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Ein lesbischer Liebesroman an dessen Ende sich keiner mehr ans Drehbuch hält. Die britisch distanzierte Star-Schauspielerin Elizabeth Thornton spielt Amerikas meist gehassten Bösewicht in einer populären Ärzteserie. Eine Rolle, die sie verabscheut. Zu allem Übel wird ihr wegen der Tollpatschigkeit ihrer neuen, chronisch gut gelaunten Co-Schauspielerin Summer Hayes auch noch eine romantische Beziehung zu eben jener nachgesagt. Als ungeoutete Schauspielerin kann Elizabeth das gar nicht gebrauchen. Überraschend rückt eines Tages ihre Traumrolle in greifbare Nähe. Das einzige Problem? Der exzentrische französische Regisseur besteht darauf zuerst ihre »Freundin« Summer kennenzulernen.
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Seitenzahl: 578
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Inhaltsverzeichnis
Von Lee Winter außerdem lieferbar
Danksagung
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Über Lee Winter
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Von Lee Winter außerdem lieferbar
Muffins und ein bisschen Rache
Shattered – Zerbrochen
Nichts als die unbequeme Wahrheit
Ein Hotel und zwei Rivalinnen
Happy End am Ende der Welt
Nichts als die ungeschminkte Wahrheit
Aus der Rolle gefallen
Requiem mit tödlicher Partitur
Aus dem Newsroom:
Das Geheimnis der roten Akten
Unter die Haut – Liebe, Verschwörung und eine fast geplatzte Hochzeit
Danksagung
Da mein Wissen über Hollywood und Medizin vor dem Schreiben dieses Buches auf die Rückseite einer Papierserviette gepasst hätte, muss ich mich bei einer Menge Leute bedanken. Vorzugsweise mit Marmorstatuen in ihren Ehren und schaufelweise Bargeld und Schokolade.
Ein riesiger Dank geht an die großartige LA Film- und Fernsehschauspielerin Kay Aston, die eine meiner Beta-Leserinnen war. Sie erklärte mir alles, angefangen bei den kleinen Dingen, zum Beispiel den Unterschied zwischen Persönlichen- und Set-Assistenten und den Gepflogenheiten in Trailern und Umkleideräumen, bis hin zu den großen Nummern, zum Beispiel, was die Schauspielerinnen wirklich motiviert und wie sie mit schwierigen Szenen umgehen. Ohne Kays hervorragendes Insider-Wissen wäre mein Buch viel ärmer.
Dank auch an meine medizinisch geschulten Freunde, die mir bei den blutigen Sachen geholfen haben. Mein Dank gilt hier insbesondere der Ärztin und Autorin Chris Zett. Das Brainstorming mit ihr war hervorragend und sie hat für all meine dramatisch lächerlichen TV-Irrtümer authentische Diagnosen und Behandlungen vorgeschlagen.
Ein besonderer Dank an die Liebe meines Lebens. Es tut mir leid, dass ich dich für gewisse Zeit wieder zur Schriftstellerinnen-Witwe gemacht habe. Ich verspreche, mich dir sehr bald wieder persönlich vorzustellen.
Und an meine Leserinnen, vielen Dank für all die Unterstützung und die vielen freundlichen Worte über die Jahre. Ihr macht das alles lohnenswert.
Widmung
Ich widme dieses Buch allen Schauspielerinnen, die immer und immer wieder für ihre Arbeit alles geben.
Ich hatte keine Ahnung, wie hart dieser Job ist, bis ich an der Oberfläche zu kratzen begann und anfing zu recherchieren, was Schauspielerei wirklich ist. So verletzlich zu sein und sich den ständigen prüfenden, fordernden, erwartungsvollen und kritisierenden Blicken auszusetzen, ist einfach erstaunlich. Die ständige Erwartung, dass man seinen Körper, seine Gefühle und seine Seele entblößt und dabei irgendwie unberührt bleibt, ist einfach unfassbar. Das erfordert so viel Mut.
Wenn man eine Schauspielerin ansieht und dabei nur eine berühmte oder hübsche oder reiche oder eine »perfekte« Person wahrnimmt, dann sieht man nicht richtig hin.
Mein vollster Respekt.
Kapitel 1
Joey Carter rannte so schnell sie konnte zum Hauptausgang des Martina Hope Memorial Hospitals und stürzte sich in das Chaos. Es regnete in Strömen, die kälter waren, als es für LA hätte möglich sein dürfen. Sie wich erst einem Notfallwagen, dann einer rollenden Trage aus und gab sich alle Mühe, die kostbare Fracht in ihren Armen zu behalten.
»Dr. Carter!«, schrie jemand.
Sie reagierte zunächst nicht.
»Carter!«, versuchte die Person es erneut. »Joey Carter?«
Sie fuhr zur Stimme herum. »J-ja?« Der Regen rann Joey über das Gesicht und in ihre Augen, als sie sich dem Licht und der schemenhaften Gestalt in seinem Kegel zuwandte. Mit Mühe blinzelte sie den Regen weg. Ihr blonder Pferdeschwanz fühlte sich schwer an, wie ein wasserdurchtränkter Lappen, und auch in ihrem Kragen hatten sich Tropfen gesammelt. Ihre Hände waren zu voll, um ihr Hemd zu richten.
Ein großer, gutaussehender Mann in einem weißen Kittel und mit verkniffenem Gesichtsausdruck schrie sie über das Rauschen des Regens hinweg an, wobei er mit dem Finger wild auf etwas hinter sich deutete. »Bringen Sie diese Blutpackungen zu Dr. Mendez, und zwar Pronto. Er braucht mindestens drei Einheiten.«
»Wer?« Sie sah ihn verunsichert an.
»Ah Mist, richtig. Es ist Ihre erste Woche, nicht wahr?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fügte er hinzu: »Sie kennen die Chefärztin?«
Joey Carters Augen weiteten sich bei Erwähnung der berüchtigten Iris Hunt. Sie schluckte und nickte nervös.
»Okay, sie ist da drüben, vor dem verunglückten Krankenwagen. Dr. Mendez ist da drin und stabilisiert einen eingeklemmten Patienten mit einer durchtrennten Femoralarterie. Der Mann hat viel Blut verloren.« Er zeigte auf die Blutpackungen. »Also los, beeilen Sie sich!«
Joey rannte wieder los und sprang über eine Pfütze, als sie die unfassbare Szene erreichte: Drei Krankenwagen waren ineinander gerauscht.
Sofort erkannte Joey die Chefärztin des Krankenhauses. Dr. Hunt kniete unter einem grellen Licht und drückte auf die offene Bauchwunde eines Mannes. Ihr braunes Haar, jetzt durchnässt, reichte gerade bis über ihren gestärkten weißen Kragen. Ihre Gesichtszüge, streng und reserviert, wirkten in der trostlosen Nacht noch distanzierter. Hunts intensive, graue Augen waren auf ihren Patienten fokussiert.
»Bleiben Sie bei mir«, befahl sie mit kommandierender Stimme.
Joey rannte auf die beiden zu und umklammerte dabei ihre kostbare Ladung 0-Negativ-Blutpackungen. Bevor sie wusste, was ihr geschah, trat sie auf ein Stück Gaffer Tape. Sie geriet ins Straucheln. Ihre Ladung glitt ihr aus den Händen. Die Blutpackungen fielen auf den Boden und rutschten in alle Richtungen.
Joey schnappte nach Luft und versuchte schnell, wenigstens ein paar davon wieder zusammenzuraffen. Als Sie sich umdrehte, landete ihr Absatz auf einer der Packungen. Eine grausig rote Dusche ergoss sich in hohem Bogen auf Hunts Gesicht und Brust.
Joey stieß einen gequälten Laut aus. O Scheiße! Konnte es noch schlimmer werden? Scheiße, Scheiße, Scheiße.
Hunts ungläubiger Blick fiel auf ihre eigene, rot besprenkelte Brust. Wütend funkelte sie Joey an. »Einfach wunderbar«, knurrte sie.
»O Gott! S-sorry … Ich …« Sie hielt inne, als sie den warnenden Blick der anderen Frau sah.
Hunt schüttelte den Kopf. Und während der ganzen Sache drückte sie immer noch auf die Wunde ihres Patienten.
Joeys Augen weiteten sich, als ihr bewusst wurde, was das bedeutete. »Chefärztin Hunt … es tut mir so leid. Die Blutpackungen sind mir … es ist der Regen … sie sind einfach weggerutscht.«
»Offensichtlich«, knurrte Hunt. »Reißen Sie sich zusammen. Diese Arbeit ist nichts für Stümper.« Hunt drückte etwas fester auf die Wunde des Mannes und er stöhnte leise. »Wieso stehen Sie noch hier rum? Bringen Sie das Blut sofort zu Dr. Mendez.«
»Ja … natürlich.« Joey hob die restlichen Blutpackungen so schnell sie konnte auf. Es kam ihr so vor, als würde jede ihrer Bewegungen in Zeitlupe passieren.
Rotes Blut tropfte von Hunts Kittel und Haaren und auf ihren Patienten. Herablassung triefte in ihrer Stimme, als sie hinzufügte: »Am besten irgendwann bevor Mendez’ Patient stirbt?«
Joey hastete los, hinter den zerknautschten Krankenwagen, und verschwand aus der Sicht der Kamera.
»SCHNITT!«
Der Regen aus den Feuerwehrschläuchen stoppte und das Set brach in schallendes Gelächter aus. Der Kameramann mit dem Schwebestativ, der ihr gefolgt war, lag fast auf dem Boden vor Lachen.
Meine Güte. Hatten das alle zurückgehalten?
