Aus der Zeit gefallen? - Jürgen Grossmann - E-Book

Aus der Zeit gefallen? E-Book

Jürgen Grossmann

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Beschreibung

Der Unternehmer Jürgen Großmann (*1952), der Arzt Dominik Pförringer (*1980) und die Studentin Franca Bauernfeind (*1998) – drei Generationen fühlen sich momentan »Aus der Zeit gefallen?« und empfinden das als durchaus positiv. Sie stellen sich gemeinsam und jeder für sich den beherrschenden Themen genau dieser Zeit: der fragwürdigen Klima- und Energiepolitik, der regulierungswütigen Europäischen Union, der Flüchtlings- und Migrationsproblematik sowie der verbissenen Political Correctness mit Genderzwang. Die Autoren sehen sich nicht im Mainstream und fernab vom Mittelmaß, es geht ihnen vorrangig darum, sich in keine Denkschablone pressen zu lassen.

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© 2023 LMV, ein Imprint der Langen Müller Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Sibylle Schug

Umschlagmotiv: o.: © privat; u.: © IMAGO / Eibner Europa

Satz und E-Book Konvertierung: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN: 978-3-7844-8480-8

www.langenmueller.de

Mit großem Dank an Marianne von Waldenfels – für ihren stets kompetenten Rat und ihr stets offenes Ohr in allen Buch- und Lebensfragen

Inhalt

Und ewig denkt der BoomerVorwort von Harald Schmidt

Prolog

Teil I: Drei Generationen und ihre Themen

Jahrgang 1952: Jürgen Großmann

Kurzbiografie

Unter Freunden: Amerikas Führungsrolle neu justieren

Industrie und Mittelstand am Gängelband der Politik

Jahrgang 1980: Dominik Pförringer

Kurzbiografie

Gesundheit – Eigenverantwortung des Einzelnen

Leistung als Leidenschaft

Sprache – Repräsentanz des Denkens

Kommunikation – eine bedrohte Kunst

Jahrgang 1998: Franca Bauernfeind

Kurzbiografie

Meine Generation Z

Corona – die Jugend wurde vergessen

Deutschlands einzige Ressource mit Weltpotenzial: Bildung

Teil II: Vier Themen und drei Generationen

Energie – Klima – Umwelt

Deutschlands Energiepolitik – ein Super-GAU mit Ansage (Jürgen Großmann)

Klimaschutz – ein lukratives Missverständnis (Dominik Pförringer)

Klima und die Angstpolitik (Franca Bauernfeind)

Europa und die EU

Nicht schlappmachen, Europa! Eine Herzmassage für die EU (Jürgen Großmann)

Europa – von friedlicher Freiheit zu irrer Bürokratie (Dominik Pförringer)

Die EU neu denken (Franca Bauernfeind)

Flucht und Migration

Nutzen hat Grenzen – für eine klügere Migrationspolitik (Jürgen Großmann)

Migration – sinnvolle Symbiose statt orientierungsloser Offenheit (Dominik Pförringer)

Migration – eine bedrohliche Schieflage (Franca Bauernfeind)

Political Correctness – Wokeness – Gendersprache

Wider die »Wokeness« – eine Weltanschauung spaltet das Land (Jürgen Großmann)

Wokeness – Emotionen vor Fakten (Dominik Pförringer)

Moralisierung, Political Correctness und die linke Identitätspolitik (Franca Bauernfeind)

Epilog

Und ewig denkt der Boomer

Leck mich, so ein Vorwort macht ganz schön viel Arbeit!

Dieser rustikale Einstieg muss erlaubt sein. Schließlich geht es darum, die schweigende Mehrheit zurück zwischen die Buchdeckel zu holen.

In Zeiten, in denen sich auch Spitzenpolitiker sprachlich der Proktologie öffnen, kann klare Kante nur in brutalstmöglicher Lautstärke auf den Gemeinplätzen der Republik gezeigt werden. Genau mein Ding.

Deshalb habe ich sofort zugesagt, als mich Dominik Pförringer um dieses Vorwort gebeten hat. Um es frei nach meinem Freund Charles de Gaulle zu sagen: Einem Pförringer sagt man nicht ab. Außerdem ist man in meinem Karrierestadium dankbar für jedes warme Essen und wenn auch beim vierten Fluchtachterl die Kreditkarte des Gastgebers nicht tillt.

Dass Jürgen Grossman als Autor mit dabei ist, hat mich sofort elektrisiert. Woher der Strom dafür kam, war zunächst zweitrangig. Hier fühle ich mich der Ampel verpflichtet. Mich als Beobachter hat er immer als klassischer Typus des Unternehmers fasziniert. Fan wurde ich, als ich mal gelesen habe, dass er seinen Fahrer losschickt, wenn beim Gerd der Rotwein knapp wird.

Franca Bauernfeind ist für mich in doppelter Hinsicht ein Glücksfall: Wann kann man schon mal eine junge Frau aus der CDU kennenlernen?

Außerdem ist sie als ehemalige RCDS-Vorsitzende vielleicht schon in ganz anderen Ämtern der Partei einer Annegret Kramp-Karrenbauer und eines Armin Laschet unterwegs, wenn das Buch erscheint. Kann ja schnell gehen heutzutage. Während ich diese Zeilen meinem Boy in den Federkiel diktiere, heißt der Vorsitzende Friedrich Merz und der Generalsekretär Carsten Linnemann. Könnte ein Spaß werden für die geneigte Leserschaft (m/w/d), die Namen zu aktualisieren.

* * * * * * * * * * * * * * * * * *

Zur Info: Ich habe in der Zeile drüber einige Gendersternchen deponiert. Niemand soll ausgegrenzt werden. Bei Bedarf bitte einsetzen. Ansonsten einfach ausschneiden, aufkleben und sich damit bei der nächsten DOCUMENTA bewerben. Frau Staatsministerin Claudia Roth kann echt mal Künstlerinnen (Männer sind mitgemeint) gebrauchen, die keinen Stress machen.

Nun zum Inhalt. Traditionell liest man ein Werk, bei dem man vorne was zur Ein- oder hinten was zur Ausleitung schreibt, maximal quer (muss höllisch aufpassen, dass mir der Computer hier nicht ein zweites »e« reinsemmelt). Überraschung: Ich habe mich regelrecht festgelesen. Erstaunlich, wie nahe das Trio an der Aktualität ist. Im Gegensatz zu Sammelsurien, bei denen verblichene Keynote Speeches zu einem Taschenbuch zusammengenagelt werden. Da kann dann nur eine aufmerksame Lektorin verhindern, dass noch Gedankenspiele über die deutsche Rolle am Hindukusch gedruckt werden, falls eines Tages die Berliner Mauer gefallen sein sollte.

Logo, der Philosoph in mir schreit nach einer Blitzmeditation über den Titel »Aus der Zeit gefallen«. Ok, wohin fallen wir dann? Laut Margot Käßmann »nicht tiefer als in Gottes Hand«. Noch zeitgemäß angesichts der Rekordaustrittszahlen unserer christlichen Kirchen? Sehn’se, genau deswegen solln’se ja das Buch lesen! Selbst wenn Sie weniger aus der Zeit fallen als diese eher auf Sie drauf, werden Sie sich nach der Lektüre nicht erschlagen fühlen, sondern gewappnet für jeglichen Diskurs.

