Autokrator Planetaris - Xenon Sychiles - E-Book

Autokrator Planetaris E-Book

Xenon Sychiles

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Beschreibung

Man schreibt das ferne Jahr 10.000 nach Christus. Die Menschheit hat sich über das gesamte Sonnensystem verteilt. Der machthungrige und gefährliche Grossindustrielle Baron Favlos Omnios, der Spross einer mächtigen Herrscherdynastie, sieht sich dazu erkoren, das seit Tausenden von Jahren nicht mehr bestehende solare Imperium wiederherzustellen. Dazu spannt er ein Feld aus Intrigen und Verschwörungen, um zum alles regierenden Autokrator Planetaris aufzusteigen, dem Herrscher der Planeten.

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Seitenzahl: 661

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Widmung

Für Othmar, meinen Freund und Weggefährten

Inhalt

Kapitel 1: Die Ankunft auf dem Jupiter

Kapitel 2: Operation „Sabra“ tritt in Kraft

Kapitel 3: Das Erwachen von Aethas und die Krönung des neuen Kaisers

Kapitel 4: Die Trauer auf dem Mars und die unerwartete Ankunft des Gelobten

Kapitel 5: Die Planänderung des neuen Kaisers

Kapitel 6: Die inszenierte Rettung von Omorfo

Kapitel 7: Das Ende des interstellaren Sternenbundes

Kapitel 8: Die Notlandung auf dem Mars und die Begegnung in der kargen Wüste

Kapitel 9: Umsturz auf dem Merkur

Kapitel 10: Die Ankunft auf der Venus

Kapitel 11: Die kurze Schlacht um die Venus

Kapitel 12: Die Nachwirkungen der Konfrontation im Orbit

Kapitel 13: Phaelon trifft den Kaiser auf dem Jupiter

Kapitel 14: Kapitän Tritons Reise zum Merkur

Kapitel 15: Fürst Henoch Lakkos verwaister Palast

Kapitel 16: Der Angriff auf die Heimatwelt Erde

Kapitel 17: Die Ankunft des Imperators auf der Erde

Kapitel 18: Das grosse Wiedersehen

Kapitel 19: Triton wird eingefroren

Kapitel 20: Die Zukunft

Kapitel 21: Der Torwächter

Kapitel 22: Der Wissenschaftler

Kapitel 23: Der Autokrator Planetaris

Kapitel 24: Auf der Suche nach Phaelon

Kapitel 25: Die Mysteriöse Stadt

Kapitel 26: Triton ist am Ziel angekommen

Kapitel 27: Die kybernetische Apotheose

Kapitel 28: Das Geheimnis der Himmelskinder

Kapitel 28: Die Leiden des armen Galak

Kapitel 29: Der Plan

Kapitel 30: Das Portal

Kapitel 31: Die Kristallschlucht

Kapitel 32: An Bord des Flaggschiffes

Kapitel 33: Die Lux

Kapitel 34: Das Treffen mit den Lux

Kapitel 35: Eine neue Hoffnung

Kapitel 1: Die Ankunft auf dem Jupiter

Favlos Omnios, Erbe des vielgerühmten Hauses Aplistos und den erblichen Titel Baron führend, beobachtete gebannt durch das Sichtfenster am Bug seines Raumschiffes, wie die Oberfläche des Jupiters immer grösser wurde. Nach und nach füllte die von Wirbelstürmen überzogene Oberfläche des Gasplaneten das ganze Sichtfeld aus. Der sonst so kaltblütig kalkulierende Omnios empfand ein plötzlich aufkeimendes Gefühl tiefen Stolzes, als er seine orangene Heimatwelt erblickte.

„Niemand vermag dir gerecht zu werden, oh Jupiter, Vater aller Götter!“ meinte er mit ausgestreckter Brust unter der Stimme murmelnd zu sich selbst. Dann machte er einen weiteren Schritt auf das Fenster zu, um einen Blick auf die in der Ferne schwebenden Städte erhaschen zu können.

Nach und nach wurden die kleinen grauen Punkte, welche er in der Ferne ausgemacht hatte, grösser und grösser und bereiteten sich zu gewaltigen Raumstationen aus. Ganze Orbital-Städte mit funkelnd glänzenden Metallhüllen und einer schier unzählbaren Ansammlung von Türmen und Modulen taten sich vor ihm auf. Hunderte monumentale Stahlkolosse hingen über dem Planeten wie an unsichtbaren Ketten aufgehängt und zwischen ihren gewaltigen Abzweigungen bewegten sich tausende Raumschiffe in den verschiedensten Grössen wie kleine Insekten zwischen himmelstrotzenden Bäumen in einem Wald hin und her. Der wie üblich geschäftige Raumverkehr von Pendlerschiffen, Transportern und Konstruktionsfähren zwischen den riesenhaften Gliedern der Orbital-Plattformen und in den weitverzweigten, künstlich angelegten Strassenschlachten brauchte Omnios nicht zu kümmern. Sein angesteuertes Ziel war eine ganz spezifische der vielen verwobenen Raumstationen, der altehrwürdige Sitz seines Hauses, die Aplistos Orbital-Residenz, welche sich im Zentrum von acht ausnehmend grossen, an Diskusse erinnernden Schiffswerften befand. Jenes Gebilde war ein langsam aber gleichmässig rotierender, goldig schimmernder, halbrunder Palast, genannt „Der Himmelsdom“, mit vielen abzweigenden Türmen und Erkern. Die Zivil-Bauten der Jupiteraner waren im Gegensatz zum kalten dunkelgrau der Werften und Militärinstallationen mit einem matten Goldton versehen worden, welcher einen Hauch von Luxus vermitteln sollte und nebenbei den Effekt erzielen sollte, dass irritierenden Reflektionen der Sonnenstrahlen entgegen gewirkt wurde. Der goldene Farbton wirkte dadurch auch unaufdringlich. Gold bedeutete den Jupiteranern alles, sowohl die Farbe als auch das Edelmetall standen bei ihnen im allerhöchsten Ansehen. Gold stellte in seiner Reinheit sowohl die Macht der Götter als auch der Sonne dar und stand als bezeichnendes Symbol für die uralte Dynastie der Aplistos-Herrscher. Die Menschen der alten Erde hatten vor Jahrtausenden begonnen, sich über das komplette Sonnensystem und sogar noch darüber hinaus auszubreiten. Da der Jupiter keine feste Oberfläche besass, auf welcher bewohnbare Strukturen angelegt werden konnten, hatte man stattdessen ein komplexes Netzwerk aus Raumstationen rund um den Planeten errichtet, welche den Planeten konstant auf immerwährenden Bahnen umkreisten. In den vielen Äonen war dieses Netz soweit angewachsen, dass es nun mehrere Male die Masse der alten Erde in sich vereinte. Die als besonders steril und emotionslos geltenden Jupiteraner hatten sich in dem ganzen bekannten Universum einen Namen als begnadete Raumschiff-Konstrukteure gemacht, was dazu führte, dass die verschiedenen Welten zunehmend ihre Raumschiffe auf dem Jupiter erbauen und nachrüsten liessen. Schätzungen der Erdflotte zufolge sind rund neunzig Prozent aller verwendeten Raumschiffe im Sonnensystem vom jupiteranischen Stapel gelaufen. Die herrschende Aplistos-Dynastie ging auf die ersten Raumfahrer zurück, welche den Jupiter zuerst Mitte des 22. Jahrhunderts erreichten hatten und welche ihn in die wirtschaftliche und militärische Supermacht verwandelten, welche er in der aktuellen Epoche darstellte. Nun, nach all der vielen getanen Arbeit, ruhten sich die Jupiteraner dennoch nicht aus. Sie arbeiteten auf Hochtouren an einer Methode, die Reisen durch den Hyperraum, einer neu entdeckten, alternativen Dimension, welche sich für überlichtschnelle Reisen eignete, zu perfektionieren. Es gab zwar schon seit langem Raumschiffe, welche in der Lage waren, den interstellaren Raum zu durchqueren, aber die meisten waren entweder viele Generationen unterwegs oder schwierig zu navigieren, und nicht wenige mutige Weltraumreisende sind im Laufe der Zeit im All verschollen. Das ganz grosse Problem bei den Reisen durch den Hyperraum war, den Endpunkt richtig kalkulieren zu können. Das bekannte Universum machte nur einen kleinen Teil des Hyperraums aus, daher bestand ständig die Gefahr, durch ungenau berechnete Reisen am anderen Ende der Galaxis oder sogar in fremden Galaxien anzukommen. Die Unverlässlichkeit der gängigen Hyperraumnavigationssysteme hatte dazu geführt, dass die meisten Flotten weiterhin auf viel langsamere, aber wesentlich sichere, konventionellere Antriebsmethoden wie das antike Staustrahltriebwerk setzten. Der Gebieter des Jupiters hingegen war von der Effektivität und Überlegenheit des Hyperantriebs überzogen und investierte Unsummen, um einen Navigationscomputer entwickeln zu lassen, welcher die Antriebsmethode ergiebig und sicher machen sollte. In der Tat konnten die traditionellen Antriebe mit der hochmodernen Technologie in Sachen Distanz und Geschwindigkeit bei weitem nicht mithalten. Wer eine mit Hyperantrieben bestückte Flotte zur Verfügung hätte, könnte urplötzlich hinter den feindlichen Linien auftauchen und einen alles verwüstenden Militärschlag ausführen. Natürlich war niemand kühn genug, um im Falle eines Berechnungsfehlers den Verlust von vollständigen, enorm kostspieligen Flotten hinnehmen zu können. Man stelle sich eine Armada vor, welche anstatt bei ihrem Zielpunkt in der Sonne landet oder im Ereignishorizont des Schwarzen Loches in der Mitte der Milchstrasse. Trotz dem Vorhandensein von sehr fortschrittlichen Antimaterieantrieben und dem potenziell hocheffizienten Hyperantrieb war dennoch der Gebrauch von klassischeren Methoden immer noch am weitesten verbreitet. Die Menschen hatten vor Jahrtausenden mit archaischen Antrieben wie Photonenraketen, Sonnensegeln und „Treibstofflosen“ Staustrahltriebwerken das gesamte Sonnensystem sowie die umliegenden Systeme besiedelt. Der Baron bewunderte die Pionierleistungen der alten Raumfahrer und empfand als Kind eine tiefe, fast schon sakrale Ehrfurcht vor dem gepflegten und restaurierten Raumschiff der ersten Ankömmlinge auf dem Jupiter, welches er oft im Museum bestaunt hatte. Für moderne Verhältnisse war es ausgesprochen klein und eng gewesen und bot nur Platz für etwa dreihundert Passagiere. Das antike Sternenschiff hatte mit einem grossen Magnettrichter geladene Teilchen aus dem interstellaren Medium gesammelt und diese dann in einem Reaktor in Treibstoff umgewandelt. Wie wagemutig mussten die Menschen damals nur gewesen sein! Er driftete mit den Gedanken ab. Also rief er sich wieder in die Gegenwart zurück. Was für einen anmutigen Anblick musste Omnios privates Raumschiff, die an eine antike Galeere erinnernde „Walküre“ bei ihrer Ankunft nur geboten haben! Wie ein erhabener Adler der sein Nest auf einer steilen Bergspitze errichtet hatte und nach einer erfolgreichen Jagd zurückkehrte, suchte die „Walküre“ ihren Landepunkt in einem Bereich nahe der Spitze des Himmelsdoms. Vier unbemannte, von Maschinen gesteuerte Jagdmaschinen begleiteten die „Walküre“ ebenfalls als Geleitschwadron, hielten jedoch immer einen sicheren Abstand, um einem Zusammenstoss oder einem möglichen Verkeilen vorzubeugen. Dem organischen Piloten in dem Cockpit über Omnios Kammer lief derweil der blanke, kalte Schweiss hinunter. Das Cockpit war ein enger, ovaler Raum und eigentlich für biomechanische Piloten gedacht. Der in der Mitte befindliche, einem grossen ausgehöhlten Schildkrötenpanzer entsprechende Steuersessel war unverrückbar in den Boden eingelassen worden. Im Notfall hätte der kleine Raum auch mit Nährflüssigkeiten gefühlt werden können. Der klobige Raumanzug des Piloten hatte sich, kurz nachdem dieser Platz genommen hatte, durch Steckanschlüsse mit dem Sitz verbunden, um dem Steuermann einerseits besser vor Erschütterungen Schutz zu bieten und um ihn andererseits durch die Nervenanschlüsse stets über den jeweiligen Status des Schiffes zu informieren. Links und rechts neben dem Steuerfenster liefen überall holographische Darstellungen auf Datenbahnen ab, welche exakte Angaben über die verbleibende Treibstoffmenge sowie über die Schildenergie bis hin zu den fein abgestimmten Einstellungen der Lebenserhaltungssysteme wiedergaben und konstant aktualisiert wurden. Der Cockpitraum war eigentlich dunkel und wurde nur von den aufleuchtenden Darstellungen schwach beleuchtet. Die schiere Menge an Informationen, mit denen der Pilot ständig überfluteten wurde, war nur schwer zu ertragen. Doch heute kam noch eine weitere Erregung zu dem alltäglichen Stress hinzu. Der Pilot blickte sichtlich verzweifelt unzählige Male auf die komplizierte und nur schwer zu entziffernde, holographische Karte, welche die Verteidigungslinien der Palastanlage wiedergab. Würde ihm auch nur der geringste Fehler passieren, würde der Alarm ausgelöst werden und die Selbstschussanlagen das sofortige Dauerfeuer eröffnen. Die unmittelbar abgefeuerten, zielsuchenden und panzerbrechenden Raketen würden das Shuttle treffen, bevor die schützenden Schilde hochgefahren werden könnten und ihn und den Baron in Stücke zerreissen. Als angesehener und geachteter Adeliger eines der reichsten Häuser könnte man den Baron vielleicht klonen oder Stücke seiner Leiche aus dem All bergen und sie kostspielig in einer der auf den neuesten Stand gebrachten Medizinanlagen auf dem Mond Europa wieder rekonstruieren lassen, aber ihn, einen einfachen Raumschiffführer? Er war nur ein gewöhnlicher Mann und besass nicht das nötige Geld, um sich Klonen oder aufwendige Wiederherstellungsprozeduren leisten zu können. Er war entbehrlich. Oder würde der Baron ihn möglicherweise doch in das Leben zurückholen? Glücklicherweise hatte er sich in vielen Jahren als überaus vertrauenswürdig und loyal erwiesen, daher bevorzugte ihn Omnios, sogar noch vor biomechanischen und Roboter-Piloten, welche speziell für ihre Funktionszwecke gezüchtet bzw. gebaut wurden. Insgeheim schien der Adelige zu befürchten, dass es seinen Gegnern einstmals gelingen könnte, die künstlichen Piloten umzuprogrammieren oder anderweitig zu manipulieren. Vielleicht war er ihm so sehr von Nutzen, dass sein Herr Vorkehrungen getroffen hatte? Hatte der Baron insgeheim womöglich auch seine genetischen Codes irgendwo einlagern lassen? Der Pilot versuchte die unangenehmen Gedanken wegzudrängen und sich völlig auf den kurz bevorstehenden Anflug zu konzentrieren. Als Sicherheitsmassnahme ordnete eine künstliche Intelligenz die Peripherie des Himmelsdoms permanent neu an, um niemandem ausser speziell befugtem Personal und geladenen Gästen Zugriff zu der Privatresidenz des Barons zu bieten.

