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Natalya Tsvetnenko ist eine weltweit anerkannte Cellistin, die mit ihrem sensiblen Spiel die Herzen ihrer Zuhörer berührt. Niemand ahnt, dass sie unter dem Decknamen Requiem ein Doppelleben führt und als Auftragsmörderin mit kühler Präzision das Leben des größten Abschaums der australischen Unterwelt beendet. Als sie mit dem Mord an Alison Ryan beauftragt wird, gerät das Leben der kühlen Berufskillerin aus dem Gleichgewicht. Alison führt ein absolut durchschnittliches Leben und hat keine Verbindungen zu Melbournes Unterwelt. Warum und vor allem wer möchte, dass Requiem sie aus dem Weg räumt?
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Seitenzahl: 458
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Epilog
Requiem for Immortals - Soundtrack
Über Lee Winter
Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen
Die Tote im Marschland
Eine Diebin zum Verlieben
Auf schmalem Grat
Rosen für die Staatsanwältin
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PROLOG
Zu sagen, Requiem würde nichts fühlen, war falsch. Ein weitverbreiteter Irrglaube in ihrer Branche.
Geringschätzung war nicht nichts.
Sie richtete ihre schwarzen Lederhandschuhe und sorgte dafür, dass sie perfekt zwischen ihren Fingern anlagen.
Requiem umrundete den kargen Raum. Der Betonboden wurde nur durch einen schwachen, kreisrunden Strahl des Mondscheins beleuchtet, der durch das rissige, verstaubte Fenster fiel. Mit einem bedächtigen Schritt trat sie in die Mitte und musterte die Holzwände, die ebenso nass waren wie der Boden. Sie ging in die Hocke und stellte eine große Kiste ab, aus der sie eine chinesische Papierlaterne hervorzog. Manche Menschen nannten sie Wunschlaternen. Ihr Vater hatte Requiem eine davon mitgebracht, als sie ein kleines Mädchen gewesen war. Gemeinsam hatten sie ihre Wünsche ausgesprochen und beobachtet, wie die Laterne, angetrieben von der nackten Flamme, in den Nachthimmel aufstieg, bevor sie zerfiel und stückchenweise zurück auf die Erde rieselte.
Die Laterne bestand aus hellem, weißem Papier, das einen Bambusring umschloss, in dessen Mitte eine kleine Brennstoffzelle eingelassen war. Sechs lang brennende Räucherstäbchen steckten im Bambusrahmen und liefen über der Brennstoffzelle zusammen.
Requiem zündete die Flamme an und versicherte sich, dass auch die Enden der Räucherstäbchen glühten. Sie waren mit einem Harz beschichtet, das ein einzigartiges Aroma freisetzte. Als die Laterne aufstieg, trat sie einen Schritt zurück. Es war wunderschön. Wie die perfekte Stille eines Sees am Morgen oder der sanfte Schwung eines nackten Busens.
Die Laterne stieß gegen die staubige Decke und tauchte den Raum in ein unheilvolles Glühen. Nachdem sie der Laterne eine Weile zugesehen hatte, verließ Requiem den Raum und schloss die Tür fest hinter sich.
Sie schwang sich auf ihr Motorrad, eine Kawasaki Ninja H2, und zog einen kleinen, silbernen MP3-Player aus ihrer Westentasche. Erst nachdem sie auf dem Bildschirm überprüft hatte, dass die Lautstärke genau so eingestellt war, wie sie es wollte, drückte sie auf Play und steckte sich die Kopfhörer in die Ohren. Sie schloss den Reißverschluss ihrer Lederjacke, ließ den Motor aufheulen und donnerte davon.
Die reinigenden Klänge von Arvo Pärts Fratres (String and Percussion) hallten in ihren Ohren.
* * *
Drei Tage später berichtete die Herald Sun in Melbourne von einem Mann, der, an Händen und Füßen gefesselt, in einem kleinen Raum in einem verlassenen Gebäude verbrannt war. Hausbesetzer waren über seine Überreste gestolpert und hatten die Polizei alarmiert.
Die Zeitung betonte, dass das heruntergekommene Industriegelände während der letzten sieben Wochen Ziel eines Brandstifters gewesen war, der kleine, kontrollierte Feuer gelegt hatte. In der Nacht des Brandes hatte die Feuerwehr deshalb nicht auf die Meldungen eines weiteren Vorfalls reagiert. Sie hatten wie immer viel zu tun und den Einsatz als Ressourcenverschwendung erachtet.
Nach der Zahnanalyse stellte sich heraus, dass der Verstorbene ein Berufskrimineller gewesen war, der unter anderem wegen Folter und den Angriff auf die Tochter des Oberhaupts einer Melbourner Verbrechersippe, Carlo Trioli, gesucht wurde.
Die Einheit für Brandermittlung und Explosivstoffe in Victoria hatte den Medien gegenüber offenbart, dass sie angesichts des Funds eines kleinen, geschmolzenen Kunststoffobjekts in einem Raum, der mit Benzin getränkt war, ratlos waren. Zusätzlich zu den Benzindämpfen, hatte es einen ausgeprägten Geruch gegeben, den sie nicht identifizieren konnten.
Später identifizierten die polizeilichen Quellen der Herald Sun das Kunststoffobjekt als eine Brennstoffzelle, die üblicherweise in Wunschlaternen verwendet wurde.
»Es scheint, als hätte hier jemand eine offene Rechnung beglichen.«, erklärte die Quelle. »Die Ermittlungen dauern an.«
KAPITEL 1
Auf der Suche nach einer ganz bestimmten Person ließ Natalya Tsvetnenko ihren Blick durch den ausverkauften Konzertsaal gleiten. Die für Juli angesetzte Programm-Premiere des Victorian Philharmonic Orchestra fand an einem unzumutbar heißen Abend statt und hatte das Who’s who der kulturellen Elite Melbournes angezogen. Außerdem, und das trug sehr zu ihrer Befriedigung bei, hatte es einen besonders einsiedlerischen Unternehmer aus der Chemiebranche angelockt.
Uli Busch war ein gewaltiger Mann. Der Vorstandsvorsitzende eines deutschen Konzerns, BioChem Farming Solutions, benutzte beim Laufen einen polierten silbernen Gehstock und keuchte bei jedem Schritt. Sein Schaukeln hatte sich nach zwei Knieersatzoperationen und, wenn man den Gerüchten glaubte, einer besonders schweren Rückenverletzung zugespitzt.
Natalya richtete ihren Blick wieder auf das Notenblatt und wartete angespannt auf das Ende des Satzes. Sie hob den Bogen, setzte ihn genau an und entlockte ihrem Cello ein tiefes, kehliges Knurren.
Vier Minuten und zwölf Sekunden später hielt sie inne, als die erste Geige zum Solo ansetzte.
Erneut glitt ihr Blick zu Buschs rötlichem Gesicht.
Man könnte glauben, dass er ein ausgesprochen leichtes Ziel war, um das Zeitliche zu segnen. Aber Natalya wusste es besser.
Das Problem war nicht, dass er seine luxuriöse Jacht, die jeden Tag an einem anderen Ort vertäut wurde, nur selten verließ. Natalya hatte einige gut platzierte Informanten innerhalb der engen Gemeinschaft der Jachtbesitzer. Sie wusste bereits, was er zum Frühstück aß (neun Würstchen, vier Butterbrötchen und schwarzen Kaffee), wie oft er seine weißen Unterhosen wusch (nicht oft genug) und welche der hochklassigen Escort-Damen er bevorzugte (Sasha an Freitagen und beliebige Rothaarige an den Wochenenden).
Nein, das Problem waren seine Bodyguards – vier finster dreinblickende, Ex-Mossad-Agenten, die so schonungslos ausgebildet worden waren, dass jeder in ihrer Branche einen großen Bogen um sie machte. Sich auch nur einem dieser brutalen Rottweiler zu stellen, wäre eine Herausforderung. Aber vier?
Tja. Sie liebte Herausforderungen. Zumindest tat es ihr todbringendes zweites Ich.
Über die Jahre hatte sie Busch oft gesehen. Der Milliardär hatte sich als ergebener Liebhaber klassischer Musik entpuppt. Seine Sammlung offizieller Liveaufnahmen war als die erlesenste weltweit bekannt. Jedes große Orchester der Welt wurde mindestens einmal pro Saison mit seinem Besuch beehrt.
Die Notwendigkeit für Bodyguards hatte hauptsächlich mit der Art und Weise zu tun, wie Busch sein Geld verdiente. Er kaufte gern jedes von der Regierung verbotene Pestizid für einen Spottpreis. Und das in Massen. Manchmal bezahlten ihn die Regierungen sogar dafür, das Pestizid zu vernichten. Stattdessen verkaufte er es an westliche Länder weiter, die nicht dieselben Verbote wie Europa hatten, oder ärmere Staaten, die anfällig für Bestechungen waren.
Wenn die Dinge zu heiß wurden, zum Beispiel bei BioChems Verbindung zu zahlreichen Geburtsfehlern oder dem Tod von Farmarbeitern, wandte er sich an die nächste ahnungslose Nation und das Spiel ging von vorn los.
