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Was haben ein gestohlener Lieferroboter, eine bei Jugendlichen angesagte App und der Plan, Kriegsveteranen einen Mikrochip mit ihren Gesundheitsdaten zu implantieren, gemeinsam? Das würden die beiden preisgekrönten Journalistinnen Catherine Ayers und Lauren King gerne herausfinden, aber daneben haben sie noch mit ihren Hochzeitsvorbereitungen zu tun. Als die beiden nach Iowa zu Laurens Familie fahren, um die Feier zu organisieren, muss sich Catherine nicht nur mit Laurens anstrengenden Brüdern und einer äußert dominanten Großmutter herumschlagen. Sie wird mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Denn auch Ihre Ex und ihre eigene Familie sind Teil der Geheimnisse, denen Catherine und Lauren hinterherjagen. Werden die beiden Frauen es schaffen, die Jagd nach der nächsten Story und ihre Liebe zueinander gleichermaßen unter einen Hut zu bringen?
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Seitenzahl: 609
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Inhaltsverzeichnis
Von Lee Winter außerdem lieferbar
Widmung
Danksagung
Kapitel 1: Der Idiot aus Iowa
Kapitel 2: Böse Zwillinge
Kapitel 3: Gepäckabfertigung
Kapitel 4: Schöne neue Welt
Kapitel 5: Begegnung und Ernährung
Kapitel 6: Um Antwort wird gebeten
Kapitel 7: Rube’s Erwachen
Kapitel 8: Auf die Plätze
Kapitel 9: Träume erfüllen
Kapitel 10: Butterkühe
Kapitel 11: Einst. Jetzt. Piñatas
Kapitel 12: Nach und nach
Kapitel 13: Ansom Digital Dynamics
Kapitel 14: Allüren
Kapitel 15: Nördlich der Grenze
Kapitel 16: Rein in den Kaninchenbau
Kapitel 17: Die Herrschaft des Terrors
Kapitel 18: Die Frau am See
Kapitel 19: Die, die ich will
Kapitel 20: Ein Glas voller Glühwürmchen
Kapitel 21: Kräftemessen
Kapitel 22: Der Pakt mit dem Teufel
Kapitel 23: Die Abstimmung
Kapitel 24: Die Macht einer Einzelnen
Kapitel 25: Land und Leute
Kapitel 26: Der Baum der Träume
Kapitel 27: Echte Freunde und beste Freundinnen
Kapitel 28: Bettgeflüster
Kapitel 29: Raus aus dem Kaninchenbau
Kapitel 30: Mach’s gut, Iowa
Kapitel 31: Aufräumarbeiten in Gang zwölf
Kapitel 32: Fixiert
Kapitel 33: Was man so hört
Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen
Über Lee Winter
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Von Lee Winter außerdem lieferbar
Ein Hotel und zwei Rivalinnen
Happy End am Ende der Welt
Nichts als die unbequeme Wahrheit
Aus der Rolle gefallen
Requiem mit tödlicher Partitur
Aus dem Newsroom:
Das Geheimnis der roten Akten
Unter die Haut – Liebe, Verschwörung und eine fast geplatzte Hochzeit
Widmung
Für die Frau, die ich seit zwei Jahrzehnten liebe. Du magst vielleicht keine Eisköniginnen, aber ich weiß zu schätzen, wie viel Zeit und Mühe du trotzdem in meine Bücher steckst, um sie so gut wie möglich zu machen. Es gibt keinen größeren Liebesbeweis …
Danksagung
Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne meine gute Freundin und Betaleserin Lisa. Sie war meine Iowa-Insiderin, die mich mit ihren Videos von der State Fair, dem größten Event des Bundesstaats, von gebratenen Monstrositäten am Spieß, dem getunten, schnittigen Chevy der Brüder, prächtigen Weidenbäumen und aus Butter geformten Kühen überhäufte. All das, damit ich genau nachvollziehen konnte, was Ayers bei ihrer Reise durch Laurens Heimatstaat erleben würde.
Abgesehen davon, dass sie Iowa für mich zum Leben erweckt hat, bin ich Lisa sehr dankbar für ihre endlose Geduld bei all meinen Nachfragen.
Meine andere langjährige Betaleserin, Charlotte, verdient meinen ewigen Dank vor allem dafür, dass sie mir (auf süße Weise) so lange Druck machte, bis ich eine bestimmte Szene in einem gewissen Bed & Breakfast richtig hinbekam.
Vielen Dank an meinen Softball-Guru Amy, die mir erklärt hat, wie spannend es ist, wenn beim Baseball ein Läufer zwischen zwei Malen in Schwierigkeiten gerät. Außerdem hat sie mir noch eine ganze Reihe anderer seltsamer Regeln erklärt, die ich nicht kannte.
Meinen Lektorinnen beim Ylva Verlag möchte ich meinen riesigen Dank dafür aussprechen, dass sie mich so gut aussehen lassen.
Und schließlich ist da noch meine Freundin, Gelegenheitslektorin, Chefin und Verlegerin Astrid. Ich liebe es zu sehen, wie sehr sie Ayers verehrt. Ihre Begeisterung hat mir geholfen, meine Ich-hasse-jedes-Wort-Tage zu überwinden. Danke für deine ständige Ermutigung und Unterstützung!
Kapitel 1
Der Idiot aus Iowa
Senator Frederick T. Hickory war praktisch bereits tot – auch wenn er es nicht zu wissen schien.
Sein brauner Anzug jedenfalls zeugte vom modischen Gespür eines Verstorbenen und sein zerfurchtes, dreiundsechzigjähriges Gesicht deutete auf früh einsetzende Totenstarre hin. Aber es war mehr als das.
Catherine Ayers hatte kürzlich seine Autobiografie gelesen. Noch nie war ein seichteres Buch auf ihrem Schreibtisch gelandet. Irgendwo zwischen Nebenbemerkungen übers Fliegenfischen, Kuchenbacken und Küheumwerfen lauerte ein ehrgeiziger Politiker, der verzweifelt ernst genommen werden wollte, aber keine Ahnung hatte, wie er dies erreichen könnte.
Sie staunte den Senator aus Iowa an, dessen Vortrag mittlerweile nicht mehr als ein monotones, näselndes Dröhnen war.
So jedenfalls nicht.
Catherine ließ ihren Blick über ihre Pressekollegen schweifen. Viele blinzelten, weil sich die Mittagssonne grell auf der Wasserfläche vor der Gedenkstätte für amerikanische Veteranen spiegelte, die unter lebenslangen Beeinträchtigungen diverser Einsätze zu leiden hatten.
Wie Buchstützen flankierten zwei Veteranen in Rollstühlen den Senator am Rednerpult. Der auf der rechten Seite war vor zehn Minuten eingenickt. Der auf der linken sah neidisch zu ihm hinüber.
Sie konnte es nachvollziehen.
Die meisten der anwesenden Journalisten wirkten halb komatös. Seit fünf Minuten hatten sie nicht einmal mehr gezuckt.
»Herrje, Ayers«, murrte Pete neben ihr, während er die Einstellungen an seiner Fernsehkamera veränderte. »Kannst du nicht irgendwas tun, um diese langweilige Schnarchnase wieder zum Leben zu erwecken? Ich bettle nicht oft, aber zur Hölle, wenn jemand dem alten Hicks Feuer unterm Hintern machen kann, dann du.«
»Pete, da hätte ich einen schockierenden Vorschlag: Warum sagst du nicht deinem eigenen Schreiberling, dass er eine sachdienliche Frage stellen soll? Irgendeine.«
Beide schauten hinüber zu einem jungen, blonden Mann in einem schicken Anzug und mit ausdrucksloser Miene. Er spielte bereits seit geraumer Zeit mit seinen Haaren herum.
Der Kameramann warf Catherine einen gequälten Blick zu.
»Ich verstehe.« Sie seufzte. »Wäre es zu viel verlangt, von den Medien in Washington zu erwarten, dass sie ihre Arbeit tun?«
»Aber dafür ist unsere bissige Eiskönigin doch da.« Er grinste sie an. Offenbar witterte er seinen Sieg. »Wenn du dich unter den gemeinen Medienpöbel mischst, musst du damit rechnen, dass wir dich als schweres Geschütz vorwegschicken.«
Sie rollte mit den Augen und bedauerte bereits jetzt ihr Interesse an einer Geschichte, die nicht wie üblich direkt mit dem Weißen Haus zu tun hatte. Verflucht sei ihre Neugier auf dieses bizarre Thema und die Tatsache, dass ihr die ganze Woche über keine andere Idee für eine Kolumne gekommen war. Catherine trat ein paar Schritte nach vorne und zog damit die Aufmerksamkeit des Senators auf sich.
Hickory wurde bleich, als er sie erkannte. Kein Wunder, denn sie hatte vor Jahren schon einmal seine Karriere ruiniert. Damals hatte er den genialen Vorschlag geäußert, die Haushaltsprobleme seines Bundesstaates durch »quantitative Anhebung« zu lösen. Als sie ihn in einer Live-Pressekonferenz gefragt hatte, ob er glaube, dass Iowa die Macht habe, einfach mehr Geld drucken zu lassen, wurde Hickorys fassungsloser Blick, als ihm dämmerte, was seine kühne Idee eigentlich bedeutete, zu einer viralen Sensation. Die einzige Überraschung war, dass er nach dieser Demütigung überhaupt wieder zurückgekommen war.
Doch nun war er hier und versuchte wieder einmal, politisch relevant zu erscheinen, indem er die dümmste Idee propagierte, die sie je in ihrem Leben gehört hatte. Und das wollte schon etwas heißen.
Zumindest war er konsequent.
Sie räusperte sich und ungefähr ein Dutzend dösend geschlossene Augen wurden aufgerissen. Schlagartig war das Interesse der Anwesenden wieder geweckt. Die Journalisten in Catherines Nähe wichen alle ein wenig zurück, als hätten sie Angst, dass der Ärger, der bei ihren Fragen drohte, auf sie abfärben könnte. Und dennoch richteten sich alle Tonbandgeräte und Mikrofone wie die Speichen eines Rades auf sie.