Summer Hayes war sich ziemlich sicher, dass sie das gleiche Maß an Demütigung empfand wie Joey Carter, die beherzte Assistenzärztin im zweiten Jahr des TV-Dramas Choosing Hope. Laut Drehbuch hätte sie eigentlich nur die Blutpackungen fallen lassen sollen und nicht die imposante Chefärztin damit übergießen. Summer trat nervös zurück aufs Set und war froh über die Dunkelheit, die die Schamesröte in ihrem Gesicht verbarg.
Das dröhnende Lachen von Regisseur Bob Ravitz ertönte − und normalerweise gab es kaum einen übellaunigeren Mann.
»Gott«, murmelte Elizabeth Thornton, alias Chefärztin Hunt, als sie sich aus ihrer blutigen Pfütze erhob. Sie bedachte Summer mit einem kalten Blick. »Haben Sie irgendeine Stelle meiner Haut verfehlt?« Sie sah sich um und hob die Stimme. »Kann ich bitte ein Handtuch haben?« Ihr Ton wurde trocken. »Oder einen Feuerwehrschlauch?«
Der Statist setzte sich auf. »Ähm, hey, für mich auch?« Er deutete auf sein blutdurchtränktes Hemd.
»Es tut mir so leid …« Summer trat einen Schritt in ihre Richtung.
Eine Assistentin rannte auf sie zu, ein flauschiges Handtuch in der Hand, doch bevor Elizabeth es greifen konnte, winkte der Regisseur sie zurück. »Nicht bewegen!«
Das brachte ihm einen düsteren Blick ein.
»Entschuldigung, Ms. Thornton, aber die Kontinuität von Blutspritzern ist eine knifflige Sache. Wir müssen jetzt sofort Nahaufnahmen machen, sonst passt hinterher nichts mehr zusammen. Lassen Sie uns also gleich beim ersten Mal alles richtig machen.« Er sah seinen leitenden Kameramann an. »Steve, bau hier auf. Mach direkt ein paar Aufnahmen.«
»Aber …«, Elizabeth deutete auf ihren Körper. »Wir behalten den Take? Das stand so nicht im Drehbuch. Ich sehe lächerlich aus.«
Summer war fest davon überzeugt, dass es nichts gab, das Elizabeth Thornton lächerlich aussehen lassen könnte.
Der Kommentar brachte Elizabeth nur einen abschätzenden Blick von Ravitz ein. »Ja, wir behalten den Take. Das gibt Iris Hunt mehr Gründe, das neue Mädchen zu hassen. Und das steht so im Drehbuch.« Er warf Summer einen Blick zu und lächelte. »Und das ist nur im Sinne der Neuen. Nichts bringt die Fans mehr dazu, jemanden zu lieben, als wenn der Bösewicht − in diesem Fall Attila the Hunt − sie hasst. Win-Win, richtig?« Er schnippte mit den Fingern, um seinen zweiten Assistenten zu sich zu rufen, und murmelte ihm einige technische Notizen zu.
Elizabeth sah aus, als wäre sie bereit jemanden zu töten. Summer fragte sich, wieso. Vielleicht hasste sie den Spitznamen?
»Was ist mit mir?«, fragte der Statist. »Bleibe ich einfach hier liegen?«
Ravitz ignorierte ihn.
Summer warf einen Blick auf den Mann. Er war bis auf die Haut durchnässt, sein Hemd aufgerissen. Auf seiner Brust war eine rote Stelle, wo Chefärztin Hunt auf die »Wunde« gedrückt hatte. Er zitterte.
Elizabeth zog eine Augenbraue hoch. »Wenn ich Sie vollbluten muss, müssen Sie da liegen bleiben und es hinnehmen. Tut mir leid.« Ihre Lippen verzogen sich ein winziges bisschen, bevor sie einem Regieassistenten zuzischte: »Wie wäre es mit ein wenig heißem Wasser für unseren begossenen Pudel hier?«
Der Regieassistent zuckte die Achseln und verschwand.
Summer war sich nicht sicher, ob das ›ja‹ oder ›wohl kaum‹ heißen sollte.
Der Blick des Statisten war völlig auf Summer fixiert. Er lächelte sie verlegen an. »Das ist wohl das Showbiz, richtig?«
»Ja«, murmelte Summer, als die Lichttechniker näherkamen und sie umzingelten. Ihr Fokus lag jedoch weiterhin auf dem Star von Choosing Hope.
Das war die Frau, die im Showbusiness als ›schwierig‹ galt? Elizabeth Thornton war absolut gesittet im Vergleich zu einigen der Arschlöcher, mit denen Summer zusammengearbeitet hatte. Und die Frau schien sich tatsächlich um das Wohlergehen eines Statisten zu sorgen, auch wenn der Mann das selbst nicht mal merkte.
Sie sah sich um. Sie waren im VA West Los Angeles Medical Center und nutzten die Glas- und Stahlfront als Fassade für das fiktive Martina Hope Memorial. Innenaufnahmen wurden im fünf Kilometer entfernten Studio gedreht. Es war etwas komisch, mitten in der Nacht dort zu sein, ohne den üblichen Verkehr, aber dafür mit einem Haufen Cast- und Crew-Wohnwagen.
Der Wind nahm zu und fegte einen Beleuchtungsständer um.
Ravitz fluchte. »Würde das jemand bitte sichern, bevor wir eine Klage am Hals haben?«
Die Frau, die für die Kontinuität der Szenenabfolge zuständig war − Jill? Jan? − fing an, Fotos von Elizabeths blutbesprenkelten Gesicht und Kittel zu machen, bevor sie sich dem Statisten zuwandte.
Dann fielen die ersten Regentropfen. Diesmal die richtigen, nicht die aus den Schläuchen.
»Scheiße!«, brummte einer der Lichttechniker. »Jetzt werden wir wohl wieder bis Mitternacht hier festsitzen.«
Elizabeth schaute zu Summer, ohne einen Ton zu sagen.
»Es war ein Unfall«, rutschte es Summer unter dem strengen Blick heraus.
»Es war genau das, was die Szene brauchte, um richtig gut rüberzukommen.« Ravitz drehte sich um und lächelte Summer an. Ein Lächeln, in dem noch mehr mitzuschwingen schien. »So etwas kann man nicht planen. Wir hatten echt Glück.«
»O ja«, murmelte Elizabeth, »genau das Wort, nach dem ich gesucht habe.« Sie lächelte übertrieben.
Ravitz nickte, grunzte kurz und wandte sich ab.
Summer fragte sich, ob der Mann kein Gespür für Sarkasmus hatte.
Der Statist nieste. »Scheiße, ist mir kalt.«
»Es tut mir so leid«, flüsterte Summer ihm zu. Und damit auch der Frau, die immer noch im Dreck neben ihm kniete. Elizabeths Knie mussten sie umbringen.
Raif Benson, der den Schönling Dr. Mendez spielte, schlenderte mit einem bezaubernden Lächeln herüber und sah unter seinem großen schwarzen Regenschirm sauber, warm und sehr trocken aus.
Glücklicher Bastard.
Er musterte die Szene mit einem Grinsen und hielt sein Lachen kaum zurück, als er Summer ansah. »Willkommen beim Fernsehen, Kleines.«
Ohne ihn zu berichtigen, biss Summer die Zähne zusammen und verzog ihren Mund zu etwas, das einem Lächeln ähnelte. Es hatte keinen Sinn. Mit achtundzwanzig war sie nur einige Jahre jünger als er, aber sie hatte schon immer viel jünger ausgesehen als sie eigentlich war. Das hatte ihr zu lange nur Rollen als Teenager eingebracht und führte häufig zu herablassenden Kommentaren von Kollegen. Zumindest war die 23-jährige Joey Carter endlich eine Erwachsenen-Rolle.
Aus ihrem Augenwinkel konnte Summer sehen, wie Elizabeth sie musterte. Summer bemühte sich sehr, nicht die einzige Person in dieser verdammten Serie anzustarren, von der sie wirklich gemocht werden wollte.
Elizabeth Thorntons verdrehte Parodie eines Lächelns war nicht im mindesten freundlich.
~ ~ ~
»Ich meine es ernst!«, zischte Elizabeth ins Telefon. Sie ging in ihrem Wohnwagen auf und ab und fühlte sich nach der warmen Dusche entschieden besser. Eine dünne blaue Robe klebte an ihrem Körper. »Vier Stunden unter Feuerwehrschläuchen, ganz zu schweigen von dem falschen Blut, das mir in die Augen gelaufen ist. Mit Dank an meine hirnlose neue Kollegin, die ihre Szene ruiniert hat. Wenn ich noch eine weitere Staffel von diesem belanglosen Scheiß drehen muss, implodiere ich.«
Obwohl Rachel Cho einige der führenden Stars in Hollywood als Agentin vertrat, war sie nicht besonders gut in Sachen Diplomatie. Normalerweise hatte sie allerdings ein gutes Gespür für das, was Elizabeth hören musste.
Weswegen Elizabeth ungeduldig auf eine Reaktion wartete.
