Außergewöhnliche Glaubensboten in Ostfriesland - Matthias Hilbert - E-Book

Außergewöhnliche Glaubensboten in Ostfriesland E-Book

Matthias Hilbert

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Beschreibung

Außergewöhnlich und wagemutig, glaubensstark und opferbereit waren sie alle, die in diesem Buch vorgestellten Glaubensboten, die für Ostfriesland und seine facettenreiche Kirchengeschichte und -landschaft von großer Bedeutung waren und die weit über Ostfries-land hinaus beachtliche und nachhaltige Wirkung erzielen sollten: Der Friese (und spätere Bischof von Münster) Liudger, der bei der frühen Christianisierung Ostfrieslands eine wichtige Rolle spielte, Der gelehrte polnische Baron Johannes a Lasco, der in der Reformationszeit als Superintendent bestrebt war, bei dem Aufbau und der Gestaltung der evangelischen Kirche in Ostfriesland neue Wege zu gehen und Reformierte und Lutheraner zusammenzuführen, Der friedfertige Täuferführer Menno Simons, der, ständig verfolgt und mit dem Tode bedroht, sich nicht nur nach der Katastrophe des Täuferreiches zu Münster bemühte, die niederdeutsche Täuferbewegung zu einen und ihr eine biblisch fundierte Basis zu geben, sondern der auch in Emden eine viel beachtete Disputation mit a Lasco führte. Der ostfriesische reformierte Pfarrer Karl Immer, der in der Krummhörn eine Erweckung auslöste und im Dritten Reich zum Wegbereiter der Bekennenden Kirche werden sollte. Herausgeber: Hans-Jürgen Sträter, Adlerstein Verlag

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Inhalt

Vorwort von Dr. Martin Heimbucher

Missionsbemühungen in Friesland vor oder neben Liudger

Wilfrid, der nur kurz unter den Friesen missionierte

Willibrord, der auch „Apostel der Friesen“ genannt wird

Bonifatius, der bei Dokkum den Märtyrertod erlitt

Willehad, der im östlichen Teil Ostfrieslands wirkte

Liudger, der friesische Bischof

Johannes a Lasco – Ostfrieslands „Bischof“ in der Reformationszeit

Menno Simons – Führer der gewaltlosen Täuferbewegung

Karl Immer – Wegbereiter der Krummhörner Erweckung und der Barmer Theologischen Erklärung

Zum Autor

Vorwort

„Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener.“ Matthäus 20,25f

In diesem Buch erzählt Matthias Hilbert erneut vom Leben und Wirken außergewöhnlicher Zeugen des christlichen Glaubens in Ostfriesland. Diesmal spannt er einen weiten geschichtlichen Bogen.

Er beginnt mit den Pionieren der Christianisierung Ostfrieslands im 8. Jahrhundert: Wilfrid, Willibrord, Bonifatius und Willehad. Ein eigenes Kapitel ist Liudger gewidmet, dem ersten friesischen Bischof. Danach folgen die Lebensbilder zweier markanter und wirkungsstarker Persönlichkeiten der Reformationszeit: Johannes a Lasco und Menno Simons. Schließlich wird uns ein tatsächlich außergewöhnlicher Bekenner aus der Zeit des Nationalsozialismus vorgestellt: der reformierte Pastor Karl Immer.

Über die Jahrhunderte hinweg kann man hier als ein Leitmotiv die kritische Frage verfolgen, wie es die Glaubenszeugen jeweils mit der Gewalt der Herrschenden hielten: Segelten sie mit ihrer Mission und mit ihrem Gemeindeaufbau einfach im Kielwasser der Mächtigen? Oder durchkreuzten sie den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt, indem sie in Wort und Tat Zeugnis ablegten von dem Einen, der die äußerste Niedrigkeit auf sich nahm, um den Menschen zu helfen, und der die Feindesliebe predigte – im Widerspruch gegen alle Gewaltherrschaft?

Im Blick auf die Christianisierung Ostfrieslands zitiert Matthias Hilbert dazu das kritische Urteil des Nestors der ostfriesischen Kirchengeschichte, Menno Smid: „Die Prediger des Evangeliums hatten die politische Neutralität verlassen und sich eindeutig auf die Seite des derzeit politisch Stärkeren geschlagen. Militärische

Unterwerfung und Missionierung ergänzten sich.“ Wirklich überzeugen konnten die Missionare die heidnischen Friesen allerdings nur, wenn sie auch dann für die Wahrheit des Glaubens einstanden, wenn dieses Zeugnis sie das Leben kosten konnte. Mit einer solchen Haltung scheint Friesenapostel Willibrord sogar den König Radbod beeindruckt zu haben, der sich allerdings bis an sein Lebensende einer Christianisierung widersetzte.