Im Moment ankerte Buschs Jacht Breakin’ Wind vor dem Bundesstaat Victoria, was bedeutete, dass er seine giftige Ware an Australier verkaufte. Das erklärte im Umkehrschluss, warum Requiem jetzt einen wohlhabenden Australier als Kunden hatte, dessen Bruder auf einer Farm gearbeitet hatte und nun auf lebenserhaltende Maßnahmen angewiesen war, nachdem er BioChems neues Pestizid getestet hatte.
Ihr Kunde wollte, dass Busch genauestens nachempfand, was sein Bruder erleiden musste. Er hatte sich an sie gewandt, weil die Art und Weise, wie zwei frühere Attentäter zu Tode gekommen waren, so grausam gewesen war, dass niemand ihren Angehörigen Details verraten wollte. Der Kunde hatte eine wertvolle Lektion gelernt, sich mit nicht weniger als dem Besten abzugeben.
Sie hatte den Auftrag bereits erwartet und sich dementsprechend vorbereitet.
Busch hatte, wie Natalya wusste, eine spezielle Vorliebe für Tschaikowsky, der auch das Thema des Orchesters für die neue Saison war. Ein Thema, das Natalya vor vier Monaten beiläufig vorgeschlagen hatte, nachdem sie vom Misserfolg des zweiten Attentäters erfahren hatte.
Falls sie sich geirrt und der Kunde nicht nach ihr gefragte hätte, wäre das auch nicht weiter schlimm gewesen. Sie mochte Tschaikowsky ausreichend genug, um ihn die ganze Saison über zu spielen.
Während des Konzerts erhaschte Natalya hin und wieder einen Blick auf Busch, der sich mit einem weißen Taschentuch in seiner VIP-Loge die Augenbraue abwischte.
Gemeinsam erhob sie sich mit dem Rest des Orchesters, während sie ordnungsgemäß ihren Respekt vor dem Komponisten ausdrückten und dabei tosenden Applaus erhielten. Normalerweise war Natalya nach einer Aufführung wie berauscht. Heute Abend befand sie sich jedoch in einer seltenen und unangenehmen Position: Zum ersten Mal vermischte sie Geschäft mit Vergnügen.
Jedoch blieb die Frage, welche Aufgabe Geschäft und welche Vergnügen war.
In den vierundzwanzig Jahren, in denen sie beide Laufbahnen verfolgte, hatte sie darauf nie eine Antwort gefunden. Jeder Beruf rief ein Hochgefühl in ihr hervor, an das der andere nicht herankommen würde.
Sie packte ihr Cello ein, nickte ihren Kollegen zu, die aufgeregt auf die Aftershow-Party verschwanden, und bat anschließend den Sicherheitsmann des Orchesters, ihr Instrument für ein paar Stunden wegzuschließen. Anschließend schnappte sie sich die glänzende, schwarze Handtasche, die sie für den Anlass vorbereitet hatte. Natalya zog den MP3-Player hervor, drückte Play, steckte sich die Kopfhörer in die Ohren und lief langsam zur Aftershow-Party, die nur zwei Blocks entfernt stattfand.
Mit jedem Schritt schüttelte sie Natalya Tsvetnenko ab und wurde zu Requiem, während Arvo Pärt ihren Geist klärte. Ihr Blick fokussierte sich. Ihr Gesichtsausdruck wurde neutral. In ihren Gedanken spielte sie immer und immer wieder ab, was sie zu tun hatte, bis sie am gefährlichsten Aspekt angelangt war – die letzten dreißig Sekunden, bevor Uli Busch seinen letzten Atemzug nehmen würde.
Sie würde einen der meist beschützten Männer der Welt vor seinen brutalen Schoßhündchen töten und niemand würde ein Wort sagen. Busch würde sie vermutlich anlächeln, ohne zu wissen, dass er Tschaikowsky zum letzten Mal gehört hatte.
Die Fußgänger traten zur Seite, als Requiem sich ihnen näherte. Sie nahm die Leute aus dem Augenwinkel wahr, vermied es jedoch, sie direkt anzusehen. Sie waren nicht besser als Vieh. Langsam. Mit Scheuklappen. Schwach.
Nicht einmal ansatzweise dachte sie daran, sich zur selben Spezies zuzählen.
Ruhe breitete sich in ihr aus und ihre Bewegungen wurden flüssig, während sie alle umherirrenden Gedanken gehen ließ.
Einen Block vom Veranstaltungsort entfernt hielt sie an einer Bank an, zog die Kopfhörer aus den Ohren und fühlte sich durch ihren Rucksack. Sie zog einen kleinen Perlenring aus einer Schachtel und schob ihn auf ihren linken Mittelfinger. Nachdem sie den Rucksack wieder geschultert hatte, lief sie weiter.
Die After-Party fand im Nova statt, einem großräumigen, modernen Nachtklub im Stadtzentrum, der in diesem Monat der angeblich heißeste Treffpunkt der Stadt war. Der Klub lag am nächsten an der Philharmonie und konnte die erwarteten vierhundert Würdenträger mit Leichtigkeit aufnehmen.
Das Nova klemmte zwischen einem Kebab-Laden und einem italienischen Restaurant und die wenig benutzten Gassen, die dahinter lagen, erinnerten an einen Kaninchenbau. Nur die Angestellten von der Straßenreinigung wussten, wohin dieses enge Geflecht aus Hintergassen mündete und nur wenige Leute hatten sie jemals nutzen müssen.
Nachts war diese dunkle Gegend bis auf die schwachen Verkehrsgeräusche von der Hauptstraße ruhig. Nicht so im Nova.
Das Thema im Klub hieß Phantom der Oper und Requiem kam nicht umhin, die Arbeit zu bewundern, die in die Dekoration gesteckt worden war, auch wenn es eine rätselhafte Entscheidung für die Tschaikowsky Saison war. Vermutlich reichte die beschränkte Vorstellungskraft des Partyplaners bei musikalischen Themen nur an die bekannten Dauerbrenner. Entweder das, oder ein seit Jahren toter russischer Komponist war einfach nicht cool genug.
Geisterhaft weiße Masken hingen in verschiedener Höhe an Angelschnüren von der Decke. Kellnerinnen huschten mit rauchenden Cocktails vorbei, während die Musik um sie herum pulsierte. Die Ecken des Klubs waren schwarz wie Teer und stellten damit Rückzugsorte für diejenigen zur Verfügung, die sie vielleicht brauchten. Sie würde ausgesprochen vorsichtig sein müssen.
Busch hielt sich an die Getränke, die seine Bodyguards ihm brachten. Weise. Vor allem wenn man bedachte, dass mehrere Attentäter während der letzten Jahre versucht hatten, ihn mittels Getränken oder Essen anzugreifen. Sie grinste. Wie einfallslos. Viel zu vorhersehbar.
Normalerweise blieb der Deutsche bei solchen Veranstaltungen nicht länger als für vier oder fünf Drinks. Requiem nahm ihren Posten ein und richtete ihren Blick auf sein Gesicht. Wartend.
»Mensch, Natalya!«, sagte eine muntere Stimme neben ihr. »Was für ein entzückender Ring. Ich hab ihn noch nie gesehen. Wo hast du ihn her?«
Requiems Kopf wirbelte herum und ihre Gesichtszüge verwandelten sich in eine freundliche Maske. Amanda Marks. Erste Geige. Die Hohepriesterin der Social Media Schar und bewundernden Kunstfatzken.
Sie warf einen Blick auf ihren Ring und sah anschließend wieder zu Marks. »Von einem Förderer«, antwortete Requiem ehrlich. »Der mir alles Gute gewünscht hat.« Sie schenkte ihr ein dünnes Lächeln.
»Oh.« Amanda verzog die Lippen zu einem Schmollmund. Wahrscheinlich hatte sie auf eine schlüpfrige Romanze gehofft. Die Nervensäge öffnete gerade den Mund, um noch mehr zu sagen, aber Requiem sah, dass ihr Moment gekommen war.
Busch grunzte, murmelte dem Bodyguard, der ihm am nächsten stand, etwas zu und zog sich die dicke Jacke von den Schultern. Hinter ihm stand ein Mann mit scharfen Augen, der sie ihm abnahm.
Showtime.
»Hast du…«, begann Amanda.
Requiem deutete mit der Hand auf ihr Ohr und gab vor, sie über die Musik nicht hören zu können, die sich mittlerweile in ein Techno-Chaos verwandelt hatte, das nicht einmal annähernd als Musik bezeichnet werden konnte.
Sie entfernte sich und überließ die Violinistin wieder ihren Groupies, die viel zu alt und einwandfrei gekleidet waren, um nach Selfies mit Amanda zu fragen. Nicht, dass es sie aufgehalten hätte.
