ich zum Prinzeß gekommen bin, das weiß ich heute noch nicht, denn die alte Borchertsche, als sie noch lebte, war die Tante von meiner Mutter ihrer Schwestertochter, und Jochen Voß, was mein Vetter war..." – "Ich weiß die Geschichte," sagte der Herr Amtshauptmann, "und wenn ich Ihm raten soll, dann vergleiche Er sich." – "Das kann ich nicht, Herr! Unter der Hälfte tut es Jochen Vossens Schlingel nicht, und wenn ich die herausgeben soll, bin ich ein Schnorrer. Nein, Herr Amtshauptmann, es mag gehen, wohin's gehen will, geben tu ich mich nicht, ich gehe bis an den Herzog. – So'n Schlingel, so'ne Rotznase, der mit seines Vaters Geld in der Tasche gehn und ziehn kann, wohin er will, und nicht weiß, wie einem Menschen zumute ist, der einen Hausstand halten soll in diesen schlechten Zeiten; dem die gottverdammten Halunkenfranzosen sein Vieh nicht genommen haben und seine Mähren nicht aus dem Stall gezogen und sein Haus nicht geplündert haben, der will sich gegen mich rächen? Herr Amtshauptmann, Sie erlauben wohl, ich huste in so 'nen Bengel, und nehmen Sie's nicht übel, wenn ich unbescheiden bin." – "Müller Voß," sagt der alte Herr, "ruhig, Müller Voß! der Prozeß kommt ja auch einmal zu Ende, denn er ist ja in vollem Gang." – "Im Gang, Herr Amtshauptmann? Ne, er ist im Schwung, wie der Teufel sagte, da hatte er Gotteswort an die Peitsche gebunden und schwenkte es sich um den Kopf herum." – "Wahr, Müller Voß, – wahr ist es! Aber indessen, dies kann Ihn doch für den Augenblick nicht so arg drücken." – "Drücken? klemmen, sagen Sie, Herr! klemmen, daß einem das Blut aus den Fingerspitzen spritzt. – Der Jude, Herr Amtshauptmann, der dreimal destillierte Jude!" – "Welcher Jude ist es?" fragt der Herr Amtshauptmann. Und der Müller dreht seinen Hut in den Fingern und sieht sich so halbwegs um, ob ihn auch einer hört, und geht so langsam mit schleppenden Schritten an den alten Herrn heran, legt die Hand an den Mund und flüstert halblaut: "Der Itzig, Herr Amtshauptmann." – "Pfui!" sagt der alte Herr. "Wie kommt Er zu dem Kerl?" – "Herr Amtshauptmann, wie kommt der Esel zu den langen Ohren? Manche gehen aufs Erdbeerpflücken und verbrennen sich in den Nesseln, und der Gägelowsche Küster glaubte, er hätte seinen Schiebkarren voll heiliger Engel, und als er oben auf den Berg kam und glaubte, nun würden sie ausfliegen, da saß des Teufels Großmutter drin und grinste ihn an und sagte: ›Gevatter, wir sprechen uns noch!‹ – In meiner größten Not, als der Feind mir alles genommen hatte, habe ich mir zweihundert Taler von ihm geliehen, und nun hab ich seit zwei Jahren von Termin zu Termin immer unterschreiben müssen, und die Schuld ist hinaufgekrochen bis auf fünfhundert Taler, und übermorgen soll ich sie bezahlen." – "Müller, hat Er sich unterschrieben?" – "Ja, Herr Amtshauptmann." – "Dann muß Er sie auch bezahlen. Was geschrieben ist, ist geschrieben." – "Je, Herr Amtshauptmann, ich dachte ..." – "Hilft Ihm nichts: was geschrieben ist, ist geschrieben." – "Aber der Jude..." – "Müller, was geschrieben ist, ist geschrieben." – "Je, Herr Amtshauptmann, was tu ich denn dabei?" – Der alte Herr ging in der Stube herum und rieb sich den Kopf und sah den Müller dann mal wieder so recht ernsthaft an, und der Müller sah ihn wieder so an, und endlich sagte er: "Müller, junge Leute kommen aus solchen Verlegenheiten besser heraus als alte; schick Er mir einen von seinen Jungens." – Der alte Müller sah sich wieder auf die Stiefelspitzen und drehte sich mit einer halben Wendung um und sagte mit einer Stimme, die dem alten Amtshauptmann durch und durch ging: "Herr, wen soll ich schicken? Mein Jochen ist in der Mühle zu Tode gekommen, und Karl haben voriges Jahr die Franzosen mitgenommen nach Rußland, und er ist nicht wiedergekommen." – "Müller," sagt der alte Amtshauptmann und streichelt dem Müller den Rücken und faßt ihn unters Kinn, "hat Er denn gar keine Kinder?" – "Ja, Herr Amtshauptmann," sagt er und wischt sich über die Augen, "noch so'n kleines Mädchen." – "Ja," sagt der alte Herr, "Müller, ich bin nicht sehr für die Mädchen; Mädchen sind mir zu quarrig!" – "Das sind sie, Herr, sie sind zu quarrig!" – "Und nützen können sie Ihm in solchen Umständen gar nicht, Müller." – "Was wird denn aus meiner Sache?" – "Exekution, alter Freund – der Jude wird Ihm alles wegtragen lassen." – "Na, Herr Amtshauptmann, das hat der Franzos schon zweimal getan, dann kann's der Jude nun auch mal versuchen. Die Mühlsteine wird er ja liegen lassen. Und zum Bankerott, meinen Sie, bin ich zu alt?" – "Ja, mein lieber Müller." – "Na, denn adjüs, Herr Amtshauptmann!" – Damit ging er.