Mögen die mittelalterlichen Lebensbilder der Friesenmissionare auch teilweise legendarischen Charakter haben, so zeugen sie immerhin auch von der Einsicht, dass eine Christianisierung, die ihren Namen verdient, nicht mit Schwert und Feuer durchgesetzt werden darf, sondern auf das überzeugende Beispiel in der eigenen Lebensführung angewiesen bleibt. Bereits Luidgers geistlicher Mentor Alkuin formulierte die Erkenntnis: „Zum Glauben kann der Mensch wohl gezogen, nicht aber gezwungen werden.“ Dennoch kam es auch vor den Augen der Friesenmissionare noch zu Zwangstaufen und zu der damit verbundenen Gewalt – ohne dass ein kritisches Wort des Friesenbischofs Luidger dazu überliefert wäre.

Einen anderen Charakter tragen – in ganz anderer Zeit – die Konzepte zur Kirchenreform des polnischen Humanisten und Reformators Johannes a Lasco. Sie suchen die kirchliche Unabhängigkeit von staatlichen Vorgaben, bleiben freilich dennoch angewiesen auf das Wohlwollen und den zugestandenen Gestaltungsraum der Landesherren. So erleidet a Lasco an verschiedenen Orten seines Wirkens das Schicksal der Vertreibung. Nicht nur eine gewaltsame Zurückdrängung reformatorischer Einflüsse wie in England, sondern auch die religionspolitische Schaukeltaktik des ostfriesischen Grafenhauses zwingen ihn hier und dort, Reform und Aufbau der Kirche immer wieder aus der Hand zu geben. Der Hirte der Flüchtlingsgemeinden wird selber zum Flüchtling. In der Summe formt sich sein Lebensweg über zahlreiche Stationen hinweg zu einer umfassend europäischen Biografie. Dass die Stadt Emden 450 Jahre nach seiner dortigen Wirksamkeit den Titel: „Reformationsstadt Europas“ erhält, das hätte ihm sicherlich Genugtuung bereitet.

Dem folgenden Lebensbild stellt Matthias Hilbert eine kurze Schilderung der Täuferbewegung voraus, des „linken Flügels der Reformation". In der Nachwirkung ragt aus dieser Bewegung der Witmarsumer Menno Simons heraus, der bis heute seine Spuren nicht allein in Ostfriesland, sondern in den Mennonitengemeinden weltweit hinterlassen hat. Wegweisend werden für ihn und seine Gemeinden Bekenntnis und Praxis eines konsequenten Verzichts auf Gewalt: „Wir kennen und brauchen kein anderes Schwert, denn das, welches uns Christus Jesus selbst aus dem Himmel auf die Erde gebracht hat, nämlich das Schwert des Geistes“, so proklamierte Menno. Unbestechlich in ihren theologischen Positionen, zugleich respektvoll im Umgang miteinander, haben Menno Simons und Johannes a Lasco seinerzeit in Emden ihren theologischen Streit ausgefochten – bewaffnet allein mit jenem „Schwert des Geistes". Ihr ebenso wahrhaftiger wie brüderlicher Streit ist beispielhaft – damals wie heute.

Am Nächsten rückt uns schließlich Matthias Hilberts persönliches Portrait von Karl Immer, der im Pfarrhaus in Manslagt aufwuchs, als Sohn eines früheren Missionars. Denkwürdig bleibt das Zeugnis des späteren Bundespräsidenten Johannes Rau über die Verkündigung und Seelsorge des Pastors seiner Wuppertaler Kindheit: „Sein Wort war kraftvoll, aber es konnte leise sein. Tapfer war es immer.“ Solche Tapferkeit war im Kirchenkampf gegen die Gewaltherrschaft der Nazis keine bloße Redensart. Sondern sie forderte schnell auch die persönliche Bereitschaft, um des Glaubens willen zum Märtyrer zu werden: also für das christliche Bekenntnis das eigene Leben zu riskieren. Das ist nicht von jedermann zu erwarten. Karl Immer aber war dazu bereit. Sein Bruder Hermann, der Manslagter Pastor, hatte den Dreh- und Angelpunkt der von ihm beförderten ostfriesischen Erweckungsbewegung bereits darin gefunden: dass der Heilige Geist selber in der Wendung zum Gottvertrauen Menschen von aller Furcht befreit.

