Backe, backe Brot – und tot - Mara Laue - E-Book

Backe, backe Brot – und tot E-Book

Mara Laue

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  • Herausgeber: vss-verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Im Duisburger Dellviertel herrscht Krieg. Seit die schöne Bäckerin Francesca Frankie Fariani ihr Event-Café Luculls Paradies eröffnet hat, laufen die Kunden mit fliegenden Fahnen vom alteingesessenen Bäcker Mehring zu Frankie über, um sich von ihr mit vollwertigen Köstlichkeiten verwöhnen zu lassen. Daraufhin greift Mehring zu manchem unlauteren Mittel, um Frankie zu ruinieren. Als er am Morgen nach einer besonders perfiden Attacke tot in seiner Backstube gefunden wird, brutal erstickt mit seinem eigenen Brotteig, gerät Frankie als Erste in Verdacht. Doch die Ermittlungen führen Oberkommissar Piet van Dyck nicht nur tief in die Welt ungewöhnlicher Brotgenüsse ein, sondern offenbaren auch Abgründe in Mehrings Leben, die die Zahl der Verdächtigen schlagartig erhöht. Und Frankie scheint Mehring sehr viel besser gekannt zu haben, als es zunächst den Anschein hatte.

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Seitenzahl: 283

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Mara Laue

Backe, backe Brot – und tot

Piet van Dycks 1. Fall - ein Genusskrimi

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

Backe, backe Brot – und tot

 

Piet van Dycks 1. Fall

 

 

 

 

Ein Genusskrimi von

Mara Laue

 

 

 

 

 

Impressum

 

Copyright: vss-verlag

Jahr: 2023

 

 

Lektorat/ Korrektorat: Hermann Schladt

Covergestaltung: Beate Geng

 

 

Verlagsportal: www.vss-verlag.de

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie

 

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Verfasserin unzulässig.

Anmerkung der Autorin

 

Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen oder tatsächlichen Begebenheiten wären Zufall. Aus rechtlichen Gründen sind die Adressen der im Roman genannten beiden Bäckereien ebenfalls fiktiv. Sie existieren nicht, könnten aber in der Duisburger Cecilienstraße beheimatet sein. Auch das „Palmenblatt“ ist Fiktion und nicht an ein real existierendes Etablissement angelehnt.

 

Authentisch sind dagegen die vorgestellten Brotsorten und sonstige kulinarische Köstlichkeiten. Sollten diese Ihren Appetit anregen, dann finden Sie die Rezepte zum Nachbacken und selbst Herstellen am Ende des Buches.

 

Ein Glossar der im Roman vorkommenden italienischen Ausdrücke befindet sich im Anhang.

 

1.

Mittwoch, 12. Dezember

 

„Stronzo! Coglione! Pezzo di merda! Vattene col diavolo figlio di puttana! Ti faccio fuori!“

Frankie Fariani machte aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Die drohend in Richtung auf Georg Mehrings Brotpalast geschüttelte Faust unterstrich die Flüche. Piet van Dyck verstand zwar kein Wort Italienisch außer „amore“, aber sein rudimentäres Latein reichte aus, um ein paar Brocken zu identifizieren: merda – Scheiße, diavolo – Teufel, figlio di puttana – das hieß garantiert „Hurensohn“. Frankie hielt Mehring ganz offensichtlich für ein Stück Scheiße und wünschte den Hurensohn zum Teufel. Nicht erst seit heute und, wie Piet fand, vollkommen zu Recht.

Dass kein alteingesessener Bäcker wie Mehring darüber begeistert war, wenn ihm gegenüber eine neue Bäckerei eröffnet wurde, verstand sich von selbst. Erst recht wenn sie so erfolgreich war wie Frankies Luculls Paradies. Denn das beherbergte nicht nur eine hervorragende Vollwertbäckerei, in der man sage und schreibe fünfzig verschiedene Brotsorten – Piet hatte nachgezählt – kaufen konnte, sondern ein Event-Café gleich dazu. In dem veranstalteten Autorinnen und Autoren zu erlesenen Gebäcken und Getränken Lesungen, und einmal im Monat traten aufstrebende Musikschaffende einzeln oder als Band auf, um mit moderner Musik über Gypsy Swing bis Klassik das Publikum zu unterhalten, das das Café zahlreich frequentierte. In Anbetracht der Beliebtheit von Frankies Bäckerei fürchtete Mehring zu Recht um seine Existenz.

Das lag allerdings nicht nur daran, dass seine Backwaren dem üblichen Standard entsprachen und nichts Besonderes darstellten, sondern in erster Linie an ihm selbst. Seine Preise überstiegen zwar nicht direkt den Wert der Qualität seiner Waren, waren aber an der oberen Schmerzgrenze. Und er selbst galt als Paradebeispiel eines unangenehmen Menschen: unhöflich, unfreundlich, aufbrausend. Solange er der einzige Bäcker in Duisburgs Cecilienstraße gewesen war, blieb den Anwohnern nichts anderes übrig, als bei ihm zu kaufen, wollten sie nicht mit Discounterware von noch schlechterer Qualität Vorlieb nehmen oder bei Wind und Wetter einige Straßen weit gehen müssen, um Samstagmorgen ihre Brötchen zu bekommen.

Seit Frankie Luculls Paradies eröffnet hatte, gab es eine Alternative, und sie wurde rege in Anspruch genommen. Nicht nur wegen der exquisiten Waren, sondern auch wegen der schönen Inhaberin. Dass Mehring versuchte, seine Kunden zurückzugewinnen, war ebenfalls verständlich. Dass manche seiner entsprechenden Maßnahmen hart an den Rand der Legalität gerieten, konnte man mit viel Wohlwollen noch verstehen. Doch dass er obendrein zu perfiden Mitteln wie Denunziation griff und höchstwahrscheinlich auch dafür verantwortlich war, dass die Schaufenster des Cafés mit aufgesprühten Schmähungen verschandelt worden waren, ging entschieden zu weit.

