Ostfriesische Pastoren im Dritten Reich - Matthias Hilbert - E-Book

Ostfriesische Pastoren im Dritten Reich E-Book

Matthias Hilbert

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Beschreibung

Dieses Buch stellt zwölf Lebensbilder von prominenten ostfriesischen Pastoren vor mit besonderer Berücksichtigung ihres Verhaltens während der Nazidiktatur. Nicht wenige von ihnen standen im Januar 1933 der Machtergreifung Hitlers positiv gegenüber. Andere, wie etwa Karl Immer, Heinrich Oltmann, Hermann Steen, Harmannus Obendiek oder Friedrich Middendorff, hatten schon früh eine kritische Stellung zum Nationalsozialismus und vor allem zu den mit den Nazis sympathisierenden Deutschen Christen eingenommen. Manche von ihnen bezahlten ihre konsequente Haltung mit Verhören, Inhaftierungen und anderen Repressalien. Ein erschreckendes Beispiel für eine totale Anpassung an den Nazistaat und die Naziideologie, verbunden mit einem völlig verzerrten christlichen Glaubensverständnis, bietet der fanatische Auricher Pastor Heinrich Meyer. Als überaus beeindruckend sind hingegen die Glaubenstreue und politische Integrität der katholischen Geistlichen Hermann Lange und Heinrichs Schniers zu bezeichnen, von denen der eine durch Hitlers Schergen durch die Guillotine hingerichtet wurde und der andere im Konzentrationslager Dachau sein irdisches Lebensende fand. Herausgeber: Hans-Jürgen Sträter, Adlerstein Verlag

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Inhalt

Vorwort

Hans Bruns – Lossage von den „Deutschen Christen“ per Zeitungsannonce

Gerrit Herlyn – Licht und Schatten

Hermann Immer – Ein Pastor, der viel Mitmenschlichkeit zeigte

Karl Immanuel Immer – „Alltied liekdör!“

Hermann Lange – Durch die Guillotine hingerichtet

Heinrich Meyer – Fanatischer Nationalsozialist ohne Skrupel

Friedrich Middendorff – „Der Kampf musste sein!“

Harmannus Obendiek – „Aus dem reformierten Kirchenkampf nicht wegzudenken“

Heinrich Oltmann – Klarsichtig und gradlinig

Hermann Steen – Eine Gemeinde steht hinter ihrem Pastor

Heinrich Schniers – In Sträflingskleidung durch Leer geführt und später im KZ ums Leben gekommen

Carl Octavius Voget – Vermittler zwischen den Fronten

Zum Autor

Meiner Schwester Ruth gewidmet

Vorwort

Dieses Buch stellt zwölf Lebensbilder von prominenten ostfriesischen Pastoren vor mit besonderer Berücksichtigung ihres Verhaltens während der Nazidiktatur. Das heißt nicht, dass grundsätzlich alle von ihnen während des Dritten Reiches auch in Ostfriesland als Pastoren tätig gewesen sind. Doch auch diejenigen, bei denen dies nicht der Fall war, haben zumindest durch ihre Herkunft und teilweise auch ihr temporäres Wirken in diesem nordwestdeutschen Landstrich einen deutlichen ostfriesischen Hintergrund aufzuweisen.

Nicht wenige von ihnen standen – wie so viele andere Deutsche auch – im Januar 1933 der Machtergreifung Hitlers positiv, aufgeschlossen und erwartungsvoll gegenüber. Warum das so war, habe ich vor allem in dem Kapitel zu Gerrit Herlyn näher aufzuzeigen versucht. Dieser hatte sich – ohne je ein Parteimitglied der NSDAP gewesen zu sein – von Hitler (und seiner Außenpolitik!) lange Zeit blenden lassen und dann nach dem Krieg eine radikale politische Wende vollzogen. Andere, wie etwa Karl Immer, Heinrich Oltmann, Hermann Steen, Harmannus Obendiek oder Friedrich Middendorff, hatten schon früh eine kritische Stellung zum Nationalsozialismus und vor allem zu den mit den Nazis sympathisierenden „Deutschen Christen“ eingenommen. Der Kampf gegen diese neue, mit nationalsozialistischer Ideologie durchtränkten „Glaubensbewegung“ ließ sie im Kirchenkampf an vorderster Front der Bekennenden Kirche (BK) stehen. Manche von ihnen bezahlten ihre konsequente Haltung mit Verhören, Inhaftierungen und anderen Repressalien.