Typisch! Auf einmal waren alle hellwach.
»Senator Hickory, Catherine Ayers vom L.A. Daily Sentinel.«
Trotz des sechsspurigen Verkehrs, der neben ihnen über die Washington Avenue rollte, war es auf einmal so still wie in einer Kirche.
»Ah, die berüchtigte Leiterin des Sentinel-Büros in Washington. Sollte ich mich geehrt fühlen, dass Sie meine kleine Pressekonferenz Ihrer Anwesenheit für würdig erachten?«
Seine Bissigkeit war verbesserungsfähig.
»Senator, wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie den Nachholbedarf bei der Bearbeitung von Anträgen auf medizinische Versorgung der Veteranen dadurch beseitigen, dass jedem ein Datenchip in die linke Hand zwischen Daumen und Zeigefinger implantiert wird …«
»Er ist so klein. Von der Größe eines Reiskorns.«
»… wenn die Menschen Hilfe suchen, müssen sie ihre Hand also zukünftig über einen Scanner halten, damit ihre medizinischen Daten auf dem Bildschirm erscheinen?«
»Es ist vollkommen freiwillig«, erklärte er heftig nickend, »ganz zu schweigen davon, dass es schnell geht und es wird ein kompliziertes Verfahren optimieren. Selbst die schlimmsten Bürokraten oder schlechtesten Computersysteme können die Akten eines Veteranen dann nicht mehr verlegen oder mit denen eines anderen verwechseln. MediCache ist revolutionär. Die Veteranen stehen Schlange, um sich freiwillig für die Testphase zu melden.«
»Zweifellos, weil die Leute, die sich anmelden, schneller als die anderen behandelt werden. Glauben Sie wirklich, dass wir, nur weil die Abläufe in den Behörden so grauenhaft sind, die medizinischen Daten in die Anatomie der Patienten auslagern sollten?«
»Verloren gegangene Krankengeschichten können Leben kosten. Und wenn das hier Abhilfe schafft, warum nicht?«
»Was ist mit dem Datenschutz?«, entgegnete Catherine. »Und der Tatsache, dass die derzeitige Technologie so unsicher ist, dass jedes Mal, wenn ein Veteran an einem Funkscanner vorbeikommt, sofort sämtliche medizinische Daten aufpoppen?«
Die Medienvertreter begannen zu kichern.
Hickory gab einen empörten Laut von sich. »Haben Sie vergessen, dass es freiwillig ist, Ms Ayers? Soll ich das für Sie im Wörterbuch nachschlagen?«
Catherines Lächeln nahm bedrohliche Züge an. »Ich glaube nicht, dass ausgerechnet Sie mir einen Vortrag über missverständliche Definitionen halten sollten. Finden Sie nicht auch?«
Er schwieg einen Moment und Ayers spürte eine innere Zufriedenheit.
Das Kichern ringsherum sorgte dafür, dass Hickory die Schamesröte über den Nacken zog. Er biss die Zähne zusammen und wandte sich an den Rest der Versammlung: »Gibt es noch weitere Fragen?« Sein Tonfall klang jetzt schon etwas verzweifelter.
»Ich habe noch eine«, meldete sich Catherine.
»Irgendjemand sonst noch?« Sein Blick schweifte über die Menge.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Catherine eine vertraute Gestalt. Der Anblick ihrer Verlobten ließ ihr Herz wie üblich höherschlagen, doch sie bewahrte ihre professionelle Haltung und reagierte nicht, als Lauren leise neben sie trat.
Weil es keine anderen Fragen gab, sackte der Senator ein wenig in sich zusammen. »Nun, wenn das alles ist«, sagte er, sammelte seine Unterlagen ein und wandte sich zum Gehen.
»Noch eine Frage«, versuchte Catherine es erneut. »Wenn das so eine geniale Idee ist, Senator, wann lassen Sie sich Ihren eigenen Chip einpflanzen? Aus Solidarität mit den Veteranen.«
Die Presseleute brachen in schallendes Gelächter aus, das den schlummernden Veteranen aus dem Schlaf riss. »Was zum Teufel?«, grummelte er.
»Das wäre außerdem ein toller Fototermin«, fuhr Catherine scherzhaft fort. »Nennen Sie einfach den Tag und die Uhrzeit. Es wird bestimmt viele Kollegen geben, die den Moment festhalten wollen.« Sie deutete zu den anderen Reportern, die ein paar Beifallsbekundungen und Vorschläge machten.
»Wir könnten es jetzt gleich erledigen.«
»Sagen Sie Ja, Senator!«
»Sie werden Geschichte schreiben.«
»Noch besser: Sie kommen ganz groß raus in den Nachrichten.«
Hickory hustete heftig, gab vor, noch einen wichtigen Termin zu haben, erklärte die Pressekonferenz für beendet und eilte davon.
Pete keuchte vor Lachen. »Danke, Ayers, das war perfekt.« Er schaltete seine Kamera aus. »Meine Güte, du bist immer für eine blitzschnelle Schlachtung gut. Hast du gesehen, wie ihm die Luft weggeblieben ist? Mein Chef wird dich lieben. Nochmals danke!« Er salutierte scherzhaft und begann zu packen.
Catherine wandte sich Lauren zu. »Hallo. Du bist ein willkommener Anblick nach der idiotischsten Pressekonferenz der Welt. Kommst du nur zufällig vorbei?«
»Nein, ich habe beim Frühstück deinen Kalender gesehen und wusste, dass du hier sein würdest. Und nun frage ich mich, ob du Zeit für ein Mittagessen hast?«
»Sicher.« Catherine sah sich um. »Wo?«
»Nicht weit von hier. Komm mit! Ich habe eine Überraschung.«
~ ~ ~
Während sie davongingen, warf Catherine einen anerkennenden Blick auf Laurens perfekt sitzende Kakihose, ihre hellblaue Hemdbluse und die schicken braunen Stiefel. Ihr Anblick, egal, welches Outfit sie trug, war immer geeignet, Catherines Laune zu heben. Nur schade, dass die Büroräume von Laurens Zeitung zehn Blocks von Catherines Verlagsgebäude entfernt lagen. Seitdem hatten sie nur noch sporadisch gemeinsam zu Mittag gegessen.
»Hattest du deinen Spaß dabei, den Senator meines Bundesstaates aufzufordern, sich wie ein streunender Hund einen Mikrochip einsetzen zu lassen?« Lauren gab Catherine einen neckischen Klaps auf den Arm.
»Kann schon sein«, gab Catherine lächelnd zu. »Aber er hat echt ein Händchen dafür, grauenhafte Ideen zu vertreten.«
Lauren nickte und strahlte sie dann an.
»Also gut, spuck’s aus! Warum hast du so gute Laune?«
»Wirst du gleich sehen«, grinste Lauren noch breiter.
Sie überquerten die Washington Avenue und kamen in einen kleinen botanischen Garten.
»Der Bartholdi-Park?« Catherine betrachtete das Schild. »Hier gibt es keine Lokale.«
»Nö. Noch nicht.«
»Ich kann dir nicht ganz folgen.«
»Geduld!« Lauren führte sie zu einem der massiven Holztische, welche auf der Waschbetonfläche verteilt standen, die einen riesigen, verschnörkelten Brunnen umgab.
Sie ließen sich auf den Bänken nieder und Catherine betrachtete interessiert die Umgebung. Das Herzstück des Brunnens bestand aus einer Art Kronleuchter, Putten, Schildkröten, Fischen und … »Nymphen?« Catherine zog ihre Augenbrauen in die Höhe. »Ich weiß zwar deine Bewunderung für statuenhafte Frauen zu schätzen, aber können wir uns nicht einfach einen schönen Ecktisch im Mastro’s suchen?«
»Du hast die Frösche übersehen.« Lauren deutete auf die kleinen Figuren. »Und es wird bald hier sein.«
»Was ist es?«
Lauren schenkte ihr ein kleines Lächeln und drehte sich herum, um den Parkeingang zu beobachten. »Warte ab! Du wirst schon sehen.«
Wenige Minuten später hörten sie ein leises Surren. Ein kleiner weißer Roboter auf sechs Rädern tauchte auf und kam den Weg entlanggerollt. Hinten an seinem Gehäuse ragte eine lange, biegsame Antenne empor, auf der eine kleine runde Kamera angebracht war – wie der Puschel am Ende eines Pudelschwanzes.
Catherine sah ihm zu, wie er die gegenüberliegende Brunnenseite umrundete und dann schnurstracks auf sie zusteuerte. »Was …?«
Lauren grinste, als er anderthalb Meter vor ihnen zum Stehen kam. »Nicht schlecht. Ziemlich genau. Ich habe die Google-Maps-Koordinaten angegeben, wo wir uns aufhalten würden.« Sie ging hinüber zum Roboter, hob den gewölbten Deckel an der Oberseite an, tippte einen Code ein und klappte eine weitere kleine Abdeckung auf. »Unser Mittagessen ist serviert.«
»Was ist das für ein Ding?«
Lauren nahm einige nach italienischen Gewürzen duftende Gerichte heraus und stellte sie auf den Tisch. »Das ist eine autonome Liefereinheit. Hochmodern mit kontrollierter Temperatursteuerung. Billiger, als einen Fahrer anzuheuern, und sie kommt überall durch, um Essen auszuliefern. Die Kunden stellen sich einfach vor ihre Wohnung oder ihr Büro und warten, dass es angeliefert wird. Der Besitzer, Antonio, hat zwei Stück davon aus Estland bestellt. Heute sind sie den ersten Tag für seine Pizzeria im Einsatz. Das ist Teil einer Reportage, an der ich gerade arbeite.«
Es raschelte, als Lauren weitere Tüten aus dem Gefach nahm und auf den Tisch stellte. Nachdem sie die beiden Deckel des Roboters geschlossen hatte, piepste dieser, vollführte eine Kehrtwende und surrte aus dem Park.