»Liebes, ich bin sicher, dass du deine Show nicht so sehr gehasst hast, als sie dich während der letzten Staffel zu einer der bestbezahlten Frauen im Fernsehen gemacht hat. Und dieser belanglose Scheiß, wie du so schön sagst, hat dir die hübsche Villa eingebracht, die du so sehr liebst. Außerdem hat er dich von einer arbeitslosen, anonymen Britin zu einem Star gemacht, deren Name in aller Munde ist.«
Elizabeth runzelte die Stirn. »Als der am meisten gehasste Bösewicht Amerikas. Und wir wissen beide, wie es dazu kam. Jetzt haben sie mich zum Star von Carrie gemacht, damit Ravitz und dieser Egomane von Show-Runner sich daran aufgeilen können, mich gedemütigt zu sehen. Das ist nicht okay, Rachel.«
»Ich dachte, es war ein Unfall?«
»Ja, aber sie haben den Take behalten! Als ob sie die Chance ausschlagen würden, mich wie eine Idiotin dastehen zu lassen. Das Schlimmste ist, dass sie immer noch die Gerüchte verbreiten, dass ich die Schwierige bin.«
»Und du weißt, warum. So läuft das hier. Du spielst nicht deren Spiel mit und sie erinnern dich daran, wer der Boss ist.«
»Oh, das weiß ich. Aber jetzt habe ich genug. Finde mir etwas anderes. Etwas Ernstzunehmendes. Besorg mir für meine Staffelpause eine Auszeit von dem hier, oder ich schwöre bei Gott, ich hau jetzt sofort von hier ab und es ist mir egal, wie viel wir zahlen müssen, um mich aus meinem Vertrag rauszukaufen.«
Ein leises Seufzen war zu vernehmen. »Du kannst nicht gehen, Bess, oder sie nutzen es als Beweis, dass du wirklich dieses britische Biest bist. Dann kannst du zusehen, wie viel Arbeit du hier noch bekommst. Erinnere dich einfach immer wieder daran, dass es nur noch eine Staffel ist. Schau, ich habe mit Delvine über ein paar Angebote gesprochen, und wir sind uns einig, dass es eins gibt, das gut zu dir passt. Und es passt in deinen Zeitplan.«
Diese Nachricht weckte Elizabeths Interesse. Ihre Managerin, Delvine Rothery, war eine der besten, wenn es darum ging, Karrieren steil aufsteigen zu lassen. »Ich höre.« Sie nahm ein Handtuch von der Stuhllehne und rubbelte sich damit erneut durchs Haar, als könnte sie damit dieses schaurige Gefühl, dass Blut über ihr Gesicht läuft, aus ihrer Erinnerung verbannen.
»Schon mal was von Jean-Claude Badour gehört?«
»Dieser seltsame französische Regisseur?«
»Nicht seltsam, Liebes, kreativ. Künstlerisch. Nach seiner letzten Goldenen Palme hat er entschieden, dass er in Europa jetzt durch ist und sich in Hollywood ausprobieren will. Laut den neuesten Gerüchten hat er offenbar ein bemerkenswertes Drehbuch geschrieben. Es ist momentan das heißbegehrteste Drehbuch der Stadt. Jeder will dabei sein.«
»Nach seiner letzten Goldenen Palme? Warte mal, er hat mehr als eine gewonnen?« Elizabeth konnte sich das kaum vorstellen. Aber sie hatte bislang auch nur einen seiner Kurzfilme gesehen – irgendwas Komisches über Schmetterlinge.
»Er hat in Cannes für Quand Pleurent les Clowns – Wenn Clownsweinen gewonnen.« Cho machte eine Pause. »Ich empfehle dir dringend, das Angebot anzunehmen. Es könnte dich weit über das Fernsehen hinausbringen. Außerdem hat er dich persönlich angefragt. Er muss wirklich sehr an dir interessiert sein, weil er den Dreh extra für deine Staffelpause geplant hat.«
Ein Hauch von Abneigung durchfuhr Elizabeth. »Er hat nach mir gefragt? Bitte sag mir, dass er kein Fan von Choosing Hope ist. Ist das der Grund, warum er mich will?«
»Sei nicht so zynisch. Er ist Franzose, nicht Amerikaner. Natürlich hasst er Hope. Er ist der Meinung, dass du, und ich zitiere, von diesem ranzigen Schund befreit werden musst.«
Elizabeth lächelte. Also hatte er doch Geschmack.
»Er hat deine Theaterkarriere in London verfolgt. Er mochte sowohl Shakespeares Frauen als auch Luzifers Fluch und Die rechtschaffene Ms. Hamilton.«
Elizabeth starrte auf ihr Telefon.
»Noch da? Oder bist du nur schockiert, weil dich jemand wegen deines Talents schätzt und nicht wegen der unglaublichen Chemie zwischen Raif und dir?«
Unglaublich? Eher unglaubwürdig. Für Elizabeth war es immer noch ein wunder Punkt, was aus ihrem Charakter gemacht wurde – im kleinlichen Rachefeldzug der TV-Bosse.
»Sehr witzig«, knurrte sie. »Na schön. Ich schaue mir seinen traurigen Clownfilm an und melde mich bei dir. Wann kann ich das Drehbuch sehen?«
»Bald. Ich habe gefragt; es ist noch nicht ganz fertig. Die Dreharbeiten beginnen in zwei Monaten. Es geht um eine Schriftstellerin, die sich in eine Berghütte mitten im Nirgendwo zurückgezogen hat und dort acht Besucher bekommt. Eight Little Pieces heißt es. Ich bin sicher, dass das eine wundervoll künstlerische Metapher ist. Jedenfalls möchte er bald mit dir und Delvine zu Mittag essen, um die Details zu besprechen.«
»Ich habe noch nicht Ja gesagt.«
Rachel lachte, als wäre die Sache schon in trockenen Tüchern. Sie lag wahrscheinlich gar nicht so falsch.
Elizabeth verabschiedete sich und legte auf. Sie fühlte sich etwas besser. Dann erinnerte sie sich daran, dass Badour einen Kurzfilm über empfindungsfähige Schmetterlinge gedreht hatte.
Sie warf einen Blick auf ihr durchnässtes, blutbeflecktes Hunt-Outfit, das über einem Stuhl hing. Die Erinnerung an das, was sich an diesem Abend ereignet − und stundenlang angedauert − hatte, vermieste ihr wieder die Stimmung. Nichts, was sie außerhalb dieser Serie unterschreiben würde, könnte schlimmer sein als der Dreck, den sie sich in den letzten Staffeln haben einfallen lassen. Drei Krankenwagen, die zusammenkrachen? Direkt vor dem Krankenhaus? Weil das so wahrscheinlich ist. War sie die Einzige, die diesen Unsinn bemerkte?
Ein Klopfen ertönte an der Wohnwagentür.
»Ja?« Elizabeths Schultern verspannten sich. Es könnte sein, dass der Regisseur mit der ersten Sichtung der Takes durch war und ein paar Szenen neu drehen wollte. Sie riss die Tür auf und bemitleidete den armen Teufel, der diese Nachricht an die Besetzung überbringen musste.
»Ähm, hallo?« Eine etwa zwanzigjährige Frau mit feuchten, blonden Haaren stand vor ihr. Sie trug Jeans, ein T-Shirt und einen angespannten Gesichtsausdruck. »Ich bin’s … Summer. Summer Hayes?«
War das eine Frage oder stellte sich die Frau gerade vor? Elizabeth sah die junge Frau an und wartete auf die Aufklärung. Doch da kam nichts mehr. Ihr Blick fiel auf die Hände der Frau, die einen dampfenden Pappbecher umklammerten. Das Mädchen starrte sie mit großen, unschuldigen Augen voller Reue an.
Plötzlich brach die Erkenntnis über sie herein. Sie hatte sie ohne den durchnässten Pferdeschwanz nicht gleich erkannt.
»So trifft man sich wieder.« Elizabeth hob eine Augenbraue. »Sind sie hier, um mich wieder zu übergießen? Runde zwei? Normalerweise ist es der Neuling, der getauft wird, nicht der Veteran.«
Das kam etwas schnippischer raus, als es gemeint war. Es war wohl kaum die Schuld von Summer, dass diese Stadt so altersdiskriminierend war. Mit siebenunddreißig bemerkte Elizabeth, wie sich langsam die Haltung ihr gegenüber veränderte. Es zermürbte sie. Zu Hause in England wäre sie als gerade in ihrer Blüte angesehen worden. Hier fühlte es sich an, als würde man schon darauf warten, dass sie sich zur Ruhe setzte.
»Nein, Sie sind dieses Mal in Sicherheit«, sagte Summer mit einem breiten Lächeln. »Darf ich reinkommen? Ich bringe auch Geschenke. Und eine Entschuldigung.« Sie deutete auf den Pappbecher.
»Ich trinke keinen Kaffee, und schon gar nicht die amerikanische Plörre, die sie auf diesem Set servieren. Wenn das also alles ist?« Sie war im Begriff, die Tür vor Summers Nase zu schließen. Sie war zu müde, um höflich zu sein.
»Eigentlich ist es Tee, ähm, aus England. Ich denke, er könnte Ihnen schmecken.«
Elizabeth runzelte die Stirn. »Den Tee, der mir schmeckt, kann man hier nicht kaufen.«
»Oh, es gibt schon Möglichkeiten.«
Summers Lächeln blendete Elizabeth nahezu. Sie schürzte die Lippen und nahm den Tee entgegen. Wenn auch nur aus reiner Neugierde. Ihre Finger streiften sich, als der Becher den Besitzer wechselte, und Summer riss ihre Hand zurück, als hätte sie einen Schlag bekommen.
Großartig. War ihr Ruf so schrecklich, dass neue Darsteller glaubten, dass sie auch off-screen wie Attila the Hunt war?
Plötzlich stieg ihr der himmlische Duft des Tees in die Nase. Oh … dieses Aroma konnte man nicht fälschen. Sünde pur. Das war nicht einfach irgendein englischer Tee, den Summer im internationalen Gang eines amerikanischen Supermarkts gefunden hatte.
Dies hier war Elizabeths Lieblingsmarke und -sorte. Eine Mischung aus organischem Guayusa-Kakao mit einem Hauch von Minze, Zimt und einigen anderen süß riechenden, exotischen Gewürzen. Es war eine besondere Mischung aus einem kleinen Tee- und Kunstcafé gleich um die Ecke der Cambridge Universität. Diese besondere Mischung gab es nur in Blackies Tea House. Wie um alles in der Welt war das möglich? Oder täuschte sie ihre Nase?