Man mag der Bekennenden Kirche vorwerfen, dass es ihr in erster Linie darum ging, die Kirche und den Glauben von staatlicher Nötigung und den Irrlehren der „Deutschen Christen“ freizuhalten, sie jedoch zu staatlichem Unrechtsgeschehen, das sie nicht direkt betraf, eher geschwiegen habe. Aber als solche, die zu jener Zeit nicht unter den Umständen einer totalitären Diktatur und Propaganda haben leben müssen, sollten wir m. E. mit dem (Ver-)Urteilen vorsichtig und zurückhaltend sein. Wer vermag schon für sich zu sagen, wie er sich damals selbst wohl verhalten hätte? Und auch wenn sich die BK und ihre Mitglieder nicht als Oppositionsbewegung gegenüber dem Staat empfunden haben mögen (was auch ihrem Verständnis vom Verhältnis der Bürger zur Obrigkeit widersprochen hätte), so galt gleichwohl für das Naziregime „die BK als staatsfeindlich, gerade auch nach Beginn des Krieges, und wurde dementsprechend observiert und ggfs. behandelt“ (Theodor Immer). 1 Jedenfalls ist dem von den BK-Angehörigen in der Nazizeit gezeigten Mut und ihrer Bereitschaft, um ihrer Glaubensüberzeugungen und -treue willen nachteilige und negative Folgen auf sich zu nehmen, unbedingt Respekt zu zollen. Auch wenn sie nicht – im politischen Sinne – als „Widerstandskämpfer“ zu bezeichnen sind, so haben sie auf ihre Weise dem totalen Machtanspruch des Staates „widerstanden“, indem sie nicht bereit waren, ihr Gewissen und ihren Glauben korrumpieren zu lassen.

Ein erschreckendes Beispiel für eine totale Anpassung an den Nazistaat und die Naziideologie, verbunden mit einem völlig verzerrten christlichen Glaubensverständnis, bietet der fanatische Auricher Pastor Heinrich Meyer. Als überaus beeindruckend sind hingegen der Glaubensmut und die politische Integrität der katholischen Geistlichen Hermann Lange und Heinrichs Schniers zu bezeichnen, von denen der eine durch Hitlers Schergen durch die Guillotine hingerichtet wurde und der andere im Konzentrationslager Dachau sein irdisches Lebensende fand.

Und so stellt das Buch mancherlei Formen menschlichen Versagens und (Ver-)Irrens, aber auch menschlicher Bewährung und Integrität in jener Zeit der Naziherrschaft vor. Lernen können wir Heutigen wohl aus beidem – im positiven wie im negativen Sinne. Zumal Menschen zu allen Zeiten (und auch in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen) in Gefahr stehen, durch unkritisches, willfähriges Anpassen ihre Überzeugungen, ihr Gewissen und ihren Glauben zu verleugnen, um nicht anzuecken oder mögliche persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen.

1 Theodor Immer: Hermann Immer. Zwei Abschnitte seines Lebens. Nach den Akten dargestellt von Theodor Immer. Manuskript 1991, S. 23f

Hans Bruns – Lossage von den „Deutschen Christen“ per Zeitungsannonce

Gemeindedienst in Hollen und anfängliche Fehleinschätzungen

„Meinen ersten Atemzug habe ich am 7. Oktober 1895 im Pfarrhaus unter dem alten, wuchtigen Wilhardikirchturm zu Stade getan. Ich bin also meinem Geburtsort nach Niedersachse, aber dem Blut nach gehöre ich zu den Ostfriesen. Beide Eltern stammten aus Ostfriesland; die Eltern meines Vaters waren Bauern, die der Mutter Müller. Im Laufe meines Lebens habe ich mich je länger, umso mehr als Ostfriese gefühlt. Auch bin ich zehn Jahre in Ostfriesland Pastor gewesen.“ So schreibt Hans Bruns in seiner Autobiografie „Ich habe das Staunen gelernt“. Er war im letzten Jahrhundert einer der bekanntesten Pfarrer und Evangelisten in Deutschland. Seine Bibelübersetzung („Bruns-Bibel“) wird bis heute nachgefragt(1).