Der Meinung war auch Frankie, deren blaue Augen wütend blitzten, während sie weitere italienische Flüche auf Mehring ausspuckte.

Piet reckte möglichst unauffällig den Hals, um von seinem Platz an seinem Lieblingstisch am Fenster neben der Tür zu sehen, ob Mehring die Beschimpfungen mitbekam. Er sah den übergewichtigen Bäcker in der Tür seines Geschäftes stehen, die Fäuste an die feisten Hüften gestemmt, und hämisch grinsen. Der Mann, der sich nicht traute, die drei Stufen zur Tür von Luculls Paradies zu überwinden und einzutreten, fürchtete angesichts von Frankies geballtem Zorn offensichtlich, jeden Moment ebenfalls in den Fokus ihrer Wut zu geraten.

Doch als hätte jemand bei ihr einen Schalter umgelegt, verschwand ihr Zorn. Sie lächelte den Mann an, reichte ihm die Hand, die er reflexartig ergriff, und zog ihn ins Café.

„Bitte sehr, Ispettore, kommen Sie herein und sehen Sie sich um, wo immer Sie wollen und so lange Sie wollen. Sie werden bei mir allenfalls süße Mäuschen finden, ganz aus Marzipan oder Schokolade hergestellt, aber keine Ratte. Schon gar nicht mehrere. Nicht mal welche aus Schokolade.“

Der Mann lächelte zaghaft. „Das hätte mich auch gewundert, Frau Fariani. Aber wenn wir eine entsprechende Anzeige erhalten, sind wir vom Lebensmittelüberwachungsamt verpflichtet, ihr nachzugehen, auch wenn sie anonym erfolgt ist. Gerade heutzutage, wo ein Lebensmittelskandal den nächsten jagt. Und wenn es dann heißt, dass in einem Lokal Ratten gesichtet worden sind, sind wir sofort zur Stelle. Immerhin übertragen Ratten etliche Krankheiten. Aber“, er lächelte breiter, „bei Ihnen gab es noch nie etwas zu beanstanden.“

Frankie erwiderte sein Lächeln. „Das wird auch so bleiben.“

„Trotzdem hätte ich gern als Erstes Ihre Mülltonnen inspiziert, denn man will Sie mehrfach beob-achtet haben, wie Sie tote Ratten hineingeworfen haben.“

Frankie stieß ein Knurren aus, das dem eines wütenden Hundes ungemein ähnlich klang, stürzte zurück zur Tür, riss sie auf und schüttelte wieder die Faust in Richtung Mehring. „Bugiardo di merda! L’ammazzo quel meschino di troia!“

Piet, der nur eine Armeslänge von ihr entfernt saß, zog vor dieser mordsmäßigen Explosion unwillkürlich den Kopf ein. Der Lebensmittelkontrolleur blickte sie irritiert an. Frankie wandte sich ihm zu und setzte wieder ihr unwiderstehliches Lächeln auf.

„Kommen Sie, Ispettore. Inspizieren Sie alles. Sie werden nichts zu beanstanden finden.“ Sie führte ihn durch den Hinterausgang zum Hof, wo die Mülltonnen standen.

Piet schüttelte den Kopf und warf einen weiteren Blick aus dem Fenster. Georg Mehring hatte sich zwar in seinen Laden zurückgezogen, aber er stand deutlich sichtbar hinter der Schaufensterscheibe und starrte herüber. Auch wenn man ihm nicht beweisen konnte, dass er Frankie denunziert hatte, so war sein Verhalten ein mehr als deutliches Indiz dafür. Piet fragte sich, was er damit bezweckte, denn außer dass er Frankie in Rage versetzte und dem Kontrolleur unnötige Arbeit verursachte, weil bei Frankie immer alles in bester Ordnung war, erreichte er damit gar nichts. Falls er hoffte, sie mit solchen Schikanen zu vertreiben, war das vergebene Liebesmüh’.

„Jemand sollte dem Dreckskerl mal zeigen, wo der Hammer hängt.“ Janina Geerkens runzelte finster die Stirn, während sie einem Kunden an der Theke seine Brötchen eintütete.

Ihre ältere Kollegin, Sieglinde Unger, nickte nachdrücklich und hackte so heftig eine Gurke für den nächsten Schwung belegter Brötchen in Scheiben, als wollte sie das Gemüse hinrichten. „Mal sehen, was der Kotzbrocken sich als Nächstes einfallen lässt. Dabei hat er sich selbst zuzuschreiben, dass keiner mehr was von ihm will.“

Die beiden Verkäuferinnen wussten, wovon sie redeten, denn sie hatten jahrelang für Mehring gearbeitet. Für einen Hungerlohn und schlechte Arbeitsbedingungen, wie sie nicht müde wurden, jedem zu erzählen, der es hören wollte oder nicht. Als Frankie ihr Bäckerei-Café eröffnet und mit einem Aushang Fachverkäuferinnen gesucht hatte, hatten beide Frauen die Gunst der Stunde genutzt und waren mit fliegenden Fahnen zu Luculls Paradies übergelaufen. Mehring hatte dermaßen getobt, dass die Nachbarn die Polizei gerufen hatten, weil sie fürchteten, der Bäcker könnte in seiner Wut seiner Frau oder seinem Sohn etwas antun. Was, wie Piet wusste, nicht das erste Mal gewesen wäre. Jedenfalls herrschte seit diesem Tag Krieg zwischen Mehring und Frankie. Zumindest von Mehrings Seite aus. Frankie beschränkte sich darauf, überaus erfolgreich ihren Laden zu führen und mit der Qualität ihrer Waren und ihrem innovativen Geschäftsmodell Mehring das Wasser abzugraben.