Und nun zum Serviceteil, dem Blurb schon zu Beginn. Normalerweise sind die Zitate von Vorabendstars oder abgehalfterten Kassenärzten ja eher was für die Rückseite. Achtsamkeit, Empathie und Compassion zwingen mich aber dazu, in diesem Fall gleich zu Beginn Vorschläge zu machen, die Sie annehmen sollten. Dann wären wir alle geehrt (bei Kopfschütteln einfach mal »Brechts Grabstein« googeln).

Also:

Dieses Buch ist

a) Kooperation durch Zusammenarbeit

b) ein Kuss von Sahra auf Papier

c) das Beste seit Hansen, Schätzing, Fitzek

d) Bleiberecht für die deutsche Sprache

e) Multikulti zwischen LNG und LGBTQ

f) Vorfreude auf den Film

Und wem das zu überschwänglich ist, sei empfohlen, was mein seliger Kollege Herbert Feuerstein auf mein erstes Taschenbuch geschrieben hat: »Dieses Buch darf in keinem Haushalt fehlen, in dem ein Tischbein zu kurz ist.«

Harald Schmidt, im August 2023

Prolog

Jürgen Großmann:

Aus der Zeit gefallen – so wird heute beschimpft, wer nicht widerspruchslos auf den Kurs einer »großen Transformation« einschwenkt, die alles Altbewährte niederreißen soll. Mehr noch: Als aus der Zeit gefallen gilt, wer sich nicht selbst an die Spitze des Umbruchs setzt. Wir als Gesellschaft insgesamt, fordern die Vordenker, müssen Vorreiter sein: beim Klimaschutz, bei der »Gender-Sprache«, beim Wir-schaffen-das, beim Energiewenden, neuerdings beim Aufrüsten für den Frieden.

Wirklich? Wir sollten uns daran erinnern, woher das Wort Vorreiter stammt. Historisch war der Vorreiter Angehöriger einer Pionier-Einheit zu Pferde, und keineswegs der am wenigsten entbehrliche. Denn er preschte voran ins gefährlich unbekannte Gelände – um nicht selten bei der ersten Konfrontation mit den unbarmherzigen Realitäten den Heldentod zu sterben. Als Gefahrensucher hatte er im gestreckten Galopp die Schwächen der eigenen Strategie offengelegt.

Ich neige nicht zum Vorreiten, auch wenn ich in der Stahlindustrie und der Energiewirtschaft nach Kräften an Pionierleistungen mitgewirkt habe. In der Phase meines Lebens, als ich Vorstandschef des Stromkonzerns RWE war, erhoben wir ein Wortspiel zum Slogan des Unternehmens: »VoRWEggehen«. Das gefällt mir noch heute viel besser, denn im Vorweggehen wird man nicht so leicht aus der Kurve getragen. Schritt für Schritt, das lässt Zeit für notwendige Kurskorrekturen.

Das bedächtige Handeln und überhaupt das Nach-Denken ist unseren politischen Vorreitern völlig abhandengekommen. Ihre Uhr als Weltenretter und Hysteriker steht immer auf eine Minute vor zwölf. Bei ihrem selbstmörderischen Parforceritt reißen sie unser Land mit ins Verderben – kulturell, wirtschaftlich und sozial. »Aus der Zeit gefallene« Bewahrer und Mahner hingegen werden denunziert, ja kriminalisiert. Das Erschrecken und der Zorn darüber haben nicht nur mich erfasst, mit Jahrgang 1952 einen »alten weißen Mann«. Immer mehr Menschen, mit denen ich spreche, geht es ähnlich. Auch aus den Generationen nach meiner eigenen.

Zwei von ihnen, Dominik Pförringer und Franca Bauernfeind, erklären in diesem Buch so wie ich aus ihren persönlichen Perspektiven, warum wir den Rittern der Apokalypse die Zügel aus der Hand nehmen müssen. Die beiden sind im besten Sinne, was wir heute brauchen: Mitstreiter statt Vorreiter!

***

Dominik Pförringer:

Die heutige Zeit gleicht – wie vermutlich jede – einer Achterbahnfahrt. Tag für Tag kommen neue Herausforderungen auf uns zu und zudem scheinen die Rahmenbedingungen sich laufend neu zu adjustieren. Das Leben verläuft nicht linear. Tagtäglich kreuzen neue Akteure unseren Weg und maßen sich an, ihre Version der neuen Weltordnung zu verkünden. Durch die modernen Medien hält sich jedermann für einen Publizisten und auch für publikationswürdig, egal wie tief oder seicht seine Einsichten sind, unabhängig davon wie viel oder wenig Erfahrung derjenige mitbringt.

Dem Jahrgang 1980 entstammend – je nach Definition als Generation X oder Y zu bezeichnen, wundere ich mich oft, wo die Tugenden abhanden gekommen sind, die Deutschland einen rapiden Aufstieg und eine solide Rolle in der wirtschaftlichen Weltordnung beschert haben. Als Wissenschaftler und Arzt respektiere ich Leistung, sei es in Ergebnissen und Publikation eigener Forschung in Kombination mit geschliffener Rhetorik oder in kompetentem und persönlichem Einsatz für den Patienten und dessen Heilung.

Was ich nicht begreife, sind die Anmaßungen von Zaungästen und Hobby-Co-Trainern, die aus bequemer Distanz und oft auf der Basis von wissensfreiem Sachverstand anderen erklären, wie sie sich zu verhalten haben und was diese angeblich verabsäumt hätten.

Aus der Zeit gefallen zu sein, das kann ein Vorurteil ebenso wie ein Kompliment sein, es kommt auf die Perspektive an.

Im Rahmen der gewählten Worte und Zeilen laden wir denkende Köpfe ein nachzudenken, der Dynamik des Zeitgeistes Einhalt zu gebieten und sich nicht jedem Trend zu ergeben, sondern die guten alten Zeiten und Werte in die Waagschale und je nach eigenem Bemessen auf den Prüfstand zu stellen. Ich behaupte keinesfalls, dass früher alles besser war, noch dass alles Neue weniger gut sei. Ich stelle uns lediglich laufend aufs Neue die Frage, was wir tun können, ohne anderes zu unterlassen, um eine attraktive Zukunft zu gestalten.

Gespannt bin ich weniger auf die heutige Reaktion auf unsere Zeilen als auf die in vielen Jahr(zehnt)en. Erst dann wird es sich abzeichnen, wer wirklich aus der Zeit gefallen ist: die verbalen Ankläger und Aktivisten, die Konservativ-Liberalen oder radikal innovative Akteure. Trennscharf sind die meisten davon kaum voneinander zu separieren. Die Lösung liegt im Dialog – suaviter in modo, fortiter in re (sanft in der Form, hart in der Sache). Optimismus schadet in diesem Kontext nicht, löst aber per se noch keine Probleme.

Eine Ehre und Freude ist es mir, diese Denkansätze zusammen mit einem der Titanen der Stahl- und Energieindustrie und einer Pionierin sowie mutigen Vertreterin ihrer jungen Generation gemeinsam zu beleuchten. In diesem Sinne, lieber Leser, wünsche ich bon plaisir bei der Lektüre und beim Anpacken.

Die schönsten Geschichten schreibt das Leben, vielen Dank, dass Sie sich für die unsrigen entschieden haben.

Werter Leser, genießen Sie die Eigenwilligkeiten, fordern Sie Ihr eigenes Denken heraus und sehen Sie die nachfolgenden Zeilen so wie das gesamte Leben: mit einem Augenzwinkern und einem Stirnrunzeln.