Als sie ging, fiel Requiems Blick auf eine Frau, die Anfang oder Mitte dreißig sein mochte – mit braunem Haar und schönen Gesichtszügen. Die Frau beobachtete alles mit einem ehrfurchtsvollen Blick, als würde sie nicht oft ausgehen. Da sie sich im Umfeld von Marks Schar aufhielt, war das Urteilsvermögen der Frau sicher beeinträchtigt. Plötzlich drehte sich die unscheinbare Frau um und ihre Blicke trafen sich. Und dann, ebenso plötzlich, lächelte sie Requiem an. Ohne jeden Grund.
Requiem hielt überrascht inne. Was war in diese Frau gefahren? Lächelte sie einfach wahllos Fremde an? Gehörte das ebenfalls zu diesen unerträglichen sozialen Dingen, die von Frauen erwartet wurden?
Requiem blendete sie aus und bewegte sich auf ihr Ziel zu, wobei sie sich dazu zwang, ihre Schritte nicht zu beschleunigen. Sie ging in eine der abgedunkelten Ecken, die nur von einem grün leuchtenden Notausgangsschild beleuchtet wurde.
Erneut sah sich Requiem um. Es war nichts zu sehen, außer einem verlassenen Flur, der in einer Sackgasse endete und sanft unter dem Bass der (nicht)-Musik vibrierte.
Obwohl sie noch immer das hauchdünne, lange, schwarze Abendkleid trug, in dem sie aufgetreten war, glitt sie mühelos in die Hocke. Sie hob die Hand und drehte die hohle Perle von ihrem Ring, sodass nur ein flacher, runder Sockel übrig blieb, an dessen Seiten das Gewinde erkennbar war.
Im Zentrum des Sockels ragte die winzigste Nadel heraus, die man für Geld kaufen konnte – fast unsichtbar für das menschliche Auge und nicht länger als zwei Reiskörner. Solche Nadelstifte waren erstaunlich leicht zu beschaffen – man musste nur eine Apotheke finden, die Zubehör für Diabetiker verkaufte.
Tief einatmend griff sie in ihren Rucksack, öffnete den kleinen, luftdichtverschlossenen Behälter und legte sanft eine Gelhülse auf den Boden. Sie hatte die Größe einer Tablette, aber ihr Inhalt – eine kleine Menge Flüssigkeit – war alles andere als medizinisch.
Requiem drehte ihre Hand um und drückte die winzige Nadelspitze nach unten, bis sie durch die dünne Hülle der Kapsel stach. Sie wackelte leicht mit der Hand, um sicherzugehen, dass die Spitze großzügig mit der Flüssigkeit bedeckt war. Anschließend nahm sie die Pinzette aus ihrem Rucksack und zog die Gelhülse extrem langsam von der feuchten Nadelspitze. Dann ließ sie die Pinzette und die Perle in ihrem Rucksack verschwinden.
Requiem erhob sich und achtete peinlich genau darauf, ihre Handfläche unten zu halten, als würde sie gleich einen Hund streicheln. Die Gelkapsel schob sie in eine Lücke zwischen den alten Holzbohlen.
Als sie zurück zur Party ging und sich auf den Weg zu ihrem Dirigenten, Anthony Lyman, machte, vermied sie, gedrängt oder geschubst zu werden. Zumindest sah es so aus, als wäre sie auf dem Weg zu Lyman. Zufällig unterhielt er sich gerade mit Busch.
Der scharfe Geruch seines Schweißes erfüllte ihre Sinne. Die misstrauischen Blicke von vier Ex-Mossad Agenten richteten sich auf sie, um die Möglichkeit einer Bedrohung zu analysieren. Sie entspannten sich, als der Dirigent sie zu sich winkte und sie als seine außerordentlich talentierte Cellistin vorstellte. Diese herablassende Nummer zog er immer ab, wenn er die Frauen der Philharmonie einem VIP vorstellte, den er beeindrucken wollte.
Ausnahmsweise störte es sie nicht. Heute eignete es sich für ihr Vorhaben.
»Also, Natalya«, fuhr Lyman fort, »haben Sie schon Mr. Busch kennengelernt? Mr. Busch, Natalya Tsvetnenko.« Der hoffnungsvolle Ausdruck in seinen Augen verriet ihr, dass er verzweifelt versucht war, von diesem Mann loszukommen.
Ihre Nasenflügel zuckten angesichts des strengen Körpergeruchs und sie konnte Lymans Eifer nur allzu gut nachvollziehen. »Nein, wir haben uns noch nicht kennengelernt.« Lächelnd reichte sie Busch die Hand. »Es ist mir eine Ehre.«
»Tja, ich muss mich unter die Leute mischen«, sagte Lyman hastig und trippelte davon.
Requiem ignorierte ihn und konzentrierte sich voll und ganz auf diesen Moment. Blut rauschte ihr in den Ohren, ihr Herz schlug schneller. Sie brachte ihre Atmung unter Kontrolle und eine beruhigende Nüchternheit legte sich über sie.
Busch schüttelte kräftig ihre Hand und seine schwitzigen, fleischigen Finger umfassten sie.
Erneut lächelte Requiem, versteckte ihren Ekel und hob ganz beiläufig ihre linke Hand, um sie unter Buschs Arm zu legen, der noch immer ihre Hand schüttelte, und drückte fest zu.
Die Nadel, die sich von ihrem Ring in sein Fleisch bohrte, war so dünn, dass es ziemlich unwahrscheinlich war, dass er etwas spürte. Sie atmete langsam aus, als Busch lediglich wohlwollend lächelte und anfing zu reden.
»Ihr Lieblingskomponist«, fragte Busch und nagelte sie mit seinem Blick fest. »Wer ist es? Und warum ist er es?«
Vorsichtig ließ sie beide Hände sinken, denn sie war sich der tödlichen Nadelspitzen überaus bewusst. Sie musterte seine weißen Ärmel. Es bestand eine dreißigprozentige Chance, dass ein verräterischer Tropfen Blut zurückblieb, wenn sie die Nadel herauszog.
Kein roter Fleck erschien.
»Arvo Pärt«, erwiderte Requiem zufrieden. »Ein moderner Komponist, der die leere Seele füllt und die volle Seele leert.«
Sichtlich überrascht über ihre Antwort sah er sie an. Sie schenkte ihm ein weiteres Lächeln und zählte gedanklich die Sekunden, in denen das Gift durch seine Adern pumpte und Schaden anrichtete. Es war das am schnellsten wirkende Gift der Welt. Vollkommen natürlich, aber anders als bei Schlangen- oder Spinnengift gab es keine Heilung. Ein einziger Tropfen konnte zehn Menschen töten.
Schon bald würde Uli Buschs Atmung beeinträchtig sein. Nur wenige Sekunden später würde sich das Einatmen unmöglich anfühlen.
Wenn er zu Boden ging und zuckte, als hätte er einen epileptischen Anfall, würde sein Zwerchfell bereits einer Lähmung unterliegen, die einen Menschen dazu zwang, für immer die Luft anzuhalten.
In dem Moment würde die Panik einsetzen – und, wenn sie alles richtig berechnet hatte, würde Busch genauso elend sterben, wie ein junger Bauer auf einer Weizenfarm, der wegen der Wirkungen des verbotenen Pestizids auf einmal nicht mehr atmen konnte. Die Panik, nicht zu wissen, was passierte. Die nackte Angst, während er sich fragte, ob dies sein letzter Augenblick sein würde. Der Vorsitzende von BioChem war nur wenige Momente davon entfernt, auf das Engste mit den Schmerzen seines Opfers vertraut zu werden.
Busch drehte sich um und bellte einem seiner Männer zu, ihm mehr Wein zu bringen. Als er sich umdrehte und den Mund öffnete, um ihr möglicherweise ebenfalls einen Drink anzubieten, war Requiem schon verschwunden. Sie ging mit festen Schritten und ignorierte die Begrüßungen der anderen Orchestermitglieder, während sie in einem der abgelegenen Notausgänge verschwand.
Behutsam drehte sie die Perle wieder auf die Nadelspitze, zog anschließend den Ring von ihrem Finger und verstaute ihn in dem luftdichten Behälter. Unter dem neongrünen Licht des Notausgangsschilds legte sie ihn in ihren Rucksack und tauschte ihr Abendkleid hastig gegen Lederkluft, Stiefel und Handschuhe, die sie dort vor dem Konzert in einer dunklen Ecke versteckt hatte.
Zwei Tage zuvor hatte sie die Alarmanlage der Notausgänge getestet. Es gab keine. Vorsichtig schob sie die Tür auf, warf sich den Rucksack über die Schulter und schlüpfte in die Dunkelheit.
Als sie die Feuerleiter zur Hälfte hinter sich gebracht hatte, hörte sie die ersten Rufe nach einem Krankenwagen. Viel Glück. Busch würde tot sein, bevor die Sanitäter eintrafen; wahrscheinlich schon, bevor der Notruf gesendet wurde.
Wenn sie seinen Körper untersuchten, würden sie keine Eintrittswunde finden.
Sie navigierte sich problemlos durch die Windungen der Gassen, bis sie ihre Ninja H2 fand, die sie unter einer einsamen Sicherheitsleuchte abgestellt hatte. Die Motten, die unter der Lampe umherschwirrten, tauchten die Gegend in ein geflecktes Licht – die persönliche Discokugel der Natur.