Der alte Herr steht noch eine Weile und sieht dem Müller nach, wie er über den Schloßhof geht, und sagt zu sich: "'s ist ein schlimmes Stück für einen alten Mann, den anderen so allmählich an den schlechten Zeiten und an den noch schlechteren Menschen zugrunde gehen zu sehen. Wer aber kann ihm helfen? Das einzige ist, ihn Zeit gewinnen zu lassen. – Fünfhundert Taler! – Wer hat jetzt fünfhundert Taler? Ich glaube, wenn der alte Roggenbom auf Scharpzow ausgenommen wird, kann man das ganze Stavenhäger Amt aus den Kopf stellen und die Stadt dazu und es fallen keine fünfhundert Taler heraus; und Roggenbom tut es nicht. Zu Ostern ginge es möglicherweise; so lange wartet aber der Jude nicht. – Ja ja! für alte Leute ist's 'ne schlimme Zeit!"

Und als er noch so aus dem Fenster sieht, da wird es draußen auf dem Hof so lebendig, und sieben französische Chasseurs reiten zum Tor herein, und der eine steigt ab und bindet sein Pferd an die Klinke von Mamsell Westphals Hühnerstall und geht geraden Wegs auf des alten Herrn Stube und fängt da an, ihm etwas vorzusackerieren und mit den Armen zu fuchteln, wobei der alte Herr ganz ruhig stehen bleibt und ihn anguckt. – Als es aber schlimmer wird, und der Franzose die Plempe blankzieht, geht der alte Herr an die Klingel und ruft nach Fritz Sahlmann – das war sein Kalfaktor, der die laufenden Geschäfte zu besorgen hatte – und sagt: "Fritz, lauf zum Herrn Bürgermeister hinunter, ob er nicht gleich ein bißchen kommen möchte, denn mein Latein wäre wieder mal zu Ende."

Und Fritz Sahlmann kommt denn nun zu meinem Vater herunter und sagt: "Herr Bürgermeister, kommen Sie fixing nach dem Schloß 'rauf; sonst geht's all meiner Tage nicht gut." – "Was ist denn los?" fragt mein Alter. – "Auf dem Schloßhof halten sechs entfamtige französische Spitzbuben-Chasseurs, und was der Oberste von ihnen ist, der ist drinnen beim alten Herrn und hat allen Respekt vergessen und hat blank gezogen und fackelt ihm mit der nackten Plempe vor den Augen, und der alte Herr steht hochaufgerichtet vor ihm und rippt und rührt sich nicht, denn er versteht vom Französischen so viel wie die Kuh vom Sonntag." – "Das wäre der Teufel!" rief mein Alter und sprang auf – denn er war ein beherzter, entschlossener Mann, und Furcht hatte er nicht so viel wie das Schwarze unter dem Nagel – und lief aufs Schloß.