Das Festmahl bestand aus mehreren Nudelgerichten und einer kleinen Pizza. Köstliche Düfte von Knoblauch und Tomaten erfüllten die Luft.
»Ein Lieferroboter ist also deine neue Story?«, wunderte sich Catherine. »Das klingt nicht nach einem Artikel für die Regionalseiten der Washington Post. Eine Robo-Lieferung hat nichts mit Verbrechen zu tun.«
»Normalerweise hättest du recht.« Lauren reichte ihr ein Set Plastikbesteck. »Soviel ich weiß, haben die Roboter eine integrierte Kamera, die 360-Grad-Bilder von ihrer Fahrt aufnimmt und die Fotos in Echtzeit ans Restaurant schickt. Wenn ihnen also jemand in die Quere kommt, weiß der Besitzer, Antonio, sofort ziemlich genau, wer und wo.«
»Ah!« Catherine nahm sich eine Aluschale und löste den Pappdeckel. Penne mit Tomaten und Mozzarella. Vielversprechend. Sie musterte ihre Verlobte. »Also, warum glaube ich bloß, dass das hier ein böses Ende hat? Schließlich bist du an dem Thema dran .«
»Dir entgeht aber auch nichts.« Laurens Augen funkelten. »Und ja, trotz aller Sicherheitsvorkehrungen von Antonio wurde einer seiner Roboter gestohlen. Ist einfach verschwunden. Der Dieb könnte eine der Personen sein, die er kurz zuvor gefilmt hat. Und da komme ich ins Spiel. Ich gehe dem Fall des verschwundenen Pizzeria-Bots nach.«
»Wie aufregend«, murmelte Catherine.
»Nicht aufregend, aber überraschend lustig.« Sie zückte ihr Handy und wischte durchs Menü. »Ich sag dir auch, warum: Das hier sind alle Screenshots von den Aufnahmen, die an das Restaurant geschickt wurden, kurz bevor der Roboter verschwand.« Sie legte ihr Telefon auf den Tisch.
Beim Kauen scrollte Catherine durch die Fotos und betrachtete ein Bild nach dem anderen: wie Menschen neugierig stehen blieben, gafften, winkten, Hasenohren machten und sogar der Kamera des vorbeifahrenden Geräts den Hintern entgegenstreckten. »Wie ich sehe, zieht es eine ganz schöne Menge Touristen an.«
»Ja. Aber diese Dame ist mein Favorit.« Lauren scrollte zu dem Bild einer Frau Mitte vierzig in einem leuchtend orangen Oberteil, die in die Kamera starrte, als sähe sie einen Außerirdischen. Auf sechs der Fotos tippte sie mit ihren langen, grün lackierten Fingernägeln auf der Kamera herum, als wäre sie überzeugt, eine Antwort von ihr zu erhalten.
»Ich gehe davon aus, dass sie nie herausgefunden hat, worauf sie da herumgetrommelt hat?«, überlegte Catherine.
»Das denke ich auch. Aber ihr Was ist das für ein Dämon-Ausdruck ist ein Internet-Meme, das nur darauf wartet, viral zu gehen.«
»Kann sein.«
»O ja, sie ist definitiv dabei, berühmt zu werden. Antonio sagt, dass er die Bilder bereits alle an die Polizei geschickt hat, damit sie sie weiterverfolgen können. Darum kann ich diese Kopien behalten und in meinem Artikel verwenden.«
»Das ist ja ein ganz netter Aufhänger«, Catherine hielt inne, »aber bis jetzt sehe ich nicht viel mehr als einen Klickköder. Wo ist der Knüller?«
»Die Story handelt davon, was der ersten automatischen Essensliefereinheit in D.C. zugestoßen ist. Das Geheimnis. Der Diebstahl.«
»Bist du dir sicher? Sind das nicht die Folgen einer immer weniger personalisierten Gesellschaft? Was ist, wenn jeder für alles Roboter und Drohnen einsetzt? Was dann? Wie sehr würde uns das in nur fünf Jahren verändern?«
»Catherine, meine Zeitung will nicht, dass ich intellektuelle Kommentare über die Gesellschaft schreibe. Sie wollen was Leichtes, Unterhaltsames, das den Tatsachen entspricht und fesselt. Man erwartet von mir, dass ich mich an die Grundlagen meines Ressorts halte und nicht zu sehr nachbohre, es sei denn, ich stoße auf einen großen Skandal. Das ist meine Arbeit.« Sie tippte auf den Bildschirm ihres Telefons. »Die ganze Redaktion würde mich auslachen, wenn ich auf der Grundlage eines gestohlenen Essensroboters einen ausführlichen analytischen Kommentar über die Veränderungen in der Gesellschaft verfasse. Mein Job ist es …« Sie deutete auf die Fotos.
»… Leute zu jagen, die Hasenohren machen«, beendete Catherine.
Lauren nickte.
»Ja. Aber das ist nicht tragisch. Nicht jeder steht wie du an der Spitze und wir können ja nicht alle übers Weiße Haus berichten und jede Woche tiefgründige philosophische Kolumnen schreiben.«
»Das stimmt.« Mit einer Papierserviette, die sie in der Essenstüte gefunden hatte, tupfte sich Catherine die Lippen ab. »Entschuldige, ich wollte dich nicht verurteilen. Ich bin nur daran gewöhnt, in Geschichten nach den verborgenen Schichten zu suchen. Dass der Senator aus Iowa mit dieser absurden Kampagne, Leuten Technik in den Körper zu stecken, mein bekanntermaßen freundliches Wesen angreift, macht es auch nicht gerade besser.«
»Nun, ich hoffe, das Mittagessen hebt deine Stimmung.«
»Es ist ziemlich gut. Danke dir!«
»Ein großes Lob.« Lauren grinste. Sie zog den kleinen Pizzakarton zu sich heran und legte ihre Füße auf das niedrige Mäuerchen neben ihnen. »Übrigens ist die Pizza total miserabel, also werde ich sie dir nicht aufdrängen«, scherzte sie. »Aber ich probiere lieber noch ein Stück, um ganz sicherzugehen.«
Catherine starrte auf die Stiefel. »Runter mit den Füßen! Sofort! Oder ich rufe den Sicherheitsdienst wegen eines wilden Tieres, das in dem Park herumläuft.«
Lauren nahm die Beine herunter. »Manchmal hast du nichts dagegen, dass ich ein wildes Tier bin. Sagt dir die letzte Nacht noch etwas?«
Catherine steckte die leeren Verpackungen in eine der Tüten und lächelte dabei. »Das ist etwas anderes. In bestimmten Situationen sind Freiheiten erlaubt.«
»Zum Beispiel, wenn wir nackt im Bett liegen?« Laurens Lippen verzogen sich amüsiert.
Wie ein Blitz fuhr die Begierde durch Catherine. Bei der Erinnerung an die letzte Nacht spürte sie auf noch immer die Hitze an den vielen verschiedenen Stellen, wo diese verführerischen Lippen ihre Haut geküsst hatten. Sie verbot es sich, rot zu werden, räusperte sich und änderte schnell das Gesprächsthema: »Fühlst du dich inzwischen besser?«
»In Bezug auf was?«
»Unsere Reise nach Iowa nächste Woche? Um eine gewisse Hochzeit zu planen?«
»Ach das!« Lauren zögerte und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Na ja, wir heiraten in drei Monaten und ich nehme dich nächste Woche zum ersten Mal mit nach Hause, um meine Familie kennenzulernen. Keine große Sache!« Ihr Lächeln verblasste und sie wandte den Blick von Catherine weg.
»Und doch wechselst du das Thema, sobald ich auch nur das Wetter in Cedar Rapids erwähne.«
»Ach das«, sagte Lauren erneut. »Vermutlich ist mir die Arbeit durch den Kopf gegangen und hat mich abgelenkt.«
»Warum? Berichte über vermisste Roboter kannst du im Schlaf schreiben.«
»Ja klar. Das ist es nicht. Manchmal sieht mich mein Chef an, als könne er nicht glauben, dass ich dieselbe Reporterin bin, die ihm zu einem weltweiten Knüller verholfen hat. Die Sache ist nur die, dass ich die erste große Story mit dir zusammen durchgezogen habe. Aber er hat mich angeheuert, nicht uns beide. Solange ich außerdem Lokalmeldungen und leichte Kost schreiben soll, wo bietet sich mir da die Chance, noch so ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern?«
Catherine stutzte. »Glaubst du wirklich, es lag allein an mir, dass wir SmartPay aufgedeckt haben? Wir hatten doch beide unabhängig voneinander den Eindruck, dass bei deren Geschäftseröffnung etwas nicht mit rechten Dingen zuging.«
»Schon, aber alles weitere haben wir gemeinsam herausgearbeitet. Seitdem hatte ich keinen großen Exklusivbericht mehr und frage mich, ob ich meinen Karrierehöhepunkt schon hinter mir habe. War das schon alles? Was, wenn es von jetzt an nur noch bergab geht? Vielleicht bin ich deshalb ein bisschen neben der Spur.«
Catherine verkniff sich ein Schmunzeln. »Du bist noch nicht einmal fünfunddreißig und glaubst, du hättest deinen Zenit überschritten?«
Lauren zuckte unglücklich mit den Schultern.
»Hm. Nun gut, lass uns mal Revue passieren: Zusammen haben wir letztes Jahr eine landesweite Auszeichnung für unsere Exklusivstory erhalten und dann habe ich – so schlau, wie ich bin – den Kopf verloren und uns in meiner Dankesrede vor der ganzen Welt geoutet. Und dann habe ich den ganzen Saal – ein Rätsel, wenn man bedenkt, wie sehr ich praktisch jeden in D.C. verabscheue – zu unserer Hochzeit eingeladen. Nach Iowa.«
Lauren atmete tief auf. »In der Tat.« Sie biss sich auf die Lippe. »Das kam etwas unerwartet. Besonders für Präsident Taylor.«
»Weißt du, er hat mir später erzählt, dass er beinahe Ja gesagt hätte, nur um die Konservativen in seiner Partei zu ärgern.« Catherine war immer noch beeindruckt von dem teuflischen Glänzen, das er in seinen Augen gehabt hatte.