Dass Matthias Hilbert in den hier vorgelegten Lebensbildern genau davon anschaulich und nachfühlbar erzählt, dafür ist ihm herzlich zu danken!

Kirchenpräsident Dr. Martin Heimbucher

Evangelisch-reformierte Kirche

Leer, 10. Mai 2021

Außergewöhnliche Glaubensboten in Ostfriesland

1. Missionsbemühungen in Friesland vor oder neben Liudger

a) Wilfrid, der nur kurz unter den Friesen missionierte

Die Christianisierung der Friesen – inklusive der „Ostfriesen“ – geschah relativ spät und erfolgte zudem in einem langwährenden Prozess. Zwar hatte bereits 678 der fromme Yorker Bischof Wilfrid auf seiner Durchreise zum Papst nach Rom die Gelegenheit genutzt, unter den Friesen zu missionieren. Er hatte dabei sogar gewisse Erfolge erzielt, doch fehlte es seinem missionarischen Wirken an Durchschlagskraft und Nachhaltigkeit. Das war zum einen darin begründet, dass sein Aufenthalt unter den Friesen von zu kurzer Dauer war und nur punktuell an bestimmten lokalen Stellen erfolgen konnte. Zum anderen mag es daran gelegen haben, dass der Friesenkönig Aldgisl ihm zwar die Missionstätigkeit erlaubt hatte, selbst aber nicht zum Übertritt zum Christentum bereit war. Vorteilhaft für Wilfrids missionarisches Bemühen war jedoch gewesen, dass er als Angelsachse den Friesen sprachlich näherstand als dies bei den Franken der Fall war. Außerdem war seine Mission zu der Zeit noch frei von politischen Belastungen.

b) Willibrord, der auch „Apostel der Friesen“ genannt wird

Unter Aldgisls Nachfolger Radbod, König der Friesen von 679-719, veränderten sich die politischen Rahmenbedingungen erheblich. In seinem Bestreben, sein großfriesisches Reich weiter auszubauen – es erstreckte sich in einem breiten Streifen an der Nordseeküste entlang vom Fluss Het Zwin bei Brügge bis nach Butjadingen an der Unterweser –, geriet er zwangsläufig in Konflikt mit dem nach Norden drängenden fränkischen Reich. Schließlich besiegten die Franken unter Pippin dem Mittleren 689 Radbod und seine Krieger bei Dorestad. Damit verlor der Friesenkönig im Westen einen großen Teil seines Reiches.

Kurz darauf wandte sich mit Willibrord (um 658-739) ein weiterer angelsächsischer Missionar der von Wilfrid begonnenen Friesenmission zu. Willibrord stammte aus Northumbrien und hatte seine Ausbildung zunächst in dem englischen Benediktinerkloster Ripon erhalten, dessen Vorsteher Wilfrid war, und danach in dem irischen Kloster Rathmelsigi. Zusammen mit zwölf Gefährten brach er dann im Jahr 690 zur Mission unter den Friesen auf. Dabei traf er eine kirchenpolitische Entscheidung von erheblicher Tragweite: Er erklärte sich zum Gefolgsmann des christlichen Franken Pippin, welcher soeben dem heidnischen Friesenkönig Radbod eine empfindliche Niederlage zugefügt hatte. „Wodurch sonst auch immer diese Entscheidung bestimmt sein mochte“, urteilt Menno Smid, „hatte sie doch zur Folge, dass nun erst die politische Unterwerfung der Friesen durch die Franken den Fortschritt der christlichen Mission ermöglichte. Die Prediger des Evangeliums hatten die politische Neutralität verlassen und sich eindeutig auf die Seite des derzeit politisch Stärkeren geschlagen. Militärische Unterwerfung und Missionierung ergänzten sich. Dabei ging die Planung auf dem Gebiet der Mission viel weiter als die tatsächlichen Erfolge, die nun von militärischen und politischen Siegen oder Niederlagen abhängig wurden.“

Außerdem bemühte sich Willibrord darum, für seine Person und sein Missionsvorhaben die Unterstützung des Papstes zu gewinnen. So war er bereits 692 zum ersten Mal zum Papst Sergius I. nach Rom gereist und erhielt von diesem auch die Zustimmung für seine missionarische Tätigkeit unter den Friesen. Drei Jahre später wurde er bei einem weiteren Besuch in Rom sogar (auf Verlangen Pippins) zum reisenden friesischen Erzbischof geweiht. Noch im selben Jahr veranlasste Pippin den Bau einer Kathedrale in Utrecht, da diese Stadt zum Bischofssitz für die geplante friesische Kirchenprovinz ausersehen worden war.