Als mein Vater zum Herrn Amtshauptmann hereinkommt, da tobt der Franzose da herum wie ein wildes Tier, und aus seinem Mundwerk prustet es heraus wie wenn der Zapfen aus einem Faß gezogen wird; der alte Herr aber steht ruhig da und hat seinenDictionaire de pochein der Hand, und wenn er ein Wort von dem Franzosen halbwegs versteht, dann schlägt er nach, was Poche wohl dazu sagt, und als mein Alter herankommt, fragt er: "Mein Herzenskindting, was will der Kerl? – Ne, was denn? – Fragen Sie doch den Kerl, was er will." – Mein Vater fängt also an mit dem Kerl zu reden, der aber stellt sich so ungebärdig an und schimpft und schandiert, daß der alte Amtshauptmann wieder fragt: "Mein Herzenskindting, was ereifert sich der Kerl?" – Nun, endlich kriegt mein Vater den Franzosen so weit, daß er mit seiner Sache herausrückt, und als er nun dem alten Herrn erklärt, daß der Franzmann fünfzehn fette Ochsen und eine Last Weizen und siebenhundert Ellen grünes Tuch und hundert Louisdor verlangt und dann außerdem für sich und seine Leute noch vielen›du vin‹, da sagt der alte Amtshauptmann: "Mein Herzenskindting, sagen Sie dem Kerl, wir wollten ihm brav..." – "Halt!" ruft mein Alter, "Herr Amtshauptmann! Das Wort sagen Sie nicht, das wird er in der letzten Zeit auf vielen Stellen schon gehört haben, und er könnte es möglicherweise verstehen. Nein, ich rate dazu, wir geben ihm den›du vin‹– dann wird ja vielleicht das andere sanft und selig vergessen werden."

– Und der Herr Amtshauptmann gibt ihm recht und ruft Fritz Sahlmann, er solle von Mamsell Westphal Gläser und Wein besorgen, aber nicht vom besten.

Na, der Wein kommt, und mein Vater schenkt dem Franzosen ein, und der Franzose schenkt meinem Vater ein und es geht immer umschichtig, und mein Vater sagt: "Herr Amtshauptmann, Sie müssen mit 'ran und müssen mir helfen, denn das ist einer von der Art, die keinen Boden im Leibe hat." – "Mein Herzenskindting," sagt der alte Herr, "ich bin ein alter Mann und bin erster herzoglicher Beamter im Stavenhäger Amt – wie paßt sich das für mich, daß ich mich mit dem Kerl in die Zeche gebe?" – "Ja," sagt mein Alter, "Not kennt kein Gebot – und dies ist fürs Vaterland."

– Und der Herr setzt sich mit heran und wirkt auch nach Kräften. Doch nach einiger Zeit sagt mein Alter: "Herr Amtshauptmann, der Kerl wird uns über; es wäre eine Gnade von Gott, wenn er uns jetzt einen schickte, der einen guten Magen und einen festen Kopf hätte." Und als er dies sagt, klopft es an die Tür. "Herein!" – "Guten Tag auch!" sagt der alte Müller Voß aus Gielow und kommt zur Tür herein; "guten Tag, Herr Amtshauptmann." – "Guten Tag, mein lieber Müller."

– "Je, Herr, ich komme noch einmal in meiner Sache."

– "Dazu ist heute keine Zeit," sagt der alte Herr, "denn Er sieht wohl, in was für Umständen wir uns befinden."

– Und mein Vater ruft: "Mein lieber Voß, komm Er her und tu Er ein christliches Werk und leg Er sich quer vor den Franzosen ins Geschirr und nehm Er ihn mal zu Protokoll, aber scharf!" – Und Müller Voß guckt meinen Alten an und guckt den Herrn Amtshauptmann an und denkt sich sein Teil, wie jener Truthahn, und sagt zu sich: auf so einem Gerichtstag bin ich noch nicht gewesen – findet sich aber leicht in die Sache.

