3,99 €
"Ich kann die eine Hirnstruktur nicht richtig darstellen." Mit diesem Satz des untersuchenden Arztes begann unsere Reise mit unserem Balkenkind. Im Ultraschall in der Mitte der Schwangerschaft fiel auf, dass der Balken, das Corpus Callosum, das die rechte und linke Hirnhälfte verbindet, fehlte. Komplett. Nach dem Schock, den Tränen, weiterer detaillierter Diagnostik und der Entscheidung gegen den immer wieder ins Spiel gebrachten Spätabbruch blieb uns nur das Warten. Warten darauf, wie sich die schweren motorischen und kognitiven Beeinträchtigungen, von denen wiederholt die Rede war, äußern würden. Informationen zu dem Phänomen Balkenmangel waren kaum zu bekommen. Die, die es gab, zeichneten meist ein Bild schwerer und mehrfacher Behinderungen. Doch unser Kind hat einen isolierten Balkenmangel ohne genetische Defekte. Dazu gab es so gut wie keine Informationen. Nachdem wir nun die ersten gut zehn Jahre mit unserem Balkenkind verbringen durften und es inzwischen eine weiterführende Schule besucht, war die Zeit gekommen, den ersten Bericht über unser gemeinsames Abenteuer fortzuführen. Denn wie sagte unser Pränataldiagnostiker so unumwunden: "Was heißt normal? Heißt normal, dass es einen Kindergarten besuchen kann?" Lassen Sie sich überraschen...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Vorwort
Neuanfang
Rituale
Vom Wort zum Satz
Vom Poporutschen zum Rutsche herunterrutschen
Sauber werden
Vom Kuscheln und Trotzen
Motorische Entwicklung
Geistig-emotionale Entwicklung
Jan in der Schule
Schach
Vom Würfeln und Zaubern
Medizinische Erkenntnisse
Schlusswort
Das Leben ist eine Reise.
Eine Reise ins Unbekannte. Man weiß nie, welche Menschen einem auf dem Weg begegnen, welche Abenteuer, welche Herausforderungen. Wird man sie bestehen? Wird man daran wachsen? Oder wird man scheitern?
Wenn man ein Kind erwartet, dem schon vor seiner Geburt eine schwerwiegende Diagnose gestellt wurde, das möglicherweise, und ich zitiere einen unserer Ärzte, "schwere kognitive und motorische Beeinträchtigungen" haben wird, also schwere körperliche und geistige Behinderungen, dann ist diese Reise ins Unbekannte noch viel spannender als unter normalen Umständen.
Jeder Tag wirft neue Fragen auf, gerade zu Beginn dieser Reise. Viele dieser Fragen kann nur die Zeit beantworten. Sehr oft nicht am selben Tag. Auch nicht in derselben Woche. Viele dieser Fragen nach der Entwicklung des Kindes werden erst nach Jahren beantwortet. Erst dann weiß man als Mutter und Vater, ob das eigene Kind bestimmte Entwicklungsschritte geht oder nicht. Man lernt, sich in Geduld zu üben, das Warten auszuhalten, sich nicht mehr vorschnell Sorgen zu machen und sich Hilfe zu holen, wenn man es doch einmal tut. Man erfährt, wie groß die Bandbreite dessen ist, was unter "normaler Entwicklung" bei gesunden Kindern verstanden wird. Und dass das Gras auch nicht schneller wächst, wenn man daran zieht.
Auf dieser Reise mit unserem Balkenkind befinden wir uns inzwischen seit über zehn Jahren.
Ich möchte Sie, liebe Leser, liebe Leserinnen, liebe Mütter und Väter, liebe Freunde, Verwandte, Unterstützer und Begleiter betroffener Eltern einladen, mein Balkenkind und uns als seine Eltern ein weiteres Stück auf seiner Reise zu begleiten.
Sabine Brömmer
Kurz nach Jans zweitem Geburtstag stand für unsere ganze Familie ein Umbruch ins Haus.
Wir zogen aus dem Süden Deutschlands, wo Jan und Marie geboren worden waren, zurück dahin, wo unsere große Tochter zur Welt gekommen war, in den Westen des Landes, an den Rhein. Mit dem Gedanken an einen Umzug hatten wir uns schon länger getragen, und die anstehende Einschulung unseres ältesten Kindes hatte die Entscheidung schließlich akut gemacht. Einen Schulwechsel während der Grundschulzeit wollten wir ihr ersparen.
Die Suche nach einem Haus in unserer neuen alten Heimat gestaltete sich ein wenig kompliziert. Unsere Bedürfnisse, unsere Wünsche und unsere Möglichkeiten mussten unter einen Hut gebracht werden. Doch schließlich hatten wir das Passende gefunden. Das Haus hat einen wirklich großen Garten, eine schöne Terrasse und vor allem einen dort eingelassenen Springbrunnen.
Nachdem wir fündig geworden waren, fuhren wir mit der ganzen Familie ins Rheinland, um den Kindern ihr neues Zuhause zu zeigen.
Jan war sofort fasziniert. Der Garten mit den vielen Hecken, einigen Baumgruppen, all den Winkeln und Ecken, die es zu entdecken gab, war ganz nach seinem Geschmack. Am meisten jedoch begeisterte ihn unser kleiner Springbrunnen. Jan kletterte auf die Abdeckplatte, aus der die durchaus beachtliche Fontäne sprudelt, hielt die Hände in den Wasserstrahl und war nach kürzester Zeit patschnass.