Nach seiner ersten Pfarrstelle in Drochtersen im „Alten Land“ war Bruns über zehn Jahre – von 1924 bis 1934 – in der ostfriesischen Gemeinde Hollen Pfarrer der dortigen evangelisch-lutherischen Kirche. Noch in seinem ersten Amtsjahr hatte er – gegen den Willen seines lutherischen Superintendenten – den mit ihm befreundeten reformierten Amtskollegen Heinrich Oltmann aus Loga zu einer mehrtägigen Evangelisation nach Hollen eingeladen. Diese Veranstaltung sollte sich als folgenreich erweisen, läutete sie doch den Beginn einer langanhaltenden „Erweckung“ in Hollen und Umgebung ein.

In den Räumen der Schule trafen sich fortan Gemeindeglieder zu Bibelstunden und in Privathäusern zu Hausbibelkreisen bzw. Stubenversammlungen. Im Winter wurden verschiedentlich Bibelkurse für junge Menschen durchgeführt, bei denen man mehrere Tage lang zusammenkam. Auch förderte Bruns schon früh die Errichtung eines Kirchen- und Posaunenchors sowie eines „Jungmädchenvereins“ und eines „Christlichen Vereins Junger Männer“. Sogar ein Jugendheim wurde gebaut. In der 1996 herausgegebenen Festschrift zum 100-jährigen Kirchenjubiläum Hollen heißt es: „Die Zeit war reif zur Ernte. Alle Aktivität, alles Denken und Handeln, alles Beten, Hören und Singen richtete sich auf das große Ziel aus, das ‚Erweckung‘ hieß. (…) Wie eine Welle ging diese Erweckung durch unsere Gemeinde. Ganze Familien und Nachbarschaften fanden Zugang zum Glauben. Segensspuren dieser lebendigen, ‚revolutionären‘ Zeit sind in unserer Gemeinde noch heute vorhanden.“

Wichtig war Bruns aber auch der persönliche Kontakt zu seinen Gemeindegliedern. Er war oftmals stundenlang unterwegs, um seine Hausbesuche zu machen. Er sah es als eine innere Pflicht an, nach Möglichkeit jedes Jahr wenigstens einmal in allen Häusern seiner rund 2000 Gemeindeglieder gewesen zu sein. So wusste er über deren Freuden, Sorgen und Nöte genau Bescheid. Dabei kam ihm zugute, dass er mit den Leuten plattdeutsch sprechen konnte. Das alles schuf Vertrauen, schuf Nähe. Der Pastor war einer von ihnen.

Hans Bruns war ein überaus aktiver, temperamentvoller und begeisterungsfähiger Mensch. Als 1933 die Nazis an die Macht kamen, „erlag er wie so viele andere zunächst der Faszination des Nationalsozialismus“ (Paul Weßels). 2 Ein „Nazi“ bzw. Parteimitglied war er jedoch nicht. Allerdings schloss er sich früh der mit den Nazis sympathisierenden „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ (DC) an. Er war der naiven und irrigen Meinung, „dass da Menschen waren, die versuchen wollten, auch jetzt das Evangelium ins Volk zu tragen“. Sogar öffentlich trat Bruns für die DC auf. So am 29. Mai in Leer bei einer großen Kundgebung. Bereits wenige Monate später kam es dann aber bei ihm nach der Sportpalastkundgebung der Deutschen Christen am 13. November 1933 in Berlin zu einer konsequenten Kehrtwende. „Als im Dezember“, so Bruns, „die berühmte Kundgebung im Sportpalast Berlin war, in der die Botschaft der Bibel verdreht, ja, geradezu verlästert wurde, bin ich mit einer öffentlichen Erklärung in der Zeitung ausgetreten.