„Hier Walküre. Wiederhole, hier Walküre! Erbitten Landeerlaubnis im Privathangar des Barons! Wir haben den Baron höchst selbst sowie eine wertvolle, unbezahlbare Fracht an Bord! Übermittle jetzt den Code!“

Die Antwort liess nicht lange auf sich warten:

„Hier Aplistos Residenz. Code wurde bestätigt, Landeerlaubnis erteilt! Bitte sehen sie sich vor dem vollautomatischen Verteidigungssystem vor und halten Sie den vorgegebenen Mindestabstand ein!“

„Habe verstanden. Bereite alles für die Landung vor. Danke!“, ächzte der Pilot erleichtert zurück.

Die kleineren Begleitschiffe fielen nicht zurück. Ausserstande sich wie das grosse Mutterschiff genügend schnell abzubremsen, schossen sie rapide weiter. Die einem artifiziellen Vogelschwarm gleichende Begleitschwadron löste ihre Formation auf und nahm Kurs auf zwei kleinere, weiter weg liegende Hangars, um sich dort auftanken und warten zu lassen. Der Pilot landete das stromlinienförmige Schiff jenseits der Peripherie der eingezeichneten Verteidigungslinien in einer mit edlen Ornamenten verkleideten Hangar-Bucht. Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich dem sichtlich gestressten Piloten, als sich das Geräusch der befreienden Andockklammern durch ein lautes, dumpfes Rumpeln bemerkbar machte. Mit einem knackenden Geräusch lösten sich die Anschraubventile und Anschlüsse und der Sessel wurde durch eine Öffnung nach unten durch den Boden gefahren. Schliesslich erhob sich der Pilot und bewegte sich mit dem steifen Widerwillen eines Mannes, der zum Schafott geführt wird, durch das Shuttle. Seine Beine wirkten steif, er hatte zulange dagesessen. Vielleicht lag es aber auch an seiner stressbedingten Anspannung. Überprüfend sah er sich im Durchgang noch einige der Anzeigen der vielen, im Schiff verteilten Konsolen an, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Danach schritt er eine breite Treppe hinunter und öffnete vorsichtig die Schleuse zum Passagierquartier:

„Herr, wir sind an unserem Zielort eingetroffen! Ich vermelde: keine aussergewöhnlichen Vorfälle!“

Die Unterwürfigkeit in seinen Worten war unüberhörbar. Während die Worte seine Lippen verliessen, hatte er eine Position tiefster Verbeugung eingenommen (was ihm aufgrund seines schweren Raumanzuges einiges Unbehagen bereitete), als er Omnios Kabine betreten hatte.

„Gut gemacht, Pilot.“, Omnios starrte mit verschränkten Armen weiterhin aus dem Aussichtsfenster und würdigte ihn keines Blickes, obgleich ein Hauch von Dankbarkeit in seiner Stimme lag.

„Veranlassen Sie umgehend, dass meine kostbare Fracht entladen wird!“, fügte er befehlend hinzu.

„Jawohl, Herr!“, die Antwort klang übertrieben unterwürfig und gezwungen.