Mein Vater geht nun an den Herrn Amtshauptmann heran und sagt: "Herr Amtshauptmann, das ist unser Mann, der wird mit ihm fertig, ich kenne ihn." – "Schön," sagt der alte Herr. "Mein Herzenskindting, wie werden wir aber mit den sechs Kerlen da draußen auf dem Schloßhof fertig?" – "Das ist nur so eine Marodeurs- und Landstreicherbande," sagt mein Alter, "lassen Sie mir nur meinen Willen, ich mache ihnen bange." Und er ruft Fritz Sahlmann und sagt: "Fritz, mein Sohn, geh hinten durch den Schloßgarten, daß dich niemand sieht, und laufe zum Uhrmacher Droz: er sollte sich stantepee seine Uniform anziehen mit den langen schwarzen Stiefeletten und der Bärenmütze und Obergewehr und Untergewehr und sollte sich durch die kleine grüne Pforte durch den Garten schleichen bis unters Eckfenster und dann sollte er husten."

Was nun den Uhrmacher Droz anbetrifft, so war er von Geburt ein Neuchateller, hatte vielen Potentaten gedient und auch den Franzosen, und war später in meiner Vaterstadt hängen geblieben, indem er eine Witfrau geheiratet hatte. Seine französische Uniform hatte er aufbewahrt, und wenn er abends in der Schummerstunde zum Uhrenflicken nicht mehr sehen konnte, dann zog er sich seine Montur an und ging immer in seiner kleinen Kammer auf und nieder, aber in bloßen Haaren, denn mit der Bärenmütze ging es nicht, die schrammte an die Decke an. Und dann redete er von›la grande nation‹und›le grand empereur‹und kommandierte das ganze Bataillon und ließ rechts einschwenken und links einhauen, daß Frau und Kinder sich hinters Bett verkrochen. Er war aber ein guter Mann und tat keinem Kinde was, und tagsüber lag›la grande nation‹im Koffer, und er flickte Uhren und pustete und schmierte sie und aß mecklenburgsche Pellkartoffeln und stippte sie in mecklenburgschen Speck.

Na, während nun also der Uhrmacher sich die Stiefeletten anknüpfte und die Bärenmütze aufsetzte, saß Müller Voß mit dem Franzosen zusammen und ließ sich des Herrn Amtshauptmanns Rotwein sauer werden, und der Franzos stieß mit dem Müller an und sagte:"A vous!"und der Müller nahm dann sein Glas, trank und sagte: "Na nu!", und bann stieß wieder der Müller mit dem Franzosen an, und der bedankte sich und sagte:"Serviteur!"und der Müller trank denn auch und sagte: "Sett en vor de Dör!"  und so sprachen sie französisch miteinander und tranken.

So wurden sie denn nun immer freundschaftlicher zu einander; der Franzose steckte die blanke Plempe in die Scheide, und es dauerte nicht lange, so raschelte sein schwarzer Schnurrbart dem alten Müller unter der stumpfen Nase, und der Müller schmiß ihm ein paar ins Gesicht, die sagten nur so ›steht!‹ – denn der alte Müller hatte ein Mundgeschirr, als wäre er mit der Wurfschippe aufgefüttert, und jeder von seinen Küssen konnte für drei tüchtige Durchschnittsküsse gelten.

Gerade als dies geschah, hustete es unterm Eckfenster, und mein Vater schlich sich raus und sagte dem Uhrmacher Bescheid, was er tun sollte. Der Herr Amtshauptmann aber ging auf und ab und dachte, was wohl die hohe Herzogliche Kammer dazu sagen würde, wenn sie dies mit ansähe, und sagte zum Müller: "Müller, verzag' Er nicht; ich werd's Ihm gedenken!" Und der Müller verzagte auch nicht, sondern trank rüstig weiter.

Der Uhrmacher ging unterdessen heimlich wieder durch den Schloßgarten zurück; als er aber auf dem gewöhnlichen Weg kam, der nach dem Schloß hinaufgeht, da warf er sich in die Brust und trampte auf, denn er war nun wieder›grande nation‹, und marschierte strack und stramm zum Schloßtor hinein, was er denn auch schön fertig kriegte, weil er von Angesicht und Statur ein ansehnlicher Kerl war. Na, die sechs Chasseurs, die bei ihren Pferden standen, die guckten und flüsterten untereinander, und einer von ihnen ging zu ihm 'ran und fragte ›wohin?‹ und ›woher?‹. Droz aber sah ihn recht höhnisch über die Schulter an und antwortete ihm kurz und barsch auf Französisch, er wäre der Quartiermeister vom 73. Regiment, und das käme in 'ner halben Stunde von Malchin 'rauf, und er müßte erst mitmonsieur le baillifreden. Da schoß dem Chasseur die Angst in die Knochen, und als Droz ein bißchen handgreiflich mit dem Zaunpfahl auf Marodeurs zu spitzen anfing und erzählte, sein Oberst hätte gestern ein paar totschießen lassen, da drückte sich erst der eine und dann der andere, und wenn auch noch ein paar von ihnen zusammenschnatterten und auf das Schloß wiesen von wegen ihres Anführers, so hatte doch keiner rechte Zeit zum Warten, und im Handumdrehen war der Schloßhof leer, und im Brandenburger Tor standen wir Jungens und guckten den sechs französischen Chasseurs nach, wie sie den tiefen Lehmweg hinunterklabasterten, denn es war gerade in der schönsten Zeit der damaligen mecklenburgischen Landwege, so im Frühjahr, im Antau.