Mit einigen meiner Pastorenfreunde, die zum Teil meinetwegen mitgegangen waren, erklärten wir in einem Eingesandt, dass wir wohl zunächst gemeint hätten, hier Ansatzpunkte zu haben, wo wir mithelfen könnten, das Reich Gottes auch im Dritten Reich zu bauen, dass wir aber nun öffentlich Protest einlegen müssten.

Darum könnten wir nicht anders, als aus der Bewegung auszuscheiden.“

Wörtlich hieß es in der am 23.12.1933 im „Leeraner Anzeigenblatt“ unter der Überschrift „Erklärung!“ veröffentlichten Anzeige, die von den Pastoren Aden (Steenfelde), Bruns (Hollen) und Heinemeier (Firrel) unterzeichnet war, u.a.:

Da es nicht geraten ist, gegen das Gewissen zu handeln, sehen wir uns gezwungen, aus der Glaubensbewegung „Deutscher Christen“ auszutreten. Die Sportpalastkundgebung in Berlin, in der trotz schärfster Angriffe gegen die Bibel und das Kreuz Jesu alle führenden Männer der „Deutschen Christen“ geschwiegen haben, hat uns die Augen geöffnet. Wir haben seitdem das Vertrauen zur Reichsleitung der D.C. (Hossenfelder) völlig verloren. Durch sie sind Irrlehren in die Gemeinden getragen worden. (…) Im Dienst an unserer Kirche und dem unter seinem Führer geeinten Volke können wir uns nur an Christus und sein Wort gebunden wissen.“

Gegen das berüchtigte Buch des NSDAP-Ideologen Alfred Rosenberg, „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ verfasste Bruns 1934 eine Gegenschrift unter dem Titel: „‚Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts‘. Eine Einleitung in seine Gedankenwelt und erste Anleitung zu einer Auseinandersetzung mit ihm.“ Auf Veranlassung höherer Instanzen wurde diese Schrift später eingestampft und verboten.

Wenngleich sich Bruns von den „Deutschen Christen“ gelöst hatte, so ist es bei ihm doch nicht dazu gekommen, dass er sich in der Folgezeit der Bekennenden Kirche angeschlossen hätte. Dass er aber (auch) Vorbehalte gegenüber dem Nationalsozialismus gehabt hat, das spürten wohl auch die Gemeindeglieder, wie folgender Vorfall zeigt, den Bruns so schildert: „Wie sehr die Männer in der Partei in der Gemeinde doch merkten, dass ihr Pastor nicht mitging, zeigt ein kleines Erlebnis. Der Mann, der in einer der Gemeinden die Führung der nationalsozialistischen Bewegung in die Hand nahm, wurde Vater von zwei Jungens. (…) Eines Tages erschien er mit dem ‚deutschen Gruß‘ im Pfarrhaus: ‚Herr Pastor, ich komme, um eine Bescheinigung von Ihnen zu fordern, dass der Nachbarpastor meine Kinder tauft. Sie werden verstehen, dass das nach Lage der Dinge durch Sie nicht geschehen kann.‘ Ich war überrascht und ließ mir die Namen der Kinder nennen, damit ich sie in das Taufregister eintragen könnte. (…) Dann betete ich mit dem Mann, für ihn selbst, für seine Frau und seine Kinder. Er hat später, nach 1945, erzählt, wie unsicher und beschämt er damals aus dem Pfarrhaus fortgegangen sei.“