Sie setzte sich den Becher an die Lippen. Und nahm nach einer kurzen Pause einen vorsichtigen Schluck. Ihre Geschmacksknospen explodierten. Die Aromen flossen durch den perfekt temperierten Tee – kein Vergleich zu dem lauwarmen, übermäßig süßen Milchwasser, das die Amerikaner zu Recht verspotteten. Sie brach bei dem Geschmackstsunami fast in Tränen aus. Elizabeth zwang sich, das berauschende Getränk von den Lippen zu nehmen, und sah ihre erwartungsvoll dreinblickende Kollegin erstaunt an. Es war Jahre her, seit sie diesen Geschmack gekostet hatte. Der Gedanke, dass sie ihn auch hier haben könnte, war überwältigend.
»Wo haben Sie den her? Ich brauche unbedingt den Namen Ihres Lieferanten vor Ort.«
Summer warf den Kopf zurück und lachte. »Bei Ihnen klingt es so, als wäre ich ein Crack-Dealer.«
Elizabeths Finger schlossen sich enger um den Pappbecher. Sie trank noch einen großen Schluck.
»Sagen Sie es mir?« Sie bemühte sich um einen ermutigenden Gesichtsausdruck. »Immerhin ist das ja Ihre große Entschuldigung?« Sie lächelte, ein echtes Lächeln, das sie selten Fremden schenkte − aber verzweifelte Zeiten erforderten verzweifelte Maßnahmen.
Leider verfehlte es seine Wirkung total. Summer senkte den Blick und Röte stieg über den Hals in ihr Gesicht, bis zu den Ohrenspitzen.
Wie seltsam. Das sah nicht nach Angst aus. Eher nach … Verlegenheit?
Summer schaute unter ihren Wimpern zu Elizabeth auf. »Meine Familie hat einige Jahre in England gelebt. Eines Tages fand ich dieses seltsame kleine Café. Es war gleichzeitig Kunstgalerie und Teehaus, und das hier ist seine unverkennbare Tee-Mischung. Ich habe mich sofort verliebt. Jetzt lasse ich ihn mir von Freunden aus London schicken.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, die Chancen stehen gut, dass Sie einen Tee aus Ihrer Heimat zu schätzen wissen. Scheint, als hätte ich recht gehabt.«
Elizabeth blinzelte. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, ihre Freunde einfach darum zu bitten. Selbst jetzt schien es zu viel verlangt zu sein, und Unhöflichkeit war immerhin ein nationales Verbrechen für Engländer. Nachdem sie den Pappbecher mit einem letzten zufriedenen Seufzer geleert hatte, warf Elizabeth ihn in den Müll. »Entschuldigung angenommen.«
Elizabeth war immer noch nicht ganz sie selbst und sie fühlte den Beginn von Müdigkeits-Kopfschmerzen am Rande ihrer Schläfen. Dennoch, die junge Frau hatte ihr ein wundervolles Geschenk gemacht und schien es wirklich aufrichtig zu meinen. Ihr Blick fiel auf Summers großzügigen Busen, honigfarbene LA-braune Haut und ein mädchenhaftes, immer strahlendes Lächeln. Gott. Sie war vielleicht nett, aber es war auch klar, warum sie engagiert worden war. Ravitz hatte jedes Mal, wenn seine Augen auf ihr landeten, kein Geheimnis daraus gemacht.
Elizabeths Gesichtszüge verhärteten sich. Es war vielleicht nicht Summer Hayes Schuld, aber sie verkörperte alles, was mit dieser Show und ganz Hollywood nicht stimmte. Aussehen über Substanz. Dieses … lächelnde, fröhliche Stereotyp eines Mädchens von nebenan war die am wenigsten geeignete Person für Choosing Hope. Zumindest, wenn man an die anfängliche Prämisse der Serie zurückdachte. Aber hier war sie: Oberflächlichkeit in menschlicher Form.
»Nun, danke für das Geschenk«, sagte Elizabeth mit etwas kühlerer Stimme. »Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht…«. Sie sah demonstrativ auf die Tür, in der Summer noch immer stand. »Ich hatte seit dem Blut-Debakel heute keine Gelegenheit mehr, mich richtig anzuziehen.«
Summer schien in sich zusammenzusacken. »T-tut mir leid«, sagte sie erneut.
Elizabeth unterdrückte den Drang, mit den Augen zu rollen. Das Mädchen hatte scheinbar auch ein begrenztes Vokabular.
Sie ging, wie sie gekommen war: mit jugendlicher Energie und großen, seelenvollen Augen.
~ ~ ~
Als sie zu Hause ankam, warf Summer ihre Tasche in die Ecke. Sie fühlte sich erschöpft und elendig. Es war kurz vor Mitternacht. Jeder am Set hatte sich wegen der länger andauernden Dreharbeiten geärgert. Und nachdem sie sich bei den Lichttechnikern und der gesamten Crew entschuldigt hatte, beschloss sie einfach hinzunehmen, dass sie sich ab sofort besonders anstrengen musste, um wieder gemocht zu werden. Kein günstiger Start bei Choosing Hope.
Sie zog ihre Schuhe aus und sackte auf dem Sofa zusammen. Auf die Wände ihres Silver-Lake-Bungalows zu starren schien ein viel machbarerer Zeitvertreib zu sein, als sich auf den Weg zur Dusche zu machen. Sie ließ ihren Blick über die gerahmten Schwarz-Weiß-Fotos der architektonisch interessantesten Straßen LAs gleiten. Sie hatte sie alle selbst geschossen und liebte nichts mehr als die Suche nach skurrilen Häusern in abgelegenen Straßen.
Schritte näherten sich. Schwarzes Haar erschien in ihrem Blickfeld, gefolgt von dem hellbraunen Gesicht und dem eindringlichen Blick von Chloe Martin. Sie hatte die hochgewachsene, neuseeländische Schauspielerin vor achtzehn Monaten bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennengelernt und sich gleich mit ihr verstanden. Summer liebte Chloes unaufdringliche Art und bescheidene Ansprüche. Sie hatte ein breites, ehrliches Lächeln und eine Leidenschaft für Basketball. Chloe trug ihre Footrot Flats Cartoon-Pyjamahosen und ein Tanktop.
»Hey, Smiley, ich habe mich schon gefragt, wann du hier endlich angekrochen kommst. Kann es kaum erwarten zu hören, wie deine erste Arbeitswoche gelaufen ist.« Sie setzte sich auf den hölzernen Couchtisch.
Summer starrte an die Decke und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Okay, mal sehen. Das Probelesen lief gut. Jeder schien freundlich zu sein. Außer Elizabeth Thornton, die mich nicht mal eines Blickes gewürdigt hat. Kein Wunder, dass sie mich später nicht wiedererkannt hat.«
»Okay, was dann? Warum siehst du aus wie ein Opossum mit Verstopfung?«
»Heute haben wir diese wirklich intensive Unfallszene gedreht. Drei Krankenwagen sind auf dem Parkplatz des Krankenhauses zusammengekracht und—«
»Drei! Ernsthaft?« Chloe kicherte unkontrolliert. »Wie scheiße weit hergeholt ist das denn bitte?«
Summer schüttelte den Kopf über die Ausdrucksweise ihrer Freundin. »Ich glaube, es ist ihnen egal, ob es bescheuert ist. Die Serie versucht sich immer wieder selbst an Absurdität zu überbieten.«
»Läuft also.« Chloe ließ sich zu Boden gleiten und legte sich flach auf den Teppich. Sie fing an, die Knie anzuziehen und auszustrecken und dabei mit den Armen zu wedeln. Sie nannte diese Übung ›Tote Kakerlaken‹. Es half ihr wohl dabei, eine alte Sportverletzung in Schach zu halten.
»Also, was dann?«, fragte Chloe zwischen keuchenden Atemzügen. »Musstest du in den Schoß von irgendeinem Weiberhelden fallen oder so was? Die Affären in dieser Show werden nämlich immer verrückter.«
»Viel schlimmer.« Summer schloss vor Scham die Augen. »Ich sollte an einer Unfallszene vorbeirennen, einen Haufen Blutpackungen fallen lassen und mir von der Chefärztin Hunt dafür eine verbale Abreibung abholen.«
»Aber …?«
»Aber ich bin aus Versehen auf eine Packung getreten und die ist explodiert und das ganze falsche Blut ist Thornton ins Gesicht gespritzt. Und ich meine nicht nur ein bisschen. Alles und überall. Es klebte in ihren Haaren, in ihren Augen, sogar in ihrem Kragen. Es war einfach furchtbar.«
»Heilige Scheiße.«
»Ich weiß.« Summer öffnete ihre Augen und seufzte.
Chloe lachte laut auf. »O Mann. Sie ist so angsteinflößend. Das ist, na ja… echt kacke.«
»Hey! Ich versuche hier gerade, das zu verdrängen.« Summer runzelte die Stirn. »Übrigens, ist sie nicht so schlimm … das kann sie gar nicht sein. Ich habe das so vermasselt und sie war ein bisschen schnippisch, hat mir aber nicht den Kopf abgerissen.«
»Aha. Außer dass mein Agent gehört hat, dass sie eine waschechte Schreckschraube ist.«
Summer beschloss, nicht zu streiten, aber sie glaubte das keine Sekunde. Wenn Elizabeth tatsächlich so schlimm wäre, wie man behauptete, hätte sie Summer nach der Nummer heute lebendig gehäutet.
»Verdammt, da hast du echt einen guten ersten Eindruck hinterlassen«, fügte Chloe hinzu. »Du musst sie aber echt mögen, so wie du sie verteidigst.«
»Wie sollte ich nicht? Sie ist brillant. Auch wenn sie von der Show nicht allzu beeindruckt zu sein scheint, wenn sie ›Action‹ hört, liefert sie. Und sie gibt alles.«
»Old School Pro. Das respektiere ich.«
»Ich auch.« Summer lächelte.