Mit der Ninja hatte sie vorausgeplant. Falls Buschs Rottweiler eine Ahnung hatten, würde sie eine Teufelsmaschine brauchen, die locker 400 km/h schaffte. Selbst, wenn sie nicht zu ihr aufschlossen, Requiem reiste nur auf diese Weise – anders als Natalya.
Ihren Rucksack verstaute sie in einem maßgefertigten Fach am hinteren Ende des Motorrads, glitt auf den Sitz und atmete einmal tief durch. In einem einstudierten Bewegungsablauf griff sie nach ihrem MP3-Player. Ihr Maestro würde das Chaos aus ihrem Kopf verbannen, würde raue Gedanken wegstreichen, wie lose Strähnen, und sie erden.
Als sie den Helm hob, sah sie es. Eine schwache Bewegung schimmerte auf der polierten Oberfläche des schwarzen Helms. Requiem reagierte sofort, sprang von ihrer Maschine und rollte sich ab. Eine Gestalt fiel von einer Regenrinne und landete nur einen Meter von ihr entfernt.
Wie zur Hölle waren die Rottweiler dahintergekommen? Die Fähigkeiten dieses Quartetts lagen in der Folter und der Messerarbeit, nicht darin, die Verwicklungen eines brillant ausgearbeiteten Plans zu erkennen. Requiem war verärgert, dass sie sich irgendwie selbst verraten hatte. Irgendwo musste sie einen Fehler gemacht haben. Was unmöglich war.
Immerhin musste sie nur mit einem fertigwerden. Die anderen drei waren wahrscheinlich immer noch damit beschäftigt, ihren sterbenden Boss zu retten.
Sie entwand sich der schattenhaften Gestalt, als sie sich auf sie stürzte. Requiem trat blind um sich. Ihr Fuß traf auf etwas und sie drückte sich zurück, sodass die Wucht ihrer kraftvollen Oberschenkel den Körper ihres Angreifers nach hinten warf. Ein überraschter Laut erklang, als er auf dem Boden aufschlug und die Luft aus seinen Lungen gepresst wurde.
Requiem warf sich auf die Gestalt, drehte ihr Handgelenk nach oben, um die Nase ihres Angreifers zu brechen und die Knochenfragmente in sein Gehirn zu rammen. Gerade als sie zuschlagen wollte, drehte sich der Kopf ihres Angreifers zur Seite und das Licht der Straßenlaterne erhellte das Gesicht. Kurzes, schwarzes Haar, dunkle, schmale Augen, eine flache Nase und gekräuselte, böse Lippen begrüßten sie.
Sie hielt inne.
Böse, sinnliche Lippen.
Ihre Hand erstarrte. Verdammte Sonja Kim. Die beste Personenschützerin aus der Gang von Ken Lee, ganz zu schweigen davon, dass sie sein bester Vollstrecker und gelegentlich auch Attentäter war.
Die Koreanerin war im Nahkampf tödlich und extrem schwierig auf dem Boden zu halten. Sie war Meisterin im Wrestling und hatte die Fähigkeit, die Knochen eines Mannes wie Pfeifenreiniger zu verdrehen. Und das noch bevor man in den Genuss ihrer Kunstfertigkeit mit versteckten Waffen kam. Sie liebt es, mit japanischen Wurfmessern zu spielen.
»Du!«, spuckte Requiem aus. »Erzähl mir nicht, dass du jetzt freiberuflich für Busch arbeitest!« Sie packte Sonjas Shirt, zog sie nach oben und schlug ihren Kopf dann zurück auf den Boden. »Mit ihm hast du dir den Bodensatz ausgesucht.«
»Sagt die große Requiem, die keiner Familie gegenüber loyal ist«, schoss Sonja zurück.
Sie wand sich unter Requiem, die, obwohl sie doppelt so groß war wie Sonja, Probleme hatte, sie in Schach zu halten. Und inmitten dieses Chaos versuchte Sonja, mit der linken Hand ihren Gürtel zu erreichen.
»Warum zur Hölle können die Familien es nicht intern regeln?«, beschwerte sich Sonja mit finsterem Blick. Plötzlich flog ihre Hand zu ihrer Hüfte, aber Requiem hielt sie in der Luft zurück und drückte sie neben Sonjas Ohr auf den Boden.
»Aber nein, sie haben dich für ihre Drecksarbeit ausgewählt. Eine Söldnerin! Du, die jeden von ihnen für den Höchstbietenden umbringen würde. Es ist so dumm. Sie sind schwach!«, fuhr Sonja fort, als wäre ihr heimtückischer Versuch nicht unterbrochen worden.
»Sie schätzen meine kreative Ader.« Erneut schlug Requiem Sonjas Kopf auf den Boden. »Ich hinterlasse eine Botschaft. Manchmal ist alles, was sie wollen, eine Botschaft. Aber du? Du bist so feinsinnig wie ein Auto mit Allradantrieb – und hast das dazu passende Hirn.«
Auf der Suche nach dem Gegenstand, den Sonja hatte ziehen wollen, glitt Natalyas Hand unter Sonjas Shirt und fand ein Messer in ihrem Hosenbund.
Requiem hielt das Messer ins Licht und musterte es.
»Wie viele andere?«, fragte sie und deutete auf die Waffe.
Sonja schüttelte den Kopf und weigerte sich, zu antworten.
Requiem hielt das Messer an ihre Kehle. »Wie viele andere?«
»Shi bai kepy sckyi!«
»Selbst wenn ich einen Ödipus-Komplex hätte, meine Mutter ist tot«, sagte Requiem kalt. »Also nein, kann ich nicht.«
»Du sprichst Koreanisch?«, fragte Sonja.
»Nur die Grundlagen«, antwortete Requiem. »Letzte Chance.« Sie kratzte mit dem Messerrücken leicht über Sonjas Kiefer. Die feinen Härchen auf deren Wangen bogen sich unter der Klinge und stellten sich dann wieder auf. »Wie viele versteckst du davon noch? Oder muss ich dich erst ausziehen, um sie zu finden?«
»Leck mich.«
»Das würde dir wahrscheinlich gefallen«, sagte Requiem. Sie schenkte ihr ein gefährliches Lächeln, dann nahm sie das Messer und schlitzte das T-Shirt vom Kragen bis zum Saum auf.
Leicht gebräunte Haut, übersäht mit Narben, blitzte ihr entgegen. Sie führte das Messer an Sonjas weißen Sport-BH und schnitt ihn mit einer einzigen Bewegung auf, sodass beide Hälften zur Seite fielen.
Kampflustig sah Sonja zu ihr auf, aber irgendetwas an ihrem Ausdruck war seltsam.
Einen Moment lang musterte sie Sonja prüfend, dann glitt ihr Blick nach unten. Sie betrachtete den durchtrainierten, flachen Bauch und richtete ihre Aufmerksamkeit schließlich weiter nach oben auf die sanften Erhebungen, gekrönt mit braunen Nippeln, die in der Nachtluft hart wurden.
»Gefällt dir, was du siehst?«, fragte Sonja provozierend.
Requiem antwortete nicht. Selbst wenn sie zugeben musste, dass ihr der Anblick sehr gefiel … hier ging es ums Geschäft. Erneut legte sie das Messer an Sonjas Kehle, während sie ihre freie Hand zwischen Sonjas zerschnittenes T-Shirt und die Straße schob. Indem sie ihre Finger über all die kleinen Mängel aus Narben und der Weichheit zwischen ihnen wandern ließ, überprüfte Requiem ihren Rücken, fand jedoch nichts, dass dort versteckt oder angeklebt war. Dann hob sie die Hand und legte sie an Sonjas Hinterkopf, ehe sie fachmännisch ihre Finger durch Sonjas Haar gleiten ließ. Sauber. Auch hinter den Ohren fand sich nichts.
Requiem legte ihre Messerhand an Sonjas Jeans. Die Veränderung in Requiems Schwerpunkt war alles, was Sonja brauchte. Da sie nicht länger fest unten gehalten wurde, schoss Sonjas Hand trotz Requiems Gewicht auf ihren Hüften nach vorn, packte Requiems Handgelenk und zog es zurück – hart.
Das Messer flog durch die Luft und landete klappernd auf der Straße.
Sonjas linkes Bein flog hinter Requiems Rücken nach oben und die Stahlkappe ihres Stiefels traf sie direkt am Hinterkopf. Schmerz explodierte in ihrem Kopf. Sie kippte nach vorn und brach benommen auf Sonjas Brust zusammen. Sonja schlang ihre Beine um Requiems Hüfte, zog ihre Knie nach oben an ihren Brustkorb und kreuzte sie. Mit einem bösartigen Glitzern in den Augen schloss sie ihre Hände um Requiems Kehle und drückte zu.