Willibrords Missionsbemühungen um die Friesen waren zunächst durchaus Erfolge beschieden. Das lag auch daran, dass das Christentum in dieser Zeit in der einen oder anderen frankenfreundlichen Adelsfamilie Fuß fasste. Aus einer dieser Familien entstammte im Übrigen auch der bedeutende spätere Bischof Liudger, von dem noch die Rede sein wird (s. S. 22ff). Hier und da wurden aber auch ganz bewusst Kultstätten und -symbole zerstört, die den paganen Germanen heilig und ihren Göttern geweiht waren. Das sollte zum einen die zum Christentum Konvertierten davon abhalten, je wieder ihren alten Göttern zu huldigen. Zum anderen sollte es aber auch die Machtlosigkeit ihrer Götter (und damit deren Nicht-Existenz) zeichenhaft demonstrieren. Doch bargen solche Demonstrationshandlungen auch ein Risiko in sich: Sie konnten zwar die Menschen durchaus beeindrucken, so dass sie bereit waren, sich für den ihnen verkündigten christlichen Glauben zu öffnen. Auf der anderen Seite konnten sie aber auch als gewalttätige und übergriffige Provokationen empfunden werden. Letzteres erlebte Willibrord einmal – so berichtet es jedenfalls der fränkische Gelehrte Alkuin (735-804) in seiner Willibrord-Hagiographie – während eines Aufenthaltes auf einer Nordseeinsel (vermutet wird Helgoland), wo er nach einer Missionsreise zu den Dänen einen Zwischenstopp eingelegt hatte.

Nach Alkuin spielte sich der Vorfall so ab: „Er (Willibrord) gelangte im Grenzgebiet von Friesen und Dänen zu einer Insel, die von den Einheimischen nach ihrem Gott Fosite ‚Fositenland‘ genannt wurde, weil auf ihr Heiligtümer dieser Gottheit errichtet waren. Diese Stätte wurde von den Heiden mit solchem Respekt behandelt, dass niemand unter dem Volk es wagte, eines der dort weidenden Tiere oder irgendwelche andere Gegenstände zu berühren, oder sich anmaßte, aus der Quelle, die dort sprudelte, das Wasser anders als schweigend zu schöpfen. Als der Gottesmann durch einen Sturm dorthin getrieben worden war, hielt er sich dort einige Tage auf, (…) Weil er aber den törichten Kult jener Region verachtete, vielleicht auch den wilden König, welcher die Frevler an den Heiligtümern dieser Gegend mit qualvollem Tode zu bestrafen pflegte, taufte er drei Menschen in dieser Quelle unter Anrufung der heiligen Dreieinigkeit, ließ aber die dort weidenden Tiere als Nahrung für die Seinen schlachten. Die Heiden, welche dies beobachteten, glaubten, dass diese Menschen entweder dem Wahnsinn verfallen seien oder durch einen schnellen Tod ereilt würden. Als sie aber sahen, dass ihnen kein Leid widerfuhr, meldeten sie das, was vor ihren Augen geschehen war, ihrem König Radbod. Dieser, in maßlosem Zorn entbrannt, beabsichtigte, die seinen Göttern zugefügten Übergriffe an dem Priester des lebendigen Gottes zu rächen, und warf im Laufe von drei Tagen je dreimal nach seiner Gewohnheit das Los, niemals aber konnte das Los der Verurteilten auf einen Diener Gottes oder irgendeinen der Seinen fallen, (…) Nur ein einziger unter den Gefährten wurde vom Los getroffen und mit dem Martyrium ausgezeichnet.“