Chloe stoppte ihre toten Kakerlaken. »Also, während du damit beschäftigt warst, deinen neuen Co-Star zu ärgern, habe ich Neuigkeiten erhalten.«
Summer setzte sich auf. »Oh! Dein Vorsprechen?«
»Jep. Ich habe einen Anruf von der Shampoo-Werbung erhalten. Das einzige Problem ist, es wird irgendwo am Arsch von Nirgendwo gedreht. Lohnt sich aber.«
»Aber was?«
»Aber nichts. Ich habe den Job bekommen.« Sie streckte den Daumen hoch.
Summer beugte sich vor und umarmte sie. »Genial.«
»Danke! Vielleicht kann ich diesen Monat sogar die Miete bezahlen.« Sie zwinkerte Summer zu. »Aber kannst du deiner Mutter sagen, dass ich es deshalb Sonntag nicht zum Mittagessen schaffe?«
»Sicher.« Summer bemühte sich, nicht die Augen zu verdrehen. Egal, ob es regnete oder die Sonne schien, ihre Mutter kam sonntags zum ›Familienessen‹ vorbei.
»Okay, bist du morgen beim Basketballtraining dabei?«, fragte Chloe. »Du bist unser Lieblingsfan. Gut, du bist unser einziger Fan.«
Summer lächelte. Sie war oft damit beschäftigt, Chloes Team an ihren seltenen freien Tagen zu unterstützen. Natürlich war mit unterstützen nicht gemeint, dass sie in der Lage wäre, den Ball zu werfen und gleichzeitig aufrecht stehen zu bleiben. Der heutige Abend hatte noch einmal bewiesen, dass Summer zwei linke Füße hatte. »Kann nicht. Ich muss dieser süßen, verrückten Frau helfen.«
»Ah. Verstehe. Etwa bei diesem Hippie-La-La-Ding deiner Mutter?«
Summer kicherte. Die Vermutung, dass Skye Storm - und das war tatsächlich der richtige Name ihrer Mutter - etwas ›Hippie-la-la-Ding‹-Mäßiges tun würde, war wie die Vermutung, dass Kühe muhen. Wenn Skye nicht gerade ihre spirituelle Seite erkundete, ihre Kristalle segnete oder in den Video-Blogs, bei denen Summer ihr half, Nähtechniken vorführte, kreierte sie atemberaubende Filmkostüme. Sie mochte exzentrisch sein, aber sie war auch außergewöhnlich − was den Respekt erklärte, der in Chloes Stimme mitklang.
»Ja. Ich produziere Mamas nächsten Video-Blog: Natürliches Stofffärben: Himmlisch hausgemachte Farben. Sollte Spaß machen, aber wird sicher chaotisch.«
»Das ist jetzt dein Ding, oder? Blutbäder und Farbbäder.«
Summer zuckte bei der Erinnerung zusammen.
Chloe stieß ihr in die Rippen. »Hey, ich erinnere mich gerade daran, dass ein neues Mädchen im Team ist. Wirklich süß. Sie würde dich gerne treffen. Sie liebt deine TV-Sachen, besonders Teen Spy Camp.«
Summer vergrub ihr Gesicht in einem Kissen und seufzte. »Noch ein zwanzigjähriges Groupie. Großartig.« Dann kam ihr ein erschreckender Gedanke. »Sag mir bitte, dass sie über zwanzig ist?«
»Gerade eben so.« Chloe lachte böse. »Du ziehst die jungen Dinger an.«
»Mist. Ich kann doch nichts dafür, dass ich so jung aussehe.«
Chloe lachte nur noch lauter. »Stell dich nicht so an, Smiley. Du wirst viel länger in Hollywood arbeiten als alle anderen. Ich meine, im Moment kannst du ganz leicht eine Rolle spielen, die fünf Jahre jünger ist als du tatsächlich bist.«
»Das ist nicht so toll, wie es klingt. Raif Benson hat mich ›Kleines‹ genannt. So etwas bekomme ich die ganze Zeit zu hören. Na ja, zumindest nicht von Thornton. Sie hat mich bei überhaupt keinem Namen genannt. Nicht einmal meinem eigenen.«
»Weil du für sie gestorben bist!«, gluckste Chloe. »Und das ist auch gut so, denk dran. Ich habe gehört, dass sie schon mal einen Statisten hat feuern lassen, weil er ihr direkt in die Augen gesehen hat.«
»Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist. Das macht es auch nicht zur Wahrheit. Es ist so einfach, jemanden kleinzureden. Aber am Ende werden sie einfach immer noch eifersüchtig sein, und sie wird immer noch Talent haben.« Summer schloss die Augen und verlor sich in einer Erinnerung. »Als ich fünfzehn war, arbeiteten meine Eltern in London an dieser Science-Fiction-Trilogie. Ich habe mich eines Tages von meinem Hauslehrer weggeschlichen und bin mit der U-Bahn bis ins West End gefahren. Das erste Theater-Stück, das ich je gesehen habe, war Elizabeths Shakespeare-Show. Ich habe es ein Dutzend Mal gesehen, bevor Dad gemerkt hat, wie viel Geld ich ausgegeben hatte.«
»Du hast Thornton in London gesehen?«, fragte Chloe leise. »Ich habe gehört, dass sie früher erstaunlich war.«
Erstaunlich? So konnte man es auch nennen.
Elizabeth Thornton war barfuß auf eine kleine Londoner Bühne getreten, gekleidet in einem formlosen, mittellangen weißen Mantel, und hatte sich auf einen Holzhocker gesetzt. Es war das einzige Requisit auf der Bühne. Sie war damals Mitte zwanzig, aber ihre Haltung war unglaublich selbstbewusst und königlich.
Mit dem Ton ihrer Stimme, ihren ausdrucksstarken, klassisch schönen Gesichtszügen und den subtilen Ausleuchtungen des Scheinwerfers − die ihre hohen Wangenknochen und vollen, geschwungenen Lippen hervorhoben − war sie zu einer anderen Person geworden.
Es gab keine Kostümwechsel. Keine Musik. Keine Requisiten. Elizabeth war so entblößt wie eine Schauspielerin sein konnte, ohne tatsächlich nackt zu sein.
Ihre Stimme war klar gewesen, kräftig und präzise, als sie sich in Beatrice, Desdemona, Julia, Cordelia, Lady Macbeth und mehr verwandelte. Die Angst in ihrer Stimme, in ihren Augen, als sie sich unsichtbares Blut von ihren Händen wusch, war schaurig faszinierend.
Sie hatte einmal aufgesehen, links ins Publikum, und Summer dachte, dass sich ihre Blicke getroffen hatten. Summers Atem hatte gestockt, während sie alle Details in sich aufsog – die elfenbeinfarbene Haut, die unter dem weißen Scheinwerferlicht noch blasser wirkte, und braunes Haar, das aus ihrem Gesicht gekämmt war und in dem kontrastreichen Licht fast schwarz aussah.
Summer hatte ihren eigenen Herzschlag in ihren Ohren hören können. Ihr Blick hatte die elegante Frau auf der Bühne verschlungen, nur um sie dann wieder zu rekonstruieren und aufs Neue zu verschlingen. Sie hatte sich jedes Detail ins Gedächtnis brennen wollen.
»Werden meine Hände nie sauber sein?«, hatte Lady Macbeth mit flehenden Augen gesagt. Ihre kommandierende und verzweifelte Stimme schien gleichzeitig zu flüstern und zu schreien.
Summers Herz hatte sich bei dem schmerzerfüllten Ton zusammengezogen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Elizabeth Thornton war der schönste Mensch, den sie je gesehen hatte − damals und seitdem.
»Ja, sie war fantastisch.« Summers Augen glänzten. »Sie spielen zu sehen, hat in mir die Liebe zur Schauspielerei entfacht.«
»Was für ein scheißkrasser Zufall, dass du in ihrer Serie gelandet bist.«
»Zu wahr. Meine Schwester freut sich hauptsächlich, dass ich wieder fest in einer Serie bin. Autumn hält es für entscheidend für meine Karriere, dass ich endlich eine Erwachsene spiele. Aber für mich war die Arbeit mit der besten Schauspielerin, die ich je gesehen habe, wirklich der ausschlaggebende Punkt.«
»O je, sei bloß vorsichtig. Sie wird dir nur dein Herz brechen.« Chloe schüttelte langsam den Kopf. »Es gibt nichts Schlimmeres, als sein Idol zu treffen.«
»Sicher gibt es das.« Summer musterte ihre Finger und lächelte gequält. »Sie glauben zu lassen, man sei ein Idiot. Das ist viel schlimmer.«
»Ah ja. Richtig.« Mitgefühl war in Chloes Augen zu lesen. »Na ja, so schlecht du dich auch jetzt gerade fühlst, denk daran, wie wunderschön es ist, dass du einmal eine solche Heldin hattest. Jemand, der dir etwas gezeigt hat, das dich jetzt so sehr begeistert. Klingt nach einer unglaublichen Erfahrung. Darum beneide ich dich.«
Das war es. Es war ein Geschenk, eine Erinnerung, die sie für nichts in der Welt hergeben würde. Sie konnte immer noch die elegante Neigung des Kopfes vor sich sehen. Diese Augen, tiefgründig und emotional, die sie direkt ansahen. Die direkt in sie hineinsahen.
Wenn sie nur nicht gleich bei der ersten Gelegenheit alles kaputtgemacht hätte.
Kapitel 2
Autumn Hayes beugte sich über das Geländer der Hollywood Mega Mall und sah hinunter. »Bist du bereit?«, fragte sie ihre Schwester und schob sich dabei die Sonnenbrille auf ihren Kopf.
»Ja.« Summer holte tief Luft. Sie konnte das.