***

Franca Bauernfeind:

Aus der Zeit gefallen? Ja, das bin ich. Denn im Gegensatz zu meinen Kommilitonen auf dem Campus, im Gegensatz zu vielen in meiner Partei schwimme ich gegen den Strom. Die Political Correctness durchzieht unser Leben. Als ich im Jahr 2016 das Studieren anfing, wurde ich in eine Welt geschmissen, die nach anderen Grundregeln funktionierte. Der Konformitätsdruck hat den Campus überzogen und schleicht weiter Richtung Medienhäuser, in die Parteigremien, in die Politik bis in unsere Köpfe. Der linksliberale Zeitgeist ist bei uns angekommen und er wird uns weiterbringen: nur eben dahin, wo wir nicht sein wollen. Die Gesellschaft verändert sich. Nicht konform sein heißt anzuecken, gegen den Strom zu schwimmen. Wie konnte es zur schleichenden Zensur unseres demokratischen Austauschs kommen?

Meine werten Kollegen Jürgen Großmann und Dominik Pförringer sind wie ich Gegen-den-Strom-Schwimmer. Wir passen nicht in diesen Zeitgeist und verstehen uns als eine Gruppe dreier Generationen, die durch eben jenes Aus-der-Zeit-gefallen verbunden sind. Wir wollen eine Gesellschaft, in der man offen darüber spricht, welches die Problemstellungen sind und wie wir sie lösen können.

Die Herausforderungen unserer Zeit sind groß. Unkoordinierte und massive Einwanderungswellen, eine Energiewende ohne Plan, eine Pandemie, die an ihrem Ende eine noch mehr verunsicherte Gesellschaft zurückließ, als sie es ohnehin schon war. In den Corona-Jahren wurden Menschen diffamiert, ausgegrenzt und bloßgestellt. Wer sich (erstmal) nicht impfen lassen wollte, hatte schlechte Karten. Denn der Mainstream gab die Meinung, das »Gute«, vor: Pro Impfen. Ein »Dazwischen« gab es nicht. Entweder du bist einer von uns oder du bist ein Outsider. Eine Praxis, die ich aus dem Studium kenne. Schwimmt man nicht mit dem Strom, ist man allein. Statt Kategorien wie Verantwortungsbewusstsein oder Leistungsbereitschaft steuert der moralisierende Zeigefinger unseren Beitrag zur Gesellschaft.

Unsere Meinung: Überspitzt und gewitzt, provokativ und lebenslustig haben wir unsere Gedanken wider dem Zeitgeist in diesem Buch niedergeschrieben. Wir geben Denkanstöße und diskutieren miteinander. Am Ende repräsentieren wir aber auch drei unterschiedliche Generationen, deren Sichtweisen und Einschätzungen mitunter weit auseinanderliegen können. Das ist gewollt und unbedingt notwendig. Gesellschaft: das sind wir und keine Schubladen – sapere aude, habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Teil I: Drei Generationen und ihre Themen

Jahrgang 1952:Jürgen Großmann

Kurzbiografie

Jürgen Großmann studierte Eisenhüttenwesen an der TU Clausthal und Betriebswirtschaft in Deutschland und den USA, er wurde 1980 in Berlin zum Dr. Ing. promoviert.

Seine Karriere in der Stahlindustrie führte Jürgen Großmann bei den Klöckner-Werken vom Assistenten zum Vorstandsmitglied. Im Alter von 41 Jahren übernahm er das insolvente Stahlwerk Georgsmarienhütte, sanierte das Unternehmen und baute es zu einer Gruppe aus, die heute in 27 Unternehmen etwa 7000 Mitarbeiter beschäftigt.

Von 2007 bis 2012 war Großmann Vorstandsvorsitzender der RWE AG.

Innerhalb der letzten 15 Jahre hatte er Aufsichtsratsmandate u. a. bei der Volkswagen AG, der Deutschen Post AG, der British American Tobacco, der Deutschen Bahn, der Messer Group und der Tognum AG. Bei der SURTECO SE war er Aufsichtsratsvorsitzender.

Jürgen Großmann wurde mit dem Courage-Preis ausgezeichnet, erhielt den Vernon A. Walters Award für Förderung der transatlantischen Zusammenarbeit, ist Träger des Niedersachsenpreises, des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse sowie des Großen Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich.

Er ist Vorstand der Atlantik-Brücke, der Stiftung Kunst und Kultur e. V., Mitglied im Tönissteiner Kreis, American Council on Germany und Ehrenvorsitzender der Deutsch-Britischen Gesellschaft. Die Purdue University in West Lafayette, Indiana, USA und die TU Clausthal verliehen ihm Ehrendoktorwürden.

Er engagiert sich im Kampf gegen ALS mit der Initiative »Hilfe für ALS-kranke Menschen e. V.« und ist Mitbegründer der Initiative »United Europe – competitive and diverse e. V.«.

Unter Freunden: Amerikas Führungsrolle neu justieren

Vielleicht ist manchem Patienten die Amputation des falschen Beines erspart geblieben, denn nur durch einen Glücksfall bin ich kein Mediziner geworden. Den Studienplatz an der Freiburger Universität hatte ich im Sommer 1970 schon sicher. Aber gerade zu der Zeit machte ich ein Praktikum am Hochofen bei Thyssen, wo mein Vater leitend in der Verwaltung tätig war, und da war es um mich geschehen: Ich wusste nun, dass ich in die Stahlindustrie gehörte. Den Medizinstudienplatz gab ich zurück und schrieb mich stattdessen am berühmten Institut für Eisenhüttenkunde der Technischen Universität Clausthal ein. Im Jahr darauf durfte ich dank eines Stipendiums erste Auslandserfahrungen sammeln, und zwar als Praktikant im Stahlwerk von Armco Steel in Middletown, Ohio. Damit begann mein ganz persönlicher American Dream.

Da kam ich also als junger Mann von 19 Jahren aus Deutschland angereist, aus einem Mittelklasse-Haushalt im Ruhrgebiet – und wurde von den wohlhabenden Gasteltern mit offenen Armen empfangen: »Hey, heute ist es sehr heiß, also wenn du in den Pool springen willst: Wir haben keinen eigenen, aber Freunde von uns haben einen, da rufe ich gerade mal an!« Oder: »Nimm dir aus dem Kühlschrank, was du willst! Nimm dir den Autoschlüssel!« Wäre diese Offenheit in Deutschland denkbar gewesen? Wohl eher nicht. Hier hätte man viel mehr Wert auf die Status-Unterschiede und aufs Distanzhalten gelegt.

Im weiteren Verlauf meiner Studien ging ich später an die teilstaatliche Purdue University in West Lafayette, Indiana. Dort machte ich den betriebswirtschaftlichen MBA-Abschluss für Ingenieure, genannt M.S.I.A. An der Purdue vermittelte man Management viel lockerer und anschaulicher als im sehr theorielastigen Lehrplan in Deutschland: vor allem anhand von Fallstudien und Rollenspielen. Bei diesen Übungen mit ständigen Entscheidungssituationen habe ich übrigens meine bis heute anhaltende Lust am Verhandeln entdeckt und trainiert. Schon war ich, fast ohne es gemerkt zu haben, in der amerikanischen Welt angekommen – sozusagen in der Wolle gefärbt.

Heute, ein halbes Jahrhundert später, geht es mir damit ähnlich wie mit meiner Haltung zur Europäischen Union: Wenn ich die USA kritisiere, dann weil ich aus meinem American Dream nicht unsanft geweckt werden will. Oder anders formuliert: Die Wirklichkeit soll trotz mancher Nackenschläge und Ernüchterungen weiter möglichst nah an meinem alten Traum bleiben.