„Kann ich verstehen“, antwortete ein Gast, der Piet gegenüber am Fenstertisch auf der anderen Seite der Eingangstür saß, auf Sieglinde Ungers Kommentar. Er trank seinen dritten Kaffee und las die NRZ, die neben anderen Tageszeitungen und Zeitschriften hier kostenlos zum Lesen auslagen. „Ist ja auch eine Sauerei so was. Die Denunziation, meine ich. Kein Wunder, dass Frankie den Kerl vierteilen möchte.“

Piet sah ihn an. Dem abgetragenen Zustand seines Mantels und dem ungetrimmten Vollbart nach zu urteilen, gehörte er wohl zu den Besuchern, die Frankie ihre „speziellen Gäste“ nannte: von der modernen Armut betroffene Menschen, die sich nicht viel leisten konnten. Sie bezahlten bei Frankie nur ihre Getränke und bekamen belegtes Brot oder Brötchen vom Vortag gratis dazu, so lange der Vorrat reichte. Wenn Piet sich recht erinnerte, hatte er den Mann schon öfter im Café gesehen, einmal auch, als Piet hier zu Abend gegessen hatte. Auf dem rechten Handrücken trug er einen blutroten tätowierten Skorpion, der schon etwas verblasst war. Neben ihm lagen abgewetzte, bikerähnliche Handschuhe.

„Wie kommen Sie auf Vierteilen?“

Der Mann grinste flüchtig. „Ich verstehe ein bisschen Italienisch. Was sie zuletzt gesagt hat, lautete sinngemäß, dass sie den Kerl am liebsten umbringen würde.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber man weiß ja, wie Italienerinnen sind. So aufbrausend sie sein können, so schnell beruhigen sie sich wieder. Das Schlimmste, was einem Mann passieren kann, ist ein zerkratztes Gesicht.“

Dieser Meinung konnte Piet sich nicht anschließen. Er kannte Frankie, seit sie vor gut einem halben Jahr ihren Laden eröffnet hatte. Piet wohnte in der Tonhallenstraße und fuhr täglich durch die Cecilienstraße zu seinem Arbeitsplatz im Polizeipräsidium auf der Düsseldorfer Straße. In Mehrings Brotpalast hatte er sich auf dem Heimweg oder auch manchmal am frühen Morgen Brot gekauft, weil er der einzige Bäcker auf seinem Weg gewesen war. Am Eröffnungstag von Luculls Paradies hatte er nicht nur das Angebot genutzt, Frankies außergewöhnliche Brot- und Gebäckkreationen kostenlos zu probieren, sondern auch genossen, dass sie sich um ihn wie um jeden Gast persönlich gekümmert hatte, und sei es nur für eine Minute gewesen.

Ihre Freundlichkeit, die spürbar von Herzen kam und keineswegs nur geschäftsmäßig war, bildete einen ebenso wohltuenden Kontrast zu Mehrings Schroffheit und Geschäftsgebaren wie die Tatsache, dass sie ihren Kunden Sonderwünsche erfüllte, sofern es in ihrer Macht stand. Inzwischen hatte sich nicht nur im Dellviertel, sondern in der ganzen Stadt und über deren Grenzen hinaus herumgesprochen, dass Frankie glutenfreies Brot, Brötchen und Kuchen kreiert hatte, damit Menschen mit Glutenallergie nicht auf diese Backwaren verzichten mussten. Und die Duisburger „Tafel“ bekam jeden Abend das Brot, das nicht verkauft worden war. Piet konnte sich nicht vorstellen, dass Frankie ernsthaft gewalttätig werden würde. Nicht mal gegenüber einem Arschloch wie Mehring.

Sie war sowieso keine typische Italienerin, weil sie zur Hälfte Deutsche war, die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und akzentfrei Deutsch sprach. Piets Wissens nach lebte sie seit fast zwanzig Jahren im Land. Ihre von italienischen Flüchen untermalten Temperamentsausbrüche hielt er für Show, mit der sie wohl das Klischee der feurigen, aber aufbrausenden Italienerin bedienen wollte. Was sie damit bezweckte, war ihm jedoch nicht ganz klar.

Frankie kehrte mit dem Kontrolleur zurück, beide in bestem Einvernehmen. Demnach hatte der Mann tatsächlich nichts zu beanstanden gefunden. Etwas anderes hätte Piet auch gewundert, denn in Luculls Paradies konnte man vom Boden essen. Kaum war irgendwo ein Krümel zu viel oder sichtbarer Schmutz im Eingangsbereich, wurde er unverzüglich mit dem Besen oder mit Wasser und Feudel beseitigt. Trotzdem prüfte der Kontrolleur gewissenhaft die Sauberkeit der Theke, der Brotregale und Auslagen und inspizierte auch die Backstube. Als er damit fertig war und sich verabschiedete, wirkten er und Frankie immer noch zufrieden.

„Möchten Sie noch etwas Brot mitnehmen?“, bot Frankie dem Mann an. „Oder Gebäck? Oder kann ich Sie zu einem Kaffee oder Tee einladen? Ich habe exquisiten Tarrazu aus Costa Rica ganz neu im Sortiment. Er ist sehr mild und aromatisch. Und er duftet“, Frankie rollte genießerisch mit den Augen, „einfach göttlich. Ich kann ihn empfehlen.“

Der Kontrolleur lächelte und schüttelte den Kopf. „Ein andern Mal, Frau Fariani. Ich muss weiter. Aber ich komme gerne mal zum Frühstück vorbei. Auf Wiedersehen.“

„Auf Wiedersehen, Herr Hauser.“

Frankie ließ sich nicht nehmen, ihn bis vor die Tür zu begleiten und ihn noch einmal freundlich lächelnd auf der Straße zu verabschieden. Letzteres war als Show für Mehring gedacht, keine Frage. Der stand immer noch oder schon wieder hinter der Schaufensterscheibe seines Ladens und starrte herüber. Seine Reaktion auf die freundliche Verabschiedung des Kontrolleurs folgte prompt. Er stürmte auf die Straße, das Gesicht rot vor Wut, und hinderte Hauser daran, in seinen Wagen zu steigen, indem er sich vor die Fahrertür stellte.