Lauren starrte bedauernd auf ihre Pizza. »Bitte sag mir nicht, dass das Pressekorps des Weißen Hauses unsere Hochzeit überfallen wird. Du weißt doch, wie Reporter sind, wenn es Essen und Getränke umsonst gibt.«
»Ist es das, was dich stresst? Lauren, die führenden Medienvertreter unserer Nation würden eher Bleichmittel trinken, als sich freiwillig in den Mittleren Westen zu begeben.«
»Du willst mich doch nur aufmuntern.« Laurens Versuch, Humor zu zeigen, mündete in ein schwaches Lächeln. »Hey, tut mir leid, dass meine Ängste auf dich übergesprungen sind.«
»Genau wie gleich deine Pizza.«
Das Stück, das Lauren beiseitegelegt hatte, war dabei, vom Tisch zu rutschen. Schnell griff sie danach und fing es mitten im Fallen in der Luft auf.
»Auf deine Softballer-Reflexe ist Verlass, wenn es darum geht, eine Pizza zu retten.«
»Wenigstens das«, sagte Lauren ernsthaft.
Catherine lachte. »Nun denn, obwohl ich deine sportlichen Fähigkeiten gern noch länger bewundern würde, muss ich Senator Hickorys seltsamen Hang zu furchtbaren Ideen in eine Meldung verwandeln.«
»Kein Ding.« Lauren begann, die Reste einzupacken.
»Und ich muss das irgendwie schaffen, ohne auf Schöne neue Welt-Zitate über die Zerstörung der Menschheit, wie wir sie kennen, zurückzugreifen. Aus irgendeinem Grund schätzt mein Redakteur meine Ausführungen zum Untergang der Gesellschaft nicht annähernd so sehr wie ich. Er findet, dass es herunterzieht.«
»Schockierend. Ich bin dennoch auf Neils Seite.«
Catherine atmete hörbar ein und aus. »Trotzdem ist es wichtig. Das ist ein Eingriff in unsere körperliche Unversehrtheit. Ich verstehe nicht, warum keiner an die Auswirkungen denkt.« Sie machte eine Pause. »Was wirst du mit dem Rest deines Tages anfangen?«
»Ich mache eine Hintergrundrecherche zu Lieferrobotern überall auf der Welt für eine Randnotiz. Du solltest mal sehen, was für abgefahrene Sachen es in Japan gibt.«
»Faszinierend.«
»Nun, du Schlaumeierin, für meine Leser wird es das sein. Unterschätze nie das Interesse der Menschen an neuen, bequemen Wegen der Versorgung.«
»Ich glaube gern, dass es das gibt. Und in diesem Sinne habe ich die heutige Essenslieferung sehr genossen.«
»Dann ist es ja gut.« Lauren beugte sich vor und gab ihr einen schnellen Kuss. »Wir sehen uns heute Abend zu Hause. Oh, und das Beste ist, ich werde kochen.« Sie schwenkte die Tüte mit den Resten. »Und mit Kochen meine ich Aufwärmen.« Sie schenkte Catherine ein umwerfendes Lächeln, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und war fort.
Catherine atmete tief ein. Sie hatte sich noch immer nicht an all die Liebe gewöhnt, die ihr entgegengebracht wurde. Unglaublich, wie viel sich in so kurzer Zeit verändert hatte.
Mit einem letzten Blick in Richtung Lauren stand Catherine auf und ging in die entgegengesetzte Richtung. Sie musste zurück ins Büro. Sie hatte noch eine Geschichte über einen Idioten aus Iowa zu schreiben. Und die würde ihm ganz bestimmt nicht gefallen.
Kapitel 2
Böse Zwillinge
Zwei Tage später. Lauren beendete das Telefonat und ließ ihren Stift auf den Notizblock fallen. Sie warf einen Blick auf ihren Kalender mit den Terminen. Verdammt, immer noch Donnerstag! Nur noch ein Tag und sie hatten offiziell Urlaub. Etwas mehr als eine Woche Iowa. Lauren seufzte. Ihre üblichen Unsicherheiten kamen hoch und drehten eine Runde durch ihr Gehirn.
Auf der Suche nach Ablenkung starrte sie den mürrischen Bären von einem Mann an, der am Schreibtisch ihr gegenüber arbeitete. Bob Grimes steckte in einem alten braunen Anzug und sein Getippe war wie üblich ein Gewitter mit zwei Fingern. Über die trennende Milchglasscheibe hinweg konnte sie nur seine Stirn und seine buschigen Augenbrauen sehen.
»Ist es schon durch?«, fragte sie. »Ist das Urteil im Fall Charlton schon gefällt worden?«
Er antwortete nicht sofort, also sah sie zu den einundzwanzig Monitoren hinüber, die die Wände des Nachrichtenzentrums im Ostturm des One Franklin Square zierten. Sie hielt inne, als sie ihren Bericht über die Entführung des Lebensmittelroboters entdeckte. Die Liveanalyse zeigte an, dass der Artikel nach wie vor stark im Trend lag.
Sie freute sich jedes Mal, wenn sie sah, dass er gut lief. Trotzdem war sich Lauren ziemlich sicher, dass die witzigen Fotos der Schaulustigen viel mehr mit dem viralen Erfolg zu tun hatten als ihre Berichterstattung. Vor allem die Frau im orangefarbenen Oberteil, die sie für die Witzigste hielt.
Ihr Lächeln schwand. Catherine hatte nicht ganz unrecht. Diese Nachrichten waren kaum der Rede wert und nicht gerade das, wovon sie immer geträumt hatte, nämlich aus dem Weißen Haus zu berichten.
Bob Grimes grummelte eine verspätete Bestätigung auf ihre Frage.
Lauren sah ihn an. Er war nicht der gesprächigste Kollege, obwohl er nicht sehr viel schlimmer als die anderen war.
Die Wahrheit, die Catherine nicht kannte, bestand darin, dass Lauren durch ihr Outing viel Respekt eingebüßt hatte. Catherine war so froh darüber gewesen, dass sie es geschafft hatte, die Angst vor der Enthüllung ihrer Beziehung zu überwinden, dass Lauren es nicht übers Herz brachte, ihr von der Kehrseite zu berichten.
Als Lauren am Tag nach der Preisverleihung zur Arbeit gekommen war, hatte sie eine deutlich kühlere Atmosphäre in der Redaktion vorgefunden. Nicht, weil ihre Kollegen homophob waren – weit gefehlt –, aber sie sahen Lauren mit neuen Augen an. Und was sie sahen, war jemand mit einem begrenzten journalistischen Hintergrund, dessen unmittelbare Berichterstattung sich um die Partyszene in L.A. drehte. Beim Vergleich mit Catherines beeindruckenden Lebenslauf, der zwei Jahrzehnte umfasste, hatten sie trotz des kurzen Rückschlags, den es gegeben hatte, gewisse Rückschlüsse gezogen. Sie gingen eindeutig davon aus, dass Catherine die Lorbeeren für ihre Sensationsmeldung mit Lauren geteilt hatte, weil sie miteinander schliefen.
Ein Fotograf hatte sie am Tag nach ihrem Outing sogar mit dem Ellbogen angestoßen, ihr zugezwinkert und gesagt: »Es geht nicht darum, was man weiß, sondern wen man kennt, hab ich recht?«
Die Tatsache, dass sie seit ihrem Antritt bei der Washington Post keine großen Schlagzeilen mehr gemacht hatte, bestärkte Kollegen wie Grimes darin, dass ihre Vermutungen richtig waren. Lauren warf abermals einen Blick auf den Analysemonitor. Berichte über gestohlene Essensroboter, egal, wie viral oder lustig sie waren, würden deren Meinung auch nicht ändern. Lauren musste sich immer noch beweisen.
Eine vertraute Niedergeschlagenheit, die in letzter Zeit zugenommen hatte, legte sich über sie. Es ging nicht nur um die Arbeit. Auch nicht um die Reise nach Iowa nächste Woche. Es ging um alles.
Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und dachte zurück an das Telefonat, das sie gerade beendet hatte, um einen Hochzeitsplaner zu finden. Die Zeit wurde knapp. Sie hatten nur zehn Tage in Iowa, um den Veranstaltungsort zu buchen, das Catering zu organisieren und sich um die Hochzeitskleider zu kümmern, also war es besser, einen Profi zu beauftragen. Aber schon allein die Auftragsvergabe an den Planer gab ihr das Gefühl, dass das alles sehr dringlich war.
Ihr Bürotelefon klingelte. Eine interne Nummer.
»King.«
»Hier ist der Sicherheitsdienst am Empfang. Eine Fiona Fisher möchte Sie sprechen. Sie scheint … aufgewühlt zu sein.«
»Ach ja?«
»Es geht wohl um einen Artikel, den Sie geschrieben haben.«
Lauren verzog das Gesicht. »Ich bin gleich unten.«
Sie legte auf, griff sich ihr Notizbuch und nahm den Fahrstuhl runter ins Foyer. Sie trat durch die gläsernen Sicherheitsschranken und schaute sich um. Eine große schwarze Frau ging im vorderen Bereich auf und ab. Sie war Mitte vierzig, hatte durchdringende braune Augen und kam ihr irgendwie bekannt vor.
Oje, die Frau mit dem orangefarbenen Oberteil!
Der Wachmann räusperte sich und wies in Laurens Richtung. Die Fremde drehte ihren Kopf hastig um und begegnete Laurens Blick mit wütender Miene.
Oh-oh!