Von der Unmündigkeit zur Führungsnation

Meine persönlichen Erlebnisse spielen natürlich vor dem historischen Hintergrund der Nachkriegs-Erfahrung Westdeutschlands insgesamt. Wer sich in den westlichen Besatzungszonen – meine Heimatstadt Mülheim lag in der britischen – statt unter dem roten Sowjet-Banner der »Ostzone« wiederfand, der konnte seinem Schutzengel auf Knien danken. Selbst ein Dasein in meist kurzer US-Kriegsgefangenschaft war ein Zuckerschlecken gegen denselben Status in Sibirien. Für Segnungen wie den Marshallplan mit seinen Wiederaufbaumitteln nahmen es die Westdeutschen gerne in Kauf, »beim Amerikaner« nun von allen früheren Großmacht-Verpflichtungen entbunden zu sein. Keine Souveränität, keine aktive Diplomatie, keine bewaffneten Verbände – Amerika hatte die Nazis erledigt, nun erledigte es unsere Aufgaben als halbe, besetzte Nation gleich mit.

Vom Fleck weg importierten die USA ab 1949 den VW Käfer in ständig wachsenden Stückzahlen, während bei uns der Wirtschaftswunder-Bauch anschwoll. Als die Souveränität der Bundesrepublik 1955 nominell wiederhergestellt war und wir Westdeutschen wiederbewaffnet, aber eingebunden im engen Korsett der Nato mitmarschieren durften, blieb es zunächst dabei: Washington wickelte für uns den unangenehmen Teil der Staatskunst ab, die Bundesrepublik behielt unter dem Nuklearschirm der USA bequemen Unterschlupf – und hielt dafür wie ein unmündiges Kind weiter brav den Mund, wenn die Erwachsenen auf der Weltbühne am Verhandlungstisch stritten. Erst recht, wenn sie sogar zu den Waffen griffen, wie in Vietnam oder der Schweinebucht, um nur zwei Schauplätze zu nennen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich deutsche Staatsmänner aus dieser bequemen Passivität zu emanzipieren begannen. Willy Brandts »Neue Ostpolitik«, die mit dem Kniefall von Warschau 1970 ihren symbolischen Ausdruck fand, leitete eine Aussöhnung und Annäherung an den damaligen Ostblock ein – zum Misstrauen der Amerikaner. Die deutsche Wiedervereinigung von 1990 verdanken wir einem CDU-Kanzler, der zupackend den »Mantel der Geschichte« ergriff. US-Präsident George H.W. Busch konnte diese historische Neuordnung, gemeinsam mit den Spitzen der drei anderen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, bei den 2+4-Verhandlungen lediglich moderieren.

Deutschland hatte als Ganzes wieder die Weltbühne betreten – und wurde auch dank seiner Wirtschaftskraft schnell zur Führungsnation innerhalb der entstehenden Europäischen Union. Bald zeigte sich das neue Selbstbewusstsein auch gegenüber den USA: Außenminister Joschka Fischer entgegnete seinem Kollegen Donald Rumsfeld auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2003 leidenschaftlich, er sei von dessen Beweisen für die irakischen Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund nicht überzeugt. Fischer behielt Recht, wie wir heute wissen. Das war ein zeitgemäßer, entwicklungsgerechter und realpolitischer Ton der deutschen Außenpolitik.

Irgendwann in den 2010er-Jahren allerdings ist dieses erwachsen gewordene Land außen- und sicherheitspolitisch »aus der Zeit gefallen«, zurück in den Schoß einer neuen Infantilität und Unmündigkeit. Vielleicht begann es mit dem Außerkraftsetzen der Wehrpflicht 2011 und der systematisch fortgesetzten Abrüstung der Bundeswehr – was ja grundsätzlich ein erfreulicher Prozess gewesen wäre, so er denn zur Sicherheitslage gepasst hätte.

Leider verkam die deutsche Freiwilligenarmee dabei unter den empfindsamen Händen von nacheinander drei komplett branchenfremden Verteidigungsministerinnen zu einer Lachnummer unter den Militärexperten der Welt: schadhaftes Gerät, mangelnde Munition, bröckelnde Kasernen – und von der hochpeinlichen Blamage um die Beschaffung des schwangerengerechten Schützenpanzers »Puma« schweigen wir lieber. Als Kenner Amerikas habe ich natürlich schon ein wenig Verständnis dafür, dass auch im Pentagon hinter unserem Rücken Witze über die komischen Krauts aus Germany kursieren. Gerade jetzt, wo diese Crazy Germans eine »feministische Außenpolitik« propagieren.

Eine »dienende Führungsrolle«?

Dieses neue, bisweilen fast kindische Abhängigkeitsverhältnis musste uns eines Tages auf die Füße fallen. Nichts dokumentiert die Unhaltbarkeit der Schieflage besser als die geradezu demütigen Worte des neuen grünen Vizekanzlers Robert Habeck beim Antrittsbesuch in Washington, kurz nach Ausbruch des russisch-ukrainischen Krieges im März 2022: Er bitte die Regierung Biden strategisch um eine »dienende Führungsrolle« für Deutschland, diktierte Habeck den versammelten Journalisten in die Notizblöcke. Wortwörtlich gaben sie es in der Heimat wieder: eine »dienende Führungsrolle«. Mit Verlaub: Das ist nicht, was ich an der Purdue University als »Verhandlungskunst« kennengelernt habe. Und verhandelt werden muss eben nicht nur mit Gegnern oder gar Feinden bei Bedarf, sondern häufiger noch mit Partnern und Verbündeten.

Während der folgenden Monate wurde die neue Untertänigkeit unfallfrei fortgeführt: Die Ansagen zur Ukraine-Politik, zu Sanktionen, Embargos, Unterstützung der ukrainischen Armee kamen nahezu alle aus Washington, Berlin übersetzte sie lediglich mehr oder weniger gekonnt ins Deutsche. Da nun aber ein russisch-ukrainischer Krieg zuallererst ein Problem unseres Kontinents ist, hätte man vielleicht erwarten können, dass Absprachen der EU-Mitglieder oder wenigstens ihrer stärksten Nationen den Rahmen der gemeinsamen Reaktion vorgegeben hätten. Doch erfahrungsgemäß – so die amerikanische Sichtweise – war Einigkeit und Handlungsstärke von den »27 Zwergen« der Europäischen Union nicht zu erwarten.

Dass sie dennoch eine vergleichsweise rasche und entschlossen wirkende Reaktion auf den russischen Einmarsch zeigten, war deshalb vor allem der Nato-Führungsmacht USA zu verdanken. Und solange Europa sich sicherheitspolitisch uneinig und führungsschwach zeigt, halte ich diese Dominanz Amerikas auch für geboten. Denn man muss schon fragen, ob im Sinne einer neuen »Domino-Theorie« nach der Ukraine bald die nächsten souveränen Staaten im Osten unter das Joch Putins fallen könnten. Wenn sein geradezu zaristisch-imperialer Hunger auf die Einverleibung fremder Territorien jetzt nicht gestoppt wird, ist dann als nächstes Transnistrien an der Reihe, Moldawien, Lettland? Nur geschlossen, als europäischer Block, könnten wir vielleicht auch ohne amerikanische Hilfe die nötige Gegenmacht entfalten, um Russland in die Schranken zu verweisen.