„Wieso machen Sie den Laden nicht dicht?“, brüllte er Hauser an und deutete auf Luculls Paradies. „Was für Beweise brauchen Sie denn noch?“

Hauser war wohl von Berufs wegen an Leute gewöhnt, die ausfallend wurden, denn er ließ sich weder aus der Ruhe bringen, noch von Mehrings Aggressivität einschüchtern, obwohl der Mann ihn um einen halben Kopf überragte und wegen seiner Leibesfülle größer wirkte, als er war.

„Ich weiß nicht, von welchen Beweisen Sie sprechen. Ich habe in Frau Farianis Geschäft und allen dazugehörigen Räumlichkeiten einschließlich der Mülltonnen nichts gefunden, das eine Schließung ihres Cafés rechtfertigen würde; nicht mal Anlass für eine Rüge. Aus Ihrer Äußerung entnehme ich aber, dass Sie die anonyme Anzeige erstattet haben. Nur zu Ihrer Information: Verleumdung stellt einen Straftatbestand dar. Vielleicht sollte ich mir als Nächstes mal Ihren Laden ansehen.“

Mehring starrte den Mann aus verengten Augen an, ehe er einen mörderischen Blick auf Frankie abschoss, die vor der Tür stand, die Hände an die Hüften gestemmt, und ihn angrinste. „Womit hat die Schlampe Sie bestochen, he?“

„Ich muss doch sehr bitten!“, verwahrte sich Hauser. „Sie beruhigen sich besser, bevor Sie noch was sagen, das Sie bereuen müssen. Und jetzt treten Sie freundlicherweise von meinem Wagen zurück.“

Mehring dachte nicht daran.

Piet hielt es für geraten, einzugreifen. Er verließ das Café, stellte sich neben Hauser und blickte dem Bäcker in die Augen. „Herr Mehring, treten Sie bitte von Herrn Hausers Wagen zurück.“ Er hoffte, dass Mehring nicht vergessen hatte, dass Piet bei der Polizei war, und dass das genügen würde, ihn zur Räson zu bringen. Er hätte es besser wissen müssen.

„Was mischst du dich denn hier ein, dämlicher Kaaskopp?“

„Vorsicht, Herr Mehring, sonst bekommen Sie gleich eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung.“ Piet fühlte sich zwar nicht beleidigt, obwohl man „Kaaskopp“ – Käsekopf, wie die Rheinländer die Niederländer schimpften, wenn es mal unschöne Differenzen gab – durchaus als eine werten konnte. Aber er ließ sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen.

Mehring schien sich wieder bewusst zu werden, dass Piet Polizeibeamter war. Er trat den Rückzug an, aber nicht, ohne Frankie noch einmal faustschüttelnd zu drohen. „Mit dir bin ich noch lange nicht fertig, du Flittchen!“

Frankie zeigte ihm den Stinkefinger, untermalt von einem giftigen: „Vaffanculo!“ Danach kehrte sie ins Café zurück.

Piet folgte ihr, setzte sich wieder an seinen Tisch und rieb sich wie Frankie die Oberarme. Draußen war es lausig kalt. Immerhin war Dezember und Weihnachten nicht mehr weit. Frankie lächelte ihm zu.

„Magst du einen Tarrazu probieren, Commissario?“

„Da sage ich nicht nein“, stimmte er zu. Er fand es amüsant, dass sie ihn wegen seines Berufes und seines Dienstgrades – Kriminaloberkommissar – immer „Commissario“ nannte. Er hatte ihr zwar angeboten, ihn Piet zu nennen, aber sie meinte, dass der Name wie das Quietschen einer Gummiente klang, weshalb sie „Commissario“ bevorzugte. In Anbetracht der Möglichkeit, an eine Gummiente zu erinnern, zog er das ebenfalls vor.

Sie wandte sich an den Zeitungsleser am anderen Tisch. „Möchten Sie auch einen? Oder noch einen Americano?“

„Gerne“, nahm der ebenfalls das Angebot an.

Frankie ging zur Kaffeemaschine, füllte drei Tassen und brachte erst dem Zeitungsleser eine, ehe sie die beiden anderen auf Piets Tisch stellte und sich zu ihm setzte. Er freute sich immer, wenn sie die Zeit fand, ihm Gesellschaft zu leisten an den Tagen, an denen er die Muße hatte, vor der Arbeit in Ruhe sein Frühstück in Luculls Paradies zu genießen. Heute musste er erst um neun Uhr im Präsidium sein. Bis dahin hatte er noch über eine halbe Stunde Zeit.

Er fühlte sich Frankie nicht nur verbunden, weil sie ausgesprochen angenehme Gesellschaft war, mit der er über Gott und die Welt plaudern konnte, sondern auch, weil sie beide ursprünglich nicht aus Deutschland stammten. Auch Piet war als Kind mit seinen Eltern eingewandert und hatte wie Frankie einen deutschen Elternteil. Bei ihm war es die Mutter, weshalb er von Anfang an die doppelte Staatsbürgerschaft besaß. Aber sein Name verriet natürlich ebenso seine niederländische Herkunft wie sein leichter Akzent, weshalb Mehring nicht der Erste war, der ihn „Kaaskopp“ genannt hatte.