Weitere Konflikte im Dritten Reich

Im Jahr 1934 verließ Hans Bruns seine geliebte Hollener Kirchengemeinde und folgte einem Ruf des Deutschen GemeinschaftsDiakonieverbandes (DGD), für den er fortan als viel gefragter Evangelist und Freizeitleiter tätig war. Er zog zunächst nach Elbingerode, wo sich eines der Mutterhäuser des DGD befand. Nach seinen eigenen Worten fand er „eine nicht ganz leichte Lage vor; ähnlich wie ich im Jahre 1933 meinten viele, man müsse doch mitgehen und könne nur dann mithelfen. Wohl waren nur wenige in die Partei eingetreten, es gab auch eine ernste Gegenströmung im Werk, aber im allgemeinen stand man zum ‚Neuaufbruch‘ positiv aktiv. Dass Pfarrer Krawielitzki mich trotz meiner ihm bekannten Ablehnung der Partei berief, zeigt nicht nur die Großzügigkeit dieses Mannes, sondern vor allem sein eigentliches Wollen: Ihm lag daran, das Reich Gottes zu bauen, und er meinte damals noch, dass die Partei das nicht hindern würde. (…) Es war nicht ganz leicht, sich der Gesamtbegeisterung ganz zu entziehen und ‚gegen den Strom zu schwimmen‘. (…) Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu blieb immer das Entscheidende und überwog alle noch so verschiedene Sicht im Blick auf das politische Geschehen.“(2) Doch Bruns gesteht auch: „Natürlich war es auch da wieder so, dass ich zumal im Anfang des Krieges mit seinen Siegen manchmal gepackt und mitgerissen wurde; dennoch konnte ich immer weniger die Sorgen loswerden, die mir kamen, wenn ich an das eigentliche, vor allem innerliche Geschehen dachte.“

In einem Brief, den Bruns im Juni 1937 an Theophil Krawielitzki, den Direktor des DGD, schrieb, gab er diesem zu bedenken: „Ich kann nur immer wieder darum bitten, dass unsere Haltung zum Staat allein aus Glauben herauskommt und nicht irgendwie aus einer großen Illusion. Ich fürchte, dass manche fast nur aus illusionären Gründen positiv zum Staat stehen. Das ist aber nicht biblisch, weil es nicht wahr ist. Es geschehen doch zu viele Dinge, die uns Not machen müssen und machen. Wir sollten nicht taktisch reden und handeln, sondern allein aus dem Glauben heraus. Das ist allein die rechte Haltung. (…) Ich meine, den mir aufgezeichneten Weg weitergehen zu müssen: zu warnen, dass wir nicht in eine falsche Begeisterung für Volk und Staat hineingeraten, sondern die biblische Haltung von Römer 13 einnehmen, wo nichts von einer freudigen Bejahung, sondern von einem Unterordnen die Rede ist.“

1936 war Hans Bruns nach Marburg gezogen, wo der DGD seinen Hauptsitz hatte. Im Zweiten Weltkrieg wurde er in der Heimat an verschiedenen Orten als Ordonanz- oder auch als Betreuungsoffizier eingesetzt. Bei seinem Dienst in Frankfurt störte sich sein Vorgesetzter, der ein Gegner des Christentums war, sehr stark an Bruns‘ missionarischem Engagement. Nach einem Wortgefecht wurde dieser schließlich im April 1943 vorzeitig aus dem Wehrdienst entlassen. Später erhielt er sogar vom Landrat des Kreises Marburg ein Redeverbot. Auch im DGD mehrten sich die Stimmen gegen Bruns. Schließlich beurlaubte man ihn für eine Zeit lang zum Dienst im Ostfriesischen Verband für Gemeinschaftspflege und Evangelisation. Da ihm die Kanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche Bescheinigungen über die Notwendigkeit seiner Reisen ausstellte, war es Bruns möglich, sogar im letzten Kriegsjahr noch manche Städte in Deutschland aufzusuchen, um dort in Kirchen vor mehreren hundert Besuchern oder auch nur in kleinen Kreisen das Evangelium zu verkündigen.

Nach dem Kriegsende konnte Bruns seine Tätigkeit beim Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverband wieder aufnehmen. Auch arbeitete er aktiv mit in der interkonfessionellen Seelsorgebewegung „Marburger Kreis“, den er gemeinsam mit Artur Richter 1957 gegründet hatte. Am 8. März 1971 ist Hans Bruns im Alter von 75 Jahren gestorben. 3

Anmerkungen

(1) Dabei handelt es sich um eine moderne Bibelübertragung, die in allgemein verständlicher Umgangssprache verfasst ist und deren einzelne Textabschnitte mit kurzen erklärenden und kommentierenden Anmerkungen versehen sind.