So aber wirft die fast automatische Anpassung der europäischen Regierungszentren an die Führungsrolle Washingtons in einer eminent europäischen Sicherheitskrise zwei Fragen auf: Was ist eigentlich aus der »Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP) der EU geworden? Was aus der immer wieder mal ventilierten Vision europäischer Streitkräfte unter einem einheitlichen Oberkommando? Die Antwort auf die erste Frage klärt auch teilweise schon die zweite mit: Die GASP geht auf eine Initiative der Bundesrepublik zur Zeit der Maastrichter Verträge 1992/93 zurück. Besonders von den selbstbewussten Nuklearmächten Frankreich und – als man noch EU-Mitglied war – Großbritannien wurde sie als »deutsches Projekt« eher links liegengelassen.

Beim ersten militärischen Konflikt in der Ukraine 2014 – der Annexion der Krim durch Russland – hätte die GASP eine Option für Verhandlungen und die Entschärfung der Lage sein können. Doch die EU-Mitgliedsstaaten konnten sich nicht über den strategischen Umgang mit Moskau verständigen. Stattdessen gab die Nato den Europäern den Takt vor – und damit einmal mehr die letzte Supermacht USA. »Die Nato ist die Gewinnerin der Ukraine-Krise, nicht die europäische Außenpolitik«, schrieb schon damals Markus Kraim von der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Neun Jahre später, 2023, hat es sich erneut und wie von selbst so eingependelt. Und angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse in der westlichen Welt war wohl auch nichts anderes zu erwarten. Denn eine autonome »Europa-Armee« würde natürlich als Störfaktor quer zu den etablierten Nato-Strukturen betrachtet werden – und wohl auch unter keinem sehr geschlossenen Oberkommando stehen.

Allerdings frage ich mich schon, ob sich ein Block mit dem Sozialprodukt von 450 Millionen Menschen nicht gerade in europäischen Sicherheitsfragen ein wenig mehr Selbstbewusstsein in Bezug auf die eigenen Interessen erlauben könnte. Üblicherweise folgt auf diese Frage die zynische Gegenfrage, wie viele Divisionen denn der Papst habe. Nun, der Papst hat 1,4 Milliarden Fußsoldaten in aller Welt. Ich bin weit davon entfernt, aus ihnen Glaubenskrieger machen zu wollen – aber was ich damit meine: Wenn man will, lässt sich auch lediglich mit einer gemeinsamen Überzeugung gerüstet schon ganz gut die diplomatische Stellung behaupten.

Ja, ich bin ein Atlantiker

Ich schreibe hier aber keinesfalls als Experte für Militär und Sicherheit, denn ich bin keiner. Ich gebe nur wieder, wie die Welt und wie vor allem Amerika uns als Deutsche und Europäer wahrnehmen. Und wo gegenseitig ein Zerrbild entstanden ist, da will ich es nach Möglichkeit zu korrigieren helfen. Mein persönlich von Freundschaften und Zuneigung geprägtes Verhältnis zu den USA bringe ich seit vielen Jahren in geeignete Organisationen ein, um einen Beitrag zu wirklicher Partnerschaft und Verständigung zu leisten. So bin ich kooptiertes Vorstandmitglied des Vereins »Atlantik-Brücke e. V.«, der sich seit dem Jahr 1952 bemüht, das im Zweiten Weltkrieg zerrüttete Vertrauen zwischen den USA und Deutschland zunächst wieder aufzubauen und heutzutage zu vertiefen. Wir debattieren aber jederzeit auch aktuelle Konfliktthemen zwischen unseren beiden Nationen – und dabei schließen wir Europa und ganz Nordamerika mit ein.

Denn eines will ich hier klarstellen: Der Begriff »Atlantiker« oder »Transatlantiker« mag sich in amerikafeindlichen Kreisen von Rechts- wie Linksaußen geradezu als Synonym für politische Hörigkeit gegenüber den »Yankees« etabliert haben. Doch wir sind alles andere als Transmissionsriemen für Weisungen aus Washington. In einer Zeit, in der nationalistische Strömungen an Zuspruch gewinnen, fühlt sich die Atlantik-Brücke erst recht ihrem Auftrag verpflichtet, den Dialog zwischen Deutschland, Europa und Amerika jenseits von Parteilinien zu vertiefen. Sie setzt sich für Multilateralismus, offene Gesellschaften und freien Handel ein.

Auch bin ich Mitglied im American Council on Germany (ACG). Das ist beinahe das Gegenstück zur Atlantik-Brücke auf amerikanischer Seite. Der ACG will US-Amerikanern ein moderneres, differenzierteres Bild der Deutschen vermitteln, als es die noch immer gern von Nazizeit und Pickelhauben durchdrungenen Hollywood-Klischees tun. Auch der Council thematisiert in seinen Programmen die drängendsten ökonomischen, politischen und sozialen Herausforderungen, um ein besseres gegenseitiges Verständnis zu schaffen.

Eines will ich aber einräumen: Zwar sind die Diskussionen in unseren deutsch-amerikanischen Institutionen meist anregend und grundsätzlich frei von Tabus. Es kann keine Rede davon sein, dass die jeweiligen US-Partner den Deutschen ihre Ideen, Systeme oder Strukturen aufzwingen wollten, weil sie sich selbst für »God’s Own Country« und den Nabel der Welt hielten. Auch das gehört zu den Klischees, die solch ein organisiertes Miteinander widerlegt. Aber was ich gelegentlich beobachte, ist eine Art vorauseilender Gehorsam auf deutscher Seite, ein unverlangtes Entgegenkommen, das über das gesunde Maß hinausgeht. Natürlich trägt dazu bei, dass unser Austausch fast ausschließlich auf Englisch stattfindet, wobei die deutsche Seite trotz meist sehr flüssiger Sprachkenntnisse den Nachteil der angelernten »second language« hat. Bei manchen Beiträgen entsteht der Eindruck, als ob man sich automatisch als Juniorpartner gegenüber den großen Namen aus Amerika empfindet und deren Standpunkte deshalb gern unwidersprochen übernimmt. Mehr noch: In manchen Fällen scheint man sogar amerikanischer als die Amerikaner auftreten zu wollen, um besonders weltgewandt zu wirken oder irgendwelche imaginären Pluspunkte zu ergattern. Doch wir schaden uns damit mehr, als wir unserer Sache nützen.

Auch »Senior Partner« sind zu hinterfragen

Als Deutsche und vor allem als Europäer müssen wir neu lernen, dass die USA nicht der Gute Onkel und nicht das Sozialamt der Welt sind, sondern im Zweifel ihre ökonomischen Eigeninteressen in den Vordergrund stellen. Ich selbst habe das Anfang der 2010er-Jahre in meiner Zeit als RWE-Vorstandschef schmerzhaft erfahren müssen. Damals trieben wir in einem großen Konsortium zusammen mit der Politik das gigantische europäische Pipeline-Projekt »Nabucco« voran. Im Grunde eine großartige Idee, wie ich immer noch finde: Die rund 15 Milliarden Euro teure Pipeline sollte die riesigen Erdgasvorkommen am Kaspischen Meer an das europäische Gasverteilernetz anschließen, und zwar ohne auf der 3900 Kilometer langen Route bis zum Übergabepunkt im österreichischen Ort Baumgarten irgendwo russisches Gebiet zu berühren.

Nabucco vermied auf dem Papier also den Fehler einseitiger Abhängigkeit von den Interessen und Erpressungsmöglichkeiten der Großmacht Russland.