„Bevor du trinkst“, sagte Frankie, ehe er den ersten Schluck Kaffee nehmen konnte, „nimm seinen Duft in dich auf.“ Sie hielt ihre Nase über ihre Kaffeetasse und sog mit halb geschlossenen Augen den Duft ein. „Wie der Kuss der Sonne.“

Er schnupperte ebenfalls und musste ihr zustimmen. Der Kaffee besaß tatsächlich ein intensives, angenehmes Aroma, das vor seinem geistigen Auge eine sonnenbeschienene Landschaft entstehen ließ. Und der Geschmack, der sich ihm offenbarte, als er den ersten Schluck trank, war tatsächlich außergewöhnlich: intensiv nach Kaffee, aber nicht bitter, mit dem Hauch eines angenehmen Beigeschmacks, den er nicht identifizieren konnte, obwohl er es versuchte.

„Köstlich“, lobte er.

Sie blickte ihn aufmerksam an. „Warum so traurig, Commissario?“

Er lächelte verlegen. „Merkt man mir das an?“

Sie nickte. „Mir fällt das jedenfalls auf. Weil du sonst immer fröhlich bist, wenn du zu mir kommst. Heute machst du ein Gesicht, als wäre das Frühstück deine Henkersmahlzeit.“ Sie deutete auf die Schüssel vor ihm, in der das Müsli in heißer Milch vor sich hin dampfte, das sie ihm speziell zusammengemixt hatte.

Normalerweise aß er Frankies Frühstücksmenü „Gott lebt in Frankreich“, das aus einem Stück Baguette mit Käse, zwei Croissants, Frankies selbstgemachter Marmelade und frischer Butter bestand. Auf Piets ausdrücklichen Wunsch stellte sie ihm ein Schälchen Nusscreme dazu. Oder er labte sich an den „Bienenwaben“, die aus frisch gebackenen Waffeln mit Wabenmuster bestanden, die mit Honigtröpfchen gefüllt waren, garniert mit einem Klacks frischen Rahms. Am Rand jeder Waffel saß eine handgefertigte Biene aus Marzipan. Frankie gab sich jeder erdenkliche Mühe, dass auch das Auge mitaß.

Wenn er Appetit auf etwas Deftigeres hatte, wählte er das Menü „Das Gelbe vom Ei“. Seinem Namen gemäß bestand es aus zwei in Scheiben geschnittenen gekochten Eiern, die auf zwei dicken, mit Putenschinken belegten Scheiben Leinsamenbrot drapiert waren. Frankie würzte sie zusätzlich mit einem selbst hergestellten Gewürz, dessen Zutaten sie geheim hielt, das aber pikant schmeckte und ein pfefferiges Britzeln mit einer kaum wahrnehmbaren zitronigen Note auf der Zunge hinterließ. Einfach lecker! Deshalb aß Piet von diesen Köstlichkeiten mehr, als er eigentlich sollte.

Mit dem Ergebnis, dass er stetig an Gewicht zulegte, wenn auch nicht nur deswegen. Er liebte es, wenn es seine Zeit zuließ, einmal die Woche mit seinen Freunden essen zu gehen und anschließend eine gemütliche Plauderrunde mit einem Glas Single Malt Whisky und einer guten Zigarre zu genießen. Da das Essen nicht gerade aus Schmalkost bestand, sondern stets in die Kategorie „Schlemmermenü“ fiel, und Piet niemals fertigbrachte, einen einzigen Krümel von den Delikatessen auf dem Teller zu lassen, tat das seiner Figur ebenfalls nicht besonders gut. Aber man gönnte sich ja sonst nichts. Und die wöchentlichen Treffen mit seinen fünf Freunden, mit denen er schon zur Schule gegangen war, waren ihm heilig. Er hielt sie ein, wann immer es seine Arbeit zuließ.

Leider war seit vorgestern mit dem Schlemmen Schluss, als er die Ergebnisse seines letzten Check-ups erhalten hatte. Neben exorbitanten Cholesterinwerten hatte Doktor Hobart beginnenden Diabetes diagnostiziert und ihm neben Medikamenten eine strenge Diät verordneten. Deshalb hatte er sich, als er gestern zum Frühstück in Luculls Paradies eingekehrt war, schweren Herzens von seinen Lebenselixieren Waffeln, Honig, Frankies Marmelade, Butter und Nusscreme für eine sehr lange Zeit verabschiedet.

„Aber das muss doch nicht sein“, hatte Frankie ihm widersprochen, als er ihr sein Leid geklagt hatte, um sie schonend darauf vorzubereiten, dass er künftig nicht mehr bei ihr frühstücken würde. „Cholesterin kannst du ohne Medikamente in den Griff bekommen. Mit Haferkleie. Jeden Tag hundert Gramm, und in ein paar Monaten sind die Werte wieder normal. Komm jeden Morgen zum Frühstück, Commissario. Und wenn du kannst, auch zum Abendessen. Ich backe dir Brot und mache dir Essen, mit dem du gesund wirst. Und wir können zusammen Sport treiben, wenn du willst. Dann bekommst du auch dein Gewicht in den Griff.“

Piet war sich sicher, dass er bei der Bemerkung knallrot geworden war; jedenfalls hatten sich seine Wangen verdammt heiß angefühlt. Er war zwar nicht direkt dick, hatte aber definitiv mindestens fünfzehn Kilo zu viel auf den Rippen. Sein Arzt war der Meinung, dass er wenigstens die abnehmen sollte, idealerweise aber zwanzig Kilo. Die Aussicht, mit Frankie zusammen Sport zu treiben, war jedoch verlockend. Er bezweifelte allerdings, dass Haferkleie gegen Cholesterin half. Wenn sie das täte, hätte der Arzt ihm wohl kaum ein Medikament verschrieben. Doch auch dem hatte Frankie vehement widersprochen.