Als Willibrord zu Radbod gerufen wurde und wegen jener Schändung harte Vorwürfe einstecken musste, soll er dem König entgegnet haben, dass dieser „mit verderblichem Irrglauben verblendet“ sei, und es „nur einen einzigen Gott gibt, und das ist der, welcher Himmel und Erde und alles, was darin ist, erschaffen hat“. Dann beschwor er Radbod, sich diesem „einzigen und allmächtigen Gott“ zuzuwenden und „ein neues Leben in Nüchternheit, Gerechtigkeit und Heiligkeit“ zu führen. Damit stößt der Missionar bei dem Friesenkönig freilich auf taube Ohren.(1) Dennoch ist dieser davon beeindruckt, dass Willibrord sich so furchtlos verhalten hat und attestiert ihm: „Deine Worte entsprechen deinen Taten.“ Daraufhin wird der „Frevler“ zum fränkischen Machthaber zurückgeschickt – also des Landes verwiesen.

Pippin der Mittlere starb 714. Diese Gelegenheit nutzte Radbod aus, um ein mächtiges friesisches Heer um sich zu versammeln und den Franken die Gebiete wieder zu entreißen, die sie ihm einst genommen hatten. Darüber hinaus drang Radbod nach Austrien ein, dem östlichen Teil des fränkischen Reiches, und brachte sogar Köln unter seine Gewalt. (Die Franken kauften die Stadt dann gegen große Teile ihres Reichsschatzes wieder frei.) Auf seinem Eroberungszug ließ Radbod Kirchen niederreißen oder niederbrennen, Priester und Missionare vertreiben und heidnische Altäre, Tempel und Götterhaine wiederherstellen.

Schon bald nach Radbods Tod im Jahr 719 gelang es dem neuen fränkischen Machthaber Karl Martell, nicht nur die verloren gegangenen Gebiete wieder zurückzuerobern, sondern die Frankenherrschaft sogar bis zum Fluss Lauwers (ca. 35 km westlich von Groningen) auszudehnen. Das bedeutete aber auch, dass sich neue Möglichkeiten für die Missionierung der Friesen boten, die der von Karl Martell protegierte Willibrord weidlich zu nutzen verstand.

698 hatte Willibrord mithilfe einer Schenkung von Irmina von Öhren, der Ehefrau eines Pfalzgrafen, das im heutigen Luxemburg gelegene Kloster Echternach gegründet. Dort verstarb er am 7. November 837. Der Titel „Apostel der Friesen“, der ihm beigelegt wurde, ist nach dem Urteil von Hans-Joachim Reischmann „angesichts seiner erfolgreichen Missionsarbeit im Land zwischen Rhein- und Wesermündung allgemein anerkannt“ und „dank seines couragierten Engagements für die Christianisierung der dort lebenden Völker und Stämme unumstritten“.(2)

Anmerkungen

(1) Schon zuvor soll Willibrord einmal Radbod aufgesucht haben. „Denn er scheute sich nicht“, so Alkuin, „vor den damaligen Friesenkönig Radbod, der mit seinem ganzen Volk im Heidentum lebte, zu treten, und, wo auch immer sein Weg ihn hinführte, verkündigte er Gottes Wort mit aller Freimütigkeit. Aber der genannte Friesenkönig, obgleich er den Gottesmann aus Respekt freundlich empfing, ließ dennoch sein steinernes Herz durch die wärmenden Worte des Lebens nicht im Geringsten erweichen.“

Über Radbod geht das Gerücht, dass er im Alter kurz vor seiner Taufe gestanden, dann aber unmittelbar vor dem eigentlichen Taufakt einen Rückzieher gemacht habe. Er soll nämlich auf seine Frage, ob sich seine Vorfahren im Himmelreich der Christen oder im höllischen Ort der Verdammnis befänden, von dem fränkischen Missionar Wulfram, der ebenfalls unter den Friesen wirkte, die Antwort erhalten haben, dass sie als Ungetaufte wohl dem Verdammungsurteil anheimgefallen seien. Daraufhin habe Radbod entschieden, nach seinem eigenen Tod ebenfalls bei seinen Stammesgefährten sein zu wollen, und deswegen die Taufe verweigert. In seiner Anfang des 12. Jahrhunderts erstellten Willibrord-Hagiographie – im Grunde eine stilistische Neubearbeitung der von Alkuin erstellten – kolportiert der Abt Thiofrid von Echternach den angeblichenTaufrückzieher Radbods so: „Dieser (…) war, sofern man der Überlieferung der Vorfahren Glauben schenken darf, durch die göttliche Predigt eines Apostels nicht nur zu den Grundlagen des katholischen Glaubens, sondern sogar zum Wasser der Taufe geführt worden. Als er aber seinen Fuß in das Wasser getaucht hatte, innerlich wie äußerlich in gleichem Maße schwankend und unsicher – mag sein deswegen, weil (…) der Wille von Königen meistens ebenso impulsiv wie schwankend und widerspruchsvoll ist –, da zog er ihn, zum Abtrünnigen geworden, in großer Hast wieder heraus…“