Die USA waren zunächst voll und ganz für unseren Plan und unterstützten ihn nach Kräften. Zumindest sagten sie das. Klar, denn so wurde eine aus ihrer Sicht beunruhigend enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland in der Energiepolitik vermieden. Doch plötzlich machte Washingtons »Sonderbotschafter für eurasische Energie«, Richard Morningstar, eine 180-Grad-Wende und teilte uns verdatterten Europäern sinngemäß mit: Nabucco ist jetzt eure Sache, uns geht das nichts mehr an.

Das Pipeline-Projekt scheiterte dann später zwar aus anderen Gründen, aber was war mit der amerikanischen Unterstützung geschehen? Die aufblühende Schiefergas-Industrie der USA hatte unterdessen erhebliche heimische Vorkommen erschlossen, die durch das sogenannte Fracking ausgebeutet und als Flüssiggas auch nach Europa exportiert werden sollten. Das Hemd des eigenen Gewinns war den USA näher als die Jacke der europäischen Energiepolitik.

Auch hier zeigt sich wieder: Europa, und damit Deutschland, muss an sich selbst denken. Mehr Selbstbewusstsein als bevölkerungsmäßig viel größerer Wirtschaftsblock gegenüber den 330 Millionen US-Amerikanern stünde uns Europäern gut zu Gesicht. Die Voraussetzung dafür wäre allerdings Einigkeit – keine Kleinigkeit! Aber wir haben doch in der Vergangenheit auch auf anderen Gebieten bewiesen, dass wir mit den USA auf Augenhöhe konkurrieren können. Zum Beispiel mit der maßgeblich von Franz-Josef Strauß initiierten europäischen Airbus-Industrie, die Boeing inzwischen teilweise deutlich überflügelt hat. Zum Beispiel mit der europäischen Ariane-Rakete oder mit der gemeinsamen Weltraumagentur Esa, die im Wettbewerb mit der Nasa eigenständige Erfolge wie die erste Landung eines unbemannten Raumfahrzeugs auf einem Asteroiden im Jahr 2014 feiern konnte. Und in gleichberechtigter Team-Arbeit hat im Jahr 2005 die Nasa-Sonde »Cassini« den europäischen Lander »Huygens« auf dem Saturnmond Titan abgesetzt.

Doch selbst als EU-Mitgliedsland Deutschland allein haben wir Grund, wirtschaftlich selbstbewusst gegenüber den Vereinigten Staaten aufzutreten: Man denke nur an die Erfolge unserer Automobilindustrie oder an die intensiven wirtschaftlichen Beziehungen zu China, die wir ganz unabhängig von den USA aufgebaut haben. Sollte uns das nicht ein wenig mehr eigenes Profil erlauben? Stattdessen kopieren wir Deutschen ganz allgemein oft übereifrig den American Way of Life – bis in unsere Sprache hinein, die sich von der Werbung über die Medien bis zum Schulhof inzwischen in eine Art »Denglisch« verwandelt hat. So als ob alles, was zwischen Broadway und Hollywood, Seattle und New Orleans ausgebrütet wird, automatisch den Goldstandard darstellte. Aber das stimmt pauschal weder für das Kino noch für die Musik, und auch nicht für die Spielregeln des Zusammenlebens in einer multikulturellen Gesellschaft. Deutschland muss nicht jeden Fehler wiederholen, den die USA als klassisches Einwanderungsland und »Schmelztiegel« bereits gemacht haben.

So haben es die Vereinigten Staaten in meinen Augen zum Beispiel versäumt, das amerikanische Englisch als verbindliche »Leitsprache« durchzusetzen. Sie haben stattdessen auch sprachlich sehr viel mehr Subkulturen zugelassen, als wir das hierzulande lange Zeit tolerieren wollten. Es begann wohl mit einer zweisprachigen Beschilderung des Subway-Systems in New York City, ein Entgegenkommen an die Puerto-Ricaner und andere spanischsprachige Minderheiten. Von da an wurde der Primat des Englischen immer weiter unterhöhlt. Die Folge ist heute, dass unzählige Einwanderer in den USA ganz ohne Englischkenntnisse auskommen; das Land als Ganzes aber hat einen problematischen, fast schon babylonischen Sprachenwirrwarr entwickelt. Das hemmt das gegenseitige Verstehen und damit auch das Zusammenleben der unzähligen »Communities«. Doch wie so oft hat das – in diesem Fall schlechte – amerikanische Beispiel Schule gemacht.

Der Musterschüler war wieder einmal Deutschland. Ich muss da an eine Betriebsversammlung denken, die ein Unternehmen im traditionell besonders »woken«, roten und grünen Bundesland Bremen veranstaltete. Dieses Unternehmen zu leiten hatte ich um 1990 herum die Ehre. Die Belegschaft dort hat einen sehr großen Anteil türkischstämmiger Mitarbeiter. Daher setzten es Vertreter der Landesregierung und des Betriebsrats durch, dass die Veranstaltung mehrfach stattfand, einmal auch in türkischer Sprache. Nicht nur ich als Unternehmenschef, sondern auch andere anwesende Deutsche waren dabei auf gelegentliche Übersetzungen angewiesen.

So konnte ich die sprachlichen Feinheiten der angesprochenen Bedürfnisse meiner ausländischen Mitarbeiter leider nicht genau nachvollziehen – im eigenen Unternehmen. Im eigenen Land. Nun habe ich gar nichts gegen das multikulturelle Miteinander. Im Gegenteil, unsere Welt soll bunt und vielfältig sein. Aber ich finde schon, dass jeder, der hier lebt und arbeitet, die historisch entwickelten Grundlagen dieses Landes akzeptieren muss, seien es die Gesetze oder eben die Landessprache. Die Vereinigten Staaten scheinen das für ihr Land derzeit korrigieren zu wollen. Und wir? Laufen wir weiter immer tiefer in die Sackgasse hinein?

Beim problematischen Zusammenleben der Kulturen muss ich kurz das Thema »Wokeness« ansprechen, das am Ende dieses Buches noch ausführlicher behandelt wird: Diese Unkultur mit ihrer rechthaberischen Hypermoral, ihren totalitären Tendenzen, all ihren spaltenden und destruktiven Folgen für die Gesellschaft, ist ebenfalls weitgehend in den USA erschaffen worden. An den Hochschulen der Vereinigten Staaten sorgt sie inzwischen teilweise für ein geistiges Klima der Denunziation, Angst und Lähmung, das zur ernsthaften Bedrohung für die viel gerühmte Leistungsfähigkeit der »Ivy League« (die acht privaten Spitzen-Universitäten Brown, Columbia, Cornell, Dartmouth, Harvard, Princeton, Pennsylvania und Yale) in Forschung und Lehre geworden ist. Nein, dieser amerikanische Irrweg ist kein Vorbild für uns, ganz sicher nicht.