Zweites Kapitel

Was Mamsell Westphal und der Uhrmacher mit einander sprachen, und warum Friedrich dem Franzosen die Knöpfe von den Hosen schneiden will und ihn nachher im Stavenhäger Oberholz zu Bett bringt, und warum Fiken den MaIchiner Kaufmann nicht genommen hat.

Als der Schloßhof leer war, marschierte der Uhrmacher mit Obergewehr und Untergewehr in Mamsell Westphals Speisekammer hinein, und Mamsell Westphal trocknete sich die Augen und sagte: "Herr Droi, Sie sind ein Engel der Rettung!" Sie nannte ihn nämlich immer ›Droi‹ statt ›Droz‹, weil sie glaubte, ›Droi‹ wäre richtigeres Französisch und die Leute gäben ihm nicht den richtigen Akzent. Der Engel der Rettung setzte nun seinen ›Schafschinken‹ an den Seifenbottich, hängte sein Käsemesser an den Fleischhaken, stülpte seine Bärenmütze auf das Butterfaß und setzte sich selber auf den Anrichteklotz, zog ein gewürfeltes Schnupftuch hervor, legte es sauber auf den Knien zusammen und fuhr sich damit zweimal sachte unter der krummen Nase durch; dann nahm er seine große runde Schnupftabaksdose heraus, streckte sie Mamsell Westphal hin und fragte:"Plaît-il?"– "Jawohl," sagte Mamsell Westphal, "pläht'i mir das, denn, Herr Droi, ich habe sehr schlechte Augen, und seit dem vorigen Herbst sind sie immer schwächer geworden; ich hatte damals die große Krankheit, und die Doktoren gaben ihr einen hohen Namen; aber, Herr Droi, ich sage, das war das gewöhnliche miserable Stoppelfieber, und dabei bleibe ich! – So!" sagte sie dann und setzte vor Herrn Droz eine schöne gebratene Ente hin und eine Flasche Wein – aber von des Herrn Amtshauptmanns gutem – und machte einen Knicks, wie wenn einer im Wasser untertaucht, und sagte auch: "Pläht' i?" Na, dem Uhrmacher plähtite dies denn auch sehr und ihm wurde zumute, als wäre er ein wirklicher Engel, und Mamsell Westphals Speisekammer war im Vergleich mit seinen Pellkartoffeln und Speck ein Paradies, und als er bei der zweiten Flasche Wein war, redete er viel von dem schönenvin de Valenginund von ›der szöne Sweiz‹. Und Mamsell Westphal sagte: "Sie haben recht, Herr Droi, Schweiß ist 'ne schöne Sache, vor allem bei einem Schnupfen: ich trinke dann immer Fliedertee." – "Ah!" sagte Herr Droz,"fierté! Oui, je suis fiervon meine Land. Oh, Sie muß mal kommen in die Land, da singen die Vögel und da brummen die Bachen." Na, mittlerweile war es dunkel geworden, und Fritz Sahlmann kommt in die Speisekammer und sagt: "Na, dies ist 'ne schöne Geschichte: der Herr Amtshauptmann läuft bei düsterer Nacht in bloßen Haaren im Garten 'rum und räsonniert vor sich hin, der Bürgermeister hat sich sachte aus dem Staub gemacht, Müller Vossens Friedrich hält nun schon 'ne ganze Stunde lang vor'm Tor und schimpft auf die verfluchten Patrioten und den Spitzbuben Dumouriez, und der Müller hält dem Franzosen die Faust unter die Nase und fragt, wo seine vier Mähren und seine sechs Ochsen geblieben seien, die die Franzosen ihm genommen, und der Franzose sitzt da und rippelt und rührt sich nicht und verdreht die Augen." – "Fritz Sahlmann," fragte Mamsell Westphalen, "rührt er sich nicht?" – "Ne, Mamselling!" – "Fritz Sahlmann, ich weiß, du hast zuweilen den Hasenfuß in der Tasche und trägst dich manchmal stark mit Unwahrheiten; ich frage dich auf dein Gewissen: rührt er sich gar nicht?" – "Ne, Mamselling – ganz und gar nicht!" – "Na, Herr Droi, dann kommen Sie! Dann wollen wir hinaufgehn und nach dem Rechten sehen. Nehmen Sie sich aber was von Ihrem Geschirr zum Hauen und Stechen mit, und wenn Sie sehen, daß er mir zu Leibe will, dann stehn Sie mir bei! Und du, Fritz Sahlmann, lauf zu Müllers Friedrich und sag ihm, er solle die Pferde absträngen und 'rein kommen; denn besser ist besser, und was einer gut tun kann, das wird zweien nicht sauer."