(2) Am 4.3.1999 hat die erweiterte Mitgliederversammlung des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes (Hauselterntagung) folgende Erklärung herausgegeben: „Betroffen stellen wir fest, dass die damalige Leitung des DGD, soweit wir das aus der Kenntnis der Unterlagen beurteilen können, die unheimliche Verführung des Dritten Reiches nicht durchschaute. Dies war auch bedingt durch den Versuch kirchenpolitischer Neutralität, durch eine weitgehend unkritische Einstellung gegenüber den neuen Machthabern und später durch die Sorge um den Fortbestand des Werkes. Es ist für uns nicht nachvollziehbar, dass die Leitung des DGD Hitler als Führer und Retter des Vaterlands angesehen hat. (…) Wir bedauern, dass fehlende Hörbereitschaft auf gewichtige Stimmen im deutschen Pietismus und mangelnde Korrekturbereitschaft den Austritt aus dem Gnadauer Verband (1935 – 1946) vorbereitet haben und dass warnende Stimmen aus den eigenen Reihen bei der Leitung wenig Gehör fanden.“

Literatur- und Quellennachweis

Bruns, Hans: Ich habe das Staunen gelernt. Wuppertal/Gladbeck 1966

Bruns, Warner: Hans Bruns. In: Arno Pagel (Hg.): Sie wiesen auf Jesus. Marburg 1978, 136143

Collmann, Georg: Die Kirchengemeinde Hollen und der junge Pastor Hans Bruns. In:

Festschrift 100-jähriges Kirchenjubiläum Hollen (1896-1996)

Delbanco, Hillard: Kirchenkampf in Ostfriesland 1933-1945. Die evangelisch-lutherischen

Kirchengemeinden in den Auseinandersetzungen mit den Deutschen Christen und dem Nationalsozialismus. 1989 (2. Aufl.)

„Der DGD in der NS-Zeit“: https://www.dgd.org/uber-uns/der-dgd-in-der-ns-zeit/

Georgi, Curt: Hans Bruns – Sehr direkt. Ein Mann bleibt bei der Sache. Gießen 1974

Hilbert, Matthias: Ostfrieslands leidenschaftliche Pastoren. Sieben Pastorenporträts.

Norderstedt 2021 (2., korr. u. ergänzte Auflage)

Hilbert, Matthias: Hans Bruns – Gottes Feuerhaken. In: Ostfriesland Magazin 12/2021, S. 100105

Thorn, Hella: Bibel-Pionier und Evangelist. 50 Jahre Bruns-Bibel. In: Faszination Bibel 3/2013, 37f

Weßels, Paul: Hans Bruns.

https://bibliothek.ostfriesischelandschaft.de/wp-content/uploads/sites/3/dateiarchiv/1840/Bruns-Hans.pdf sowie BLO IV. Aurich 2007, 76-78

2 Was die anfängliche recht unkritische Haltung mancher überzeugter Christen gegenüber Hitler und dem Nationalsozialismus betrifft, so sollte hierbei auch der zeitgeschichtliche Kontext beachtet werden. Siehe hierzu die einleitenden Ausführungen im Kapitel zu Gerrit Herlyn.

3 Weiteres zu Hans Bruns siehe auch: Matthias Hilbert, „Ostfrieslands leidenschaftliche Pastoren. Sieben Pastorenporträts“. Adlerstein Verlag/BoD 2021. ISBN: 978-3750427747

Gerrit Herlyn – Licht und Schatten

Der am 20. Juli 1909 in Midlum (Rheiderland) als Sohn des reformierten Geistlichen Jakob Johannes Herlyn geborene Gerrit Herlyn ist ein in Ostfriesland und darüber hinaus überaus bekannter und populärer reformierter Pfarrer gewesen. Das lag nicht nur an seiner volkstümlichen und humorvollen Art, mit der er als Seelsorger und Verkündiger des Evangeliums viele Herzen erreichte, sondern das lag auch an seinem schriftstellerischen Schaffen. So war er von 1938 bis 1940 und von 1948 bis 1979 neben seinem Pfarrdienst Schriftleiter des Sonntagsblattes für evangelisch-reformierte Gemeinden gewesen. Er prägte die norddeutsche Kirchenzeitung so sehr, dass man gemeinhin vom „Herlynschen Sonntagsblatt“ sprach. Auch veröffentlichte er Jahr für Jahr Beiträge für den deutschlandweit vertriebenen Neukirchener Kalender.