»Wie schlau bist du jetzt, hm?« Ihr Atem strich hauchzart über Requiems Lippen. »Dumme gae seaki.«
Requiem, deren Kopf noch immer klingelte, versuchte den schraubstockartigen Griff um ihren Brustkorb abzuschütteln. Aber Sonja ließ nicht nach. Scheiße. Requiem hätte es besser wissen müssen. Man lässt nie zu, dass Sonja Kim die Chance bekommt, einen niederzuringen. Sie hatte einfach auf den richtigen Moment zum Zuschlagen gewartet.
Requiems Körper ächzte unter dem Druck. Ihr Atem wurde knapp. Es fühlte sich an, als würde sie gegen eine Anakonda kämpfen.
»Mr. Lee hat gehört, dass jemand seinen Tod plant«, sagte Sonja und drückte ihre pulsierenden Schenkel unerbittlich zu. »Er weiß, dass sie dich anheuern werden, um ihn auszuschalten. Betrachte es als vorbeugende Maßnahme.«
Die Hände an ihrer Kehle drückten stärker zu. Requiems Bewusstsein liebäugelte mit der Dunkelheit und sie konnte noch immer nicht fassen, wie viel Kraft Sonja in ihrem kleinen Körper hatte. Definitiv eine armselige Einschätzung ihrerseits, denn sie wusste, dass Kim einmal das Schienbein eines Mannes in zwei Teile gebrochen hatte, nachdem er über ihre zierliche Gestalt gelacht hatte.
Requiem lachte nicht.
Sie versuchte, ihre Arme zu bewegen, aber sie waren durch Sonjas Schenkel fest an ihren Oberkörper gepresst. Requiem starrte in Sonjas stechend schwarze Augen.
Sie wurde an ein Geschehen von vor einigen Jahren erinnert. Ein Mann in einer Werkstatt, ein Mädchen mit großen Augen an seiner Seite.
Die Erinnerung zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen.
Sonja blinzelte unsicher. »Worüber zur Hölle lächelst du? In einigen Sekunden bist du tot. Die große Requiem, tot. Ende!«
»Nabi«, sagte sie, als ihr die Erkenntnis dämmerte.
Die Finger an ihrer Kehle erschlafften. »Was?«
»Ich hab mich gerade an den Tag erinnert, als wir uns kennengelernt haben. Du als kleines Mädchen. So bezaubernd.«
Die Hände ließen von ihr ab und legten sich auf Requiems Schultern.
»In der Werkstatt deines Vaters«, fuhr Requiem fort, während sie ihre Lungen wieder mit Luft füllte. »Du hast die Werkzeuge getragen, während er die Ausrüstung der Lee Familie gepflegt hat. Ist Jahre her. Bevor sich die Lees in den Fleischhandel eingeklinkt haben.«
Requiem lächelte. »Wenn ich mich richtig erinnere, bedeutet Nabi Schmetterling. Oder Kätzchen oder so was?«
Sonja errötete. »Fick dich!«
»Hättest du wohl gern«, schnurrte Requiem sanft. »Nicht wahr?«
Sie erinnerte sich an das junge Mädchen, kaum ein Teenager, das ihr wochenlang nachgelaufen war. Reqiuem war damals das erste Mal aus Wien zurückgekehrt, wo sie ihr Cello Stipendium an einer Elitemusikschule absolviert hatte. Natalya war wie alt gewesen? Neunzehn? Zwanzig?
Einige Geschäftspartner der Lees hatten sie gefördert, nachdem eine ihrer ambitionierten Ehefrauen Interesse an Natalya gefunden hatte – Interesse, sowohl in ihr außerordentliches Talent als Cellistin, als auch bezüglich der Möglichkeiten, die sich durch Requiem in der Zukunft bieten würden.
Natalya hatte nach ihrer Rückkehr die Runde gemacht und den dazugehörigen Männern gedankt. Anschließend hatten Lees Geschäftspartner nacheinander gefordert, dass sie ihren Teil der Abmachung einhielt. Kurz danach hatte sie dann den zweiten, ungewöhnlicheren Teil ihrer Ausbildung begonnen.
Requiems Waffentraining war über die Jahre unvergleichlich gewesen, was nicht überraschend war, denn Lees Waffenexperte, Dimitri, war der Beste, den es gab.
All das war vor den Familienkriegen geschehen. Bevor Dimitri gegangen war, um eine rivalisierende Familie zu gründen, und alles den Bach runtergegangen war. Und in diesem relativ friedlichen Abschnitt ihres Lebens war ihr ein koreanisches Mädchen mit vor Verehrung glühenden Augen hinterhergelaufen.
»Mein Schatten«, sagte Requiem langsam. »Ich hab dich meinen Schatten genannt.«
»Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen.« Sonjas Augen flackerten.
»Nicht?«, spottete Requiem. Sie beugte sich weiter nach unten. »Du hast getan, was du gesagt hast. Erinnerst du dich?«
»Nein.« Sonjas Gesicht färbte sich dunkler.
Die Lüge war offensichtlich. Endlich löste sich die Umklammerung ihrer Beine um Requiems Rippen.
»Du hast gesagt, dass du genauso werden willst, wie ich.« Requiem lachte leise. »Und jetzt sieh dich an. Eine Killerin, ein tödlicher Körper, den man anheuern kann.«
Sichtlich verwirrt über die Wendung der Unterhaltung sah Sonja sie an.
»Ich bin neugierig, Nabi, warum du entschieden hast, mich hier anzuspringen. Es gibt viel abgeschiedenere Orte. Zum Beispiel mein eigenes Zuhause. Dein Boss weiß ganz genau, wo ich wohne. Aber nein – wir sind hier, in einer dunklen Gasse, in der Öffentlichkeit. Wie merkwürdig.«
»Nicht merkwürdig. Praktisch.«
»Ich habe noch nie jemanden gesehen, der besser mit Messern umgehen kann als du, Nabi, in meinem ganzen Leben nicht. Nicht mal Popov«, fuhr sie im Plauderton fort, »und dieser Mann war ein Meister der Klinge.« Requiem beugte sich vor. »Also, meine Frage lautet, warum liege ich nicht schon in der Gosse, mit einem deiner schimmernden Ninja-Messer im Rücken?«
»Im Rücken? Das ist so ein Schwachsinn. Ich bin kein Feigling.«
»Oder meiner Brust?«
Sonja starrte sie finster an, sagte jedoch nichts.
»Du hast eine Straße in einer belebten Stadt gewählt. Jeder würde annehmen, dass du, oder zumindest ein Teil von dir, verzweifelt darauf hofft unterbrochen zu werden. Das Problem ist, du weißt nicht, warum ich diese Straße ausgewählt habe. Du weißt nicht, wie verlassen diese Gegend hier ist.«
»Du redest Unsinn.«
»Ach? Ich denke nämlich, dass du mich eigentlich gar nicht umbringen willst. Immerhin ist es schwer, eine Frau zu töten, in die man verliebt ist.«
Der Schlag kam blitzschnell, doch Requiem hatte einen ihrer Arme befreit und war vorbereitet. Sie fing Sonjas Hand in der Luft ab und drückte ihren Arm gewaltsam zurück auf den Boden.
Dann beugte sie sich nach unten, bis ihre Lippen nur wenige Millimeter von Sonjas entfernt waren. »Liege ich wirklich falsch?«
Ungerührt nahm sie Sonjas beschleunigte Atmung zur Kenntnis. Requiem lächelte. Oh, sie erkannte Erregung, wenn sie sie sah. Ihr eigener Puls schlug heftiger angesichts dessen, was kommen würde. Sonja zeigen zu können, dass sie das Spiel nicht beherrschte, dass es Requiems Spiel war und dass es sich immer zu ihrem Vorteil auswirken würde.
Ein Teil von ihr ärgerte sich enorm darüber, dass sie beinahe von den Händen dieser schmächtigen Frau erdrosselt worden wäre. Sie packte Sonjas andere Hand und schlug sie wütend auf den Boden, während sie ihr einen finsteren Blick zuwarf.
Für Requiem war Sex an sich wenig reizvoll. Er war heiß und verschwitzt und wirr und hinterließ Chaos. Schlimmer noch, in einem entscheidenden Moment verlor sie die Kontrolle, egal wie sehr sie versuchte, darum zu kämpfen. Aber Macht? Requiem war süchtig nach deren süßen Geschmack. Es war ein Hoch, das seinesgleichen suchte, also würde sie das eine tolerieren, um das andere zu genießen. Selbst wenn dies in einer öffentlichen Gasse stattfand und – sie verzog angewidert die Nase – Dreck beinhaltete.
»Eine verfickte Lüge!«, spuckte Sonja protestierend aus. »Kuh-juh!«
Requiem senkte den Kopf, bis dieser nur wenige Millimeter über Sonja schwebte. »Ist es eine Lüge?«, stichelte sie. Sie ließ Sonjas Handgelenk los und strich mit der Fingerspitze über einen ihrer Nippel, bis er sich unter ihren Fingern zu einem harten Knoten zusammenzog.
Röte breitete sich auf Sonjas Wangen aus. Ihre Augen zogen sich finster zusammen.