»Sind Sie King? Lauren King?«
»Ja.« Lauren deutete zu einer Sitzecke.
»Fiona Fisher. Sie haben mich in die Zeitung gebracht.« Sie bleckte die Zähne, während sie sich auf die Couch fallen ließ.
»Die Geschichte mit dem verschwundenen Lieferroboter.« Lauren nickte und setzte sich neben sie. »Sie waren eine der Personen, die mit ihm interagiert hatten, als er vorbeifuhr.«
»Von wegen! Ich bin nur näher zu ihm gegangen, um einen Blick drauf zu werfen, und ehe ich es mich versehe, erscheint mein Bild in Ihrer Zeitung. Die Leute denken, ich hätte das verdammte Ding gestohlen.«
Lauren runzelte die Stirn. Sie hatte sich sehr genau vergewissert, dass es nicht so formuliert war. Die Anwälte der Post hatten das bestätigt. »Tut mir leid«, sagte sie, »aber das habe ich nie behauptet. Ich habe erwähnt, dass Dutzende von Menschen stehen geblieben sind und sich auf lustige Art und Weise mit ihm beschäftigt haben, bevor er verschwunden ist. Wir haben Fotos von zehn Personen eingebunden, nicht nur von Ihnen, und bei keinem dieser Fotos haben wir behauptet, dass die Leute etwas mit dem Diebstahl zu tun hatten.«
»Unsinn! Sie haben mich schlicht und ergreifend eine Diebin genannt.«
»Nein, Ma’am, tut mir leid, dass Sie das so sehen, aber das habe ich wirklich nicht.«
»Wie erklären Sie sich dann das hier?« Fiona zückte ein Handy und startete eine App mit den Initialen »MET« über der Abbildung einer Sturmhaube. »Freunde meiner Tochter haben in der Schule mit diesem blöden Ding gespielt. Es heißt My Evil Twin.«
»Okay.« Lauren hatte noch nie davon gehört. »Was macht man damit?«
»Man fügt ein Foto ein und die App sucht den Verbrecher heraus, dem diese Person am ähnlichsten sieht. Es sucht quasi den bösen Zwilling. Und jetzt sehen Sie sich an, mit wem mein Bild zusammengebracht wurde.« Fiona hielt ihr das Telefon mit einem leisen Knurren hin.
Lauren betrachtete es. Neben Fionas Foto war das eines Teenagers zu sehen. Nur dass Fionas Bild mit Gitterstäben überzogen war und auf ihrer Stirn die Worte »Evil Twin« und darunter »Tatverdächtig wegen Diebstahls« standen. Lauren runzelte die Stirn. »Aber was hat das mit …« Da bemerkte sie plötzlich das orangefarbene Oberteil auf dem Foto. Es war das Foto, das die Kamera des Roboters aufgenommen hatte. Dasselbe Foto, das ihre Zeitung veröffentlicht hatte.
»Sehen Sie das? Und nun sagen Sie mir, warum Sie mein Foto an diese App-Leute geben, die Lügen über mich verbreiten? Ich bin keine Kriminelle. Das Schlimmste, was ich je getan habe, war, einen Strafzettel zu bekommen. Aber jetzt ist mein Mädchen zum Gespött geworden und ich auch.«
Lauren schüttelte den Kopf. »Es tut mir wirklich leid, dass das passiert ist, Ms Fisher, aber es hat nichts mit mir oder meiner Zeitung zu tun. Antonios Pizzeria hat der Polizei Kopien dieser Fotos gegeben. Es ist bloß eine Vermutung, aber für mich sieht es so aus, als hätte die Polizei die Zeugenfotos in ihre Datenbank hochgeladen, wahrscheinlich auf der Suche nach einer Übereinstimmung mit Verbrechern, und irgendwie hat diese Böse-Zwillings-App Ihr Foto dabei gefunden.«
Fiona Fisher funkelte sie böse an und richtete sich dann zu ihrer vollen Größe auf, sodass sie Lauren überragte. »Das hört sich für mich wie gequirlte Kinderkacke an. Wie kommt so eine blöde kostenlose App in eine Polizeidatenbank?«
Das war tatsächlich eine wirklich gute Frage. Lauren dachte angestrengt nach. »Ich weiß es nicht. Ich denke, Sie haben recht, das muss man untersuchen. Ich werde mein Bestes tun, um der Sache auf den Grund zu gehen. Könnten Sie mir Ihre Kontaktdaten geben?« Sie hielt ihr Notizblock und Stift hin. »Ich lasse Sie wissen, was ich herausfinde, in Ordnung?«
»Ich hoffe, das ist jetzt keine billige Abfuhr, denn ich bin wütend genug, um zu klagen.« Sie griff nach den Schreibutensilien und begann etwas zu notieren. »Jemanden richtig zu verklagen.«
»Ich kann das verstehen. Ich wäre auch stinkwütend.«
Die Frau schob Lauren den Notizblock zu, drehte sich um und ging schnell aus dem Foyer, wobei sie vor sich hin schimpfte: »Das ist verdammt noch mal nicht richtig.«
Nein, das war es wirklich nicht.
Lauren spürte, wie eine vertraute Empfindung über ihre Haut kroch. Sie ähnelte jenem Gefühl, das sie vor zwei Jahren bei einer Einführungsparty gehabt hatte, als tatsächlich irgendetwas nicht zu stimmen schien. Unter ihre Neugierde mischte sich Aufregung. Wenn ihre Vermutung einmal richtig gewesen war …
~ ~ ~
Nachem Lauren in den siebten Stock zurückgekehrt war, setzte sie sich an ihren Schreibtisch und gab My Evil Twin in eine Suchmaschine ein. Autsch! 527.000 Ergebnisse.
»Okay.« Lauren krempelte ihre Ärmel hoch, ließ ihre Schultern kreisen und machte sich an die Arbeit.
Sie wandte sich zunächst an ihr halbes Dutzend Kontaktpersonen im städtischen Polizeidezernat. Die schienen verblüfft zu sein und bestätigten alle, dass die Fotos lediglich in ihre interne Datenbank, aber an niemanden außerhalb gegeben worden waren. Es hatte auch keine Sicherheitsverstöße, keine Hackerangriffe gegeben. Lauren kannte diese Beamten gut. Sie waren geradeheraus und sie vertraute ihnen.
Sie rief Antonio an. Der bestritt, seine Fotos noch an andere Stellen weitergegeben zu haben, nur an sie und die Polizei. Dann bot er ihr gut gelaunt einen lebenslangen Pizzarabatt an, wenn sie den Entführer seines Roboters finden würde.
Als Nächstes führte sie eine Reihe von Firmenrecherchen durch. My Evil Twin war alles andere als zwielichtig, sondern gehörte zu Lesser Security, einem ganz normalen Washingtoner Unternehmen. Es hatte eine Reihe seriöser Schutz- und Sicherheitsprogramme im Programm und schien kaum die Art von Unternehmen zu sein, das eine solch niveaulose App anbot.
Sie installierte My Evil Twin auf ihrem Handy und schickte die zehn Fotos ihres Artikels per E-Mail an ihr Gerät. Das war der einfachste Weg, um herauszufinden, ob alle Personen in der Verbrecherdatenbank der App waren oder nur Fiona. Sie nahm an, dass das Programm einfach jede Person mit sich selbst abgleichen würde, und lud nacheinander die Bilder der Zeugen des Roboters hoch. Einer nach dem anderen wurde mit anderen »bösen« Menschen gepaart, aber nicht mit sich selbst.
Zum Schluss fügte sie Fionas Aufnahme ein und tatsächlich wurde diese mit ihrem eigenen Foto abgeglichen. Lauren untersuchte das Bild von Fiona hinter gezeichneten Gitterstäben und dem Stempel »Tatverdächtig wegen Diebstahls« darunter genauer. Was unterschied Fiona von den anderen, die die Kamera eingefangen hatte? Alle zehn hatten an jenem Tag dasselbe erlebt und Antonio hatte die Fotos von allen an die Polizei übergeben. Aber nur Fiona war jetzt in My Evil Twin.
Zwei Stunden später. Lauren hatte beschlossen, direkt bei Lesser Security nachzufragen. Der Geschäftsführer des Unternehmens hatte aus irgendeinem Grund ihren Anruf selbst entgegengenommen und spontan einem Gespräch zugestimmt, aber darauf bestanden, dass es persönlich stattfinden sollte. Wie ungewöhnlich!
Während Lauren kurze Zeit später im Foyer darauf wartete, in sein Büro gerufen zu werden, stöberte sie auf ihrem Handy weiter durch die Unternehmenswebseite. Bei den anderen angebotenen Apps handelte es sich größtenteils um Nullachtfünfzehn-Anwendungen wie einem Personalverwaltungsprogramm mit Trackingfunktion für Security-Unternehmen. Eine andere verfolgte »problematische« Kunden in Echtzeit und markierte sie, damit ein Ladenbesitzer oder das Sicherheitspersonal eines Einkaufszentrums sie vor Ort im Auge behalten konnte. Sie fragte sich, wie die App entschied, wer ein Problem war und wer nicht.
Sie setzte diesen Punkt ebenfalls auf die immer länger werdende Liste von Fragen, die sie dem Gründer und Geschäftsführer von Lesser Security stellen wollte.
~ ~ ~
Douglas Lesser war schlank, groß und blass und hatte ein Lächeln, das auf herablassende Art gerade noch höflich war. Er wirkte keineswegs wie jemand, von dem man erwartete, dass er mit Sicherheitssoftware handelte, fand Lauren, als sie ihn über seinen riesigen Schreibtisch hinweg ansah.
Es überraschte sie, dass sein Büro in bester Immobilienlage aufwändig in dunklem Holz eingerichtet war. War Sicherheit wirklich so profitabel?