(2) D. Hensmann weist allerdings darauf hin, dass Willibrord die im Osten wohnenden Friesen selber noch nicht mit seiner Botschaft erreicht habe.

c) Bonifatius, der bei Dokkum den Märtyrertod erlitt

Auch Winfrid oder Wynfreth, wie Bonifatius ursprünglich hieß, ist Angelsachse gewesen. Er wurde zwischen 672 und 675 in dem damaligen Königtum Wessex, das im südwestlichen Teil Englands liegt, geboren. Seine Eltern, die wohl dem niederen Adel angehörten und über einigen Grundbesitz verfügten, gaben den Sohn schon früh zur Erziehung und Ausbildung in das Kloster Exeter. Später wechselte Winfrid dann in das Kloster Nursling, in dem er nicht nur zum Priester geweiht wurde, sondern auch selbst unterrichtete und verschiedene Lehrbücher verfasste. Obgleich er ganz offensichtlich eine verheißungsvolle Kirchen- und Gelehrtenlaufbahn vor sich hatte, entschloss sich Winfrid jedoch im Frühjahr 716, die Komfortzone des Klosters zu verlassen und als Missionar unter den Friesen zu wirken.

Mit einigen frommen Gefährten schifft er sich in London ein und lässt sich mit ihnen nach dem südlich von Utrecht gelegenen Handelsort Dorestad (heute Wijk bij Duurstede) bringen. Doch der Zeitpunkt für das Missionsabenteuer war denkbar ungünstig gewählt. Denn der Friesenkönig Radbod hatte gerade große Teile seines an die Franken verlorenen Reiches wieder zurückerobern können und den zarten Pflänzchen christlichen Lebens, die da und dort durch die Bemühungen des Willibrord aufgesprossen waren, den Garaus gemacht. „Ausgerechnet an diesen Gegner des Christentums“, wundert sich der Bonifatius-Forscher Lutz Padberg, „wandte sich Wynfreth nun, der im Hochgefühl des Sieges natürlich nicht daran dachte, sich von einem ihm unbekannten ausländischen Priester bekehren zu lassen. Missionsfahrten auf eigene Faust hatten damals keine Chance, es bedurfte der Kooperation mit der staatlichen Herrschaft. Das musste Wynfreth einsehen, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als im Herbst 716 mit seinen Leuten auf die Insel zurückzukehren.“

Das Kloster Nursling nimmt den gescheiterten Friesenmissionar mit offenen Armen wieder auf. Im folgenden Jahr wird er sogar dessen Abt. Doch nur ein Jahr später (718) macht sich Winfrid erneut auf und verlässt seine Heimat für immer. Wiederum zieht es ihn an die Missionsfront.

Doch diesmal geht der Angelsachse planmäßiger vor. Er tritt zunächst eine Pilgerreise nach Rom an, wo er – ausgestattet mit Empfehlungsschreiben des für ihn zuständigen Diözesanbischofs von Winchester – im Mai 719 von Papst Gregor II. nicht nur offiziell von seinem Amt als Klosterabt entbunden wird, sondern von ihm auch den Auftrag erhält, „ungläubigen Völkern das Geheimnis des Glaubens bekannt zu machen“. Gleichzeitig stattet er den von ihm ernannten Heidenmissionar mit einem neuen Namen aus: Bonifatius, „der gutes Schicksal Bringende“, soll er ab sofort heißen. Wie der Heilige des Vortages, der einst vor über 400 Jahren den Märtyrertod erlitten hatte.