Requiem stieß ein tiefes Lachen aus. »So hin und her gerissen. Du willst mir sagen, dass ich mich verpissen soll, aber du bist so erregt von dem Gedanken, dass ich dir vielleicht endlich gebe, was du immer wolltest – was die arme kleine Nabi wollte –, dass du kaum geradeaus sehen kannst.«
Requiem schmiegte ihre Hüften an Sonjas. Der eiserne Griff fiel vollständig von ihr ab. Zum ersten Mal seit sieben Minuten konnte sich Requiems Zwerchfell vollständig ausdehnen. Ihre Erleichterung war gewaltig.
Sie sollte Sonja jetzt vermutlich töten. Oder fliehen. Oder beides. Aber sie würde diese Möglichkeit nicht verstreichen lassen. Nein, nein. Sie kam so selten, die Chance, einer anderen Person zu zeigen, wer wirklich die Macht innehatte. Die Chance, Sonjas bemitleidenswerte Vorstellung zu zerstören, dass sie die Kontrolle hätte, wenn sie in Requiems Arena spielte, war wirklich köstlich. Erteil die Lektion beim ersten Mal richtig und sie wird ein Leben lang anhalten.
Sonja würde eine fähige Schülerin sein. Nach heute Nacht würde sie nie wieder daran zweifeln, wer die Führung hatte.
»Wie lange wolltest du mich schon?«, fragte Requiem und verzog die Lippen zu einem Grinsen.
Sonja knirschte mit den Zähnen.
»Kein Grund, schüchtern zu sein. Sag es mir und vielleicht gewähre ich dir eine Kostprobe.« Sie warf ihr einen dunklen, lang anhaltenden Blick zu, der mit jedem verbotenen Versprechen gefüllt war.
Ein Schauer erfasste Sonjas Körper. Requiem schenkte ihr ein wissendes Lächeln, bevor sie ihre Zähne in Sonjas Hals vergrub und hart zubiss.
Zu ihrer Befriedigung miaute Sonja tatsächlich auf.
Requiem lies los und lachte, als sie sah, wie erschrocken Sonja über ihre eigene Reaktion war. »Oh, meine kleine, süße Nabi, das hat dir gefallen. Nicht wahr?«
Mit finsterem Blick schüttelte Sonja den Kopf.
»Ich glaube dir nicht«, sagte Requiem. »Letzte Chance – nick für mich, wenn du es willst, oder ich höre jetzt auf und lasse dich heiß und unbefriedigt zurück.«
Sonja funkelte sie an, doch der Hunger in ihren Augen war unverkennbar. Langsam, mit einer widerwilligen Bewegung, als würde es ihr körperliche Schmerzen bereiten, nickte Sonja kaum merklich.
Ein aufregender Rausch aus Macht floss durch Requiem. Sie lächelte triumphierend.
Sie beugte sich über Sonja und stürzte sich auf einen ihrer braunen Nippel und attackierte ihn fast schon brutal. Sonja wand sich unter ihr.
Etwas zerrte an Requiems Hose. Als sie nach unten sah, erkannte sie Sonjas Hand, die über ihre Lederhose kroch und sich ihrem Zentrum näherte. Mit einem Knurren zog sie die Hand zurück und drückte Sonjas Handgelenk auf den Boden. »Du wolltest mit mir spielen, du wolltest, dass ich es erlaube, also spielst du nach meinen Regeln.«
Sonja warf ihr einen verärgerten Blick zu, gehorchte aber.
Einen Moment später knöpfte Requiem Sonjas Hose auf, schob ihre behandschuhte Hand hinein, vorbei an dem fadenscheinigen Baumwollstoff, und wurde von Feuchte begrüßt. Heftig rieb sie, während Sonja sich keuchend wand.
Requiem hielt inne, sah ihr direkt in die Augen und legte dann ihre Finger an Sonjas Eingang. Ein Teil von ihr fragte sich, wie das, was sie gerade taten wohl von aussen betrachtet aussehen mochte – dieser fieberhafte Akt zwischen einer hoch aufragenden Frau und ihrer kleineren, willigen Beute.
Mit zwei Fingern und ohne Vorwarnung drang Requiem in sie ein. Sonja stieß ein tiefes Stöhnen aus, gefolgt von einem Schwall koreanischer Wörter, die zu schnell waren, als das Requiem sie verstehen konnte. Allerdings brauchte sie auch keine Übersetzung, um den Sinn der Worte zu begreifen. Sonjas Hitze wärmte ihren glatten, schwarzen Handschuh und die klebrigen, obszönen Laute ihrer Bewegungen erfüllten die Nachtluft.
Sonjas Keuchen war erstickt, aber immer noch laut genug, um gegebenenfalls Aufmerksamkeit zu erregen.
Requiem drückte ihr unnachgiebig eine Hand über den Mund. »Halt die Klappe«, befahl sie.
Sonja biss fest in den Handschuh.
Requiem zog fauchend die Hand zurück. Sie vergrub ihre Hand in Sonjas Haaren und zerrte ihren Kopf zurück. Sonjas entblößter Kehle konnte sie nicht widerstehen. Requiem kratzte mit ihren Zähnen darüber und leckte schließlich mit der Zunge über die Wunde, um den Schmerz zu lindern, nur um anschließend erneut daran zu knabbern und zu beißen.
Mit einem Aufschrei schmiegte sich Sonja enger an sie.
Requiem zog ihre Hand aus Sonjas Hose, setzte sich auf die Fersen und zog mit einer einzigen kräftigen Bewegung Sonjas Jeans nach unten, bis sie ihr in den Kniekehlen hing.
Genau hier wollte sie sie haben. Unfähig, sich zu bewegen, unfähig, anzugreifen, nackt und Requiems Blicken ausgesetzt.
Requiem musterte sie, wie man es mit einer Amöbe unter dem Mikroskop tat.
Die haarlosen Schamlippen, zart, pink und geschwollen, waren nass vor Erregung. Sonja erzitterte unter ihr. Ob vor Erwartung oder Kälte konnte Requiem nicht sagen.
»So ein schöner Körper, kleine Nabi«, schnurrte sie. Mit den Fingern strich sie über unzählige Kratzspuren und Einschnitte an ihrem Oberkörper und ihren Schenkeln. »Die etwas anderen Knutschflecken von unseren Kollegen,«, sagte sie. »Wie aufmerksam von ihnen, dir ein paar Souvenirs zu hinterlassen.«
Sonja grinste. »Ich habe schlimmere auf ihnen hinterlassen. Also auf denen, die noch laufen können.«
»Daran habe ich keinen Zweifel«, stimmte Requiem mit einem amüsierten Lächeln zu, ehe sie ihre Reise in Richtung Süden fortsetzte und ihre Finger weiter hinab gleiten ließ, bis sie erneut Sonjas Eingang fand. Sie tauchte in die Nässe ein, glitt hinauf und hinab, ehe sie ihren schlüpfrigen, Leder umhüllten Finger höher führte. Sie rieb die sich hervorwölbende Klitoris in kleinen Kreisen.
Sonja stieß ein erregtes Keuchen aus, also konzentrierte sich Requiem auf die kleine Wölbung, neckte sie, drehte sie, rollte sie. »Du willst es, nicht wahr«, sagte Requiem schnurrend. »Dass ich dich ficke? Wie lange hast du schon darüber nachgedacht? Wie lange willst du mich schon? Sag es mir.«
Sonja stöhnte. Requiem rieb fest über ihre Klitoris. Sonja gab ein kleines, überraschtes, schmerzvolles Ächzen von sich und Requiem wiederholte die Bewegung. Sie war sehr zufrieden, als sie dasselbe Ergebnis erzielte.
»Das macht dich an«, sagte Requiem mit tiefer Stimme. »Die Gefahr. Das Töten ist für dich nur nebensächlich, nicht wahr? Die Erregung kommt von allem drum herum. Der Aufbau…« Sie zog ihre Finger vom Kitzler zurück, rieb sie über ihre Schamlippen und nahm zufrieden Sonjas Wimmern zur Kenntnis, als sie den Verlust der Empfindung bedauerte. Dieses Mal stieß sie gleich drei Finger in sie hinein.
»Der Aufbau kurz vor dem Zuschlagen und das Hoch danach.« Requiem bewegte ihre Finger schnell. »Das ist es, was dich anmacht. Gefahr und Nervenkitzel. Nicht das Töten.«
Sie lauschte dem Geräusch, dem feuchten, schmatzenden Geräusch von Leder, das in die Nässe eindrang. »Aber was du liebst, ist, dass du das hier mit mir erlebst«, fuhr sie fort und stieß härter mit den Fingern zu, »mit mir und niemand anderem.«
Ein Wimmern war ihre Antwort.
»Kein Kommentar?« Requiem zog eine Braue nach oben und musterte Sonjas Gesicht, ihre roten Wangen, ihre Augen, die in die Nacht blinzelten. »Wenn ich mich auf dein Gesicht setzen würden, wenn ich dich dazu bringen würde, mich zu lecken, würde dir das gefallen? Die kleine Nabi darf ihre Zunge endlich an die Fotze der großen Requiem legen.«
Sonja wimmerte angesichts des bewusst gewählten, provokativen Worts und ihr Kopf glitt lasch auf die Seite, während ihr Atem nur noch ein Keuchen war.