Omnios beendete seine Überlegungen und wandte sich um. Danach schritt er festen Schrittes aus dem Raum und den länglichen Korridor hinunter. Er ging an dem goldigen Abbild eines Adlers, der den Planeten Jupiter in den Krallen hält und bedrohlich seine Flügel ausstreckt, dem Wappen seiner Familie, vorbei. Am Ende des Korridors wurde er von zwei Lykanthropen Leibwächtern – übermannsgrossen, anthropomorphen Wolfswesen, welche weithin als Wachen und Soldaten Einsatz finden - erwartet, welche sich seinem Befehl entsprechend während der Reise im hinteren Teil des Raumschiffes aufgehalten hatten. Ihre Felle waren kurz und schwarzgräulich, ihre Augen auf ausdrücklichen Wunsch des Barons hin per Genmanipulation dunkelgrün augmentiert worden. Sämtliche Eigenschaften und Fähigkeiten waren in Detail von jupiteranischen Gentechnikern auf Geheiss ihres Herrn geplant und ausgesucht worden. Die Lykanthropen wurden zu den Neoanthropoden, zu den „Neuen Menschenartigen“, gezählt. Dabei handelte es sich um verschiedene, auf künstlichem Weg für vielseitigste Einsatzzwecke entworfene Kreaturen, welche jedoch grundlegende menschliche Eigenschaften wie hohe Intelligenz, Sprache und aufrechtes Gehen beibehalten haben, obwohl es auch vierbeinige Neoanthropoden als Reittiere gab. Alles in allem handelte es sich eigentlich um Menschen mit tierischen Eigenschaften. Diese Wesen wurden zum allerersten Mal auf dem Jupiter geschaffen und wurden auch dort in der höchsten Anzahl unter der Schirmherrschaft des jupiteranischen Adels gezüchtet. Auf eine bizarre Art und Weise stellte Onmnios also den Vater dieser fremdartigen Wesen dar. Obwohl es ein unausgesprochenes Wort war, sahen seine absonderlichen „Kinder“ in ihm tatsächlich eine Art Vaterfigur. Sie verdankten ihm ihre artifiziell herbeigeführte Existenz und den höheren Rang gegenüber gewöhnlichen, niederen Lykanthropen. Da war tiefe Dankbarkeit in ihnen, welche sie ihrem Schöpfer zeigten, indem sie ihm gegenüber umso loyaler waren. Beide Lykanthropen trugen vergoldete Körperpanzer und salutierten vor dem Baron. Daneben warteten zwei weitere, kleinere, kapuzineraffenartige Geschöpfe, welche am ehesten mit Butlern von der alten Erde vergleichbar waren. Diese ebenfalls speziell für Omnios gezüchteten Neoanthropoden dienten ihrem Herrn als treue Kammerdiener und kümmerten sich um intime, persönliche Angelegenheiten des Barons. Sie servierten, falls gewünscht, Speisen und Getränke, kümmerten sich um seine Wäsche und um sein Gepäck und waren geradezu zwanghaft verschwiegen über alles, was sie während ihren Tätigkeiten mithörten und sahen. Generell entstammten alle Lykanthropen und Neoanthropoden einem streng geheim gehaltenen Genlabor vom Jupitermond Ganymed und zeichneten sich unter anderem durch ihre körperliche Widerstandsfähigkeit gegenüber hoher Gravitation aus, sowie durch verbesserte Regenerationsfähigkeiten, erhöhte Lungenkapazität, aussergewöhnlich starke Kreislaufsysteme und eine wesentlich gesteigerte, geradezu suizidale Gehorsamkeit gegenüber ihrem Herrn aus. Omnios nahm stillschweigend ihre Anwesenheit zur Kenntnis. Ohne ein Wort zu verlieren, ging die kleine Gruppe weiter zur dicht verschlossenen Luftschleuse. Diese öffnete sich mit einem lauten, zischenden Pfeifen und Omnios wandelte die angrenzende Rampe runter, welche sich automatisch vor ihm aufgetan hatte. Sein Begrüssungs-Komitee bestand aus etwa einhundert strammstehenden, menschlichen Soldaten und einer Handvoll privater Diener und Berater, darunter der persönliche Adjutant des Barons, Similis Symvoulos, der seine Ankunft sehnlichst herbeigesehnt hatte und nun, nachdem alles glatt nach Plan verlaufen war, sichtlich erleichtert war. Similis wusch sich eine die Stirn herunterrinnende Schweissperle mit dem Handrücken ab.

„Ich begrüsse Euch auf das wärmste, mein Herr! Vergebt mir, aber da ist eine überaus dringende Übertragung für Euch. Offenbar darf sie nur Euch höchst selbst übermittelt werden. Ich habe sie in Euer Arbeitszimmer verlegen lassen! Aber bitte sagt zuerst: wie sind Eure Reisen verlaufen? Ich hoffe doch zufriedenstellend?“

„Besser als geahnt, mein lieber Symvoulos.“, gab der Herrscher knapp zu Antwort.

„Es ist mir gelungen, mir einige ausgesprochen kostbare Schätze anzueignen!“

Der Adelige liess sich von zwei Lykanthropen -Dienern seinen schweren, an den die Hopliten der alten Erde erinnernden Helm und den schweren Mantel aus gewobenem Kevlar abnehmen. Das Ablegen des Mantels gab die golden verzierte, im altgriechischen Stil gehaltene Panzerrüstung frei, welche sich die ganze Zeit schon unter seinem Gewand befunden hatte. Obwohl diese Rüstung primär seiner Sicherheit diente, ähnelte sie nicht ungefähr antiker Erdenbekleidung. Er verehrte die alten Erdenvölker abgöttisch und sah sich selber in der Nachfolge der Autokraten des alten Griechenlandes. Symvoulos sah ihn an. Seine sonst schon überlebensgrosse, muskulöse Gestalt wirkte jetzt noch imposanter. Seine tiefblauen, berechnenden Augen strahlten förmlich vor lauter Tatendrang. Es war der Tatendrang eines Mannes, der sich zum Herrscher über die Menschheit bestimmt sah. Omnios Gesicht war auffällig emotionslos und kantig, seine Haare weiss wie Schnee wie bei den meisten Mitgliedern seiner Familie.

„Wie fühlt Ihr Euch, Herr?“

„Gut, gut. Danke, mein lieber Symvoulos. Ich habe auf dem Mond der Erde bei einer Auktion ein Kleinod sowie eine wunderbare Statue von dem alten Erdenkaiser Napoleon Bonaparte erworben. Wusstest du, dass er an über sechzig Schlachten teilgenommen hat? Behalte im Hinterkopf, dass er aus einer Zeit stammte, als die Menschen noch nicht genetisch augmentiert werden konnten und sie daher nur sehr kurze Lebensspannen hatten, was seinen Ruhm noch weiter ansteigen lässt und ihn nur noch beeindruckender erscheinen lässt.“

„Aber hat er denn nicht am Ende verloren?“, fragte der Adjutant etwas verhalten.

„Das soll uns egal sein. Sein späterer Niedergang bei Waterloo ändert nichts an seinem militärischen Genie und seinen Glanzleistungen. Er ist und bleibt ein durch und durch brillanter Stratege.“

Symvoulos teilte das Interesse des Barons an historischen Epochen nicht, daher wechselte er das Thema. Der Baron bemerkte seine geistige Abwesenheit und kam ihm zuvor.

„Gibt es sonst noch irgendwelche wichtigen Neuigkeiten oder unerledigte Dinge? Nein? Ach ja, die angesprochene Nachricht, welche nur für mich direkt bestimmt ist. Nun gut, dann werde ich mich der Sache annehmen! Ah, da ist noch etwas! Lass doch bitte diese kostbare, unersetzliche Statue in meine persönlichen Gemächer schaffen. Schreiten wir also munter zur Tat!“

Der Baron setzte sich in Bewegung und verliess den Hangar. Symvoulos eilte mitsamt einigen rangniederen Bediensteten seinem Herrn nach. So kam es, dass Omnios, hoher Gebieter des Jupiters, mit einer ganzen Menge von Dienern, Beratern und Wachen im Schlepptau zu seinem Arbeitszimmer marschierte. Er betrachtete die wunderbar blau angemalten Wände und die irrsinnig kostbaren Kunstschätze und Artefakte, welche in Reih und Glied überall auf fein beleuchteten Podesten aufgestellt waren. In der Mittel der Wendeltreppe vor seinem Arbeitszimmer befand sich ein Replikat einer alten Erdenstatue, welche einen der Titanen, den gestirnstützenden Atlas, darstellte, wie er die Erde auf seinem Rücken trug. Die Gruppe eilte rasch hinter ihrem Herrn die mit roten Teppichen verkleideten Treppenstufen hinauf. In seinem Arbeitszimmer angekommen liess sich der Adelige in einen grossen Sessel fallen. Seine Augen wanderten durch den Raum. Der weitläufige Raum war mit edlen Marmorwänden verkleidet worden und mit unvorstellbar kostbaren Schätzen übersät. Er betrachtete unbeschwert eine Zeit lang seine edlen Besitztümer. Eine antike Statue von der alten Erde stand neben dem schweren Holztisch, welche den antiken König Leonidas I. von Sparta repräsentierte, angeblich einen der mythischen Stammväter des Hauses Aplistos. Jeder erstmals ankommende Gast musste von der verschwenderischen Pracht förmlich überwältigt werden. Er seufzte. Sein Reichtum überstieg das Bruttosozialprodukt von vielen Planeten. Trotzdem war da etwas in ihm, ein tief empfundenes Gefühl für noch höheres bestimmt zu sein. Eine Weile hielt er inne und dachte nach. Danach fuhr er mit seiner Hand über ein holographisches Berührfeld. Symvoulos winkte rasch alle übrigen Begleiter des Barons aus dem Raum, kurz bevor der immens teure Holoprojektor mit einem leisen Surren ansprang. Nur Sekunden später erschien das dreidimensionale, jedoch auf ein Fünftel der Lebensgrösse reduzierte Abbild eines hageren Mannes in einem schwarzen Anzug mit einem ausgenommen spitzigen Kinn und einem mehr als bekümmerten Blick. Stumm verneigte sich die Gestalt, wie es seit Jahrtausenden die Sitte der Niedrigstehenden war:

„Verehrter Baron Omnios, Herr des Jupiters, ich grüsse Euch mit tiefstem Respekt. Mein Name ist Lapis Nendo, ich bin Notar und habe die traurige Nachricht Euch über das vorzeitige Ableben Eures seligen Cousins, des Grossherzogs Kaitman Nebulon vom Saturn, in Kenntnis zu setzen.“

Omnios liess sein Gesicht in die Hände sinken. „Grosser Gott! Was ist nur geschehen?“

Nendo räusperte sich und fuhr sichtlich betroffen fort: „Er hat offenbar ohne irgendwelche äussere Anzeichen zu zeigen, urplötzlich den Verstand verloren und seine Familie im Schlaf ermordet. Danach hat er die Leichen durch industrielle Säuren chemisch aufgelöst und sich selber in einen Hochofen gestürzt, welcher zum Schmelzen von Metallen mit hohen Siedepunkten gedacht war. Das anwesende, tief verstörte Personal wagte es nicht, sich ihm dabei in den Weg zu stellen.“„Ja.“, dachte Omnios. „Sie haben ihn wirklich nicht aufgehalten, weil sie die ganze Zeit in Wahrheit in meinen Diensten standen und angewiesen worden waren, sich seinem Wahn nicht in den Weg zu stellen.“

„Er hat ebenfalls die Klonkammern zerstört und das Medizinlabor in die Luft gesprengt. Dabei sind leider alle in den Genarchiven gespeicherten Proben der Familie vernichtet worden. Die nachfolgenden Brände taten ihr Übriges und löschten alles verbliebene Erbmaterial aus. Es können daher keine neuen Abkömmlinge der Nebulon-Erblinie geschaffen werden. Diese Linie ist nun leider offiziell für alle Zeiten erloschen.“

Omnios hatte Mühe, sein allzu breites Grinsen hinter den Händen zu verbergen. Er war es nämlich gewesen, der eine Attentäter-Truppe in den Haushalt seines Cousins eingeschmuggelt hatte und diesen nach und nach mit psychogenen Drogen vergiften lassen hatte. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass es länger dauern würde, bis er sich die ganze Familie vom Halse geschafft hätte, aber der Umstand, dass Cousin Kaitman im Wahn alle seine Kinder auf einmal ausgelöscht hatte, kam ihm nun nur allzu gelegen. Dieser Faktor ersparte ihm viel Arbeit. Im Handumdrehen beendete dieses Element weiteres, monatelanges Planen und neue Angriffe aus dem Dunkeln. Gut.