»Aufgewärmt? Stimmbänder okay? Der Text sitzt?«
»Check, check, check.« Summer schüttelte ihre Schultern aus. »Wo ist meine Position?«
»Dort unten. Neben dem Mülleimer.«
Summer lachte. »Ehre wem Ehre gebührt.«
Autumn verdrehte die Augen. »Für die maximale Wirkung musst du bis zur großen Enthüllung absolut inkognito sein.« Sie zeigte auf einen Mann in schwarzer Jacke mit einem Walkie-Talkie an der Hüfte, der durch das Einkaufszentrum streifte. »Das ist Doug. Er weiß Bescheid. Er wird einspringen, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen sollten. Und es gibt noch mehr Sicherheitsleute auf Standby.«
»Okay.« Summer blinzelte beim Anblick des riesigen Sicherheitsmannes. »Obwohl ich kaum glaube, dass ein paar Teenager gegen ihn eine Chance haben.«
»Summer, der Großteil deiner Punky-Power-Fans ist inzwischen Anfang zwanzig und viele lieben dich immer noch. Diese Zuneigung kann schnell außer Kontrolle geraten. Erinnerst du dich noch an letztes Jahr in Koreatown? Du wolltest nur etwas essen gehen. Aber die Leute schreiben ihren Freunden schnell mal eine Nachricht und schon sind es plötzlich doppelt und dreimal so viele. Wenn wir das hier richtig machen, werden sich zweihundert aufgeregte Fans freuen, dich zu sehen. Und diese Freude überall in den sozialen Medien verbreiten. Und versuch bitte, so oft wie möglich mit dem Rücken zu diesem Poster zu stehen. Autumn deutete auf ein knalliges Poster mit der Aufschrift Just Like Spies, dem heißesten neuen Streifen mit der singenden Newcomerin Jemima Hart.
»Produktplatzierung? Ernsthaft?« Es schien so geschmacklos, aber Summer konnte sich kaum auf ein hohes moralisches Ross schwingen. Immerhin war sie hier, um an einem Flashmob teilzunehmen, der Jemimas Hit aus den Spies-Filmen promotete. Der neue Film war ein Riesenhit, also war es ein bisschen hinterhältig, diesen Erfolg für die eigenen Zwecke zu nutzen. Der thematische Zusammenhang war schon weit hergeholt, aber Autumn versicherte ihr, dass es niemanden in Hollywood interessieren würde, und dass das hier jeder so machte.
»Nein, es ist eigentlich keine Produktplatzierung. Schau mal gegenüber.«
Summer beugte sich ebenfalls über das Geländer und sah nach unten. Hinter einer Plastikpalme wurde gerade eine Kamera aufgestellt. Eine Frau mit einer Betonfrisur und einem blauen Hosenanzug unterhielt sich mit dem Kameramann.
»Wer ist das?« Summer nickte in Richtung der Frau. »Ist das etwa Katie Rivers?«
»Ja. Sie war mir noch einen Gefallen schuldig. Wenn wir hier heute fertig sind, wird dein Hashtag nicht nur auf allen neuen Nachrichtenseiten auftauchen …« Sie wackelte mit ihrer eigenen Kamera, »sondern auch bei Celebrity Entertainment. Ich habe Rivers alle Infos zu deiner neuen Rolle bei Choosing Hope gegeben. Vom Teenie-Spion zur Juniorchirurgin. Sie liebt es.«
»Joey ist allerdings keine Chirurgin.«
»Details. Ist Katie egal. Sie liebt diese ›was aus Kinderstars geworden ist‹-Geschichten. Wirklich. Und jetzt geh da runter, überrasch die Leute und sei dein gewohnt freundliches, zauberhaftes Selbst. Und denk immer an Regel Nummer eins.«
»Ja, ja«, stöhnte Summer. »Nicht hinfallen.«
»Genau. Du wirst großartig sein.«
~ ~ ~
Am Sonntagmorgen saß Elizabeth mit dem traurigen Clownfilm und einer ihrer ältesten Freunde, Alexandra Levitin, auf der Couch. Alex war eine Indie-Filmregisseurin, aber sie kannten sich über den Footlights-Theaterclub in Cambridge.
»Ich kann immer noch nicht fassen, dass Jean-Claude nach dir gefragt hat«, sagte Alex, während der Vorspann im Hintergrund flackerte. Sie fuhr sich mit den Fingern durch ihr kurzes rotes Haar. »Der Mann wird im Moment wirklich gehypt. Der wird noch richtig groß.«
»Hat auch ein großes Ego, wenn man sich seine Interviews mal ansieht. O mein Gott … « Elizabeth deutete auf einen künstlerischen Spezialeffekt. »Ein weinendes Aquarell. Der Mann ist ein Genie«, spottete sie.
»Sei still«, sagte Alex. »Der Mann ist ein Poet und das weißt du genau.«
»Ja. Genau.«
»Ungläubige. Ich glaube, ich habe dich in London lieber gemocht. Und nicht nur, weil wir miteinander geschlafen haben.«
Geht mir genauso, wollte Elizabeth sagen. Tat es aber nicht. Ihre sechsmonatige Affäre war ein Wespennest, in dem sie nicht wieder rumstochern wollte. Trotzdem vermisste sie manchmal die Einfachheit der damaligen Zeit. Als sie noch niemand kannte, konnte sie flirten, mit wem sie wollte, und lieben, wen sie wollte. Nicht, dass sie das damals getan hätte, aber im Prinzip klang das gut.
Jetzt schleppte sie all ihre männlichen Freunde mit auf den roten Teppich, um vor den Kameras mit ihnen zu flirten. Alles nur, damit die unersättliche Hollywood-Presse bei dem Gedanken, dass Elizabeth Thornton die Liebe gefunden haben könnte, außer Atem geriet. Sie hätte es vorgezogen, solche Events ganz zu meiden. Leider hatten sich ihre Managerin und ihre Agentin gegen sie verschworen. Lesbische Frauen bekamen nun mal keine Hauptrolle. Genauso wenig wie antisoziale Einsiedlerinnen.
Als sie jung war und auf den Bühnen Londons gespielt hatte, war alles noch so klar gewesen. Sie hatte eine großartige Theaterschauspielerin werden wollen. Sie würde eine Reihe von schönen Liebhaberinnen haben, interessant und witzig sein, ein erfülltes Leben führen. Am Set einer überaus populären aber künstlerisch drittklassigen Arztserie gedemütigt zu werden, hatte wirklich nicht auf dem Plan gestanden. Auch nicht, dieses Einsiedlerleben zu führen, das nur durch Gespräche über Einkaufslisten mit ihrer alten Haushälterin und den gelegentlichen Treffen mit denselben sechs britischen Theaterfreunden - einschließlich ihrer Ex-Freundin Alex - unterbrochen wurde.
Elizabeth verzog den Mund und griff nach dem Popcorn.
~ ~ ~
Am Ende des Films musste Elizabeth zugeben, dass er schön war, wenn auch ein wenig hochtrabend, wie es nur französische Filme sein konnten.
»Und, was denkst du?«, fragte Alex mit leuchtenden Augen.
»Werbebetrug«, witzelte Elizabeth. »An dieser Produktion war nicht ein einziger Clown beteiligt.«
»Sei nicht so kleinlich. Was denkst du? Wirklich?«
»Ich denke, ich werde mit Jean-Claude Badour zu Mittag essen.«
»Gut. Verdammt, wenn ich nur halb so gute Filme machen würde, wäre ich außer mir vor Freude.« Alex warf einen Blick auf die Uhr. »Apropos Mittagessen, wann ist der Rest der Truppe da? Ich habe die Meute vermisst. Und bald bin ich für ein Shooting in der Wüste, also werde ich über einen Monat weg sein.«
»Sie sind gleich da.« Elizabeth schaltete Netflix ab und kehrte zum normalen Fernsehprogramm zurück. Sie seufzte, als sie sah, dass gerade Celebrity Entertainment lief.
Welcher Star ist mit seiner Assistentin nach Vegas durchgebrannt, um zu heiraten? Bleiben Sie dran und wir erzählen es Ihnen als Nächstes! Aber zuerst! Gestern wurden die Besucher der Hollywood Mega Mall von einem Flashmob überrascht, als plötzlich eine Gruppe mutmaßlich normaler Kunden zu singen anfing. Die Musikwahl? Der eingängige Titelsong von Just Like Spies. Und passenderweise war auch eine berühmte Fernsehspionin mit von der Partie!
»Bah, schalt das ab«, beschwerte sich Alex. »Zu viel Oberflächlichkeit und ich verliere meinen Lebenswillen.«
Elizabeth rührte sich nicht. Sie kniff die Augen leicht zusammen, als sie auf den Bildschirm starrte. »Ich glaube, das ist meine neue Kollegin. Die Idiotin, die mich fast in falschem Blut ertränkt hat.« Sie deutete mit der Fernbedienung auf eine junge blonde Frau, die hinter einer Säule hervorgetreten war, um dem Chor des Flashmobs ihre Stimme hinzuzufügen.
»Die da?« Alex kniff die Augen zusammen. »Ach. Sieht ganz süß aus. Oh, autsch.« Summer war bei dem Versuch zu tanzen mit einer anderen Sängerin zusammengestoßen. »Feinmotorik ist nicht so ganz ihr Ding, oder?«
»Nein, ist es nicht.« Elizabeth runzelte die Stirn.
»Oh, schau mal. Gut gerettet.«
Summer lachte und ergriff, immer noch singend, die Hände der Frau, mit der sie zusammengestoßen war, wirbelte sie herum und ließ sie wieder los, ohne eine Sekunde zu zögern. Das Mädchen konnte improvisieren. Das musste man ihr lassen.
Summer Hayes, die drei Jahre lang Punky Power im Teen Spy Camp gespielt hat, überraschte eine Reihe begeisterter Fans, die gekommen waren, um Just Like Spies zu sehen.
Die Kamera leitete zu Hunderten von Fans über, die Summer umgaben, während sie fleißig Autogramme auf nackte Arme gab, für Selfies posierte und rumalberte.