Zusammenfassend gibt es also – selbst für einen Atlantiker wie mich – ein paar überfällige Korrekturen oder Neujustierungen im Verhältnis zwischen den USA und Deutschland, die wir möglichst schnell nachholen sollten:

Von der Einbahnstraße zur Zwei-Wege-Kommunikation: Gerade in sicherheitspolitischen Fragen, die im Kern Deutschland und Europa betreffen, muss die deutsche Diplomatie und Politik wieder einen eigenen Stand auf dem diplomatischen Parkett lernen – in Abstimmung mit den übrigen EU-Staaten, auch gegenüber der Führungsmacht USA. Alles andere ist keine echte Partnerschaft. Wenn es »gemeinsame westliche Werte« gibt, müssen diese von Amerikanern und Europäern in offener Debatte neu definiert und dann auch glaubwürdig gelebt werden. Sonst verkommen diese »Werte« zu Propagandafloskeln, die auf beiden Seiten des Atlantiks niemand mehr ernst nimmt – schon gar nicht die Feinde von Freiheit und Demokratie, die eben keine Transatlantiker sind.Machen wir uns bewusst, dass blindes Übernehmen amerikanischer Geschäftsmodelle, Lebensart und Kultur bis in unsere Alltagssprache hinein die Gefahr des eigenen Identitätsverlusts birgt. Dahinter steckt meist einer von drei Faktoren: massive Produktwerbung, ein fast kindliches Bedürfnis, vom mächtigen Amerika anerkannt zu werden – oder einfach die Hoffnung, als »cool« zu gelten. Wobei ich nicht verhehlen will, dass wir aus den USA in vielen Bereichen tatsächlich weiterhin absolutes Spitzenniveau geliefert bekommen.

Pure Brain-Power

Alles, was ich bis hierher kritisch anzumerken hatte, ändert nichts am Grundsätzlichen: Ich bin und bleibe Amerika-Fan! Als Deutsche und Europäer tendieren wir dazu, uns stark an New York City und der US-Ostküste zu orientieren. Aber das wirkliche Kreativzentrum ist heute Kalifornien. Dessen Wirtschaftskraft, vergleichbar mit der deutschen, beruht längst nicht mehr auf den alten Ölvorkommen. Was dort heute Gewinne abwirft, ist pure Brain-Power. Da braucht man nur auf den weltweiten Siegeszug des Smartphones zu verweisen.

Eine interessante Frage ist, warum das sprichwörtliche Silicon Valley in Kalifornien entstanden ist – und nicht etwa in Deutschland. Liegt es daran, dass deutsche Gründer auf staatliche Förderung schauen? Die hätte ein Bill Gates in jedem Fall verschmäht! Zugegeben, an der US-Westküste profitierte man stark von den Fördermitteln des gigantischen Verteidigungssektors. Aber warum hat es zum Beispiel der Gigant Siemens seinerzeit nicht geschafft, Infineon erfolgreich zu machen?

Oder die leider schon 1990 beerdigte und dann zeitweise von Siemens übernommene Nixdorf Computer AG: Dann hätte Paderborn vielleicht seinen Namen geändert und hieße heute »Nixdorf«, nachdem das dort beheimatete Unternehmen zum Weltmarktführer Made in Germany geworden wäre. Ein »Dorf« von Weltrang! Oder Hamburg könnte heute dann gar »Beiersdorf« heißen. Amerikaner hätten Verständnis für so einen Marken-Kult: »Think Big!«, heißt die unternehmerische Devise in den USA.

Was, so etwas machen wir in Deutschland nicht? Nun, die Stadt Georgsmarienhütte in Niedersachsen mit ihren 30 000 Einwohnern ist nach ihrem Stahlwerk benannt. Der gemeinsame Name verpflichtet beide, Kommune und Unternehmen, gleichermaßen zur Exzellenz. Genau der »Spirit«, den die Amerikaner lieben. So unähnlich sind wir uns doch gar nicht, diesseits und jenseits des Atlantiks.

Industrie und Mittelstand am Gängelband der Politik

Zum Einstieg in dieses traurige Kapitel muss ich wenigstens eine Erfolgsgeschichte aus der goldenen Epoche der Sozialen Marktwirtschaft und des deutschen Mittelstandes loswerden. Eine Geschichte, die davon handelt, was uns als Land, als Volkswirtschaft und als Gesellschaft groß gemacht hat. Sie begann im 19. Jahrhundert und geht immer noch weiter. Ich habe sie phasenweise selbst miterlebt, kann also aus erster Hand berichten. Dieser Story folgt dann als Kontrastprogramm, was die Politik und die von ihr entfesselte Bürokratie heute alles tun, um solche Erfolgsgeschichten in Zukunft zu verhindern. Dass die folgende Geschichte ausgerechnet in der Welt der Versicherungen spielt, weckt bei »Stromberg«-Fans vielleicht falsche Erwartungen. Es geht nämlich um echte Menschen, die das genaue Gegenteil von inkompetenten Verlierertypen wie Bernd Stromberg sind.

Machen wir es einfach: Es gibt Versicherungsunternehmen, und es gibt produzierende Unternehmen. Letztere brauchen von ersteren einen möglichst passgenauen Versicherungsschutz für ihre Anlagen und Investitionen. Damit Nachfrage und Angebot auf einem unübersichtlichen Markt optimal zusammenfinden, gibt es drittens Versicherungsmakler. Die wiederum kennen beide Seiten mit ihren jeweiligen Bedürfnissen und Besonderheiten ganz genau.

Solch ein Versicherungsmakler ist die Firma Leue & Nill in Dortmund. Am Namen lässt sich schon ablesen, dass im Wesentlichen zwei Familien dahinterstecken – und tatsächlich ist es ein deutsches Familienunternehmen mit demnächst 160 Jahren Tradition, das sich seit 1864 sehr erfolgreich entwickelt hat: Mit mehr als 350 Mitarbeitern ist Leue & Nill heute einer der großen deutschen Versicherungsmakler, eine international tätige Unternehmensgruppe. Nicht zufällig heißt ihr Motto »Regional verwurzelt. Weltweit zu Hause.«

Mit unserer Georgsmarienhütte sind wir selbst dort Kunde. Das waren wir schon, als ich noch Angestellter des Klöckner-Konzerns war, dem die Hütte gehörte. Alles hatte damit begonnen, dass Peter Klöckner in den 1920er-Jahren eine »Lohngeld-Beraubungsversicherung« bei der Albingia abgeschlossen hatte, vermittelt durch die Vorgängergesellschaft von Leue & Nill. Es herrschten Wildwest-Verhältnisse im Deutschland der Zwischenkriegs- und Hyperinflationsjahre. Und als dann wirklich ein Geldtransport von Klöckner voller Lohntüten ausgeraubt worden war, stellte sich die Albingia-Versicherung quer: Sie wollte den Schaden nicht ausgleichen. Dass sie es am Ende doch tat, lag am persönlichen Einsatz des Versicherungsagenten Erich Leue. Dabei hätte er sich doch bequem auf den Standpunkt zurückziehen können, dass er schließlich nur der Vermittler zwischen Kunde und Versicherer gewesen war, also bei Eintritt des Schadens längst raus aus der Nummer. Das tat er aber nicht. Seitdem war Klöckner ein dankbarer Stammkunde bei Leue & Nill. Und als die Georgsmarienhütte 1993 mir gehörte, blieb ich der Agentur treu – bis heute.

Tugenden mit Weltmarktführer-Potenzial

In dieser Geschichte spiegeln sich einige traditionelle Stärken der deutschen Wirtschaft wider, sozusagen goldene Regeln für den Markterfolg:

1. »Mehr für den Kunden tun als pro forma notwendig«

Eine typisch mittelständische Eigenart, bei Familienunternehmern vermutlich sogar erblich bedingt: Sie bringen es einfach nicht fertig, wie der Repräsentant eines Konzerns lediglich bis zum nächsten Quartalsergebnis zu schauen und das Pferd nur genauso weit springen lassen, wie es bis dahin muss. Sie fühlen sich persönlich zuständig und in der Verantwortung für die Zufriedenheit ihrer Kunden. Und zwar nicht, weil der Staat oder ein Gesetz das von ihnen verlangt. Darauf komme ich noch zurück.