Lauren zeigte ihm das Foto von Fiona Fisher auf ihrem Handy. »Wie ich bereits in unserem Telefonat erklärt habe, frage ich mich, wie diese Frau in Ihrer Datenbank von My Evil Twin landen konnte. Sie hat keine kriminelle Vergangenheit. Die Polizei hat mir versichert, dass es keinen Grund zur Annahme gibt, dass sie diejenige ist, die den Roboter gestohlen hat, von dem dieses Foto gemacht wurde.«
»Tut mir leid«, sagte Lesser, »aber ich spreche nicht über vertrauliche Informationen.«
Lauren biss fest die Zähne zusammen. Er hatte sie herbestellt, um sie mit Kein Kommentar abzuspeisen? »Ihre App ist kostenlos. Sie werden wohl kaum finanzielle Einbußen haben, wenn Sie mir antworten.«
»Die Sicherstellung der Vertraulichkeit ist unser Wettbewerbsvorsprung.«
»Welcher Wettbewerb? Es gibt keine anderen Apps, um Fotos mit denen von Verbrechern abzugleichen.«
Ein weiteres, fast schon spöttisches Lächeln war seine Antwort.
»Okay, können Sie mir wenigstens verraten, ob die Datenbankinformationen vom Washingtoner Polizeidezernat stammen?«
»Das tun sie nicht.«
Lauren richtete sich auf ihrem Stuhl auf. »Wenn sie nicht von der örtlichen Polizei stammen und diese die Einzige ist, die neben mir eine Kopie des Fotos besitzt, wie erklären Sie sich die Sache dann?« Sie deutete auf das Foto von Fiona.
»Alle meine Daten sind legal erworben, Ms King. Das ist alles, was Sie wissen müssen.«
»Fiona könnte Sie verklagen. Sie haben sie in einer der beliebtesten Apps Amerikas als Verdächtige gebrandmarkt.«
»Wer, sie?« Er schaute auf das Foto und betrachtete eingehend Fionas auffallendes Outfit. »Das wird sie nicht.«
»Sie klingen so sicher.«
»Ich bin mir sicher.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Sie trägt ein Walmart-Top für zehn Dollar und Plastikohrringe für drei Dollar. Außerdem ist sie nicht glaubwürdig.«
»Wie können Sie das sagen?«
»Sie ist zu dumm dazu. Das Foto zeigt eindeutig, dass sie nicht einmal versteht, was eine autonome Liefereinheit ist.«
»Ach, kommen Sie! Diese Roboter sind brandneu. So etwas sieht man nicht jeden Tag. Im Grunde spricht das für ihre Neugierde, nicht dafür, dass sie dumm ist.«
Er lachte. »Ich kenne die Menschen. Ich studiere sie. Sie wird nicht klagen. Nächste Frage.«
Du bist so selbstgefällig. Sie sah sich in seinem Büro um und dachte angestrengt nach. »Warum gibt es hier so viele Dinge mit einer Zwölf drauf?«
Zum ersten Mal schien er überrascht. »Normalerweise merkt das niemand. Zwölf ist meine Lieblingszahl. Übrigens kommen Sie mir bekannt vor. Ich kann mir Gesichter gut merken. Sehen Sie sich meine Apps an. Da geht es nur um Gesichter, nicht wahr?«
Es klang unheimlich, wie er das sagte. Lauren wurde noch etwas unruhiger. »Warum haben Sie Ihren Firmensitz in D.C. und nicht, sagen wir, im Silicon Valley?«
»Hier sitzt die wahre Macht. Nein, im Ernst, woher kenne ich Sie?« Er kniff die Augen zusammen.
Lauren ignorierte die Frage, wohl wissend, dass sie ihn noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. »Was hat es mit der App zu den problematischen Kunden auf sich? Wie kann man feststellen, wer eine Bedrohung ist und wer nicht?«
»Alle Kunden sind mögliche Bedrohungen. Es spielt keine Rolle, wie unschuldig sie aussehen.« Er beugte sich nach vorne und legte seine Hände flach auf den Schreibtisch. »Aber ich habe einen genialen Algorithmus geschrieben, der viele Faktoren berücksichtigt. Doch auch das sind vertrauliche Informationen.«
»Ein Algorithmus.« Sie lachte ungläubig. »Die App rät also nur …«
»Es handelt sich um wohlbegründete Verdachtsmomente.«
»Ich bin mir sicher, dass die glücklichen Kunden, die vom Sicherheitspersonal überwacht werden, das verstehen werden. ›Seien Sie nicht beleidigt, Ma’am, ich beobachte Sie nur wegen des Algorithmus.‹«
Er zuckte mit den Achseln, aber es war zu routiniert, um lässig zu wirken. »Vereinfacht gesagt, ist meine Software nicht auf menschliche Empfindsamkeiten ausgelegt. Wenn es ein potenzielles Problem gibt, weist sie darauf hin, egal, wie unangenehm diese Wahrheit für manche sein mag. Nicht mehr und nicht weniger. Sagen Sie mir, Ms King, sind Sie wirklich wegen meiner cleveren kleinen Algorithmen gekommen? Ist es das, was Sie interessiert?«
Sie sah sich in seinem Büro um, um seinem intensiven Blick auszuweichen. An den Wänden hingen Fotos, die ihn mit verschiedenen Politikern zeigten – keiner davon an der Spitze der Nahrungskette –, und ein gerahmtes Foto einer Bulldogge. Einige Papiere auf seinem Schreibtisch trugen sonderbare Symbole, die ihr jedoch bedeutungslos vorkamen.
»Ihr Schweigen lässt darauf schließen, dass Ihnen die Fragen ausgegangen sind.« In Lessers Stimme lag nur noch ein Minimum an Höflichkeit. »Gibt es sonst noch etwas?«
Lauren schüttelte den Kopf und stand auf. »Danke für Ihre Zeit, Mr Lesser.« Sie reichte ihm die Hand. Als sie ihm in die Augen sah, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Jetzt war es ein Wiedererkennen.
Seine Augen funkelten, während er ihre Hand festhielt. »Viel Spaß in Iowa.«
Sie erstarrte. »Was soll das?«
»Dies ist Washington, Ms King.« Lesser lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich habe Ihnen schon gesagt: Gesichter sind meine Stärke.«
Er lachte, als sie schnell aus seinem Büro ging. Sein Grinsen ging ihr nicht aus dem Kopf, als sie sich ein Taxi nahm und zurück ins Büro fuhr.
Das Telefon auf Ihrem Schreibtisch begann zu klingeln, gerade als sie sich auf ihrem Stuhl niedergelassen hatte. Ihre Nerven waren völlig überreizt. »Washington Post, Hauptstadtredaktion, Lauren King am Apparat.«
»Hmm, wie ich deine professionelle Stimme liebe. Darum rufe ich auch so häufig auf deinem Bürotelefon an.«
Ihr wurde auf die angenehmste Weise warm. »Catherine«, hauchte sie.
»Wie ist es gelaufen?«
Lauren blinzelte verwirrt. Wie war was gelaufen?
»Übernimmt Mrs Potts nun unsere Hochzeitsplanung?«, fuhr Catherine fort, weil Lauren nicht antwortete. »Oder müssen wir die temperamentvollen und eigensinnigen Dienste deiner Großmutter in Anspruch nehmen?«
Bei dieser beängstigenden Vorstellung schrak Lauren zusammen und erklärte schnell: »Mrs Potts sagt, sie kann’s machen. Sie wird am Montag um neun bei meinem Vater vorbeikommen.«
»Gleich als Erstes? Gut, gut.«
»Mhm.« Lauren spielte mit ihrem Smartphone herum und starrte wieder auf das Bild von Fiona. Sie versuchte, das Geheimnis, das vor ihr lag, zu knacken.
»Stör ich dich? Du klingst abgelenkt.«
»Ich hatte gerade ein sehr schräges Treffen mit dem Boss eines App-Anbieters. Der war verdammt unheimlich. Als ich gehen wollte, sagte er: ›Viel Spaß in Iowa‹, dabei hatte ich Iowa nicht einmal erwähnt.«
Catherine blieb einen Augenblick lang stumm, dann sagte sie knapp: »Tut mir leid.«
»Was genau?«
»Dass ich uns so unvermittelt geoutet habe. Ich hätte besser nachdenken sollen. Indem ich alle nach Iowa eingeladen habe, habe ich die ganze Welt wissen lassen, woher du kommst. Ich habe dir deine Privatsphäre genommen. Und dann ging auch noch das Video von meinem Heiratsantrag viral, sodass uns jetzt völlig fremde Menschen erkennen.« Catherines missbilligender Tonfall hätte etwas Erheiterndes gehabt, wäre Lauren nicht so verunsichert gewesen.
»Ja, aber er sagte: ›Viel Spaß in Iowa‹, als ob er wüsste, dass ich nächste Woche wieder dort bin.«
»Das war nur ein Versuchsballon, Lauren, er wollte eine Reaktion von dir bekommen. Die Chancen stehen gut, dass du früher oder später nach Hause fahren wirst, denn in drei Monaten findet dort unsere Hochzeit statt. Außerdem weiß in D.C. jeder über jeden Bescheid.«
»Kann gut sein.« Laurens Anspannung löste sich ein wenig. »Vermutlich hast du recht. Dennoch sollte man meinen, die Leute hätten etwas Besseres zu tun, als über uns zu reden.«
»Oh, ganz bestimmt. Versuch, dich zu entspannen. Bis morgen wirst du ihn vergessen haben.«
»Wahrscheinlich. Er war einfach echt nervig.«
»Klingt ganz danach. In der Zwischenzeit habe ich Nachforschungen über Iowa angestellt. Es ist ehrlich gesagt erschreckend, was ich da alles finde.«
»Geht es um Hickory? Gott, was hat er denn jetzt wieder vor?«
»Nein, es geht um mich. Ich dachte, ich sollte zumindest eine ungefähre Vorstellung von der Landeskultur haben, bevor ich dort ankomme. Wusstest du, dass es dort Wettkämpfe mit Mähdreschern gibt?« Catherines Stimme wurde ganz schrill vor lauter Ungläubigkeit. »Da fahren sie zum Spaß mit Mähdreschern gegeneinander. Was werden die sich als Nächstes ausdenken?«
»Du bist bezaubernd.«
»Pah. Das sagst du jetzt doch nur so.«
Lauren lachte und warf einen Blick auf ihre Uhr. »Du, ich muss weitermachen und die Verbrechen in Kurzform abgeben.«
»Also dann bis heute Abend«, verabschiedete sich Catherine. »Dann werde ich dir den Rest meiner beunruhigenden Erkenntnisse präsentieren.«
»Ich kann’s kaum erwarten.«
Kapitel 3
Gepäckabfertigung
Einen Abend später. Catherine ließ ihr Buch sinken, als die Eingangstür zu ihrer Wohnung aufging und mit einem lauten Rums wieder ins Schloss fiel. Etwas von der Größe eines Rucksacks knallte auf den Boden, gefolgt von zwei kleineren Dingen, die nach Stiefeln klangen.