„Die Wirksamkeit von Haferkleie gegen zu hohes Cholesterin ist seit den Sechzigerjahren wissenschaftlich nachgewiesen. Aber weder die Pharmaindustrie noch die Ärzte verdienen einen Cent daran, wenn sie ihren Patienten Haferkleie statt Medikamente verordnen. Du hast nichts zu verlieren, Commissario. Probieren wir das doch einfach aus. Ich backe dir Haferkleiebrötchen und Haferkleiebrot. Und statt der Butter nimmst du ungesüßten Naturjoghurt oder milden Senf unter deinen Schinken. Du wirst sehen, wie lecker das schmeckt.“

Das konnte Piet sich auf Anhieb zwar nicht vorstellen, aber er war sich sicher, dass ihm Frankies ungewöhnliche Kreationen trotzdem besser schmecken würden als das, was Doktor Hobart ihm vorgeschlagen hatte: Rohkost mit Vollkornbrot zum Frühstück (natürlich ohne Butter und auch ohne Margarine), Rohkostsalate (selbstverständlich ohne Dressing) zum Abendbrot und Gemüse mit Kartoffeln oder Vollkornreis zum Mittagessen. Idealerweise ohne Fleisch; oder ausschließlich mit magerem Hühner- oder Putenfleisch, selbstverständlich natur, unpaniert und ohne jegliche Soße. Die pure Folter!

Und heute hatte ihm Frankie auch noch Müsli serviert. Piet hasste Müsli. Als Kind hatte er es immer essen müssen, und es hatte ihm nie geschmeckt. Wie konnte er Frankie schonend beibringen, dass Müsli nicht sein Ding war, ohne ihre Gefühle zu verletzen? Sie hatte sich immerhin immense Mühe gemacht.

Auch die anderen Komponenten des ihm zugedachten Frühstücks erweckten keine Begeisterung: Naturjoghurt, der garantiert ungesüßt war, eine Stange, die wie ein Baguettestück aussah, aber dunkel und voller Körner war mit einer Kruste aus Haferflocken, eine fleischige Tomate, Gurkenscheiben, irgendwas Schinkenähnliches.

„Nicht gerade Henkersmahlzeit“, antwortete er Frankie. „Aber es fällt mir schwer, heute nicht deine üblichen Köstlichkeiten zu essen.“

Sie lächelte verschmitzt. „Ich versichere dir, dieses Frühstück ist genauso köstlich wie alles andere, was du bei bekommst. Und alles beste Bio-Qualität.“ Sie stieß ihn sanft am Arm. „Probier!“

Er nahm den Löffel und blickte skeptisch auf die in seinen Augen pappige Pampe in der Schüssel, auf deren Oberfläche ein dunkles Pulver so gestreut war, dass es die Umrisse eines Schmetterlings nachbildete. Kakao war das wohl kaum. Er nahm eine Löffelspitze voll von einem Teil, der mit dem Pulver bestreut war und schob es sich in den Mund. Kaute darauf herum und erstarrte verblüfft. Das Zeug schmeckte ... nicht annähernd so fad, wie er gedacht hatte. Es schmeckte im Gegenteil überhaupt nicht fad und war auch nicht so pappig, wie es aussah, sondern hatte eher etwas Cremiges.

Das braune Pulver war Zimt, was Piet angenehm an den Milchreis mit Zucker und Zimt erinnerte, den seine Mutter früher immer gekocht hatte. Doch in den Geschmack dieses Müslis mischten sich noch andere Noten. Der Zucker fehlte völlig, wie erwartet, aber das tat dem Genuss keinen Abbruch. Piet nahm ein Aroma wahr, das ihn an Weihnachtsgebäck erinnerte, aber er konnte es nicht identifizieren. Die heiße Milch schmeckte so gut, wie ihm noch nie irgendeine Milch geschmeckt hatte. Offensichtlich handelte es sich nicht um Magermilch, wie er erwartet hatte. Er glaubte, einen Hauch Rahm herauszuschmecken. Und die Getreidezutaten – wie in Milch eingeweichtes frisches Korn mit einem winzigen Hauch nach etwas Mineralischem. Piet glaubte auch, eine feine nussige Note herauszuschmecken. Er kaute intensiver und kostete jede Nuance dieses ungewöhnlichen Geschmacks aus. Nahm eine weitere, diesmal erheblich größere Portion, ließ sie auf der Zunge zergehen und merkte erst, als er Frankies zufriedenes Lächeln sah, dass er unablässig Laute wie „hm“ und „ah“ von sich gab und etwas, das sich wie „mjam“ anhörte. Was wohl nicht sehr intelligent klang, aber das war ihm völlig egal.

Er schüttelte den Kopf und deutete mit dem Löffel auf das Müsli. „Köstlich, Frankie, ganz wunderbar! Das ist das beste Müsli, das ich je gegessen habe. Was ist da drin?“

Ihr Lächeln wurde richtig glücklich. „Das ist dein ganz persönliches Müsli, Commissario. Ich habe es ‚Glück und Gesundheit’ genannt. Es enthält großblättrige Haferflocken, Haferkleie, Hirseflocken, Zimt und Kardamom. Zimt wirkt gegen Diabetes. Und die Milch ist frische Vollmilch direkt vom Bauernhof. Als sie vorhin geliefert wurde, war sie noch warm.“

Daher der Geschmack nach Rahm. Und das nach Weihnachten schmeckende Gewürz war also Kardamom.