„Wie überaus tragisch. Nun ja, er ist ja immer schon etwas neurotisch gewesen. Traurig, traurig was ihm und seiner liebenswerten Familie da zugestossen ist. Ich werde sofort eine dreitägige Trauerzeit für alle Schiffswerften und Orbitalstädte anordnen lassen.“

Omnios sagte dies in einem so gekünstelten Ton, dass er sich selber niemals die Rolle des Trauernden Vetters abgenommen hätte. Nendo gab stumm nickend seine Zustimmung.

„Vergebt mir, Herr. Da ist noch mehr: ich war nicht nur ein persönlicher Freund des Herzogs, sondern auch sein am Ende waltender, persönlicher Notar. Obwohl dies für Euch schwere Stunden sind, muss ich Euch leider jetzt den letzten Willen des Herzogs unterbreiten. So verlangt es das Testament.“

In Omnios Augen flammte pure Gier auf. Endlich kam der Augenblick, für den er all diese verachtenswerte Akte begangen hatte. Nendo hüstelte etwas, bevor er fortfuhr:

„Euer Cousin hat Euch alles hinterlassen, praktisch den ganzen Saturn. Ihr erbt ebenfalls alle seine Titel und sein nicht unbeträchtliches Privatvermögen sowie alle Raffinerien und sogar die Monde und die dazugehörigen Mondstädte des Saturns. Seltsamerweise hat er schriftlich offenbar ein Klonen von sich selber oder seiner Familie strikt abgelehnt. Eigenartig… Eine Rekonstruktion war ja - wie bereits gesagt - nach der Zerstörung der Leichen sowieso auch nicht mehr möglich. Also erledigt sich dieser Part des letzten Willens von selber.“

Omnios war klar, wie kühl und gespielt theatralisch seine Reaktion bisher war. Um es nicht um Äussersten kommen zu lassen, zog Omnios eine kleine Show ab: er warf dramatisch seinen Arm über sein Gesicht und sprach mit einer wimmernden Stimme. „Oh tiefer Schmerz! Vergeben Sie mir, aber ich muss mich in meine Gemächer zurückziehen, um meine Trauer bewältigen zu können! Bitte veranlassen Sie umgehend, dass das Testament sofort ausgeführt wird. Mein geliebter Cousin soll auch noch im Tode seinen letzten Willen bekommen!“

Nendo verneigte sich und die Übertragung endete. Omnios brach in schallendes Gelächter aus. Selbst die Lykanthropen -Wächter und sein Adjutant zuckten bei dem seltenen Ereignis seines Lachens zusammen. Endlich war der verhasste Nebenbuhler beseitigt worden. Kaitman Nebulon war besiegt. Er streckte die Arme aus und wandte sich mit weit ausgestreckten Armen gegen die hohe Decke des Raumes. Eine Siegerpose. Nach einer Weile drehte er sich in Richtung des durch die Ereignisse etwas eingeschüchterten Symvoulos:

„Symvoulos, verdopple die Belohnung meiner Attentäter! Sie haben eine allermeistgeniale Arbeit vollbracht! Alle zwölf Mitglieder der Nebulon-Linie auf einen Schlag vernichtet! Der Idiot hat den Verstand verloren und seine eigene Sippe für mich entsorgt. Ha.“

„Bitte lasst mich der erste sein, der Euch gratuliert, mein Herr! Gebieter über den gewaltigen Jupiter und jetzt auch Souverän des mächtigen Saturns! Sie sind jetzt tatsächlich der Meister der Gasplaneten!“, er machte eine unterwürfige Geste und neigte das Haupt, um seinem Herrn zu huldigen.

„Nicht ganz, mein lieber Symvoulos, der Uranus und der Neptun gehören mir noch nicht. Aber mach dir keine Sorgen, ich arbeite bereits daran, die Kontrolle über beide Welten zu erlangen.“

Symvoulos blickte ihn ungläubig an. „Aber wie? Der Uranus hat kein Herrscherhaus sondern ist eine Republik und die Neptunier sind aggressive Isolationisten. Kein Neptunier würde freiwillig einen Herrscher vom Jupiter akzeptieren.“

„Das lass meine Sorge sein. Die Neptunier werden seit Jahren von mehreren Firmen ausgeplündert. Ich werde sie auf meine Seite bringen, indem ich sie mit Waffen und dem Versprechen auf (relative) Selbstbestimmung ausstatten werde. Was den Mars und den Uranus angeht: ich werde diese beiden Welten durch Waffengewalt bezwingen müssen. Der Mars und der Uranus haben jedoch Vorrang!“

Symvoulos wich etwas zurück. „Waffengewalt? Wie denn? Meint Ihr durch unsere nicht unbeträchtliche Menge an hochmodernen Kriegsschiffen?“

Omnios blickte ihn herabwürdigend an. Der darauffolgende Ton tadelte ihn. „Nein, du Narr. Ich habe nicht vor, diese Welten zu verwüsten. Meine Flotte ist zwar die grösste im Sonnensystem und über alle Massen waffenstrotzend, aber ein militärischer Gross-Angriff auf den Uranus und den Mars würde genau das Gegenteil bewirken, von dem was ich bezwecke. Zwei verwüstete Welten und unglaubliche Unkosten. Am Ende würden die Verluste meine Gewinne deutlich überwiegen. Daneben würden sich die anderen Welten gegen mich verbünden und könnten mich dabei in arge Bedrängnis bringen. Nein, ich brauche beide Welten möglichst intakt. Leider habe ich keine Verwandten auf diesen Welten, denen ein schreckliches Unglück zu Leibe rücken könnte. Hier ist eher die antike Kunst der Strategie gefragt. Ich werde deshalb die Prinzessin des Mars entführen lassen.“

Auf Symvoulos Gesicht vermischten sich Schrecken und Ratlosigkeit.

„Was? Vergebt mir die Frage, aber was genau habt Ihr vor?“

„Es ist simpel. König Okorimashita Endoxa vom Mars ist ein altersschwacher Trottel. Er hält sich nach wie vor für den jungen, vor Kräfte strotzenden Krieger, der er in jungen Jahren einmal war. Die Wahrheit ist, dass er abgehalftert ist, daran ändern auch seine angeblich mystischen, wiederbelebenden Bäder, die Gebete der Tanvedra-Bruderschaft und die genetischen Augmentationen nichts. Seit eintausend Jahren hat er kein militärisches Glanzstück mehr vollbracht.“

Der Berater wusste sich auf die behaupteten Zusammenhänge keinen Reim zu machen. „Aber was hat das damit zu tun, dass Ihr die junge Tochter von Okorimashita, Prinzessin Omorfo entführen wollt? Vergebt mir meinen Zweifel, aber ich verstehe beim besten Willen nicht, was Ihr damit zu erreichen hofft.“

Die scheinbare Begriffsstutzigkeit seines Assistenten nervte Omnios zunehmend.

„Der kriegerische Planet Mars ist einer der grössten und auch besten Produzenten von Waffen in der uns bekannten Galaxis. Unsere eigenen Wachen tragen teilweise Plasmagewehre und Uranpistolen, welche der Produktionspalette des Mars entstammen. Viele unserer Kriegsschiffe verwenden marsianische Raketen und Bomben. Die Marsianer sind zwar unkultivierte Barbaren, aber sie verstehen ihr Handwerk. Wenn ich über den Mars herrsche, besitze ich nicht nur die grösste Flotte des Sonnensystems, ich verfüge auch noch über die grossen marsianischen Waffenfabriken der roten Städte und brauche nur noch die gewaltigen Genlabore des Uranus zu erobern, um meine Armee mit nahezu unbegrenzter Mannesstärke kontinuierlich versorgen zu können. Ich arbeite übrigens simultan daran, mir sowohl den Uranus als auch den Neptun einzuverleiben. Verstehst du nun worum es hier wirklich geht? Ich möchte die konstante, bestmöglichste Versorgung meines Militärs sicherstellen.“

Obwohl es ihm sichtlich widerstrebte und er die Antwort fürchtete, stellte Symvoulos dennoch seine nächste Frage.

„Aber wir haben doch bereits schon eine Riesenarmee und eine übermächtige Flotte. Wozu brauchen wir noch mehr Waffen und noch mehr Soldaten? Wir haben mehrere Genlabore und Zuchtanlagen auf Europa, Io und Ganymed, wo zum Beispiel eure treuen Leibwächter kreiert worden sind.“

Omnios legte seine Hände langsam auf den vor ihm stehenden Tisch und atmete schwer aus. Es klang wie ein heruntergeschluckter Seufzer.

„Was meinst du, warum ich den Saturn wollte? Um mich in einer affektierten Laune als „Herr der Gaswelten“ ansprechen zu lassen? Nein! Ich wollte den Saturn wegen seiner Treibstoff-Raffinieranlagen und seinem strategischen Wert. Stell dir vor, dass ich dazu noch den Mars, den Uranus und den Neptun beherrsche: die stellare Liga müsste sich mir absolut beugen und schlimmer noch: sie wären gezwungen ihre Waffen und Raumschiffe bei mir zu kaufen, ebenso wie ihren Treibstoff und ihre Soldaten. Ausserdem kann ich nachher durch die Kontrolle der Treibstoffversorgung diktieren, wer wann wie wohin reist. Kannst du dir eine schlimmere Erniedrigung vorstellen? Was den Saturn angeht, meine eigene Mutter war eine der Töchter des alten Herzogs des Saturns, ich nehme also nur mein Geburtsrecht war.“

„Uh-ha. Bitte vergebt mir, aber was hat das alles mit Prinzessin Omorfo und ihrem Vater zu tun?“

Omnios holte weiter aus.