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Fast zehn.
Ein Gewirr aus braunem Haar, halb abgestreifter Bluse und geröteter Haut, das ihre Verlobte sein musste, sauste an ihr vorbei.
Sie zog eine Augenbraue hoch. So langsam wurde es interessant.
»Oh, hey!« Lauren kam zurück ins Blickfeld gehüpft. Ein Bein steckte noch in der Jeans.
Catherine betrachtete sie amüsiert. »Hallo.«
Schon taumelte Lauren zurück in Richtung Badezimmer, dann war nur noch ein Knall, ein »Hoppla« und schließlich ein weiterer dumpfer Aufprall zu hören.
Catherine fragte nicht nach. Duschen konnte bei Lauren eine laute und turbulente Angelegenheit sein, wenn sie so spät und erledigt nach Hause kam. Sie dachte darüber nach, zu ihrer Lektüre zurückzukehren, aber Senator Hickorys superseichte Weltanschauungen vermochten sie nicht zu fesseln.
Ein Kopf schaute um die Ecke. »Bin ich zu spät?« Lauren zerrte das Haargummi aus ihrem Pferdeschwanz. »Hab ich das Abendessen verpasst?« Ihr Tonfall klang bereits bedauernd, doch ihr Blick war hoffnungsvoll.
»Das hängt davon ab, wie du ›verpasst‹ definierst.« Catherine schob ein Lesezeichen zwischen die Seiten und legte das Buch auf ihren Nachttisch. »Ich hab dir etwas übrig gelassen. Es steht im Ofen.«
»Oh!« Lauren strahlte. »Danke! Ich würde dich ja küssen, aber ich rieche noch nach dem Fabrikbrand heute. Meine Haare stinken nach Rauch und irgendetwas anderem Seltsamem. Ich glaube, mein Notizbuch gehört jetzt in einen dieser Bunker für Atommüll.«
»Unbedingt«, entgegnete Catherine mit einem Wink, »geh dich dekontaminieren. Aber wehe meine Handtücher leuchten hinterher!«
Lauren lachte und verschwand. Es gab einen weiteren lauten Rums, als Lauren dank der Socken an ihren Füßen über die glatten Fliesen gegen den Badezimmerschrank rutschte. Das Geräusch wurde von einem kläglichen »Mist! Tschuldigung!« begleitet.
Catherine nahm das Buch wieder zur Hand. Sie warf einen Blick auf die nächste Seite und legte es mit einem Seufzer erneut beiseite. Glaubte Hickory wirklich, es interessierte die Leute, dass seine Frau die besten Gurken der Gegend anbaute? Der Senator, der so viel von Gemüse schwärmte, wollte für Catherine irgendwie nicht mit dem Mann zusammenpassen, der sich in vorderster Front für die Einführung einer revolutionären neuen Technologie einsetzte. Als wären das zwei verschiedene Personen.
Es juckte ihr in den Fingern, ihn danach zu fragen, aber ihre Kolumne über sein Mikrochipprogramm für Veteranen war bereits veröffentlicht und spätestens jetzt stand sie wieder auf Hickorys schwarzer Liste.
Die Dusche nebenan wurde abgestellt und wenige Augenblicke später stolperte Lauren eingehüllt in einen weißen Bademantel ins Schlafzimmer. Sie rubbelte sich mit einem Handtuch heftig die Haare trocken, warf es dann über die Lehne eines Stuhls und sackte tief seufzend aufs Bett.
Beim Anblick von Laurens wilder Mähne und ihren erschöpften blauen Augen streckte Catherine ihre Hand aus, strich ihr eine verirrte Strähne aus den Augen und lächelte. Selbst wenn Lauren zu müde war, um geradeaus gucken zu können, sah sie hinreißend aus. Nun ja, hinreißend zerzaust. »War ein langer Tag heute. Fühlst du dich jetzt besser?«
»Ich glaube schon. Zumindest habe ich den toten Punkt überwunden. Was immer du in der Küche gezaubert hast, es riecht fantastisch.«
»Es gibt gebratenen Thunfisch mit Jakobsmuscheln in einer Reduktion aus Limettenbutter, Pak Choy und gelben Paprika, dazu einen Maissalat mit Kurkuma-Dressing und natürlich Basmati-Risotto.«
»Natürlich.« Lauren stieß ein müdes Lachen aus.
»Nur etwas, das ich schnell zusammengeworfen habe. Ich habe den Fisch und die Jakobsmuscheln aufgesetzt, als du mir geschrieben hast, du wärst auf dem Weg. Es gibt nichts Schlimmeres als zu lang gebratenen Fisch.«
»Nichts.« Lauren schmunzelte. »Mein Gott, ich lebe mit jemandem zusammen, der Thunfisch im Sesammantel zubereitet.« Sie setzte sich auf und kramte unter ihrem Kopfkissen eine Pyjamahose sowie ein Tanktop hervor. Schnell streifte sie den Bademantel ab, um sich anzuziehen. Sie rollte sich zu Catherine und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Du verwöhnst mich.«
Catherine zuckte mit den Schultern, doch die Reaktion ihrer Liebsten ließ ihr ganz warm ums Herz werden. Sie hatte schon immer gern für sich allein gekocht, aber wenn man jemanden hatte, den man verwöhnen konnte, war es sehr viel befriedigender. Selbst als Catherine vor einer ganzen Weile bereits ihre Portion allein gegessen hatte, hatte sie nur daran gedacht, was Lauren wohl von dem Gericht halten würde. Natürlich ging sie davon aus, dass ein Mädchen aus Iowa den Salat zu schätzen wusste. Immerhin war Mais drin.
Lauren küsste Catherine erneut, diesmal auf den Mund, und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich liebe dich.«
Das ließ Catherines Herz schneller schlagen. »Hm, da spricht wohl dein Magen.«
Lauren nickte und wälzte sich vom Bett. »O ja, der auch.« Sie verschwand in Richtung Küche.
Catherine lächelte, stand auf und folgte ihr.
Gähnend kramte Lauren nach Besteck. Catherine nahm das aufgewärmte Essen aus dem Ofen und stellte es auf den quadratischen Holztisch. Nachdem sie sich ein Glas Wein eingeschenkt hatte, setzte sie sich zu Lauren.
»Gott sei Dank sind wir nächste Woche im Urlaub«, sagte Lauren und stürzte sich mit Begeisterung auf das Essen. »Ich weiß, ich weiß. Wir müssen heute Abend noch packen und die Nachbarn bitten, nach der Post zu sehen, und bla bla bla, aber ich kann es kaum erwarten, mir endlich eine Auszeit zu gönnen. Entspannen. Die Seele baumeln lassen und die frische Luft zu Hause einatmen.« Sie hielt inne und kaute langsamer. »Wow, das ist fantastisch! Du solltest das Rezept aufschreiben. Zum Teufel, mach Geld damit!«
Zufrieden nippte Catherine an ihrem Wein und ließ das Gespräch zu leichteren Themen übergehen, während Lauren den Rest ihres Festmahls mit verzücktem Gemurmel beendete.
»Also«, setzte Catherine schließlich an, als Lauren den Teller von sich schob, »können wir nun darüber reden, warum du immer noch sofort das Thema wechselst, sobald Iowa zur Sprache kommt?«
Die Geschwindigkeit, mit der Lauren ihr Glas Wein hinunterstürzte, war eindeutig eine Beleidigung für den Jahrgang. Sie nahm das leere Glas und den Teller und ging hinüber zur Spüle. »Das tue ich doch gar nicht. Hey, habe ich schon erwähnt, wie viel wir noch machen müssen? Die Planung? Das Packen? Ich hasse es zu packen. Dieses Gen scheint mir echt zu fehlen.«
Das Rauschen des Wassers und das Klappern des Geschirrs erfüllten den Raum, als sie bis zu den Ellbogen im Schaum steckend abspülte. Ruckzuck war Lauren fertig, grinste breit und stürmte aus der Küche.
Catherine sah ihr mit einem leichten Stirnrunzeln hinterher.
~ ~ ~
Lauren warf ungestüm ihre Sachen in ihre Reisetasche und war froh, sich auf etwas konzentrieren zu können. Na ja, auf etwas anderes konzentrieren zu können. Sie stopfte Unterwäsche, Socken und Jeans hinein und quetschte ein paar Shirts wie mit einem Presslufthammer in die Ecken.
»Was hat dir diese Bluse getan?« Catherine stellte ihre eigene Tasche ordentlich daneben aufs Bett.
Lauren warf einen Blick darauf. Natürlich! Es sah aus wie aus einem Artikel in einem Hochglanzmagazin: So packen Sie richtig – ultimative Tipps für Reisende.