„Außerdem habe ich Haselnussmehl hineingemischt. Ganz fein gemahlene Haselnüsse. Die sind sehr gesund und haben viel Kalium, Kalzium, Magnesium, Phosphor und die Vitamine A, B1, B6, C, E und Niacin.“

Frankie, die Ernährungsspezialistin.

Sie lächelte. „Du siehst, gesundes Essen muss nicht schlecht schmecken.“ Sie deutete auf die Brötchenstange. „Das ist ein Haferkleiebrötchen. Es enthält fünfundzwanzig Gramm Kleie. Wenn du im Laufe des Tages vier Stück isst, hast du die empfohlene Menge von täglich hundert Gramm Haferkleie zur Senkung deines Cholesterinspiegels erreicht.“ Sie schnitt ein Stück ab und hielt es ihm hin. „Probier mal.“

Er nahm das Brötchenstück und schnupperte daran. Es duftete wie ein Kornfeld im Sommer, wie heißes Brot aus dem Backofen, obwohl es längst abgekühlt war. Er biss hinein. Entgegen seiner Erwartung, dass es wie trockene Haferflocken schmecken würde, überwog der Geschmack von frisch gemahlenem Getreide. Darin mischte sich eine Note von leichter Schärfe, und die Konsistenz erschien ihm angenehm saftig. Ein ungewöhnliches, aber ebenfalls sehr leckeres Geschmackserlebnis.

„Ich habe ein paar kleingehackte Ingwerstücke hineingebacken“, erklärte Frankie. „Ingwer ist gut für die Verdauung.“

Piet kam nicht dazu, ihr antworten, denn ein Räuspern von der Hintertür lenkte sie ab.

„Hey, Frankie!“

An der Tür zum Hof stand ein junger Mann und winkte ihr, zu ihm zu kommen. Piet reckte wieder so unauffällig wie möglich den Hals, um zu sehen, ob Georg Mehring in seinem Laden oder auf der Straße in Sichtweite war. Doch der Bäcker war nicht zu sehen. Andernfalls hätte es möglicherweise die nächste Auseinandersetzung gegeben, die wahrscheinlich in Gewalt ausgeartet wäre, denn Mehring würde komplett ausrasten, wenn er mitbekäme, dass sein Sohn Julius sich ins feindliche Lager von Luculls Paradies geschlichen hatte. Nicht zum ersten Mal, wie Piet wusste, weil er Mehring junior schon öfter hier gesehen hatte. Die Konstellation besaß alle Zutaten für eine klassische Romeo-und-Julia-Tragödie.

Frankie ging zu Julius. „Hey, Giulio. Hat sich dein Vater wieder beruhigt?“

Julius schüttelte den Kopf und ergriff Frankies Hände. „Der tobt. Hast du ihn nicht brüllen gehört?“

Frankie zuckte mit den Schultern. „Der brüllt so oft, dass es mir schon gar nicht mehr auffällt. Willst du eine Weile vor seinem Zorn bei mir untertauchen?“

Julius schüttelte wieder den Kopf. „Ich wollte mich nur vergewissern, dass der Kontrolleur nichts gefunden hat. Ich habe gesehen, wie mein Vater heute Morgen in aller Frühe zwei tote Ratten in deine Mülltonne geworfen hat. Als er weg war, habe ich sie wieder rausgeholt und entsorgt. Ich hatte aber keine Möglichkeit nachzusehen, ob er nicht noch anderswo irgendeine Schweinerei deponiert hat. Ich glaube, ich muss dir nicht sagen, dass er dir den Kontrolleur überhaupt auf den Hals gesetzt hat. Er hat einen Bekannten beim Amt sitzen. Bei dem hat er dich denunziert. Und der hat ihn auch darüber informiert, dass dein Café heute kontrolliert wird. Das hat er von langer Hand geplant.“

„Dieser gottverdammte Scheißkerl!“, explodierte Frankie zur Abwechslung auf Deutsch und ballte die Fäuste. „Das hat er nicht umsonst getan.“

Julius legte die Arme um sie. „Tut mir leid, Frankie. Mein Vater ist nun mal ein gemeines Schwein. Ich finde es aber toll, dass du das nicht an mir auslässt.“

Sie machte sich von ihm los und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Ach, Giulio. Warum sollte ich irgendwas an dir auslassen, was dein Vater tut? Du bist gestraft genug mit der Tatsache, dass der Mistkerl dein Erzeuger ist.“

„Amen!“ Das klang so inbrünstig, dass kein Zweifel daran bestand, wie sehr Julius bedauerte, Mehrings Sohn zu sein. Er legte wieder die Arme um Frankie. „Wenn es keine Sünde wäre, würde ich mir wünschen, er würde tot umfallen.“

Sie legte ihm die Fingerspitzen auf den Mund. „Das darfst du nicht sagen.“

„Warum denn nicht? Vorgestern hat er meine Mutter wieder so übel geschlagen, dass ihr ein Zahn abgebrochen ist.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich sehe mir nicht mehr lange mit an, dass er den beiden Menschen wehtut, die mir die liebsten sind.“

Er zog Frankie enger an sich. Als er sie küssen wollte, entwand sie sich ihm, strich aber sanft über seine Wange.

Piet sah es mit einem Anflug von Neid. Nicht, dass er sich je Illusionen gemacht hätte, dass er Chancen bei Frankie haben könnte. Was sollte eine bildschöne Fünfundzwanzigjährige schon an einem etwas übergewichtigen Zweiundvierzigjährigen finden, der völlig durchschnittlich aussah? Aber ihre Freundlichkeit und Fürsorge vorhin hatten ihn wieder einmal davon träumen lassen, wie schön es sein könnte, wenn er für sie mehr wäre als nur einer ihrer vielen Gäste, denen sie dieselbe Aufmerksamkeit angedeihen ließ. Er löffelte sein Müsli, kostete jeden Bissen genüsslich auf der Zunge und stellte sich vor, wie wohl ein Kuss von Frankie schmecken würde. Mit Sicherheit süß und ...