Friedrich kommt denn nun auch herein und kriegt einen tüchtigen Schnaps und schüttelt sich, wie's nach einem großen Schluck Mode ist, und der Zug geht darauf vorwärts nach des Herrn Amtshauptmanns Stube. Friedrich voran, dann Mamsell Westphal, die den Uhrmacher untergefaßt hat, und zuletzt Fritz Sahlmann im Hintertreffen.

Als sie in die Stube kommen, sitzt der Müller am Tisch, hat zwei volle Gläser vor sich stehn und stößt mit dem einen an das andere, dann mit dem anderen an das eine und trinkt abwechselnd für zwei und grinst lustig über das ganze breite Gesicht. Den Rock hat er ausgezogen, weil ihm bei der Sache heiß geworden ist, auf dem Kopf hat er des Franzosen Kaskett mit dem langen Roßschweif und über seinen dicken Bauch hat er, so gut es gehen will, den französischen Säbel geschnallt. Der Franzos aber liegt lang ausgestreckt in der Sofaecke, hat des Herrn Amtshauptmanns baumwollene Schlafmütze auf und seinen rotgeblümten Schlafrock an, und der Spitzbube von Müller hat ihm statt des Säbels einen großen Flederwisch in die Hand gegeben, und damit fuchtelt der Chasseur stillschweigend in der Luft herum, denn reden kann er kein Wort mehr.

Als Mamsell Westphal zur Tür hereinkommt und die Bescherung sieht, setzt sie beide Arme in die Seite, wie's jede rechtschaffene ältliche Person, die auf rechten Wegen ist, eigentlich tun sollte, und fragt: "Müller Voß, was soll das? Was heißt dies? Und was bedeutet dies?" – Der Müller will antworten, gerät aber ins Lachen und bringt mit knapper Not heraus: "Komödienkram!" – "Was!" ruft Mamsell Westphal. "Ist das 'ne Antwort von 'nem Mann mit Frau und Kindern? Ist das ein Respekt vor seinem Vorgesetzten, solche Eulenspiegelstreiche in seiner Studierstube anzustellen? Herr Droi, kommen Sie mit!" Damit geht sie auf den Franzosen los, reißt ihm die Schlafmütze vom Kopf, schlägt sie ihm zweimal um die Ohren und sagte bloß die beiden Worte: "Die unschuldige Schlafmütze!" und: "Du Ferkel!" Dreht sich um und ruft: "Und Er, Friedrich, komm Er her und helf Er dem Kerl aus des alten Herrn Rockelor heraus; und Sie, Herr Droi, denn Sie werden sich darauf verstehen, nehmen Sie dem unklugen Müller den Suppentopf vom Kopf und schnallen Sie ihm den Säbel los!" Als dies denn nun geschehen war, sagt sie: "Und du, Fritz Sahlmann, du alte Plaudertasche, du Schnackfaß von der Ecke! Du unterstehst dich nicht und sagst dem Herrn Amtshauptmann, was mit seinen Kommoditäten hier passiert ist; denn er läßt sie sonst verbrennen, und was können der Schlafrock und die Schlafmütze dafür, daß alte Leute zu Jungens werden!" Dabei guckt sie den alten grinsenden Müller scharf an, steckt den Pfropfen auf die Weinflasche, setzt wieder die Arme in die Seiten und fragt: "Was nun?"