„Da ist noch mehr, hab etwas Geduld. Politik ist, wie du weisst, ein komplexes Parkett voller Intrigen und Verwirrspiele. Laut meinen Spionen leidet Okorimashita unter einer seltenen, todbringenden Strahlenkrankheit, welche dazu führt, dass seine DNA Einzel- oder Doppelstrangbrüche erleidet. Die Ärzte können Ihn davon nicht heilen und sein Erbgut ist bereits sehr stark beschädigt. Wäre Okorimashita ein klassischer, nicht augmentierter Erdenmensch, wäre er bereits vor langer Zeit seiner fürchterlichen Krankheit erlegen. Aus marsianischer Eitelkeit hat er ebenfalls in seiner Jugend darauf verzichtet, genetisches Material oder Sperma einfrieren zu lassen. Okorimashita hat nur ein Kind, nur einen Erben: die bildschöne Omorfo und er kann wie bereits gesagt keine gesunden weiteren Nachkommen zeugen. Verliert er sie, verliert er diejenige, mit der seine Linie beginnt und endet. Um seine Tochter zurückzubekommen, muss er mir ein dementsprechend hohes Lösegeld zahlen. Okorimashita hat Omorfo stets mit Liebe und Geschenken überhäuft, jedem im Sonnensystem ist seine tiefe Zuneigung zu ihr wohlbekannt. Seine sentimentale Art und Weise wird den Zorn der Marsianer erregen, welche nicht verstehen werden, warum sich ihr stolzer König mir und meinen Forderungen beugen wird. Er wird als altersschwach und manipulierbar gelten, jeder kennt die Geschichten der Marsianer, die eher ihre Eltern oder Kinder opfern würden, um nur dem entsetzlichen Schicksal des Ehrenverlustes entgehen zu können. Okorimashitas emotionale Bindung wird in diesem Fall seine grösste Schwäche sein. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass der nächste in der Thronwahl einer meiner Agenten ist, der durchlauchte Graf Sentis vom Nordpol des Planeten. Entweder stirbt Okorimashita ohne Nachfahren, was Sentis zum Thron verhelfen wird oder Okorimashita unterwirft sich mir und Sentis wird dadurch ebenfalls zum König des Mars. So oder so wird der Mars also in meine Hand übergehen. Ich erhalte so sogar noch einen Extrabonus in Form des Lösegeldes dazu.“

„Aber… Aber die stellare Liga wird… und was wird, wenn wir die Prinzessin wieder freigeben? Wird dann nicht sie Königin werden?“ stammelte Symvoulos sichtlich aufgebracht.

„Die stellare Liga mag von aussen stark und unbezwingbar wie eine mächtige alte Eiche wirken. In Wahrheit aber sind die Wurzeln dieses Baumes verrottet und verfault. Es braucht nur einen genügend starken Sturm und die Eiche wird umstürzen. Ich werde es sein, der diesen mächtigen Wirbelwind entfesseln wird. Was Omorfo angeht: sie wird niemals zurückkehren. Verstehst du, was ich meine?“

Er schlug mit der flachen Hand demonstrativ auf den Tisch. „Wir werden uns übrigens nicht zu erkennen geben. Alles wird völlig anonym ablaufen. Ich habe bereits veranlasst, dass die Prinzessin nach der Entführung auf eine kleine Basis im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter gebracht wird, zu einem berüchtigten, ehemaligen Versteck von Raumpiraten und anderem Gesindel. Nichts lässt sich zu uns zurückverfolgen.“

Omnios warf einen Blick auf die Statue von Leonidas, dem berühmten König von Sparta, welche sein Arbeitszimmer schmückte und neben seinem hölzernen, lackierten Tisch stand. Die Statue zeigte den antiken König, wie er seinen Schild vor sich hielt und die bekannte Kampfphalanx der Spartiaten einnahm. Die Kühnheit und der Wille, sich nicht dem mächtigen König Xerxes ergeben zu wollen, hatten ihn trotz seines Untergangs in der Schlacht bei den Thermopylen unsterblich werden lassen. Der Baron strich sanft, geradezu liebevoll mit einer Hand über die raue Oberfläche der Statue.

„Verstehst du? Ich werde gar nicht erst zulassen, dass meine Gegner eine wie auch immer geartete Chance gegen mich haben werden." 

Symvoulos war offensichtlich beeindruckt von den Ausführungen seines Herrn. 

„Das war eine über alle Massen beachtliche Ausführung, Herr."

„Nicht wahr? Aber leider gehen einem diese Dinge einfacher über die Lippen, als was man sie in der Realität in die Tat umsetzen kann. Die stellare Liga mag tödlich geschwächt und voller Degenerierter und Barbaren sein, sie stellt jedoch immer noch eine nicht zu unterschätzende Militärmacht dar, wenngleich sie es jetzt schon nicht mehr mit meiner Streitmacht in einem direkten Kampf aufnehmen könnte. Ich gehe streng davon aus, dass, falls es zwischen der stellaren Liga und meinem inoffiziellen Aplistos-Imperium zu einem blutigen Gefecht kommen würde, wir mühelos sehr schnell die Oberhand gewinnen würden. Auf jeden Soldaten der Liga kommen etwa tausend meiner Soldaten, auf jedes ihrer Kampfschiffe kommen hundert meiner eigenen. Jetzt, da ich den Saturn und dessen gewaltige Ressourcen und die titanenhaften Zuchtanlagen und Genlabore ebenfalls zu meinem erweiterten Reich zählen kann, kommen auf jeden Liga-Soldaten hunderttausend meiner Soldaten und auf jedes Liga-Kriegsschiff tausend Kriegsschiffe aus meiner verstärkten Flotte- man vergesse nicht meine neuen Grossschlachtschiffe und Riesenzerstörer, für welche die Liga gar keine Gegenstücke besitzt. Allerdings würden sie mit der Zeit zweifellos zu schmutzigen Guerilla-Taktiken greifen und versuchen, unsere Truppen zu verlustreichen Strassenschlachten zu zwingen, sowie mit Sprengstoffattentaten, Virenanschlägen und anderem Unbill uns in die Knie zu zwingen. Sie würden wohl ahnen, dass ich die Städte und Stellungen unbedingt intakt in Besitz nehmen möchte und daher auf planetare Bombardements mehrheitlich verzichten würde. Ich muss also die stellare Liga von innen her weitgehend soweit zerstören, so dass sie sich selber nicht mehr richtig mobilisieren und positionieren können und führerlos dahinsiechen, während ihre Truppen von den marschierenden Füssen meiner Armeen niedergetrampelt werden. Ich habe im geheimen dafür gesorgt, dass eine entwaffnende Pazifisten-Bewegung im Inneren der Liga Fuss gefasst hat, welche ebenfalls stark demoralisierende Wirkung entfalten wird und wie ein Krebsgeschwür wuchern und ihren Kampfeswillen untergraben wird. Hier sind meine weiteren Befehle: lass so schnell wie möglich meine Flagge auf dem Saturn hissen und veranlasse sofort die Integration der Saturn-Streitkräfte in meine eigenen. Lass ebenfalls alle alten, gelben Saturn-Uniformen vernichten. Ab sofort wird von dem Militär in meinem Reich nur noch die goldene Rüstung und der römisch-griechische Helm der Aplistos-Armee getragen, auch auf dem Saturn. Die niedrigen Offiziere werden unsere schwarzen und die höheren unsere grauen Uniformen tragen. Da ist noch etwas: ich benötige den Mond Titan für sagen wir einmal „private" Zwecke. Lass die Zivilisten von dem Mond umsiedeln und bitte umgehend meine besten Wissenschaftler, Architekten und Ingenieure sich bei mir einzufinden! Rasch, rasch, die Zeit eilt!"

Symvoulos machte mit der Hand eine unterwürfige Geste und machte sich sobald an die Arbeit. 

„Wie Ihr wünscht, Herr. Es wird alles entsprechend Euren Wünschen ausgeführt werden."

Der Berater verliess mit gemischten Gefühlen den Raum, während sich sein Herr der holographischen Simulation einer alles in den Schatten stellenden Megastruktur unbekannter Herkunft zuwandte. Sie zeigte die komplexe, graphische Darstellung einer fremdartigen, scheinbar nicht von Menschenhand erbauten Struktur in einer wüsten Einöde.

„Bald, schon sehr bald.“, murmelte er, dann stellte er eine Leitung zu der Einsatzgruppe „Kobra“ her.

„Ja, Herr?“ es war eine hörbar mechanische Stimme, welche in dem Ton mitschwang.

„Beginnt mit der Operation „Sabra“! Tretet aus dem Schatten, in welchem ihr euch bisher verborgen habt! Meldet euch, wenn ihr die Mission erfolgreich ausgeführt habt! Vergesst nicht, die gefälschten, grünen Uniformen und Skeletthelme zu tragen!“

„Wie Ihr befiehlt, Herr!“ Die Stimme verstummte und der Baron war wieder alleine mit seinen Gedanken. Im Zwielicht der gedämpften Schwebelaternen sah sich Omnios nun bald am Ziel seiner lange gehegten Träume angekommen.