Mehrings wütende Stimme, der die halbe Straße zusammenbrüllte, unterbrach abrupt seine Fantasie und seinen Genuss. Auf dem Fuß des Gebrülls folgte ein Klirren, das verdächtig nach zerschlagenem Glas oder Porzellan klang, das auf dem Pflaster vor dem Brotpalast zerbrach.

„Scher dich zum Teufel, du Zigeunerbastard! Und wenn du noch mal einen Fuß in meinen Laden setzt, schlag ich dich tot, du Sauhund!“

Der Zeitungsleser am anderen Tisch stieß einen leisen Pfiff aus und reckte den Hals, um zu sehen, was, vielmehr wer Mehring diesmal in Rage versetzt hatte, ehe er den Kopf schüttelte. „Mann, der Kerl ist ja heute nur noch auf Streit gebürstet.“

„Heute?“ Julius schnaubte genervt. „So ist der immer.“

Piet sah einen hageren Mann über die Straße gehen und mit eingezogenen Schultern aber entschlossenen Schritten auf Luculls Paradies zusteuern. Mehring warf ihm einen Teller nach, der scharf am Kopf des Mannes vorbeiflog, zwischen zwei geparkten Wagen auf dem Boden aufschlug und zerbrach. Der Mann beschleunigte seine Schritte. Sekunden später betrat er das Café.

„Hallo, Bogdan“, begrüßte ihn Sieglinde Unger und lächelte mitfühlend. „Hast du endlich auch die Schnauze voll von dem Tyrannen?“

Janina Geerkens winkte ihm lächelnd zu.

Bogdan hob grüßend die Hand in ihre Richtung und nickte. „Schon lange. Aber jetzt hat er den Bogen endgültig überspannt Rempelt mich an, dass ich die Geburtstagstorte für Fiedlers fallen lasse, gibt mir auch noch die Schuld daran und wirft mich raus. Nachdem er mich geschlagen hat!“ Er deutete auf seine aufgeplatzte, blutende Lippe. „Das lasse ich mir doch nicht bieten! Und wie er mich beschimpft hat, hat garantiert die ganze Straße gehört.“ Er blickte Frankie an. „Frau Fariani, Sie können nicht zufällig noch gebrauchen einen Bäckergesellen?“

Frankie lächelte. „Zufällig brauche ich noch jemanden. Das heißt, falls Sie sich damit anfreunden können, ab sofort nur noch Vollwert zu backen und bereit sind, die entsprechenden Kniffe von mir zu lernen, Herr Lišcu.“

Bogdan nickte. „Alles! Und gerne.“

Piet war sich nicht sicher, ob Frankie wirklich noch einen Gesellen brauchte, oder ob sie Bogdan Lišcu nur nahm, um Mehring noch eins auszuwischen. Verdenken könnte er ihr das nicht.

„Mensch, Bogdan“, sagte Julius, „wenn mein Vater spitzkriegt, dass du für Frankie arbeitest ...“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wie er darauf reagiert.

„Mir scheißegal“, knurrte Bogdan. „Hat er sich selbst zuzuschreiben. Ich hab Familie. Ich kann’s mir nicht leisten, arbeitslos zu sein. Hab immer alles geschluckt; auch seine Beleidigungen. Das wissen Sie, Julius. Aber das war jetzt zuviel.“

Ein Streifenwagen hielt vor dem Brotpalast. Offenbar hatte ein Anwohner die Polizei gerufen.

„Oh Scheiße“, stöhnte Julius. „Ich muss zurück. Mit etwas Glück kann ich meinen Vater davon abbringen, die Sache noch schlimmer zu machen.“ Er gab Frankie einen Kuss auf die Wange und eilte durch die Hintertür hinaus.

Frankie wandte sich an Bogdan. „Ich nehme an, dass Fiedlers jetzt keine Geburtstagstorte bekommen.“

Bogdan schüttelte den Kopf. „Sollte mich wundern, wenn der Alte rechtzeitig eine backen kann. Zumindest nicht so, wie Frau Fiedler sie bestellt hat. Sie wollte sie um zehn Uhr abholen.“

Frankie lächelte. Es wirkte sardonisch. „Ich glaube, ich sollte schnell noch eine Torte backen. Nur für alle Fälle. Natürlich kann ich die nicht nach Frau Fiedlers Vorgaben machen, da ich die nicht kenne, aber was war denn das Besondere an der Torte? Außer einer etwaigen Aufschrift, die ich schnell hinkriege.“

Bogdan Lišcu grinste. „Sie wollte eine dreistöckige Melonentorte haben. Mit Melonensahne.“

Frankies Lächeln wurde breiter. „Das ist zwar tatsächlich bis zehn Uhr nicht zu schaffen, aber ...“ Sie wandte sich an Janina Geerkens. „Janina, stell bitte ein Schild ins Fenster: ‚Heute ab zehn Uhr Luculls neueste Kreation: Vollwert-Melonentorte zum Probierpreis, das Stück ein Euro dreißig’.“

Janina Geerkens grinste, griff zu einem größeren Papptablett und einem Filzstift und schrieb die Botschaft auf.

Frankie wandte sich wieder an Bogdan Lišcu. „Also, Herr Lišcu, morgen früh um halb drei Uhr sehen wir uns hier.“

„Danke, Frau Fariani.“ Er schüttelte ihre Hand. „Darf ich auch durch den Hinterausgang verschwinden?“

Sie lachte. „Klar. Bis morgen.“