Bekannt geworden ist Gerrit Herlyn außerdem durch seine plattdeutschen Andachten, die in großer Zahl vom Norddeutschen Rundfunk ausgestrahlt wurden. Verdienste um die Pflege und Ausbreitung des ostfriesischen Platt erwarb er sich auch durch das von ihm gemeinsam mit Otto Buurman herausgebrachte vielbändige Hochdeutsch-plattdeutsche Wörterbuch. Erwähnenswert ist aber auch seine Übertragung des Neuen Testaments aus dem Griechischen ins Plattdeutsche. Auf Plattdeutsch (teils aber auch auf Hochdeutsch) sind ferner viele Erzählungen aus dem ostfriesischen Raum aus seiner Feder geflossen. Sie tragen oftmals einen geistlichen Hintergrund in sich.

Letzteres gilt auch, wenn Herlyn aus seinem eigenen Leben erzählt. So etwa, wenn er vom Schicksal seiner französischen Vorfahren berichtet und dabei gleichzeitig einen Bogen zu einer christlichexistenziellen Ausdeutung schlägt: „Meine Vorfahren väterlicherseits“, lässt er in „Ostfriesland – Wo Himmel und Erde sich berühren“ den Leser wissen, „waren Hugenotten, die um ihres Glaubens willen aus Frankreich flüchteten. Ein gleiches Schicksal widerfuhr meinen Ahnen mütterlicherseits, die aus denselben Gründen von Salzburg vertrieben wurden. Das bedeutet für mich nicht zufälliges Schicksal, sondern verpflichtendes Erbe. ‚Wir haben hier keine bleibende Stadt‘, so steht es in der Bibel und das gilt allen Menschen: Irdische Heimat ist keine bleibende Stadt. Aber eben darum muss der Mensch im Flugsand der Zeiten und der Vergänglichkeit irdischen Lebens ‚etwas haben, an dem er hangen kann und das nicht von ihm abhängt‘, und ,der Glaube kann größer machen als alles, was in der Welt ist‘ (M. Claudius).“

Gerrit Herlyn hing sehr an seiner ostfriesischen Heimat. „Ik wüß good“, so war er sich sicher, „wat ik dorför betahlen sull, Ofbescheed nehmen van de Heimat. Ik bün alltied heimwehachtig west un hebb dat neet verloren.“ Und an anderer Stelle meinte er: „Dat ik in Ostfreesland bleven un neet binnenlands gahn bün, dat kummt bi mi neet darvan, dat ik wor anners mien Brood neet ok verdenen kunnt harr un ok neet darvan, omdat ik dat platte Land so völ mojer finn as de Bargen, man dat liggt an de Mensken, de ik better verstah as annern un di mi verstahn. Un dat liggt weer daran, dat wi desülvige Tung hebben. Ik mutt neet dreemal nafragen, wenn mi een wat vertellt, un ik mutt hum dat ok neet wiedlopig verklaren, wat ik hum seggen will.“ 4

Gerrit Herlyn hatte an verschiedenen in- und ausländischen Hochschulen Theologie studiert. 1937 wurde ihm schließlich die Pastorenstelle in der Gemeinde Ihrenerfeld (Westoverledingen) übertragen. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wird er dann im Mai 1940 einberufen. Er nimmt am Russland-Feldzug als Funker in einem Armee-Nachrichten-Regiment teil. Am letzten Tag vor der Kapitulation gerät er in russische Kriegsgefangenschaft.