2. »Ein Typ sein, nicht ein Funktionär«

Erich Leue war ein überaus stattlicher Grandseigneur alter Schule: Markenzeichen weißer Seidenschal, distanziert, begeisterter Kunstsammler, Stammgast in Bayreuth – und ein Sparfuchs, der seinen schweren Mercedes immer mit dem letzten Tropfen Benzin auf unsere Werkstankstelle der Georgsmarienhütte rollen ließ. Dort durfte er dann selbstverständlich kostenlos volltanken. Sein Agentur-Partner Stefan Nill war das genaue Gegenteil: ein körperlich kleiner Franke, wendig, offen, freundlich, immer sofort mit jedermann im Gespräch und nebenbei Jäger. In Westbevern, wo er seine Jagd hatte, sponserte er eine Jugendmusikkapelle, um die jungen Leute von diesen neumodischen »Tanzschuppen« fernzuhalten. Die hasste er nämlich – er war ein Wagnerianer wie Leue.

Leue und Nill, zwei Typen wie Asterix und Obelix oder Bud Spencer und Terence Hill: ein unschlagbares Duo. Etwas spleenig, aber konservativ wertorientiert, fleißig, kompetent und in der Not jederzeit zur Stelle. Die Amerikaner sagen über kantige Kerle wie sie sprichwörtlich: »Solche werden heute nicht mehr hergestellt.« Und das ist leider meist nur allzu wahr.

3. »Vertrauenskapital aufbauen«

Unternehmen wie Leue & Nill sammeln es durch ihre Kompetenz und ihr Engagement im Lauf der Zeit an. Es ist die Basis, auf der sie so erfolgreich wirtschaften. Das ist ähnlich wie mit einem millionenfach bewährten Markennamen à la »Tempo-Taschentücher«: Dem Kunden erspart die Marke seines Vertrauens eine Menge Preisvergleiche, Marktforschung und sonstige Recherchen. Er weiß einfach, dass er nicht enttäuscht werden wird, wenn er ihr treu bleibt – das ist der Zauber des Vertrauenskapitals. Dass Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit bei den Menschen hoch im Kurs stehen, sollten sich übrigens auch unsere Politiker mal wieder klarmachen. Die verfahren heute ja eher nach der Devise: »Versprechen und halten? Beides zusammen geht nicht!«

Doch zum begehrten und kostbaren Vertrauenskapital hat längst nicht jeder Zugang. Denn man kann noch so viele Marketing-Experten, Unternehmensberater und Internet-Gurus durch eine Firma jagen: hilft alles nichts, wenn zwischen Führungskräften, Mitarbeitern, Partnern und natürlich den Kunden kein Vertrauensverhältnis entsteht. Es reicht auch nicht, dass es einmal da ist, sondern es muss jeden Tag aufs Neue erarbeitet werden. Als Unternehmer mit einer Gruppe von Werken der Stahlindustrie vertraue ich am liebsten Leuten, die so ticken wie ich: bodenständigen Anpackern, die eine klare Sprache sprechen, die Gepflogenheiten des ehrbaren Kaufmanns beachten und weiter denken als bis zum nächsten Quartalsende. Leuten, denen ich bei der ersten Begegnung anmerke, dass sie mein Vertrauen nicht missbrauchen werden.

Ineffizient: eine politische Ökonomie

Das ist also ein schöner Dreiklang an Wirtschaftswunderzutaten: Engagement, Unverwechselbarkeit, Vertrauenswürdigkeit. Einige der Eigenschaften, die das deutsche Unternehmertum auf so vielen Gebieten zeitweilig zu Weltmarktführern gemacht haben. Damit die Bäume nun aber nicht in den Himmel wachsen, gibt es den aktuellen Zeitgeist: Unermüdlich und erfolgreich arbeitet er an der langsamen Auslöschung solcher viele Jahrzehnte lang bewährten Erfolgsprinzipien. Die Politik mehrerer aufeinanderfolgender Bundesregierungen, zugespitzt zuletzt durch eine »Ampel« unter maßgeblicher Beteiligung der Grünen, hat diesen Zeitgeist in immer mehr Gesetze, Normen und Verordnungen gegossen. Man könnte sie zu einem kiloschweren Paket zusammenfassen – unter dem schön bürokratischen Titel »Marktwirtschaftsverunmöglichungsinitiative«. Dieser Papierberg wächst immer noch weiter an und füllt inzwischen schon zahlreiche Regalmeter.

Wir erleben einen schleichenden, sich aber beschleunigenden Übergang: weg von den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und der weitgehenden ökonomischen Selbstregulierung durch Angebot und Nachfrage. Weg von der freien Konkurrenz zwischen guten und weniger guten Produkten. Hin zu einer neuen, gelenkten Wirtschaftsform, die irgendwo zwischen Staatskapitalismus, Neo-Feudalismus und Neo-Sozialismus angesiedelt ist.

Begründet wird dieser Umbau mit übergeordneten, abstrakten und wie eine Religion nicht kritisierbaren Zielen wie »Planetenrettung« oder »Klimaschutz«. Doch wenn die Ökologie auf diese Weise die Ökonomie dominiert, werden am Ende beide verlieren. Denn dirigistische Lösungen sind bestenfalls zweitklassig. Den Unternehmen wird die Freiheit zur profitabelsten Innovation genommen. Dadurch können sie die Gewinne nicht mehr erwirtschaften, die für Aufbau und Erhalt des ökosozialen Paradieses vom Reißbrett notwendig wären. Auch wird verhindert, dass Konsumentenwünsche bedarfsgerecht erfüllt werden: preiswert, umfassend, hochwertig und zeitnah. Sowie übrigens auch nachhaltig und umweltfreundlich.

Wie funktioniert Wirtschaft in einer liberalen Marktordnung? Und wie geht es stattdessen unter den Vorzeichen einer »politischen Ökonomie« zu? Bisher haben deutsche Unternehmer ihre Pläne nach bestimmten Marktsignalen ausgerichtet: Faktoren wie Lohn- und Zinskostenentwicklung, Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Rohstoffen, technologischer Fortschritt (in Form leistungsfähigerer Maschinen und Programme), Währungsschwankungen, Sicherheit von Handelsrouten und viele praktische Erwägungen mehr.

Damit ist es mehr und mehr vorbei. Die neuen, entscheidenden Signale werden nicht mehr von den Märkten, sondern von Ideologen und Politikern gesetzt. Zu erfüllen sind jetzt Variablen, die sich nicht mehr kaufmännisch kalkulierbar und physikalisch messen lassen. Stattdessen sind es wolkige Begriffe wie »Vielfalt«, »Nachhaltigkeit«, »Fairness«, »Antidiskriminierung«, »Klimagerechtigkeit« oder »Transparenz«.

Der Inhalt dieser Wolken wird von der Politik definiert. Oft geht es dabei um die Erfüllung festgesetzter oder gar unausgesprochener »Quoten«: x Prozent mehr Frauen in Führungspositionen, nicht mehr als y Prozent »alte weiße Männer« als Mitarbeiter in der Abteilung, alle Rohstoffe aus zertifiziert nachhaltiger Produktion oder garantiert »fairen« Lieferketten. Wer diese Quoten nicht einhält, wird mindestens öffentlich an den Pranger gestellt. Oft belegt man ihn auch schon mit konkreten Strafen, etwa systematisch inszenierten Boykotts oder Kreditsperren.

Wer rettet uns vor den Aktivisten?