Nachdem Bonifatius von Rom wieder abgereist ist, begibt er sich – nach einer Stippvisite in Thüringen – wieder nach Friesland. Hier war inzwischen der widerspenstige Radbod verstorben, woraufhin sich die Machtverhältnisse wieder zugunsten der Franken zu verschieben begannen. Und was ebenfalls wichtig war: In Friesland hatte Willibrord erneut seine Missionsarbeit aufgenommen. Ihm schließt sich nun Bonifatius an. Vielleicht auch in der Hoffnung, von dem erfahrenen, ehrwürdigen Missionsmann lernen zu können. Und tatsächlich gehen die Missionsbemühungen der beiden Männer (und ihrer Mitarbeiter) unter fränkischem Schutz allem Anschein nach gut voran.

Doch bereits 721 beendet Bonifatius die Zusammenarbeit mit dem im siebten Lebensjahrzehnt stehenden Willibrord. Das hing vermutlich mit unterschiedlichen Ansichten der beiden Missionare zusammen, wie sie leicht entstehen können, wenn zwei Führungspersönlichkeiten miteinander zusammenarbeiten sollen, die zudem noch unterschiedlichen Alters sind. „Darüber hinaus“, vermutet Lutz von Padberg, „fühlte Bonifatius sich in Friesland eingeengt und sah sein eigentliches Ziel, die Mission bei den Sachsen, in die Ferne rücken. Außerdem hatte sich inzwischen die politische Lage im Frankenreich gefestigt, so dass dort selbständigeres Wirken möglich wurde.“

Doch zeigten die kommenden Jahre und Jahrzehnte, dass der Schwerpunkt von Bonifatius‘ Wirksamkeit nicht bei den sächsischen Volkschaften, sondern vorrangig innerhalb des Fränkischen Reiches liegen sollte. (Allerdings missionierte Bonifatius gerne immer wieder mal in fränkisch-sächsischen Grenzgebieten. Als Angelsachse sah er die auf dem Kontinent lebenden „Altsachsen“ gewiss als Stammesverwandte an, deren Missionierung ihm daher ein besonderes Anliegen gewesen sein dürfte.)

Bonifatius‘ Wirken im heutigen Hessen ist im kollektiven Gedächtnis der Deutschen untrennbar mit der Fällung jener mächtigen „heiligen“ Eiche verbunden, die in Geismar gestanden haben soll und die der germanischen Gottheit Donar geweiht war. Als Donar-Eiche war sie schon seit Generationen von den hier und im Umland lebenden Menschen verehrt worden, von denen die meisten dem Volksstamm der Chatten angehörten. Entsprechend dürften an diesem Ort auch Opferhandlungen vorgenommen worden sein. Da das alles nach christlichem Verständnis Götzendienst war, wollte Bonifatius ein deutliches Zeichen setzen. Dabei dürfte er zum einen die vielen, noch unbekehrten Heiden im Auge gehabt haben, zum anderen aber auch die bereits zum Christentum übergetretenen Bewohner der dortigen Gegend. Manche von ihnen mögen noch schwankend in ihrem neuen Glauben gewesen sein und daher versucht, in die alten heidnischen Praktiken und Verhaltensmuster zurückzufallen. Und so machte sich Bonifatius zum Entsetzen der ihm zuschauenden Menschen daran, mit wuchtigen Schlägen die Donareiche zu Fall zu bringen, um die Ohnmacht und Nichtigkeit der germanischen Götter zu beweisen. Und da ihm keine „göttliche Rache“ ereilte, dürfte er bei nicht wenigen die gewünschte Wirkung erzielt haben. Auch ist davon auszugehen, dass sich die Kunde von dieser eindrucksvollen Tat schnell in der Nähe und Ferne verbreitet haben dürfte. Zumal Bonifatius auch noch an gleicher Stelle aus dem Holz der Eiche ein christliches Bethaus errichten ließ.

Im Laufe seines langen Lebens hat sich Bonifatius hingebungsvoll um den weiteren Aufbau und die Reform der bereits existierenden katholischen Kirche im fränkischen Reich bemüht, wobei er sie eng an den Papst und dessen Direktiven zu binden verstand. Unermüdlich reiste er durch die Lande, predigend und missionierend, visitierend und organisierend. Er gründete Klöster und Bistümer und scheute sich nicht, Bischöfe und Priester zurechtzuweisen, die sich ihres geistlichen Amtes unwürdig verhielten. Bei all dem war ihm von Nutzen, dass er lange Zeit die Unterstützung der fränkischen Machthaber genoss und vom Papst zum Missionsbischof – und später Erzbischof – geweiht und ferner zum päpstlichen Legaten für Germanien ernannt worden war.