Requiem zog ihre nassen Finger zurück und schnippte noch einmal kräftig gegen ihre Klitoris. »Also?«
»Fick dich«, keuchte Sonja. Die Worte klangen, als ob sie ihr jemand gewaltsam entrissen hatte.
»Aber nur, wenn ich es zulasse.« Requiem grinste. In der Ferne heulte eine Sirene. »Nicht mehr lange.«
Mit dem Daumen rieb sie in kleinen Kreisen über Sonjas Kitzler und grinste, als er zuckte und förmlich nach mehr bettelte. Währenddessen gab Sonja einen tiefen, klagenden Laut von sich.
»Sag es«, befahl Requiem. »Seit wann wolltest du mich?«
»Verpiss dich.« Dann folgte ein weiterer Schwall Koreanisch. Dieses Mal erkannte Requiem mehr als nur ein paar Wörter und jedes war schlimmer als das erste.
»Kein Grund, unhöflich zu werden. Vielleicht lasse ich dich einfach so liegen, wenn du deine Worte nicht besser wählst.« Sie zog ihre Hand zurück und rieb ihre nassen Finger an Sonjas Schenkel ab. Dann beugte sie sich nach vorn, die Lippen knapp über denen ihrer Beute. »Du willst mich«, erklärte sie Sonja großspurig und sah ihr in die Augen. »Verzweifelt. Das hast du schon immer. Und das ist keine Lüge.«
Sonja schoss nach oben, bis ihre Lippen über Requiems Mund strichen.
Requiem riss den Kopf zurück und außer Reichweite. »Keine Küsse«, fauchte sie. »Ich bin nicht deine beschissene Freundin.«
»Requiem«, stöhnte Sonja. »Ich… bitte.«
»Besser.« Requiem belohnte sie, indem sie sich wieder auf Hüfthöhe begab und sie genauestens beobachtete. Sie beugte sich knapp über Sonjas Kitzler. »Wie lange willst du mich schon? Hmm?«, murmelte sie an ihrer erhitzten Haut.
Sonja zögerte.
Mit der Zunge stippte Requiem gegen ihre Klitoris. »Kurz bevor Dimitri Lees Crew verlassen hat?«
Sonja nickte und Requiem belohnte sie mit einer weiteren schnellen Bewegung ihrer Zunge über ihren Kitzler.
Sonjas Schenkel bebten und sie griff nach Requiems Haaren.
Sie schlug ihre Hand zur Seite. »Nein.«
Das Heulen des Krankenwagens kam näher.
»Antworte mir! Seit wann?«
»Seit du angefangen hast, bei Mr. Lee zu trainieren.«
Triumphierend sah Requiem sie an. »Also… es stellt sich heraus, dass ich doch nicht gelogen habe.«
»Nein«, sagte Sonja geschlagen. Zerschlagen. Dieses Mal machte sie sich nicht einmal die Mühe, Requiems Existenz zu verfluchen.
»Nein«, stimmte Requiem zu und bedeckte Sonjas Klitoris mit der Zunge, schwelgte in dem cremigen, pikanten Geschmack, überschüttete die Haut mit ihrer Wärme und hinterließ nasse Spuren. Die raue Textur ihrer Zunge glitt über den Kitzler, wirbelte und stieß vor.
Sonja kniff die Augen zusammen, weil sie so kurz davor war. Dann keuchte sie, schrie auf und kam. Heftig.
Begierig nahm Requiem ihre Essenz auf, dann schob sie ihre Zunge in Sonja hinein – deren Schenkel begannen erneut zu zittern.
Requiem ging in die Hocke.
Sonja sah sie an. »Ich bin dran«, sagte sie schnell, beinahe ängstlich. Es lag so viel Verlangen in ihren Augen, dass Requiem den Blick abwenden musste. Der erste große Schwarm hatte viel Macht über einen. Verdammt, sie wusste das nur zu gut.
»Du hast es versprochen«, fügte Sonja hinzu. Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihr Verlangen schien ihr peinlich zu sein.
Requiem badete erneut in diesem unwiderstehlichem Gefühl von Macht, das sie bereits früher am Abend durchströmt hatte, als sie erkannte, dass sie Sonja eine Lektion erteilen konnte.
In einer fließenden Bewegung erhob sie sich und stieg über Sonja, um jeweils einen Stiefel neben ihrem Brustkorb zu platzieren. Sie starrte auf sie hinunter. »Wir sind ungeduldig, ja?«, sagte sie. »Tja, es stimmt; ich hab es versprochen.«
Einen Moment hielt sie inne und legte den Kopf schräg, um dem immer lauter werdenden Heulen des Krankenwagens zu lauschen. Dann richtete sie ihren Blick wieder nach unten und sog das Verlangen in Sonjas glasigen Augen in sich auf.
Sie öffnete den Gürtel ihrer Lederhose und schob sie quälend langsam über ihre muskulösen Schenkel. Ohne zu blinzeln starrte Sonja sie an, als wollte sie sich jedes Detail einprägen.
Als Requiems Hose ihre Knöchel erreichte, strich sie mit den Händen über ihre eigenen Beine. Sie waren fast vollständig glatt, mit Ausnahme von zwei Narben – eine von einer verirrten Kugel, die andere von einem Messer, das sein Ziel verfehlt hatte. Ihre Schenkel waren kraftvoll und sie war sich sehr bewusst, dass sie ein außergewöhnliches Exemplar ihres Geschlechts war. Das war keine Eitelkeit. Einfach nur eine Tatsache, die sie ausnutzte, wenn es nötig war.
Sonjas Pupillen weiteten sich vor Verlangen.
Stolz stieg in Natalya auf. »Ungeduldig?«, neckte sie, während sie mit dem Finger über ihren eigenen Hügel, über ihrer Unterwäsche strich. Das frustrierte Knurren entlockte ihr ein Lächeln.
Requiem hakte ihre Daumen in die schwarze Baumwolle – enge, praktische Pants – und schob sie über ihre Beine nach unten. Und dann stand sie da, die Hände in die Hüften gestemmt wie eine Göttin.
Sonja starrte sie so intensiv an, dass es schien, als hätte sie vergessen, wie man atmet. »Oh Gott«, flüsterte Sonja so leise, dass Requiem es beinahe nicht gehört hätte. »Neh…«
Langsam glitt Requiem nach unten, die Knie neben Sonjas Kopf, die Knöchel an ihren Schultern abgestützt, sodass ihre Lederhose gegen Sonjas Brust gedrückt wurde. Requiem beugte sich nach vorn, umfasste Sonjas Hinterkopf mit einer Hand und drückte ihre Lippen ohne ein Wort zwischen ihre Beine.
»Wie versprochen«, sagte sie. »Du hast fünf Minuten. Ich muss verschwunden sein, bevor der Krankenwagen hier ist. Beeindrucke mich.«
Sie lehnte sich ein Stück zurück, um zuzusehen, wie sich Sonja eifrig ans Werk machte.
Sonjas Zunge glitt über Requiems Eingang, stieß hinein und wieder hinaus. Mit den Zähnen kratzte sie schließlich über die Klitoris.
Sie hatte Talent; das musste man ihr lassen. Requiems Muskeln wurden weich. Dann kam das vertraute Zucken in ihrem Kitzler, das verriet, dass jemand etwas verdammt richtig machte.
Requiem drückte Sonjas Kopf fest gegen ihren feinsäuberlich gestutzten Hügel und gab keinen Zentimeter nach. Sie wusste, dass ihr Gesicht ein Bild der Beherrschung war. Sie erinnerte sich daran, wer sie war. Wer die Lektion erhielt. Wessen Spiel es war. Wer immer als Siegerin hervorging.
Nichtsdestotrotz zuckten ihre Nasenflügel, als die Zunge genau die richtige Stelle berührte. Ihre Schenkel erzitterten unter der Anstrengung, die Position zu halten, und ihre nackten Knie bohrten sich schmerzhaft in den Dreck.
Requiem war triefend nass von dem Schauspiel, das sie durchlebte – gerade eben unterwarf sich ihr die zweitbeste Auftragsmörderin, die sie kannte.
»Langsam und gründlich«, verlangte sie. Ihre Stimme war angestrengt, während die Zunge sie streichelte und plünderte. »Das ist es.« Sie zog Sonjas Kopf näher heran und stöhnte, sehr zu ihrer Verlegenheit, als Sonjas Zunge eine grandiose Pirouette vollführte, die dazu führte, dass Requiem sie angemessen ficken wollte. In einem Bett. Eine Woche lang.
Aber das war nicht wer Requiem war. Und auch nicht Natalya.
Die Sirenen waren nun viel näher. Der Krankenwagen musste nur wenige Blocks entfernt sein.
»Zeit ist um«, presste sie hervor.