Kapitel 2: Operation „Sabra“ tritt in Kraft

Die königliche Schwebebarke schwebte langsam und behutsam über die karge, von rotem Sand bedeckte Landschaft des Mars. An Deck räkelte sich Prinzessin Omorfo, einzige Tochter von Okorimashita Endoxa und Thronerbin des Mars, auf einem seidenen Teppich in der Sonne, umgeben von ihren persönlichen Zofen sowie einer erlesenen Handvoll Leibwächtern und Soldaten. Die blutjunge, zwölfjährige Prinzessin war - wie auf dem Mars üblich - nur leicht bekleidet. Sie trug ein bodenlanges Kleid mit gemusterten, goldenen Zierbordüren zusammen mit einem Samtcape. Ebenfalls trug sie ein Haarbanddiadem. Die sie betreuenden Dienerinnen trugen weisse Oberteile und Lendenschürze sowie cremefarbene, weitgeschnittene Umhänge. Die Neoanthropoden, welche später als Marsianer bezeichnet wurden, waren durch spezifische vorgenommene Genmanipulationen an das kühle Klima und an die stickstoffreiche Atmosphäre angepasst worden. Dies bewirkte, dass die Marsmenschen an für ungeschützte Erdmenschen tödlich tiefe Temperaturen gewöhnt waren und sie ihre Körper daher nur spärlich mit Kleidung bedeckten, die auf dem Mars eher die Stellung einer Person preisgab, als dem Schutz vor Kälte oder dem Verdecken der Scham diente (tatsächlich war der Anblick von völlig nackten Marsianern keine Seltenheit in den grösseren Siedlungen). Die Marsianer hatten eine helle, schneeweise Haut, um besser das begehrte Vitamin D der weit entfernten Sonne aufnehmen zu können. Der marsianische Haut-Ton war so ungewöhnlich weiss, wie man es früher auf der alten Erde nur bei Albinos antreffen konnte. Begleitet wurde Prinzessin Omorfo ebenfalls von Kelkantos Benevarius, einem marsianischen Veteranen der königlichen Garde und seit Kindertagen auch Vertrauten und persönlichem Aufpasser der Prinzessin. Kelkantos war ein Mann mittleren Alters und trug einen schimmernden Brustharnisch und einen braunfarbigen Lendenschurz sowie dunkelbraune Lederstiefel. Sein Gesicht strahlte meist tiefe Zuversicht aus, nur heute wirkte es auffällig getrübt und beunruhigt. Seine Hand glitt immer wieder erregt über den Griff seiner Uranpistole und über die Scheide seines Schwertes, welche zeremoniell an seinem breiten Multizweckgürtel befestigt waren. Er liess seine grauen Augen skeptisch über die Umgebung wandern. Es war nur allzu offensichtlich, dass er innerlich einen Vorfall erwartete und sich überlegte, wie er im Notfall am besten reagieren sollte. Wie sollte er sich wohl am besten positionieren, wie verhalten, um die Prinzessin effektiv schützen zu können? Omorfo stupfte ihn spielerisch mit den Fingern an die Hüfte.

„Was beunruhigt dich, mein grosser, starker Kelkantos? Gibt es etwas, womit du nicht fertig werden könntest? Hält Vater womöglich fälschlicherweise so grosse Stücke auf dich? Hast du nicht den furchterregenden Dinosauriern auf der Venus tapfer die Stirn geboten? Die grossen, menschenfressenden Motten auf dem Erdenmond mit blossen Händen erwürgt? Du stärkster aller Starken, du Muskelberg aus Stahl!“

Sie spannte ihre Armmuskeln an und ahmte einen seine Muskeln präsentierenden Athleten nach.

Ein amüsiertes Lächeln huschte über Kelkantos steife Miene. Der Sarkasmus, der herausfordernd in ihrer Stimme lag, lenkte ihn von seinen düsteren Vorahnungen etwas ab und vertrieb seine Angespanntheit merklich. Dinosaurier auf der Venus? Riesenmotten auf dem Mond der alten Erde? Woher kamen ihr bloss solche Ideen? Womöglich aus diesen Schundheften und Holofilmen, welche ihr so gut gefielen.

„Verzeiht mir, es ist nichts, Eure Hoheit. Die jüngsten Ereignisse auf dem Saturn haben mich lediglich ins Grübeln gebracht. Der bizarre Tod des Grossherzogs scheint keiner Logik zu folgen. Wer verfällt denn in der heutigen Zeit noch urplötzlich wie aus dem nichts auf einmal komplett dem Wahnsinn? Und dazu noch Jemand, der über die allerbesten Ärzte und Medizintechnologie verfügt? Wieso haben seine Mediziner von seinem aufziehenden Wahn niemals irgendetwas bemerkt? Nein, darauf kann ich mir keinem Reim machen. Es muss mehr dahinterstecken. Soweit ich das sehen kann, profitiert nur eine einzige Person von diesem Unglück.“

Das Mädchen griff in einen bereitstehenden Kühlbeutel und zog eine Flasche heraus.

„Hier Kelkantos, nimm einen erfrischenden Schluck von dem Briar-Nektar! Das entspannt dich und schont deine Nerven!“

Kelkantos nahm, wie ihm geheissen war, einen grossen Schluck und fühlte sich danach tatsächlich ungewohnt revitalisiert. Er fühlte sich nun wie nach einem belebenden Bad.

„Nur der Baron…, den Baron des Jupiters meine ich, ging als Gewinner aus dieser Situation hervor. Ja, er muss insgeheim etwas damit zu tun haben. Wahrscheinlich war er es, der seinen Cousin irgendwie manipuliert hat. Vielleicht sind die Behauptungen vom Selbstmord des Grossherzogs komplett erfunden und der Baron hat ihn durch eine Kompanie seiner scheusslichen Ungeheuer töten lassen.“

Die Prinzessin lachte laut auf, so dass ihre Zofen ebenfalls kichern mussten.

„Du redest wirres Zeug. Reiner Unfug ist das. Baron Omnios ist ein galanter und höchst zivilisierter Edelmann! Er ist für seine grosse Menschenliebe weitgehend bekannt! Er finanziert privat Ernährungsprogramme, welche Millionen Menschen und viele Völker auf den verschiedensten Welten speisen und kleiden. Er hat ebenfalls hohe Geldsummen dafür verwendet, um Kunstgegenstände und Artefakte von der alten Erde pflegen und restaurieren zu lassen. Welcher Schurke würde solche Dinge tun? Ausserdem waren Omnios und sein Cousin Kaitman Nebulon beste Freunde seit ihrer Kindheit! Nein, du siehst Gespenster, mein lieber Kelkantos! Du solltest dich wirklich schämen, so etwas schlimmes auch nur schon zu denken!“

Diese Unterhaltung verlief ungeplant. Kelkantos Benevarius lehnte sich ungehalten an einen Balken der an ein übergrosses altägyptisches Schilfboot erinnernden Barke. Er schenkte den Worten der Prinzessin nur unterschwellig Aufmerksamkeit. Sie war jung, zu jung und viel zu naiv, wie die meisten Jugendlichen es seit Anbeginn der Zeit waren. Ihre Vertrauensseligkeit gegenüber fast allen Menschen kam wahrscheinlich daher, weil sie ihr Leben lang stets von ergebenen Dienerinnen und Wachen umgeben war. Sie hatte niemals einen Grund gehabt, um an irgendjemandem Zweifel zu hegen. Er hingegen hatte viele Schlachtfelder gesehen und kannte nur zu gut die Brutalität der Menschen, insbesondere die der weithin gefürchteten Krieger des Jupiters. Ihre Kämpfer waren teilweise stark genveränderte Abscheulichkeiten, welche einmal entfesselt, sich wie wild gewordene Berserker auf ihre Ziele stürzten und diese in Stücke zerfleischten. Sie besassen nur noch rudimentär menschliche Gestalten und erinnerten eher an mannsgrosse, zweibeinige Hunde. „Hunde des Krieges“, er hatte diesen Begriff von verängstigten, halbtoten Soldaten gehört, welche diesen Kreaturen begegnet waren. Obwohl diese abartigen Biester nur einen Bruchteil der Jupiterarmee ausmachten, waren sie zu ihren schrecklichen Repräsentanten auf den Kriegsschauplätzen geworden. Sie waren tatsächlich gefürchteter als die gewaltigen Kampfroboter des Jupiters, welche mühelos ganze Städte in Schutt und Asche legen konnten. Der Name „Lycanthrop“ schnellte es durch sein Gehirn. Es hatte zwar auch Lykanthropen auf anderen Welten gegeben, aber die Jupiter- Lykanthropen waren durch ihren blutrünstigen Ruf bei weitem die bekanntesten des Sonnensystems geworden.

„Eine schreckliche, unmenschliche Reputation haben sie sich erwirtschaftet.“, sagte er zu sich selber. Vielleicht hatte sein alter Mentor Nebuyian nach allem doch Recht behalten. Er war innerlich zu wenig ausgeglichen. Kelkantos hätte sich mehr von Nebuyians stoischer Art gewünscht. Nichts hatte ihn jemals aus der Fassung bringen können. Absolut gar nichts, nicht einmal das grösste Unwetter hatte ihn ins Wanken bringen können. Er vermisste nun schmerzlich die Anleitung unter der Anwesenheit des alten Mannes. Wie lange war das nun schon her? Fünfzig Jahre? Er fühlte sich alt. Es sollte ihm jedoch keine Zeit für eine seiner ausdehnten Retrospektiven bleiben.

Ein lautes, dröhnendes Geräusch erklang auf einmal unmittelbar wie aus dem nichts. Plötzlich erbebte die gesamte Barke wie durch ein Erdbeben und warf die Soldaten und Zofen zu Boden. Eine rasch ausbreitende Feuersbrunst drang aus der Seite der Barke. Dienerinnen fielen über die Brüstungen in ihren Tod. Kelkantos warf sich blitzschnell über die erschrockene Prinzessin und rief lauthals dem Steuermann zu.

„Ausweichmanöver! Sende sofort einen Hilferuf aus! Teil allen Personen in Reichweite mit, dass wir unter schwerem Beschuss stehen!“

Er sah sich zielsuchend um. Seine Augen entdeckten einen Lichtstrahl! Er erspähte eine weit entfernte Metallreflektion im Sonnenlicht. Es war ein verchromtes Transportschiff, welches von mehreren Dutzend Kampfdrohnen begleitet wurde. Es gelang ihm aufgrund der massiven Distanz allerdings nicht festzustellen, von welcher Fraktion dieses Schiff kam. Was sollte er nun tun? Die Barke war nur schwach mit Waffen und Personal bestückt worden. Wer hätte denn schon so eine unerwartet brachiale und hintertückische Attacke auf dem sonst so geeinten Mars vorhersehen können? Marsianer betrachteten solche Attacken als ausgesprochen feige, weshalb selbst streitende Clans und sogar die Separatisten den Einsatz einer solchen hinterhältigen Methodik strikt ablehnten. Kelkantos blieb keine weitere Zeit für Überlegungen, eine weitere Salve drang weiter vorne wieder in die Seite der Barke ein und bewirkte, dass sie noch schlimmer ins Wackeln geriet. Schutt und Bruchstücke flogen wie wildgeworden durch die Gegend und es roch stark nach verbrannten Kunststoffen. Die Turbinen waren offensichtlich getroffen worden und der Pilot versuchte den freien Fall dadurch zu kompensieren, in dem er die Reserve-Aggregate aktivierte und die verbliebenen Antriebsdüsen voll auslastete, was ihm allerdings mehr schlecht als recht gelang. Kelkantos zog schnell seine Pistole und brachte die verstörte Omorfo zu dem überdachten Steuerbereich, wo sie sich auf den kühlen Boden hinsetzte.