In einem vergitterten Güterwagen wird er in ein Lager in Tumalaika, 400 km südlich von Moskau, gebracht. Während eines Arbeitseinsatzes zieht er sich einen mehrfachen Beckenbruch zu. Doch kann er bereits 1946 in die Heimat zurückkehren und seinen Pastorendienst in Ihrenerfeld wieder aufnehmen.

Von 1952 bis 1976 war er dann Pastor in Leer, wo er am 4. Oktober 1992 auch verstorben ist.

Gerrit Herlyn ist ohne Zweifel einer der profiliertesten und populärsten ostfriesischen Pfarrer gewesen. Mancherlei Ämter sind dem Unermüdlichen in seinem Leben übertragen worden und zahlreiche Auszeichnungen wurden ihm zuteil. Er war nicht nur Mitglied des Landeskirchenvorstandes der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland, sondern auch Synoden- und Präsidiumsmitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland. Von 1959 bis 1971 leitete er das Diakonische Werk der Evangelisch-reformierten Kirche. Er wurde mit dem Kronenkreuz in Gold des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgezeichnet. Sogar das Bundesverdienstkreuz wurde ihm zuerkannt. 1986 ehrte ihn die Ostfriesische Landschaft mit der Ubbo-Emmius-Medaille, der höchsten Auszeichnung, die diese Körperschaft zu vergeben hat. Herlyns Sohn Wilmjakob beschrieb seinen Vater im „Ostfriesland Magazin“ als einen „Menschenfreund“, der „für alle da war, die Trost und Rat suchten“ und der sich „zu den Schwachen und Bedürftigen hingezogen“ gefühlt habe.(1)

Doch das positive und makellose Bild Gerrit Herlyns hat durch eine 2015 erschienene Veröffentlichung von Jürgen Sternsdorff Risse bekommen. In seiner Monografie „Gerrit Herlyn zwischen Kreuz und Hakenkreuz“ (Verlag Vertaal und Verlaat Marburg) untersucht der Autor anhand von zeitgeschichtlichen Quellen und bislang unveröffentlichten biografischen Dokumenten das Verhalten Herlyns während des Dritten Reiches.

Bevor der Frage nachzugehen ist, wie im Einzelnen Herlyns Verhältnis zum Nationalsozialismus bzw. zu Adolf Hitler sich manifestiert hat und wie es in der Rückschau zu bewerten ist, so muss zunächst auf den zeitgeschichtlichen Kontext seiner biografischpolitischen Entwicklung vor Beginn der Naziherrschaft 1933 hingewiesen werden. Gerrit Herlyn kam aus einem bürgerlichen Elternhaus. Sein Vater war ebenfalls Pfarrer gewesen. Und wie so viele Menschen (besonders aus dem Bürgertum), die im Kaiserreich großgeworden waren, so waren auch die Herlyns Anhänger der Hohenzollern. Diese Anhänglichkeit zum Kaiser(tum) hörte bei nicht wenigen Deutschen auch nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, der Abdankung Wilhelms II. und der Errichtung der Weimarer Republik nicht auf. Ihnen blieb die neue demokratischrepublikanische Staatsform fremd und suspekt, und das Gezänke der Parteien im Reichstag stieß sie ab. Die häufig wechselnden Regierungen der Weimarer Republik erschienen ihnen zudem als unfähig zur Lösung der besorgniserregenden Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit. Auch hegten viele Menschen diverse Vorurteile und Stereotypen über die Juden und beklagten ihren Einfluss auf Presse, Kultur und Börse. Die Bedingungen des Versailler Vertrages wurden als ungerecht angesehen und man hoffte auf eine Revision und damit auch auf eine Wiedererstehung Deutschlands in seinen alten Grenzen. Volk und Vaterland waren Ideale, für die man nach wie vor bereit war, das Leben hinzugeben. Auf die Diktatur der Bolschewisten in Russland mit ihren Terrormaßnahmen und der Verfolgung von Christen sah man mit Angst und Entsetzen. Manche befürchteten, dass Ähnliches auch Deutschland drohen könnte.