»Es reicht, dass sie existiert«, grummelte Lauren. Sie hatte die letzten beiden Nächte nicht richtig geschlafen. Ein Gedanke schlich sich immer wieder in ihren Kopf und quälte sie: Was, wenn sie in Iowa ankamen und alle Catherine hassten? Ja, ihre Partnerin konnte freundlich sein, wenn sie wollte. Aber Lauren hatte noch nie erlebt, dass sie nachsichtig war, wenn sie bedrängt wurde. Lauren wusste das besser als jeder andere. Was also, wenn ihre Familie ein wenig Druck machte, Catherine ihnen die Stirn bot und ihre Familie erwartete, dass Lauren Partei ergriff? Wenn ihr Vater sie zur Seite nahm und verlangte …
»Entscheide dich!«
Lauren schnellte herum. »Was?«
Catherine hielt ihr zwei unterschiedliche Stiefel vor die Nase. Der eine gehörte zu einem Paar schwarzer Designerstiefel, das überall schick aussehen, aber in einer ländlichen Umgebung keine drei Sekunden lang halten würde.
»Die Braunen.« Lauren zeigte auf den anderen.
»Aber die sehen aus wie vom Ponyhof. Was zugegebenermaßen recht passend ist, da ich sie das letzte Mal zum Reiten getragen habe. Als ich zwanzig war.«
»Das bedeutet, dass sie ein bisschen Strapazen vertragen können. Wir sind nicht auf dem Weg zu einer Modemesse.«
»In Ordnung.« Catherine schob die braunen Stiefel in ihre Tasche. »Was ist los?«
»Warum sind Hochzeiten so eine große Sache?«, jammerte Lauren. »Ich dachte, Mrs Potts spinnt, als sie sagte, dass die meisten Hochzeitslocations im November schon längst ausgebucht sind. Wie können Dezember und Januar ebenso schon voll sein? Wir sind in Iowa. Wie groß kann da die Nachfrage schon sein?«
»In Iowa wird genauso viel geheiratet wie anderswo, vermute ich.«
»Aber sie hat so eine große Sache daraus gemacht. Es ist eine Hochzeit, keine Amtseinführung.« Sie starrte ihre T-Shirts an, die sich hartnäckig weigerten, in den Ecken des Gepäckstücks zu bleiben. »Ich bin noch nicht bereit dafür!« Sie rammte die Oberteile mit der Faust hinein.
»Nicht bereit zu heiraten?«, fragte Catherine leise und drehte sich zu ihr, um sie anzuschauen.
»Nicht bereit für Iowa«, flüsterte Lauren. »Nicht bereit dafür, dass alle …«
»Alle was? Über dich urteilen? Lauren, du bist eine erfolgreiche, preisgekrönte Journalistin. Du hast nichts zu …«
»Nicht über mich.« Ihre Worte waren kaum zu verstehen.
Catherine atmete scharf ein. »Ach so! Du denkst, sie werden mich verurteilen?«
Sie schaute zur Seite.
»Lauren, ich kenne meinen Ruf, aber du weißt sehr wohl, dass ich nett sein kann, wenn ich will.«
»Wie beim Senator, den du aufgefordert hast, sich einen Mikrochip implantieren zu lassen?« In Laurens Stimme schwang Skepsis mit.
»Nun, zugegebenermaßen wollte ich nicht nett zu ihm sein.«
Lauren wusste den Aufmunterungsversuch zu schätzen, fand ihn aber in diesem Moment nicht sehr lustig. Sie stopfte noch mehr Klamotten in ihre Tasche.
»Ich verstehe. Ist es, weil ich aus Boston komme, das Lesbischsein oder das Ding mit den Medien und dem Weißen Haus, was deiner Meinung nach ein Problem darstellt?«
»Keins davon allein. Ich meine, du bist einfach anders, als sie es gewohnt sind, viel … komplizierter.«
Selbst als sie nur darüber nachdachte, erfüllte die Vorstellung, wie Catherine und ihre Familie aufeinandertrafen, Lauren mit Furcht. Sie liebte Catherine trotz ihrer Schutzmauern und ihrer scharfen Zunge. Sie war schön, brillant und in jeder Hinsicht faszinierend. Die Kings waren ganz anders als Catherine und hatten mit Sicherheit auch noch nie jemanden wie sie getroffen.
»Kompliziert.« Catherine ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. »Du machst dir Sorgen, dass ich nicht gut mit deiner Familie auskomme? Das haben wir doch gerade geklärt. Ich kann auch nett sein.«
»Was, wenn sie sich dir gegenüber wie Idioten verhalten? Ich habe die schlimmsten Albträume … dass ihr euch nicht versteht.«
»Sie wissen, was ich beruflich mache. Ich bin es gewohnt, mit großen Persönlichkeiten umzugehen.« Catherine schenkte Lauren ein beruhigendes Lächeln. »Aber ich verstehe schon. Da bin ich mit meinem ganzen elitären, liberalen und medienbezogenen Ballast. Und auf der anderen Seite stehen fünf Mechanikerbrüder und dein Vater. Bei denen du furchtbare Angst hast, dass sie dich irgendwie blamieren. Und mich verurteilen. Und ich sie. Und infolgedessen ich dich möglicherweise verurteilen könnte.«
Lauren erstarrte. Ihr wurde übel. »Glaubst du, dass das passieren wird?«
»Nein. Aber ich glaube, dass du genau davor Angst hast und dass dich das nachts wach hält. Jetzt, da die große Familienzusammenführung ansteht, gerätst du plötzlich in Panik.«
»Ich bin nicht panisch. Und wenn du meine Brüder kennen würdest, würdest du auch, ähm, nicht in Panik geraten.
»Mhm.« Catherine sah amüsiert aus. »Sehr überzeugend.«
Laurens Lippen zitterten.
»Aber falls es dich beruhigt«, fuhr Catherine fort, »meine Albträume drehen sich um meine Schwester, die sich für genauso liberal wie jede andere Frau hält … nun ja, jede andere reiche, elitäre weiße Frau aus Boston mit dem Hobby Dressurreiten. Phoebe glaubt in ihrer üblichen ahnungslosen Art, dass sie so bodenständig sei wie jeder andere, aber sie hat noch nie jemanden aus dem Landesinneren getroffen. Ihr naives Anspruchsdenken ist eine Augenweide, aber nichts, mit dem sie sich bei Menschen aus dem Mittleren Westen beliebt macht.«
Lauren schluckte. »Verdammt.«
»Aber wenn ich wach bin, denke ich an etwas, von dem ich glaube, dass du es vergessen hast. Deine Familie und ich haben etwas gemeinsam: Wir wollen alle, dass du glücklich bist.« Ihre dunklen Augen blitzten auf einmal scherzhaft auf. »Und ich ganz besonders. Also … komm her!« Catherines Stimme schien keinen Widerspruch zu dulden.
Lauren zögerte kurz und dachte darüber nach, ob sie sich fügen sollte oder nicht, doch dann wankte sie bereits auf Catherine zu. Irgendetwas an diesem Tonfall verursachte immer seltsame Dinge in Laurens Innerem.
Catherine gab Lauren einen Kuss, der ihr so viel Rückhalt schenkte, dass sie sich für einen Moment ganz darin verlor.
»Vertrau mir, Lauren«, raunte sie, »alles wird gut.« Catherine lehnte sich zurück. »Ist das also alles, worüber du dir Sorgen machst?«
Lauren hob scheu ihren Blick. »Ich denke schon. Tut mir leid. Ich verliere gerade den Verstand und mache uns beide verrückt.«
»Ja, tust du«, bestätigte Catherine. »Zum Glück hab ich dich ein klein wenig lieb.«
Lauren schob ein Bündel Socken in eine geräumigere Ecke ihres Gepäcks. »Sehr witzig«, säuselte sie. Sie musste damit aufhören, ihre Reise im Voraus zu verderben. Catherine würde höflich sein, ihre Brüder würden sich benehmen und Großmutter und Dad sie mögen. Es würde schon gut gehen. »Es ist sowieso bloß eine Reise, um die Hochzeit zu organisieren.«
»Es geht auch darum, dass wir die Vorstellungsrunde endlich hinter uns bringen, damit wir an unserem Hochzeitstag an nichts anderes denken als an uns beide.«
»Du bist so weise, Obi-Wan.« Lauren warf einen Blick auf Catherines Koffer, während ihre Geliebte weiterpackte. »Obwohl ich meine Meinung vielleicht revidiere, wenn ich dich damit in Iowa sehe.«
»Zu viel?«
»Overkill.«
Catherine nahm ihren Designer-Mohair-Pullover wieder aus dem Koffer.
»Schade«, schob Lauren nach. »Ich mag es, wenn du ihn trägst. Ich möchte ihn am liebsten immerzu streicheln.«
»Ich weiß.« Catherine klang plötzlich ganz heiser. »Was glaubst du, warum ich ihn eingepackt habe?«
»O nein, nichts von alledem!« Lauren guckte sie missbilligend an. »Keine Dummheiten, während wir dort sind. Mein Vater, meine Oma Meemaw und zwei meiner Brüder werden auf demselben Flur wohnen, auf dem unser Gästezimmer liegt.«
Catherine sah sie skeptisch an. Ihre Augen waren halb geschlossen.
»Ich kenne diesen Blick. Ich werde meine Meinung aber nicht ändern.« Lauren wedelte warnend mit erhobenem Zeigefinger.
»Aber sicher wirst du.« Demonstrativ schob Catherine ihren aufreizendsten Satinslip, den elfenbeinfarbenen, in ihr Gepäck.
»Nein, wirklich nicht«, japste Lauren, als auch der dazugehörige BH hinzukam.
»Zehn lange Tage und du lässt die ganze Zeit die Finger von mir?«
Catherines verführerische Stimme ließ Lauren selbstverständlich nicht kalt, ganz im Gegenteil.
»Wirklich?«
»J-ja. Wirklich.«
Catherines kehliges Lachen über Laurens schwindende Willenskraft brachte das Fass zum Überlaufen.
Lauren stürzte sich auf sie. In Sekundenschnelle lag Catherine auf dem Rücken und wurde in die Matratze gedrückt. Die beiden Koffer flogen krachend zu Boden.