»Schau sie dir an, Bess.« Alex grinste. »So geht man mit seinen Fans um. Mach dir ein paar Notizen – kein einziger finsterer Blick.«
»Ich denke nicht, dass das auf mich übertragbar ist, da die Fans meiner Serie mich alle hassen.« Elizabeth lächelte selbstgefällig.
»Na, du bist mir ja eine Optimistin.«
»Das bin ich. Ich ziehe meine Existenz dem da vor. Wer will schon bei jedem Einkauf belästigt werden?«
»Der Preis des Ruhms.«
»Nein, es ist nur der Preis, wenn man das Spiel mitspielt. Das ist alles nur ein Marketing-Stunt.«
Hayes wird bald als Joey Carter in dem erfolgreichen Ärztedrama Choosing Hope zu sehen sein. Vom Teenie-Spion zur Juniorchirurgin! Alle Details finden Sie auf unserer Website. Weiter geht es nach der Werbung!
»Siehst du?« Elizabeth war etwas enttäuscht. Aber warum sollte ihr Co-Star nicht in eigener Sache Werbung betreiben? Es war nur einfach so … so Hollywood. »Und die Rolle von Summer ist nicht mal eine verdammte Chirurgin.«
»Das ist die Sache, an der du dich aufhältst?« Alex lachte. Ihr Blick wurde spekulativ. »Sie sieht wirklich gut aus, weißt du.«
»Das hatte ich nicht bemerkt.« Elizabeth verschränkte die Arme. »Sie ist gemeingefährlich.« Mit gutem Geschmack für Tee.
»Junge, du regst dich ganz schön über dieses süße LA-Mädchen auf.«
Elizabeth sah einfach nur weiter finster drein.
~ ~ ~
Brian Fox und Rowan Blagge kamen zuerst an. Der ewig ironische Brian und sein eleganter Freund sprachen über die beste Art, eine Krawatte zu binden, als sie sich in ihre Lieblingssessel setzten. Elizabeth stellte einen Teller mit Fingerfood vor sie hin und fragte sich, ob es ein langweiligeres Thema geben könnte.
»Windsor-Knoten. Halber Windsor zur Not«, deklarierte Rowan und griff nach den Erdnüssen.
»Plattsburgh. Eindeutig«, konterte Brian.
Amrit Patel kam etwas später dazu. 1,90 groß und umwerfend. Berühmt geworden war er, als das ehemalige internationale Gesicht der Uhren von Cartier. Als Nächstes kam Grace Christie-Oberon, Englands Liebling und die Königin der historischen englischen Dramen - mit zahlreichen BAFTA-Awards, die dies bewiesen.
In den USA wurde sie Gracie-O genannt. Trotz ihres erstaunlichen Talents war Rowans platte Comedy Show hierzulande immer noch bekannter als sie. Elizabeth war bei weitem erfolgreicher als all ihre Freunde zusammen.
Grace hatte zu viel Klasse, um jemals auch nur ein Wort über dieses Thema zu verlieren. Außerdem war ihr Fokus in diesem Moment ausschließlich auf Amrit gerichtet. Sie platzierte ihre elegante Silhouette − verziert mit einem taillierten Spitzenkleid − auf die Couch neben ihn und schenkte ihm ein sinnliches Lächeln.
Das letzte Mitglied ihrer Gruppe, Zara Ejogo, stürzte spät herein und sah gehetzt aus. Sie hatte wie der Rest von ihnen in Cambridge mit Drama angefangen, aber ihr Talent für die Herstellung von Kostümen hatte Hollywood mehr begeistert.
»Na endlich«, kommentierte Alex und biss ein Stück von einer Möhre ab, die ungefähr so breit war wie sie selbst. »Ich hatte schon Angst, Rowan würde seinen Montreal Comedy Festival-Monolog darüber halten, wie es ist, in einem Keller zu wohnen.«
Rowan sah sie lange und gequält an. »Wie schön, dass mein Schmerz anderen Freude bereitet.«
Brian stupste ihn an. »Was für ein Schmerz, Schatz? Du wohnst nicht mehr im Keller deiner Eltern.«
»Die Narben halten ein Leben lang.«
»Hast du nicht mal erzählt, dass der Keller einen Wellnessbereich hat?«, fragte Grace. »Und Wandgemälde von wunderschönen Regenwäldern?«
»Schmerz ist kein Wettbewerb«, sagte Rowan mit zusammengekniffenen Lippen. »Ich habe nie behauptet, dass mein Schmerz der schlimmste von allen war.«
Grace sah Elizabeth an. »Bess, könntest du ein Schatz sein und mir ein Glas Weißwein bringen, um Rowans männliche Tränen runterzuspülen?«
Brian räusperte sich. »Ich habe etwas zu berichten. Ich habe eine neue Filmrolle. Alien-Zombie-Apokalypse.«
»Spielst du den Wissenschaftler?«, fragte Amrit. »Oder den Bösewicht? Oder den bösen Wissenschaftler, der die Seuche über uns gebracht hat?«
Alle lachten.
»Auf die Gefahr hin, wie ein Stereotyp rüberzukommen«, sagte Brian und setzte seine theatralischste Miene auf. »Ich bin tatsächlich der böse Wissenschaftler, der die Gesellschaft, wie wir sie kennen, auslöscht.«
»Also ein normaler Dienstag für dich.« Grace warf Elizabeth erneut einen Blick zu. »Ein Tee geht auch, wenn der Wein dir zu viel Mühe macht.«
Elizabeth stutzte kurz. Grace vergaß manchmal, dass sie in ihrem kleinen Kreis kein nationaler Schatz war. Trotzdem stand sie schließlich auf und schaute sich um. »Möchte noch jemand irgendwas?«
Ein paar Bestellungen wurden ihr zugerufen.
»Ich helfe dir.« Zara folgte ihr in die Küche.
Während sie die Getränke zubereiteten, hörten sie Alex im Hintergrund, die dem Rest von ihrem neuen Projekt erzählte. Irgendetwas über die globale Erwärmung. Und Köcherbäume, was auch immer das war.
»LA ist wirklich eine verrückte Stadt, nicht wahr?« Zara schüttete Zucker in ihren Tee. »Gestern habe ich stundenlang an einem Eidechsen-Outfit gearbeitet. Aber wenn ich aus King Lear zitiere, sieht mich jeder an, als wäre ich die Verrückte.«
»Das wussten wir, bevor wir hierher kamen.« Elizabeth rührte kräftig in ihrem Tee. »Mehr oder weniger.«
»Weißt du, ich habe nie wirklich verstanden, warum du hierher gekommen bist. Bei den anderen ist es offensichtlich. Rowan bekam seine Comedy-Tour. Und Brian ging mit Rowan mit. Amrit kam wegen des Abenteuers, und ich nehme an auch wegen der vielen hübschen jungen Männer und Frauen. Grace kam, weil …« Sie sah Elizabeth an und zögerte.
»Na ja, offiziell … für den nächsten großen Karriereschritt«, sprang Elizabeth ein.
»Aber wir beide wissen, warum sie wirklich hier ist.« Zara warf einen Blick aus dem Türrahmen auf Amrit. »Das muss eine verdammt unglaubliche Affäre gewesen sein, wenn sie immer noch nicht über ihn hinweg ist.« Sie legte den Zuckerlöffel weg. »Ich weiß, warum ich hier bin − ich bekomme einen Oscar für die besten Kostüme, wart’s ab. Und die Indie-Filme von Alex kamen hier gut an. Aber du?«
Zara musterte Elizabeth, die nur mit den Schultern zuckte. Das schon wieder. Zara versuchte mindestens alle sechs Monate, eine Antwort auf diese brennende Frage zu bekommen. Wobei sie ihre Fragen immer etwas anders formulierte, in dem Versuch, endlich eine befriedigende Antwort aus ihr herauszulocken. Elizabeth hatte nicht die Absicht, ihr den wahren Grund mitzuteilen.
»Ich habe meine Freunde vermisst. London war nicht dasselbe ohne euch. Einer nach dem anderen ist auf und davon, bis nur noch ich übrig blieb.«
»Aber deine Theaterkarriere hatte gerade Fahrt aufgenommen.«
»Davon habe ich nichts, wenn ich es nicht mit Freunden teilen kann. Außerdem spielt die Musik offenbar in Hollywood.«
»Aber Bess, du wolltest immer auf der Bühne stehen. Du könntest am Broadway auftreten. Warum LA?«
»Ich mag das Wetter. Sehr … sonnig.« Elizabeth öffnete den Kühlschrank, um die Milch zu holen.
»Sicher tust du das.« Zara musterte Elizabeths blassen Teint. »Du bist eine wahre Sonnenanbeterin.«
Elizabeth zuckte mit den Schultern. »Hier gibt es auch Arbeit.«
»Das ist wahr. Es sei denn, du bist Grace. Aber vielleicht ist sie zu wählerisch. Sie könnte arbeiten, wenn sie sich dazu herablassen würde, im amerikanischen Fernsehen zu spielen.«
Elizabeth schlug die Kühlschranktür heftiger zu als es unbedingt nötig war.