"Ich weiß!" sagt Friedrich, zieht sein Klappmesser aus der Tasche, macht es auf, geht auf den Franzosen los, reißt ihm die Montur auf und fängt an, ihm auf eine sehr sonderbare Art unter den kurzen Rippen herumzufummeln.

"Herre Jesus, Friedrich!" ruft Mamsell Westphal und springt dazwischen, "was? plagt Ihn der Böse? Er wird hier doch keinen Mord anstiften?" – "Diable!" sagt Herr Droz und reißt Friedrich den Arm zurück, und Fritz Sahlmann, der unverständige Schlingel, reißt das Fenster auf und schreit: "Herr Amtshauptmann! Herr Amtshauptmann, nun geht's los!" Schwabb! hat er einen an den Ohren, der ihm ganz bekannt vorkam, weil er täglich von Mamsell Westphals Sorte etwa drei bekam – das heißt: in Bausch und Bogen berechnet, denn gezählt wurden sie nicht.

Friedrich aber stand ganz ruhig da und sagte: "Wieso denn? Was meinen Sie? Denken Sie, daß ich Kinder fresse? Ich will ihm bloß die Knöpfe von der Hose abschneiden; denn so haben wir's immer gemacht, wenn wir welche gefangen hatten, als ich noch gegen die verfluchten Patrioten in Holland diente und gegen den Spitzbuben Dumouriez unter dem Herzog von Braunschweig in den neunziger Jahren." Und zu Mamsell Westphalen gewandt: "Denn, Mamselline, dann können sie nicht schappieren; dann sinken ihnen die Hosen in die Knie."

"Schäm Er sich, Friedrich, mir so was zu sagen!! Was gehen mich dem Franzosen seine Hosen an und seine Knie! Und von solchem Anblick will ich hier nichts wissen, und kein Mensch soll sagen, daß hier in des Herrn Amtshauptmanns Studierstube so was Despektierliches zu sehen gewesen ist. Nein, lieber wollen wir ratschlagen, wo wir mit dem Kerl bleiben!"

Da drängt sich Müller Voß nach vorne und will sich vor die Brust schlagen, schlägt sich aber weiter unten vor den Magen und sagt: "Bleiben? Was bleiben! Wo ich bleibe, bleibt er auch, und wir haben Brüderschaft getrunken, und er ist 'n richtiger Franzos, und ich bin 'n richtiger Mecklenburger, und wer davon was wissen will, der komme her!" Sieht sie alle der Reihe nach an, und als keiner was dazu sagt, klopft er dem Franzosen auf die Schulter und sagt: "Bruder! ich nehme dich mit!" – "Das ist auch das beste!" ruft Mamsell Westphal. "Dann sind wir ihn los ... Herr Droi, fassen Sie an!" – Und die eine›grande nation‹faßt die andere›grande nation‹an den Beinen, Friedrich hält ihn oben am Kopfende, Fritz Sahlmann trägt das Licht, Mamsell Westphal kommandiert das Ganze, und der Müller geht in einem kleinen Bogen hinterher.

"So!" sagt Friedrich. "Nun man hinten 'rein ins Krett! So! Da liege du man! Fritz Sahlmann, sträng' mir die Mähren an! Und Sie, Herr Droi, helfen Sie dem Müller hinauf; aber nehmen Sie sich in acht, daß er nicht das Gleichgewicht verliere; denn ich kenne ihn: er überschlägt sich!"

Als der Müller nun sitzt, fragt Friedrich: "Na? Alles an Bord?" – "Alles an Bord!" ruft Mamsell Westphalen. – "Na, denn man jüh!" sagt Friedrich. Kaum aber ist er ein paar Schritte weit gefahren, so ruft der Uhrmacher: "Alt! Alt! Friderik! Sie aben vergestern die Kamerad seincheval, es stehn in dielogisfür die kleinepoule." – "Ja," sagt Fritz Sahlmann, "es steht im Hühnerstall!" – "Na, dann hol's!" sagt Friedrich, "und bind's hinter den Wagen."

Dies geschieht denn auch, und als sie noch dabei