Das fieberhafte Lecken wurde stärker und ihre Klitoris schmerzte fast. Sie wollte kommen. So nah. Macht und Adrenalin schossen durch ihren Körper. Sonja bebte ebenfalls. Requiem begriff, dass die andere Frau ebenso kurz davor war, noch einmal zu kommen.
Requiem grinste. Sonja kostete eine Unsterbliche. Natürlich war sie völlig erregt.
Sonjas Zunge hielt mitten in der Bewegung inne, ihr Körper erzitterte und sie gab einen erstickten Laut von sich.
Requiem atmete aus, ließ Sonjas Kopf sanft auf den Boden gleiten und erhob sich. Körperlich blieb sie unbefriedigt, doch emotional fühlte sie sich wie ein Gott.
Sie sah an sich selbst hinab. Ihr Geschlecht tropfte im matten Licht und die Nässe ihrer Erregung klebte an den winzigen Härchen. Einen Augenblick stand sie stocksteif. Die Kälte, die über ihre erhitzte Haut strich, war berauschend. Kurz rieb sie selbst über ihre Klitoris und genoss die Empfindung, die durch sie strich, mit einem Schnurren. Wäre sie allein gewesen, hätte sie sich vielleicht einen Orgasmus gestattet.
Stattdessen räusperte sie sich. »Knapp daneben ist auch vorbei«, sagte sie zu Sonja. Hastig zog sie ihre Unterwäsche und die Lederhose wieder an und beobachtete die Enttäuschung auf Sonjas Gesicht.
»War es genau so, wie du es dir erträumt hast?«, spottete Requiem, während sie den Gürtel ihrer Hose schloss. Träge schlenderte sie zu ihrer Ninja, fand ihren MP3-Player und den Helm und konnte nicht widerstehen, sich an der harten, glatten Oberfläche zu reiben, als sie sich auf die Maschine setzte. Eine Art elektrischer Schauer schoss direkt zwischen ihre Beine.
Himmel, sie war so kurz davor. »Bin ich deinen Teenager-Fantasien gerecht geworden? War es genauso wie damals, als du dich selbst jeden Abend unter der Decke gefickt hast?«
Sonjas Brust hob und senkte sich heftig. Selbst aus der Entfernung war die beschämte Röte auf ihren Wangen zu erkennen.
»Ich deute deine zwei Orgasmen als ein Ja. Ich allerdings bin weniger beeindruckt.« Sie setzte den Helm auf, schob das Visier nach oben und musterte sie. »Oh, aber du kannst deinem Boss ausrichten, dass er recht hat. Ken Lee steht in naher Zukunft auf meiner Tanzkarte. Ich habe einen ganz besonderen Abgang für den Mann geplant, der die Körper unschuldiger junger Mädchen verkauft.«
Sie schenkte ihr ein kaltes, verdorbenes Lächeln. »Um ehrlich zu sein ist es sehr schockierend.«
Mit finsterem Blick setzte Sonja sich auf. Sie konnte nirgendwohin gehen, solange ihre Hose ein verdrehter Haufen an ihren Knöcheln war. Offensichtlich schien sie sich gerade an ihre Hauptaufgabe zu erinnern.
»Fuck!«, sagte sie und zerrte an ihren Jeans.
Requiem beobachtete sie und drehte ihre Maschine auf, um Sonja auf betonte Weise daran zu erinnern, dass sie nun zu weit weg war, um aufgehalten zu werden. »Ich glaube, das habe ich schon getan.« Sie ließ ihren Blick auf der halb nackten Sonja ruhen. »Gern geschehen«, sagte sie mit einem grausamen Lächeln. »Oh, meine kleine Nabi, sieh nur, was du mich hast tun lassen, obwohl du mich umbringen solltest. Du bist eine schreckliche Auftragsmörderin.«
Requiem drehte ihre Maschine erneut auf und fuhr mit dem Aufheulen des Motors davon. Sie sah nicht zurück.
Sie fuhr an einem Krankenwagen vorbei, der mit quietschenden Rädern vor dem Nachtklub zum Stehen kam. Eine schaulustige Meute hatte sich auf dem Gehweg versammelt, darunter viele ihrer Kollegen und einige aufgebrachte Bodyguards, die den Krankenwagen verzweifelt heranwinkten.
Sie konzentrierte sich auf die reinigenden Klänge von Arvo Pärt, die in ihren Geist drangen und das Chaos ausblendeten. Das Donnern ihrer schwarzen Bestie vibrierte zwischen ihren Beinen.
Tja, sie hatte schon schlimmere Nächte erlebt. Viel schlimmere.
Requiem lächelte.
KAPITEL 2
Drei Monate später
Natalya wachte um genau fünf Uhr fünfzehn morgens auf. Effizient führte sie ihre Morgenroutine durch, machte das Bett mit militärischer Präzision und schlüpfte anschließend in schwarze Leggins und ein figurbetontes Sport-Shirt.
Sie machte eine kurze Tour durch ihr Zuhause und überprüfte, ob alle Schlösser richtig angebracht waren. Dann schaltete sie das Sicherheitsprogramm auf ihrem Computer ein und programmierte es so, dass es die nächtlichen Bilder der Überwachungskameras auf Unstimmigkeiten überprüfte. Es würde piepen, wenn etwas nicht in Ordnung war.
Von der Straße aus konnte man ihre Wohnung einfach als altes Lagerhaus abschreiben, versteckt hinter knapp vier Meter hohen Ziegelsteinmauern. Nur die Dachlinie war für Passanten sichtbar.
Natalya ging nach unten in ihr Fitnessstudio und stieg aufs Laufband. Einen Moment hielt sie inne und starrte aus dem raumhohen Fenster in den trostlosen grauen Himmel über den wild wuchernden Kletterpflanzen an der Wand, die ihr Grundstück einfasste. Sie schüttelte den Kopf und startete ihren sieben Kilometer Lauf.
Schnell steigerte sie das Tempo und widmete sich ebenfalls ihrem geistigen Training: dem Ausblenden von Ablenkungen. Sie war ein Fels. Mächtig. Stark. Sie kontrollierte ihre Welt. Die Welt kontrollierte nicht sie. Ihre Füße waren wie ein Metronom und schlugen den Takt in ihrem Kopf: Eins-vier, zwei-vier, drei-vier, vier-vier, einatmen, ausatmen. Noch mal.
Exakt dreißig Minuten später stieg sie vom Laufband hinunter. Ihre Atmung hatte sich nur geringfügig beschleunigt. Sie nahm ein säuberlich gefaltetes Handtuch aus dem Stapel in der Nähe ihrer Geräte und tupfte ihren Schweiß ab. Danach dehnte sie ihre Arme und Schultern in Vorbereitung auf das Krafttraining, anschließend würde eine Stunde Yoga folgen.
In der Ferne erklang ein mattes Piepen.
Sie hielt inne und lauschte.
Eine schnelle Abfolge des Piepgeräuschs folgte.
Ihr Alarm.
Ihr heimisches Sicherheitssystem bestand aus Kameras und Bewegungssensoren, um den Stacheldraht und die giftigen, stacheligen Ranken zu verstärken, die am oberen Ende der Wände angebracht waren. Ein Eindringling würde nicht weit kommen, ohne entdeckt zu werden – oder Schmerzen zu erfahren. Falls er es über die Mauer schaffte, würden dichte, dornige Pflanzen und eine eng gepflanzte Reihe Hippomane mancinella Bäume eine äußerst schmerzhafte Reaktion hervorrufen.
Eilig lief sie ins Wohnzimmer, öffnete die Glasschiebetüren und sah angespannt auf ihr Grundstück. Sergei Duggan versuchte gerade, ihren Rasen zu überqueren. Versuchte war hier das Schlüsselwort. Sie setzte sich auf ihre Travertinbank und legte mit gestreckten Beinen die Füße übereinander. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht beobachtete sie, wie die Haut des berühmten Mörders heftig auf ihre kleinen tödlichen Apfelbäume reagierte.
Es war wirklich erbärmlich, dass ein großer, starker Mann wie er nur durch ein paar Pflanzen in die Knie gezwungen wurde. Es war beinahe lehrreich. Sie schnippte den nicht vorhandenen Staub von ihren Leggins, als der Eindringling auf sie zu stolperte – ein fleischiger Sack menschlichen Versagens.
Er verzog schmerzerfüllt das Gesicht, rieb unruhig über seine Blasen schlagende Haut und fluchte wutentbrannt. Seine dunklen Augen sandten eine qualvolle Bitte aus, für deren Äußerung er zu stolz war.
Es war ohnehin zwecklos. Was erwartete er von ihr? Dass sie seinen schleimigen Hals rettete?
Als er sich verkrampfte, fiel die versteckte Würgeschlinge aus seinem Ärmel.
Teilnahmslos beobachtete Natalya, wie das Leben in seinen Augen erlosch.
Das war einer der besten Auftragsmörder der Welt gewesen? Natalya schnaubte. Bitte. Er hatte es noch nicht einmal bis zu ihrem Wasserspiel geschafft.
Dieser angebliche Profi hatte seine Hausaufgaben nicht gemacht und damit ein vorhersehbares Ende genommen. Recherche war alles.