Zaras Gesicht sah schockiert aus. »O Scheiße. Du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe. Ich wollte dich nicht beleidigen.«
»Kein Problem. In letzter Zeit fühlt es sich wirklich erniedrigend an. Erinnerst du dich an die ursprüngliche Prämisse von Choosing Hope? Ein Lehrkrankenhaus, das sich auf Minderheiten konzentriert? Wirklich echte Geschichten? Ärzte aus allen Gesellschaftsschichten, die allen Widrigkeiten trotzen? Aus diesem Grund hieß das verdammte Ding doch überhaupt Choosing Hope. Es sollte eigentlich darum gehen, den Menschen Hoffnung zu geben, egal woher sie kommen.«
»Na ja, deshalb, und weil das Krankenhaus Martina Hope Memorial heißt.«
Elizabeth goss Milch in mehrere Tassen. »Mein Punkt ist, die Prämisse war außergewöhnlich und interessant. Ich war stolz darauf. Chefärztin Hunt war ein Vorbild für diese jungen Ärzte. Und jetzt …« Ihre Gesichtszüge verhärteten sich. »Attila the Hunt. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre … Du solltest mal meine neue Kollegin sehen - dieses blonde Ding, das definitiv lieber Werbung für Badebekleidung machen sollte, statt in einer Dramaserie mitzuspielen, in der sich die Ärztinnen und Ärzte am eigenen Haar aus dem Dreck ziehen müssen.«
»Ach komm schon, mit deiner Show ging es bergab, lange bevor dieses Mädchen gecastet wurde«, sagte Zara. »Ärgerst du dich wirklich über sie oder eher darüber, dass sie die Idee zu Choosing Hope für den Kommerz verraten haben? Ich habe ein paar Folgen der letzten Staffel gesehen und bei Gott, diese Serie ist echt den Bach runtergegangen. Alles dreht sich darum, wer mit wem vögelt. Und reden wir gar nicht erst über Hunts trauriges Liebesleben.«
»Der Anfang vom Ende«, murmelte Elizabeth und stellte die Tassen auf einem Tablett ab.
»Das kannst du laut sagen. Aber wenigstens ist für dich dieses tolle Haus dabei rausgesprungen.« Zara stupste sie in die Seite.
Warum musste jeder darauf herumreiten? Sie sah sich um. Ihr Haus mit vier Schlafzimmern in Los Feliz war in die Hügel eingebettet und bot eine wirklich beeindruckende Aussicht. Die spektakulärste davon konnte man von der Poolterrasse aus genießen. Freier Blick auf die Bucht von Santa Monica. Im Innern des Hauses glänzten die Oberflächen, angefangen beim honigfarbenen Holzboden bis zu den polierten Arbeitsplatten aus Granit. Es passte zu ihrer taktilen Neigung. Sie liebte es, über glatte Oberflächen zu streichen.
Elizabeth war sich durchaus bewusst, wie glücklich sie sich schätzen konnte, dieses Haus und diese Karriere zu haben. Sie war dankbar für die Möglichkeiten, die Hollywood ihr geboten hatte. Es fiel ihr nur unheimlich schwer, die Idee der Serie loszulassen. Eine Show, in die sie emotional investiert gewesen war. Jetzt war es nur zu offensichtlich, in welche Richtung sich die Serie entwickelte.
»Komm schon, lass uns die Arbeit vergessen und genießen, was sie dir gebracht hat. Die Aussicht hier oben ist für mich immer noch besser als jeder Orgasmus.« Zara ging zurück ins Wohnzimmer.
Elizabeths Gäste drehten sich um und schauten sie an, als sie hinter Zara eintrat. Sie ging zuerst zu Grace und gab ihr den Wein.
»Danke«, sagte Grace. »Also, Alex sagt, dass du einen Badour-Film bekommst? Das hört sich vielversprechend an. Zumindest mehr als das, was du so in letzter Zeit gemacht hast.« Sie lächelte, um ihren Worten etwas Biss zu nehmen.
Elizabeth spürte ihn trotzdem. Es sollte ihr nichts ausmachen, aber in den Augen ihrer Mentorin als Versagerin dazustehen, schmerzte. »Es ist erst mal nur ein Mittagessen mit Jobaussicht«, sagte sie. »Obwohl er nach mir gefragt hat. Er hat mich in Shakespeares Frauen gesehen.«
Graces perfekt getrimmte Augenbrauen schossen in die Höhe.
Elizabeth hatte ihr damals in London die Idee zu dieser Show präsentiert, in der Hoffnung, Grace würde sich dafür einsetzen. Stattdessen hatte sie die Stirn gerunzelt. »Keine Requisiten, keine Kostüme? Das ist Selbstmord auf der Bühne«, hatte sie gesagt. »Es tut mir so leid, Bess, aber ich kann dir dabei nicht helfen.«
Kurz darauf war Grace nach LA verschwunden, und Elizabeth hatte die Finanzierung selbst irgendwie gestemmt. Das Stück wurde mit einem kleinen Budget im Theater eines alten Familienfreundes aufgeführt, das gerade noch zum West End zählte. Dennoch hatte es eine beachtliche Menschenmenge angezogen und genügend ausgezeichnete Kritiken bekommen, um als Erfolg zu gelten. Es hatte sogar einen bescheidenen Gewinn erzielt. Es war das erste Mal gewesen, dass Elizabeth etwas allein auf die Beine gestellt hatte. Das Stück bedeutete ihr alles.
»Badour gefiel deine kleine Show? Dann hat er doch einige rettende Eigenschaften, für einen Franzosen.« Graces klang amüsiert.
Ein Schauer durchfuhr Elizabeth. Bedeutete das, dass Grace das Stück auch gemocht hatte? Wann hatte sie es gesehen? Elizabeths Gedanken rannten in der Zeit zurück. Verzweifelt versuchte sie, sich an Termine und Tage zu erinnern.
»Jeder, der den Barden schätzt, hat bei mir ein Stein im Brett.«, stellte Grace klar.
Oh. Ja klar. Elizabeths Lächeln verdunkelte sich.
Alex sah sie mitfühlend an.
Gott. Bin ich so durchschaubar? Elizabeth ließ sich in ihrem Sessel nieder und nippte an ihrem Guayusa-Kakao-Tee. Es war eine andere Sorte, nicht die, die sie liebte − aber es war der beste Ersatz, den sie finden konnte.
Der Tee erinnerte sie wieder an Summer Hayes. So jung. Der Drang, gemocht zu werden. Wunderschön. Kein Wunder, dass Ravitz ein Auge auf sie geworfen hatte. Witzigerweise schien das Mädchen es nicht einmal bemerkt zu haben. Wie konnte eine Schauspielerin, die wie Summer aussah, so ahnungslos sein? Auch die Blicke des Tonassistenten hatte sie nicht bemerkt. Oder das Lächeln des Statisten, auf dessen Brust Elizabeth gedrückt hatte. Das Mädchen war wohl keine gute Beobachterin. Ganz zu schweigen davon, dass sie unglaublich tollpatschig war.
Der Gedanke fühlte sich gemein an. Summer schien ganz nett zu sein. Vielleicht wurde Elizabeth langsam zu dem Biest, für das sie alle hielten? Ihr Tee schmeckte plötzlich bitter.
Das Zimmer war still. Hatte sie eine Frage verpasst? »Entschuldigt, was?«
»Magst du Badours Filme?«, wiederholte Brian. »Rowan und ich haben letztes Jahr Quand Pleurent les Clowns gesehen. Göttlich. Es war wie ein instabiles Stillleben.«
Was sollte das überhaupt heißen? »Ich habe es als das respektiert, was es ist.«, sagte sie. »Ein ehrgeiziger Filmemacher, der seine Fähigkeiten zur Show stellt. Ich bin neugierig, was Hollywood aus ihm macht, wenn sie auf den Mann treffen, nicht nur auf seine Filme.«
»Und was es aus dir macht«, bemerkte Grace. »Sie werden auch dich zum ersten Mal sehen, nicht den TV-Bösewicht.«
»Ähm …« Elizabeth runzelte die Stirn. »Nein, ich spiele immer noch eine Rolle. Es ist nichts anderes.«
»Es ist etwas ganz anderes.« Grace beugte sich vor und musterte sie. »Es ist das Markenzeichen aller Badour-Filme. Er enthüllt die Schauspieler genauso wie deren Charakter. Deshalb wirken seine Filme so real. Ich für meinen Teil bin sehr gespannt von dem, was er da alles auftun wird. Du hast uns schon viel zu lange hingehalten.«
Elizabeth blinzelte. »Wie meinst du das?«
»Du lässt keinen in deine Karten schauen, liebe Bess. Aber bald sehen wir sie alle. Deine Geheimnisse. Was hinter der Maske ist. Ich kann es kaum abwarten. Tatsächlich würde dir etwas Enträtselung ganz guttun.« Sie trommelte mit den Fingerspitzen leicht auf die Lederarmlehne.
Blut schoss in Elizabeths Gesicht. Ihre Geheimnisse? Die waren sicher nicht für andere Augen bestimmt. Ganz sicher nicht für Grace. Oder die breitere Bevölkerung.
Stille überzog den Raum wie Asche. Alex Augen waren verengt, als würde sie rätseln, worauf genau Grace hinaus wollte.
Brian schaute zwischen Elizabeth und Grace hin und her. »Ähm, Grace, Liebste, niemand muss irgendwelche Geheimnisse preisgeben, weder hier noch anderswo. Außerdem ist Bess ein großes Mädchen. Ich bin sicher, dass sie mit einem anspruchsvollen Franzosen klarkommt. Sie wird eine Grenze dort ziehen, wo sie sich am wohlsten fühlt.«
Ein Hoch auf Brian. Elizabeth atmete aus. Er war ihr erster Freund gewesen, als sie in Cambridge mit ihrem Jurastudium begonnen hatte. Er hatte sie eines Tages in der Cafeteria gesehen, wie sie über ein Lehrbuch gebeugt hing, und hatte sie mit einem improvisierten Sketch amüsiert: Die Frau, die allein isst. Er hatte sie zu einem Theaterstück eingeladen, in dem er und seine Freunde mitgespielt hatten. Das war der Anfang von allem gewesen.
Ihr Wechsel von Jura zur Schauspielerei hatte sich wie das Natürlichste der Welt angefühlt. Und dann war Grace gekommen. Sie war ein gutes Jahrzehnt älter als sie beide und als Gastdozentin in ihre Welt eingetreten. Dann hatte sie entschieden, dass Elizabeth ein Talent war, dass es zu verfeinern galt. Das war der Tag, an dem Elizabeths kleine, sichere Welt auf den Kopf gestellt worden war.