„Worauf wartete ihr, ihr elenden Narren? Auf eure Beine! Eure Herrin braucht euch jetzt!“

Er winkte die Soldaten herrisch zu sich, welche im Zugangsabschnitt zum Unterdeck Zuflucht suchten. Die Soldaten hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten, eilten aber trotzdem, so gut es ihnen möglich war, bewaffnet und kampfbereit nach oben auf das Hauptdeck, um der Herrschertochter zu Hilfe zu kommen. Mehrere, schrille Knipsgeräusche erklangen. Als mehrere der Soldaten urplötzlich tot in sich zusammensackten, dämmerte es Kelkantos, dass auch Scharfschützen an dem Angriff beteiligt sein müssen. Löcher klafften in ihren Köpfen. Der Kommandant blickte auf und sah die Leichen der Zofen in Blutlachen am Boden liegen. Der ursprünglich samtene, cremefarbene Teppich der Prinzessin war nun zu einem grausigen, rot verschmierten Leichentuch geworden. Der eigentlich so unbekümmert begonnene Tag hatte sich zu einem Albtraum gewandelt und zahlreiche Opfer gefordert. Kelkantos sah sich um. Alle bis auf ihn, Omorfo und der Pilot waren tot. Jeder Soldat und jeder Wächter war im Handumdrehen ausgeschaltet worden. Er allein stellte jetzt also die letzte Linie der Verteidigung dar. Das angreifende Transportschiff flog dröhnend auf die Prunkbarke zu und bremste seine Beschleunigung erst, kurz bevor es sie rammte, abrupt ab. Jedoch war der Anflug derart heftig gewesen, dass die Barke um ein Haar ins Kentern gebracht worden war. Die begleitenden, an schwarzgelbe Riesenhornissen erinnernden Drohnen umzingelten das angeschlagene Schwebeschiff wie ein gieriger Schwarm. Mehrere zogen Kreise um ihr Ziel. Der Transporter öffnete seine Seitenschleuse und mehrere, unterschiedliche, fremdartig anmutende Wesen verliessen das schlagkräftige Raumfahrzeug. Einige der menschlichen Aggressoren trugen dunkelgrüne, gepanzerte Druckanzüge und an menschliche Schädel erinnernde Helme, an denen sich an der Seite angebrachte Schläuche befanden, welche in Atemtanks auf den Rücken mündeten. Augenscheinlich konnten zumindest einige der feindlichen Einheiten nicht vom Mars stammen. Druckanzüge und beheizte, mit Atemgeräten versehene Harnische wären für Marsianer überflüssig gewesen. Die Angreifer kamen langsam näher. Die tiefen, metallenen Atemgeräusche der Respiratoren waren erschreckend deutlich hörbar. Andere der Gegner waren an die Atmosphäre angepasste Lykanthropen, dieselbe Spezies, an welche Kelkantos erst vor kurzem noch gedacht hatte. Die Lykanthropen waren fast nackt und trugen nur an altägyptische Shenti erinnernde, um die Hüften gegürtete Wickelröcke und Munitionskanister auf den Rücken. Kelkantos war erstaunt über ihre geringe Ausstattung und den Mangel an Rüstungsschutz. Lykanthropen waren zwar von Natur aus äusserst robust, aber trotzdem war es ungewöhnlich, wie gering die Anwesenden gerüstet waren. Keine Harnische, keine Helme, keine Panzerhandschuhe, keine Raketenrucksäcke, keine Zielerfassungsscanner oder Hieb und Stichwaffen. Wer auch immer der Herr über diese Biester sein musste, er hatte offenbar kein länger dauerndes Scharmützel eingeplant. Kelkantos stellte sich auf sein starkes Bein und zog langsam sein Schwert aus der Scheide, dabei stellte er sich schützend vor die Prinzessin, jederzeit den Todesschuss oder –stoss erwartend. Durch die Explosionen hatte er zwar einige üble Verbrennungen davongetragen, liess sich jedoch von den Schmerzen, die er empfand, nichts anmerken. Mit der rechten Hand hielt er einen Fetzen Stoff, welchen er von dem Gewand einer Leiche abgerissen hatte, auf eine tiefe, klaffende Brustwunde. Wenigstens war die Prinzessin vor Schäden bewahrt worden. Er musterte ihren Körper. Da befanden sich keine Verbrennungen oder Schnitte. Eine Zeit lang herrschte bis auf die schnaufenden Atemgeräusche der Atemgeräte auf dem Oberdeck völlige Stille. Omorfo blickte verängstig hinter Kelkantos hervor, sie wollte unbedingt einen besseren Blick auf die Eindringlinge erhaschen. Nach einer Weile, einer gefühlten Ewigkeit, teilte sich die sie umgebende Menge und einer der Angreifer trat vor, offenbar ihr Anführer. Es war ein blauhäutiger Mann in einem Ledermantel. Sein meeresbläuliches, durchsichtiges Gesicht, welches den Blick auf die vielen Servomotoren freigab, welche seine künstlichen Gesichtsmuskeln kontrollierten, glich einer geisterhaften Maske und durch die unnatürlich blauen Augen wirkte sein Blick geradezu durchbohrend. Seine klirrenden und scheppernden Schritte klangen wie das Geräusch von Reitersporen, welche an dem Boden aufklangen.

„Ein Cyberbot B12-Androide?“, schnellte es durch Omorfos Geist. Sie kannte dieses Model aus einem Sol-Net Bericht, den sie vor kurzem gelesen hatte. Diese hochintelligenten und sehr leistungsfähigen Roboter fungierten meistens als taktische Einheiten im Militär von Raumflotten. Sie koordinierten unter normalen Umständen Truppenverbände und erteilten den Generälen und Admirälen in den Raumflotten Ratschläge unterschiedlichster Art. Sie konnten innert Nanosekunden komplexeste Berechnungen und Schlachtfeldsimulationen durchführen. Eine Art „elektronischer“ Chefstratege also. Das pragmatische und emotionslose Auftreten der Denkmaschine wirkte geradezu niederträchtig kalt. So trat der Androide ohne mit der Wimper zu zucken auf die Körper der jüngst Verstorbenen. Er stellte sich erschreckend nahe vor Kelkantos und umfing dessen gezogene Klinge mit seiner rechten, stählernen, skelettartigen Hand.

„Lassen wir diese übertriebene Zurschaustellung von Ritterlichkeit. Ich schlage vor, um weiteres, unnötiges Blutvergiessen zu verhindern, dass Ihr Eure Waffen niederlegt, Kommandant Kelkantos Benevarius. Ja, wir wissen, wer Ihr seid. Unser Treffen ist minutiös geplant geworden. Es wäre sehr unschön und im höchsten Masse bedauerlich, wenn wir Eure Gehirnmasse auf die Prinzessin verteilen müssten.“

Kaum hatte der Maschinenmensch die Worte ausgesprochen, richteten alle feindlichen Einheiten ihre Waffen auf Kelkantos. Der Veteran blickte in die Läufe der Waffen. Sogar die in der Luft stehenden Drohnen folgten der eben ausgesprochenen Drohung und hatten ihn direkt ins Visier genommen. Der innerlich bebende Kelkantos konnte an den sich verändernden Kamera-Objektiven der Drohnen deutlich erkennen, wie sie ihre Zielerfassung neu justierten und ihn auf das Korn nahmen. Die Waffenmündungen waren wie geschliffene Speere auf ihn fokussiert.

„Wer seid ihr? Wie habt ihr das planetare Verteidigungsnetz durchbrochen?“ knurrte Kelkantos angeschlagen. Über das Gesicht der Maschine kam nun eine hämische Fratze, die sogar einen erfahrenen Veteranen durchzucken liess.

„Gar nicht. Wir haben es gar nicht penetriert.“

In Kelkantos Augen blitzte ehrliche Verwunderung auf.

„Oh, es ist kein übernatürliches Phänomen, aber trotzdem ein für euch undurchschaubares Mysterium, nicht wahr? Wir Denkmaschinen lieben Rätsel. Aber wir haben jetzt weder die Zeit noch die nötige Umgebung für solcherlei Spiele. Wir sind bereits seit einigen Jahren auf dem Mars und haben nur auf den Befehl zu unserem Übergriff gewartet. Sehen sie, diese Konfrontation hier ist seit langem akribisch vorbereitet worden. Meine Anwesenheit als befehlshabender Kommandant und Chefanalytiker ist ebenso wenig dem Zufall entsprungen.“

Der stählerne Kaptor fuhr mit seinen Ausführungen fort:

„Sie haben zweifellos versucht, Hilfe zu rufen. Ich muss Sie leider enttäuschen: wir haben Sie bewusst in diesem Teil der Wüste geentert, wo sich ein Kommunikationsloch befindet. Es misst aufgrund von Mineralien in dem umgebenden Gestein allerdings nur wenige hundert Meter, Sie können sich daher vorstellen, mit welcher chirurgischen Präzision wir sie getroffen haben.“

Die Gesichtszüge der Maschine schienen nun eine selbstsichere Miene wiederzugeben.

„Emotionen“ dachte die Prinzessin. Ein Cyberbot B12-Androide, der über Emotionen verfügt, und sogar kleinste sprachliche Anspielungen und die Mimik von Menschen versteht und darin lesen kann? Das war kein normales Serienmodel. Die gewöhnlichen Modelle konnten ausserdem nur rudimentär sprechen und Fragen verstehen. Das musste eine hochteure Spezialanfertigung nach Mass sein. Aber wer hatte schon das nötige Geld sowie die unerlässlichen Beziehungen zu dem umfangreichen Cyberbot Galaxiakos Gross-Konzern, um ein solches Unikat verlangen zu können? Zumindest keine feindselige Splittergruppe oder unzufriedenen Bürger. Hier kamen nur mächtige, planetare Herrscher in Frage. Oder vielleicht eine unbekannte, dunkle Bedrohung.

„Es hilft nichts, ich muss wohl deutlicher werden“, meinte der Androide und feuerte ohne Vorwarnung aus einer unter seinem Mantel getarnten Armkanone einen Schuss ab, der den inzwischen am Boden knienden und eifrig um Rettung betenden Piloten sofort tötete. Der Pilot sank verstummt in sich zusammen und fiel nach hinten auf den Boden. Der Boden um seinen Kopf färbte sich rot. Reste seiner Hirnmasse klebten nun an Kelkantos Gesicht. Dieser liess sich jedoch davon nichts anmerken. Er musste überlegt handeln. Sinnlose Emotionen hatten in einer Kampfsituation keinen Platz.

Die Prinzessin kämpfte gegen ihre Tränen an: „„Anilikos“ hatte ihn seine Mutter stets gerufen…“

Omorfo kannte den Piloten bereits seit Ihrer frühen Kindheit. Seine Mutter war am Hof eine niedere Dienerin gewesen und Omorfo hatte sich ab und an (unter der wachsamen Aufsicht von Kelkantos) unerkannt unter die Kinder der Dienerschaft gemischt, welche sich im Innenhof des Palastes aufhielten und spielten. „Anilikos“ („Der Kleine“ im Griechischen der alten Erde) hiess tatsächlich Ereborn und war stets so nett zu ihr gewesen, auch als er noch nicht wusste, dass sie die Tochter des Königs war. Sie hatten oftmals zusammen Abenteuer erlebt. Die Erinnerungen liefen wie ein Film vor ihren Augen ab. Das lange vergessene Gefühl kindlicher Unschuld und Fröhlichkeit sprühte wieder wie Funken in einem Feuer in ihrem Gedächtnis auf, nur um wieder von der grausamen Realität eingeholt zu werden.

„Nein, wie bedauerlich.“

Ein diabolisch-hämischer Sarkasmus schwang in der künstlichen Stimme der Maschine mit. Der künstliche Mensch packte den Leichnam des Steuermannes, hob ihn mühelos mit einer Hand auf und warf ihn wie Müll von dem Oberdeck der Barke auf den roten Sand hinunter. Danach wandte er sich wieder um und schritt wieder unangenehm nahe auf Kelkantos und die hinter ihm Schutz suchende Prinzessin zu. Seine klirrenden Schritte waren neben den hin und wieder ertönenden Atemgeräuschen aus einiger Distanz wieder das einzige, was man hören konnte. Eine unheimliche Stille herrschte. Seine visuellen Rezeptoren, welche seine Variante von Augen waren, strahlten ein unangenehmes, schwach schimmerndes blaues Licht aus.

„Wie wollt Ihr es haben, Hochwohlgeboren? Soll ich euren letzten Begleiter, Euren aufopfernden Beschützer ebenfalls den kalten Händen Charons übergeben? Nein? Ich schlage vor, dass Ihr die Ausweglosigkeit Eurer Situation akzeptiert und Euch uns ergeben werdet.“

Einer der Lykanthropen flüsterte in einer den Marsianern unbekannten Sprache etwas in die auditiven Rezeptoren des blauen Androiden. Einer der Soldaten in den Raumanzügen bestätigte die Aussage des Lykanthropen: „Was er sagt, stimmt, Herr.“

Der Androide hielt kurz inne. Offenbar ging er verschiedene Simulationen durch. Dabei wirkte er fast, als ob er zu einer Statue erstarrt wäre. Auf einmal machte er schlagartig eine blitzschnelle Bewegung, so schnell, dass Kelkantos nicht wusste, wie ihm geschah. Er bemerkte auf einmal, dass sich sein Unterleib blutig verfärbte. Sich kaum noch auf den Beinen haltend, fiel er auf seine aufgeschürften Knie. Er sah den Androiden an, der eine blutverschmierte, an einen langen, symmetrischen Dolch erinnernde Klinge unter dem Ärmel seines Mantels verschwinden liess. Er hatte ihn getroffen, ohne dass er dies bewusst wahrnehmen konnte. Alles war im Bruchteil einer Sekunde geschehen. Maschinen waren schneller als Menschen. Der Androide schubste ihn mit einem Tritt zur Seite und ergriff Omorfo am Handgelenk. Obwohl sie sich wie wild sträubte, nützte das alles nichts. Der Androide injizierte ihr ein Schlafmittel, welches er ihr per Injektionspistole in den Nacken spritzte. Sie wurde ermattet wider Willen in das Innere des Transportschiffes verfrachtet. Kelkantos erhob schwach seine Hand, nur um sie zitternd und erschöpft wieder schnell zu Boden fallen zu lassen. Seine Sinne schwanden dahin, er konnte nur noch verschwommen das schreckliche, blaue Gesicht seines Mörders erkennen und es fiel ihm Zusehens schwer, noch richtig hören zu können. Alles klang wie aus weiter Ferne:

„Ich habe sämtliche ihrer lebenswichtigen Organe und nicht wenige Ihrer am besten durchbluteten Venen getroffen. Sie werden in Kürze tot sein, Benevarius. Jeglicher Widerstand ist völlig sinnlos. Der Tod wird Sie schon sehr bald ereilen. Sie machen besser Ihren Frieden mit Ihren Mars-Göttern.“ Der Maschinenmensch dreht sich um und wies seine Begleiter ebenfalls an, die Barke zu verlassen.

Die Angriffstruppe sammelte sich wie befohlen und bordete das Transportschiff. Kelkantos sah mit seinen Augen wie durch ein milchiges Glas, wie der Ausstoss aus purem Feuer aus den Hecktriebwerken quoll, welcher das Raumschiff innert kürzester Zeit auf eine ungeheure Geschwindigkeit beschleunigte. Im Bruchteil einer Sekunde hatte es sich von seiner vollen Grösse zu einem funkelnden Punkt am Himmel verwandelt. Die meisten der Drohnen begleiteten das Raumschiff, bis auf eine einzige, welche einen genügend ausgedehnten Sicherheitsabstand zu der Barke einnahm und dann Ihre Raketenrohre lud. Auf der Seite war die Einschiebung von neuer Munition deutlich erkennbar. Kelkantos zog ein Götteramulett aus seinem Brustharnisch und küsste es. Da lag Frieden in seinem Gesichtsausdruck, er hatte eine ungeahnte Entspannung erreicht. Er genoss diesen kurzen Augenblick der Ruhe und sammelte sich. Jeder Soldat der Marsianer erwartete den Tod mit offenen Armen, nur um der unaussprechlichen Schande des entehrten Todes im heimatlichen Bett entkommen zu können. Sein Schicksal war unerwartet plötzlich über ihn gekommen, jedoch empfand er in seinem Inneren ein tiefgehendes Gefühl von Ruhe und Frieden. Seine einzige Sorge galt trotz seiner schlimmen, eigenen Situation immer noch nur Omorfo. Er machte mit seiner Hand kreisrunde Bewegungen über den Anhänger mit dem Abbild des Gottes Mars:

„Ihr Götter… Mars, Vater aller Krieger. Lass die Prinzessin nicht leiden. Ich flehe dich an…“

Eine abgefeuerte, kreischende Rakete drang in den Bug der einst so prunkvollen Barke ein und ein grelles Licht verschlang den sterbenden Marskrieger. Die Barke verwandelte sich einem gleisenden Feuerball, der das mitgenommene Gebilde in seine Atome zerbersten liess. Kelkantos Benevarius war nicht mehr. Nie wieder würde er sein Schwert zum Ruhme des Mars im Kampfe erheben können, nie wieder nachts die kalte Wüste durchstreifen, die er so sehr geliebt hatte.

Kapitel 3: Das Erwachen von Aethas und die Krönung des neuen Kaisers

Alles, was er gewollt hatte, war im Schlaf zu verbleiben. Aethas Enaretos wachte auf, während sein Körper noch bewegungslos in der Nährflüssigkeit trieb. Langsam wurde die Flüssigkeit abgelassen und Aethas blieb nackt in dem durchsichtigen, zylinderförmigen Behälter liegen. Er fühlte sich trotz der erholenden und regenerativen Wirkung des Tanks müde und geschwächt. Es war kalt und er fror. Er öffnete seine Augen nur ein wenig, aber trotzdem irritierte ihn sein Gebrauch, nach all den Monaten, wesentlich stärker als erwartet, so dass er ihn halb geschlossen liess. Plötzlich stieg ihm der synthetische Geruch der ständig erneuerten, durch Filter gereinigten Luft in die Nase. Sie roch abgestanden und verbraucht, obwohl sie ständig erneuert wurde. Er sehnte sich nach dem Gefühl einer frischen Brise, wie man es auf der Erde fühlen konnte. Der nur schwach beleuchtete Raum gab nur schemenhaft die Umrisse der abgedunkelten Umgebung wieder. War er wirklich wach? Oder war er von einem Traum in einen anderen übergewechselt? Aethas öffnete seine zugekniffenen Augen etwas weiter und sah ein kugelförmiges Gebilde in der Dunkelheit auf sich zuschweben.

„Vikendios? Bist du das?“, fragte er unsicher.

„Derselbe, Herr!“, drang aus der Dunkelheit.

„Warum ist der Raum so dunkel?“

„Ich habe, um Energie zu sparen, auf zusätzliche Beleuchtung verzichtet, Herr. Wie Ihr wisst, brauche ich kein Licht, um mich zurechtzufinden zu können. Falls ihr es wünscht, kann ich für Euch den Raum erhellen.“

„Ich wäre dir dafür sehr dankbar, Vikendios!“

„Dann ist es also beschlossene Sache!“